117 Diese Idee der slavischen literarischen Wechselseitigkeit, in Böhmen schon am Ende des vergangenen Jahrhunderts durch den Einfluß der Dobrovsky'schen Arbeiten geweckt, erwies sich für das erwachende nationale Bewußtsein als ein überaus mächtig wirkender Hebel. Sie erstarkte namentlich durch die politischen Ereignisse während der französischen Kriege und fand schließlich auch einen flammenden Ausdruck in der Thätigkeit des ersten großen neuböhmischen Dichters Johann Kollar (geboren 1793 zu Mosovetz in der Slovakei, gestorben 1852 in Wien als Professor der slavischen Alterthümer an der Universität). Dieser Phantasie reiche Mann übertrug, nach dem er in der Fremde (während seiner Studien in Jena) von den mächtigen Eindrücken der ersten Liebe berührt worden war, seine ganze Innigkeit, die Freude und das Leid eines von Sehn sucht ergriffenen Herzens auf das ideale Bild des Slaven- thums; er ruft sich die schreck lichen Geschicke, welche in ver gangenen Zeiten verschiedene slavische Stämme ereilten, ins Gedächtniß zurück, fordert zur Eintracht und Wechselseitig keit auf, preist die ausdauernde Paul Josef Lafattk. Arbeit, verherrlicht die Ver dienste und verdammt die verrätherische Eigensucht. Das ist die Grundidee seines Hauptwerkes, des lyrisch-epischen Gedichtes »8Iüv^ vesra" (Die Tochter der Slava, fünf Gesänge), das aus lauter Sonetten besteht, und ähnliche Leitmotive — eine überschwängliche Liebe zum Slaventhum — äußern sich auch in seinen anderen, größtentheils prosaischen Arbeiten. Während die rege Phantasie Kollars kühne Ideale in ein Prachtgewand hüllte und kostbare Lehren in die Herzen einprägte, erklang mit nicht minder glänzendem Erfolge die Leier des anderen großen Dichters Franz Ladislav Celakovskh (geboren 1799 in Strakonitz, gestorben 1852 in Prag als Universitätsprofessor). Auch bei ihm hat die slavische Idee tiefe Wurzel gefaßt, aber sie nimmt frühzeitig durch den Anschluß an das Volkslied