4 Die Entwicklung der Architektur Wiens in den letzten fünfzig Jahren. dann E. Ludwig Pichl in dem Umbau des Ständehauses (1838), welcher mit der stark aus ladenden korinthischen Säulenstellung des Mittelbaues an klassizistischer Anstrengung schon in sehr beachtenswertem Maße ein Übriges tat. Weiter durfte man aber nicht gehen. „Monu mentalität“ war für die franziszeische Epoche und die nächste Folgezeit ein fremder Begriff. Neben jener vorschriftsmäßigen Normalarchitektur, die bei uns keinem aufstrebenden Talent genügen konnte, gab es wohl allerlei fromme Wünsche — auch im Wortverstande fromm, da sie sich zumeist auf die Kirchenbaukunst bezogen. Die den mittelalterlichen Stilen zugewandte Bauromantik wagte sich nur schüchtern hervor; in ihrer Gefühlsrichtung ging dieselbe parallel einher mit dem Nazarenertum in der Malerei. Karl Rösner (geb. 1804, gest. 1869) war damals der einzige, nicht allzuviel wagende Romantiker an der Architekturschule der Wiener Akademie. Seine St. Johannes-Kirche in der Praterstraße (1842—1846) weist einen sehr will kürlich erfaßten Rundbogenstil auf, gefällig im verzierenden Detail, aber im ganzen von unent schiedener Haltung; das hatte aber der Architekt nicht allein zu verantworten, da er bauamt lich genötigt war, drei von ihm zur Wahl vorgelegte Projekte, ein romanisches, ein gotisches und eines im Renaissancestil, miteinander zu verschmelzen. — Durch die verdienstvollen Restau rationsarbeiten des Dombaumeisters Leopold Ernst (geb. 1808, gest. 1862) am Stephansdom wurde übrigens in dieser Zwischenzeit für die Fortwirkung der gotischen Tradition in dankens werter Weise Sorge getragen, was nicht vergessen werden darf. II. Jene jüngeren Architekten von neuen, bald volltönigen Namen, welche kurze Zeit nachher an dem Aufschwung der Wiener Bautätigkeit in erster Stelle beteiligt sind, finden wir vor läufig noch in einer bescheideneren, gleichsam vorbereitenden Wirksamkeit; so insbesondere die beiden, fortan untrennbaren Genossen: Eduard van der Nüll (geb. 1812, gest. 1868) und August von Siccardsburg (1813—1868). Sie erbauen zusammen in der Nähe der kurz vorher vollendeten Kirche Rösners vorerst im Jahre 1847 das Carl-Theater in der Praterstraße. Es kann hier nicht unsere Aufgabe sein, dasselbe nach der Seite der praktischen Lösung hin ■zu würdigen — künstlerisch ist es uns aber interessant, daß der figurale Schmuck gut in das Fassadenbild eingefügt erscheint, während man bis dahin bei einem Bauwerk auf Skulptur entweder ganz verzichtete oder mit derselben in der architektonischen Einordnung nichts Rechtes anzufangen wußte. Im Jahre 1848 bauten van der Nüll und Siccardsburg das Sophien bad mit dem allgemein bekannten Bade- und Tanzsaal, einem wohlangeordneten großen Interieur von gutem dekorativem Geschmack. Wichtigere Bauaufträge stellten sich damals nur spärlich ein; doch die dringendste künstlerische Zeitfrage für Bauten von höherem monumen talen Anspruch war schließlich die Befreiung des architektonischen Schaffens von dem Druck der Baubureaukratie — das Ziel der Sehnsucht für die wirklich Begabten und redlich Wollenden. Epochemachend wurde dann in dieser Richtung bekanntlich die Erbauung der Alt- Lerchenfelder Kirche. Es handelte sich da zunächst um eine neue Pfarrkirche, also keine ungewöhnliche Bedarfsfrage — und so nahm die Sache auch der Hofbaurat Sprenger, nach dessen Plänen die Grundlegung bereits 1847 erfolgte. Nun drang da zuerst über Initiative der Architektenvereinigung die künstlerische Konkurrenz mit Erfolg durch, und der talentvolle Schweizer Johann Georg Müller kam mit seinem eigenartigen Projekt im italienisch-romani schen Stil zum Bau, um leider der Vollführung seiner Aufgabe durch frühen Tod — erst 27 Jahre alt — schon im Jahre 1849 entrissen zu werden. Architekt Franz Sitte, der Vater des kürzlich verstorbenen Kamillo Sitte, gesellte sich glücklicherweise als Bauleiter zu Müller und vollendete nun den Bau im Sinne der ursprünglichen Intention des Meisters. In der Ausge staltung des Innenraumes zeigte van der Nüll zuerst seinen erfindungsreichen ornamentalen Sinn auch für eine monumentale Aufgabe, und derselbe wurde in der neuen Ära zugleich der erste Sammelort der höheren Leistungen der kirchlichen Malerei, mit jenen Führichs obenan. Eine sehr beachtenswerte überleitende Stellung zwischen der älteren und der neueren Epoche nimmt Ludwig Förster ein (geb. zu Bayreuth 1797, gest. zu Wien 1863). Er verfügte über eine ruhig erwägende Einsicht in künstlerische Aufgaben, ohne sich in volle Originalität herauszuwagen; ein Zustand, wie er in einer an Anregungen armen Übergangszeit auch bei den Berufeneren nicht anders vorzukommen pflegt. Bei durchaus reinlicher Behandlung der Ver hältnisse und des Details treten darum die Försterschen Bauten nicht immer entschieden genug hervor. In seinem Atelier treffen wir nun zuerst Theophil Hansen an (geb. zu Kopenhagen 1813, gest. zu Wien 1891), der, eben 33 Jahre alt, auf den Vorschlag Staufferts, des Stadtbau-