502 Der erste, der gründlich zu studiren verstand, war Ignaz Felix Dobrzynski (geboren 1807), welcher bei geringer Erfindungsgabe und Originalität als Lehrer viel zur Hebung des musikalischen Sinnes beitrug. Vorliebe für elastische Musik und feinen Formensinn bezeugen alle seine Compositionen, darunter Ouvertüren, Kammermusikwerke, Symphonien, Lieder und sogar eine Oper „Die Flibustier". Hervorzuheben wäre auch seine polnische Symphonie, für welche er bei einem Preisausschreiben in Wien den ersten Preis erhielt. Sein jüngerer Zeitgenosse Stanislaus Mouiuszko (geboren 1819 in Lithauen), ein Schüler Rungenhagcns in Berlin, hat eigentlich zu wenig studirt, um mit sicherer Hand aller Musiksormen Herr zu werden, aber Spontaneität, unversiegbarer Reichthum an edler Melodie, naturgemäßes Schaffen im edelsten Sinne des Wortes, sind die Hauptzüge dieses hervorragenden Talentes. Das Feld, auf welchem Mouiuszko das Schönste schuf, ist das Lied, in welchem er sich als Dichter vom reinsten polnischen Gepräge erweist. Seinen Ruf begründete er erst im Jahre 1858, als seine Oper „Halka" zum ersten Mal in Warschau gegeben wurde. Dieses Werk ging über fünfhundert Mal in Warschau und unzählige Male in Krakau und Lemberg über die Bühnen. Auch in Rußland, in Deutschland, besonders aber in Böhmen fand diese Oper freundlichste Aufnahme. Neben der Oper „Halka" hat auch die Oper ,8trasmri civvor" (der Geisterhof), eine Art komischer Oper, dauerhaften Erfolg auf polnischen Bühnen erzielt. Andere Opern wie „der Flößer", „die Gräfin", „Paria", „Verbum nobile" und „Beate", besitzen viel «schönes und Gelungenes. Auf dem Gebiete der Cantaten, Oratorien und der Kirchenmusik hat Mouiuszko ebenfalls Vorzügliches geleistet. Es gehören hierher seine „Widma", Musik zum gleichnamigen Gedicht von Adam Mickiewicz aus dessen großem Werke „Dziady" (die Todtenfeier), ein Werk, das für Orchester, gemischten Chor und Solo geschrieben ist, dann die „Sonetten aus der Krim" von Mickiewicz, die „Milde" nach der altlithauischen Sage, Gedicht von Kraszcwski, beide ebenfalls für Orchester und Chor. Die jüngste Epoche charakterisirt das Streben nach allscitiger musikalischer Bildung. Vor Allem treten zwei, wenn auch nicht junge, doch der jüngsten Epoche angehöreude Talente in den Vordergrund, nämlich Ladislaus Zeleüski und Sigmund Noskowski. LadislausZeleüski, geboren im Jahre 1837, stand anfangs in Krakau unter der Leitung des trefflichen Clavicrlehrers Giermaez und des Componisten Mireeki, begab sich dann nach Prag, wo er das Conservatorium unter der Leitung Krejcsi's absolvirte, und reiste endlich nach Paris, wo er bei Damcke studirte. Etwa drei Jahre hieraus war er in Warschau als Professor des Conservatoriums und als Director des Musikvereines thätig. Im Jahre 1882 übersiedclte er nach Krakau und wirkt hier als Clavierlehrer und Director der Musikschule. Zeleüski versuchte sein Talent auf allen Gebieten der Musik,