93 Unser zweiter Ausflug gilt dem im ganzen Lande berühmten und von den Dichtern oft besungenen Koscielisko-Thale, in dem der schwarze Duuajec seine Fluten sammelt. Wir begeben uns zuerst nach Westen und später bei dem eocänen Nnmmuliten- Kalkfelsen nach Süden, den schäumenden Dunajec hinauf. Durch die großartige Felspforte, die zu Ehren des polnischen Abgeordneten im preußischen Landtage Kazimir Kantak den Namen Kantakpforte trägt, gelangen wir auf eine blumenreiche Wiese, zu deren beiden Seiten die schroffen Abhänge der Konczysta und der Kopka einen phantastischen Rahmen des unten so lieblichen Bildes aufbauen. Ein schöner, alter Lindenhain bildet eine auf fallende Abwechslung auf unserer Wanderung und gleich dahinter ladet uns die sogenannte Eisquelle, deren Temperatur auch im Hochsommer nur 3 bis 4 Grad Reaumur beträgt, zur Rast ein, da die weitere Excursion nur zu Fuß znrückgelegt werden kann. Eine Thalverengung, die „Kraszewski-Pforte", die mit einer marmornen Gedenktafel zu Ehren des polnischen Schriftstellers Kraszewski geschmückt ist, führt uns in die Zanberschlncht, deren wildromantische Natur jeder Beschreibung spottet. Von den steilen Gehängen des Czerwony Wierch und der Kommt, eingeengt, windet sich das Thal mit dem schäumenden Fluß zwischen den abenteuerlich geformten Felsen, die aus der dunkelgrünen Tannenwildniß in die blauen Lüfte hinaufragen und alle möglichen Gestalten nachahmen. Da ist die steinerne Rieseneule, die so klug und ernst auf uns herniederblickt, da sind die Orgeln, in denen der Wind in einem feierlichen Choral der Natur huldigt, da dräuen gespensterartig die Räuberfenster und erheben sich geisterhaft die Zauberschlösser mit Erkern und Basteien. . . Noch einige Schritte weiter und es tritt uns eine ganze Felsenstadt entgegen. Die lebhafte Einbildungskraft des Volkes sieht in ihr die Nachbildung von Krakau, es fehlen da weder das Königsschlvß Wawel noch das Rathhans, noch die zahreichen Kirchthürme der uralten Stadt an der Weichsel. Nur die Straßen dieser Felsenstadt sind etwas mehr vernachlässigt als die ihrer Namensvetterin, denn sie dienen gleichzeitig als Flußbett während des Hochwassers, so daß man zwischen Steinblöcken, Baumstrünken und Schutt kaum durchzukommen vermag. Wir eilen weiter. Ans gähnendem felsigein Abgrund stürzt uns ein reißendes Gewässer entgegen. Es ist keine Quelle, sondern ein unterirdischer Bach, der hier nach einer ver borgenen Wanderung in den Höhlen wieder ans Tageslicht tritt. Wir verewigen unseren Namen auf einige Jahrzehnte auf der ganz mit Inschriften bedeckten Steinwand Pisana und nähern uns rasch dem oberen Thalende. Die mächtigen Felsgrate Raptawica und die Kominh bilden die Staffage der Hochgebirgswildniß, in die wir jetzt eintreten. Das dem Andenken des polnischen Dichters und Naturforschers Vineenz Pol gewidmete Kreuz mit der einfachen, aber ausdrucksvollen Inschrift: „Und nichts über Gott", bezeichnet unseren Weg in das Gebiet der Wasserfalle.