162 Flüssen Wistok und San bis in die Moldau hinein unter seiner Herrschaft vereinigte, verlegte die Hauptstadt des Reiches von dem westlichen Przemysl weiter nach Osten, nämlich nach Halicz am Dniestr. In einer Urkunde vom Jahre 1134 heißt schon dieses Reich „der Thron von Halicz", lateinisch Ickalieia oder Onliein. Unter den ersten Rostistawiczen, Wotodar (1092 bis 1125), Rostistaw (1125 bis 1126), Wladimir I. (1125 bis 1153), Jarostaw Osmomyst (das ist dem Achtsinnigen, 1153 bis 1187), gelangte das Czerwenische oder das nunmehrige Haliczer Reich zu ziemlich bedeutender Macht und Bliite. Wohl waren die hergebrachten Bruder- und Bürgerkriege, in die sich auch die westlichen Nachbarn, die Polen und die Ungarn, einmischten, auch hier an der Tagesordnung. Aber die thatkrüftigen Fürsten wußten sich nicht nur aller feindlichen Angriffe zu erwehren und der inneren Wirren Meister zu werden, sondern auch die Nachbarreiche, selbst die von Kiew, Ungarn und Polen, ihre Macht fühlen zu lassen. Aber was wichtiger war, unter der Regierung der Rostistawiczen kam in dem Lande das ruthenische Wesen zur ausschließlichen Herrschaft, da sie zu der Fürstenschaar der Rurikowiczen gehörten und das Land fortan ein Glied des ruthenischen Staaten- complcxes bildete. In noch höherem Maße wurde die sich nun bildende Gemeinsamkeit durch die orientalische Kirche gefördert, die wohl damals erst in dem Lande feste Wurzeln faßte und ihre letzte Ausbildung erhielt. Alle ruthenischen Länder bildeten nämlich eine Kirchenprovinz, die in Bisthümer getheilt unter der Oberleitung des Metropoliten von Kiew stand. In Rothrnthenien bestanden in dieser Zeit, ohne daß wir ihre Anfänge zu bestimmen im Stande wären, die orientalischen Bisthümer Przemysl, Wladimir und Halicz, wozu später Chelm hinzukam. Diese Bisthümer gehörten nun auch der Kiewer Metropolie an. Der Zustand des Landes scheint in jenen Zeiten, trotz vieler Stürme und Kriege, ein glücklicher gewesen zu sein. Zufällige Andeutungen der Quellen weisen auf einen bedeutenden Wohlstand des Volkes hin, auf blühenden Ackerbau und weit ausgedehnten Handel. Kaufleute aus Mcsembrien erhalten Handelsprivilegien, ungarische und böhmische Waarcn werden durch das Land geführt, auf der Donau segeln Haliczer Schiffe und Fisch fänger. Der wachsende Wohlstand hat auch in der Literatur eine schöne Frucht gezeitigt. Gegen Ende des XII. Jahrhunderts entstand in den ruthenischen Ländern, wenn auch nicht in unserem Lande, ein Epos, welches mit hochpatriotischem Gefühl einen Zug des Igor Lwiatoslawicz, Fürsten von Putywl, gegen die Potowcer besang. Darin findet sich auch ein Aufruf an den achtsinnigen Jarostaw von Halicz: Hoch sitzt er auf seinem aus Gold geschmiedeten Throne, er stützt die ungarischen Gebirge mit seinen eisernen Truppen und verlegt dem König den Weg; er sperrt die Donauthore ab, indem er Lasten durch die Wolken schlendert und Schiffe auf die Donau entsendet. Vor ihm fließen Schrecken über die Länder, er erbricht die Thore von Kiew und schießt von seinem goldenen Sitze Sultane herab.