105 Es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß dieser Gedanke wieder eingeschlafen wäre und der Sonderbund sich von selbst aufgelöst hätte, wäre nur das Mutterland wieder zu seinen alten Kräften gelangt und damit imstande gewesen, die vorstürmende osmanische Flut in ihr Bett znrückzuzwingen. Allein dies konnte nicht geschehen, und weil es nicht geschah, wurden die Constituirung und das Bündnis der drei politischen Nationen, die unter anderen Verhältnissen beinahe einer Auflehnung der Theile gegen das Ganze geglichen hätten, zu einem wirksamen Mittel für die Erfüllung der neuen Aufgaben, die dem in Lossonderung begriffenen Siebenbürgen durch eine Reihe stürmischer, staatzertrüm mernder Ereignisse zufielen. Diese Erschütterungen waren die Niederlage bei Mohäcs, die Einnahme Ofens und die späteren durchgreifenden Folgeereignisse. Die türkische Eroberung drang wie ein Keil in den Körper des Landes ein und sprengte das ungarische Reich entzwei; zwei gekrönte Häupter machten sich die Königswürde streitig: der österreichische Erzherzog Ferdinand und der Wojwode von Siebenbürgen, Johann Zäpolya. Den westlichen Theil des Landes zog die unter Ferdinand nachgerade entstehende Großmacht, die sich theils auf die blühenden Länder der böhmischen Krone, theils auf das große Deutsche Reich stützte, schon aus Selbsterhaltungstrieb in ihren Jnteressenkreis. Allein die Ausstellung und entsprechende centrale Organisirung dieses Jnteressenkreises geschah, so sehr sie an sich berechtigt sein mochte, keineswegs in magyarischem Sinne, sondern war vielmehr diesem Sinne fremd. Dem gegenüber suchte denn der östliche Theil unter dem nationalen Gegenkönig in Siebenbürgen einerseits Rückendeckung, anderseits die Basis zu finden, von der aus mittelst der in diesem Boden wurzelnden Kräfte und Factoren, der losgetrennte westliche Theil zurückzuerobern und der zerfallene ungarische Staat — vorderhand wohl im Bunde mit den Türken oder richtiger: unter deren Protection, aber in der Hoffnung ans zukünf tige Unabhängigkeit — wieder einheitlich zu machen wäre. Diese Idee fand in dem genialen Panlinermönch Georg Martinuzzi (Frater György, Bruder Georg) einen gewaltigen Ver treter; der Boden aber, aus dem diese Idee ihre Kraft schöpfte, war Siebenbürgen nebst dem gleichgesinnten Lande jenseits der Theiß. So lange man glauben konnte, die türkische Eroberung habe nur einen provisorischen Charakter, hatte dieser großzügige Plan Frater Georgs seine Berechtigung. Allein sowohl der Plan, als auch das Vertrauen auf ihn erwies sich bald genug als Phantom. Sein eigener Schöpfer gab ihn unter dem zwingenden Druck der Verhältnisse auf, und er, dem als Endziel die Einheit des Landes vorgeschwebt, acceptirte als Grundlage des Einheits planes die auf dem Besitz der westlichen Theile beruhende gesetzliche Königsmacht, die auch den Beistand des mächtigen römisch-deutschen Kaiserthums in Aussicht stellte. So sehen