Der Sessel steht auf Bocksbeinen, die Arm- lehne endet in einem Bockskopf. Im Hinter- grund springt ein Hirsch. - Oben steht: „Wandelt nicht in Geilheit und Unzucht. Rom. XIII. 13." Nur wenige Attribute der „Unzucht", die stets auf ihre Begehrlichkeit nach Schmuck und Tand hinweisen, sind während der jahr- hunderte konstant geblieben. In Amiens und Chartres tragt sie eine Krone, in der Fenster- rose von Nutte-Dame in Paris schmückt sie sich vor einem Spiegel 39. Die Ziege, Symbol der Unreinheit in den Hieroglyphen des Horus Appolinis, scheint zum erstenmal im 14. Jahrhundert, auf einer Miniatur, ihr Attribut zu sein 40. Callot kennzeichnet seine „Luxuria" mit einem Bock 41. Für die Attri- bution des Affen und des Hirschen, auf dessen Brunstzeit der Vers anspielt, ließ sich kein Beispiel finden. Braun verzichtete auf die Fülle der Attribute. Seine Allegorie erblickt im Spiegel in ihrer Hand ihr wahres Wesen, ein Affengesicht. Sie tritt mit einem Fuß auf zwei dicke Bücher, daneben liegt ein offener Geldsack und ein nicht erkennbarer Gegenstand. Ihr Hemd deckt den Oberkörper nur zum Teil und ist vor dem Leib geschlitzt. Der Affe neben ihr zeigt in Haltung und Gesten deutlich den Zusammenhang mit dem Stich. Die Allegorie der Völlerei, ein fettes Weib mit Weinlaub im Haar, kennzeichnen ein Mastschwein, eine überladene Schüssel auf einem Tisch, ein umgestürztes Weinglas und ein Weinkrug am Boden. - Oben steht: „Weh denen so Helden sind Wein zusauifen und Krieger in Füllerey. Esa. V. 22." Die wesentlichen Attribute dürften von Callot entlehnt sein, Weinlaub und die Speisen- schüssel sind Engelbrechts Zugaben. Brauns „Gefräßigkeit" ist gleichfalls ein dickes Weib mit vorgetriebenem Leib. Im Gegensatz zu Engelbrechts Figur hat sie ein grobes, altes Gesicht, dessen Häßlichkeit unter dem schweren Traubenkranz fast gro- tesk wirkt. Sie hat die Schüssel im Arm. Das Schwein steht neben ihr. Glas und Krug sind nicht übernommen. Die „Leichtsinnige Sicherheit", ein Mädchen in einem mit Bändern und Schärpe verzierten Bühnenkostüm, tanzt auf Rosenblüten. Ein Blumenstrauß schmückt ihr Kleid, eine Wetter- fahne ihr Haar: „Die Flagge zeigt den leichten Sinn . . ." Ein pickender Vogel und die Schar der auf die Lockspeise in Fallen zu- fliegenden Vögel sind Beispiele leichtfertigen Tuns. - Oben steht: „Sie werden zuschanden werden, xvenns am sichersten sind. Hiob VI. 20." Vorbilder für diese Ikonographie scheint es nicht zu geben. Die Wetterfahne als Sinn- bild der „UnbeständigkeiW kennt das Ikono- logische Wörterbuch von 1759 41. Brauns Allegorie der Leichtfertigkeit zeigt diesem Stich gegenüber nur geringfügige Anderungen am Kostüm. Auf die Wetter- fahne verzichtete Braun. Engelbrechts „Verzweiflung" ist eine Selbst- mörderin mit dem Dolch in der Brust. Die Sinne entschvrinden ihr. Auf einem Sarg liegt ein Zypressenzweig, Symbol der Trauer, und am Boden Werkzeuge des Selbstmordes, Strang an und Giftbecher, außerdem ein Kompaß mit zerbrochener Nadel, Sinnbild eines Lebens, das sein Ziel verfehlte. Das Bibelzitat heißt „Die Gottlosen bringen sich selber um ihr Leben. Tob. XII. 10." Ein Selbstmörder ist die Allegorie in den Kirchen in Amiens, Chartres und Notre- Dame in Paris im 13. jahrhundertß. Eine Selbstmörderin mit Dolch in der Brust ist es bei Giotto 44. Dieser Ikonographie fügte Ripa Zypressenzweig und Kompaß hinzu. Brauns „Verzweiflung" 4 seitenverkehrt zum Vorbild f stützt sich beim Fallen mit der- selben Bewegung wie dieses auf einen Baum- stumpf, auf dem der Strang liegt. Der Kompaß steht atn Boden. Einzelne Motive der Kleidung sind wiederholt. Die Allegorie der _.„Lügen" Engelbrechts (Abb. 16) trägt ein brennendes Strohbündel im Arm. Statt des linken Unterschenkels hat sie eine Stelze: „Auf Stelzen geht und steht auf Schrauben." Das Kleid ist über und über mit Masken bedeckt. So weit gleicht die Ikonographie der der „Bugia" Ripas. Eine schwatzende Dohle, auf einem Baumstumpf, ist eine Beigabe Engelbrechts und wohl ein- malig. - Oben steht: „Wer frech Lügen redet, wird umkommen. Prov. XIX. 9." Diese Ikonographie hat Braun übernommen (Abb. 17) einschließlich der Dohle, die auf einem Gewandbausch rechts sitzt. Die Lügen- haftigkeit und Schwatzhaftigkeit wird bei ihm besonders betont mit dem offenen Mund, in dem die Zunge sichtbar ist. Der „Betrug" (Abb. 18) hat bei Engelbrecht die vermutlich einmalige Darstellung einer Frau im antikischen Gewand, einen ver- siegelten Brief und eine Angelrute in den Händen, eine Mausefalle auf dem Kopf. „Wer durch den Schein geblendet wird, l Wird wie die Mauß und Fisch betrogen. . .". Nur in der deutschen Ripa-Ausgabe von 1669 ist Attribut der Allegorie ein Blackiisch. - Das Sprichwort lautet: „Betreug nicht mit deine Munde. Prov. XXIV. 28." Braun gab seiner „Arglist" (Abb. 19) die übliche Larve und einen Fuchs 4 beide wohl von Ripa entlehnt -, nicht dagegen die Angelrute und die Mausefalle. Wie Engel- brecht stellte er die Figur ins Profil, jedoch mit nach vorn gewendetem Kopf und scheelem Blick zur Seite. Die junge Frau trägt zwei Tintenfische - das Vorbild hat nur einen an der Angel. Der Tintenfisch vermag sich zu verstellen: Wenn Gefahr droht, verfärbt er sich schwarz, um im dunklen Wasser unkennt- lich zu sein. w Die Form des kleinen, aparten Hutes der Allegorie sowie der Reiherfeder ist offensichtlich von der Mausefalle und der Feder des Vorbildes angeregt 45. Die „Faulheit" Engelbrechts, eine ungepiiegte Erscheinung im geflickten Kleid und unge- kämmten Haar, sitzt an einer kahlen Mauer, den Kopf in die Hand gestützt. Die Augen fallen ihr zu. Der Mund ist offen. Bienen um- schwirren sie. Attribute sind ein Esel und eine Sanduhr, die unbenutzt am Boden liegt. Die Früchte eines Apfelbaumes hängen unbe- achtet über ihr. Sie „Wär zu faul danach zu langen". - Ein Galgen steht auf einem Hügel im Bildgrund. f Das Sprichwort lautet: „Faulheit bringt schlaffen, und eine lässige Seele wird Hunger leiden. Prov. XIX. 15." Wie hier wird die Allegorie meist, auch bei Ripa (Ausgabe 1645) und Callot, auf der Erde hockend, begleitet von einem Esel, dargestellt. Bei Callot gehört die Liederlichkeit der Kleidung und des Haares zu ihren wesent- lichen Merkmalen46. Die Sanduhr als ihr Attribut kennt das Ikonologische Wörterbuch von 1759 47. Bienen, Obst und Galgen scheinen sonst nicht symbolisch mit ihr verbunden zu sein. Ihre statuarische Wiedergabe bedingte einen anderen Aufbau. Beide Figuren stehen neben- einander. Die Frau lehnt sich auf die Kruppe des Esels. Ihr Kopf ist auf die Hand gestützt. Ihre Augen sind halb geschlossen. Das Haar ist wirr. Das Gewand ist halb offen und verrutscht. Die Füße sind nackt wie auf Engelbrechts Stich. Die Engelbrechfschen Stiche lassen in der Reichhaltigkeit ihrer ikonographischen De- tails die Tendenz erkennen, mit allen zu Gebote stehenden ikonographischen Mitteln das „Lobwürdige" der Tugenden und das „Abschröckende" der Laster in größter Ein- dringlichkeit vor Augen zu stellen. Diese Tendenz ist den moralischen Zielen des Grafen Sporck so gemäß, daß man annehmen möchte, das Kupferstichwerk sei in seinem Auftrag hergestellt worden, zunächst vielleicht nicht einmal unmittelbar als Unterlage für die plastische Verwirklichung seiner Ideen, son- dern nur im Zusammenhang mit seiner jansenistischen Lektüre zur Erbauung und Belehrung seiner Mitwelt - er pHegte mit seinen Hausgenossen gemeinsame Andachten zu halten und versammelte sie regelmäßig zu Vorlesungen aus frommen Schriften 43. Abschließend noch eine Bemerkung: Da im vorstehenden die Ikonographie der Allegorien Engelbrechts ausführlicher als ihr Zusammen- hang mit den Braun'schen Skulpturen be- schrieben wurde, kann leicht der Eindruck einer zu großen Bedeutung des Stichwerkes entstehen. Künstlerisch sind die Kupferstiche von geringem Wert. Wesentlich ist, was Braun daraus gemacht hat. Für Braun waren sie Hilfsmittel. Die Attribute sind bei ihm zwar häufig Mitspieler der Darstellung, sie bleiben aber trotzdem Objekte der Ausstattung. Der Sinn der Figuren Brauns ist, zu zeigen, wie der Mensch von seinen Eigenschaften ge- prägt wird. Seine „Laster" sind ekstatisch erregte, von ihren Leidenschaften gezeichnete Gestalten, seine „Tugenden" verbinden eine wunderbare Würde in ihrer Haltung und ihren weichen Gebärden mit rauschendem Pathos. Sie alle sind Meisterwerke. ANMERKUNGEN 39 "M 39 Mlle (1922): Fig. 59. '45 KUIISIICI I., 5.161. 4' LiCllRZ IL, NL 257. u S. 368. 43 Külßllt! Ir, S. 16D. M Künstler 1.. s. 152. ß Eine Feder über der Slim hat der "Betrug" bei Th. de Bry. n LICIIKCI T. U, Nr. 355. f: UÖIHÄ. 1 POKCKS Verhindun zu Au bur ist bekannt. v I. oben s. a. H Benedikt: seus. S5 g g Abbildungen sämtlicher All rien Braun: in: Jan Lukasl 0.]. Blazicek: Kuks. Prag l .