Johanna Herzogenberg MARIANISCHE GEOGRAPHIE AN BÖHMISCHEN WALLFAHRTSORTEN. DER WEISSE BERG - RIMAU IN SÜDBÖHMEN - DER HEILIGE BERG LITERATUR Gumpenberg s. (Wilhelm) s], Atlas Marianus, Ingolstadt 1655, München 1657, 1672. - Deutsche Ausgabe VDI! Aug. Sartorius, Pra 1717. - Wirth, Zdenlk. Klaher a pßulni kostel na Bilö H0 e, Praha 1921. _ Soupis {immer hisrorickfdi a umuetkydi v krälovstvi Öeskäm; okres m ramsky, 1901 (A. Podlaha) -okr:s Cesko-Budljovickf,19D0(J.Branis). - Podlaha Anton, Posvatnä misra kralovstvf ceskiho, Praha 1907. - Sirkn Rudolf, m. Gnadenorre der Suderenländer. Kempten 1954. _ Hoppe Al- nta, m; Österreichers Wallfahrtsorre, Wien 1903. - Ryne1V., Imagines miraculosae, Prag m7, ders., Marianisdu: Gnädtrn- bilder und Kopien, n. D" Zwiebelrurm, Regensburg 1970. - Sdiartenhofer Midzael, Die Mariensäiule n. Münduen, Mündicn 1970. Die Gegenreformation knüpfte in Böhmen nach dem Dreißigjährigen Krieg an vielen Orten an die einst lebendige Marienverehrung an und wußte von neuen Wundern der über die schwe- ren Zeiten der Hussitenkriege und der nach- folgenden utraquistisdien und protestantischen Epoche geretteten Bilder und Figuren der Madonna zu erzählen. Der uralte Kult der Mutter mit dem Kind blühte ebenso wie jener der Schmerzhaften Muttergottes wieder auf, und es entstand eine Fülle von größeren und klei- neren Wallfahrtsorten, so daß man im 18. Jahrhundert Böhmen ein marianisches Land nennen konnte. Die militärisch und politisch entscheidende Schlacht auf dem Weißen Berg bei Prag am 8. November 1620, nach der Fried- rich von der Pfalz, der calvinistisclae „Winter- könig", fluchtartig die Hauptstadt Prag und das Königreich Böhmen verließ, hatte die katholische Liga, so wurde gesagt, mit Hilfe der Gottes-Mutter gewonnen. Das kleine spät- gotische Christ-Geburt-Bild aus der Deutsch- Ordens-Kommende Strakonitz, welches der Karmeliter Dominicus a Jesu den Truppen vorangetragen hatte, bekam den Namen „Maria de Victoria", ebenso wie die ursprünglidi pro- testantische Kirche, weld1e dieser Orden in der Kleinen Stadt Prag (Kleinseite) erhielt. König, Adel, Bürger, Einzelpersonen, Städte und Klö- ster wetteiferten in ihrem Dank an die Ma- donna und in der Erfindung immer neuer Formen der Verehrung. Die aus den katholi- schen, vor allem den habsburgischen Ländern Süd- und Westeuropas einströmenden Frem- den brachten Nachriditen von den Heiligtümern in ihrer Heimat. Bestimmte Typen dieser Ma- donnenbilder fanden besondere Verbreitung und Förderung ihres Kultes, etwa „Maria-Hilf" nach dem Innsbrudrer bzw. Passauer Bild oder die Casa Santa von Loreto. Was aber m. W. nur in Böhmen vorkam, war die gleichzeitige Anrufung der Muttergottes anderer z. T. weitentfernter Gnadenstätten an einem Ort mit eigenem Gnadenbild und be- sonderen Kultformen. An drei Beispielen mödite ich diese marianische Geographie beschreiben, die verschiedenen Sd1emata der Anordnung darstellen und diese zu interpretieren versuchen. Die großartigste und umfassendste Anhäufung von Darstellungen und Anrufungen mariani- scher Gnadenbilder befindet sich in dem Heilig- tum, das zur dankbaren Erinnerung an jene für Böhmen entscheidende Schlacht vom 8. November 1620 errichtet worden ist, nämlich am Weißen Berg bei Prag. Die Ortsbezeichnung hat nichts mit einer übertragenen Bedeutung zu tun - wie bei der Jasna Gora in Tschen- stodiau -, sondern Weiß bezeichnet das Gestein der Bergkuppe, die nach drei Seiten stark ab- fällt und an der vierten den flachen Zugang zur Prager Burg bildet, die etwa eine halbe Wegstunde weiter östlich liegt. Hier hatte man 1622-1624 eine kleine Gedächtniskapelle er- richtet, 1628 ein Servitenkloster geplant, das aber wegen des Wassermangels an dieser Stelle dann doch nicht gebaut wurde. - Im übrigen blieb der Weiße Berg nach wie vor das Auf- marschgelände für den aus dem Westen heran- rückenden Feind, so etwa für die Sachsen 1639, für die Schweden 1648, für die Bayern 1741 und auch für Friedridn von Preußen 1757. Sdxließlich hat ein bayerisdzer Maurer, Midiael Hagen aus Tegernsee, 1704 mit dem Bau der Anlage begonnen, die wir heute als Werk von Handwerkern und Bürgern bewundern. Weder den großen Herren aus dem böhmisdien Adel noch den verschiedenen Ordensgemeinschaften war es gelungen, ein würdiges Gedächtnis zu verwirklichen. Ihnen genügte die ursprünglich von den Protestanten begonnene und nach der Schlacht am Weißen Berge den Karmelitern übergebene Kirche Maria de Victoria in der Kleinen Stadt Prag. Wir können den Bauvor- gang an den in die Steine eingemeißelten Daten genau verfolgen: Kapelle 1704, Umgang und Priesterhaus 1708. Die Felicians-Kapelle 1710, die des heiligen Hilarius 1712. - Der schöne Eingang an der Südseite trägt die Jahreszahl 1713 und über dem Marien-Emblem die stolze Inschrift „Luna invent." Der Maler und Bau- meister Christian Luna (T 1729) entwarf auch den eindrucksvollen Kupferstich, der die ganze Anlage zeigt. Er hatte sich seit 1705 der Planung und Ausführung des Baues angenommen. In den umlaufenden Ambiten sind in die Platzl- gewölbe jeweils Gnadenbilder gemalt, die von Engeln getragen werden. Sie schweben im Him- melsraum der kreisrunden Kuppelbilder, die am Rande eine umlaufende irdische Szenerie aufweisen. Zu Füßen des Gnadenbildes wird der Ort - Kirche oder Stadt - dargestellt, in dem es sich befindet. Einzelne Bäume, vom Bildrand aufwachsend, vermitteln Tiefe. Die Darstellungen sind wiederholt übermalt, gehen aber auf sehr qualitätvolle Vorlagen zurück - erinnern wir uns daran: In den drei Kuppeln der Wallfahrtskirche haben keine Geringeren als Cosmas Damian Asam, Wenzel Lorenz Reiner und Johann Adam Schöpf gemalt. Die Umschrift in Tschechisch und Deutsch, letztere heute weitgehend übermalt, nur im Norden noch lesbar, heißt immer: Zazracny a milostnv obraz Panny Marie v... Das gnadenreidie Muttergottesbild in Bei den Ortsangaben wird oft auch das Land genannt, dazu gelegent- lich auch eine Jahreszahl, wohl die erste damals überlieferte Erwähnung. Interessant ist, daß man bei den Übermalungen bekanntgewordene Veränderungen der jeweiligen Bauwerke be- rüdtsiditigt. So werden etwa bei der Ansicht von Regensburg die neuen Domtürme (1859- 1869 aufgeführt) dazugemalt. Insgesamt sind 47 Gnadenorte dargestellt. Ein Plan soll ihre Ab- folge und die Beziehung zu den Darstellungen aus dem Leben Jesu und Mariä, die an der Umfassungsmauer des Heiligtums angebracht sind, veransd1aulid1en. Da nur am Weißen Berg in der Reihe der Gnadenbilder auch soldie jenseits der Grenzen der Länder der SL-Wenzels-Krone (Böhmen, Mähren und Schlesien) vorkommen, sei hier eine knappe statistische Zusammenfassung ge- geben: Von den 47 Madonnen befinden sich sechs in der Hauptstadt Prag, neun in Böhmen, vier in Mähren, zwei in Schlesien, adit (l) in Bayern, vier in Italien, je eine in Österreich, Polen, Spanien und in der Schweiz. Es ist eine eindrucksvolle Geographie, und wir werden nicht fehlgehen, wenn wir annehmen, daß die Wohltäter und Stifter die Auswahl treffen durften, so daß es nicht wunder nimmt, wenn die berühmten bayerischen Wallfahrten von Ötting (Alrötting), Etral, Landshut, Regens- burg, Passau, Neukirchen, Chiemsee und auch 9