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Die rumänische Literatur und Sprache.
Literatur. — Wie in ihrem gesammten Kulturleben, so theilten auch in literarischer
Beziehung die Rumänen der Bukowina vor einem Jahrhunderte das Schicksal ihrer
Brüder in der Moldau. Die Residenzorte der Fürsten und der Bischöfe, sowie einige
der bedeutendsten Klöster waren die einzigen Pflegestätten geistiger Arbeit. In diesen
allein unterhielt man mit qualvoller Angst vor der fortwährenden Unbeständigkeit der
socialen und politischen Verhältnisse im Lande die heilige und belebende Fackel des
Geistes, auf daß sie den Bürgern aufleuchte in den unaufhörlichen Wirrnissen ihres
kümmerlichen Daseins. Deshalb war auch das geistige Leben der Rumänen mehr auf
Aneignung fremder Geistesproducte als auf eigenes Schaffen hingewiesen.
Von den erwähnten Pflegestätten der geistigen Bildung waren in der Bukowina, als
dieselbe den österreichischen Staaten einverleibt wurde, blos die Stadt Suczawa, die
ehemalige Residenz der Fürsten, dann der Bischofssitz Radautz und das Kloster Putna
von einiger Bedeutung. Von den übrigen Städten und Klöstern des Landes scheint nur
das Kloster Woronetz im XV. und XVI. Jahrhunderte eine größere Rolle gespielt zu
haben, wohl infolge der großen Verehrung, welche der dortige Einsiedler Daniil, auf
dessen Veranlassung der Fürst Stefan der Große (1457 bis 1504) das Kloster gründete,
in der Volkssage genießt. So wurde denn auch dort das älteste bisher bekannte Manuskript
in rumänischer Sprache, der sogenannte Woronetzer Codex, etwa aus dem Ende des
XV. oder Anfang des XVI. Jahrhunderts, im Jahre 1871 entdeckt. Dieser sehr mangelhaft
erhaltene Codex in Kleinoctav enthält mehrere Verse aus dem 18. und 19. Capitel und
die Capitel 20 bis 28 der Apostelgeschichte vollständig, dann den katholischen Brief Jakobi
und den ersten Petri ebenfalls ganz, und endlich noch einige Verse aus dem ersten und
zweiten Capitel des zweiten Briefes Petri. Der Inhalt des Manuscriptes wurde auf
Kosten der rumänischen Akademie der Wissenschaften in Bukarest von dem Mitgliede
derselben, I. G. Sbiera, im Jahre 1885 zu Czernowitz herausgegeben. Im Jahre 1892
wurde von dem Gymnasialkatecheten in Suczawa S. Fl. Marian ein Fragment des
Psalteriums in rumänischer Übersetzung aus derselben Zeit wie der Woronetzer Codex
und einst dem nämlichen Kloster angehörig, bei einem Lippowaner gefunden und gelangte
zuletzt käuflich in den Besitz des Herrn D. A. Sturdza, Secretärs der rumänischen
Akademie. Diese Funde deuten darauf hin, daß man im Woronetzer Kloster Kirchen
bücher auch in rumänischer Sprache anfertigte und gebrauchte, zu einer Zeit, wo bei den
Rumänen fast überall in den Kirchen die kirchenslavische Sprache vorherrschend war; sie
sind somit ein Beweis für die ehemalige kulturelle Bedeutung dieses Klosters in nationaler
Richtung.