212 wo wir eine Fülle realistisch behandelter Heiligenstatuen in dem echten alten Schmucke bunter Bemalung gewahr werden. Am Äußeren findet sich neben manchem schönen Grabmal der Gothik noch ein besonders interessantes jüngstes Gericht, bei den Michaelern ein derber Ölberg in großen Figuren, endlich in der Barbarakapelle des Domes ein lebensgroßes Crncifix von scharf-realistischer, aber fesselnder Wahrheit. Auch sind mancherlei Hausschilde und Wahrzeichen hierher zu zähle», wie z. B. der sogenanute Wiuter, ein sich am Feuer wärmendes Männchen, in dem die Sage König Matthias Corvin erblicken will, der schöne Wappenengel der Stadt Wien rc. Alles dies ist nach den Nachrichten über die Thätigkeit in Wien beschäftigter Künstler und nach der Zahl der zerstörten oder später umgebauteu Kirchen jedoch nur als ein verschwindend kleiner Theil des ehemals Vorhandengewesenen zu betrachten. Der Flügelschlag der Renaissance ist in Wien früher fast als sonst irgendwo in deutschen Landen zu verspüren. Unsere Denkmäler der Sculptur dieser Stilart reichen bis in das erste Viertel des XVI. Jahrhunderts zurück, aber es ergeben sich Anzeichen dafür, daß schon im vorhergehenden Werke im neu-antikischen Geschmack in unserer Stadt Ein gang gefunden haben müssen. Es waren dies zunächst Malereien, wie z. B. ein Prediger bereits um 1450 den Wienern zum Vorwurf macht, daß sie ihre Schlafkammern und Baldachinbetten mit „schandbaren" Bildern (nackten Figuren) ausschmücken statt mit der Kreuzigung oder dem jüngsten Gericht. In dem reichen, lebenslustigen Wien, dessen stattliche Bürgerhäuser Äneas Sylvins, Bonfinus und Andere in rhetorischer Übertreibung schon mit den Behausungen der „Alten" vergleichen, brachte zunächst der Handel aus dem Süden solche neue seltene Kunstwaare herbei, gerade wie wir um dieselbe Zeit hier bereits Händler mit dem berühmten Glase von Venedig angesiedelt sehen. Wichtiger war dann aber der Impuls, als mit herannahender Türkengefahr an eine umfassende Ausbesserung der Fortisicationen der Stadt gegangen werden mußte, wozu man nur Italiener brauchen konnte, deren Befestigungssystem damals das herrschende war. Jene Künstler, meist aus Como, Mailand, Padua rc., wie die Pozzo, Mio, Spazio rc., waren aber nicht blos Architekten, sondern auch Plastiker, Ornamentiker und Maler, sie brachen der Renaissance eine breite Gasse. Österreich wurde so recht der Boden der Frührenaissance für Deutschland. Die Motive der venetianischen, veronesischen und mailändischen Bauweise nahmen hier einen eigenartigen, selbständigen Typus an, ein heiteres und dabei naives Gepräge, welches bereits ganz anders als ehedem die nach fremdem Vorgang einfach importirte Gothik das landes übliche Wesen ansdrückte. Monumentale Bauten jenes frühen Renaissancestiles haben sich in Wien zwar nicht erhalten, waren auch kaum vorhanden, doch mögen zahlreiche zierliche Bürgerhäuser dieses Stils bestanden haben mit Laubengängen und Erkern. Das