Lieder, welche nicht nur lyrischen Gefühlen Ausdruck geben, sondern jede Handlung des Landmannes besingen, seine frommen Gefühle heben, seinen Humor fördern, jeglichen Kummer vergessen lassen und die Natur aufs lebhafteste schildern. Es folgte die Epoche der Tatarenherrschaft. — Abhängigkeit von einem barbarischen Wandervolke, Unsicherheit des Lebens, ein trauriges Dasein der Unterthänigkeit, Heuchelei und blinder Gehorsam ließen keinen Raum für ein fröhliches oder heroisches Lied. Die Volks sänger wunderten nach dem Norden, und die, welche blieben, besangen Elend und Noth. Das kleinrussische Volkslied änderte seinen Charakter; neue Erscheinungen, neue Verhältnisse schufen neue Formen und Melodien. Nicht Siegeszüge, nicht herrliche Schlachten, sondern der ungleiche Kampf verzweifelter Abenteurer gegen die Übermacht wurde Gegenstand des heroischen Liedes. Die Bylynen machten Platz den sogenannten Dumy, wo das Heroische gepaart mit Melancholischem, Leben und Leiden der Kozaken schildert. Mehr als 400 Jahre hindurch machten Tataren und Türken das unglückliche Land zum Schauplatz unzähliger Kämpfe. Im Volksliede finden wir die treueste Wiederspiegelung dieser Zustände. Das ruthenische Volkslied hat seine Ausbildung den wandernden Sängern zu verdanken. Die Kaleki und Slepcy, diese Troubadours, deren Anfänge weit zurück reichen und schon im XI. Jahrhundert eine Zunft bildeten, galten als wandernde Lehrer des Saitenspiels, des Gesanges, der Poesie und der Tänze. Ihr Instrument war die Gxsl (Husla), eine dreisaitige Violine mit langem Griff, ohne Bogen. Die linke Hand drückte auf den Griff, die Saiten wurden mit der rechten Hand gezwickt. Im XVI. Jahr hundert wurde dieses Instrument seltener, es diente zur Begleitung frommer Lieder und aus ihm entstand die Violine mit Bogen; die Husla war bei den slavischen Völkern (Polen, Böhmen, Slovaken, Dalmatinern, Bosniaken u. s. w.) allgemein im Gebrauch. Die wandernden Sänger trugen eine charakteristische Kleidung, woran man sie überall leicht erkennen konnte. Ein breiter Hut, ein breiter Mantel, ein Sack, eine oder mehrere Glocken, ein grüner Zweig zum Zeichen der Lähmung und ein Instrument bildeten ihre Ausstattung. Zu ihrem Wesen gehörte nothwendig ein körperliches Gebrechen, daher Kaleki (Lahme), Slepcy (Blinde); sie pflegten zum Zeichen dieses Merkmales ein grünendes Reis in der Hand zu tragen, was mit der Zeit zur stehenden Sitte wurde. Doch waren sie keineswegs Bettler im eigentlichen Sinne des Wortes, vielmehr erging es ihnen sehr gut. Wohin sie kamen, schaarte sich Jung und Alt, nicht nur des Liedes wegen, sondern auch aus Neugier um dieselben. Alles wußte ein solcher Sänger; er kannte ja den fürstlichen Hof und die Höfe der Bojaren, er wußte von Krieg und Frieden zu erzählen, er kannte Lieder gegen Regen, gegen Dürre und verschiedene Krankheiten. Diese Alleswisser waren immer willkommen. Der Sack des wandernden Sängers war niemals leer; er selbst lebte lustig, geehrt und geachtet, ohne Kummer und Sorgen.