370 Volkspoesie gelten kann. Voran steht hierin die Landeshauptstadt Bregenz, denn in ihr erblickten die beiden ältesten und der fruchtbarste und beliebteste dieser Dichter das Licht der Welt. Der Decan Christoph Anton Walser (1783 bis 1855) ragt besonders hervor durch seine Behandlung der Ehrgutasage. Auf ihn folgt Gebhard Weiß (1800 bis 1874), der einzige dieser Gruppe aus dem Handwerkerstand. Er war der Grübel Vorarlbergs und hatte mit dem von Goethe so warm empfohlenen Nürnberger Klempnermeister nicht nur das Handwerk, sondern auch das geistige Gesichtsfeld gemein, indem er mit Bewußtsein sich als Bregenzer Philister fühlte und von diesem Standpunkt aus politische und unpolitische Ereignisse besang. Kaspar Hagen (1820 bis 1885), weiland Stadtarzt in Bregenz, schuf in unermüdlicher Thätigkeit empfindungsvolle Lieder, ergreifende Balladen, gemüthliche Erzählungen und gelungene Schwänke. Den Bregenzerwald vertritt in unserem Kreise Josef Feldkircher (1812 bis 1851) aus Andelsbuch, der als Geistlicher im Mainzer- Sprengel lebte und auf der Heimreise zu Bamberg starb. „Der Wäldarbuob" und „d' Wäldarschmelg" sind zwei vorzügliche Charakterbilder, denen sich die „Wäldarfabla" würdig anschließen. Die verdienstvollste Wirksamkeit entfaltete Dr. Franz Josef Vonbun (1824 bis 1870) aus Laz bei Nüziders, seit 1850 Arzt in Schruns. Er sammelte die Sagen des Landes und behandelte mehrere derselben sehr glücklich in dichterischer Form. Von seinen vortrefflichen lyrischen Gedichten haben sich leider nur wenige erhalten. Die volksthümliche Weise der Lyrik wußte jedoch am besten Seeger an der Lutz (Dr. Ludwig Seeger, geb. 1831 zu Thüringen in Blumenegg, seit 1869 Arzt in Wien) anzuschlagen, besonders durch seine „G'sätzle" und „G'sängle". Daneben bringt seine Gedichtsammlung „Nit lugg lb" scherzhafte und ernste Erzählungen; unter ihnen verdienen „der Kolle Hans" und der „G'spusagang" als die hervorragendsten genannt zu werden. Musik und Volksmusik iu Tirol und Vorarlberg. Ein wesentlicher Unterschied zwischen beiden Nachbarländern findet sich, wenn man Kunst- und Volksmusik scheidet. Während Tirol ein eigenes Volkslied hat, entbehrt Vorarlberg desselben. Es hat fast den Anschein, als ob der vorzugsweise auf das Praktische gerichtete Sinn des Vorarlbergers ein Volkslied nicht keimen lasse. Der Tiroler dagegen nimmt das Leben gern von der fröhlichen Seite, besonders in jenen Thälern, wo er nicht gezwungen ist, den Kampf des Daseins mit der Natur zu ringen. So erklärt es sich, daß es im deutschen Tirol kaum ein Thal geben wird, in welchem so laut wie im Zillerthal das Volkslied erklingt. Nirgends wird auch der Tanz so leidenschaftlich geliebt. Die Lieder, von sinnreichen, lustigen Köpfen des Thals selbst verfaßt, haben meist irgend ein interessantes Abenteuer zum Gegenstand und sind größtentheils scherzenden, satirischen oder hohnneckenden Geistes. Sie werden nicht nur bei den Zusammenkünften in der Wirthsstube