DAS FREIHALTEN DER MITTE. 35 Trotz alledem und alledem; trotz des Umstandes, daß gerade diese Anordnung in jeder Beziehung sich als schlecht erweist, trotzdem die gesamte Geschichte des Kirchenbaues dagegen ist, trotzdem werden heute in der ganzen Welt Neubauten von Kirchen fast ausnahmslos frei in die Mitte der Plätze gestellt. Ist das nicht geradezu Unzurechnungs fähigkeit ? Für Theater, Rathäuser u. s. w. gilt ganz das gleiche. Immer lebt man in dem Wahn, daß man alles sehen müsse, daß ringsherum eine einförmige Raumleere das einzig Richtige sei. Daß diese Raumleere, schon an und für sich höchst langweilig, auch jede Mannigfaltigkeit des Effektes zerstört, wird nicht bedacht. Wie herrlich die gewaltigen Quader massen florentinischer Paläste auch in den schmalen Hinter- gäßchen wirken, kann man selbst aus bildlichen Dar stellungen (s. Fig. 22) erkennen. Doppelt kommt ein solcher Palast zur Geltung: einmal auf der Seite, wo er an einem freieren Platz steht, in anderer Wirkungsweise wieder rück wärts in dem engen Gäßchen. Dem Zeitgeschmäcke genügt es aber nicht, die eigenen Schöpfungen möglichst ungünstig zu stellen, auch die Werke der alten Meister sollen durch Freilegung beglückt werden, selbst dann, wenn es klar ersichtlich ist, wie dieselben eigens in ihre Umgebung hineinkomponiert wurden und die Freilegung ohne Zerstörung ihres ganzen Effektes gar nicht vertragen können. So wäre z. B. in Wien die glück licherweise aufgegebene Freilegung der Karlskirche ge radezu ein monumentales Unglück gewesen. Die Haupt fassade mit den beiden seitlichen Durchgängen, ähnlich wie bei S. Peter in Rom, ist durch dieses Bindungsmotiv ganz unverkennbar auf beiderseitigen Gebäudeanschluß berechnet, wenn auch auf anderen als den jetzigen. Dieses Motiv ver trägt keine Freilegung, denn man hätte dann zu beiden Seiten zwei große Torbogen, welche nirgends hinführen und auf freiem Platz ein sinnloses Motiv wären. Noch weniger verträgt aber die Kuppel eine Freilegung. Wegen 3*