550 Das Volksleben der Deutschen. Charakter des Volkes. Bei dem Umstande, daß die Deutschen Schlesiens ursprünglich nicht einem Volksstamme angehören, sondern aus verschiedenen Gegenden Deutschlands in unser Land gekommen sind, möchte vielleicht der Schluß berechtigt erscheinen, daß von einem einheitlichen Volkscharakter nicht gut die Rede sein könne. Allein die gemeinsame Arbeit und die gemeinsamen Schicksale, sowie die gleichen geographischen Verhältnisse des Landes,namentlich die desOppalandes,welche eine gewisseAbgeschlosscnheit im Volksleben bedingen, haben in der Reihe der Jahrhunderte eine Verschmelzung der verschiedenen Elemente bewirkt und einen eigenthümlichen schlesischen Provinzialgeist und Volkscharakter herausgebildet. Sitten und Lebensanschauung befähigen den Schlesier zu der bedeutungsvollen Rolle eines Vermittlers zwischen norddeutschem und süddeutschem Wesen; er ist weder ein kalter, allzu nüchterner Verstandesmensch, noch von überquellendem Gefühl und allzu lebhafter Phantasie. Die Verhältnisse, unter denen er lebt und strebt, haben ihm ein gewisses Mittel dieser Extreme gegeben. Gleich seinem Lande zeichnet sich der Schlesier durch schlichte Gediegenheit und ein gewisses Gleichmaß seiner Entwicklung aus. Stark hervorstechende Eigenthümlichkeiten besitzt er nicht, doch kennzeichnet den rechten Schlesier bei aller Rührigkeit Gelassenheit und Ruhe. Seine Friedensliebe ist bekannt, aber auch sein Rechtsgefühl, seine Ehrlichkeit und Beständigkeit. Rastlos in seinem Bemühen, bescheiden in seinen Ansprüchen ist er mit seinem Lose, das ihm nicht zu leicht gefallen, bald zufrieden. Und empfindet der Gebirgsbewohner auch seine Armuth, so läßt diese ihn doch weder geistig, noch körperlich verkümmern. Selbst die ärmste Familie ist bestrebt, dafür zu sorgen, daß die Kinder reinlich und ordentlich einhergehen. Auch des Armen Ehrgefühl ist so rege, daß er lieber darbt, als vor seinen Mitmenschen sich erniedrigt. Einen besonderen Zug des deutschen Schlesiers bildet sein thatkräftiger Wille, seine zähe Ausdauer; mit jeder neuen Schwierigkeit wächst sein Eifer, wächst seine Kraft. Den kleinsten Vortheil weiß er auszunützen und mit nie abznschreckender Emsigkeit zu behaupten. Mann, Weib und Kind strengen im Verein ihre besten Kräfte an, um dem Boden den Lebensunterhalt abzuringen. Und so arbeiten nicht nur ein Menschenleben, sondern ganze Generationen an der Verbesserung des Besitzes. Dabei kommt es vor, daß die sorgsame Hausmutter das Bewachen ihres Jüngsten während der Feldarbeit nicht selbst besorgen kann; sie überläßt die Wache über denselben getrost dem treuen Haushunde, während der vorüberfließende Gebirgsbach den kleinen Erdenbürger mittelst einer einfachen Mechanik in den Schlummer wiegt. Durch den Kampf mit der kargen Natur wird die Ausbildung des Verstandes nicht wenig gefördert. Mit schneller Auffassung begabt, wißbegierig und