163 11* Die Theater j)raas. Wenige Städte Österreich-Ungarns dürfen ans eine so reiche, eigenartige und wechselvolle Entwicklung ihres Theaterwesens zurückblicken als die Mozartstadt Prag, die vielhundertjührige Stätte begeisterter und verstündnißvoller Kunstpflege. Mit der Entwicklungsgeschichte der deutschen Schauspielkunst und der deutschen Musik innig ver woben, in dieser Geschichte oft mit einer vornehmen, ja leitenden Rolle bedacht, hat das „Prager Theater" vermöge der eigenthümlichen nationalen Verhältnisse in der Landes hauptstadt Böhmens allmälig eine besondere Gestaltung angenommen, welche seinen Geschichtsschreiber zur Beobachtung eines doppelten Standpunktes nöthigt. Er hat den rein literarischen, den rein künstlerischen Standpunkt mit dem nationalen zu vereinbaren. Und diese Vereinbarung ist nicht allznschwierig: der nationale Friede war auf keinem Gebiete in Böhmen länger ausrechtzuerhalten als auf dem künstlerischen, und noch heute herrscht trotz der räumlichen und materiellen Trennung der nationalen Kunstinstitute eine gewisse friedliche Verständigung zwischen ihnen vor, welche sogar ein erhebendes Zusammenwirken zu wahren künstlerischen Zielen gestattet. Auch für die historische Betrachtung ist Jahrhunderte lang in der Entwicklung des Theaterwesens eine nationale Trennung überhaupt nicht zu entdecken, — wir haben nur gemeinsame Schicksale und Erfolge zu verzeichnen. Die ersten Anfänge des Theaterwesens in Prag sind wie überall in den Mysterien und Moralitäten, den geistlichen Spielen mit heiteren Öuacksalber-Jntermezzi, zu erblicken. Das böhmische Museum bewahrt den handschriftlichen Text einer solchen Ouack- salber-Scene (nrrrgtiäk.äi') in böhmischer Sprache, welche eine natürliche Ähnlichkeit mit deutschen Spielen dieses Charakters hat. Der Quacksalber war mit der Passions geschichte Christi gewaltsam und kunstvoll dadurch oergnickt worden, daß man ihm den -Lalbenverkaus an die frommen Frauen übertrug und damit die Gelegenheit zur Production seiner derben Späße gab — er war der Hanswurst des frommen Spiels. Die Schulcomödie bedeutete wie anderswo auch in Prag die zweite Stufe der Entwicklung des Theaterwesens,- sie entfaltete einen besonderen Glanz in dein mächtigen Heim, dcw sich die Gesellschaft Jesu in dem Collegium Clementinum erbaut hatte. Allegorische Spiele mit frommer Tendenz und prunkvoller Ausstattung versammelten im Hofe dieser kleinen Klosterstadt mitunter 10.000 Menschen, und diese Bewunderer mehrten den Ruhm und die Popularität des Ordens, der im Lande Böhmen auch eine große politische Mission zu erfüllen hatte. Am 12. October 1567 gaben die Jesuiten und Jesuitenschiller, welche bis dahin zumeist in lateinischer Sprache von der Bühne herab zum Volke gesprochen hatten, ein vom Magister Nikolaus Salins in slavischen Versen