65 Die Baugeschichte Wiens im XVIl. Jahrhundert wird indessen hauptsächlich durch Kirchenbanten illustrirt. Als Mittel der Bekehrung und als Siegeszeichen der Neu befestigung der alten Glaubenseinheit entstanden die meisten Kirchen und Klöster in Wien bald nach der Niederwerfung der reformatorischen Bewegung. Diesem Umstande ist es zu danken, daß der Stil jener Zeit im Kirchenbau Wiens eine so hervorragende Rolle spielt. Während die Klostergebünde durchgehends von großer Einfachheit sind und ohne eigentlich architektonisches Gepräge, wenn auch nicht ohne jene Größe des Bansinnes, welche den Traditionen der altehrwiirdigen Religionsgenossenschaften entspricht, zeigen die Kirchen in Anlage und Schmuck die Ausdrucksweise des italienischen Barockstils. Es sind zumeist einschiffige Gewölbebauten mit Kapellen an den Seiten von jener wohlgefälligen und dem Heiligencultus bequemen Disposition, welche bereits seit der Mitte des XVI. Jahrhunderts in Italien vorherrschend war und von dort aus in der ganzen katholischen Welt sich verbreitete. Diese Disposition zielt vor Allem auf einen freien einheitlichen Raum von möglichster Breite, den meist ein Tonnengewölbe überspannt. Die Zwischenmauern der Seitenkapellen dienen dem Gewölbe als feste Stützen. Das Tonnengewölbe erhält Stichkappen zur Erzielung von Fenstern über den Kapellen; dort, wo diese Fenster die einzige Lichtquelle bilden, ist die Wirkung von großer Schönheit. Die Kapellenvffnungen, drei bis vier an jeder Seite, sind durch Pilaster getrennt, auf dem von diesen getragenen Gebälke sitzt das Gewölbe auf. Im Äußeren erhalten diese Kirchen im Gegensätze zu den gleichzeitigen Prvfan- banten ihr architektonisches Gepräge ausschließlich durch die Anwendung von Pilastern mit dem zugehörigen Gebälke, selten in einer, meist in zwei, auch drei Ordnungen über einander; auch die Thürme, wenn sie überhaupt in die Komposition der Kirchen ausgenommen werden, bauen sich in mehreren Pilasterordnungen übereinander ans. Unter den Kirchen Wiens zeigt als eine der ältesten die Schottenkirche diesen Typus, sie erhielt 1590 ihre jetzige Gestalt. Etwas jünger ist die Kirche zu St. Anna, welche sammt Kloster von Kaiser Ferdinand II. der Gesellschaft Jesu zngewiesen wurde. Die Annakirche ist klein, aber in Marmor decorirt und zeigt die beschriebene Disposition sehr rein. Das Hanptmonument der Gattung ist aber die im Jahre 1628 von Kaiser Ferdinand II. gestiftete Universitüts- und Jesuitenkirche, welche sowohl durch ihre Größe als auch durch die Kostbarkeit des Materials hervorragt. Auch hier sind vier Kapellen an jeder Seite des Schiffes angelegt. Die reiche Decoration stammt indessen erst aus dem Jahre 1700 und wurde vvn dem Italiener Pater Andrea del Pozzo ansgeführt. Die Decke des Schiffes ist kein fortlaufendes Tonnengewölbe; Gurtbogen, den Kapellen- Pfeilern entsprechend, theilen das Gewölbe. Pater Pozzo vereinigte die vorderen zwei Gewölbjoche und schuf hier eine Scheinarchitektur, welche dem Eintretenden das Bild Wien und Niederösterreich. 5