Wilhelm Mrazek ZUR WISSENSCHAFTS- GESCHICHTE DES WIENER PORZELLANS Die Geschichte der Wiener Porzellanerzeugung als Gegenstand der kunstwissenschaftlidien For- sdiung ist noch keine hundert Jahre alt. Sie ist auf das engste mit der Geschichte des Öster- reichisdnen Museums verbunden; war doch dieses Institut nach Auflösung der Wiener Porzellan- fabrik im Jahre 1864 dazu ausersehen worden, den künstlerischen Nachlaß zu übernehmen und damit gleichsam als Erbe das Andenken zu pflegen und das Interesse wachzuhalten. Es verwundert daher nicht, daß Jacob von Falke, der erste Mitarbeiter Rudolf von Eitel- bergers, des Gründers des Museums und Initia- tors der Wiener Schule der Kunstgeschichte, im Jahre 1887 mit der Monographie „Die k. k. Wiener Porzellanfabrik. Ihre Geschichte und die Sammlungen ihrer Arbeiten im k. k. Öster- reichischen Museum" eine Publikationsreihe einleitete, mit der die Sammlungsgebiete des Instituts und dessen Bestände einem weiten Kreis bekannt gemacht werden sollten. In dieser Schrift, die neben einem geschiclmtlichen Über- blick einen Katalog über die 426 Porzellane aus dem Besitz des Museums enthielt, konnte Falke nicht nur die Informationen des letzten Direktors der 'Wiener Manufaktur und deren künstlerischen Nachlaß, der 1865 dem Museum übergeben wurde, verwerten. Er zog vor allem zwei SCI1OI1 viel früher erschienene Arbeiten zur Geschichte der Manufaktur heran, nämlich die im Jahre 1818 anläßlidi des hundertjährigen Bestandes von der Fabrik selbst herausgegebene Sdirift „Zur Säcular Feyer der k. k. Porzellan Manufaktur zu Wien . . ." sowie den Beitrag des berühmten Dr. Benjamin von Scholz, Profes- sor am k. k. Polytecl-inisd1en Institut und von 1827 bis 1833 Direktor der Manufaktur, über „Porzellan und Porzellanerden, vorzüglich in den österreichischen Staaten", der 1819 im ersten Band der Jahrbücher des Polytechnischen Instituts erschienen war. 30 Das Ergebnis war im wesentlichen eine noch heute gültige Periodisierung der Geschichte der Manufaktur. Falke unterschied von der Grün- dung im Jahre 1718 bis zur Auflösung im Jahre 1864 fünf Perioden: 1. Periode 1718-1744: Die Fabrik als Privat- anstalt des Claudius Innocentius Du Pa- quier. 2. Periode 1744-1784: Die Fabrik als kaiser- liche Anstalt unter Maria Theresia. 3. Periode 1784-1805: Die Fabrik unter der Leitung Konrad von Sorgenthals. 4. Periode 1805-1827: Die Fabrik unter der Leitung Matthias Niedermayers. 5. Periode 1827-1864: Die Fabrik in Nieder- gang und Auflösung. Mit dieser Periodisierung, die von allen späteren Autoren übernommen wurde, legte Jacob von Falke den Grundstock für jede weitere wissen- schaftliche Befassung. Wesentliches, das über Falke hinausging, konnte erst Friedrich Minkus im Jahre 1895 beibringen. Er verfaßte eine Studie zur Geschichte der ersten Periode von 1718-1744, zur Geschichte der Privatanstalt des Claudius Innocentius Du Paquier, auf Grund von archivalischen Dokumenten im I-Iaus-, Hof- und Staatsarchiv, die in diese dunkle und nur spärlich dokumentierte Zeit einiges Lidnt brachte. Diese Studie von Wilhelm Minkus war dann der Anlaß für von Seidlitz, Ergänzungen hierzu aus den Archivakten der Meißner Manufaktur beizubringen. In der Zeit zwisdien Falkes Monographie und den Beiträgen von Minkus und Seidlitz hatten im Zuge der Industrialisierung und musealen Reformhewegung die Gründungen von kunst- gewerblichen Museen zugenommen und war eine ganze Generation von Kunsthistorikern mit kunstgewerblichen Themen befaßt. Justus Brinckmann, der Direktor des Hamburger Museums für Kunst und Gewerbe, zeigte sich am Wiener Porzellan sehr interessiert un mentierte dies in seinem vorbildlichen durdn sein Institut. Gleicherweise befaß die Direktoren der in Böhmen, Mäh: Schlesien nach dem Wiener Vorbilde ge ten Gewerbemuseen in Reidienberg, 'I und Brünn mit dem Wiener Porzell brachten so manchen ergänzenden Gustav E. Pazaurek in Reichenberg, Braun in Troppau sowie Julius Leise Brünn bereicherten um die Jahrhundei mit ihren Arbeiten nicht nur die F0 sondern weckten mit ihnen auch das all Interesse der Öffentlichkeit. In diesen entstanden audi die größeren und k Privatsammlungen, die vor allem vom bürgertum der Museumsstädte zusamm: gen wurden. In Wien war es Josef F: der mit seinem Beitrag über das Wien zellan in der Publikation zu der Aus über den Wiener Kongreß im Jahre 11 als besonderer Kenner der Materie erw meinsam mit den Vorgenannten wurdet institutseigenen Zeitschriften und Mitt blättern die Probleme und die Funde pi und so um die Jahrhundertwende eine S regster wissenschaftlicher Aktivität und maliges Interesse am Wiener Porzellan geführt. Die günstige Konstellation fand einen Niederschlag in der Ausstellung von Porzellan im Troppauer Gewerbemusc Jahre 1903. E. W. Braun zeigte 800 P01 und ermöglidite damit einen ersten un den Überblidt über die Wiener Proc Aber auch in Wien war man nicht geblieben. Im Jahre darauf, 1904, zei Wiener Institut eine Ausstellung von Porzellan, die mit 2.320 Katalognumme was sich in der österreichisch-ung Monarchie an wertvollen Porzellanen in