Husslsllung
r
österreichisch-ungarische Monarchie
IN
Wort und Bild,
Auf Anregung und unter Mitwirkung
weiland Seiner Kaiser!, und König!. Hoheit des durchlauchtigsten Kronprinzen Erzherzog
Rudolf begonnen, fortgesetzt unter dem Protectorate Ihrer Kaiser!, und König!. Hoheit
der durchlauchtigsten Iran Lronprinzesim-Wtwe Erzherzogin Stephanie.
H n lr o w i n n.
Wien 1899.
Druck und Verlag der kaiserlich-königlichen Hof- und Staatsdruckerei.
Alfred Hölder, k. und k. Hof- und Nmversitätsbuchhändler.
nh a l i.
Gukowina.
Seite
Landschaftliche Schilderung, von Ludwig Adolf Simiginowicz-Stanfe .... 3
Vorgeschichte, von Josef Szombathy 49
Landesgeschichte:
Vor der Vereinigung: bis 1775, von Demetrius Onciul 57
Die Besitzergreifung von Johann Polek 116
Seit der Besitzergreifung, von Ferdinand Zieglauer von Blnmenthal . . 127
Der griechisch-orientalische Religionsfond, von Isidor Ritter von Onciul 155
Volkskunde:
Physische Beschaffenheit der Bevölkerung, von Basil Kluczenko 175
Die Rumänen, von Johann Sbiera und S. Fl. Marian 191
Die Rnthenen, von Alexander Manastyrski 228
Die Huzulen, von Raimund Friedrich Kaindl 271
Die Lippowaner, von Demeter Dan 282
Die Deutschen, von Johann Polek 295
Die Polen, von Raimund Friedrich Kaindl - - 306
Die Ungarn und Slovaken, von Johann Polek 314
Die Armenier, von Demeter Dan .... - 320
Die Zigeuner, von demselben 330
Ortsanlagen und Wohnungen, von Karl A. Romstvrfer 338
Die Hausindustrie, von Erich Kolbenheycr 353
Musik, von Isidor Worobkiewicz 363
Literatur:
Die rumänische Literatur und Sprache, von Johann Sbiera 376
Die ruthenische Sprache und Literatur, von Emil Kakuzniacki 393
Die deutsche Literatur, von Rudolf Wolkan 405
Bildende Kunst, von Karl A. Romstvrfer 409
Volkswirthschaftliches Leben:
Laudwirthschaft und Viehzucht, von Anton Zachar 459
Forstwirthschaft, von Vincenz Eckl 485
Bergbau und Hüttenwesen, von Friedrich Klcinwächter 502
Gewerbe, Industrie, Handel und Verkehr, von Hubert Wiglitzky 515
VerMchinh der Illustrationen.
Seite
Kopfleiste: Radautz, von Rudolf Bernt 3
Die Landeshauptstadt Czernowitz in der Gegenwart, von demselben 5
Der Rathhausplatz in Czernowitz, von demselben 7
Der Springbrunnplatz in Czernowitz, von Theodor Freiherr von Ehrmanns ... 9
Gegend bei Czernawka, nördlich von Czernowitz, von demselben 11
Sereth, von Rudolf Bernt 13
Suczawa, von demselben 13
Bischöfliche Kirche — Commandantenwohnung des k. k. Gestütes — Glockenthurm der
gr.-or. Kirche in Radautz, von Eugen Maximowicz 17
Blick in das Suczawathal bei Poj. Kalleletz (Sipitnl), von Robert Ruß 19
Aus dem Lukawathal 21
Kaczika 23
Eisenau im Moldawathal 25
„Adam und Eva" bei Pozoritta 27
Die Serpentinenstraße von Vale Putna 29
Auf dem Joch Mestekanesti 31
Aus dem Thal bei Jakobeny 33
Der Badeort Dorna-Watra 35
Die Bistritzaklamm im Kolbuthal 37
Das Bukowiner Gebirge von Pojana Stampi aus gesehen 39
Das Steinweib auf dem Wege von Jakobeny nach Kirlibaba 41
Kirlibaba 13
Sämmtlich von Theodor Freiherr von Ehrmanns.
Kopsrandleiste: Tumnlus bei Nnter-Horodnik — Steinwerkzeuge — Thon-Idol von
Sereth 10
Bemalte Thongefäße und verschiedene Werkzeuge der jüngeren Steinzeit 51
Bronzefunde, skythischer Spiegel und Thon-Amphora 53
Schlußvignettc: Glas-Armring und Fibula der lm Tons-Periode 56
(Die Originale im Landesmuseum zu Czernowitz, im k. k. naturhistorischen Hofmnsenm
zu Wien und in der Sammlung des Herrn Johann Prokopowicz zu Kotzmanl.
Sämmtlich von Hugo Charlemont.
Kopfbild: Das Austria-Denkmal in Czernowitz, von Rudolf Bernt 57
Die griechisch-orientalische Kirche zu Radautz (ehemals bischöfliche Kathedrale), von
demselben 67
V
Seile
Die Überführung der Reliquien des heiligen Johannes Novi nach Snczawa; Frescobild
an der Klosterkirche zu Woronetz, von Karl Ritter von Siegl
Ans dem Evangeliar des Klosters Humor (Ende des XV. Jahrhunderts); nach dem
Original in der Bibliothek des Erzbisthums zu Czernowitz
Heilige Grabdecke (iler) aus dem Kloster Putna (1490) mit der Grablegung Christi,
von Karl Ritter von Siegl . . ,
Stefan III. der Große, moldauischer Fürst (1457-1504); nach dem Evangeliar von
Humor aus dem Ende des XV. Jahrhunderts, in der Bibliothek des Erzbisthums
zu Czernowitz, von demselben - -
Stiftung der Woronetzer Klosterkirche durch den Fürsten Stefan III.; nach dem Fresco -
bild im Innern dieser Kirche, von demselben
Siegel des moldauischen Fürsten Stefan IV.; von einer Urkunde des Jahres 1518 (7026)
bei der k. k. Direction der Güter des gr.-or. Religionsfonds in Czernowitz, von
demselben
Legende: VsLMs Io. 8teLna Vosvoä^ Oosxoänr rointi Lotänvslroi.
Thcil eines silbernen Einbandes eines Evangeliars aus dem Kloster Dragomirna (circa
1612); nach einer Photographie
Jereinias Mogila, moldauischer Fürst; nach einer Photographie der gestickten Grabdecke
im Kloster Suczawitza
Siegel des moldauischen Fürsten Stefan Tomsza; von einer Urkunde des Jahres 1615
(7123), bei der k. k. Direction der Güter des gr.-or. Religionsfonds in Czernowitz,
von Karl Ritter von Siegl
Legende: 8teks.n Vosvocta OoLstn mitosOsa sznr Ivinsö Vosvoän gospoelnr renüi
Uolänvsboi.
General Gabriel Freiherr von Splenyi; nach dem gleichzeitigen Ölbild im Besitze einer
Enkelin des Generals (Frau von Horvath), von Wilhelm Hecht
General Karl Freiherr von Enzcnberg; nach dem Gemälde im Besitze Seiner Excellenz
Arthur Graf Enzcnberg, von demselben
Die alte bischöfliche Residenz in Czernowitz (erbaut 1782); nach einem farbigen Bild
aus dem Jahre 1862 im Bukowiner Landesmnseum zu Czernowitz, von Rudolf
Bernt -
Endoxius Freiherr von Hormuzaki (Hurmuzaki); nach einer Photographie, von Wilhelm
Hecht
Die erzbischöfliche Residenz mit der Hanskapelle in Czernowitz, von Rudolf Bernt . -
Schlußbild: Kronprinz Rudolf-Säule in Suczawitza, von demselben
Das Kloster Putna in der Gegenwart, von demselben
Das Kloster Dragomirna, von demselben
Die Paraskewa-Kirche in Czernowitz, von demselben
Synodalsaal in der erzbischöflichen Residenz zu Czernowitz, von Karl Ritter von Sieg
Die Mirauher-Kirche in Snczawa, von Rudolf Bernt
Die Kloster- (alte Metropolitan-) Kirche in Snczawa, von demselben
71
75
81
85
89
93
99
105
109
119
129
133
145
149
154
159
161
163
165
169
171
V!
Seite
Rumänen 1^
Ruthene 161
Hnzulin
Lippowaner . - 165
Slovake 16?
Armenier 169
Sämmtlich nach Photographien, von Wilhelm Hecht.
Rumänische Landleute in ihrer Tracht, von Julius Zuber 193
Walkmühle (piuL äs tLnsje), von Hugo Charlemont 195
Fcldarbeitaushilfe (olnsL), von Julius Zuber 199
Rumänische Sennhütte (stürm), von Hugo Charlemont 203
Anerkennung der Vaterschaft, von Eugen Maximowicz (antotypische Reprodnction
in Zink) 205
Empfang des Bräutigams im Hofe der Braut, von Julius Zuber 209
Beweinen (booiesa) des Todten beini Heranstragen ans dem Stcrbchause, von demselben 213
Weihnachtsbranch: Stcrnsinger, von Eugen Maximowicz (antotypische Reprodnction
in Zink) 217
Die Jordanfeicr, von Julius Zuber 221
Einsegnung des Pfluges im Frühling, von demselben 223
Sändzenifeier in Suczawa; Proccssion mit den Reliquien des heiligen Ion esl non, von
Julius Zuber 225
Volkstypen aus der Czeremoszgegend, von demselben 231
Volkstypcn aus der Pruthgegcnd, von demselben 237
Volkstypen aus der Dniestrgegend, von demselben 243
Nnthcnisches Bauernhaus aus Lenkoutz (Pruthgegcnd), von Robert Ruß 251
Huzulen aus dem oberen Moldawathal, von Theodor Freiherr von Ehrmanns ... 273
Huzulen in Sommerklcidung am Werktag, von Zygmunt Ajdukicwicz 275
Huzulengruppe mit einem Alpenhornbläser, von demselben 279
Lippowancr-Kloster Biaka-Krinitza, von Robert Ruß 283
Lippowaner-Erzbischof in vollem Ornat, von Zygmunt Ajdukicwicz 285
Lippowanergruppe, von demselben 287
Lippowanerinnen, in der Kibitka fahrend, von demselben 289
Lippowaner-Mönche aus Fäntäna alba, von demselben 291
Lippowaner-Nonne, von demselben 293
Deutsche Bergleute aus Jakobeny (Bezirk Kimpolnng), von Julius Zuber .... 297
Deutsche Bäuerinnen, aus der Czernowitzer Vorstadt Rosch vom Markte heimkehrcnd, von
demselben 299
Deutscher Ansiedler aus Jtzkany (Bezirk Suczawa), von demselben 301
Weihnachtsspiel: Die Apostel, von demselben 303
Ungarisches Brautpaar aus Hadikfalva, von demselben 315
Ungarische Bauernstube in Jstensegits, von Hugo Charlemont 317
VII
Seite
Slovaken aus Pojana Mikuli, von Julius Zuber 319
Armenische Kirche in Suczawa (zum h. Simeon) von Robert Ruß 321
Wallfahrtskirche Haczkadar bei Suczawa, von demselben 323
Gottesdienst in einer armenisch-orientalischen Kirche > 325
Armenier aus Suczawa in orientalischer Tracht 327
Zigeunerfamilie aus Wulewa 331
Zigeuner, Moltern verkaufend 333
Zigeunerin, aus der Hand wahrsagend 335
Sämmtlich von Julius Zuber.
Farbenbild: Huzulin, reitender Huzule, Rnthenin und Rumäne, von Zygmnnt
Ajdukiewicz; Chromo-Xylographie von Hermann Paar.
Zigeuner-Bordei's bei Ropcze 341
Huzulenhaus in Ruß-pe-boul 343
Rumänisches Bauernhaus in Unter-Horodnik 345
Deutsches Bauernhaus in Mitoka 349
Lippowaner Bauernhaus in Lippoweny 351
Hauswebestuhl (stativä, brosim) 355
Erzeugnisse der häuslichen Textil-Jndustrie - - - - 359
Hausindustrie: Holzarbeiten, Flechtwerke, Thonarbeiten re 361
Sämmtlich von Hugo Charlemont.
Der Kokomyjkatanz der Huzulen, von Julius Zuber 365
Lautar Mosz Nikulai aus Suczawa; nach dem Bilde im Musikocrein zu Czernowitz,
von Friedrich von Schiller 369
Schlußvignettc: Dudelsack, Geige, Mandoline und Panflöte, von Rudolf Bernt . . 374
Titelbild: George Hurmuzaki, Alex. Hurmnzaki, Vassile Jarovici, Aron Pumnul,
Silvestru Audrievici, von Hugo Charlemont 375
Das Woronetzer Kloster, von Robert Ruß 379
Faesimile aus dem Woronetzer Codex (XV. bis XVI. Jahrhundert); nach einem Licht -
druck
Schriftprobe aus dem kvaugslarluiu Lutrmuum (XIII.Jahrhundert); nach dem Faesimile
in Nouumsuta UuZuus palaso-sIovsiuLLS, von Emil Kaluzuiackj (Verlag
K. Prochaska in Teschen) 295
Miniatur aus demApostolar des Suczawer Metropoliten Anastasius Krimkowicz (1610);
nach dem Original in der Hofbibliothek zu Wien 399
Osip Fedkowicz; mit Benützung zweier Bildnisse in der Gesellschaft Proäwita zu Lemberg,
von Wilhelm Hecht ^03
Kopfrandleiste: Altar- und Kirchengeräthe, von Hugo Charlemont 409
Ruine des Fürstenschlosses in Suczawa, mit Grundriß und architektonischen Details, von
Rudolf Bernt
Das Kloster Putna zu Ende des XVIII. Jahrhunderts; nach einer Abbildung im erzbischöf -
lichen Cousistorium, von Karl Ritter von Siegl 413
V»I
Seite
Kirche in Watra-Moldawitza, von Rudolf Bernt 415
Kloster Suczawitza, von demselben 417
Das gewesene Armenierkloster „Zamka" bei Suczawa, von Robert Rnß 419
Kirche in Al!-Jtzkany, von Rudolf Bernt 423
Holzkirche in Slobodzia-Komarestie (früher in Rewna), von Hugo Charlemont . . 427
Grabnische Luka Arbures in der griechischen Kirche zu Arborcyvon Karl Ritter von Siegt 431
Ikonostas in der griechischen Kirche St. Onuphri bei Sereth, von demselben .... 435
Bucheinband eines Evangeliums aus Suczawa (XVI. Jahrhundert); nach dem Original
im Stauropigianischen Institut zu Lemberg (Photographie von Trzemeski) . . 439
Von der Außenmalerei der griechischen Kirche in Watra-Moldawitza (Belagerung von
Konstantinopel), von Karl Ritter von Siegl 442, 443
St. Georg, aus einem Frescobild in der ehemaligen Klosterkirche zu Horecza bei Czerno-
witz, von demselben 445
Domkirche in Czernowitz, von Rudolf Bernt 449
Aus dem Innern der Synodal-Kirche der erzbischöflichen Residenz in Czernowitz, von
Karl Ritter von Siegl 453
Die armenische Kirche in Czernowitz, von Rudolf Bernt 455
Schlußbild: Tatarendenkmal bei Wama, von Hugo Charlemont 458
Maisfeld in der Gegend bei Suczawa 465
Weizenfeld in der Gegend bei Suczawa . . . . 471
Waldpartie aus dem Sipitulthal 487
Dampfbrettsäge im Kloster Putna 491
Holzriese und Koliba mit Huzulenarbeitern 493
Floßlandungsplatz und Fangrechen am Czeremoszfluß bei USczcryki 495
Sämmtlich von Robert Ruß.
Die Kronprinz Rudolf-Klause im Czeremoszthal, von Theodor Freiherr von Ehrmanns 497
Partie von der Pntna-Oglinde-Waldbahn 499
Jakobcny an der Goldenen Bistritza 503
Der Berg Arszitza bei Jakobeny 507
Rollbahn zur Thalbeförderung des Mangan in Jakobeny 511
Das Hammerwerk in Eisenau bei Kimpolung 513
Sämmtlich von Robert Ruß.
Eine moderne Jahrmarktsscenc ans Radautz, von Julius Zuber 521
Der Ottobrunnen in Dorna Watra, von Theodor Freiherr von Ehrmanns . . . . 527
Schlnßbild: Schiffmühleu im Pruth, von Hugo Charlemont 532
i»
Landschaftliche Schilderung.
enn du, freundlicher Leser, die Bukowina betrittst, so nimmt dich ein
schönes Hochland auf, das reich an mannigfachen Formen der Gebirge,
mit engen und breiten Flußthälern, kleinen Ebenen, dunkeln Wäldern, aber
auch mit blühenden Ortschaften und freundlichen Städten ausgestattet
ist. Je tiefer wir in das Land dringen, desto wunderbarer gestaltet
sich der Zauber dieser kleinen Karpathenwelt. Einst ein Dnrchzugsland wilder Kriegs -
horden, erfreut es sich heute der Segnungen des Friedens und der Cultur; einst ein
herrenloses Land, steht es heute im Verband mit jener Monarchie, die das glorreiche
Haus der Habsburger beherrscht, das hier aus oder Wildniß einen blühenden Garten
schuf, und dem jeder Bnkowiner ohne Unterschied des Glaubens und der Race in
begeisterter Dankbarkeit huldigt.
Dniestrthal. Die Quellen des Dniestrs liegen im Südwesten von Sambor,
unfern des Dorfes Dniestrzyk, an der dort anschwellenden europäischen Wasserscheide.
Durch Gebirgsbäche verstärkt, fließen sie nach Nvrdosten, um nach Aufnahme größerer
Nebenflüsse zum Hauptstrvm des südlichen Galiziens zu werden, der sich als Grenzfluß
der Bukowina gegen Galizien 60 Kilometer behauptet. Gleich bei seiner Berührung des
Bnkowiner Bodens wird er von hohen steilen Ufern begrenzt, die, wenn sie nicht
4
Waldbestände tragen, fast durchgehends kahl sind, ein weißlichgraues Aussehen haben,
aus Kalk und Schiefer bestehen, und zwischen 270 und 290 Meter Seehöhe schwanken.
Unter beständig wechselnden Höhenverhältnissen begleiten ihn auch die galizischen
Randhöhen, so daß eine Stromfahrt zu den dankbarsten Vergnügungen zählt. Da
von einem Befahren des Dniestrs durch Dampfschiffe beim Mangel an Kapitalien
noch lange nicht die Rede sein kann, so begnügt man sich mit dem Vehikel der Flößer,
die aus den galizischen Karpathen kommen, hie und da an die Ufer stoßend, Halt
machen und für ein geringes Entgelt, Tabak und sonstige Kleinigkeiten uns gerne
aufnehmen. Wir blicken mit Vergnügen in das reizend gelegene Thal von Babin, das
sich unseren Blicken südwärts öffnet, immer höher ansteigt und zu beiden Seiten eines
kleinen Baches seine ländlichen Häuser sehen läßt. Luka und Kostryziwka sind so niedrig
am Ufer gelegen, wie die ihnen gegenüber liegende, ehemalige Kreisstadt Zaleszczyki,
die der Dniestr in einem großen weiten Bogen umspannt. An dieser Stelle trägt der
Fluß eine hohe steinerne Brücke, eine Errungenschaft der letzten Jahre, während man
sich zuvor im Sommer der Pontons, im Winter der Eisdecke bediente.
Bei Zaleszczyki macht der Dniestr eine starke Windung, die durch die galizischen
Hügel von Dobrowlany veranlaßt wird. Würden sich diese dem schönen breiten Fluß
nicht entgegenstellen, so hätte er sein Strombett in: Norden dieser Stadt allein und es
würden mehrere Kilometer im Gevierte der Forst- oder Feldcultur erhalten bleiben. Dem
Vergnügungszügler, der momentan das Floß benützt, kann diese Erscheinung die Freude
nur erhöhen, denn alle Augenblicke ändert sich die Scenerie und mäßig steile Höhen, die
hart an den Fluß treten und in ihre Seitenthäler Einblick gestatten, wechseln mit flachen
Ufern ab, so bei Repuzynetz, Brodok, Mitten und Mossoröwka. Bei Mossoröwka und dein
benachbarten Samuszyn wiederholt sich die eigenartige Umspannung des Terrains durch
eine zweite Windung des Dniestrs. Hier bildet der Fluß auch mehrere Inseln von
verschiedenen Längen, die der Flößer so gut kennt, daß er ihnen selbst bei Nacht geschickt
auszuweichen vermag. Bei Onut verläßt der Dniestr die Bukowina und der Tourist sein
primitives Fahrzeug.
Die zahlreichen Fahr- und Fußwege, die in diesem Theile der Bukowina die
Ortschaften verbinden, ermöglichen dem Touristen mit Leichtigkeit das Land zwischen dem
Dniestr und dem Pruth zu durchwandern. Hier, wo einst Wald an Wald sich reihte
und Sümpfe und Moore den Boden bedeckten, tritt uns heute nach etwa 120 Jahren
österreichischer Verwaltung das anmuthigste Cultnrbild entgegen. Nach einer Tradition
waren die ausgedehnten Waldungen hier so dicht, daß bei der Occupation des Landes
durch Österreich das einrückende Militär stellenweise die Axt gebrauchen mußte, um
vorwärts zu kommen. Der Wald ist längst gewichen und beschränkt sich heute ans den
6
gebirgigeren Osten dieses Landestheiles. Welchen Weg wir immer betreten mögen, gewahrt
das Auge nichts, als Felder und Wiesen, in deren Mitte sich freundliche Dörfer mit ihren
Kirchen und Kirchthürmen und zahlreichen Obstbäumen erheben, die aus Obst- oder
Gemüsegärten emporragen und so das Bild des mangelnden Waldes ersetzen. Im Süden
von Babin liegen die Dörfer Boroutz und Kisseleu, weiter südwärts Sziszkoutz, Juzynetz,
Malatynetz und Stawczan und noch südlicher Chliwestie, Hawrilestie und Oroszeny, an
der Westgrenze der nördlichen Bukowina gegen das galizische Nachbarland. Mehrere
davon sind durch ihre fischreichen langen Teiche merkwürdig, die kleinen Seen gleichen
und aus ursprünglichen Sümpfen und Lachen entstanden sind. Das sie umgebende
Land ist meist sanft hügelig, so daß sie die Mulden der allmälig ansteigenden Boden -
anschwellungen aüsfüllen.
Von Kryszczatik führt die Chaussee aus dem Dniestrthal südwärts über bebaute
mäßige Hügel an Kadobestie vorüber gegen das Pruththal. Südlich von Kadobestie
gabelt sich dieselbe und läuft ihre östliche Verzweigung nach Zastawna, ihre westliche
nach Kotzman. Letzterer Ort heimelt uns mit seinen sauberen Bauernhäuschen freundlich
an; im Thale schlängelt sich an blumigen Ufern der murmelnde Bach, von Hügel und
Ebene lacht uns der Eichenwald an, der schon bei Kliwodyn und Snchowerchöw mit
einzelnen fernen Baumgruppen sich ankündigt. Wir begrüßen ihn um so freudiger, als
er mehrere Meilen in der Runde diesem Landestheil gänzlich fehlt, inmitten von
unabsehbaren Wiesen und Äckern endlich wieder einmal erscheint und eine momentane
Abwechslung bietet. Hier befindet sich der benachbarte Hügel Jwankowce, eine der
namhaftesten Bodenanschwellungen des Westens (313 Meter). Diese wird nur um weniges
von solchen übertroffen, die mit der genannten im natürlichen Zusammenhang stehen und
ihrex Structnr nach eine Oase von Diluvialschotter bilden, während sich ringsum der
Löß geltend macht. Auf der Ostseite von Kotzman dehnte sich noch vor wenigen Jahren
ein von Weidengestrüpp eingenommenes Sumpfterrain ans, das viele Kilometer weit nach
Nord und Süd reichte und eine zahllose Menge von Federwild barg; der Regenpfeifer,
die wilde Gans, die Ente, die Rohrdommel und die Schnepfe waren die steten Bewohner
dieser Sümpfe. Heute sind dieselben zum großen Theil ausgetrocknet und der Feldcultur
gewonnen worden.
Von Kotzman gelangen wir nach dem nordöstlich gelegenen Zastawna, wo sich die
Erscheinung langgestreckter Teiche wiederholt. Während die nördlich und nordöstlich davon
befindlichen Dörfer Tontry, Okna und Pohorloutz den bereits geschilderten Landschafts -
verhältnissen gleichkommen, beginnt bei Jurkoutz und Werboutz der höchstgelegene Theil
der Wasserscheide zwischen Dniestr und Pruth; anfänglich nur von Wiesen und Feldern
bedeckt, schmücken sich die aus Sand und Sandstein bestehenden Höhen allmälig mit einem
8
Kranz von Wäldern, die nicht blos mit stellenweiser Unterbrechung den östlichen Theil
Nord-Bukowinas vollständig bedecken, sondern auch weit nach Rußland sich hinausdehnen.
Gleich zwischen Werboutz und Kuczurmik erhebt sich in der waldreichen Landschaft Pidpar
der Zornisi zu 437 Meter, bei Wasloutz im Berdo Horodiszcze zu 515 Meter Seehöhe.
Die Chaussee von Zastawna, die bei Kuczurmik eine Verzweigung bis nach Mossoröwka
am Dniestr aussendet, wird auf ihrer östlichen Seite beständig von diesen Höhen begleitet.
Es sind dies langgestreckte, von Nord nach Süd lausende Hügel, deren Formen zwar etwas
Monotones an sich haben, aber an Reiz dadurch gewinnen, daß sie dem Auge gestatten,
durch ihre Thalsenken ihre zahlreichen Verästelungen zu verfolgen; die Scenerie ist aller -
liebst, die durch den beständigen Wechsel von Licht und Schatten entsteht. Ihren Westfuß
benetzt der Bach Kuczur, der bei Zadobrvwka einen Teich bildet, von da ab Zadobröwka
heißt, und schließlich nach Aufnahme mehrerer kleiner Bäche in den Pruth links sich
ergießt.
Die Schönheit der kleinen Gebirgswelt bestimmt uns in das Innere derselben
einzudringen. An Unter-Szeroutz vorbei, durchwandern wir ein überaus anmuthiges
Thal, an dessen Ostseite der bewaldete Moszköw (350 Meter) sich erhebt, an dessen
Nordfuß einige kleine Teiche stoßen, die in der unmittelbaren Nähe der Chaussee beginnen.
Vom Moszköw angefangen, nimmt der Wald alle Höhen ein und nur dort, wo stellenweise
kleine Ebenen sich geltend machen, breiten sich Dörfer oder Weiler mit ihren Ackerfeldern
aus, die bald wieder verschwinden, worauf wir uns neuerdings von Wäldern und Höhen
umgeben sehen. Anziehend durch seine Lage ist das Dörfchen Czernawka, ehemals der Edelsitz
der Freiherren von Petrinö. Der schöne Ort, der mannigfach die Sorgfalt seiner früheren
Besitzer bekundet und einen großen wohlgepflegten Park hat, liegt mitten zwischen Bergen
eingezwüngt, die einerseits nach Rußland laufen, anderseits die Höhen von Berezoutz
und Horoszoutz bilden. Im Nordosten von Czernawka breiten sich die meist bewaldeten
Gegenden Kobylina und Kociuba aus und führt die mittelst Serpentinen ansteigende
Chaussee über den Berg Kostisz, an dessen östlichem Fuße der Hukeubach fließt, nach
Dobronoutz, Horoszoutz und Bojanczuk. Von den Serpentinen läßt sich eine sehr-
ansprechende Rundschau genießen, deren Vordergrund ein ansehnlicher Teich bildet, der
hie und da von Weidengebüschen umstanden wird, während im Hintergrund sich stattliche
Berge erheben, die theils Ackerfelder, theils Wiesen und Wälder tragen und in ihrer
Hanptrichtnng südwärts dem Pruththale zueilen. Im Süden von Horoszoutz, einem
Erbgute der Ritterfamilie Wartarasiewicz, erhebt sich der Czerwenyj Horb (504 Meter)
und bei Dobronoutz, dem Edelsitz des Bukowiner Componisten Konstantin Ritter von
Buchenthal, die Sawczyna (417 Meter) und die noch höhere Obczyna (479 Meter).
Durch diese Gegenden zogen im Jahre 1739 während des russisch-türkischen Krieges die
9
Russen in die Pruthebene und bestanden dort bei dem Dorfe Siobodzia-Raraüeze ein
siegreiches Gefecht gegen die Türken.
Pruthth al. Auch wir eilen in das Pruththal! — Der alluviale Boden, begrenzt von
Löß, Tegel, Sand und Sandstein, trägt noch heute Spuren von gewaltsamen Veränderungen,
die der Pruth im Laufe von Jahrtausenden in seinem Strombette verursacht hat. Nirgends
eingeengt, vielmehr auf der breitesten Basis dahinfließend, hat er sein gegen Norden
Der Springbrunnenplatz in Czernowitz.
gelegenes Strombett stets zu verlassen gesucht und sich immer mehr nach dem Süden
gezogen, so daß er heute unmittelbar am Fuße jener Berge strömt, die seine rechten
Ufer bilden.
Wenn der Tourist die galizische Grenze bei Oroszeny passirt und in die Bukowina
dringt, so findet er, sobald er längs des Pruthflusses abwärts wandert, linker Hand die hie
und da von sanften Bodenanschwellungen unterbrochene, aber ziemlich ansehnliche Ebene
von Duboutz, Szypenitz, Lnzan, Mamajestie, Rohozna und Sadagöra; rechts dagegen ohne
alle Vermittlung aus dem Flusse steigend jenes Hügelland, das die zweite stufenartige
10
Erhöhung der Bukowina sigualisirt. Der Pruth bildet hier die scharfe Grenze zwischen Acker-
und Hügelland, wovon ersteres bis knapp an das Geröll des linken Ufers stößt und ein
üppiges Bild von Mais-, Weizen-, Korn- und Haferfeldern gewahrt, wahrend letzteres hier
seinen Anfang nimmt und continuirlich nach dem Süden und Osten greift. Berg, Thal, Wald
und Wiese wechseln vor dem Auge des Beschauers anmuthig ab. Einzelne Ortschaften, die
durch Straßen, Feld- und Waldwege miteinander verbunden sind, schmücken zumeist die
Ränder dieses Terrains, wie Hlinitza, Draczynetz, Bobestie, Broszkoutz rc. Das Terrain
selbst aber ist bis ans einzelne Weiler von Menschen wenig bewohnt und erst östlich von
Michalcze und Kamena treten wieder Dörfer und sonstige Siedelungen auf. Eine nennens-
werthe Zahl dieser Hügel erhebt sich über 400 Meter, so die Spitze des Cesarski las,
der Pojenica, des Deal Drakului, vor allen aber die des Cecina, welche (539 Meter See -
höhe) die höchste Erhebung in der Wasserscheide zwischen Pruth und Sereth bildet. Vor
etwa fünfzig Jahren trug dieser Berg noch aufrecht stehendes Mauerwerk als Ruinen einer
alten Burg; heute ist er auf wenige alte Trümmerreste beschränkt, die über der kahlen Ostseite
liegen. Denn hier hat der Muthwille der Steinbrecher und Hirtenknaben ungestraft
gefrevelt und einem Baudenkmal, dessen schon das Jahr 1456 gedenkt, allmäligen
Untergang bereitet. Auf allen anderen Seiten ist der Berg reich bewaldet und dient an
schönen Sommertagen der besseren Gesellschaft von Czernvwitz zu vergnügten Ausflügen.
Entzückend schon ist die Fernsicht nach jeder Richtung der Windrose! Weilt der Blick im
bilden, so treten ihm die Höhen von Arsura und Terenawka Ehristana entgegen: iin
Westen gewahrt er das stille Waldesdunkel des Michalecki las, des Ostry Horb, der
Spaska n. a. Nach Norden gerichtet überblickt das Auge das wunderbare Panorama des
Pruththales. Hier lausen und verschwinden in weiter Ferne Straßen und Wege; auf dem
Eisenbahndamm tummelt sich die dampfende und pfeifende „deutsche Stute" (Ui»l6ii,na
noöima), die Locomotive mit ihrem langen Gefolge; freundliche Ortschaften mitten in
der Fülle buntfarbiger Getreidefelder lachen uns lieblich an, umsüumt von Wiesen und
bewaldeten Bergen, die unter dem Horizont verschwinden. Zu unseren Füßen aber windet
sich der Pruth, der Hierasus der Alten, in breiter Fläche bald in geraden, bald in ovalen
Horizontalformen, hier an Schotterinseln vorbei, dort an undurchdringlichem Weiden -
gestrüpp, das auf seinem linken Ufer den schönen Fluß breit umrahmt. Nach Osten gewandt,
über das reich bewohnte Roscher Thal erreicht endlich der entzückte Blick auch das Herz des
Landen Bukowina, die Landeshauptstadt Czernvwitz, mit ihren zahlreichen Kirchen, Häusern
und Thürmen. Welche Wandlung des Schicksals! Damals als die Burg von Eecina in
ihier Blüthe stand und der sagenhafte König Pauluka seine entarteten Augenlider
entweder an den Ohren befestigte, oder sich dieselben als Schlafmütze über das Haupt
zog, um ungehindert über seine Lande blicken zu können, da war jener Hügel, der heute
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Czernowitz trägt, eine öde, wüste, menschenleere Stätte, in welcher der Ur hauste und
die Wildniß herrschte. Heute breitet sich dort eine blühende, hoffnungsreiche Stadt aus,
während auf dem Berge, der König Paulukas Burg trug, trübselige Trümmer ruhen und
die Stille und Einsamkeit nur dann unterbrochen werden, wenn arme Hirtenknaben sich
dort Herumtreiben, oder Czernowitzer Vergnügungszügler Erholung suchen.
Auf diese namhafteste Erhebung der Wasserscheide folgt eine allmülige Höhenabnahme
derselben, die eine Anzahl von Kilometern währt, worauf die Anschwellung des Bodens
im Südosten von Neuem beginnt. Wir verlassen den Cecina und eilen wieder zurück ins
Gegend bei Czernawka, nördlich von Czernowitz.
Pruththal. Der Abstieg führt uns durch Wald und Wiese nach Rewna und nach Über -
schreitung des Prnth nach Mamajestie, wo die Straßencvmmunication von Oroszeny,
Kotzman und Czernowitz ihren Knotenpunkt hat. Die mittelalterliche Strategik muß
diesem ebenen Boden die beste Eignung zu Kümpfen zugeschrieben haben, denn hier fanden
manche blutige Zusammenstöße zwischen Türken und Tataren, Moldauern, Russen und
Polen statt. Bekannt ist die Schlacht, welche hier im Jahre 1497 König Johann Albrecht II.
von Polen an den Wojwoden der Moldau, Stefan den Großen, verlor. Übrigens
dienten diese Wege nicht bloß durchziehenden Kriegshorden, sondern auch in ruhigeren
Zeiten dem friedlichen Verkehr, wenn dieser auch naturgemäß den Zeitverhültnissen
und der persönlichen Unsicherheit entsprechend, karawanenartig unterhalten werden mußte.
»
12
Schon von der Eisenbahnstation Luzan erscheint dem Auge in der Entfernung von
etwa fünfzehn Kilometern das anmuthigeBild der Landeshauptstadt Czernowitz, die,
einem Schwalbennest vergleichbar, hoch oben auf einem aus dem Pruththal steigenden
Hügel liegt, und sich dieser hohen Lage wegen der weitesten Fernsicht erfreut. Zu ihren
Füßen rauscht der Pruth, über den sich zwei mächtige Brücken spannen, unter welchen die
im Dienste der Eisenbahn stehende aus jüngeren Tagen stammt. Während nach Passirnng
des Bahnhofes die Schienenstraße südwärts durch eine schluchtenartige Bodensenke gleitet
und somit Czernowitz von seinem „Weinberge" bis zum Rot'schen Meierhof im weiten
Bogen umkreist, führt die Reichsstraße bergauf in die Landeshauptstadt, anfänglich von
kleinen Häusern begleitet, später von größeren und großen umstanden. Erfreulich ist die
Metamorphose, die Czernowitz in verhältnißmäßig kurzer Zeit an sich erfahren hat, denn
dort, wo vor einhundert Jahren kaum zwanzig gemauerte Häuser sich befanden, erheben
sich heute stattliche Häuserreihen, vielfach geschmückt durch monumentale Bauten und schöne
große Kirchen, und dort, wo noch im Jahre 1840 — also vor achtundfünfzig Jahren! —
ein einziger öffentlicher Wagenvermiether sein notdürftiges Auskommen fand, rollen
heute lustig über einhundert Fiaker und Einspänner durch die Stadt, uneingedenk der
zahlreichen Privatequipagen und eleganten Herrschaftskutschen, die zur Physiognomie der
Stadt redlich das ihrige beitragen. Der überaus rege Verkehr auf Straßen und Plätzen,
die luxuriösen Auslagen der Kaufleute und Industriellen, die zahlreiche Beamtenschaft,
Hoch-, Mittel-, Fach- und Volksschulen, die starke Garnison, der Clerus dreier christlicher
Consessionen mit allem Pomp, der an ihnen haftet, die vielen Behörden, Geldinstitute,
Vereine, die eleganten Hotels, Kaffee- und Gasthäuser, Wasserleitung, Canalisation,
elektrische Beleuchtung und Tramway re., alles das gibt Czernowitz den Nimbus einer
Stadt, die den Anlauf zur Großstadt macht. Das Centrum der Stadt ist der sogenannte
Ringplatz, in welchen nicht weniger als acht Gassen münden, die in verschiedene Stadttheile
führen. Hier steht auch das stattliche Rathhaus mit seinem hohen Thurm, dessen Spitze einen
mächtigen vergoldeten Doppeladler trägt. Die Stadt nimmt mit ihren vier Vorstädten
Klvkuczka, Rosch, Horecza und Kaliczanka ein sehr weitläufiges Terrain ein, was die
natürliche Haft ^aß der Ausbau sich nur sehr langsam vollzieht. Die Krone
aller Bauten ist die erzbischöfliche Residenz, die an Schönheit und Großartigkeit weithin
von keinem ähnlichen, im byzantinisch-maurischen Stile gehaltenen Bau übertroffen wird.
Unter den ärarischen Bauten ragen die k. k. Landesregierung und die Franz Josephs-
Universität mit ihrem stilvollen Museum, unter den zahlreichen Kirchen die Herz Jesn-
Kirche hervor.
Nördlich, etwa drei Kilometer von der Pruthbrücke entfernt, schließt sich an die
Lemberg-Czernowitzer Eisenbahn die Localbahn von Nowosielitza. Sie führt an Sadagöra
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vorüber, einem Marktorte, der bis zur Grenzsperre gegen Rumänien für den Ochsenhandel
der Bukowina von der namhaftesten Bedeutung war und der Sitz eines Rabbinates ist,
das zahlreiche Anhänger unter der orthodoxen Judenschaft Rußlands, Rumäniens,
Galiziens und Bnkowinas besitzt. Aus der kleinen Hüusermenge lacht uns der dominirende
Edelsitz der Freiherren von Mnstatza entgegen. Hart an den Marktort tritt eine Reihe
von meist bewaldeten Hügeln, welche in weitem Bogen das ebene Land umsänmen, so der
Moszköw und die Koznszna, an deren Füßen Felder und Wiesen und die Ortschaften
Zuczka, Mahala, Bojan, Gogulina rc. liegen. Nicht minder reizend ist das rechte Prnth-
ufer, das beständig seine steile Erhebung aus dem Pruththale behauptet, aus blauem
Tegel besteht und fortwährend mit kahlen und bewaldeten Partien wechselt. Dort oben
liegen die Dörfer Ludihorecza, Ostritza und Zurin und ist namentlich Horecza wegen
seiner schönen Eichenwaldung, wie nicht minder wegen der kleinen Kapelle bemerkenswerth,
welche die Kaiserin Katharina II. von Rußland erbauen ließ. Sie ragt mit ihrem Thurm
kaum über die Gipfel der Bäume, aber ihr Helles Weiß schimmert weit in die Ebene
hinaus. An ihrer linken Seite erhebt sich wie bei den meisten orientalischen Kirchen
die stereotype Glockenmauer, die in ihren Nischen drei kleine Glocken trägt, deren Klang
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nicht bloß gelegentlich kirchlicher Functionen, sondern auch bei Bränden und Gewittern
die ganze Gegend durchzittert. Weiter ostwärts hinter Bojan liegt die Grenzzollstation
Nowosielitza. Unter diesem Namen ist ein ärmliches, österreichisches Dorf und ein
russischer Marktort zu verstehen; beide Ortschaften werden durch den von Norden kom -
menden Greiizbach Rokitna geschieden, der hier in den Pruth mündet und eine kleine
Brücke trägt, an deren Enden österreichische und russische Wachtposten stehen. In diesem
Dorfe befindet sich das berühmte ehemalige triplax eontiniuiir dreier Kaiserreiche. Der
österreichische Antheil ist ein öder, wüster Platz, der schließlich in das Flußgeröll des
Pruth übergeht; der russische ist mit Brettern haushoch umfriedet, so daß jeder Ausblick
gehemmt wird; der einst türkische, jetzt rumänische dagegen, welcher durch den Pruth von
beiden genannten geschieden wird, erscheint als eine überaus anmuthige und reich bewaldete
Berglandschaft.
Von Czernowitz führt die Reichsstraße, die etwa sechs Kilometer weit von einer
Pappelallee umstanden wird, nach dem Süden. Obgleich ihre Lage nicht hoch zu nennen
so gewinnt das Auge dennoch von derselben eine sehr ansprechende Fernsicht über die
Bodenanschwellungen, welche sie zu beiden Seiten begleiten, von Mais-, Korn- und
Kartoffelfeldern bedeckt sind und an ihren oberen Säumen die Ortschaften Korowia,
Czahor und Motodia tragen. Daß einstens in diesen Gegenden hartnäckige Kämpfe statt-
gesunden haben, beweisen die zahlreichen Verschanzungen, deren man hier, bedeckt von
schönem blumenreichen Rasen, gewahr wird. Wir befinden uns hier auf dem östlichen Theil
der Wasserscheide zwischen Pruth und Sereth, die sich südwärts von Mamornitza und
Lnkawitza bis an die rumänische Grenze zieht. An der einsam stehenden Dorfkirche von
Czahor vorbei, eilen wir in das Thal des Dereluibaches, wo sich die Reichsstraße mit
dem Schienenweg der Czernowitz-Lemberger Eisenbahn kreuzt. Erstere gelangt, nachdem
sie sich der rumänischen Grenze genähert, nach kurzem, ebenem Laufe durch die Landschaft
Niewolnitza nach Franzthal, wo sie schlangenförmig durch jene Schluchten bergauf steigt,
die durch die hart aneinander stoßenden Berge Riwna und La Balta gebildet werden.
Es ist eine sehr schöne, die Phantasie überaus anregende Bergpartie, in welcher wir uns
hier befinden, denn überall, wo Feld und Wiese sich nicht geltend machen, tritt der Wald
oder die Au in den Vordergrund, die bald zur rechten, bald zur linken Seite das Thal
und die Höhen schmücken. Haben wir die Franzthaler Steigung überwunden, so tritt der
Wald zurück und neuerdings lacht uns auf einem vielfach ebenen Plateau, dessen Wald -
bestünde nur aus respectvoller Entfernung sich sehen lassen, der reiche Segen der Feldcultur
entgegen. An Tereszeny, einer ursprünglich tatarischen Colonie, wofür auch der Ortsname
spricht, an Tereblestie, das zur Hülste von deutschen Ansiedlern bewohnt wird, an
Waszkoutz, einer Gründung aus dem XV. Jahrhundert, die an eine russische Fürstin
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erinnert, vorbei, gelangen wir in das Thal des Sereth, in welches ans dem Pruththal
nicht blos die besprochene Reichsstraße, sondern auch der Schienenweg von Kuczurmare
nach Hliboka und die von Kotzinan über Draczynetz nach Storozynetz gezogene ehemalige
Etappenstraße führt.
Sereththal. Die Quellen des Sereth liegen im Südwesten der dritten allgemeinen
Erhebung des Landes, welche als secundäre Wasserscheide zwischen Sereth und Snezawa
im eminentesten Zusammenhang mit den galizischen Karpathen sich befindet. So lange der
Fluß den bachartigen Charakter trägt, zwängt er sich durch ein enges Thal, durch das sich
Suczawa.
nur mit Mühe die Fahrstraße windet. Trotzdem wurde auch noch der Schienenstrang
hineingelegt, welcher Berhomet (ein Majoratsgut der Freiherren von Wassilko) mit Mezy-
brody verbindet und fest an die Fahrstraße sich schmiegt, so daß diese beiden stellenweise
kaum im Stande sind, sich auszuweichen. Zn beiden Seiten des kleinen Flusses stehen
namhafte Berge,'die an Waldreichthum, Höhe und Massenhaftigkeit immer mehr gewinnen,
je tiefer man in die Quellgegend des Flusses und seiner kleinen Nebenbäche dringt. Dort
finden wir die Lvpuszna mit dem Trawien (1225 Meter), die Strimka (1356 Meter),
die Fruntia (1073 Meter), den Wanezyn (1367 Meter), die Plesza (1329 Meter), den
Sznrdyn (1307 Bieter), die Mvczarka wetyka (1004 Meter) u. a. Die Bewaldung ist
hinsichtlich der Banmart keineswegs einheitlich; obgleich die Fichte vorherrschend ist,
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finden wir mannigfach vertheilt zahlreiche Laubbüume. Kommt zu diesem äußeren Bilde
auch noch die innere Gebirgsformation in Betracht, welche vorherrschend aus Karpathen -
sandstein besteht, der in schmalen Längsstreifen vom Menilitenschiefer durchzogen wird,
so werden wir genöthigt, diese weitläufigen Bergmassen als eine natürliche Fortsetzung
des galizischen Waldgebirges zu betrachten. Wir gewinnen hier die ersten Eindrücke einer
durch Erhabenheit und Naturgröße sich auszeichnenden Gebirgswelt, die wir ini Norden
und Osten des Landes entbehren. Wir athinen in vollen Zügen Wald- und Fichtenduft
ein, und was unserem freudig blickenden Auge entgegentritt, das sind meist pyramidale
Bergformen, die in unbeschreiblichem Reiz sich über uns erheben. Mit der Physiognomie
der Landschaft, die uns jetzt umgibt, beginnt auch allmälig das Bild der Fauna und der
Flora sich zu verändern; selbst der Mensch in seiner äußeren Erscheinung, seiner Wohnung
und seiner Lebensthätigkeit ist nicht mehr derselbe, der uns täglich in den Niederungen
begegnet. Es ist der Huzule, der ruthenische Gebirgsbewohner der Bukowina, der in den
endlosen Wäldern vom Holzschlag und sonstiger Waldindustrie lebt und ein ewig stilles
und freudenloses Dasein führt.
So ganz ohne örtliche Erweiterungen des Terrains ist dieses obere Thal des Sereth
nicht. In einer solchen liegt das Dorf Szipot-privat; in einer anderen das von Städtern
häufig besuchte Molkenbad Lopuszna und endlich in einer dritten Mezybrody, allerdings
alle blos aus einigen Landhäusern und ärmlichen Bauernhütten bestehend. In Mezybrody
wird das in den Bergen gefällte Holz in das enge Thal hinabgerollt, dort verkleinert und
schließlich zum Transport vorbereitet.
Bei Berhomet verläßt der Fluß seine bisherige nördliche Richtung und wendet sich
bogenförmig gegen Nordost, wo er von einem mächtigen Sumpfrevier empfangen wird.
Weidengestrüpp, Schilfrohr, feuchter Moorboden wechseln ab, häufig von Ackerfeldern,
Tristen und saftigen Weiden unterbrochen, aus welchen Hirtenknaben mit ihren kleinen
Rinderheerden weilen. Die Berge, die uns in den Gegenden des oberen Sereth entzückten,
nehmen an Höhe allmälig ab, und beschränken sich auf Hügelreihen mit markirten Rissen
und Furchen, die die Gebirgswässer erzeugt haben, oder sie zeigen schroffe Abhänge von
geringeren Dimensionen, die durch Erdabrutschungen entstanden sind. Ihrer inneren Structnr
nach bestehen sie aus Streifen von Tegel, Sand und Sandstein, Diluvialschotter und
Löß; ihr Äußeres zeigt theils kahle Bergflächen, theils magere Bewalduüg, in welcher das
Laub vorherrscht, namentlich die Charakterpflanze für die niederen Gegenden der Bukowina,
die Buche, daher der Landesnamen. Bei dem Dorfe Suczaweny nimmt der Fluß einen
kleineren Namensbruder auf, den sogenannten Kleinen Sereth, der ihm rechts zufließt,
nachdem er ihn - - durch ein niedriges Gebirgsterrain geschieden - - eine weite Strecke in
einem parallelen Bogen begleitet hat. Das für die Bewohnbarkeit günstigere Terrain des
Bukowina.
Bischöfliche Kirche — Commandaillenwohilung des
k. k. Gestütes — Glockenthurm der gr.-or. Kirche in
Radautz.
ersten hat es mit sich gebracht, daß zu
beiden Seiten seines Thales im Laufe
der Zeiten blühende Ortschaften ent -
standen sind, die von Wiesen und
Ackerfeldern umgeben werden, so
Slobodzia,Sadowa,Komarestie,Panka,
Storozynetz u. a. Schön und inter -
essant gestaltet sich für unsere Wan -
derung das Thal des Kleinen Sereth;
hierfinden wir Banilla mit schöner Fern -
sicht auf bewaldete Berge; Davideny
in der Nähe des Munezel, der nicht blos durch den schönen großen Jasinoutzer Teich
geschmückt, sondern auch auf seiner Nordwestseite durch Sümpfe gekennzeichnet wird;
Czudyn, mit einer rührigen Glashütte im Thale des Seretczel, eines Gebirgsbaches, der
zum Kleinen Sereth gehört. Ein anderthalbstündiger Weg führt uns über Krasna-Pntna
in die Lunca Frumoassa, eine reizende Berggegend, die vom Soldan und dem Petruszka-
wald gebildet wird. Verfolgt man das hohe enge Thal weiter aufwärts, so gelangt
man zum Gipfel der Petruszka selbst, der die höchste Erhebung (1145 Meter) in der
Wasserscheide des Kleinen Sereth und der Suczawa ist, von dem man aber der vielen
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benachbarten Berge wegen, die fast gleicher Höhe sind, nnr eine beschränkte Rundsicht
genießen kann.
Bei Czerepkoutz wird der Sereth van der Lemberg-Czernowitz-Jassyer Eisenbahn
überschritten, worauf der Fluß an Sümpfen, Mooren und Weidengebüschen vorüber nach
Südosten strömt. Hinter dem Dorfe Waszkoutz erreicht er die größte Ansiedlung seines
schales, Sereth, die älteste Stadt des Landes Bukowina, deren Rainen von den Hunnen,
nach einer anderen Vermnthnng von den Kleinrussen herstammen soll; denn diese wissen in
einer ihrer Sagen zu erzählen, daß die Stadt in der Mitte eines großen Waldes entstand,
worauf die slavische Bezeichnung Laroä^na (Mitte) ihr als Name blieb. Wie dem auch
sein möge, die Stadt hat eine reiche historische Vergangenheit, und weiß in gleicher Weise
von den Durchzügen der Gothen und Hunnen, wie von jenen der Magyaren, Kumanen,
Mongolen zu erzählen. Es gab sogar eine Zeit, in der sie über Anregung der Höfe von
Polen und Ungarn ein römisch-katholisches Bisthum beherbergte, in welchem nicht weniger
als sieben Bischöfe aufeinander folgten. Sie erhebt sich nur allmülig aus dem Thale
ihres gleichnamigen Flusses, der an ihrer Nordseite vorüber rauscht, zahlreiche Windungen
und kleine Inseln bildet, unweit Kindestie das Land verläßt und in Rumänien eintritt.
Ihre Ruine, über deren Ursprung mannigfache Sagen im Schwünge sind, und wobei ein
Fürst, Namens Saß, häufig genannt wird, liegt im Osten der Stadt auf einem Hügel, der
389 Meter über dem Meeresspiegel sich erhebt.
Snczawathal. Hier scheiden wir vom schönen Sereththal und begeben uns nach
Süden, in die waldlose Landschaft Horaitza, die 15 Kilometer hindurch über Berg und
Thal in schnurgerader Richtung nach der alten Poststation Graniczestie die Reichsstraße
trägt. Sie steigt aus dem Suczawathal, das uns westlich begleitet, in allmälig sich
erhebenden breiten Hügeln von 400 Meter Seehöhe, zeigt nur westlich von Graniczestie im
Jankulni 465 Meter und in der Styrka 487 Meter, besteht ans Löß mit Unterbrechungen
von Sand und Sandstein und trägt in unabsehbarer Reihenfolge Weizen- und Maisfelder,
hie und da auch Wiesen und Hutweiden. Auch sie wird zu den Kornkammern des
Landes gezählt und zwar nicht mit Unrecht, denn von ihrem Getreidemeer liegen
mit Ausnahme des Dorfes Balkvutz und eines einsamen Meierhofes, landesüblich
Odaja genannt, die Ortschaften Gropana, Balkoutz und Botuszanitza, Kalafindestie
und Szerboutz in so namhafter Entfernung, daß man von seinem momentanen Standpunkt
nur die Pappel- und Weidenbäume wahrnimmt, hinter welchen sich die Dörfer verbergen.
Der Reisende ist hier von aller Menschheit so ferne, wie fast in den einsamsten Gebirgs -
gegenden des Landes. Darum zählt die Horaitza, vermöge der traditionellen Raubanfälle
früherer Zeiten, keineswegs zu den beliebtesten Reisetvuren und wird besonders zur Nachtzeit
gerne gemieden. Ihre Monotonie wird nnr unterbrochen, wenn man aus dem Thal auf
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die breiten Bergrücken gelangt, von welchen sich die Fernsicht nach dem Westen und Süden
des Landes öffnet und die letzten Ansläufer der Karpathen in der Gestalt ferner blauer
duftiger Contouren sich erblicken lassen.
^>m -Lüden der Horaitza fängt das Terrain wieder mannigfaltiger zu werden an;
die Ortschaften treten näher an die Reichsstraße. Aus unmittelbarer Nähe oder mindestens
aus geringer Entfernung sehen wir Romanestie, Fogodisten, Meretzei, Hatna und
Petroutz. Als eine Culturstätte xar oxeelloireo erscheint dem Touristen die Ortschaft
Kalinestie, deren Besitzer Gustav Marin im Laufe der letzten dreißig Jahre aus der
früheren Wildniß ein großes ertrügnißreiches Landgut geschaffen hat. Auf einer Anhöhe
erhebt sich das schöne Schloß des Besitzers — ein Unicum unter den Landsitzen der
Bukowina — mit zwei Seitenthürmen und einein Hauptthurme versehen, die, im Rohbau
ausgeführt, dein stattlichen Gebäude das Aussehen einer mittelalterlichen Burg geben.
Alle diese Orte werden umrahmt von Wiesen, Gärten und Getreidefeldern, aber hinter
ihnen und südlich vonKalafindestie, Szerbontz und Kalinestie erheben sich wieder namhaftere
Hügel, mit einer Seehöhe von 450 bis 530 Meter, welche Laubwälder tragen, deren Stille
durch das Geplätscher zweier Büche, des Dragomirna- und des Petriczanka-Baches unter -
brochen wird. Mitten in dieser Waldgegend, die die Weißbuche einnimmt, und in welcher
oasenartig ein künstlich angelegter Nadelwald aus ?inus pieoa und Oinrw abies bestehend
anftritt, finden wir das griechisch-orientalische Kloster Mitoka-Dragomirna; der Wald
ist hier zwar einige hundert Schritte weit ausgerodet, aber dem freien Platze fehlt keines -
wegs das schmückende Gebüsch, das die hohen Umfriedungsmanern gruppenweise umsteht.
Diese mit mehreren Thürmen versehen, umschließen festnngsartig die Klosterkirche, das
Priesterhaus und sonstige Räume. Wir treten in die Klosterkirche mit jener Ehrfurcht ein, die
ein dreihundertjühriges Gotteshaus uns einflößt und werden von griechisch-orientalischen
Mönchen freundlich begrüßt, die in weite dunkle Gewänder gehüllt und mit krämpelosen
Hüten bedeckt, uns bereitwilligst mit allen Sehenswürdigkeiten bekannt machen, welche
Kirche und Kloster bergen. Zu diesen zählt auch das Grabmal ihres Begründers, des
Metropoliten der Moldau, Athanasius Krimka, welcher in derZeit des moldauischen Fürsten
Stefan Tomsza im Jahre 1602 den Ban unternahm. An den Lippvwaner Dörfern
Mitoka und Lippoweny vorbei, eilen wir wieder der Reichsstraße zu, die uns durch die deutsche
Colonie Jtzkany nach Überschreitung des Suczawaflnsses in die Stadt Snczawa führt.
Das ist die dritte Stadt im Lande, welche, dem Princip der Bukowiner Städte -
gründer gemäß, den Berg der Ebene vorzieht. Aus der östlichen und westlichen Thalsvhle
besehen, steigt die Stadt Snczawa steil auf; sie verfügt über wenig ebenes Terrain und
eignet sich darum auch wenig zur Entwicklung im Sinne einer Stadt. Nur im Süden und
'Norden ist die Steigung allmälig, was ihre Bewohner veranlaßt hat, die Wohnhäuser,
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Aus dem Lukawathale.
Stadt 40 Kirchen und 1600 Wohnhäuser gezählt habe, so muß man billig staunen, daß
die Spuren derselben so rasch vom Erdboden verschwinden konnten. Denn das, was wir
aus älterer Zeit wahrnehmen, beschränkt sich blos auf die fürstliche Schloßruine, die isolirt
in deren Hintergrund Blumen-, Obst- und Gemüsegärten sich befinden, längs der Straße
kilometerweit zu bauen. Die Blütezeit der Stadt liegt in jener fernen Vergangenheit, da
hier einige Fürsten der Moldau residirten. Sind die Angaben richtig, daß damals die
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auf einem zweiten Hügel steht, auf ein aufrecht stehendes Mauerwerk nordwärts an der
Berglehne, auf die längst aufgegebene stattliche Mirautzerkirche und endlich auf einen sehr
hohen Thurm, der heute elegant umfriedet, ganz isolirt dasteht, aber vor einigen Decennien
noch die Reste einer kirchlichen Baulichkeit neben sich hatte. Suczawa ist heute allerdings
rühriger, als es vor Jahren war; denn die Fürsorge der kaiserlichen Regierung hat der
alten Stadt manche wohlwollende Neuerung zugeführt, so das griechisch-orientalische
Obergymnasium, das k. k. Kreisgericht rc. Auch baulich hebt sich die Stadt von Jahr zu
Jahr. Von den acht Kirchen, die — mit Ausnahme der römisch-katholischen — alter-
thümliche Bauten im byzantinischen Stile sind, gehören fünf der orientalischen und zwei
der armenischen Bevölkerung; alle jedoch sind in ihrem Inneren gleichmäßig luxuriös
ausgestattet. Die Pfarrkirche zum heiligen Georg, die die sterblichen Überreste Johannes'
Novi, des Landespatrons der Bukowina, birgt, ist die Hauptkirche der griechisch -
orientalischen Bevölkerung und durch ihre Reliquien der Anziehungspunkt großartiger
Wallfahrten, an welchen sich am St. Johannestage 15.000 bis 20.000 Menschen aus
allen Theilen des Landes, wie nicht minder aus Galizien, Ungarn und der Moldau
betheiligen. Besonders schön ist die Lage der armenischen Kirche zu Zamka, welche sich
über einen Felsen erhebt, der westlich steil abfällt und von seiner Höhe eine überaus
malerische Fernsicht über die Ortschaften St. Jllie, Skeja Bunintza und einen Theil
des Snczawathales gewährt.
Von der Stadt, in deren Süden die Höhen- und landschaftlichen Verhältnisse jener
Hügel sich wiederholen, auf deren Rücken die Reichsstraße uns bis hierher geführt, wird
das Suczawathal etwa dreißig Kilometer weit zur Grenze zwischen der Bukowina und
Rumänien. Der schöne Fluß bietet des allgemeinen Interesses zu viel, als daß wir ihn
nicht auch stromaufwärts verfolgen müßten. Wir möchten in dem Sinne, wie der Ungar
die Theiß als seinen Hauptstrom auffaßt, ihn auch als den Hauptstrom der Bukowina
betrachten; denn sein Quellgebiet, wie nicht minder seine namhaftere Entwicklung liegt im
Rahmen seines Heimatslandes. Hier ist er geboren, hier ist er zum ansehnlichen Fluß
geworden; er kommt nicht aus der Fremde und setzt auch keinerlei Hoffnungen in die
Fremde. Thäte er dies, so würde er sich arg täuschen, denn sein Name geht in der
Fremde fast spurlos verloren und er selbst sinkt herab zu einem Diener seines nördlichen
Bukowiner Kollegen, des Sereth, dem er behilflich wird, in Rumänien ein stattlicher Strom
zu werden. Ist er es doch schon in der Bukowina! Wer ihn in den Überschwemmungstagen
des Jahres 1893 gesehen hat, der mußte beim Anblick seiner Hochfluten jenes Grauen
empfinden, das das menschliche Gemüth heimlich durchzittert, wenn uns entfesselte Elemente
am Leben und Gut bedrohen. In allen Tonarten heulte der Sturm, die Fluten brüllten und
die gewaltige Brücke bei Jtzkany, dreihundert Schritte lang, solid gebaut, mit riesigen
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Mauerpfeilern und Eisbrechern versehen, ächzte und stöhnte bei den Donnerschlügen, die er
unaufhörlich den riesigen Stützen versetzte, und krachte in allen Fugen, bis die Katastrophe
Plötzlich eintrat, und das schöne Geschenk, das Kaiser Josef ll. vor mehr als einhundert
Jahren dem Lande gewidmet hatte, ein Opfer der Sturmfluten wurde. Nur der dritte
Theil der vollkommen gedeckten und mit Bretterwänden versehenen Brücke war vom
Untergang verschont geblieben, doch in so desolatem Zustande, daß an eine Wieder -
herstellung nicht mehr gedacht werden konnte.
Nun gar so gewaltig tritt der Fluß in normalen Tagen nicht auf, aber durch die
Aufnahme der meisten Gebirgswüsser gelangt er schon innerhalb der Reichsgrenze zu
Kaczika.
kl
«
kl,'
ss kl
einiger Mächtigkeit. Sein Thal erweitert sich, je mehr wir in nordwestlicher Richtung
vorschreiten, und bildet in der Nähe der Stadt Radautz die einzige zusammenhängende
Ebene des Landes, mit vier Quadratmeilen im Umfange und wenigen sanften Boden -
anschwellungen. Sie wird von Bächen und kleinen Flüssen häufig durchschnitten, und
durch Chausseen und Landwege vielfach durchquert; selbst die Locomotive eilt genau
durch ihre Mitte, da eine Verzweigung der Hauptbahn Lemberg-Czernowitz die Stadt
Radautz mit der Eisenbahnstation Hadiksalva in schnurgerader Richtung in Verbindung
setzt. Allerdings ist auch dieses Flußthal nicht frei von Sümpfen und Mooren, aber
Wiesen und Ackerfelder decken fast überall den ebenen Boden, in dessen Mitte die kleine,
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aber hoffnungsreiche Stadt Radautz sich erhebt. Sie ist die einzige Stadt im Lande/die
sich in einem ebenen Terrain ausbreitet. Diesem Umstande dürfte es auch zuzuschreiben sein,
daß ihre Gassenanlage einer gewissen Correctheit nicht ermangelt. Berühmt in der ganzen
Monarchie ist das hier befindliche Staatsgestüt. Mehrere Ausflüge in die Umgebung
der Stadt sind sehr lohnend, so in die deutsche Kolonie Lichtenberg, nach Mardzina, in
das anmnthige Hardeggthal, nach Wollowetz und Milleschoutz, endlich nach der ungarischen
Ansiedelung Jstensegits, vor Allem aber nach Klimoutz und Biala Kierniea (UniMna
aldü), zwei Kolonien großrussischer Bauern, Lippowaner genannt. Von ferne schon
erblicken wir die Weißen Dächer des Klosters und des Bischofshanses, wie nicht
minder die schlanken Thiirme der stattlichen Kirchen, die, im byzantinischen Stile erbaut,
achtarmige Kreuze über ihren runden Kuppeln tragen.
Sobald wir Radautz und seine Ebene verlassen, beginnt das Suczawathal nach
und nach enger zu werden, so daß seine Breite auf einige Kilometer herabsinkt. Eine
Ausnahmserscheinung, wie sie auch außerhalb des Landes sich nicht oft wiederholen dürfte,
gibt sich in der Situation der vier Dörfer kund: Nen-Fratautz, Bitka, Ober-Wikow und
Straza, die im Laufe der Jahre zu einem einzigen Ganzen zusammenschmolzen und nicht
weniger als dreißig Kilometer Luftlinie die Nordseite des Flusses begleiten. Von Straza
an treten sowohl nördlich als südlich die Gebirge hart an die User der Suczawa heran,
wachsen rasch zu Höhen von 800 bis weit über 1000 Meter und gestatten in den engen
Thälern der Snczawazuflüsse noch hie und da einen entsprechenden Raum nicht blos den
Straßen und Wegen, sondern auch einzelnen Ansiedelungen. Im Thal der Suczawitza, dem
Hauptnebenflusse der Suczawa, finden wir die Glashütte Fürstenthal, etwas südlicher davon
Dorf und Kloster Suczawitza, welches letztere die Familiengruft des einstigen Hospodaren
der Moldau, Jeremias Mogila, birgt. Nordwestwärts, etwa zwei Stunden entfernt, liegt
im Thal des Putnabaches das Kloster Putna. Wer den Staub der Straße meiden will,
zieht es vor, von Suczawitza nach Putna über Fürstenthal zu gehen, denn hier führt durch
Wald und reizende Berglandschasten ein bequemer Saumweg, Anfangs durch das steile
Thal des Baches Woiwodiassa bis an den Südfuß des Berges Butka mare, hierauf über den
Rücken des Haczungoberges in das Thal des Veczevbaches, der in der Nähe des kahlen
Sandfelsens, der die sogenannte Einsiedelei des Eremiten Daniel birgt, in den Pntnabach
mündet. Das Dorf Putna wird von vielen ansässig gewordenen Zigeunern bewohnt und
besitzt eine große Dampfsüge mit Rollbahn.
Von Straza angefangen verengt sich das Thal der Suczawa derart, daß die
angrenzenden Berge kaum einen Kilometer weit von einander abstehen. Aber auch diese
Breite schwindet allmälig, und die Ortschaften Süden, Sipitul und Ulma lagern schon
ans den sanftansteigenden Bergseiten; nur bei Seletin und Szipot-kamerale finden noch
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Thalerweiterungen statt, welche jedoch in sehr beschränktem Maße benutzt werden, denn
auch hier ziehen sich Häuser und Gürte» ans die sanfte Berglehne und halten sich so in
sicherer Ferne vom gefährlichen Flußbett. Oberhalb Seletin finden wir eine mächtige
Klause, die einst die Bestimmung hatte, das Wasser der hier noch kleinen Suczawa der
Flößung dienstbar zu machen. Im Dorfe Szipot gewährt die Suczawa den Anblick
eines kleinen Wasserfalles. Derselbe fällt über schwarze, zackige Schieferklippen in die
Eisenau im Moldawathal.
dampfende Schlucht und gibt dem Thal, das von Fichtenwaldungen und namhaften
Höhen begleitet wird, die Physiognomie echter Gebirgswelt. Wer hört die Bukowina
auf, das gemüthliche Hügelland des Mais zu sein; hier beginnt für eine Anzahl
Menschen, die auf die magere Erdscholle des Gebirges angewiesen sind, der ernste
Kampf ums Dasein. Der menschliche Wohnort beschränkt sich auf zerstreute Weiler und
ärmliche Sennhütten, Wald reiht sich an Wald, Gebirg an Gebirge. Die Formen dieser
entsprechen ihrer inneren Structur, welche zunächst dem Karpathensandstein angehört, der
von breiten Adern des Menilitenschiefers durchzogen wird. Wo dieser im Süden aufhört,
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dort beginnt der schwarze sandige Schieser-Quarzsels und der schwarze bituminöse Kalkstein.
Der Laubwald tritt immer mehr zurück, die Tanne beherrscht die Höhen. Im Vorholz
guckt der Haselstrauch mit seinen gelblichweißen Kätzchen hervor, die Herbstzeitlose erhebt
ihr violettes Köpfchen und schmückt die Alpenwiese. Mit dem Jzwor, einem Quellbach
der Suczawa, der auf der Nordseite des Wisznitzki-Waldes entspringt, gelangen wir
ans ein geographisch wichtiges Gebirgscentrum. Hier finden wir den Knotenpunkt
mehrerer Bukowiner Karpathenüste, jene wasserscheidenden Berge, welche gleichzeitig die
Quellen der Zuflüsse der Goldenen Bistritza, der Suczawa und der Moldawa entstehen
lassen. Sie bilden ein buntes Gewirre von kleineren und größeren Erhebungen, die zwischen
1450 und 1560 Meter absoluter Höhe schwanken: die Stara Wibczina im Westen, die
Bobeika südöstlich davon, den Hroby östlich vom Wisznicki-Las (Wald) mit der Kamienka
und dem Stirbul.
Moldawathal. Etwas nördlich vom Dorfe Moldawa entspringt der Fluß gleichen
Namens. Das kleine schmale Gewässer, das von Weidenbäumen und Rispengräsern
umstanden wird und die Bachstelze anlockt, hat ein sehr geringes Gefälle, läuft anfänglich
beinahe in der Straßenrinne und wird erst durch die Aufnahme des Lukawabaches etwas
größer. Ungleich interessanter, als das Moldawathal hier ist, gestaltet sich das Seiteu-
thal der Lukawa, das auf sehr gutem Fahrwege zur Alm Luczina führt. Dieser wird
von Nadelhölzern begleitet, die so hart an den Weg treten, daß sie häufig ein geschlossenes
Dach über dem Haupte des Reisenden bilden. Auf der Westseite dieses Thales erhebt sich
der Stirbul, auf der Ostseite die Gaina, an deren nördlichen Fuß der Kokoszul stößt, beide
letzteren durch eine Volkssage bekannt. Während auf den oberen Theilen der genannten
Berge Wald und Wiesen wechseln, zeigen die Hänge derselben zahlreiche Stellen mit
mauerartig sich erhebenden, nackten Kalkfelsen. Aus den Rissen und Spalten dieser Felsen
ragen majestätisch vereinzelte Fichten und Föhren hervor; ein buntes Gewebe von Gräsern
und Kräutern, das hie und da die Weißen Wände schmückt, vollendet das liebliche Bild.
Ähnlichen Felserscheinungen begegnen wir manchmal auch auf der Ostseite der Moldawa,
sobald wir in die Thäler der zahlreichen Zuflüsse derselben schreiten, die hier vom Weszi
welikij, vom Hrebenec, von der Poreika und vielen anderen Bergen abfließen. Dieser Theil
der Wasserscheide zwischen Moldawa und Suczawa, in welchem der numulitenführende
Karpathensandstein vorherrscht, bildet mit seinen vielen Erhebungen, wie Paskan
(1483 Bieter), Kruhka Kiczera (1434 Meter), Magnra (1359 Meter) und Tomnatik
(1350 Meter) eine bedeutende Gebirgsmasse, die in ihrer Streichung nach Osten allerdings
an Höhe abnimmt, südlich aber in ähnlicher Mächtigkeit sich behauptet, indem noch immer
Berge, wie die Piatra Tuskului (1236 Meter), der Bobetz (1229 Meter), der Deal
negru (1221 Meter), der südöstliche Tomnatik (1297 Meter) und andere das nördliche
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ilfer der Moldawa begleiten. Überall finden wir hier Urwälder in endloser Ausdehnung.
Das Medium des Touristen ist das Pferd; aber auch der Ritt muß manchmal unter -
brochen werden, da nicht jede Stelle zu Pferde passirbar ist. Die einsamen Waldwege,
die nicht allein durch die Thäler, sondern auch über die Rücken der Gebirge führen, sind
indessen lohnend genug; denn kaleidoskopisch wechseln die Landschaften von namhafteren
Höhen besehen und verschaffen uns die Möglichkeit, nicht nur das reizende Bild der Nähe,
sondern auch das großartige Gemälde der Ferne in vollen Zügen zu genießen. In dieser
Richtung zeichnen sich aus die Pojana Zagriwa, die Obczyna Kurmatura, die Pojana
Turkulowa und Korohana nebst der Bitka und der Alpe Feredeu.
„Adam und Eva" bei Pozoritta.
Das obere Moldawathal ist kaum 200 Schritte breit, indessen nimmt häufig auch
diese Breite ab und es treten derartige Verengungen ein, daß der Fahrweg, der den Fluß
öfter überschreiten muß, genöthigt ist, geeignete Stellen (am Fuße des Gebirges) zu suchen,
was das Reisen zu Wagen sehr beschwerlich und mitunter auch gefährlich macht. Nur bei
den Ortschaften Briaza, Kimpvlung, Pozoritta und Wama gibt es Terrainerweiterungen,
die zur Gründung menschlicher Wohnsitze benutzt wurden. Diese entsprechen in ihrer
horizontalen Entwicklung ganz dem engen Raum, der ihnen hier gegeben ist, und ziehen sich
längs des Flusses und Gebirgsfußes hin, ohne die Breite eines Kilometers zu überschreiten.
Das Thal der Mvldawitza, des größten linken Nebenflusses der Moldawa, tragt
eine im Dienste der Aktiengesellschaft für Holzgewinnung in der Bukowina stehende
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Schleppbahn, und erweist sich für die Bewohnbarkeit ungleich günstiger, denn schon in der
Ursprungsgegend der Moldawitza, südlich von der Sihloia (1225 Meter), einer der
namhafteren Erhebungen dieser Wasserscheide, liegt das kleine Dorf Ardzel; südlicher die
Dörfer Moldawitza, Frendenthal und Frumoassa. Bei Wama vereinigen sich die beiden ?
genannten Flüsse und fließen nach Südvst, wo sie ober Gnra-Humora den Humorabach
und unter Gnra-Humora den Bnkoveczorbach aufnehmen. Das Thal des Baches Humora
birgt nicht blos das gleichbenannte Dorf, sondern auch ein altes griechisch-orientalisches
Kloster und trägt jene Etappenstraße durch Wälder und Schluchten, die am Pruth bei
Hlinitza beginnt und hier im Moldawathal endet, indem sie in die Reichsstraße mündet,
die von Suczawa über Jliszestie kommt. Das Humorathal bildet die an malerischen
Landschaften reiche und beliebte Senke zwischen der Obczyna Kaczika und der Obczyna
niare, welche trotz ihrer östlichen Lage (wo das Gebirge allmälig an Höhe abnimmt und
in Hügel übergeht) noch immer ansehnliche Höhen aufznweisen vermag, so den Scoruset
(1220 Meter), die östliche Bvbeica (1209 Meter) u. a. In ganz gleicher Weise
interessant ist das Thal des Bncoveczvrbaches, in welchem nicht blos zwei schöne Chausseen
sich vereinigen, sondern auch die Localbahn Hatna-Kimpolung dem Moldawathal zueilt.
In der Nähe des Salzbergloerkes Kaczika, des bedeutendsten Montan-Jndustrie-
ortes der Bukowina, verläßt sie das Thal des Solonetzbaches, dringt unter mannigfachen
Windungen in das an Schluchten und Abgründen reiche Gebirge und eilt bald über sanfte
Berglehnen, bald über tiefe Niederungen dem Süden zu, wie bei Strigoja, wo sie einen
Viaduct Passirt, der über 15 Meter aus der Tiefe aufsteigt.
Bei der kleinen deutschen Ansiedlung Bukschoia öffnet sich das wenig betretene Thal
der Sucha, die mehrere südliche Büche aufnimmt und sie der Moldawa zuführt. Die
Mündungsgegend ist ziemlich flach und breit, und wird von Bergen begrenzt, deren
Seiten sanft ansteigen. Schilfreviere, Weidengestrüppe, Schotter- und Sandbänke begleiten
den Bach, daneben aber auch blumenreiche Wiesen, Felder, Gärten und kleine Bauern -
häuschen, die meist mit Schindeln gedeckt und von Fruchtkörben und kleinen Heuschobern
umstanden werden. Nur in Thalverengungen, welche oberhalb Stulpikany beginnen, ändert
sich die Scenerie. Trotz des ansehnlichen Umfanges, dessen sich dieses Gebirgsterrain
erfreut, ist die Bewohnung nur auf wenige Ortschaften beschränkt, so auf Schwarzthal,
Ostra, Negrileassa, Dzemine, Stulpikany und Dorothea, letzterer Ort einstens wichtig durch
seinen Eisenhammer. Im Osten und Süden von Ostra und Dzemine tritt die Gebirgs-
welt wieder in ihrer vollen Majestät auf. In den südlichen Verzweigungen des Raren
(1653 Nieter) finden wir Gipfel von 1490 bis 1622 Meter. Sie treten hart an die
Reichsgrenze und lassen uns von ihren waldlosen und domförmigen Kuppen weit in
die dnftumwobenen Fernen der siebenbürgischen und rumänischen Karpathenwildniß
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Hinausblicken. Südlich Vvn diesen Rareu-Verüstelungen erheben sich als nicht verschieb -
bare natürliche Grenzsteine des Reiches gegen Rumänien viele Bergkuppen, die gleich
Gliedern einer Kette anfcinanderfolgen und im Hrebin 1432 Meter, in der Bntka Oblink
^ 1477 Bieter und in der Tarnitza 1476 Bieter Meereshöhe erreichen; sie werden vvn
Streifen durchzogen, die dem Glimmerschiefer, dem Serpentin, dem Kalk des oberen Jura
^ und dem Quarzconglomerate angehören.
Die Serpentinenstraße von Vale Putna.
Das Moldawathal, eines der schönsten Thäler des Landes, bevor die Speculation
der Holzgewinnung mit aller Leidenschaft über die Wälder der südlichen Bukowina zu
fallen begann, wird vvn dem herrlichsten Gebirge, der Luezinakette, im Westen und Süden
begleitet. Die vielfachen zickzackförmigen Windungen und Verengungen, durch welche
die Reichsstraße führt, verhindern häufig jede Fernsicht. Bei Wama finden wir die vom
moldauischen Wojwvden Michael Rakowitza im Jahre 1716 errichtete Lenksäule, die in aus -
gewaschener, stellenweise ganz unleserlicher Schrift seinen Sieg über die Türken verkündet.
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Bei Eisenau, das Eisenhammerwerke in Betrieb setzt, treten die beiden Berge Sekatura
(731 Meter) und Rnnku Preszaka (1137 Nieter) so nahe aneinander, daß nur durch
Felsensprengungen die Schienenstraße gewonnen werden konnte. Endlich öffnet sich
uns das Thal der kleinen Stadt Kimpolung, die bei ihrer geringen Breite von
1000 Schritten nicht weniger als sieben Kilometer Lange zählt. Die Höhen rechts, die
uns bisher meist kahle Wandslächen zeigten, schwinden allmälig, um in einiger
Entfernung in Felder und Gärten tragende Hügel zu übergehen; erst nach mehreren
Kilometern (bei Pozoritta) werden sie wieder unsere stattlichen und reichbewaldeten
Begleiter. Die Höhen südlich, die continuirlich fortlaufen, gewinnen immer mehr an Höhe
und Mächtigkeit, wenn sie sich auch etwas entfernter hinstellen. Diese ihre etwas
bescheidenere Haltung kommt uns trefflich zu statten, denn sie gestattet uns eine aller -
liebste Fernsicht, die einem schönen Gemälde, reich an dom- und kuppelförmigen Bergen,
gleicht. Im Vordergründe heben sich der Rnnku (1142 Meter), die Bvdia (1082 Meter) und
die Kukoara (934 Meter) empor; hinter diesen sieht man die Wellenlinie anderer Berge,
namentlich die Kuppe des herrlichen Raren (1653 Meter), der von Kimpolung acht
Kilometer in der Luftlinie entfernt ist. Südlich in der Mulde des Gebirges liegt auf
rumänischer Seite das kleine Kloster Raren, das von drei griechisch-orientalischen Mönchen
bewohnt wird. Oberhalb des Städtchens Kimpolung, wo Kronprinz Rudolf am 9. Juli
1887 den Grundstein zur St. Nikolauskirche legte, liegt Sadowa, theils im Moldawathal,
theils an dem Bache gleichen Namens an den Berglehnen der Pietroassa und der Higia,
worauf wir zum Kupferbergwerk Pozoritta gelangen. Der Ort liegt in einem förmlichen
Kessel, gebildet von massiven Sandfelsen, die Pyramidenförmig aus dem Thal heraus -
wachsen wie die Thürme eines mittelalterlichen Bergschlosses. An die beiden südwestlich
isolirt dastehenden Berge Adam (1047 Meter) und Eva (1009 Meter) knüpfen sich
Volkssagen. Von Pozoritta und Louisenthal, zwei Ortschaften, die zur Förderung der
Bergwerksindustrie von Deutschen besiedelt wurden, beginnen die Thalverengungen, die
bis zur Ursprungsgegend der Moldawa sich fortsetzen, überall von namhaften Höhen
begrenzt werden und Straßenanlagen nur spärlich gestatten.
Bistritzathal. Die Reichsstraße, die uns durch das untere Moldawathal bis
Pozoritta geführt, lenkt jetzt südwestlich ein und läuft unter stets zunehmender Steigung durch
das Thal des Putnabaches nach Süden. An einer Militär-Barake vorbei, gelangen wir
in die Poststation Vale-Putna. Das kleine Dorf ist herrlich situirt am Fuße eines
langgestreckten Berges, des Strinsul, 877 Meter hoch; der Berg selbst zählt 1377 Meter.
Wir übersteigen den Rücken der Lnczinakette. Das Mestekanester Joch, das hier die
Chaussee 1099 Meter über dem Niveau des Meeres trägt, ist seiner kühnen Übersteigung
wegen weit bekannt. Die Chaussee ist stellenweise — wo die Wildbäche es nothwendig
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machen — solid untermauert und stammt noch aus der Zeit des Kaisers Franz l. Zur
Zeit Kaiser Joses II. soll hier blos ein Reitsteg gewesen sein, der aber aus Geheiß des
Kaisers, der diesen Weg zu Pferde passirte, in eine Chaussee nmgewandelt wurde. Unter -
halb der zweiten Serpentine befindet sich eine Quelle, an welcher Kaiser JosefII. seinen Durst
gelöscht und die herrliche Berglandschaft bewundernd ausgeruht haben soll. Alle Reize
einer Bergstraße vereinigen sich hier, um die Wanderung über das Mestekanester Joch
unvergeßlich zu machen. Fortwährend ansteigend bis zur wasserscheidenden Höhe macht die
Chaussee 24 Windungen; sie umstehen anfänglich hohe schlanke Fichten, von welchen man
aber gleich bei der folgenden Wendung kaum mehr als deren Gipfel sieht. Auch diese
verschwinden in den Schluchten und mit ihnen die Gipfel derjenigen Bäume, die, riesig
und mächtig, ihnen gefolgt waren. Allmälig befindet sich der Wanderer in schwindelnder
Höhe und übersieht, insoweit es die bewaldeten Berge rechts und links gestatten, einen
Theil der wunderbaren Gebirgswelt der Bukowina. Tiefe Stille herrscht hier; es ist die
Stille der Waldeseinsamkeit; nur ein plätschernder Gebirgsbach stört sie, wenn wir in
seiner Nähe uns befinden, oder es ertönt das lustige „Trara" des Posthornes jener
kaiserlich-königlichen Diligence, welche in Ermangelung der Eisenbahnverbindung zwischen
Bukowina und Siebenbürgen den beiderseitigen Postverkehr vermittelt. So an nackten
Felsen und bewaldeten Bergen vorbei, eilen wir dem Thal der Goldenen Bistritza zu,
wo wir rasch und ohne Vermittlung, nur links um den Fels einbiegend, von dem
freundlichen Bergorte Jakobeni ausgenommen werden. Neues Leben begrüßt uns hier;
Eisengießereien, Hütten- und Hammerwerke beschäftigen eine Anzahl thätiger und
strebsamer Menschen. Wenn wir des Abends hier eintreffen, so gewährt uns Jakobeni
ein ungeahntes Schauspiel: Myriaden von Feuerfunken entsteigen den Hochöfen und
erleuchten den Luftkreis des kleinen Weichbildes. Der Ort beherbergt hauptsächlich deutsche
Kolonisten, wie sie in den Gebirgsgegenden der Bukowina im Dienste der Montanindustrie
häufig Vorkommen. Freundliche Landhäuser lachen uns entgegen; in den Fenstern gewahren
wir Weiße Vorhänge und farbige Blumentöpfe, hinter den Stacketen vor dem Hause winkt
uns der Hollunder- und Rosenstrauch, die Schwertlilie und die Nelke. Zwei Kirchen fallen
uns ins Auge, in deren einer wir Kanzel und Chor ganz aus Gußeisen zierlich verfertigt
finden. Auf dem nahen Berge Arszitza, 483 Meter über der Thalsohle, umgeben vom
Dunkel dichter Waldungen, erblicken wir, einem Schwalbenneste gleich, ein sogenanntes
Bremshaus, unter welchem bis an den Fuß des Berges eine Rollbahn angebracht
ist, die den Zweck hat, die Roherze aus den Gruben des Bergwerkes Arszitza zu den
Manipulationswerkstätten in Jakobeni zu überführen. Etwas entfernter von dem genannten
Orte finden wir die bedeutendste Erhebung dieser Gebirgsgegend, den Suchardzel
(1709 Meter), den wir mittelst Fahrweges bequem in drei Stunden erreichen können.
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Auf seinem Rücken gewahren wir herrliche Wiesen und Weiden, mehrere Alpenwirth-
schaften, große und kleine Heuschober, umfriedete Plätze und weit im Kreise weidende
Schafe und Ziegen, von großen Hunden beschützt. Die Hirten erscheinen in malerischer
Tracht, in grobleinenen Gewändern, breiten Ledergürteln und hohen, spitzen Wollmützen
aus selbstverfertigtem Loden. Die Rundsicht ans mehrere Bergriesen, wie Ouszor Askutzit,
Dorna Szara, auf das Kuhhorn in Siebenbürgen und die Czarnahora in Galizien, welche
beide letzteren häufig trotz des Hochsommers winterliche Gewänder tragen, ist wunderbar.
Die Fortsetzung unserer Wanderung gilt jetzt dem Mineralbad Dorna-Watra,
welches am Fuße des Bernarel (1324 Meter) gelegen, das Flußthal gleichen Namens
beherrscht. Hier fließt die Dorna, die den Siebenbürgischen Karpathen entströmt, in die
Goldene Bistritza und eilt mit dieser einige Kilometer ostwärts, bis sie am Fuße des
Berges Kretz (1443 Meter) nach Rumänien tritt. Der Ort hat eine freundliche Lage,
besitzt mehrere Sauerquellen, zwei Badehäuser und zur Aufnahme von Curgästen eine
Anzahl bequemer Wohngebäude. Dorna liegt 789 Meter über dem Meere, der Bernarel in
seiner nächsten Nähe erhebt sich aus der Thalsohle 535 Meter. Von seiner Spitze genießt
man eine romantische Fernsicht über die Gura Niagra und mehrere in Rumänien befindliche
Bergkolosse, nimmt den Abstieg auf seiner Ostseite und gelangt so wieder in das Thal der
Goldenen Bistritza. Um uns jedoch länger an dieser herrlichen Gebirgslandschaft zu
erfreuen, besteigen wir ein Saumroß, ein kleines, aber überaus kräftiges Huzulenpferd, um
am linken Ufer der Goldenen Bistritza abwärts zu wandern. Die Goldene Bistritza und
eine Reihe herrlicher Berge in Rumänien rechts, eine Reihe kahler, unbewaldeter Höhen
links begleiten uns. Haben wir die kleine aus etwa zwanzig Wohnhäusern bestehende
Ortschaft Kalinestie Passirt, so zwingt uns die zunehmende Enge des Thales das Flußufer
zu verlassen, um über Stock und Stein am Rande des südlichen Dzumaleufußes zu
wandern. So erreichen wir endlich das Thal des Kolbubaches, und stehen vor einer
Klamm! Wandartig erheben sich die mächtigen Kalkfelsen, sonderbare Gestalten und
Formen bildend. Wie wenn sie den Zweck hätten, Hüter des Flusses und seines wild -
romantischen Thales zu sein, verwehren sie jedem Eindringling buchstäblich den Weiter -
marsch. Dieser läßt sich nur dadurch bewerkstelligen, daß wir ihre Höhen mühevoll erklimmen
und auf zickzackförmigen Waldwegen weiter wandern. Die Rast einiger Minuten gibt uns
Gelegenheit, diesen Schauplatz Pittoresker Steingebilde zu betrachten, um dann unseren
Aufstieg auf die höchste Bergspitze des Landes, den Dzumaleu (1859 Meter), zu beginnen.
Tief in den Gründen rauscht der Kolbubach; anfangs linker Hand können wir ihn nicht
gefahrlos überschreiten, bis wir den bisherigen Waldweg, der aus den Szolbog (1425 Meter)
führt, verlassen und einen anderen Weg links einschlagen. Noch wandeln wir durch Wald
und Aue, aber diese verlassen uns immer mehr und wir werden stets deutlicher gewahr.
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daß wir uns der Grenze der Waldregion nähern. Endlich haben wir auch diese erreicht; uns
begleitet nach das Strauchholz der Zwergkiefer mit ihren aufsteigenden Ästen und grasgrünen
Nadeln. Aber endlich wird der Wechsel aus einer Zone in die andere unvermeidlich und weite
Bergflächen in helleren und dunkleren Farbentönen begrüßen uns in der wunderbaren Pracht
der Alpenflora. Auch diese Region haben wir schließlich überwunden und der harte Geröll -
boden mit dürftiger Vegetation stellt sich ein, bis wir die Spitze erreichen, die wir mit lautem
Jubelruf betreten. Entzückt von dem Panorama der fernen ungarischen, siebenbürgischen
und rumänischen Gebirge blicken wir unwillkürlich auch auf die nachbarliche Umgebung
des Dstnualeu. Die Kuppen des Raren, des Munczel (1592), der Piatra Doamna (1648),
des Djili (1639) und der Aluna (1667 Meter), die, insofern ihre Theile unserem Auge
sichtbar sind, titanenartig aus ihren Thälern aufsteigen, zeigen die herrlichsten Alpenbilder.
Im Süden des Dornathales bis zur äußersten Südgrenze des Landes findet ostwärts
die Gebirgswelt ihre weitere Fortsetzung, aber im Allgemeinen unter loserem Zusammen -
hang. Einzelne Berge, die aus grauem Trachit, aus Karpathensandstein oder aus
Glimmerschiefer bestehen, nähern sich sogar der Höhe des Dzumaleu, wie der Lnkacz
(1771 Meter), der Vurf Munczeilor (1776 Meter) und die Piatra Dornii (1651 Meter).
Der westliche Theil nähert sich seiner Plastik nach der Hochebene, die aber am äußersten
Rand in Hügeln übergeht. Die Reichsstraße, die bei ihrem Austritte aus dem Lande nach
Siebenbürgen 1117 Meter hoch liegt, läuft von Dorna in fast ununterbrochener Ebene;
an ihrer Ostseite dehnen sich Sümpfe, Moore (die ausgedehnten Moorfelder zuPilugany,
die Hofrath Ludwig aus Wien am 26. Juli 1894 einer wissenschaftlichen Analyse
unterzog) und Hutweiden abwechselnd mit Gestrüpp aus, das sich zur Jagd vorzüglich
eignet. Sogar dort, wo sich die obengenannten Höhen befinden, tritt das Sumpfland viele
Kilometer im Gevierte auf. Es ist eine freundliche Landschaft, die unserem Gemüth
wohl thut, denn das Auge wird durch nichts eingeengt und gewinnt großen Spielraum,
namentlich wenn es nach dem Westen blickt, wo das siebenbürgische Hochland durch
seine Vorberge vertreten ist. Aber trotz des ansehnlichen Terrains, das wir zu übersehen
im Stande sind, gewahren wir weder auf der siebenbürgischen, noch auf der Seite der
Bukowina menschliche Wohnsitze, außer zerstreute Alpenwirthschaften oder Straßenwirths-
häuser. Pojana Stampi ist die letzte kleine Ansiedlung in meilenweiter Runde. Sie besteht
aus einigen kleinen alten Häusern, liegt unmittelbar an der Reichsstraße und stößt östlich
an ein Sumpfgebiet, das in einer Länge von mehreren Kilometern von zwei Zuflüssen der
Dorna eingeschlossen wird. Erst in: Dornathal finden wir außer Dorna-Watra noch
Dorna-Kandreny und einige Weiler, die im Besitze von Mineralquellen sind.
Nirgends in: Lande hat der Tourist eine so vortreffliche Gelegenheit, eine Seiten -
ansicht der Bnkowiner Gebirgswelt zu genießen, wie hier. Schon an der siebenbürgischen
Die Bistritzaklamm im Kolbuthale.
Magma, nahe an der Grenze der Bukowina, wo die Reichsstraße l183 Meter iiber dem
Meere gelegen ist, beginnt ihr Genuß. Dieser währt mehrere Kilometer weit, und hört
erst bei Pojana Stampi aus. Die beiden Thüler der Dorna und der Goldenen Bistritza
bilden vor und nach ihrer Vereinigung die Linie, vor welcher sich die Gebirgsmassen
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der Suhardzel- und der Luczinakette in Reih und Glied stellen. Wahrhaft entzückend ist
dieser Anblick bei wolkenlosem heiteren Himmel! Theils steil, theils allmälig steigen diese
Bergkolosse aus der Thalsohle; wo sie es vermögen, dort gewähren sie Hütten und Häusern
einigen Raum, ja sogar hie und da einem dürftigen Obstgarten, der hinter dem Hause steht.
Aber dann schwellen sie rasch an, und erheben sich, durch Wasserstürze vielfach zerrissen,
zu stattlichen Höhen. Von einer wirklichen Bewaldung kann keine Rede sein; die Seiten
sind kahl und felsig, blos hie und da zieht sich eine Baumgruppe kettenartig durch eine
Abhangsrinne. So ist die Ansicht auf der ganzen Linie. Die Vorderreihe, die der
Ouszor (1642 Meter), der Bernarel (1324 Meter), die Gura Pleile (1546 Meter) u. a.
bilden, gleicht einer riesigen Burgmauer, aus welcher die Kuppen wie gewaltige Thürme
hervorragen. Hinter diesen Thürmen erheben sich die Spitzen anderer rückwärts stehender
Berge, bald höher, bald minder hoch. So der Suhardzel (1709 Meter), die Butja
Armanului (1565 Meter) re. Zu diesen Bergmassen, die ein mächtiges Kalklager bilden, mit
dem sich der Glimmerschiefer, der Gneis und die Hornblende vereinigen, gesellen sich noch
zahlreiche Erhebungen der siebenbürgischen Randgebirge, so der Runen Dunczrilor (1632
Meter) in Siebenbürgen, der Wulwii (1595 Meter) u. a. Jmponirend ist indessen die Gestalt
des Ouszor, der schon von Siebenbürgen aus gleich einer mächtigey Säule über alle seine
Collegen hervorragt. Seiner glücklichen Situation wegen verdunkelt er bei Weitem selbst
den Dzumaleu, welchen man, weil mächtige Berge ihn umstehen, erst aus der Gegend von
Pojana Stampi wahrzunehmen vermag. Wer schließlich der Ouszorspitze einen kurzen
Besuch macht, der von Dorna aus innerhalb vier Stunden ausgeführt werden kann, der
wird den beschwerlichen Aufstieg theils über, theils zwischen den mannigfaltigsten Felsen -
gruppen gewiß lohnend finden.
Von Dorna und Jakobeny führt eine der herrlichsten Chausseen der Monarchie
aufwärts nach Kirlibaba. Eingeengt durch mächtige Schiefer- und Kalkselsen, von
welchen einer menschliche Gesichtsformen zeigt, in welchen die Volksphantasie die Züge der
Kaiserin Maria Theresia erkennen will, strömt die Goldene Bistritza am Kosakenwald
und an der Fruntea (1350 Meter) vorbei, in deren Seitenthälern man die traurigen
Zeichen ehemaliger Mißwirtschaft erblickt, nämlich weite Strecken gefällter, faulender
Waldungen. Das Thal der Goldenen Bistritza ist hoch gelegen, denn beim Eintritte aus
Siebenbürgen in die Bukowina liegt ihr Bett dort, wo sie sich mit dem Grenzfluß Cibo
vereinigt, 960 Meter über dem Meere; ihr Gefall beträgt Per Kilometer durchschnittlich
vier Meter. Aus den erzreichen siebenbürgischen Berggegenden wird ihr durch zahlreiche
Zuflüsse häufig Gold zngeführt, das in früheren Jahren von Zigeunern herausgewaschen
wurde. Daher rührt ihr sonderbarer Name, der ihr bis auf den heutigen Tag geblieben.
Kirlibaba, das freundliche Dorf und ehemalige Silber- und Bleibergwerk der Bukowina,
MH
Das Bukowiner Gebirge von Pojana Stampi aus
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begrüßt uns aus einem engen Thalkessel, der von den Abhängen des Dadul (1527 Meter)
und der Flutorika (1347 Meter) eingeschlossen, sich nordwärts längs des Flutorikabaches
hinzieht. Dem Bergorte gegenüber, am Fuße der waldreichen Staniszoara liegt Lajosfalva
(Ludwigsdorf) schon ans siebenbürgischer Seite. Nur wenige Kilometer westlich von
Kirlibaba mündet der Tzibobach links in die Goldene Bistritza; dieser bildet von
seiner Ursprungsgegend an die Grenze zwischen Bukowina und Ungarn. Der Punkt,
welcher von einem etwa zwölf Meter hohen würfelförmigen Felsen markirt wird, ist nicht
bloß als triplax eonlininin zwischen Siebenbürgen, Ungarn und Bukowina interessant,
sondern auch seines landschaftlichen Charakters wegen, denn bewaldete Berglehnen und
steile nackte Felsen bilden seine nächste Umgebung. Längs des Tzibobaches gelangen wir
in hohe Gegenden der nordwestlichen Luczynakette. Wohin der Blick immer fallen mag,
gibt es weiße, vielfach zerklüftete Quarzfelsen, die meist mit der Steinflechte überzogen
sind. Am Westfuße der Tatarka (1552 Meter) finden wir eine Klause, worin das Wasser
des Kirlibababaches gesammelt wird, um das in den höheren Gebirgsregionen geschlagene
Holz der Goldenen Bistritza leichter zuzuführen, als dies durch die normale Wasser -
menge des Baches geschehen könnte. Bemerkenswerth sind die drei Tatarka-Nebenbäche
des Kirlibababaches, die links münden und zwei Tatarkaberge einschließen, deren
Namen zu den Reminiscenzen jener Zeit gehören, da die Tatarenhorden durch die
Bukowina zogen und ihre blutigen Einfälle in Ungarn machten. Die südliche Tatarka
ist die massivste und höchste. Westlich von der Klause erheben sich Rücken und Gipfel des
Jedul (1519 Meter); in ihrer Nähe ragen mehrere dem Nummulitenkalk angehörige Kuppen
des Tzapul hervor. Die Hauptkuppe liegt in der Mitte aller und zählt 1663 Meter
Seehöhe. Es ist ein wildes, zerklüftetes Stein- und Felswerk, namentlich die nördliche
Knppenreihe. Hier wiederholt sich der weite Ausblick nach allen Richtungen der Karpathen,
insbesonders auf den Inen (Knhhorn 2280 Meter), den Gebirgsstock des nördlichen
siebenbürgischen Randgebirges, der seine kolossalen Äste nicht blos nach der Marmaros
in Ungarn, sondern auch zwei derselben in die Bukowina sendet. Malerisch tritt stellenweise
die blaue Schlangenlinie der Goldenen Bistritza vor das Auge; sie wird von den zahlreichen
Windungen der Bergstraße begleitet, die über Kirlibaba nach Ungarn führt. Es ist ein
wahres Prachtstück jener Karpathenwelt, in welcher die Urwälder der Marmaros an die
Urwälder der Bukowina stoßen, die mit ihrem linearen Baumwuchs und ihren alten,
meist vermorschten Stämmen die rationelle Pflege der modernen Forstcultur noch wenig
oder gar nicht an sich erfahren haben. Hier haust der Bür, der Wolf, das Wildschwein;
gedeiht das Reh, der Hirsch und anderes Jagdwild, das jene Gebirgsgegend ängstlich
meidet, wo der Mensch seinem Tagewerke nachgeht, oder wo die todbringende Jagd -
büchse kracht.
Das Steinweib auf dem Wege von Jakobeny nach Kirlibaba.
Über Bergfüße und Abhänge, theilweise auch über den Rücken der Tatarkaberge
läuft in die Landschaft Luczina eine alte Straße, die für Seine kaiserliche Hoheit den
Kronprinzen Rndolf anläßlich feiner Reise in die Bukowina 1887 einer vollständigen
Wiederherstellung unterzogen wurde. Heute finde» wir kaum dürftige Spuren derselben;
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denn die zahlreichen Wildbüche, die gelegentlich starker Regengüsse entstehen, haben die
Straße bis zur Unkenntlichkeit verwüstet. Sobald wir eine kleine, aber äußerst dichte
Fichtenwaldung passirt haben, gelangen wir auf das Plateau der Landschaft, das von
mäßigen Bergen umgeben wird und 1262 Meter hoch liegt. In größeren und kleineren
Bestünden finden wir hier die Föhre und die Grauerle, unter den Strüuchern den
Brombeerstrauch und die Heidelbeere; die weiten Wiesen schmücken sich mit der Alpenrose
und dem Edelweiß, mit dem schwarzen Hahnenfuß und der orangegelben Arnica, die in der
Volksmedicin eine große Rolle spielt. Ein Blick nach Norden zeigt uns eine kleine
Ansiedlnng, die der Radantzer k. k. Pferdezucht-Anstalt angehört, und den Zweck hat, die
Staats-Gestütspferde meist englischer, arabischer und normannischer Abkunft während der
Sommermonate die vollste Freiheit genießen zu lassen. Trotz der Entlegenheit dieser Berg -
gegend, die viele Kilometer in der Runde kaum zwei oder drei Huzulenwirthschaften aufweist,
erfreut sich die Luczina ihrer seltenen Anmuth und Schönheit wegen vielfacher, mitunter
auch sehr vornehmer Besuche. Obenan stehen jene Ihrer kaiserlichen Hoheiten des weiland
Kronprinzen Rudolf (10. Juli 1887) und des Erzherzogs Peter Ferdinand (29. Juli 1895),
die über die Schönheit der Landschaft ihr Wohlgefallen laut zum Ausdrucke brachten.
Westwärts von der Luczina gelangen wir in die Landschaft Bvbeika, deren Wiesen
auch den Staats-Gestütspferden dienen, und von da, ans Fußsteigen über Berglehnen, nach
der Stara Wipczhna und dem Czarny-Dik. Die Thalengen werden hier häufig durch
feuchten Moorboden, felsige Flußmündungen, faules Holzwerk und Schluchten so
unpraktikabel, daß selbst das Saumroß nur mit Mühe fortkommt. In dem nördlichen Theil
der Stara Wipczhna finden wir oft Sümpfe, die den Kirlibababach begleiten, der hier
seine Quellen hat. Von hier gelangen wir auf die Doszczina (1461 Meter), die eine sanfte
waldlose Erhebung bildet und in ihren Thälern die Quellen zweier Gebirgsbäche trägt,
der Kobilora (zur Snczawa) und der Sarata (zum Czeremosz). Dieser Berg in Verbindung
mit der Horoszina im Osten und dem Hreben im Westen ist die wasserscheidende Höhe
zwischen dem Czeremosz, der Snczawa und der Goldenen Bistritza.
Czeremoszthal. Theilweise auf waldlosen Rücken, nur wenig durch tiefe Ein -
sattelungen gestört, gelangen wir mittelst des Saumweges ans die Höhe des Tomnatik
(1567 Meter) und des Jarowetz (1580 Meter), deren beide Kuppen der Saumpfad umgeht,
worauf wir nach Überschreitung der Jalowiczora und ihrer kleinen Zuflüsse und nach
Überwindung mannigfacher Schwierigkeiten ans den Hrebeniszcze (1424 Meter) und die
Lossowa (1429 Meter) kommen, in deren Seitenthälern hie und da eine Sennhütte oder
ein einsames Huzulenhaus sich erhebt, das aus Holz gezimmert, mit Brettern bedeckt und
mit Steinen belastet ist. Der Rücken der Lossowa ist breit und meist waldlos; Saum- und
Fußwege kreuzen einander und führen theils über die ganze Länge des Rückens, theils
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hinunter in die Seiten- und Querthäler, von welchen eines uns ermöglicht, auf die Höhe
der Bvrhenja (1144 Meter) zu gelangen, in deren Nähe westlich die Rösner Klause
einen kleinen Wildbach, die Stajka, zwingt, in wilden Wogen seiner Mündung znzueilen.
Vom Parallel der Borhenja beginnt es im Westen und Norden dieser Gebirge sich nach
und nach wieder zu regen. Wir finden den Menschen in Ansiedlungen von vier oder fünf
Häusern, selten von mehreren, öfter von noch wenigeren, und manchmal auch nur in einem
einzigen Hause in stundenweiter Entfernung von anderen Nachbarn. Ein armseliges
Holzkirchlein in vollkommenster Abgeschiedenheit versammelt Menschen aus meilenweiter
Ferne, freilich nur zu heiligen Zeiten. Selbst weit nördlicher zwischen den Culturthülern
Sereth und Czeremosz wiederholt sich diese Menschenöde. denn das Terrain in seiner
Berg- und Waldmonvtonie ist zu Wohnsitzen nicht geeignet. Wochen vergehen, bis ein
Mensch dem andern einen Besuch abstattet; der tägliche Rapport geschieht keineswegs durch
„laufende Boten", wohl aber dadurch, daß ein Nachbar von der einen Alpe dem anderen
Nachbar auf der anderen Alpe die Nachricht zürnst, welche Familienereignisse oder
behördliche Anordnungen betrifft; so fliegt die Kunde zum dritten und vierten und wenn
sie von allgemeinem Interesse ist, auch durch die ganze Gebirgsgegend.
Von der Borhenia gelangen wir nach Überschreitung der Stajka unterhalb der
aufgelassenen Rösner Klause auf die Morozioska-Wibczyna (1137 Meter) und die Risza
(1032 Meter). Ein Bild von diesen und allen jenen Gipfeln, die wir hier mühevoll
ersteigen, belehrt lins, daß wir innerhalb eines viele Quadratmeilen betragenden Terrains
uns befinden, welches ein förmliches Meer von kleineren und größeren, mehr oder weniger
bewaldeten Bergen in ununterbrochener Reihenfolge einschließt. Im Allgemeinen nehmen
aber die Höhen ab; sie schwanken zwischen 600 und 1400 Metern. Ihrer inneren
Formation nach entsprechen sie dem Karpathensandstein, durchzogen von Lagern des
Menilitenschiefers. Die verhältnißmüßig tiefen Thäler lassen sie bei weitem höher erscheinen,
als sie in Wirklichkeit sind. Ihre Überschreitung ist manchmal lebensgefährlich, denn
nicht selten gähnen uns Schluchten und Abgründe drohend entgegen, wo wir an steilen
Berghängen den Übergang forcieren. Manche dieser Berge stehen geradezu im Ruf der
Unzugänglichkeit. Der Szurdyn (1307 Nieter) zwischen der Lessncta und dem Roszyszny-
berg auf der Wasserscheide zwischen Sereth, Suczawa und Czeremosz unterbricht bei Szipot
privat die regelmäßige Passage für viele Kilometer. Über den Berg führt ein jämmerlicher,
seit Jahren aufgelassener Landweg, der an den Seiten des Berges mehr als zwanzig
unverzeihlich lange Windungen macht, die so gestaltet sind, daß man fast ebensoviel nach
rückwärts wandern muß, wie nach vorwärts, wenn man überhaupt weiter kommen will.
Die Risza ist eine schöne zweikuppelige Alpe, die sich eines reichen Blumenteppichs
erfreut; in allen Farben und Formen lacht uns dort die Alpenflora entgegen. Die Rücken
ihrer Verästelungen tragen viele vereinzelte Huzulenhänser, fallen im Westen rasch ab,
dehnen sich dagegen im Osten und Norden so lange ans, daß sie mehreren Einsattelungen
Raum geben, bis sie das Thal des Putillabaches erreichen. Einer dieser Rücken führt
uns auf die Bergstraße, die die beiden Hauptthäler der Suczawa und des Czerenwsz
miteinander verbindet. Die ersten Ortschaften nach langer Wanderung Ploska, Serdze
und Storonetz-Putilla (Geburtsort des rnthenischen Dichters Osip Fed'kvwiez) begrüßen
uns hier, von welcher wir nach Toraki, Kisselitze, Dichtinetz und Uscze-Putilla eilen. Unter
allen diesen Ortschaften tritt Storonetz-Putilla allein als ein respeetableres Dorf auf, das
sich eines inneren Zusammenhanges erfreut. Allen übrigen fehlt derselbe mehr oder minder,
denn in der Art des Huzulen, der die Thäler und Berge des Czeremoszgebietes allein
bewohnt, ist es nicht gelegen, ein im engen Verband befindliches Gemeinwesen zu begünstigen.
Ein einziges Huzulendorf breitet sich über das Terrain vieler Quadratkilometer aus, ohne
Rücksicht auf Berg oder Thal zu nehmen; denn eine Wirthschaft enthält außer Haus und
Hof noch Wiesen und Äcker, Garten und Wald. Dasselbe wiederholt sich bei der zweiten,
dritten und vierten Wirthschaft, und so geht das fort. Daher gehören Huzulendörfer fast
zu den unsichtbaren Dingen; ihr verläßlichstes Erkennungszeichen ist das Pfarrhaus, die
Schule und die Kirche, welche letztere fast überall als ein schöner stattlicher Holzbau auftritt,
geschmückt mit einem Hauptthurm und mehreren Nebenthürmen, deren Kreuze sämmtlich
aus vier Balken mit acht Enden bestehen. Bei Uscze-Putilla — in dessen Nähe ein
475 Meter ansteigender Berg sich befindet, dessen Kuppe unwillkürlich an eine Bischofs -
mütze erinnert, weshalb der Berg Bischof heißt — gelangen wir längst des Putillabaches
in das Thal des Czeremosz, den wir hier als einen ziemlich entwickelten Gebirgsfluß
autreffen. Er ist in der Bukowina der namhafteste Nebenfluß des Pruth, und besteht aus
dem Schwarzen Czeremosz, der in Galizien und dem Weißen Czeremosz, der in der
Bukowina entspringt. Die Quellbäche des letzteren sind der Perkalab, der dem südwestlichen
Fuß des Czarny-Dik (1473 Meter) und der Sarata, die den Bergen Stara-Wipezyna
(1453 Meter) und dem Tomnatik (1454 Meter) entquillt. Im Thale des Perkalab, hart
an der dreifachen Grenze von Ungarn, Galizien und der Bukowina finden wir die
Kronprinz Rudolfs-Klause, die einen bedeutenden Holzreichthum auf den Weltmarkt
fördert. Sie repräsentirt sich als eine der schönsten Flußbauten der Bukowina, die von
namhaftem Umfang das durch drei von Winden gehobenen Wehren gesammelte Wasser
dem Czeremosz zuführt. Das Thal wird erst bei Jablvnitza und Koniatyn etwas breiter,
so daß kleine Ortschaften Raum darin finden. Wohin man blickt, ins Thal oder auf die
Berge, sieht man kleine Häuschen oder größere Bauerngehöfte. Dolhopvle und Stebne
werden von Abhängen umstanden, die der Semakowa (981), der Demnekowata (913),
dem Henzary (934), Kamenetz (964) und der Kiczera (952 Meter) angehören. Am Nordfuß
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der Kiczera vereinigen sich beide Czeremosz bei Usczerpki. Das Thal des Czerenwsz, das
an landschaftlichem Reiz jedes andere Thal der Bukowina übertrifft, wird schon durch die
zahlreichen Windungen interessant, die es von der Einmündung des Jakowiczorabaches zu
machen beginnt. Überall umstehen es namhafte Berge, die es mit ihren theils bewaldeten,
theils unbewaldeten Abhängen zwingen, eine andere Richtung einzuschlagen. Bei der Enge
des Thales ist eine Übersicht der Berge nur dann möglich, wenn man seinen Blick den
Fluß entlang richtet, oder wenn man das Bukowiner Ufer verläßt und das galizische betritt.
Da die Massage dort breit und niedrig, aus der Bukowiner Seite dagegen hoch und derart
schmal ist, daß nur an wenigen stellen zwei Wägen sich ausweichen können, so empfiehlt
sich das letztere als ungleich bequemer und zweckentsprechender. Bemerkenswerth ist das Echo,
das im ganzen Flußthal zu Hanse ist. Überaus malerisch erscheinen die Höhen, wenn sie
beim Auf- oder Untergange der Sonne erglühen, und wahrhaft herzerquickend ist der
Moment, wenn des Abends daS Alpenhorn erschallt, dessen Klang wehmüthig in die
dunkeln, schweigsamen -rhäler dringt. Von Jablonitza an beginnen Thalerweiterungen; mit
diesen treten blumige Wiesen und üppige Weideflächen aus. Der lang vermißte Anblick
freundlicher Obstgärten und Getreidefelder erfreut das Auge. Die schlanke, goldgelbe
Erscheinung der Sonnenblume niit ihren großen herzförmigen Blättern lenkt unsere
Aufmerksamkeit auf sich; dazu tritt der Gartenmohn mit seinen blaßrothen, überhängenden
Blumen. Ter Hans ift allgemein. Wo sich das Thal verengt, wie zwischen Dolhopole und
stebne und anderen Orten, dort freilich verschwindet für kurze Zeit das liebe Bild und es
treten alle jene Erscheinungen ans, die das Gebirgsthal charakterisiren. Beharrlich räumt
der Czeremosz seine Schotterbünke weg, die ihn im breiten Terrain eingeengt haben:
beharrlich nagt er an seinen felsigen Usern. Bon Gervllanhäufnngen und Sandbänken, die
die Spuren von Überschwemmungen wären, von Lachen, Sümpfen, Tümpeln, Mooren,
von alledem läßt sich nichts gewahren; hier macht der Fluß seine unbedingte Herrschaft
geltend und die Passage, welche die Ortschaften in Cvntact hält, muß sich ernstlich beglück -
wünschen, daß sie in solchen Thalengen überhaupt existirt. An verschiedenen Stellen des
rechten Czeremoszusers ist der Weg in die Felsen eingehanen; dem Touristen wird es oft
genug recht unheimlich zu Muthe, wenn er die über seinem Haupte hängenden Schieferfelsen
erblickt, die bei geringer Berührung graublaue Plättchen zu Boden senden, begleitet von
jener Nässe, die beständig von den Felswänden herunterrieselt. Daß Felsabrutschungen
hier nicht zu den seltenen Dingen zählen, beweisen die vielen Felsblvcke, die theils an den
Usern, theils mitten im Flußbett des Czeremosz liegen und daß derartige Vorkommnisse
häufig mit Unglücksfällen verbunden sind, beweisen die zahlreichen alten und neuen Kreuze,
die ans dem Bergabhang zwischen Fluß und Weg die Unglücksstätten markiren. Meiden
ivir die straße und besteigen wir die Berge, so finden wir häufig neben bescheideneren auch
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wohlhabende Wirtschaften, die für jede bäuerliche Bequemlichkeit sorgen. Auf der Straße
begegnen wir dem Huzulen zu Fuß und zu Pferd mit dem federgeschmückten Filzhut, den
rothen Hosen und dem stereotypen langen Messinghäkchen, ohne welches er weder einen
Spaziergang, noch eine Reise antritt. Freundlich zieht er vor uns den Hut ab, und
wünscht uns eine glückliche Weiterreise. Oft sehen wir neben ihm sein Weib oder Mädchen
hoch zu Roß, gewöhnlich auf vollen Säcken sitzen, mit dem Spinnrocken und der Spindel
in den Händen. Auch ans dem Flusse selbst begegnen wir dem Huzulen, der in großen
Mengen die Erzeugnisse seiner Holzindustrie in die benachbarten Orte des Unterlandes
bringt. Der Czeremosz ist für ihn eine wichtige Eommunicationsader, namentlich im
Dienste der Holzflößung. Die schlanken Stämme der Wälder werden in langen Reihen
zusammengekoppelt, mit Schindeln, Brettern, Latten und allem möglichen Holzgeschirr
beladen, und flußabwärts geht es mit reißender Eile den Czeremosz entlang, von der
kundigen Hand zweier oder dreier kühner und gewandter Männer in den Pruth gelenkt,
der die ganze Holzexpedition den Donauländern und dem schwarzen Meere zuführt.
Im Norden von Uscze-Putilla, umgeben von allen Reizen einer wundervollen
Gebirgsromantik, liegen die Ortschaften Mareniezeny, Petraszeny und Rostokst weiter
nördlich Podzaharycz und Zolotny, dann MeWrody und am Thalausgange Wiznitz.
In mehreren dieser Ortschaften liegen stattliche Mengen von Holz aufgeschichtet,
theils in Klaftern geordnet, theils in Brettern, Balken, Blöcken u. s. w. abgetheilt.
Zwischen Rostoki und Wiznitz verläßt die Chaussee das Hauptthal des Czeremosz und
steigt den Berg Nimczicz hinan, der sich mehr als 400 Meter über die Thalsohle erhebt.
Die Steilheit der fast kahlen Bergseite, wie nicht minder die durch Regengüsse hart
mitgenommene Chaussee macht diesen Aufstieg nicht wenig beschwerlich und gefährlich, aber
endlich hat man die Paßhöhe erreicht, und befindet sich auf einem Punkte, der uns die
ungehemmte Aussicht über einen Theil des Hauptthales, ebenso über mehrere Gebirgs-
kuppen der galizischen Karpathen und auf die Bukowiner Berge, den Huznlski Werch
(704 Meter) und die Czeresznia (878 Meter) gewährt. Während die Westseite des
Nimeziez fast vollständig als kahle Bergflüche sich präsentirt, ist seine Ostseite dicht
bewaldet. Auf einem besser erhaltenen, mehrere Serpentinen zählenden Straßenkörper
gelangen wir endlich in das Thal des Wyzenkabaches, in ein Thal, das schöner und
herrlicher kaum gedacht werden kann. Unser Weg windet sich an den Wäldern Tatalowa,
Benköw und Tvkarka vorbei, die in ihrer östlichen Erstreckung bis in das obere Thal des
Großen Sereth reichen und die Stätten zahlreicher Alpenwirthschaften bilden. Ihre
Spitzen sind die Tatalowa (930 Meter), die Kernecza (878 Meter) und der Kuriköw
(845 Meter). Hier in dieser hochinteressanten Bergpartie zwischen dem Wyzenkabach und
dem Czeremosz finden wir den endlichen Abschluß aller zusammenhängenden Gebirgsmassen
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des Landes. Zum letzten Mal treten uns schöne Bergwiesen und kühne Bergformen
entgegen, die sich mit ihrem herrlichen Wälderschmuck phantastisch über uns erheben. Aber
dann endet alle Gebirgsfreude. Bei Zototny, an dem westlichsten Punkt dieser Bergpartie,
bildet der Czeremosz eine starke Stromschnelle, die mit aller Wucht an das galizische Ufer
stößt, so daß die Fluten mit brausendem Geräusch hoch aufschäumen. Hier erhebt sich der
unter den Huzulen sagenberühmte Berg Sokölski (857 Meter); gegen den Czeremosz fällt
derselbe in mauerförmigen Kalksteinfelsen ab, die etwa 200 Schritte weit laufen, in ihren
oberen Steinschichten sich vielfach zerbröckeln und die losgelösten Stücke abwärts fallen
lassen, wodurch jedes Jahr einige Stunden hindurch die Straße unpraktikabel wird, oder
sogar kleine Flußstauungen eintreten. Der Marktfleck Wiznitz ist die einzige Ortschaft, die
im ganzen westlichen Theile der Bukowina ihre Einwohnerschaft nach Tausenden zählt.
Sie steht mit der galizischen Stadt Kuty im innigsten Zusammenhang, vermittelt den Handel
zwischen dem Gebirge und dem Unterland und hat für die orthodoxe Judenschaft insoferne
einiges Interesse, als auch hier ein Wunderrabbi einen Wirkungskreis gefunden hat, wie
in Sadagöra. Während wir von Wiznitz aus Fluß und Thal des Czeremosz weiter verfolgen,
streifen wir jenes breite flache Terrain, welches die Quellen mehrerer Zuflüsse des Großen
Sereth birgt. Abgesehen von Czornohuzy, das am Fuße einer leichten Bodenanschwellung
liegt, die die Wasserscheide zwischen dem Czeremosz und Großen Sereth trägt, lagern die
wenigen Ortschaften, wie Bahna, Czereszenka rc. am Nordfuße derselben; zwei deutsche
Ansiedluugen Alexandersdorf und Katharinendorf dagegen liegen mitten in der weiten flachen
Ebene, umgeben von Sümpfen und Mooren, welche reiche Schilf- und Weidenreviere bilden.
In jenen Berglandschaften, die noch zur Wasserscheide zwischen Pruth und Sereth gehören,
breiten sich mehrere ruthenische Ortschaften aus, wie Willautz, Zamostie, Karapcziu, Woloka,
Stanestie, Kalinestie, Zeleneu u. a. Alle sind von Hügeln umgeben, durch deren Thäler eine
Anzahl größerer und kleinerer Bäche, wie der Hlibiczok und die Wolyczanka dem Czeremosz
zueilen. Sobald dieser in die Ebene tritt, benützt er seine Freiheit, theilt sich torrentenartig
in mehrere Arme und wählt jedes Jahr ein neues Bett, so daß man sich gezwungen sah, einer
der beiden Brücken, die über sein Flußbett nach Waszkoutz führen, die Länge fast eines Kilo -
meters zu geben. Sandbänke, Inseln, Geröll- und Schotterhaufen, Schilfreviere und Weiden -
gestrüppe sind seine beständigen Begleiter und wir müssen billig staunen, wie die Ortschaften
Millie, Banilla ruska, Banilla siobodzia und Czartoria in solch' ruheloser Nähe prosperiren
können. In mehrere Arme getheilt, mündet der Czeremosz bei Zopeny rechts in den Pruth.
Vorgeschichte.
Sur Entwicklungsstütte einer selbständigen Cultnr hat sich die
Bukowina bei ihrer geringen Größe und bei ihrer durch die
geographische Lage bedingten Abhängigkeit von den Nachbar -
ländern niemals emporschwingen können, in vorgeschichtlicher
Zeit ebensowenig, wie in geschichtlicher. So sind denn die
Zeugen ihrer ältesten Vergangenheit von Vorneherein unter
dem Gesichtspunkte der Zuteilung zu den benachbarten archäo -
logischen Hauptprovinzen zu betrachten, und es fügt sich glücklich,
daß die wenigen Prähistorischen Funde, welche der Boden des
kleinen Landes bis jetzt herausgegeben hat, gerade hinreichen,
um erkennen zu lassen, welche Einflüsse in den verschiedenen
vorgeschichtlichen Perioden sich da vornehmlich geltend gemacht haben. Von den Nachbar -
gebieten kommen in erster Linie die im Osten der Bukowina mit ihr in unmittelbarem
Zusammenhänge stehenden Landstriche Moldau, Bessarabien und die weiteren Pvntns-
länder in Betracht, hierauf das im Norden angrenzende Galizien und endlich das
westlich gelegene, durch den breiten Gebirgswall der Karpathen abgegrenzte Ungarn.
Tnmulns bei Unter-Horodnik -
Steinwerkzeuge -
Thon-Idol von Sereth.
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In dieser Rangsfolge haben auch von uralters an bis in unsere Tage die drei
Gebiete die Culturentwicklnng in der Bukowina beeinflußt und je nach der Kraft dieses
Einflusses dem Lande eine mehrmals wechselnde Abhängigkeit bereitet. In den meisten
Fällen aber hat dieses Land die seiner Entwicklung durchaus nicht förderliche Eigen -
schaft eines vorgeschobenen, von einem jeweiligen Cultur- und Machteentrum weit
abgelegenen Postens, der alle von dort ausstrahlenden Vortheile nur in einer gewissen
Verdünnung erhalten konnte, zu tragen gehabt. Erst die neueste Zeit mit der Anwendung
ihrer zeitsparenden und entfernnngkürzenden technischen Erfindungen hat darin Wandel
geschaffen. Dementsprechend sind auch die Reste, welche ans den alten Zeiten auf uns
gekommen sind, verhältnißmäßig ärmlich.
Schon bezüglich der ältesten Schichten, in welchen die Anwesenheit des Menschen
in Mitteleuropa nachgewiesen ist, nämlich des Diluviums, nimmt die Bukowina die
Stellung eines Grenzpostens ein. Es ist bekannt, daß in dieser von den Prähistorikern als
ältere Steinzeit oder paläolithische Periode bezeichneten Epoche der Mensch in Mittel -
europa mit verschiedenen seither ausgestorbenen oder ausgewanderten Thierarten, wie dem
Mammuth, dem wollhaarigen Nashorn, dem Höhlenbären, dem Höhlenlöwen, dann dem
Renthiere u. s. w. zusammenlebte und daß die sparsamen Überbleibsel, welche seine
Anwesenheit bezeugen, mit den Knochen jener Thiere in dem gleichzeitig gebildeten
diluvialen Löß oder in Höhlen abgelagert sind. Zu jener Zeit war ganz Nordeuropa ein -
schließlich der norddeutschen und der polnischen Tiefebene mit ungeheuren Gletschermassen
bedeckt und daher vollständig unbewohnbar, so daß es in diesen nördlichen Ländern keine
paläolithischen Reste gibt. Der Rand der diluvialen Vergletscherung reicht mm ziemlich
nahe an die Bukowina heran und wir befinden uns somit hier nahe an der Nordgrenze des
damals bewohnbaren Theiles unseres Continentes. Die Lößablagerungen der Bukowina
haben schon einige Knochenreste der erwähnten Thiere als Belege für die Anwesenheit der
diluvialen Fauna geliefert; freilich viel weniger als die reichen Fundstellen Südrußlands.
Von den charakteristischen Zeugnissen für die Anwesenheit des diluvialen Menschen selbst,
wie bearbeiteten diluvialen Knochen, ganz rohen Steinwerkzeugen und dergleichen wurde
wohl uoch nichts gefunden, kaum daß einzelne, im Löß eingebettete Holzkohlenspuren als
bescheidene Anzeichen in Anspruch genommen werden können; aber es ist wohl nur
eine Frage der Zeit, daß die nunmehr allerwärts geschärfte Beobachtung auch hier
bessere Beispiele für die überaus primitive urälteste Cultur des Landes ans Tages-
' licht bringt.
Dem Menschen der jüngeren Steinzeit (oder neolithischen Periode) stand bereits
der größte Theil Europas einschließlich der südlichen Hälfte Skandinaviens offen und gerade
im Norden gelangte die Fabrication der für jene Zeit charakteristischen fein zugeschlagenen
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und polirten Steinwerkzeuge zur besten Entwicklung. Auch in der Bukowina sind bereits
relativ viele dieser Zeit angehörige Steinwerkzeuge vereinzelt und im Zusammenhänge mit
Thongefäßen und verschiedenen knöchernen Werkzeugen gefunden worden. Unter den
Einzelnfunden sind die aus Feuerstein zugeschlagenen und theilweise polirten Flachbeile
von Czernowitz, Duboutz, Franzthal, Kuczurmare, Onut, Pojana Mikuli und anderen
Orten, sowie die aus verschiedenen Hornblendegesteinen verfertigten durchbohrten Stein -
hämmer von Czudyn, Jaslowetz, Kaczyka, Zwiniacze w. recht charakteristische Vertreter ihrer
Gattung, und besonders die elfteren zeigen sowohl in der Wahl ihres Rohmaterials wie
in ihrer Form unverkennbare Analogien mit nordwestlichen, zum Theil weit entlegenen
Fundgebieten.
Von größerer Wichtigkeit als die Einzelnfunde sind die neolithischen Wohnplätze
und Grabstätten des Landes. Unter den bis jetzt bekannt gewordenen offenen Wohnplätzen
nimmt jener von Szipenitz am Pruth die erste Stelle ein. Aber auch die Funde aus den
Ziegeleien des südlicher gelegenen Sereth, sowie von den nördlicher gelegenen Orten
Chliwestie und Doroszoutz sind erwähnenswertst. Diese alten Ansiedelungen erscheinen fast
alle an Stellen, an welchen heutzutage, den vielen geschichtlichen Umwälzungen zum Trotz,
noch immer ein Dorf oder eine Stadt steht. Ein vollwichtiger Beweis für die natürliche
Eignung einer solchen Stelle zum menschlichen Wohnplätze. Die neolithischen Dörfer
bestanden aus kleinen Hütten, deren Wände aus Reisig geflochten und mit Lehm verkleidet
waren und deren Bedachung wahrscheinlich (so wie heute noch landesüblich) aus Schilf
oder Stroh bestand. Diese feuergefährlichen Wohnungen find gewiß auch oft von den
Flammen zerstört worden. Die Funde beweisen dies. In den 1 bis 2 Meter unter der
heutigen Erdoberfläche zu ergrabenden Culturschichten findet man oft Massen von grellroth
gebrannten Lehmfragmenten des Hüttenbewurfes mit den Abdrücken des vom Feuer
zerstörten Reisiggerippes. Dazwischen liegen dann die Reste von verschiedenen Feuerstein-
und Knochenwerkzeugen, Knochenabfälle von den Mahlzeiten, zahlreiche Thongefäßreste
und als Raritäten Bruchstücke von Thonfigürchen. Diese keramischen Reste sind das
eigentlich Werthvolle an den Funden. Unter den mannigfaltigen Formen der Gefäße
sind in die Augen springend große oft mehr als einen halben Meter im Durchmesser
haltende Vorrathsgefäße, verschieden große Topfgefäße, flache und tiefe Schüsseln und
merkwürdige Doppelgestelle, die wohl als Untersatz für kleinere Gefäße mit gewölbtem
Boden aufzufassen find. Dies ist alles mit freier Hand aus einem ziemlich feinen Lehm
geformt, gut geglättet, leicht gebrannt, von hellbrauner oder rother Farbe und mit
dunkelbraunen oder rothen Farben bemalt. Diese Bemalung ist nun eine ganz besondere.
Sie gefällt sich nicht in der Wiedergabe der an prähistorischen Funden so häufig
angewendeten einfachen geometrischen Ornamente, sondern sie erzeugt mit Vorliebe
Bronzefunde, skythischer Spiegel und Thon Amphora.
unregelmäßige, an Spiralen und Kreismuster
sich anlehnende Zeichnungen. Das Haupt -
verbreitungsgebiet dieser eigenthümlichen
neolithischen Thonwaare reicht weit in den
angrenzenden Theil Ostgaliziens
hinein. Die allgemeinen Be -
ziehungen der durch sie charakte-
risirten Culturstnfe erstrecken sich
jedoch auf einen viel weiteren
Kreis, besonders nach Süden hin. Dahin weisen ganz
besonders die Thonfigürchen, von welchen bis jetzt ein
kleines weibliches Idol von Sereth und ein leider mehr -
fach beschädigtes Rinderköpfcheu von Szipenitz auf -
bewahrt sind. Das weibliche Figürchen stimmt bis in die
charakteristischenDetails mit den zahlreichenAstarte-Jdolen
überein, welche von der Balkanhalbinsel, von Kleinasien,
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Cypern n. s. w. bekannt sind. Die durch diese Kategorie von Funden angeregten Studien
können hier nicht weiter berührt werden; nur der für unsere Chronologie daraus erwachsende
Gewinn sei erwähnt. Mit diesen Idolen gerathen wir nämlich in archäologisch gut stndirte
Provinzen und die von dort her abzuleitende Zeitbemessung deckt sich erfreulicher Weise mit
den localen Zeitbestimmungen und führt uns beiläufig in die Mitte des zweiten Jahr -
tausends v. Chr. In diese Zeit, für welche in den östlichen Mittelmeerländern bereits eine
hochentwickelte Metallcultur (z. B. die mykenische) nachgewiesen ist, wird für Mittel- und
Nordeuropa der Beginn der Kenntniß der Metalle, speciell der Bronze verlegt und es
stimmt sehr gut damit überein, daß unter den Funden von Szipenitz auch ein ganz kleiner
Bronzestift und ein winziges Bruchstück eines Bronzebleches angeführt werden.
Einen anderen Charakter zeigen die vertheidignngsfühigen Ansiedlungen jener Zeit.
Sie sind auf Hügeln oder Bergvorsprüngen angelegt und wurden manchmal mit einer
ganzen Reihe von einander gegenseitig schützenden Erdwällen umgeben. Bei Hliboka,
Hlinitza, Ober-Szeroutz, Kotzman n. a. O. sind solche prähistorische Wallbauten erhalten.
Wenn nun auch mit Sicherheit anzunehmen ist, daß zu ihrer heutigen Ausgestaltung
spätere Zeiten wesentlich beigetragen haben, so ergaben doch die Untersuchungen in Hliboka
und Kotzman auch Funde, welche zeigen, daß die erste Anlage dieser Wälle in die Steinzeit
zurückreicht.
Als neolithische Gräber sind einige Gruppen der im ganzen Lande zerstreuten, zahl -
reichen Tumuli erkannt worden, während die Mehrzahl dieser Hügelgräber aus späteren
Perioden stammen. Diese steinzeitlichen Tumuli dürften jedoch einer anderen Stufe
angehören, als die Funde von Szipenitz; denn während wir in den offenen Ansiedlungen
glatte, bemalte Thongefäße und aus Feuerstein angefertigte Werkzeuge antreffen, haben
z. B. die Tumuli von Unter-Horodnik bei Radautz kleine, gröbere, unbemalte Thongefäße
und durchbohrte Steinhümmer ergeben.
Die erste Metallzeitstufe, nämlich die Bronzeperiode scheint in der osteuropäischen
Tiefebene, an deren Rande die Bukowina liegt, keine große selbständige Entwicklung erlebt
zu haben. Dagegen hat sie in Ungarn zahlreiche eigenartige Formen in einer solchen
Menge von Fundstücken entstehen lassen, daß dieses Land zu den mit prähistorischen
Bronzen reichst gesegneten von ganz Europa gehört. So nimmt es uns denn nicht Wunder,
wenn während der Bronzezeit in der Bukowina der ungarische Einfluß vorwaltet und
sich fast alle dieser Periode zugehörigen Bronzefunde an die ungarischen Typen anlehnen.
Besonders gilt dies von den Hohlkelten von Folticzeny, Kotzman und Pressekareny, sowie
von den schönen Zierbeilen von Prelipcze, die geradezu als importirte Objecte betrachtet
werden können. Diese mit Recht als „ungarische Bronzezeit" bezeichnte Periode, deren
specifische Formen ihr ganz deutlich begrenztes Verbreitungsgebiet haben, reicht weit in
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die erste Hälfte des ersten Jahrtausends v. Chr. hinein. In ihrem Gebiete und im ganzen
Norden Europas ist das Eisen viel später in Aufnahme gekommen, als etwa in den Ost -
alpen und den Voralpenländern, wo sich schon vom Beginne des Jahrtausends an die
Hallstatt-Cultur unter reichlicher Anwendung des Eisens entwickelte. Deswegen kann auch
in jenen Gegenden der reicheren Bronzeentwicklung nicht von einem eigentlichen Auftreten
der Hallstatt-Cultur, sondern nur von einem sozusagen erratischen Vorkommen vereinzelnter
Hallstatt-Formen gesprochen werden. Die Bukowina hat bisher noch kein einziges specifisch
hallstättisches Fundstück aufzuweisen.
Für unser Land kommen gegen die Mitte des Jahrtausends die südöstlichen Cultur-
einflüsse in Betracht. Die große skythische Völkerfamilie, welche die fruchtbaren Ebenen
im Norden des Pontus Enxinus bewohnte und sicherlich einen ihrer Zweige bis an die
Abhänge der Karpathen vorstreckte, hat uns in den riesigen Grabhügeln Südrußlands
zahlreiche und zum Theil sehr kostbare Belege seiner eigenartigen, reich von der griechischen
Kunst übergoldeten Cultnr hinterlassen. Ein schwacher Abglanz davon ist gewiß in unser
Buchenland gedrungen. Ein im Lande gefundener Bronzespiegel sowie die in einem mit
Bruchsteinen umbauten Grabe bei Satulmare gefundenen zwei- und dreiflügeligen Bronze -
pfeilspitzen können als Anzeichen dafür in Anspruch genommen werden. Auch die in den
Grabhügeln von Hliboka gefundenen Thongefäße, darunter einige sehr schlanke Amphoren,
sind wohl als ärmliche Ableger der Politischen Töpferkunst zu betrachten. Die unsicheren
Nachrichten über frühere seither leider verschollene archäologische Funde verrathen, daß
hin und wieder auch reichere Gaben den Grabhügeln jener Zeit anvertraut worden waren.
In Stefanovka am Dniestr sind gelegentlich einer größeren Erdabgrabung zwei
charakteristische Mittel-!^ Doiro-Fundstücke gesammelt worden: eine schöne Bronze -
fibula und ein Armring aus blauem Glase. Wahrscheinlich rühren sie aus einem Grabe
her. Diese Stücke datiren aus dem zweiten Jahrhunderte vor Christi, um welche Zeit sich
diese „keltischen" Typen die Herrschaft über den größten Theil Europa's erobert hatten.
Der Ostfuß der Karpathen war damals von den Bastarnen besiedelt, dem ersten
germanischen Volke, welches auf dem Schauplatze der Geschichte erscheint, da es im Jahre
175 vor Christi auf Anstiften des Königs Perseus von Makedonien die Dardaner im
Herzen der Balkanhalbinsel angreift, um sich einen Weg nach Italien zu bahnen. Dieser
Ansturm mißlingt, und 169 stellt es dann dem Könige Perseus 20.000 Mann Bundes -
genossen gegen die Römer. Gerade aus dieser bedeutenden Zeit mögen die bei Stefanöwka
gefundenen Schmuckstücke stammen. Die Bastarnen haben von da an durch mehr als vier
Jahrhunderte an verschiedenen Angriffen gegen das römische Reich theilgenommen, bis
Kaiser Probus 100.000 Mann ihres Volkes ins römische Gebiet verpflanzte, wo ihr
Name verschwindet.
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Glas-Armring und Fibula der Im löne-Periode.
Die Bukowina war inzwischen wohl dem von Sarmizegethusa aus beherrschten
dacischen Reiche und mit diesem (106 nach Christi Geburt) als Theil der Provinz Dacien
dem römischen Reiche einverleibt worden. Sie bildete ^— und das vielleicht nur mit ihrer
südlichen Hälfte — den entlegensten nordöstlichen Theil dieser römischen Provinz und hat
selbst die geringen Segnungen der hier kaum mehr als dem Namen nach eingeführten
Römerherrschaft nicht lange genossen.
Das Austria-Denkmal in Czernowitz.
Geschichte.
vor der Vereinigung: bis 1775.
Die Geschichte der Bukowina bis zur Vereinigung
mit Österreich kann lediglich Territorialgeschichte
sein. Vor jenem Zeitpunkte (1775) gab es kein
Land Bukowina, wenngleich der Name für ein
Waldgebiet an der polnischen Grenze schon im
Anfang des XV. Jahrhunderts bezeugt ist. Eine
eigene Provincialgeschichte hat das Land erst, seit -
dem es einen Theil des österreichischen Staates
bildet. Vor der Vereinigung mit Österreich war die
Bukowina ein Bestandtheil des ehemaligen Fnrsten-
thums Moldau, das die heutigen Länder: Moldau,
Bessarabien und Bukowina umfaßte. Diese Land -
schaften am Sereth und Prnth bilden eine ziemlich
geschlossene geographische Einheit, das znm Donau -
gebiet gehörige östliche Hinterkarpathenland, dessen
äußerste Grenze der Dniestr ist. Wohl sind es
vorwiegend die geographischen Verhältnisse, die aus
diesem zusammenhängenden Gebiete, zunächst im
58
Anschluß an das innere Karpathenland, eine politische Einheit zu schaffen ermöglichten,
wie das ehemalige moldauische Fürstenthum es war. Demgemäß hängt auch die vor-
österreichische Geschichte der Bukowina seit jeher mit jener der Moldau zusammen. Bis
zur Begründung des moldauischen Fürstcnthums um die Mitte des XIV. Jahrhunderts
hat dieses ganze Gebiet fast keine Geschichte im Sinne einer politischen Entwicklung. Das
Wenige, was wir darüber wissen, geht mehr die Ethnographie, als die eigentliche Geschichte
an. Diese dunkle Vorzeit ist in der Geschichte der Bukowina als Borge schich te zu unter -
scheiden. Als zweiter Haupttheil folgt die Geschichte des Landes unter den moldauischen
Fürsten, die moldauische Periode; als dritter die Provineialgeschichte in der
österreichischen Periode.
Vorgeschichte. — Die in der Bukowina gemachten Funde aus der Stein- und
Bronzezeit geben Zeugnis; davon, daß hier das Sereth- und Pruth-Thal, zum Theil auch
das Suczawa-Thal schon in prähistorischer Zeit bewohnt waren. Welchem Volke diese
ältesten Ansiedlungen angehören mochten, das vermag die Geschichte nicht zu bestimmen.
Die ersten Bewohner der östlichen Karpathenländer, von denen die Geschichte Kunde
hat, gehörten zum thrakischen Volksstamme, der das siebenbürgischc Hochland mit den
westlichen, östlichen und südlichen Abhängen und den Nordosten der Balkanhalbinsel inne -
hatte. Zur Zeit Herodots (V. Jahrhundert v. Ehr.) galten die Thraker als das zahlreichste
Volk Europas. Damals saßen in Siebenbürgen die thrakischen Agathyrsen; das östliche
Gelände, von einem stammverwandten Volke bewohnt, stand unter der Botmäßigkeit der
von Osten her sich ausbreitenden politischen Skythen oder Skoloten. Etwa an den
Grenzen der Bukowina, an den nordöstlichen Karpathen und am oberen Dniestr, stießen
die Gebiete der Skythen, der Agathyrsen und der nördlich von beiden wohnenden Neuren
zusammen. Unmittelbar nach dem Zerfalle der skythischen Macht erscheint das östliche
Hinterkarpathenland im Besitze der thrakischen Geten, gegen welche Alexander der Große
und Lysimachus kriegten. Im II. Jahrhundert v. Ehr. trat ihnen das keltisch-germanische
Mischvolk der Bastarnen entgegen, die sich im Nordosten der Karpathen (Bastarnische
Alpen) und am Dniester bis zu den Donaumündungen hin verbreiteten. Nach langen
Kämpfen mit den Bastarnen blieben die thrakischen Daker des inneren Hochlandes
(Nachkommen der vormaligen Agathyrsen) die unbestrittenen Herren auch des östlichen
Geländes.
Daker und Geten waren gleichsprachige Stämme eines Volkes. Sie werden von
den Alten nur nach den Wohnsitzen unterschieden, indem die Bewohner der Ebene von
den Donaukatarakten abwärts, gleich ihren Brüdern am rechten Donauufer, Geten genannt
wurden, die Bewohner des Hochlandes und des Theißgebietes aber Daker hießen. Seit
dem I. Jahrhundert v. Ehr. überwiegt der Name und die Macht des dakischen Stammes.
59
Um die Mitte des I. Jahrhunderts v. CH. beherrschte der gewaltige Boirebista die
Daker. Sein Reich erstreckte sich westwärts bis an die mittlere Donau, ostwärts bis zum
Dniestr und bis zur Dniepermündung, südwärts über die Donau bis tief in das thrakische
und illyrische Gebiet hinein. Ein Heer von 200.000 Mann sollen die Daker unter
Boirebista aufzustellen vermocht haben. Gegen den drohenden Nachbar dachte schon Cäsar
ins Feld zu ziehen, als sein Tod den Plan vereitelte. Nachdem unter Augustus die Donau
die Grenze des römischen Reiches geworden war, hörten die Feindseligkeiten zwischen Dakern
und Römern nicht auf, bis Trajan in zwei Feldzügen (101 bis 103 und 105 bis 107) die
Daker und ihren König Decebalus nach tapferstem Widerstande bezwang und Dacien
zur römischen Provinz machte.
Die Grenzen der römischen Provinz Dacien bezeichnet der Geograph Ptolemaeus
(um 150) im Süden durch die Donau, im Westen durch die Theiß, im Norden durch die
Karpathen und den Dniestr bis zu seiner entschiedenen Wendung nach Süden, im Osten
durch den Pruth nebst einer Linie bis zur Dniestrwendung; das übrige dakische Gebiet,
im Osten des Pruth bis zur Dniepermündung gehörte administrativ zu Niedermoesien.
Demnach umfaßte das römische Dacien auch die heutige Bukowina, an deren Nord-
grenze auch Reste eines römischen Grenzwalles im Norden des Dniestr gefunden wurden.
Effectiv hat sich aber die Römerherrschaft nur unbedeutend auf diesen Landstrich erstreckt,
ebenso wie auf den übrigen Theil des östlichen Hinterkarpathenlandes. Wenigstens fehlt
es an sicheren Beweisen römischer Ansiedlung in diesen Gegenden, außer zeitweilig
vorgeschobenen Militürposten, den einzigen Vertretern römischen Wesens in den östlichen
Gefilden Daciens. Die topographische Nomenclatur ist in diesem Theile der Provinz unter
der römischen Herrschaft lediglich dakisch. und wohl blieb auch die Bevölkerung eine solche.
Jene großartige Colonisation mit „unermeßlichen Scharen aus der ganzen römischen
Welt", die Trajan nach Dacien verpflanzte, damit den Grund zu dem heutigen
rumänischen Volksthume legend, beschränkte sich auf das Kernland Siebenbürgen, das
Temeszcr Banat und die westliche Walachei, allwo auch ein intensives römisches Cultur-
leben erblühte, von dem die zahlreichen daselbst aufgefundenen Inschriften und andere
Denkmäler beredtes Zeugnis geben. In den übrigen ^heilen dev Landes fuhren die
Daker fort, unter römischer Herrschaft ihr eigenartiges Dasein zu führen. An der Nord -
grenze saßen noch freie dakische Stämme, mit denen man von Zeit zu Zeit Händel hatte
und die sich dann den anstürmenden Gothen anschlossen.
In den Wirren unter Gallienus (260 bis 268), der sogenannten Zeit der dreißig
Tyrannen, gieng Dacien dem römischenReiche verloren. Aurelianns (270 bis 275) mußte
auf die Wiederherstellung der Provinz verzichten; er zog die hier sich noch haltenden
Truppen heraus und gab den vertriebenen oder zur Auswanderung geneigten Provincialen
60
neue Wohnsitze ans dem rechten Donanufer, in dem danach benannten Aurelianischen
Dacien. Die neuen Herren des Landes wurden die Gothen als Föderirte der Römer.
Sie siedelten sich in der Ebene östlich der Karpathen an und besaßen wohl auch die Bukowina,
wenigstens als Herren der hier noch weilenden Splitter dakischer Bevölkerung. Die über
Dacien herrschenden Westgothen treibt dann der Hunnensturm (375) über die Donau.
Seitdem blieb das östliche Hinterkarpathenland Jahrhunderte hindurch die öde Stätte
nomadischer Horden, die sich eine nach der anderen in den vorübergehenden Besitz des
Landes setzten. In diesem Wandel hielten sich die Slaven am längsten, die in der topo -
graphischen Nomenclatur das Zeugnis ihrer längeren Ansässigkeit hinterlassen haben.
Die Slaven erscheinen schon nach dem Sturze der Hunnemnacht (453) als
Anwohner der östlichen Karpathen. Das Gebirge trennte das Reich der Gepiden, die
nach dem Abzüge der Hunnen Dacien als Föderirte der Oströmer in Besitz nahmen, von
dem Gebiete der Wenden oder Slovenen. In der Zeit avarischer Herrschaft, die
dem Falle des Gepidenreiches (566) folgte, erlangten die Slaven theils im Gefolge der
Avaren, theils vermöge eigener Expansionskraft die größte Ausdehnung in den Karpathen -
ländern und besetzten seit dem Anfänge des VII. Jahrhunderts auch die nördlichen Land -
schaften der Balkanhalbinsel. Der nach der Wanderung über die Donau diesseits zurück -
gebliebene Rest hat die Avarenherrschaft überdauert, um danu, so weit es das Gebiet
Daciens betrisst, in Rumänen und Ungarn aufzugehen.
Nach der Niederlassung der Ungarman der Theiß und mittleren Donau (895),
welche während ihres kurzen Aufenthaltes im Osten der Karpathen und ans ihrem Zuge
nach dein Westen auch die Bukowina berührt haben dürften, nahmen die türkischen
Pet schen egen das von den Ungarn geräumte Land vom Dnieper bis zum Sereth,
Atelkuzu genannt, in Besitz. Ihr Gebiet reichte nach Nordwesten hin bis an die nord -
östlichen Karpathen; hier lagen die Wohnsitze der Petschenegen und Ungarn einander am
nächsten. Der nächst angesiedelte Stamm der Petschenegen war der Stamm Gyla, dessen
Wohnsitze demnach am nordöstlichen Abhange der Karpathen und am oberen Sereth und
Pruth lagen, die Bukowina mit einbegriffen.
In der zweiten Hälfte des XI. Jahrhunderts zogen die Hanpthordcu der Petschenegen
über die Donau. Ihre Erben im östlichen Hinterkarpathenlande wurden die Kumancn
oder (Me die arabischen Quellen sie nennen) Guzen (bei den Byzantinern Uzen), ihre
nachten -ramm- und Sprachverwandten. Das Centrum der knmanischen Macht blieb
aber nach Me vor m den Steppen zwischen Don und Dnieper. bis sic seit der Schlacht
61
ihre Wohnsitze nur theil- und zeitweise gegen Westen vorgerückt zu haben. Bon den
Mongolen bedrängt, suchten sie Anschluß an Ungarn, und seitdem erfolgt erst ihre massenhafte
Niederlassung im Osten der Karpathen. Aber auch hier war ihres Bleibens nicht. Die
wachsende Mongolenfluth warf die zersplitterten Kumanenhorden theils über die Donau,
theils nach Ungarn hinein, wo der Kern ihres Stammes in der Theißebene angesiedelt
ward (1239).
Die Huzulen der nordöstlichen Karpathen (in der Bukowina und Galizien)
scheinen die slavisirten Nachkommen knmanischer Reste zu sein, die, ins Gebirge verschlagen,
den nationalen Guzen- oder Uzen-Namen behalten haben. Auf knmanische Ansiedlnngen
in der Bukowina deuten auch Ortsnamen wie Koman, Komanestie und Komarestie.
Ihre rumänische Form weist auf Gleichzeitigkeit mit Rumänen hin, die in dieser Gegend
zuerst um die Mitte des XU. Jahrhunderts beglaubigt anftreten.
Die erste Kunde von Rumänen im Osten der Karpathen finden wir zum Jahre
1164, wo ein byzantinischer Geschichtschreiber Machen an der Grenze von Halicz
(Ostgalizien) erwähnt. Um dieselbe Zeit werden norddanubianische Machen auch in den
„Landschaften am Schwarzen Meer" als Bundesgenossen der Byzantiner gegen Ungarn
genannt. Diese Ansiedlungen sind aber östlich der Karpathen noch sehr spärlich; denn ans
dem Zuge eines byzantinischen Heeres gegen Ungarn, das seinen Weg durch die Moldau bis
an die ungarisch-galizische Grenze nahm, wurde das Land „öde und unbewohnt" gefunden.
Allerdings dürfen wir die Nachricht nicht wörtlich nehmen, aber sie ist dennoch bezeichnend
für die damaligen Bevölkerungsverhältmsse der Gegend.
Die rumänische Ansiedlung im Osten der Karpathen dürfte bald nach dem Übergange
der Petschenegen über die Donau, worauf das Land eine Zeitlang unter nomineller
Kumanenherrschaft so gut wie herrenlos blieb, begonnen haben. Sie erfolgte zumeist von
Westen her, ans Siebenbürgen und Ungarn, woher später auch das moldauische Fürsten -
thum begründet ward. Eben darum wurde die Moldau nach ihrem nordwestlichen Flusse
gleichen Namens (einem rechten Nebenfluß des Sereth) benannt, an welchem die herab -
steigenden Rumänen die ersten Niederlassungen gründeten. Namentlich ist Marmarosz das
Mutterland der moldauischen Rumänen, sowie ihres Staatswesens. Tie Auswanderung
aus diesem unwirthlichen Gebirgslandc nach den üppigen Gefilden der Moldau muß schon
lange vor der Begründung des Fürstenthums ihren Anfang genommen haben.
In Siebenbürgen mit den angrenzenden Theilen des östlichen Ungarns, sowie in
der westlichen Walachei saßen Rumänen nach der hergebrachten geschichtlichen Überlieferung
noch aus der Zeit römischer Herrschaft. Dieser Theil des Trajanischen Dacien, mit zahl -
reichen römischen Cvlonisten bepflanzt und bald romanisirt, behielt auch nach der Auslassung
der Provinz einen Rest romanischen Volksthnms, der in den stürme» der Bölkerwanderung
62
in den gebirgigen Gegenden Schutz und Rettung fand. Nach der Ansiedlung der Slaven
und Bulgaren auf der Balkanhalbinsel (VII. Jahrhundert), in einem bis dahin vorwiegend
romanischen Gebiete, erhielten die dacifchen Romanen einen Zuwachs gleichartigen Elements
aus dem Süden der Donau, indem durch die slavische und bulgarische Einwanderung die
romanische Bevölkerung aus den Donaulandschaften der Balkanhalbinscl theils nach dem
Süden (Macedo-Rumünen), theils nach dem Norden (Daco-Rnmänen) verdrängt wurde.
Durch solche Zuwanderung verstärkt, erlangten die norddanubianischen Rumänen, als
die Zeiten wieder ruhiger wurden, jene Expansionskraft, vermöge welcher sie sich allmählich
über das ganze Gebiet des alten Dacien ausbreiteten, so daß bis vor Ausgang des Mittel -
alters das dacornmänische Sprachgebiet mit dem Gebiete der römischen Provinz Dacien,
wie gegenwärtig, beinahe zusammenfiel und stellenweise auch darüber hinaus reichte.
Die Einwanderung in das Land östlich der Karpathen begann, wie gesagt, erst nach
dem Abzüge der Petschenegen. Da sie aus dem dacorumänischen Stammlande zumeist
von Nordwesten her erfolgte, so finden wir die rumänischen Ansiedlungen im Osten der
Karpathen zuerst in den nördlichen Gegenden am zahlreichsten vertreten.
Außer der byzantinischen Nachricht von Machen an der Grenze von Halicz zum
Jahre 1164 wird der Rumänen dieser Gegend auch in den russischen Annalen gedacht.
Es sind die sogenannten Bolochowcen, die ein eigenes Gebiet in der Nähe der Fürsten-
thümer Halicz, Wolhynien und Kiew nordwärts bis über den oberen Bug inne hatten.
Ihr Name ist gleichbedeutend mit Woloch (Walach), was auch durch urkundliche Zeugnisse,
wo das galizischeStädtchenBolechow als ,viI1u Vuluc Iiarom" erscheint, bestätigt wird.
Diese Bolochowcen lebten unter eigenen Führern, genannt Knesen, wie bei den Rumänen
in Siebenbürgen und Ungarn, und erfreuten sich einer gewissen Selbständigkeit. Ihre erste
Erwähnung geschieht zum Jahre 1231 in dem Kriege des Ungarnkönigs Andreas II. um
Halicz: da erscheinen unter seinen Hilfstruppen auch die Bolochower Knesen als Bundes -
genossen der Ungarn. In den Jahren 1235 bis 1240 unternehmen sie neue Kriegszüge
gegen russische Fürsten; selbst nach dem Mongoleneinfalle waren sie noch kräftig genug,
um mit den Wolhyniern einen längeren und hartnäckigen Krieg zu bestehen, der 1257 mit
dem Siege der letzteren endete. Hierauf kommen sie nicht mehr zum Vorschein. Die in
russischen Annalen zum Jahre 1150 genannte Gegend Bolochowo am oberen Bug
gestattet, das Vorrücken der Rumänen nach dieser Richtung hin bis zu diesem Zeitpunkte
zurück zu verfolgen. Die Bolochowcen der russischen Annalen sind von den Machen an der
Grenze von Halicz der byzantinischen Nachricht vom Jahre 1164 wohl nicht zu trennen.
Ihr Verbreitungsgebiet reicht schon um die Mitte des XU. Jahrhunderts von den nordöst -
lichen Karpathen bis zum oberen Bug über die Grenzen des heutigen rumänischen Sprach -
gebietes hinaus. Ihre Beziehungen zu Ungarn als dessen Bundesgenossen gegen ihre
63
russischen Nachbarn weisen auf Nachbarschaft mit Ungarn, sowie auf ihre ungarländische
Herkunft hin.
Während in den nördlichen Gegenden östlich der Karpathen die Rumänen im XU.
und XIII. Jahrhundert so ausgebreitet und kampfkräftig erscheinen, treten sie in der südlichen
Moldau weniger hervor. Die Nachricht über die Machen am Schwarzen Meer, die 1166
als Bundesgenossen der Byzantiner gegen Ungarn kämpfen und als „Nachkommen der
ehemaligen römischen Kolonisten" bezeichnet werden, ist wohl auf die Walachei, woher
jener Angriff auf Ungarn von Südosteu her erfolgte, und nicht auf die zur selben Zeit
„öde und unbewohnt" gefundene Moldau zu beziehen. In der Moldau werden Machen
vor der Gründung des Fürstenthums, außer in den nördlichen Gegenden, nur in dem nach
der Bekehrung eines Theiles der Kumanen zum Christenthum (1227) unter ungarischer
Ägide errichteten kumanischen Bisthum, dessen Gebiet östlich der Karpathen bis an den
Sereth reichte, in den Jahren 1228 und 1234 neben Kumanen und Szeklern erwähnt.
Bevor die rumänische Ansiedlung im Osten der Karpathen, deren Anfänge, wie wir
sahen, zwei Jahrhunderte vor der Begründung des moldauischen Fürstenthums liegen,
ihren Abschluß erreichte, kam der Mongolensturm (1240). Er hemmte für einige Zeit
die weitere Ausbreitung der Rumänen nach Osten; aber indem er der Kumanenherrschaft
ein Ende machte, entschied er das weitere Schicksal des östlichen Hinterkarpathenlandes.
Jndeß blieb die Moldau noch ein Jahrhundert lang unter tatarischer Herrschaft. Zwar
versuchte Ungarn nach dem Mongoleneinfalle seine Ansprüche auf das sogenannte Kumanien
geltend zu machen, die zunächst auf die theilweise erfolgte Besitznahme des Landes durch
ungarländische Rumänen in fortdauernder Abhängigkeit vom Mutterlande zurückzuführen
sind und die durch das Protectorat über das ehemalige kumanische Bisthum, sowie durch
denTitel eines „Königs von Kumanien", den schon Andreas II. nahm, zur Geltung gekommen
waren. König Bela IV. verlieh daher im Jahre 1247 mittelst goldener, vom Papste
bestätigter Bulle das Land dem Johanniterorden unter Vorbehalt seiner Ober -
hoheitsrechte. Die Schenkung gelangte aber nicht zur Wirksamkeit. Schon 1254 meldet
Bela dem Papste, daß die Tataren die theilweise seinem Machtgebote unterworfenen Neben -
länder: Russien, Kumanien und Bulgarien zur Botmäßigkeit gebracht haben und auch
Ungarn mit einem neuen Einfalle bedrohen. Von tatarischen Ansiedlungen in der Bukowina
geben noch einige topographische Namen tatarischer Herkunft Zeugniß.
Von der Moldau aus beunruhigten die Tataren öfters die Grenzen des ungarischen
Reiches, bis sie von den Heeren Ludwigs I. (1342 bis 1382) in dessen ersten Regierungs -
jahren in ihrem eigenen Lande wiederholt aufs Haupt geschlagen und zurückgeworfen
wurden. An diesen Kämpfen nahmen nach der moldauischen Gründungssage auch die
Marmaroszer Rumänen theil, welche hierauf das Land in Besitz nahmen und unter ihrem
64
Führer Dragosz das moldauische Fürstenthum gründeten. Die Sage setzt das Ereigniß
in die Zeit eines Ungarnkönigs Wladislaw oder Laszlö, der an der Spitze eines Heeres
mit „römischen Hilfstruppen" gegen die Tataren der Moldau zog und sie aus dem Lande
über den Dniestr jagte. Für die geleisteten Kriegsdienste wies er den ihm zu Hilfe
gekommenen „Römern", die gegen die Tataren in den ersten Reihen gesuchten hatten,
Wohnsitze in Marmarosz an. Von hier aus besetzten diese mit Einwilligung des Königs
das von den Tataren geräumte Land, und ihr Führer Dragosz wurde Wojwode des so
errichteten moldauischen Fürstenthums.
Wenn wir von den „römischen Hilfstruppen" absehen, welche den römischen Ursprung
der Marmaroszer und Moldauer Rumänen erklären sollen und wohl nur auf deren Mit -
wirkung an jenen Kämpfen bezogen werden können, so bleibt als Kern der Sage: die
Errichtung des moldauischen Fürstenthums durch Marmaroszer Rumänen gelegentlich des
Kriegszuges eines Ungarnkönigs Ladislaus, welcher Kriegszug die Räumung der Moldau
seitens der Tataren bewirkte. Einen solchen Erfolg weisen tatsächlich die kriegerischen Unter -
nehmungen auf, die in den ersten Regierungsjahren Ludwigs I. gegen die Tataren in der
Moldau gemacht wurden und mit der Verdrängung der letzteren endeten. Die ungarische
Sage schrieb diesen bedeutenden Erfolg dem Könige Ladislaus dem Heiligen zu, der
aus dem Grabe persönlich den Christen zu Hilfe herbeigeeilt sei und den Sieg entschieden
habe. Diese Legende findet sich als Interpolation eines Minoriten in der Dubnitzer Chronik
bei der erwähnten Expedition gegen die Tataren unter Ludwig I. So kam der Ungarnkönig
Ladislaus auch in die moldauische Gründungssage, welche die Errichtung des Fürstenthums
an dessen Sieg über die Tataren der Moldau knüpft.
Jedenfalls enthält diese Überlieferung mehr historisches Element, als die andere
geläufigere Version der Gründungssage, welche Dragosz gelegentlich eines Jagdzuges in
Verfolgung eines Auerochsen aus Marmarosz in die Moldau kommen läßt, wo er im
Orte Boureny (rumänisch kour -- Auerochs) am Flusse Moldau das Thier erlegt; da
er hier ein unbewohntes, anmuthendes Land findet, beschließt er, sich daselbst mit seinen
Leuten niederzulassen, und gründet ein Fürstenthum, mit dem Haupte des erlegten Auer -
ochsen als Wappen. Diese Sage, zunächst auf die Erklärung des Landeswappens gerichtet,
kommt auch mit der elfteren verbunden vor; zuletzt drängte sie aber jene in den Hinter -
grund und erscheint alleinstehend als Gründungssage. Beide haben den Namen des
Gründers und die thatsächliche Herabkunft aus Marmarosz gemeinsam.
Als geschichtliches Substrat der moldauischen Gründungssage ergibt sich daher, daß
Marmaroszer Rumänen zur Zeit des erwähnten Tatarcnkrieges, bei dem sie wohl mit-
thaten, einen Theil des von den Tataren geräumten Landes in Besitz nahmen und unter
ihrem Führer Dragosz in Abhängigkeit von Ungarn die ersten Grundlagen zu dem
6ö
moldauischen Fürstenthume legten. In den ungarischen Chroniken ist jener Tatarenkrieg
als eine der ersten Regierungsthaten Ludwigs I. (vor dem kroatischen Feldzuge von 1344)
verzeichnet; er fand unter Führung des siebenbürgischen Wojwoden Andreas statt, der
urkundlich 1343 als Wojwode von Siebenbürgen bezeugt ist. Schon 1349 erscheint
Bogdan, in der moldauischen Fürstenliste an dritter Stelle genannt, als Wojwode der
Moldau. Seinen zwei Vorgängern Dragos und Sas (letzterer auch urkundlich als solcher
nachgewiesen) werden in den moldauischen Chroniken sechs Regierungsjahre (ersterem zwei,
letzterem vier) gegeben. So fällt die Zeit des Gründers Dragos mit jener des sieben -
bürgischen Wojwoden Andreas zusammen. Darnach wäre die Gründung des Fürstenthums
durch Dragos um 1343 anzusetzen.
In der Bukowina lag anfänglich der Schwerpunkt des moldauischen Fürstenthums.
Hier war die Fürstenresidenz und die erste nachweisbare Hauptstadt Snczawa, bis sie
später nach Jassy verlegt ward; hier befinden sich auch die bedeutendsten älteren Gründungen
der moldauischen Fürsten mit ihren Grabstätten. Von Dragos, nach welchem ein Gebiet am
oberen Sereth (wo der Fluß die Bukowina verläßt) »däinpul lui Dragos" (— Dragos-
Feld) hieß, wird berichtet, daß er eine Kirche zu Wolowctz (bei Radautz) errichtet habe,
wo er seine letzte Ruhestätte fand. Seinem Nachfolger Sas schreibt die Tradition die
Errichtung der noch bestehenden heiligen Dreifaltigkeitskirche in Sereth zu, wo auch eine
Örtlichkeit den Namen ,8useu" trägt. Unter diesen zwei ersten Wojwoden scheint das
Fürstenthum, dessen Anfänge im nordwestlichen Theile liegen, sich nicht weit über die
Grenzen der Bukowina mit dem Moldau- und oberen Sereth-Thal erstreckt zu haben.
Bei der Besitznahme des Landes haben die Marmaroszer Rumänen wohl noch
rumänische Bevölkerung aus der Zeit vor dem Mongoleneinfalle vorgefunden, die sich
ihnen anschloß. Neben Rumänen saßen da auch Slaven, von denen man die slavischen
Orts- und Flußnamen übernahm. Die alte slavische Bevölkerung dürfte, durch russische
Zuwanderung verstärkt, unter dcr Petschenegen- und Kumanenherrschast fortgedauert haben,
wenngleich sie sich in jener Zeit nicht bemerkbar machte. Sie erhielt wahrscheinlich auch
einen Zuwachs durch allmälige Niederlassungen aus dem benachbarten Galizien, zumal
der Handelsweg von Halicz nach der Donau durch die Moldau führte. Dieser Zeit könnten
zum Theil auch die in einem russischen Städteverzeichnisse genannten „russischen Städte"
oder Marktplätze in der Moldau, darunter Socava, Seret und Cern (wahrscheinlich
Czernowitz), neben welchen Chotin am Dniestr als „wlachische Stadt" genannt wird,
angehören. Doch den Slaven war es nicht beschieden, hier eine staatliche Ordnung zu
begründen. Zu dieser Cnlturarbeit war ein anderes Volk berufen: die Rumänen. Sie sind
die ersten, welche durch die Begründung des moldauischen Fürstenthums diesem Lande
eine geschichtliche Bedeutung gaben und es dauernd für die Cnltur eroberten.
Bukowina. ^
66
Moldauische Periode: 1. Unter der Dynastie Bogdan-Musat von 1349
bis 1527. — Das unter Dragos und Sas, den erstell Wojwoden der moldauischen
Chroniken, im Anschluß an Ungarn entstandene Fürstenthum, noch kaum über das Moldau-
und obere Sereth-Thal hinaus reichend, galt anfänglich nicht als eigenes Staatswesen,
sondern als ein Gebiet der ungarischen Krone. Diese zwei ersten Wojwoden dürsten auch
in einem ähnlichen Verhältnisse zur ungarischen Krone gestanden haben, wie die zu
jener Zeit bezeugten rumänischen Wojwoden in Marmarosz. Dies änderte sich aber bald,
indem im Jahre 1349 der Wojwode der Marmaroszer Rumänen, Bogdan, nach der
Moldau zog und hier ein selbständiges Fürstenthum gründete. Der gleichzeitige Chronist
des Königs Ludwig I. (Johannes von Küküllö) berichtet darüber Folgendes: „Zu dieser
Zeit vereinigte Bogdan, Wojwode der Machen in Marmarosz, die Machen desselben
Districtes und entwich heimlich in die Moldau, welche der ungarischen Krone unterworfen
und wegen der Nachbarschaft der Tataren unbewohnt war; und obgleich er von dem
Heere des Königs öfters angegriffen wurde, so wuchs doch die Moldau durch die wachsende
große Menge der Machen, die jenes Land bewohnen, zu einem Reiche." ^
In den wiederholten Kriegen, die König Ludwig „zur Wiederherstellung seines
moldauischen Landes" gegen Bogdan führte, erschejnen die Söhne des Wojwoden Sas auf
Seite des Königs. Doch alle Bemühungen, Bogdan zur Botmäßigkeit zu zwingen und
Ludwigs Getreue in der Moldau zu schützen, schlugen fehl; Sas' Sohn Balk mußte das
väterliche Erbe in der Moldau verlassen und nach Marmarosz übersiedeln, wo der König
ihm die ehemaligen Besitzungen Bogdans verlieh (1365). Wenn unter Dragos und Sas die
ersten Grundlagen zu dem moldauischen Fürstenthume im Anschluß an Ungarn gelegt
wurden, so ist Bogdan als der eigentliche Begründer des Fürstenthums als eigenen Staats -
wesens anzusehen. Nach ihm wurde daher die Moldau auch Bogdania genannt, bei den
Türken Kara-Bogdan (-- Schwarz-Bogdanien, ehemals Schwarz-Kumanien).
Von Bogdan I. (1349 bis 1365) ist die erste moldauische Münze mit der Aufschrift:
„Nonsta Noläuvie —Kordon ^Vairvo(du)Z mit dem Anerochsenkvpf als Wappen, nebst
dem Schilde des Hauses Anjou von Ungarn. Die Münze wurde in der Bukowina, dem
ältesten Sitze der moldauischen Fürsten, gefunden. Hier errichtete Bogdan eine Klosterkirche
zu Radautz, die nachmalige Bisthumskirche, wo er bestattet ward. Die Grabschrift, die
Stefan der Große im Jahre 1480 setzen ließ, nennt ihn „Bogdan Woiwvd den Alten", ohne
das Todesjahr anzugeben. Die moldauischen Chroniken geben ihm sechs Regierungsjahre.
Doch die Urkunde von 1365, mittelst welcher König Ludwig den Wojwoden Balk
' Der in der Chronik ohne Jahresangabe verzeichnete Auszug Bogdans ans Marmarosz geschah nach einer Urkunde
Ludwigs I vom 14. September 1349 (keviZta pontru istorie, »rotiooloxie 8i tUoIvAie. Lueuresti, 1885. vol. V. 166 syu)
„kurz vor" diesem Datum; und da darin von einer Regelung durch dieses Ereigniß gestörter Vesitzverhältnisse, um welche dabei
Geschädigte eben ansuchen, die Rede ist, so durfte der Auszug in demselben Jahre stattgefunden haben.
67
mit den Besitzungen Bogdans in Marmarosz belehnt, erwähnt ihn ohne die übliche Bezeich -
nung, daß er bereits todt sei; vielmehr weist die Aussage, daß diese Besitzungen „von dem
ungetreuen Bogdan und seinen Söhnen genommen" und Ball verliehen werden, darauf
hin, daß Bogdan noch am Leben war. Darnach ist die Angabe der moldauischen Chroniken
über die Regierungsdauer Bogdans auf 16 Regierungsjahre zu berichtigen, was mit den
Angaben über die Regierungsdauer der anderen Fürsten übereinstimmt.
Die griechisch-orientalische Kirche zu Radautz.
Zum Jahre 1359, noch aus der Regierungszeit Bogdans, wird von einer Einmischung
Polens unter lüazimir dem Großen in die moldauischen Angelegenheiten berichtet. Nach
dem Tode eines moldauischen Wojwoden Stefan — erzählt der polnische Chronist Diugosz
(gestorben 1480) — seien dessen Söhne Stefan und Peter um das väterliche Erbe in
Streit gerathen. Der jüngere Peter habe mit ungarischer Hilfe die Herrschaft an sich gerissen
und den älteren Bruder verdrängt; dagegen habe Stefan die Hilfe des Pvlenkönigs Kazimir
68
angesucht, dem er die Unterwerfung der Moldau unter die polnische Oberhoheit anbot.
Kazimir schickte um St. Peter und Paul 1359 ein Heer in die Moldau zur Unterstützung
Stefans. Das polnische Heer erlitt aber eine schwere Niederlage in den Wäldern genannt
„Polonyni" des Schepenetzer Gebietes (Sepormesnsis torra, in der Bukowina zwischen
Prnth und Dniestr, wo noch heute die Ortschaft Schipeuetz jenen Namen trägt), wobei
mehrere polnische Große in moldauische Gefangenschaft geriethen.
Die näheren Details, welche der polnische Chronist anführt (darunter die Gefangen -
nahme des Großvaters seines Freundes, des Kardinals ZbigniewOlesnicki, und des Sohnes
des Palatins von Krakau, Andreas Txczynski), lassen kaum einen Zweifel über die
Glaubwürdigkeit der Nachricht zu. Zur selben Zeit war es Ludwig von Ungarn thatsüchlich
gelungen, in der Moldau einige Erfolge zu erzielen, wie dies auch der polnische Bericht
andeutet. Im Jahre 1360 belohnt Ludwig die Dienste seines Getreuen Dragus,
eines Rumänen aus Marmarosz, der sich um die „Wiederherstellung des moldauischen
Landes" verdient gemacht, und verleiht ihm in Anerkennung dieser Dienste mehrere
wlachische Besitzungen in Marmarosz mit dem Adelstitel. Doch Bogdan erscheint nach
wie vor (noch 1365) als „abtrünnig". Die Anerkennung der ungarischen Oberhoheit
kann daher nur auf einen anderen gleichzeitigen Wojwoden in der Moldau bezogen
werden, der irgend ein Theilfürstenthum innehatte. Nun sind zwar die moldauischen
Wojwoden, die der polnische Chronist zum Jahre 1359 nennt, den moldauischen Chroniken
nicht bekannt; ihre Namen kommen auch nicht in dem Diptychon vor, das die älteste
authentische Liste der regierenden Fürsten seit Bogdan enthält. Dagegen ist ein Wojwode
Stefan, den Dlugosz als Vater der zwei streitenden Brüder nennt, urkundlich bezeugt:
es ist der Neffe Bogdans, der mit diesem aus Marmarosz zog und an der Besitznahme der
Moldau mitwirkte. Dieser mag hierauf einen Landestheil besessen haben, um dessen Erbe
die sonst, nicht bekannten Stefan und Peter, Söhne eines Wojwoden Stefan, in Streit
geriethen, wobei der eine sich an Ungarn anschloß, der andere die polnische Intervention
herbeiführte. Diese endete mit der Niederlage der polnischen Waffen in der Bukowina.
Nicht erfolgreicher vermochte auch Ungarn seine Ansprüche auf die Moldau zur Geltung
zu bringen.
Auf Bogdan I., den Begründer des selbständigen moldauischen Fürstenthnms, folgte
sein Sohn Latzko (1365 bis 1373). Aus dessen Regierung ist nur die Errichtung eines
katholischen Bisthums zu Sereth bekannt. Die katholische Propaganda in der Moldau
hatte gleich nach dem Abzüge der Tataren begonnen. Schon 1347 läßt Papst Clemens VI.
das ehemalige kumanische Bisthum, das nach dem Mongoleneinfalle zu bestehen aufgehört
hatte, als Milkover Bisthum (so benannt nach dem Bache Milkov zwischen Moldau und
Walachei) wiederherstellen und beauftragt den Erzbischof von Kalocsa, den Kaplan des
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Königs von Ungarn, Thomas von Nympti, zum Bischof von Milkov zu ordiniren. Als
Bogdan die Herrschaft über die Moldau an sich brachte, fanden zwei Franciscaner in Sereth
den Märtyrertod (1349). Unter Bogdan, dem unversöhnlichen Gegner des katholischen
Ungarn, scheinen keine weiteren Versuche, die Moldauer zur römischen Kirche zu bekehren,
gemacht worden zu sein. Unter seinem Nachfolger Latzko erscheinen aber wieder zwei
Missionäre, die Minoriten Nikolaus von Melsak und Paul von Schweidnitz, ebenfalls
in Sereth. Diesen gelang es, den Wojwoden für die römische Kirche zu gewinnen. Latzko
ließ durch sie dem Papste mittheilen, daß er und sein Volk sich der römischen Kirche
zuwenden wollten, und bat um die Errichtung eines katholischen Bisthums in Sereth,
welcher Ort zur Stadt erhoben werden sollte. Zugleich erfahren wir, daß die Moldau bis
dahin dem griechischen Bisthum (seit 1371 Metropolie) von Halicz kirchlich untergeordnet
war, und daß Latzko die Ausscheidung seines Landes aus dem Haliczer Kirchensprengcl
anstrebte.
Papst Urban V. nahm das Anerbieten des moldauischen Fürsten beifällig auf und
crtheilte im Jahre 1370 dem Erzbischof von Prag und den Bischöfen von Breslau und
Krakau die Weisung, den Fürsten und das Volk der Moldau in den Schoß der römischen
Kirche aufzunehmen, dieses Land aus dem hierarchischen Verbände mit dem Bisthum
Halicz zu lösen und ein eigenes Bisthum in der Moldau mit dem Sitze in dem zur Stadt
zu erhebenden Orte Sereth zu stiften. Zugleich trug er ihnen auf, bei Besetzung des
Bisthums den von Latzko selbst vorgeschlagenen Minoriten Andreas von Krakau zu
berücksichtigen und ihn, falls er würdig wäre, auf denBischofsitz zu erheben. Am 9. März 1371
wurde Andreas in Krakau zum Bischof von Sereth geweiht und nahm hierauf seinen Bischof -
sitz ein, nachdem Latzko mit einem Theile seines Volkes feierlich zur römischen Kirche
übergetreten war. In demselben Jahre ernannte Papst Gregor XI. auch einen Bischof
von Milkov, Nikolaus von Buda, gebürtig aus dem Sprengel dieses Bisthnms, das
bald nach 1347 seine Wirksamkeit eingestellt hatte. So war unter Latzko die katholische
Propaganda in der Moldau zu einem entschiedenen Erfolge gelangt.
Das Motiv, von welchem Latzko sich bei diesem Glaubenswechsel leiten ließ, war
wohl vorwiegend ein politisches. Unter dem Schutze Roms durfte er hoffen, die gedeihliche
Entwicklung seines jungen, von Ungarn und Polen angefeindeten Fürstenthums zu sichern,
wie auch seine Stellung den mächtigen Nachbarreichcn gegenüber zu bessern. Anderseits
war die dadurch erlangte hierarchische Unabhängigkeit vom Haliczer Bisthum ein
entscheidender Schritt zur Sicherstellung der kirchlichen, wie politischen Selbständigkeit
des Fürstenthums. Es ist bezeichnend, daß die päpstliche Weisung zur Errichtung des
Serether Bisthums an den Erzbischof von Prag und an polnische Bischöfe gerichtet wurde,
nicht an den Erzbischof von Ungarn, wie man nach früherem Vorgänge und nach den
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Ansprüchen der ungarischen Krone ans die Moldau erwarten sollte; nicht minder, daß
Latzko selbst für den Bischofsitz sich einen Krakauer Priester anserwühlt. Außerdem war
aber für Latzkos Übertritt auch ein persönliches Motiv maßgebend. Er wollte durch den
Glaubenswcchsel auch die Scheidung von feiner Gattin erwirken, wozu ihn der Mangel an
männlicher Nachkommenschaft bewogen haben mag. Doch dieses Begehren wurde ihm so
wenig von der römischen Kirche als von. der griechischen gewährt. Papst Gregor XI.
mahnt ihn vielmehr in einem Schreiben vom 25. Januar 1372, er möge den Ehebund
heilig halten und trachten, seine Gattin gleichfalls der katholischen Kirche zuzusühren.
Dies ist die letzte Nachricht, die wir über Latzko besitzen. Im Juni 1374 erscheint bereits
ein anderer Fürst in der Moldau. Latzko, dem die moldauischen Chroniken acht Regierungs -
jahre geben, starb ohne männliche Nachkommen und wurde in der griechischen Klosterkirche
zu Radautz neben seinem Vater Bogdan bestattet, wo seine Grabschrift ohne Todesjahr
sich befindet. Mit ihm erlosch das Marmaroszer Geschlecht, das der Moldau ihre
ersten Wojwoden gegeben hat.
Auf Latzko folgte nach dem Fürsten-Diptychon des Klosters Bistritza der in den
Chroniken nicht genannte Wojwode Costea, der Begründer der Dynastie Musat, die bis
1527 (mit außerehelicher Nachkommenschaft bis 1595) regierte und dem Lande die hervor -
ragendsten Fürsten gab. In diesem Diptychon, das zum Gedenken der verstorbenen Fürsten
beim Gottesdienste und bei Seelenmessen diente, heißt es: „Gedenke, Herr, der
rechtgläubigen Herrscher dieses Landes: Bogdan Wojwod, Latzko Wojwod, Costca
Wojwod" n. s. w. Das Alter dieser Quelle und ihre Restimmnng lassen keinen Zweifel
über ihre Anthenticität zu. Durch die Vermählung von Costeas Sohn Roman mit Latzkos
Tochter Anastasia wurde auch ein verwandtschaftliches Band zwischen dem neuen und dem
alten Fürstenhause hergestellt. Das Geschlecht Musat, wie Costea und seine Söhne
beigenannt werden, stammte nicht aus Marmarosz, wo man diesem Namen nirgends
begegnet, sondern wahrscheinlich aus der Walachei, mit deren Fürstenhanse Bassaraba es
verwandt war. Der Name hat einen durchaus südrumänischen Klang (musat im Maeedv-
rumünischen — schön) und ist in der Walachei wie in der südlichen Moldau auch in der
topographischen Nomenclatnr vertreten.
Costea Musat (1373 bis 1374) fand als Fürst der Moldau keine allgemeine
Anerkennung im Lande. Eine Gegenpartei berief den lithanischen Theilfürsten Georg
Coriatowicz aus Podolien auf den moldauischen Fürstenthron. Dieser stellt am
3. Juni 1374 als „Herrscher des moldauischen Landes" eine Urkunde in Verlad aus. Da
Costeas Gemalin Margaretha, die Stifterin einer katholischen Kirche mit einem Dvminicaner-
kloster in Screth (1380), als eifrige Anhängerin der römischen Kirche erscheint, so dürfte die
Berufung des griechisch-orthodoxen Georg Kvriatvwiez als eine Reaction gegen den durch
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Latzko eingeführten Katholicismus anfznfassen sein. Und in der Thai schreibt ihm die
moldauische Chronik des Ureche die Errichtung der griechisch-orthodoxen Metropolie der
Moldau zu, die er dem Patriarchate von Ochrida unterstellte. So glaubte Georg seine
Stellung festigen zu können. Trotzdem vermochte er sich nicht zu behaupten und mußte
schon nach einem Jahre dem Sohne Costeas, Peter Musat, den Platz räumen. Die
moldauischen Chroniken, die ihn Inga nennen (er selbst nennt sich in der erwähnten
Urkunde „JurgKorijatovic"), geben ihm zwei Regierungsjahre als unmittelbarem Vorgänger
Alexanders des Guten, der 1400 zur Regierung kam. Thatsächlich hat Georg Koriatowicz
im Jahre 1400 die Herrschaft in der Moldau zum zweitenmale an sich gebracht, welche
Die Überführung der Reliquien des heilige» Johannes Novi nach Suczawa.
zwei Regierungen an letzter Stelle, wo er auch im Fürsten-Diptychon genannt ist, mit zwei
Regierungsjahren zusammengenommen wurden. Die Errichtung der moldauischen Mctro-
polie, deren Bestand ein Decennium vor Georgs zweiter Regierung urkundlich erwiesen
ist, gehört in dessen erste Regierung von 1374. Auch in einem byzantinischen Verzeichnisse
der griechischen Bisthümer vom Ende des XlV. Jahrhunderts erscheint die Metropolie
der Moldau als gleichzeitig mit jener von Widin (1370) und mit jener von Halicz (1371)
errichtet.
Peter I. (1375 bis 1391) regierte nach den moldauischen Chroniken 16 Jahre.
Urkundlich ist er zum erstenmale zum Jahre 1384 bezeugt, da er die von seiner Mutter
Margaretha erbaute katholische Bisthumskirche zum St. Johannes in Sereth ausstattete.
Am 26. September 1387 leistete Peter zu Lemberg dem Könige von Polen und Fürsten
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von Lithauen, Wladislaw II. Jagello, und seiner Gemalin Hedwig den Vasalleneid. Wir
erfahren nicht, was den moldauischen Wojwoden zur Anerkennung der polnischen Oberhoheit
bestimmt habe. In der betreffenden Urkunde sagt Peter, daß er „nicht gezwungen und
nicht genöthigt, sondern aus sicherer Einsicht und gemäß dem Rathe seiner Bojaren"
die Huldigung leiste. Von früheren Hvheitsrechten oder bestehenden Ansprüchen ist gar
keine Rede.
Der nächste Beweggrund zu diesem Einschlüsse Peters lag Wohl in der Türkengefahr,
von der die benachbarte Walachei bereits bedroht war. Er suchte daher Sicherheit im
Anschlüsse an das mächtige Nachbarreich, gleichwie er bald auch den Fürsten der Walachei
in ein Schutz- und Trntzbündniß mit Polen zog. Jedenfalls hat aber die Anerkennung
der polnischen Oberhoheit sich aus der früheren Abhängigkeit von Ungarn ergeben.
König Ludwig I., seit 1370 (nach seines Oheims Kazimir Tode) auch König von
Polen, hatte in den letzten Jahren seiner Regierung seine durch Bogdan eingebüßten
Hoheitsrechte über die Moldau wieder zur Geltung gebracht. Wenn nicht schon Latzko
nach 1370 (im Jahre 1372 wird in den Verhandlungen Ludwigs mit Kaiser Karl IV. der
Moldau als eines Nebenlandes der ungarischen Krone gedacht), dann haben gewiß dessen
Nachfolger, zumal unter den durch die Doppelwahl herbeigeführten Verhältnissen, sich
unter die ungarische Oberhoheit gefügt. Als nach Ludwigs Tode (1382) dessen Tochter
Hedwig das Königreich Polen erbte und sich dann mit dem lithauischen Fürsten Wadys-
kaw JagieUo vermählte (1386), der im Februar 1387 auch Roth-Rußland bis an die
Grenzen der Moldau an sich brachte, fand sich Peter bewogen, an Stelle der ungarischen
Oberhoheit jene von Ludwigs jüngerer Tochter und deren Gemal anzuerkennen. Neben den
damaligen Wirren in Ungarn mag hiebei auch der Einfluß des katholischen Bischofs von
Sereth, der aus Polen stammte, in diesem Sinne gewirkt haben. Die polnische Oberhoheit
bot auch den Vortheil, daß sie mit keiner Tributleistung, wie die ungarische, verbunden
war. Aber Peter, den Wladyskaw Jagiekto seinen „treuen Freund und Schwager" nennt,
sah sich auch durch verwandtschaftliche Bande bestimmt, Polen den Vorzug zu geben. So
kam im Jahre 1387 die Moldau unter Polnische Oberhoheit.
Im folgenden Jahre (1388) lieh Peter dem Polenkönige 3000 Thaler, wofür dieser
ihm und dessen Bruder Roman die Stadt Halicz mit dem dazu gehörenden Gebiete, nachher
Pokutien (— der an die Bukowina angrenzende südöstliche Winkel von Galizien) genannt,
verpfändete. Die betreffende Urkunde Peters ist in der „Stadt Socava" ausgestellt,
welche hier zum erstenmale als Haupt- und Residenzstadt des Fürstenthums erscheint. Daß
früher der Fürstensitz in Sereth, dem Sitze des katholischen Bisthums, gewesen, ist nicht
bezeugt und bei dem Umstande, daß dieser Ort erst durch das Bisthum zur Stadt erhoben
wurde, auch nicht wahrscheinlich. Allerdings läßt die Localtradition den Wojwoden Sas
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in Sereth residiren, wo eine Örtlichkeit den Namen „Lasen« (vielleicht auf eine sächsische
Ansiedlung zurückznführen) trügt. In Suczawa wurde im Jahre 1390 auch das unter
Vermittlung Peters zwischen Wladislaw und dem Fürsten der Walachei, Mircea, im
Jahre 1389 vereinbarte und 1390 zu Lublin geschlossene Schutz- und Trntzbündniß
näher stipulirt, eine polnisch-moldo-wlachische Tripelallianz, die zunächst gegen Ungarn
und nach Ermessen auch gegen andere Feinde gerichtet war.
Auf Peter, der noch zu Anfang des Jahres 1391 in einem Berichte über ein wunder-
thätiges Kelchtuch der Bisthumskirche von Sereth genannt wird, folgte sein Bruder Roman.
Diese Senioratserbfolge, nach welcher das älteste Glied des Fürstenhauses zunächst
erbberechtigt war, seit früher in der Walachei giltig, erscheint von nun an auch in der
Moldau als Regel.
Von Roman I. (1391 bis 1393; 1399 bis 1400), dessen zweimalige Regierung
in den moldauischen Chroniken nur an erster Stelle mit drei Regiernngsjahren verzeichnet
ist, sind zwei auf die Bukowina Bezug habende Urkunden auf uns gekommen: eine von:
30. März 1392, die andere vom 18. November desselben Jahres, letztere „in unserer
Stadt zu Socava", erstere „in unserer Stadt" (wohl auch Suczawa) ausgestellt. Die erste
enthält auch die Bezeichnung »Uuüoviiur« (— Buchenwald) für ein Waldgebiet am Sereth,
wo wir dem gegenwärtigen Landesnamen, als solcher erst nach der Vereinigung mit
Österreich eingeführt, zum erstenmale (hier noch als Gattungsnamen) begegnen. Roman
nennt sich darin „Beherrscher des moldauischen Landes von den Bergen bis zum Meere".
Es ist das erste Zeugniß von der Ausdehnung des Fürstenthums bis an das Schwarze
Meer. Im Januar 1393 leistete Roman mittelst einer in Suezawa ansgestellten Urkunde
die Angelobung der Treue als Vasall des Polenkönigs. Noch in demselben Jahre verband
er sich mit dem Fürsten von Podolien, Theodor Koriatowicz, der gleichfalls unter polnischer
Oberhoheit stand, gegen den lithauischen Großfürsten Witold, welchem König Wtadyslaw die
podolische Festung Kamienietz mit ihrem Gebiete verliehen hatte. Im Kriege mit Witold
wurden die verbündeten Pvdolier und Moldauer bei Brazlaw besiegt und Theodor
Koriatowicz zur Flucht nach Ungarn gezwungen. Dies scheint gleichzeitig auch Romans Sturz
herbeigeführt zu haben, indem er die Regierung an seinen Bruder Stefan abtreten mußte.
Stefan I. (1393 bis 1399) regierte nach den moldauischen Chroniken sieben,
richtiger etwas über sechs Jahre (6901/1393 bis nach 1. September 6908/1399). Der
durch den Sturz Romans, des legitimen Fürsten, eingetretene Regierungswechsel und die
daraus gefolgten inneren Streitigkeiten ermuthigten den König Sigismund, die Ansprüche
der ungarischen Krone auf die Moldau wieder geltend zu machen. Er unternahm daher im
Jahre 1394 einen Feldzug in die Moldau, drang nach Überwindung starken Widerstandes
an der Grenze bis zur Fürstcnresidenz Suczawa vor und zwang den Wojwoden Stefan zur
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Unterwerfung und zum Versprechen, den Tribut zu leisten. Die so wiederhergestellte
ungarische Oberhoheit war jedoch nicht von Dauer. Schon am 6. Januar 1395 stellte
Stefan mit seinen Bojaren in Suczawa eine Huldigungsurkunde als Vasall des Polen -
königs aus, nachdem er zuvor auf das an Peter und Roman verpfändete Pokutien
verzichtet hatte. Er bekennt darin, die Herrschaft „mit Hilfe" des Königs MadtMaw
erlangt zu haben, erkennt die polnische Oberhoheit an und verpflichtet sich zur Hilfeleistung
gegen den König von Ungarn, gegen den Fürsten der Walachei, gegen die Türken, Tataren
und Russen, sowie gegen den deutschen Ritterorden.
Ausfallend ist die Erwähnung des Fürsten der Walachei, der siinf Jahre zuvor einen
Bnndcsvcrtrag mit dem Polenkönig geschlossen und ihn 1391 erneuert hatte. Es könnte
das eventuelle Eingreifen Mirceas in die moldauischen Angelegenheiten betreffen, um
Roman wieder zur Regierung zu verhelfen, wie es später auch tatsächlich geschah. In der
Schlacht von Nikopolis" (1396) kämpften aber neben Mircea, dem nunmehrigen (seit
März 1395) Bundesgenossen Sigismunds gegen die Türken, auch die Moldauer unter
ihrem Wojwoden im christlichen Heere, das Sigismund gegen die Türken führte.
Stefans Regiernngszeit war von einem heftigen Kirchenstreite mit dem Patriarchate
von Constantinopel ausgefüllt. Wahrscheinlich nach Abgang des von Georg Koriatowicz im
Jahre 1374 unter der Jurisdiction des Patriarchates von Ochrida bestellten Metropoliten
ernannte der Patriarch von Constantinopel einen Metropoliten für die Moldau, indem
er die Jurisdiction über die moldauische Kirche beanspruchte. Dieser, zum erstenmale im
Jahre 1393 genannt, wurde aber von den Moldauern nicht anerkannt und aus dem Lande
vertrieben, worauf er 1394 nach Tirnowa versetzt ward. Als Urheber dieses Conflictes
werden zwei moldauische Bischöfe, Josef und Meletius, genannt, von denen der erstere den
Sitz zu Asprokastron (--- Akkerman) hatte; der Sitz des anderen wird nicht genannt, war
aber wahrscheinlich in der Hauptstadt Suczawa, wo nachher der Sitz des Metropoliten ist.
Der Conflict hatte zur Folge, daß die beiden Bischöfe vom Patriarchen mit dem großen
Banne, das Land mit dem Internet, der Fürst, die Geistlichkeit und das Volk mit dem
kleinen Banne belegt wurden. Stefan versuchte hierauf im Jahre 1395 eine Versöhnung
mit dem Patriarchate. Er vermochte aber nicht die Anerkennung der Bischöfe zu erwirken
und erlangte für sich und sein Volk die Lossprechung vom Banne nur nach Aufnahme
des vom Patriarchen zur Verwaltung der moldauischen Kirche als Exarchen bestellten
Erzpriesters Petrus. Der Kirchenstreit fand erst im Jahre 1401 unter Alexander dem
Guten eine Lösung, indem Josef als Metropolit der Moldau unter der Jurisdiction
des Patriarchates von Constantinopel anerkannt wurde. Der Patriarch, heißt es in
der betreffenden Urkunde, habe sich überzeugt, daß die genannten zwei Bischöfe nicht
„serbische Bischöfe" gewesen seien, die auf unrechtmäßige Weise ins Land gekommen
Aus dem EvaiMliar des Klosters Humor (Ende des XV. Jahrhunderts).
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76
wären, sondern eingeborene, und Josef sogar mit dem Fürstenhause verwandt. Der heftige
Kirchenconflict erscheint somit als ein Jurisdictionsstreit, indem die Moldau seit Georg
Koriatowicz unter der Jurisdiction des Patriarchates von Ochrida (zu jener Zeit unter der
Herrschaft von serbischen Fürsten) stand, wobei das Land mit den bereits angestellten
Bischöfen die Jurisdiction des Patriarchates von Constantinopel und den von dort aus
ernannten Metropoliten nicht anerkennen wollte.
Wie früher Roman, so wurde auch Stefan infolge eines unglücklichen auswärtigen
Krieges gestürzt. Er betheiligte sich mit einem Hilfscorps an dem Feldzuge des Groß -
fürsten Witold von Lithauen gegen die Tataren, der in der Schlacht an der Worskla am
12. August 1399 mit der Niederlage des polnisch-lithauischen Heeres und der Moldauer
endete. Dies benutzte Roman, um einen Aufstand im Lande zum Sturze Stefans zuwege
zu bringen.
Roman I. erfreute sich nicht lange der neuerdings erworbenen Herrschaft. Swidry-
gietlo, Witolds Vetter, welcher den in der Schlacht an der Worskla gefallenen Statthalter
von Podolien ersetzte, nahm Roman im Jahre 1400 gefangen. Roman ließ hierauf durch
seinen Neffen Jvasco, Sohn des ehemaligen Wojwoden Peter, und einen Bojaren Vilcea
dem Könige Wladislaw zu Berest in Polen Treue und Dienst geloben. Indessen bemächtigte
sich, wahrscheinlich mit Swidrygielios Hilfe, dessen Vetter Georg Koriatowicz abermals
des moldauischen Fürstenthrones. Nach seiner ersten Regierung in der Moldau vom Jahre
1374 erscheint Georg noch im Jahre 1377, da er in Polen weilte, mit der Bezeichnung
„wlachischer Wojwode". Aus seiner zweiten Regierung ist von ihm eine Urkunde ohne
Datum bekannt, in welcher der „Wojwode Stefan" und Romans Söhne Alexander und
Bogdan als Zeugen genannt werden, was auf diese Zeit hinweist. Offenbar gegen Georgs
Usurpation suchte Jvasco, „Sohn des Wojwoden Peter und Erbe des moldauischen Landes"
(Roman muß schon gestorben sein), die Hilfe des Polenkönigs an, welchem, sowie dem Groß -
fürsten Witold gegenüber er sich im December 1400 durch einen schriftlichen Act zu Treue
und Dienst verpflichtet, falls er das väterliche Erbe erlangen und Fürst der Moldau werden
sollte. Endlich griff Mircea, Fürst der Walachei, in die moldauischen Wirren ein, nahm
Georg gefangen und verhalf Alexander, dem Sohne Romans, zum väterlichen Throne.
Georg Koriatowicz starb in der Moldau, wo sein Grabmal im Kloster Vaslui noch im Jahre
1575 zu sehen war. Nach der Reihenfolge der Fürstennamen im Bistritzer Diptychon
waren ihm Roman und Stefan im Tode vorausgegangen. Ihre Grabmäler mit später und
ohne Todesjahr gesetzten Grabschriften befinden sich in der Bisthumskirche zu Radautz.
Die Grabschrift Stefans sagt, daß er zu Hirläu (in der Moldau) getödtet wurde.
Alexander I. (1400 bis 1432), mit dem Beinamen der Gute, war als ältester
Sohn des Roman Musat und der Anastasia, Tochter Latzkos, der unbestrittene Erbe des
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/
moldauischen Fürsteuthrones. Während seiner langen Regierung wandte er seine volle
Fürsorge der inneren Organisation des durch die letzten kirchlichen und politischen Wirren
gesunkenen Fürstenthums zu.
Die ersten Regiernngsthaten Alexanders betreffen die kirchlichen Einrichtungen.
Gleich nach seinem Regierungsantritte schickte er eine Gesandtschaft an den Patriarchen
von Constantinopel, um dem Kirchenstreite ein Ende zu machen. Mit dem Schreiben vom
26. Juli 1401 an den „Großwojwoden von ganz Moldowlachien" erkannte endlich der
Patriarch den während des Kirchenstreites excommunicirten Bischof Josef als Metropoliten
der Moldau an; der zweite excommunicirteBischof, inBetreff dessen keine Verfügung getroffen
wird, war wohl nicht mehr am Leben. Josef, vormals Bischof von Akkerman, nahm als
Metropolit seinen Sitz in Suczawa, wohin Alexander über Josefs Veranlassung im
Jahre 1402 auch den Leib des heiligen Johannes Novi, jetzt Landespatrons der
Bukowina, aus Akkerman (wo Johannes, Kaufmann aus Trapezunt, nach der Legende um
1330 das Martyrium erlitten hatte) überführen ließ. Die alte Metropolitankirche, die
auch als Krönungskirche der Fürsten diente, ist als Bau noch erhalten und unter dem
Namen Mirautzer Kirche (bisoriea Nirautilor) bekannt. Sie war schon vor dem Jahre
1400 zugleich mit dem naheliegenden Fürstenschlosse, dessen Ruinen ein gleichartiges
Baumaterial wie die Kirche aufweisen, erbaut worden. In dieser Kirche wurden auch die
Reliquien des heiligen Johannes Novi aufbewahrt, bis sie in die im Jahre 1522 neu
erbaute Metrvpolitankirche zu St. Georg übertragen wurden, wo sie sich auch gegenwärtig
befinden. Die Sage erzählt, der Heilige selbst habe sich diese neue Stätte auserwühlt,
indem er die alte Metropolitankirche verlassen und sich sammt Sarg in eine hölzerne
Kirche begeben habe, an dexxn Stelle dann die neue Metrvpolitankirche erbaut worden
sei. An der Metropolie in Suczawa gründete Alexander auch eine Schule für Fürsten-
und Bojarensöhne, sowie für Cleriker, zu deren Leitung er den gelehrten Mönch
und Kirchenschriftsteller Gregor Tzamblak ans Constantinopel berief. Gregor Tzamblak
(auch „Samvlak" genannt), aus Tirnowa in Bulgarien gebürtig und in Constantinopel
gebildet, kam zuerst im Jahre 1401, bei der Beilegung des Kirchenstreites, als Gesandter
des Patriarchen an den Hof Alexanders. Hierauf, von Alexander ins Land berufen, nuckle
er als Prediger und Lehrer an der Metropolie und verfaßte hier auch das Leben des
heiligen Johannes Novi, bei dessen Übertragung im Jahre 1402 er bereits in -Liiezawa
domicilirte und eine Panegyrik hielt.
Gleichzeitig mit der Wiederherstellung der Metropolie errichtete Alexander auch
zwei Bisthümcr, die der Metropolie von Suczawa untergeordnet wurden. Das eine der
beiden Bisthümer, die bei der Übertragung des heiligen Johannes (wo neben dem Erz -
bischof Josef auch andere Bischöfe, wenngleich nicht namentlich, genannt werden) schon
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bestanden, war in Radautz. Zur Bisthumskirche wurde die hier seit Bogdan I. als
Klosterkirche und Begräbnißstätte der Fürsten bestehende St. Nikolauskirchc bestimmt,
die mit einem späteren Zubau noch erhalten ist und bis in die österreichische Zeit, als das
Radautzer Bisthum nach Czernowitz verlegt ward, Bisthumskirche blieb. Unter ihren Wand -
gemälden befindet sich ein Stiftungsbild mit verwischter Schrift, das wahrscheinlich
Alexander als Stifter darstellt. Neben der Metropolie von Snczawa und dem Bisthum
Radautz konnte das katholische Bisthum von Sereth, das bei der Rivalität zwischen der
griechischen und römischen Kirche dem Aufschwünge der kirchlichen Einrichtungen Alexanders
hätte entgegenwirken können, in deren Nähe nicht weiter bestehen, Alexander ließ daher
schon im Jahre 140k das Serether Bisthum nach Bakäu, dem Centrum der katholischen
Szekleransiedlungen in der Moldau, verlegen, wo es, aus der nahen Verbindung mit
Polen gerissen, allmäligem Niedergange verfiel.
Unter den Stiftungen Alexanders in der Bukowina ist noch das Kloster Mvldowitza,
am gleichnamigen Bache im Jahre 1401 gegründet, zu nennen. Aus Alexanders Regierung
ist auch die älteste Erwähnung (1427) des Klosters Humor. Nächst dem Kloster zu
Radautz, das hier vor der Errichtung des Bisthums bestand, und dein Dominicaner-
klvster bei dem Bisthum in Sereth sind Moldowitza und Humor die ältesten Kloster -
gründungen in der Bukowina; als Klöster sind sie die ältesten, die sich bis in die
österreichische Zeit erhielten. Doch die alte Klosterkirche von Moldowitza wurde durch
einen Bergsturz zerstört, worauf Fürst Peter IV. Rares im Jahre 1531 eine neue Kirche
erbaute, die als Pfarrkirche noch besteht. Auch die gegenwärtige Kirche von Kloster Humor
ist aus der Regierung des Peter Rares (1530). Alexander und seine Gemalin Maria haben
1429 dem Kloster Moldowitza ein kostbares Evangelienbuch gewidmet, das später käuflich in
den Besitz eines Venetianers gelangte, von dem es dieOxfordcrUniversitätsbibliothek erwarb.
Nachdem Alexander schon im ersten Regierungsjahre durch weise Einrichtungen
die Ordnung im Innern hergestellt hatte, war er darauf bedacht, seine Stellung auch dem
Auslande gegenüber zu sichern. Mittelst einer in Suczawa am 12. März 1402 ausgestellten
Urkunde erneuerte er die Verträge, die seine Vorfahren Peter und Roman (Stefan wird
bezeichnenderweise nicht genannt) mit dem Polenkönige geschlossen hatten, und erkannte
die Oberhoheit Polens an. Alexander nennt sich darin, wie in seinen internen Urkunden,
„von Gottes Gnaden Fürst der Moldau", welchen Titel seine Vorgänger in den Hnldigungs-
urknnden nicht gebrauchten. Im folgenden Jahre erneuerte auch Mircea, Fürst der
Walachei, seinen Bund mit Polen, der zur Zeit Stefans erkaltet und sogar zur Gegner -
schaft geworden war. So ward unter Vermittlung Alexanders die polnisch-moldo-wlachische
Tripelallianz aus der Zeit Peters wiederhergestellt, die eine mächtige Föderation vom
Baltischen bis zum Schwarzen Meere und zur unteren Donau darstellte. Der neuerliche
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Beitritt der Walachei sicherte der Moldau auch eine größere Unabhängigkeit gegenüber
Polen. Zugleich erscheint die Tripelallianz als hauptsächlich gegen Ungarn und dessen
Oberhoheitsansprüche auf die Moldau und Walachei gerichtet. Dies wird bei der
Erneuerung der Verträge im Jahre 1411 sowohl von Mircea als auch von Alexander
nachdrücklich hervorgehoben, indem beide sich dem Könige Wkadyskaw gegenüber zur Hilfe -
leistung gegen den König von Ungarn verpflichten, wogegen der Polenkönig ihnen gleichfalls
Hilfe gegen Ungarn zu leisten verpflichtet sein soll. Bezeichnend für das nunmehrige
Verhültniß der Moldau zu Polen ist auch, daß König Wtadystaw im Jahre 1411 seinem
„Freunde" Alexander für den aus dem Darlehen Peters vom Jahre 1388 noch schuldigen
Rest von 1000 Thalern Pokutien mit den Städten Sniatyn und Kolomea verpfändete,
auf welches Pfand Stefan verzichtet hatte.
Kaum hatten Mircea und Alexander im Frühjahre 1411 das Schutz- und Trutz-
bündniß mit Polen gegen den König von Ungarn erneuert, als Wtadystaw im Herbste
desselben Jahres Verhandlungen mit Sigismund anknüpfte, die bei der Zusammenkunft
beider Könige zu Lublau durch den Friedens- und Allianzvertrag vom 15. März 1412
zum Abschlüsse gelangten. Im Lublauer Vertrage erkannte Sigismund Polens Ober -
hoheit über die Moldau vorläufig an; nach dem Ableben eines der beiden Könige hätte
aber eine gemischte Commission die Hoheitsrechte beider Königreiche auf die Moldau fest-
znstellen. Bis dahin bleibe Alexander verpflichtet, mit seiner ganzen Heercsmacht dem
Könige von Ungarn gegen die Türken beizustehen, widrigenfalls er abgesetzt und sein Land
unter beide Könige zu Hälften getheilt werden solle. In der Abgrenzung der zu theilenden
Gebiete erscheint auch der Name der Bukowina: ein Waldgebiet von der ungarischen Grenze
bis zum Sereth heißt die „große Bnkovina", ein anderes Waldgebiet am Prnth die „kleine
Bnkvvina", hier zum erstenmale als Eigenname gebraucht.
Die Stipulationen des Lublauer Vertrages kamen, soweit sie die Moldau betrafen,
nicht zur Ausführung, und Alexander konnte seine weitere Regierung den Werken des
Friedens widmen. Wie durch die kirchlichen Einrichtungen, so trug er Sorge, dem
Fürstenthume auch durch eine gute Verwaltung und durch eine geordnete Rechtspflege
innere Festigkeit zu geben. Er umgab sich mit einem großen Hofstaate nach byzantinischem
Muster, das gleicherweise auch in der Walachei schon Aufnahme gefunden hatte, und mit
einem reich gegliederten Beamtenstande? Die Rechtspflege wurde ans Grund der byzan -
tinischen Gesetze der libri Lnsilieorurn geordnet, aus welchen Alexander (nach Cantemirs
Dosei-iMo iKolcknvine) einen Auszug als moldauisches Gesetzbuch machen ließ. Daneben
' Einige Hosämter finden sich schon früher vor, wahrscheinlich ans der Walachei zugleich mit dein Bornamen Zoan (ab -
gekürzt Jo.), den seit Romani, alle moldauischen Fürste», wie jene der Walachei, vor dem Taufnamen führen, entlehnt; die
meisten sind aber erst seit Alexander bezeugt, dem auch die Chronik die Errichtung der Hofämter und anderer Bojarien zuschreibt.
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galt auch das ungeschriebene Gewohnheitsrecht. In den Städten fand zugleich mit
deutscher Stadtverfassung das deutsche (Magdeburger) Recht Verbreitung, das durch
sächsische Ansiedler aus Siebenbürgen in die Moldau gebracht worden war. Vou den
Verwaltungsbezirken, Tzinute genannt, in welche die Moldau getheilt war, entfallen
zwei, nämlich der ganze Czernowitzer Tzinut und der größere Theil des Suczawer
Tzinutes auf die Bukowina; zum letzteren gehörte auch der Campulunger Ocol (— Kreis)
mit autonomer Verwaltung. Wie die autonome Gebirgsgemeinde Cämpulung mit
ihrem Kreis als landesfürstliches Gebiet, so hatten auch die landesfürstlichen Städte
Suczawa, Sereth und Czernowitz eigene Verwaltung mit grundherrlichcn Rechten.
Eine besondere Fürsorge zeigte Alexander auch für die Förderung des Handels und
Verkehres. In der Urkunde, die er den Lemberger Kaufleuten am 8. October 1407
ausstellte, erscheint Suczawa als Mittelpunkt alles Handelsverkehrs, als Stapelplatz und
Hanptzollstation; sonstige Zollstationen waren Sereth und Czernowitz (in dieser Urkunde
zum erstenmale genannt) auf der Handelsstraße nach Lemberg, dann Moldowitza bei der
heutigen Ortschaft Warna (— Zollschranke) auf der Handelsstraße nach Bistritz. Auch die
Kronstädter Kaufleute erhielten ein Handelsprivilegium, das ihnen für Suczawa einen
günstigeren Zoll als den Lembergern gewährte.
Die guten Beziehungen zu Polen pflegte Alexander bis kurz vor seinem Rcgieruugs-
ende. Er trat auch in ein verwandtschaftliches Verhältniß zum polnischen Königshause,
indem er nach 1417 (dem Todesjahre seiner ersten Gemalin Anna) sich mit der lithaui-
schen Prinzessin Rimgalla, Witolds Schwester und Wadystaws Cousine, verehelichte.
Doch schon im Jahre 1421 löste er diese Ehe auf und gab seiner gewesenen Gattin die
Stadt Sereth und das Gut Wolowetz bei Radautz nebst einer jährlichen Rente von 600
ungarischen Ducaten zum Unterhalte. Die Ehescheidung trübte aber das politische Ver-
hältuiß zu Polen nicht; im folgenden Jahre schickte Alexander dem Könige Wtadystaw,
wie zuvor in den Jahren 1410 und 1414, ein Hilfscorps gegen die deutschen Ritter, das
sich bei Marienburg hervorthat.
Im Frühjahre 1426 hätte Alexander mit Sigismund gegen die Türken ziehen
sollen. Die moldauischen und polnischen Hilfstruppen warteten bei Braila zwei Monate
lang vergebens auf den Kaiser, der erst im November an die siebenbürgische Grenze kam
und hier über den Winter blieb. Während dessen hob das polnisch-moldauische Hilfsheer
das Lager auf, und als Sigismund im nächsten Frühjahre den Türkenkrieg begann, den
er auch im folgenden Jahre fortsetzte, blieben die Moldauer und Polen aus. Dies uahm
dann Sigismund zum Anlasse, um bei der Zusammenkunft, die er mit WtadyÄaw im
Februar 1429 in Lutzk hatte, die Absetzung Alexanders und die Theilung der Moldau
gemäß dem Lublauer Vertrage zu fordern. Wladystaw war nicht dafür zu gewinnen. Aber auf
(^sr) aus dem Kloster Putna (1490) mit der
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dic Nachricht von jenem Theilungsplane schlug Alexander im Jahre 1430 wider ihn
los und drang siegreich in Pokutien ein; zuletzt mußte er jedoch vor der polnischen
Übermacht weichen (1431). Im Bunde mit Swidrygietlo, dem Bruder des Königs, setzte
er die Feindseligkeiten noch in Podolien fort, bis Wladhskaw im >;ahre 1432 über die
alliirten Gegner einen entscheidenden Sieg davontrng. Nicht lange darnach starb Alexander
an einer Krankheit, die er sich im Kriege zugezogen hatte, wie es scheint, ohne sounellen
Friedensschluß.
Unter Alexanders Nachfolgern bis zum Jahre 1457 (Elias I., Stefan II., Roman II-,
Peter II., Alexander II., Bogdan II-, und Peter III.) brachten wieder Thronstreitigkeiten dem
Lande Verderben. Hinsichtlich der Bukowina ist aus dieser wüsten Zeit wenig Bemerkens-
werthes bekannt. Außer Schenkungen für die Stiftungen Alexanders haben diese Fürsten kein
Andenken hier znrückgelassen. Das Vasallitätsverhältniß zu Polen blieb bis Bogdan II-
unverändert bestehen. Im December 1433 ward unter Stefan II-, zugleich mit der Ver -
gebung für Alexanders Vergehen gegen die polnische Krone seitens Wladystaws, auch eine
Grenzregulirung zwischen beiden Staaten vorgenommen. Danach sollte Pokutien zu
Polen gehören, das Schepenetzer Gebiet zwischen Pruth und Dniestr mit den Burgen
Tzetzun (das heutige Tzetzin bei Czernowitz, wo noch Burgruinen zu sehen sind) und
Chmelow (Lage unbestimmt) hingegen zur Moldau. ^ Die hier angegebene Grenze fällt
mit der heutigen Grenze der Bukowina gegen Galizien zusammen. Am Czeremosz wird
Waskoutz als zur Moldau, Zamostie und Wilawcze als zu Polen gehörend
bestimmt. Der Wald, der von da weiter zwischen der Moldau und Polen sich erstreckte (im
Lublauer Vertrage Bukovina genannt), sollte wie bis dahin den Moldauern verbleiben.
Im Jahre 1437 trat dann Elias, der nach Thronstreitigkeiten mit seinem jüngeren
Bruder Stefan II-, der ihn verdrängt hatte (1433), bei der Theilung des Landes
unter beide die obere Moldau mit der Bukowina erhielt (1435), dav Schepenetzer Gebiet
mit den Burgen Chotin, Tzetzun und Chmelow als Entschädigung für den von seinem Vater
Alexander in Pokutien angerichteten Schaden an Polen ab, wohl in der Absicht, um sich
unter polnischem Schutze behaupten zu können und eventuell wenigstens dieses Gebiet für
sich zu retten. Nach seiner abermaligen Verdrängung durch Stefan (1444) befinden sich die
genannten Burgen mit ihrem Gebiete im Besitze von Elias' Gattin Maria, einer Schwester
von Königs Wladystaw II. letzter Gemalin Sophie. Nach dem Tode der gewesenen Gattin
Alexanders I., Rimgalla-Maria, welcher noch Peter III. im Jahre 1454 die ihr bei der
> Das Schepenetzer Gebiet mit de» genannte» Burgen erscheint schon beim Regierungsantritte Stefans I. im Besitze der
Moldau. Nach Dlugosz soll die Burg Tzetzin, nebst Chotin, Kamieuietz und anderen Burgen, von Kazimir dem Große» ans
dem von den Tataren genommenen Gebiete erbaut worden sein; daher galt dieses nachher moldauische Gebiet seit Wtadystaw .
JagieUo als polnisches Lehen. Aber schon im Jahre 1S5S, da ebenfalls nach Dlugosz die Polen in den Wäldern des Schepenetzer
Gebietes von den Moldauern geschlagen wurden, muß dieses Gebiet im moldauischen Besitze gewesen sein.
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8»
Ehescheidung. (1421) zum Unterhalte gegebene Stadt Sereth mit dem Gute Wolowetz
bestätigt, erhielt Elias' Witwe im Jahre 1456 diese Plätze gegen die Burgen des Schepe-
netzer Gebietes, die wieder in den Besitz der moldauischen Fürsten gelangten.
Unter Peter II., dem dritten Sohne Alexanders des Guten, gewann Ungarn zur
Zeit der Reichsverweserschast des Johannes Hunyady Einfluß in der Moldau. Mit
Hunyady verschwägert, nahm Peter im Kampfe mit seinem Neffen Roman U. (Sohn des
Elias und durch seine Mutter mit dem Polnischen Königshause verwandt), der bei den
Polen Unterstützung fand, seine Zuflucht zum Reichsverweser von Ungarn und bemächtigte
sich mit dessen Hilfe im Frühjahre 1448 der Herrschaft. Noch in demselben Jahre leistete
er nach Romans Tode die Huldigung dem Polenkönige Kazimir IV., verlor jedoch nach
einem Jahre mit der Gunst Hunyadys (wohl wegen der Huldigung an Polen) die Herr -
schaft an Romans Bruder Alexander II. Gegen diesen erhob sich dann Bogdan II. (Sohn
von Alexanders I. Bruder Bogdan) und zwang ihn zur Flucht nach Polen. Bogdan huldigte
hierauf am 11. Februar 1450 dem Reichsverweser von Ungarn, Johannes Hunyady,
und erkannte die ungarische Oberhoheit an. Er behauptete sich gegen Polen und dessen
Schützling Alexander, der ihn mit polnischer Hilfe öfters, aber erfolglos bekriegte, bis zum
16. October 1451, als er im Kampfe mit dem Prätendenten Peter (einem natürlichen
Sohne Alexanders I.) bei Reusseni in der Nähe von Suczawa fiel. Sein Grabmal befindet
sich in der ihm zum Andenken von seinem Sohne Stefan dem Großen zu Reusseni erbauten
Kirche. Mit polnischer Hilfe gelang es nun Alexander II. sich wieder der Herrschaft zu bemäch -
tigen und sie gegen Peter zu behaupten. Im September 1452 leistete er dem Polenkönige
Kazimir IV., im Februar 1453 auch dem Reichsverweser von Ungarn die Huldigung. Im
Jahre 1454 mußte er aber vor Peter weichen und blieb nur auf einen kleinen Landestheil
bei Akkerman beschränkt. Peter III. huldigte dem Könige von Polen im October 1454. Auch
Alexander erneuerte noch im October 1455 seine Huldigung an Polen; bald darauf starb
er, worauf Peter im Juni 1456 nochmals dem Könige Kazimir huldigte. Um die drohende
Türkengefahr von sich abzuwenden, verstand sich Peter im Juni 1456 auch zur Zahlung
eines Tributes an den Sultan in der Höhe von 2000 ungarischen Ducaten.
So war das Fürstenthum durch inneren Hader in eine dreifache Abhängigkeit
von Polen, Ungarn und der Türkei gerathen. Aus dieser schmählichen Lage befreite das
Land Bogdans II. großer Sohn Stefan, der am Gründonnerstage des Jahres 1457 mit
Hilfstruppen aus der Walachei vor Suczawa erschien und den besiegten Peter zur Flucht
zwang. Auf dem Felde vireptate (— Gerechtigkeit) unter dem Jubel des Volkes zum
Fürsten ausgerufen, ließ sich Stefan feierlich durch den Metropoliten salben. Das mit
diesen Ereignissen zusammcnfallende Osterfest war zugleich ein Fest der Auferstehung des
Fürstenthnms.
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Stefan III. der Große (1457 bis 1504) ist der gefeiertste Heros des moldauischen
Fürstenthums und einer der hervorragendsten Feldherren seines Jahrhunderts. Wie
Alexander der Gute durch seine weisen Einrichtungen im Innern, so führte Stefan eine durch
große Kriegsthaten, sowie durch viele Kloster- und Kirchengründungcn ausgezeichnete
Regierung, zugleich die längste unter allen Regierungen in der Moldau.
In Kriegen mit Türken und Tataren, mit Ungarn und Polen, sowie mit den
türkischen Vasallen auf dem Fürstenstuhle der Walachei hat Stefan sein Land mit
bewunderungswürdigem Heldenmuthe vertheidigt und es schließlich zur Unabhängigkeit
gebracht. Die Zeitgenossen sind voll des Lobes und Preises, voll Bewunderung für ihn. Dein
gleichzeitigen polnischen Chronisten Dlugosz entreißen Stefans Siege über die Türken
folgenden Ausruf: „O, welch' bewunderungswürdiger Mann, neben den heldenhaften
Fürsten, die wir so sehr bewundern, um nichts geringer, der in unseren Tagen einen so
großartigen Sieg über die Türken errungen, unter den Fürsten der Welt der erste! Nach
meinem Urtheile wäre er der würdigste, daß ihm durch gemeinsamen Rath und einhelligen
Beschluß der Christen die Regierung und Herrschaft der Welt und namentlich das Amt
eines Feldherrn gegen die Türken übertragen werde, während die anderen katholischen
Könige und Fürsten in Unthätigkeit und Vergnügungen oder in Bürgerkriegen dahinleben."
Und Papst Sixtus IV., Stefans „ausgezeichnete Tapferkeit und vortreffliche Verdienste
um die Christenheit" preisend, schreibt ihm: „Deine Thaten gegen die ungläubigen Türken,
unsere gemeinsamen Feinde, die Du bis jetzt so weise und tapfer vollbracht hast, haben
Deinem Namen so viel des Glanzes hinzugefügt, daß Du in aller Munde bist und von
der Einhelligkeit aller gepriesen wirst." Ähnliche Lobpreisungen Stefans, des „Eiferers für
Glauben und Heil", wie ihn Matthias Corvinus nennt, enthalten auch die venetianischen
Berichte aus dieser Zeit. Der venetianische Arzt Muriano, der an Stefans letztem Kranken -
lager weilte, berichtet dem Dogen folgende Worte des von ihm mit besonderer Verehrung
genannten Fürsten: „Ich habe 36 Schlachten geschlagen, seitdem ich Herrscher dieses Landes
bin, von welchen ich in 34 gesiegt und zwei verloren habe."
Bei seinem Regierungsantritte fand Stefan das Fürstenthum in Abhängigkeit von
Polen und Ungarn zugleich und der Türkei tributpflichtig. Er erkannte vorläufig weder
die polnische, noch die ungarische Oberhoheit an und vermied bis zur Verständigung mit
beiden in kluger Weise die Herausforderung der Türkei; doch hinsichtlich der Tributzahlung
an die letztere, zu der sich sein Vorgänger verpflichtet hatte, fehlen sichere Nachrichten. Gegen
Polen, wo der flüchtige Peter Aufnahme und Schutz fand, verhielt sich Stefan in den ersten
zwei Jahren feindselig, indem er Einfälle in Pokutien und Podolien machte. Erst im Jahre
1459 kam zwischen den Gesandten des Polcnkönigs und dem Fürsten am Dniestr ein Ver -
gleich zustande, demzufolge die bisherigen Kriege und gegenseitigen Plünderungen aufhören,
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Peter aber sich künftighin nicht in der Nahe der moldauischen Grenze aufhalten sollte.
Zugleich versprach Stefan, den König „gegen die Heiden" (^Türken und Tataren) zu
unterstützen, wogegen auch der König ihn zu vertheidigen verpflichtet sein soll. Im folgenden
Jahre wurden auch die früheren Handelsprivilegien der Lemberger Kaufleute erneuert.
Am 2. März 1462 leistete Stefan, von Suczawa aus, mit dem Metropoliten und den
Bojaren die Angelobung der Treue mit der Erklärung, daß er die Oberhoheit der polnischen
Krone nach Brauch seiner Vorgänger anerkenne.
Während auf diese Weise das frühere Verhältniß zu Polen wiederhergestellt ward,
begannen die Feindseligkeiten mit Ungarn. Peter, der sich in Polen nicht mehr sicher fühlte,
suchte und fand Schutz bei Matthias Corvinus. Infolge dessen fiel Stefan im Jahre 1461
in Siebenbürgen ein. Die fortgesetzte feindselige Haltung Stefans, der auch die aufständischen
Siebenbürger begünstigte, veranlaßte Matthias im Jahre 1467 zu einem Feldzuge in
die Moldau. Doch erlitt das ungarische Heer bei Baja in einem nächtlichen Überfalle
(15. December) so empfindliche Verluste, daß der verwundete König eiligst den Rückzug
antreten mußte. Noch im Jahre 1469 machte Stefan einen Einfall in Siebenbürgen; doch
bald hatten die aus Grenzstreitigkeiten entstandenen Kriege Stefans in der Walachei (1470
bis 1474), deren Fürst bei den Türken Unterstützung fand, und die beginnenden Feind -
seligkeiten mit der Türkei eine Annäherung an Ungarn zur Folge.
Aber ehe noch ein festes Übereinkommen mit Matthias erzielt wurde, brach der
Türkenkrieg aus. In der berühmten Schlacht an der Racova bei Vaslui erfocht Stefan
am 10. Januar 1475 über ein türkisches Heer von 120.000 Mann, das unter Suleiman
Pascha in die Moldau einbrach, mit einem Heere von 40.000 Mann moldauischen Truppen,
2000 Polen und 5000 Ungarn (meist um Sold geworbene Szekler nebst ungarischen
Hilfstruppen in der Stärke von 1800 Mann) seinen glänzendsten Sieg. Nach der Schlacht
schickte Stefan Gesandte an die christlichen Fürsten und an den Papst mit dem Ansuchen
um Beistand gegen den drohenden Feind, der schon Anstalten treffe, die Niederlage zu
rächen und „dieses Festungsthor der Christenheit" — wie Stefan sein Land nennt — in
seine Gewalt zu bringen.
Ein Schreiben dieses Inhaltes wurde auch an den König von Ungarn geschickt,
dem überdies Stefan durch seinen Gesandten seine Dienste gegen die Türken antrug.
Matthias nahm die Botschaft beifällig auf, dankte Stefan für die angetragenen Dienste
und erklärte sich bereit, seinen Wünschen, darunter auch hinsichtlich einer von ihm begehrten
Burg in Siebenbürgen, gerne zu willfahren; die näheren Vereinbarungen werde ein
demnächst zu schickender Gesandter des Königs an den Fürsten zum Abschlüsse bringen. Die
Gesandtschaft des Matthias verfolgte den Zweck, Stefan zur Anerkennung der ungarischen
Oberhoheit zu bewegen. In der Hoffnung, vor der Rache des Sultans Schutz zu finden,
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ging der Sieger von Racova auf die ungarischen Forderungen ein. Stefan erhielt die
Burgen Csicsö und Küküllö in Siebenbürgen als ungarisches Lehen und erkannte dafür
den König von Ungarn als seinen Oberherrn an (15. August 1475).
Im folgenden Jahre führte Sultan Muhamed II- selbst ein Heer von 150.000
Mann gegen Stefan. Auch der tributpflichtige Fürst der Walachei leistete ihm Heeresfolge.
Zugleich sollte eine türkische Flotte die Belagerung der Festungen Kilia und Akkerman
unterstützen, während von Osten her 30.000 Tataren ins Land einfielen. Diesem
gewaltigen Angriffe stand Stefan allein gegenüber, ohne jede Hilfe von außen. Er konnte
einer Feindesmacht von etwa 200.000 Mann kaum 40.000 Moldauer entgegenstellen.
Während er mit diesen an der Donau stand, um den Türken den Übergang zu verwehren,
drangen die Tataren plündernd bis an den Sereth in der Nähe von Suczawa vor.
Stefan eilte zur Stelle, brachte ihnen eine vollständige Niederlage bei und wmf sie
über den Dniestr zurück. Indessen überfluteten die Türken das Land und steckten -Städte
und Dörfer in Brand. Vergeblich wartete Stefan auf Beistand von Ungarn und Polen.
Schon stand der Feind bei der Festung Neamtz, zwei Tagemärsche vor Suczawa. Am
Bache Valea Alba, auf der seither Resboieni genannten Wahlstatt, nahm Stefan am
26. Juli mit 10.000 auserlesenen Reitern den ungleichen Kampf auf, aus dem der Held
mit wenigen Trümmern der tapferen Schar kaum das Leben rettete. Mit einigen (15 bis 20)
Reitern erreichte er dann Kannenietz, um in Polen Hilfe zu suchen und Truppen zu werben.
Die Türken aber zogen bis Suczawa und belagerten erfolglos die Festung. Mangel an
Lebensmitteln und im Heere wüthende Krankheiten nöthigten den Sultan noch im August
zum Rückzuge, während die Hauptstadt in Brand gesteckt ward. Erst nach der Katastrophe
rückten die ungarischen Hilfstruppen heran, die Bäthory, Oberanführer der Truppen in
Siebenbürgen, schickte. Aus Polen zurückgekehrt, ereilte Stefan noch einen Rest des
türkischen Heeres an der Donau, schlug die Nachzügler bis zur Vernichtung und nahm
ihnen die Beute wieder ab. So wurden Kilia und Akkerman noch für die Moldau gerettet.
Die folgenden Jahre der Ruhe benutzte Stefan zu Werken des Friedens, zu
Kloster- und Kirchengründungen als Denkmäler seiner letzten Kriege und namentlich zum
Wiederaufbaue von Suczawa. Doch schon nach acht Jahren wurde die neu erstandene
und mit neuen Befestigungen versehene Stadt wieder der Schauplatz türkischer Brand -
schatzung. Die Feindseligkeiten mit der Türkei begannen in den Jahren 1480 bis 1481 von
neuem, indem Stefan in die Walachei einfiel und in, Vereine mit den von Matthias
geschickten Truppen den türkenfreundlichen Wojwoden stürzte. Im ^ommer 1484, nachdem
Matthias Ende 1483 mit Bajesid II. einen fünfjährigen Waffenstillstand kaum geschlossen
hatte, zog der Sultan selbst mit großer Heeresmacht, zu der noch 20.000 Mann ans
der Walachei und 50.000 Tataren stießen, und mit einer starken Flotte gegen stefan.
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Das nächste Ziel waren die Festungen Kilia und Akkerman, welche nach kurzer Belagerung
fielen. Eine Heeresabtheilung zog dann plündernd bis Suczawa und steckte die Stadt in
Brand (19. September). Stefan schlug hierauf noch ein türkisches Corps bei Catlabuga in
der Nähe von Kilia (16. November), aber die verlorenen Festungen konnte er nicht wieder -
gewinnen. Die Haltung der Schutzmächte Polen und Ungarn war auch in diesem letzten
Türkenkriege Stefans eine äußerst laue. Matthias machte zwar nachträglich Vorstellungen
beim Sultan gegen den Bruch des Waffenstillstandes und forderte die Rückgabe von Kilia
und Akkerman. Bajesid berief sich aber auf den Wortlaut des Vertrages, worin die Moldau
nicht genannt war, und verweigerte die Rückgabe der mit großen Opfern genommenen
Festungen; doch versprach er, die Moldau während der Dauer des Waffenstillstandes nicht
anzugreifen. Auch in Polen machte man Miene, Stefan schützen zu wollen, indem Kazimir
nach dem Kriege Tnrppen an der moldauischen Grenze zusammenzog. Doch die bereit -
gestellten polnischen Hilfstruppen konnten jetzt zu nichts mehr nützen. Dagegen benutzte
Kazimir die Gelegenheit, um Stefan zur formellen Huldigung zu bewegen.
Schon vordem hatte der Polenkönig wiederholt den Huldigungseid gefordert. Aber
Stefan hat sich darauf beschränkt, seinem Schutzherrn die Angelobung der Treue schriftlich
zu erneuern und Trophäen aus seinen Kriegen zu schicken; den Huldigungseid versprach er
bei gelegentlicher Zusammenkunft mit dem Könige zu leisten. Nun mußte er, an Streit -
kräften erschöpft und von Vernichtung bedroht, dem Drängen nachgeben. Er ging nach
Kolomea, wo die Eidesleistung im Beisein zahlreicher polnischer Truppen am 10. September
1485 stattfand. In einem eigens dazu hergerichteten Zelte bestieg Kazimir im Krönungs -
ornate den Thron, umgeben von den hohen Würdenträgern des Reiches. Während Stefan
sich auf die Kniee niederließ, um den Eid zu schwören, wurden die Zeltwände absichtlich
herabgelassen: das Heer und die umstehende Menge sah den zur Zeit gepriesensten
Kriegshelden der Christenheit kniend vor Polens König. Stefan verrieth mit keiner Miene,
was damals in ihm vorging. Aber von jener Stunde hat die Freundschaft für Polen aufgehört.
In der Folge schloß sich Stefan mehr Ungarn an. Zugleich suchte er den Groß -
fürsten von Moskau, Iwan III. (dessen Sohn Iwan Jwanowic mit Stefans Tochter Elena
vermält war), für ein Bündniß gegen die Türken zu gewinnen. Doch Ungarns Friede
mit der Türkei kam auch der Moldau zugute, und Stefan hatte keinen Türkenkrieg mehr.
Als nach Matthias' Tode die Söhne des Königs Kazimir von Polen, der Böhmen -
könig WkadyÄaw und Johann Albert, und der weitblickende edle Habsburger Maximilian
von Österreich Ansprüche auf die ungarische Krone erhoben, schloß sich Stefan dem letzteren
an und hielt auch nach Wtadystaws Wahl (15. Juli 1490) zu Maximilian. Es ist ein
schönes Zeugniß der Geschichte für Stefans Staatsklugheit, die seinem Feldherrntalent
nicht nachstand. Maximilian wußte seine Anhänglichkeit zu schätzen. Er gab ihm
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außerordentliche Vollmachten in Siebenbürgen und forderte am 11. August 1490 die
siebenbiirgischen Stände auf, dem moldauischen Wojwoden Stefan, der in des Königs
(Maximilian) Namen ihre Huldigung entgegenzunehmen und sie zu schützen beauftragt sei,
Gehorsam zu leisten. In diese Zeit, da Stefan gegen den jagellonischen König von
Ungarn und Böhmen anftrat, gehört wohl der Einfall ungarischer Truppen unter
Hromot (ein Name mit böhmischem Klang) in die Moldau, den die moldauischen Annalen
Stiftung der Woronetzer Klosterkirche durch den Fürsten Stefan III.
irrthümlich zum Jahre 6994/1486 (wahrscheinlich statt 6999/1491, in der cyrillischen
Schrift eine leicht mögliche Verwechslung) verzeichnen. Die Feindseligkeit Stefans gegen
des Polenkönigs Sohn Wtadyskaw galt zunächst Polen, während zugleich seine Truppen
im Jahre 1491 in Pvkntien und Pvdolien einfielen. Erst nach dem Preßburger Frieden
(7. November 1491), den Maximilian mit Wtadystaw schloß, erkannte auch Stefan
letzteren an, und Wtadyskaw übergab ihm iin Jahre 1492 die von Matthias verliehenen
siebenbiirgischen Burgen Csicsö und Küküllö. Aber mit Polen mochte er sich nicht wieder
befreunden.
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Nach Kazimirs Tode (1492) leistete Stefan dessen Nachfolger Johann Albert die
übliche Angelobung der Treue nicht. Des Königs Bruder Alexander, Großfürst von
Lithauen, machte schon im Jahre 1493 Allianzvorschläge, die er noch 1496 wiederholte;
aber Stefan wies die Vorschläge zurück. Unter dem Vorwände, gegen die Türken ziehen zu
wollen, um ihnen die der Moldau entrissenen Festungen Kilia und Akkerman abzunehmen,
überschritt Johann Albert mit einem Heere von 80.000 Mann und mit großem Troß
(20.000 Wagen und 40.000 Bauern) im August 1497 die moldauische Grenze am Dniestr
in der Bukowina. Der Krieg galt Stefan, denn schon vor der Grenze wird ein Adeliger
von der Verpflichtung, an dem „gegenwärtigen moldauischen Feldzuge" theilzunehmen,
urkundlich befreit. Doch erst bei Kotzman verrieth der König seine feindliche Absicht, indem
er die ihm entgegengeschickten Gesandten gefangen setzte. Stefan schickte nun Truppen nach
Czernowitz, dem Feinde den Übergang über den Pruth zu verwehren; er selbst zog sich
bis Roman zurück, dort die Ereignisse abzuwarten. Am 24. September standen die Polen
vor den Mauern von Suczawa und belagerten drei Wochen lang vergeblich die Festung.
Indessen zog Stefan Hilfstruppen aus der Walachei heran, warb Soldtrnppen bei den
Szeklern in Siebenbürgen und erwirkte, daß selbst der Wojwode von Siebenbürgen, Berthold
Drägfi, mit einem Heere zu Hilfe kam. Unter Drägfi's Vermittlung kam ein Vergleich
zustande, demzufolge die Polen ans demselben Wege, den sie im Lande betreten hatten,
zurückkehren sollten. Am 19. October zog das polnische Heer unverrichteter Dinge von
Suczawa ab. Auf dem eiligen Rückzuge soll es aber einen kürzeren Weg eingeschlagen
haben, der durch den Cosminer Wald (zwischen Sereth und Pruth) führte. Hier wurden die
Polen überfallen und erlitten eine schwere Niederlage (26. October). Hierauf bei dem
Pruthübergange bei Czernowitz, dann bei Lentzesti und bei Schipenetz wiederholt
angegriffen, erreichte Johann Albert nach schweren Verlusten an Menschenleben mit den
Trümmern seines Heeres die Grenze. Mit Bezug aus dieses schreckliche Gemetzel entstand
nach Bielski das polnische Sprichwort:
,2z Lrolg, Oldruetitu (In König Albrechts Tagen
8rlaevta." Wurde der Adel erschlagen.)
Die Zahl der Gefangenen soll 20.000 erreicht haben. Eine Sage, bei moldauischen
Geschichtschreibern erst zu Anfang des XVIII. Jahrhunderts zu finden, die weiter aus -
geschmückt im Volke noch lebt, erzählt, Stefan habe die polnischen Gefangenen an den
Pstug gespannt und ein Feld ackern lassen, das sodann mit Eicheln besäet worden sei;
der an der Stelle gewachsene Wald sei sonach von den Moldauern vurabrava Uogis
(^ der rothe Eichenwald), von den Polen aber Bukowincr- (das ist Buchen-) Wald
genannt worden. Wenn auch nicht der Sage gleich, so hat doch Stefan auf dem blutigsten
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Schlachtfelde, das die Geschichte der Bukowina kennt, die ihm zu Kolomea bereitete
Demüthigung gerächt.
Im folgenden Jahre setzte Stefan den Krieg in Polen fort und durchzog, ohne auf
erheblichen Widerstand zu treffen, ganz Ostgalizien bis über Lemberg hinaus und bis an
den Wislok. Unzählige Gefangene (angeblich über 100.000) und große Beute wurden weg -
geschleppt und die Gefangenen (meist Ruthenen) in der Bukowina, sowie in anderen
moldauischen Landestheilen angesiedelt. Am 19. Juli 1498 kam endlich unter Vermittlung
Königs Wtadystaw von Ungarn ein Friede zustande, den Wiadyslaws Abgeordnete mit
Johann Albert zu Krakau vereinbarten. Am 16. April 1499 schlossen dann die Abgeord -
neten Stefans einerseits und jene Wtadyslaws anderseits, ebenfalls zu Krakau, einen
Friedens- und Allianzvertrag mit dem Könige von Polen, den Stefan am 8. Juli ratificirte.
Diese polnisch-ungarisch-moldanische Tripelallianz war ein Schutz- und Trutzbündniß gegen
die Türken mit gleichen Verpflichtungen für die drei Alliirten. Stefan erscheint darin als
gleichgestellter Alliirter, ohne jedwede Andeutung eines Vasallitätsverhältnisses. Doch zu
Ungarn bestand ein solches Verhältniß insoferne, als Stefan die siebenbürgischen Burgen
Csicsö und Küküllö, deren Besitz ihm Wladysiaw noch in den Jahren 1500 und 1503
bestätigt, als ungarisches Lehen besaß. Das frühere Vasallitätsverhältniß zu Polen blieb
nach dem Friedensschlüsse auf ein Schutz- und Trutzbündniß reducirt.
Nach dem Tode Johann Alberts (1501) ergaben sich aus Grenzstreitigkeiten wieder
Feindseligkeiten mit Polen. Schon im Jahre 1501 (nach St. Michael) schickte Stefan eine
Gesandtschaft an den neu gekrönten König Alexander, welche unter anderem auch in
Betreff einer Delimitation in der „Bukowina" verhandeln sollte. Aus unmittelbar nach -
folgenden Urkunden ist ersichtlich, daß der Name Bukowina (^ Buchenwald), früher für
ein Waldgebiet an der polnisch-moldauischen Grenze gebraucht, jetzt auf Pvkntien ausge -
dehnt erscheint. Die Verhandlungen führten zu keinem befriedigenden Resultate, denn im
folgenden Jahre fiel Stefan in Pokntien und Podolien ein, bemächtigte sich der pokutischen
Bukowina (von den Karpathen bis zum Dniestr), wo 3000 Mann unter seine Fahnen
traten, setzte in Kolomea und im Haliczer District seine Beamten ein und führte viel Volk
nach der Moldau weg; alle Ruthenen der Gegend, heißt es in einem amtlichen Berichte
an den König, gingen zum Wvjwoden über. Stefan behauptete, das von ihm besetzte
Gebiet komme von altersher der Moldau zu; allerdings hatte er die Thatsache für sich,
daß es an Peter 1. und später wieder an Alexander I. verpfändet ward.
Von dieser Expedition kehrte Stefan an Gicht schwer erkrankt zurück. Wieder sollte
der König von Ungarn über Ansuchen des Polenkönigs, seines Bruders, den Frieden
vermitteln. Im October 1503 kamen die streitenden Theile überein, daß ihre Abgesandten
und jene Wadyslaws am 2. November zu Kotaczyn zusammentreten sollten, um das
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besetzte Gebiet, südlich vom Haliczer Walde zwischen dem Dniestr und den Karpathen, zn
besichtigen. Aber ehe es zu einer Entscheidung des Streites um Pvkntien kam, starb Stefan
am 2. Juli 1504.
„Unter großer Trauer und Klage, beweint von allen Bewohnern des Landes, nach
dem Tode wie ein Heiliger verehrt", — wie die Chronik des Ureche sagt — wurde Stefan,
dem die moldauischen Annalen den Beinamen des Großen geben, in seinem Lieblings -
kloster Putna zur Ruhe bestattet, das er im Jahre 1466 zu bauen begonnen und am
3. September 1470 mit großem kirchlichen Pomp hatte einweihen lassen. Aus der
Zeit Stefans sind hier noch manche kostbare Kirchengeräthe, Gewänder und Kirchenbücher
erhalten; der alte Bau hingegen, unter den Klöstern des Stifters am meisten gerühmt, ist
der Zerstörung anheimgefallen, und der Neubau (1662) der Klosterkirche ist in ihrer gegen -
wärtigen Form, nach einer späteren Wiederherstellung (1757), noch in der österreichischen
Periode theilweise verneuert worden. Andere Stiftungen Stefans in der Bukowina sind
die Klöster Petroutz bei Suczawa (1487), St. Jlie (1488) und Wvronetz (1488), die
gegenwärtig als Pfarrkirchen bestehen; alle drei haben noch alte Fresken mit biblischen und
kirchengeschichtlichen Darstellungen, darunter auch Stefans Bildniß im Mannesalter. Ein
ähnliches gleichzeitiges Bildniß ist in einem Evangeliar, das Stefan dem Kloster Humor
widmete, erhalten: eine gedrungene Gestalt in byzantinischer Tracht, die Krone auf dem
Haupte, mit herabwallendem hellbraunen Haar und dunkelblauem Auge von kühnem
Blicke. Außer den vier Klöstern sind in der Bukowina drei noch bestehende Kirchen von
Stefan errichtet: zu Badeutz-Mileschoutz (1481), Wvlowetz (1502) und Reusseni (1504),
letztere mit dem Grabmal seines Vaters Bogdan ll.
Vor dem Tode soll Stefan seinem Sohne und Nachfolger Bogdan empfohlen haben,
mit der Türkei einen Vasallitätsvertrag zu schließen, der dem Fürstenthnme gegen einen
jährlichen Tribut innere Selbständigkeit gewährleisten sollte. Er mochte fühlen, welches
Schicksal seinem Lande ohne ein Schwert, wie er geführt, sonst bevorstünde.
Bogdan III. (1504bis1517) übernahm die Regierung, als derStreit um Pokntien
noch in vollem Lodern war. Kurz vor Stefans Tode hatten die Polen einen Einfall
in die Moldau gemacht und große Verheerungen angerichtet. Nunmehr schickte Bogdan
eine Gesandtschaft an König Alexander mit Friedensvorschlügen und zugleich mit der
Werbung um die polnische Königsschwester Elisabeth. Am 16. März 1505 kam zu Lublin
ein Ehevertrag zustande, indem Bogdan gegen die Hand der Polnischen Prinzessin auf
das von Stefan eroberte Pokntien verzichtete und sich verbindlich machte, für seine
künftige Gemalin eine katholische Kirche in Suczawa zu errichten und einen katholischen
Bischof einzusetzen. Aber nach dem Tode des Königs Alexander (1506) erachtete sich dessen
Nachfolger Sigismund nicht für verpflichtet, jenen Vertrag zu halten, und Elisabeth
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weigerte sich, die Ehe mit Bogdan einzugehen. Noch im Jahre 1506 fiel daher Bogdan
in Pokntien ein und besetzte wieder das ein Jahr zuvor abgetretene Gebiet. Wieder suchte
Polen die Friedensvermittlung des Königs von Ungarn an. Dieser übernahm die
Vermittlung erst nach einem am 28. Mai 1507 zu Ofen mit den Abgeordneten Sigismunds
abgeschlossenen Friedens- und Allianzvertrage, worin Ungarns Oberhoheit über die
Moldau seitens Polens formell anerkannt wurde.
Wtadyslaws erster Vermittlungsversuch hatte nicht den gewünschten Erfolg. Bogdan
brach im Sommer 1509 in Polen ein, verheerte das Gebiet von Kamienietz bis über
Lemberg hinaus und kehrte,
nachdem er Lemberg ver -
geblich belagert, Halicz und
Rohatyn in Brand gesteckt
hatte, mit reicher Beute und
einer großen Anzahl von
Gefangenen (meist Ruthenen),
die im Lande angesiedelt
wurden, nach Suczawa zurück.
Sigismund schickte hierauf
seine Truppen unter Führung
des Palatins von Krakau,
Nikolaus Kamienecki, in die
Moldau,um anBogdanRache
zu nehmen. Die Polen plün -
derten und verwüsteten das
angrenzende Gebiet zwischen
Dniestr und Sereth bis
Botosani, steckten Czernowitz
Siegel des moldauischen Fürsten Stefan IV.
und mehrere Dörfer in Brand und schlugen, auf dem Rückzüge über den Dniestr von
Bogdans Truppen bei Chotin angegriffen, diese zurück. Im December traten dann
Wladystaws, Sigismunds und Bogdans Bevollmächtigte in Kamienietz zusammen, um
über den Frieden zu verhandeln; dieser wurde am 17. Januar 1510 geschlossen, worauf
am 20. März Sigismund den Friedens- und Allianzvertrag mit Bogdan ratificirte.
Die Moldau erscheint darin in gleichem Verhältnisse zu Polen wie im letzten Vertrage
Stefans und in keiner Weise als von der ehemaligen Schutzmacht abhängig. Die Frage,
betreffend Pokntien, sollte durch eine von Wladyslaw einzuberufende gemischte Commission
entschieden werden. Vorderhand blieb der besetzte Theil von Pokntien unter moldauischer
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Verwaltung, bis dann Bogdan, von Tataren und Türken bedroht und Polens Hilfe
suchend, das Gebiet räumte.
Im folgenden Jahre hatte die Moldau einen räuberischen Einfall der Tataren
zu erleiden. Im Bunde mit Selim, der sich gegen seinen Vater Sultan Bajesid II. empört
hatte, bedrohte der Tatarenchan, Selims Schwiegervater, auch weiterhin die Moldau. Die
Gefahr stieg aufs höchste, als Selim im Jahre 1512 seinem Vater in der Regierung
folgte. In Ungarn uud Polen war man um das Schicksal des Fürstenthums ernstlich
besorgt. Bogdan wandte sich an beide Reiche um Hilfe. Doch von Ungarn wie von Polen
ohne Aussicht auf ausreichenden Beistand gelassen, von Türken und Tataren aufs höchste
bedroht, suchte Bogdan, angeblich der letztwilligeu Verfügung seines Vaters gemäß, die
drohende Gefahr durch freiwillige Unterwerfung unter die türkische Oberhoheit von sich
abzuwenden. Noch zu Anfang des Jahres 1514, da der polnische Senat Bogdan gegen
den gewärtigten Angriff Selims Hilfe versprach, von den Türken bedroht, erscheint die
Moldau vor Ende desselben Jahres in einem Berichte Königs Sigismund an den Papst
Leo X. als der Türkei tributpflichtig. Die Unterwerfung (irrthümlich in das Jahr 1511
oder 1512 gesetzt) geschah daher im Jahre 1514. In Ungarn, dessen nominelle Oberhoheit
in letzter Zeit zur Geltung gekommen war, sah man die Moldau auch weiterhin als ein
Nebenland der ungarischen Krone an.
Der türkische Hatischerif mit den Stipulationen des Unterwerfungsvertrages soll im
>zahre 1686, als die Polen die Moldau besetzten, auf Befehl Johann Sobieski's verbrannt
worden sein; doch ist ein Auszug daraus durch den moldauischen Geschichtschreiber, den
Groß-Logotheten Nikolaus Costin (gestorben 1712) uns erhalten. Darnach wurde dem
Fürstenthume die innere Selbständigkeit mit dem Rechte der Fürstenwahl und die Integrität
des Territoriums garantirt, wogegen der Fürst die Investitur vom Sultan zu erhalten hatte,
einen jährlichen Tribut von 11.000 Piastern (nach Costin — 4000 türkische Ducaten; im
Jahre 1514 wird der Tribut in der Höhe von 8000 Ducaten angegeben) zahlen und
nöthigenfalls Heeresfolge leisten sollte; im Lande sollen sich Türken nicht niederlassen und-
keine Moscheen bauen dürfen. Drei Jahre nach diesem Unterwersungsvertrage starb
Bogdan und wurde im Kloster Putna bestattet.
Stefan IV. (1517 bis 1527), Bogdans minderjähriger Sohn, als Knabe auf den
Fürstenstuhl erhoben, starb nach kurzer bedeutungsloser Regierung ohne Nachkommen
und wurde gleichfalls im Kloster Putna bestattet. Unter ihm ist die ehemalige
Metropolitankirche zum St. Georg in Suczawa, deren Bau sein Vater begonnen hatte,
vollendet worden (1522). Mit Stefan IV. erlosch die Dynastie Bogdan-Musat, um
einer Reihe von Prätendenten, die als natürliche Fürstensöhne oder als Nach -
kommen von solchen Anspruch auf den Fürstenstuhl erhoben, und Abenteurern freien
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Spielraum zu lassen. Dies, neben dem Falle Ungarns in der Schlacht von Mohäcs (1526),
brachte das Land in immer größere Abhängigkeit von der Türkei, während die Ansprüche
der ungarischen Krone aus die Schutzherrschaft über die Moldau auf das Haus Habsburg
übergingen. So bildet die für die Geschichte der Monarchie bedeutungsvolle Epoche von
1526 auch in der Geschichte der Bukowina einen wichtigen Zeitabschnitt.
Moldauische Periode: 2. Unter türkischer Oberherrschaft von 1527 bis
1775. — Das Aussterben der Dynastie Bogdan-Musat, begleitet von dem gleichzeitigen
Falle Ungarns nach der Schlacht von Mohäcs, bezeichnet einen düsteren Wendepunkt in der
Geschichte des moldauischen Fürstenthums. Hatte das Fürstenthum bis zur Schlacht von
Mohäcs doch einigen Rückhalt an Ungarn gefunden, als dessen Nebenland es wenigstens
nominell noch galt, so zog der Fall Ungarns auch den Verfall des moldauischen Fürsten -
thums nach sich. Der Mangel eines erblichen Fürstenhauses nach dem Erlöschen der
Dynastie war dabei dem Lande umso verhängnißvoller, als die Bewerbungen verschiedener
Prätendenten und Abenteurer der Pforte willkommene Handhabe gaben, das Fürsten -
thum in immer größere Abhängigkeit zu bringen und den Tribut allmälig bis zu schier
unerschwinglicher Höhe zu steigern, bis zuletzt die Pforte nach Willkür die Wojwoden ein-
und absetzte und das tributäre Wahlsürstenthnm zu einem sozusagen an ^sürfienthnmv-
Pächter preisgegebenen Zinslande machte. Diese Leidensgeschichte des moldauischen
Fürstenthums nimmt ihren Anfang schon unter dem ersten Wahlfürsten, der auf dm-> letzte
Glied der Dynastie folgte, und erreicht ihre Höhe während der 110jährigen Fanarioten-
herrschaft (1711 bis 1821) eben zur Zeit, als die Bukowina Österreich einverleibt wurde.
Peter IV. Rares (1527 bis 1538; 1541 bis 1546), ein außerehelicher Sohn
Stefans des Großen, erwarb als solcher, sowie durch die Eigenschaften, die er von seinem
Vater geerbt, vor anderen Bastarden gewesener Fürsten oder Fürstcnsöhne die allgemeine
Anerkennung im Lande als Erbe des ansgestorbenen legitimen Fürstenhauses und wurde
nach dem Tode Stefans IV. auf den Fürstenstuhl erhoben. Die Anerkennung der Pforte
mußte er sich durch eine beträchtliche Erhöhung des Tributes (angeblich aus 10.000 Ducaten,
nebst einer außerordentlichen Contribution von 12.000 Ducaten) erkaufen. Doch war von
seinem Regierungsantritte an Peters Bestreben darauf gerichtet, bei den christlichen Mächten
Schutz und Unterstützung zu finden, um Vorkommendenfalls das türkische Joch abzuschütteln.
Schon am 21. Oktober 1527 schloß Peter einen Freundschafts- und Bundesvertrag mit
König Sigismund von Polen (vom letzteren am 13. December ratificirt), worin beide
Theile sich zu gegenseitiger Hilfe gegen die Türken, Tataren und andere Feinde verpflichteten.
Für den Fall einer allgemeinen Expedition der Könige von Polen und von Ungarn gegen
die Türken verpflichtete sich Peter, mit seiner ganzen Heeresmacht an derselben theil-
zunehmen; dagegen sollen beide Könige ihrerseits verpflichtet sein, ihn und sem Land gegen
96
die Türken zu schützen und ihm Hilfe zu leisten. Selbst in dem Falle, daß Peter gezwungen
wäre, dem Sultan Heeresfolge zu leisten und er sich dagegen nicht wehren könnte, solle
der Vertrag in Kraft bleiben.
In Ungarn, wo Ferdinand l. von Österreich und Johann Zapolya um die Krone
stritten, suchten Beide den Wojwoden an sich zu ziehen. Doch gelang es Johann Zapolya,
der sich in Siebenbürgen behauptete, Peter durch die Verleihung der siebenbürgischen
Burgen Csicsö und Küküllö, welche die moldauischen Fürsten seit Matthias Corvinus als
ungarisches Lehen besaßen, zu gewinnen. Wiederholt rückte Peter zum Schutze jener
Burgen in Siebenbürgen ein und ergriff Partei für Zapolya, indem er Ferdinands
Anhänger bekämpfte und am 22. Juni 1529 bei Marienburg im Burzenlande schlug. Er
setzte den Kampf namentlich gegen die Sachsenstädte mit Erfolg bis in den Winter fort und
erwarb dabei die Burgen Balvanyos und Bistritz mit ihrem Gebiet. Ferdinand, für den
dadurch der größte Theil von Siebenbürgen verloren gegangen war, trat hierauf in
Verhandlungen mit Peter und erwirkte vorläufig die Zusicherung weiteren freundschaftlichen
Verhaltens seitens des moldauischen Wojwoden.
Die Erfolge in Siebenbürgen ermuthigten Peter, den alten Streit mit Polen um Poku-
tien, das er als von rechtswegen zur Moldau gehörig forderte, wiederaufzunehmen. Nach
einem abschlägigen Bescheide auf diese Forderung fiel er im Herbste 1530 in Pokntien ein
und besetzte das strittige Gebiet. Doch erlitt er bei Obertin am 22. August 1531 eine
empfindliche Niederlage und mußte den Rückzug antreten. Im folgenden Jahre fielen die
Polen in die Moldau ein, verbrannten Czernowitz nebst vielen Dörfern und richteten großen
Schaden an. Dafür rächte sich Peter durch einen Einfall in Podolien und schlug einen
abermaligen Einfall der Polen am Flusse Sereth zurück. Hierauf kam durch Vermittlung
Zapolyas am 20. Februar 1532 ein Waffenstillstand zustande. Die Friedensverhand -
lungen zogen sich aber in die Länge, da Peter hartnäckig auf der Forderung der Abtretung
von Pokntien beharrte. Dies sollte für ihn und sein Land verhängnißvoll werden.
Polen, „der treueste Freund der Pforte in der Christenheit", führte Klage beim
Sultan und verlangte Peters Absetzung. Um sich gegen die drohende Türkengefahr zu
schützen, trat Peter in Verbindung mit dem Großfürsten von Moskau. Zugleich näherte er
sich König Ferdinand, der im März 1534 seinen Bevollmächtigten Georg Reicherstorfer
an den Wojwoden schickte; Ferdinand versprach ihm Schutz, Geldsubsidien und die Bestäti -
gung seiner siebenbürgischen Besitzungen, wogegen der Wojwode ihm als dem Könige von
Ungarn nach Art seiner Vorgänger huldigen sollte. Die Sendung Reicherstorfers war von
Erfolg begleitet. Am 10. März 1535 stellte Ferdinand die Urkunde aus, mittelst welcher
dem Wojwoden Peter für die versprochenen Dienste gegen die Feinde des Königs und der
Christenheit die siebenbürgischen Besitzungen Csicsö, Küküllö, Balvanyos und Bistritz
97
bestätigt wurden. Am 4. April stellte Peter mit seinen Bojaren die Huldigungsnrkunde aus,
worin er sich als Vasall Ferdinands bekannte und sich zu Diensten gegen die Feinde des
Königs und namentlich gegen die Türken oerpflichtete. Hierauf nahm ihn Ferdinand durch
eine besondere Urkunde in seinen Schutz.
Hiemit waren die Ansprüche der ungarischen Krone aus die Oberhoheit in der
Moldau an das Haus Habsburg gekommen. Nur war Ungarn durch die inneren Wirren
zu ohnmächtig und Ferdinand zu schwach, als daß diese Wendung der Verhältnisse in
der nächsten Zukunft von wirksamen Folgen hätte sein können.
Bevor noch die Verhandlungen mit Ferdinand zum Abschlüsse gelangt waren,
bekundete Peter seine Feindseligkeit gegen die Türkei. Auf Verlangen des in türkischen
Diensten stehenden Ludovicv Gritti, der als Bevollmächtigter des Sultans mit Truppen
nach Siebenbürgen gekommen war, schickte Peter seine Truppen dorthin, und diese ver -
banden sich mit dem Türkenfeind Stefan Mailath gegen Gritti. Die Moldauer, an welche
Gritti sich ergab, lieferten ihn an Mailath aus, der ihn enthaupten ließ (September 1534).
Seine Söhne wurden in die Moldau abgcführt und erlitten auf Befehl des Wojwoden
dasselbe Schicksal. Vollends wurde der Zorn des Sultans herausgefordert, als Peter nach
diesen Vorgängen im Sommer 1535 die Feindseligkeiten mit Polen durch einen Einfall in
Pokntien wieder eröffnete. Polen erneuerte die Klage bei der Pforte und rüstete zum
Kriege. Gleichzeitig sollten auch die Türken Peter mit Krieg überziehen. Vergeblich legte
sich Ferdinand ins Mittel, um den für die christliche Sache gebotenen Frieden oder
wenigstens einen mehrjährigen Waffenstillstand herbeizuführen. Peter wollte von Pokutien
nicht lassen, Polen in die Abtretung nicht willigen. Die Kühnheit des kriegerischen
Wojwoden angesichts der drohenden Türkengefahr ging so weit, daß er mit dem Plane
hervortrat, mit einem Heere von 100.000 Mann (15.000 von Ferdinand, 20.000 ans
Siebenbürgen, 25.000 aus der Walachei und 40.000 Moldauern) siegreich bis Constanti-
nopel vorzudringen. Aber seine Zeitgenossen dachten anders, seit man die Scharen
Suleimans vor den Mauern von Wien gesehen.
Der Hader mit Polen zog sich hin, bis die wiederholten Klagen bei der Pforte den
Sturm heraufbeschworen. Im Juli 1538 brach Sultan Suleiman selbst mit einer Heeres -
macht von 120.000 Mann gegen die Moldau aus, während die Polen den Krieg mit
der Belagerung der Grenzfestung Chotin eröfsneten. Auch die Tataren der Krim und
Truppen aus der Walachei wurden vom Sultan zur Heeresfolge befohlen. Auf mehr als
200.000 Mann schätzen Zeitgenossen die Strcitkräfte, die Suleiman gegen Peter aufbot.
In Ungarn, das eben durch den Großwardeiner Frieden (24. Februar 1538) zur inneren
Ruhe gelangt war, sah man sich gleichfalls bedroht und traf Maßnahmen zur Vertheidigung;
doch unterließ man es, dem schwer bedrängten Peter rechtzeitig zu Hilfe zu kvmmcn.
98
In solcher Noth, selbst von seinen eingeschüchterten Bojaren verlassen, blieb Peter keine
Wahl als Flucht oder sicherer Tod. Noch ehe er den von Ferdinands Bevollmächtigten
schließlich dnrchgesetzten Frieden mit Polen zum Abschlüsse bringen konnte, zog er sich im
September, als die Türken schon vor Suczawa standen, nach Siebenbürgen zurück und
erreichte, vom Feinde verfolgt, mit knapper Noth die Grenze und seine Burg Csicsö,
wohin er seine Familie und Schätze in Sicherheit gebracht hatte. Suczawa und die Bojaren
ergaben sich auf Gnade und Ungnade; Hauptstadt und Land mußten die erbarmungsloseste
Plünderung über sich ergehen lassen. Das Schlimmste, die Verwandlung des Fürstenthums
in ein türkisches Paschalik, wie man allgemein befürchtete, ward jedoch dank dem
bestehenden Vasallitätsvcrtrage verhütet. Aber mit Übergehung des durch jenen Vertrag
gewährleisteten Wahlrechtes setzte der Sultan den neuen Wojwoden ein. Es war dies
Stefan, ein natürlicher Sohn von Peters Halbbruder Alexander (dem vor seinem Vater
gestorbenen Sohne Stefans III.), der als Prinzensohn am Hofe des Sultans geweilt hatte.
Doch mußte derselbe durch die Abtretung des zwischen der Dniestrmündung, dem Pruth und
der Donau gelegenen Gebietes den Abzug Suleimans erkaufen.
Stefan V. Loknsta (1538 bis 1540) schloß den von Peter mit Verzichtleistung
auf Pokntien bereits angenommenen Frieden mit Polen. Als er in der Burg zu suczawa
infolge verhaßter Gewaltherrschaft ermordet wurde, wühlten die Bojaren einen anderen
Prinzenbastard, Alexander III. Cornea (1540 bis 1541), von Elias dem Sohne
Peters 111., zum Fürsten.
Indessen war es Peter Rares gelungen, durch reiche Geschenke und durch die Kunst
seiner Rede die Gunst des Sultans zu gewinnen. Während er auf der Burg Csicsö von
Zäpolya halb gefangen, halb in Sicherheit gehalten wurde, verlangte der Sultan seine Aus -
lieferung. Da Zäpolya zögerte, wandte sich Peter selbst mit einem Schreiben an den Sultan
und bat um Freilassung, damit er persönlich vor ihm erscheinen und sich rechtfertigen
könne. In der That wurde er im Aufträge des Sultans aus Csicsö entlassen. Im Februar
1540 sah man ihn zu Weißenbnrg fröhlich und hoffnungsvoll auf dem Wege nach
Constantinopel. Schon im folgenden Monat erhielt man in Ungarn die Nachricht, daß
Peter beim Sultan gute Aufnahme gefunden und demnächst die Regierung wiederzuerlangen
hoffe. Nach Stefans V. Ermordung wurde die Erwartung zur That. Peter erhielt gegen
Erhöhung des ordentlichen Tributes auf 12.000 Ducaten die Investitur als Wvjwode,
und im Januar 1541 zog er in Begleitung türkischer Truppen nach der Moldau, um die
Regierung zu übernehmen. Alexander trat ihm bewaffnet entgegen, wurde aber von
Peter, der begeisterte Aufnahme bei den Seinen fand, geschlagen und enthauptet.
Peter widmete seine zweite Regierung vorzüglich den Werken des Friedens/
namentlich Klvsterstiftungcn. In der Bukowina hatte er schon früher die Klosterkirche
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von Moldowitza erbaut (1531) und diese ursprüngliche Stiftung Alexanders des Guten
mit reichen Schenkungen ausgestattet, svwie die St. Demetriuskirche in Suczawa (1535).
Unter den Fresken beider Kirchen ist das Bildniß Peters und seiner Familie noch
wohlerhalten. Ein ähnliches Widmungsbild befindet sich unter den Wandgemälden der
gleichfalls in der ersten Regierung Peters von dessen Kanzler, Groß-Logothet Theodor
Bubuiog, erbauten Klosterkirche von Humora (1530). In Suczawa erbaute Peters Gattin
Elena die gegenwärtig griechisch-katholische Auferstehungskirche (1550), die nach der
Einverleibung der Bukowina zuerst als römisch-katholische Kirche eingerichtet, dann an die
unirte Kirchengemeinde abgetreten wurde.
Der Friede, den Peter nach den bitteren Erfahrungen seiner ersten Regierung zu
pflegen wünschte, erfuhr eine vorübergehende Störung durch die siebenbürgischen Verhältnisse.
Als nach Johann Zapolyas Tode (1540) Siebenbürgen mit Ostungarn als türkisches
Vasallenfürstenthum an dessen unmündigen Sohn kam und der siebenbürgische Wojwode
Stefan Mailath mit seinem Anhänge sich nicht fügen wollte, erhielt Peter vom Sultan
den Auftrag, in Siebenbürgen einzurücken und im Vereine mit den abgesandten türkischen
Truppen gegen Mailath vorzugehen. Im Sommer 1541 kam Peter diesem Aufträge nach,
nahm Mailath gefangen und lieferte ihn an die Pforte aus. Auch im folgenden Jahre
mußte Peter einer gleichen Aufforderung Folge leisten, um die Siebenbürger zur Zahlung
des schuldigen Jahreszinses von 10.000 Ducaten zu zwingen. Die siebenbürgischen
Besitzungen Csicsö und Küküllö erhielt Peter auf Befehl des Sultans wieder.
Die freundschaftlichen Beziehungen zu Ferdinand pflegte Peter auch während seiner
zweiten Regierung. In einem deutsch (mit augenfälligen Rumünismen) verfaßten Schreiben
vom 6. December 1542, das Peters Gesandter Jakob Fischer mit anderweitigen mündlichen
Mittheilungen dem Könige überbrachte, gibt der Wojwode die Versicherung, sich gegen
seinen Schutzherrn Ferdinand „allenthalben in treuhait erhalten" zu wollen. Erhielt es so
bis an sein Ende. Mit Polen blieb er indeß auf ziemlich gespanntem Fuße, und ini
Jahre 1546 drohte sogar ein Conflict auszubrechen, als Peter im August starb.
Peter Rares ist die letzte anziehende Gestalt auf dem Fürstensitze von Suczawa.
Die Chronik des Ureche sagt von ihm: „Er war in Wahrheit ein Sohn Stefans des Guten,
denn er war in allem seinem Vater ähnlich. In Kriegen war er glücklich und siegreich, und
viele gute und Gott gefällige Werke nahm er in Angriff. Das Land pflegte er wie ein Vater,
das Recht sprach er mit Gerechtigkeit. Er war von vornehmer Gestalt, beherzt zur That,
fertig in Rede und Antwort, von allen erkannt als tüchtig, das Land zu regieren."
Nach den bedeutungslosen Regierungen von Peters Söhnen Elias 11. (1546 bis
1551) und Stefan VI. (1551 bis 1552) wurde unter polnischem Einflüsse
Alexander IV. Lapusneanu (1552 bis 1561; 1564 bis 1568), ein außerehelicher
101
Sohn Bogdans 10- zum Fürsten gewählt. Durch seine Vermählung mit Peters Tochter
Ruxanda trat Alexander auch in die Erbschaft des Hauses Rares. Die Unterstützung Polens
gegen einen anderen Bewerber um die Hand Rnxandas und um den Fürstenstnhl gewann
er durch den Huldigungseid, den er im Anfang September 1552 dem Könige Sigismund
August leistete. So ward das ehemalige Vasallitütsverhültniß zu Polen, das seit Stefan
dem Großen nicht mehr bestand, gewissermaßen wiederhergestellt. Doch war man in Polen
weit davon entfernt, die nominell wiedererlangte Oberhoheit gegenüber der Türkei geltend
machen zu wollen, und Sigismund August war ängstlich besorgt, sich nicht dadurch den
Unwillen des Sultans zuzuziehen. Die Huldigung Alexanders hatte daher keinen
weiteren Belang.
Durch reiche Geschenke erwirkte Alexander auch die Anerkennung der Pforte. Im
Aufträge des Sultans kämpfte er in Siebenbürgen und Ungarn (1553 und 1556) für
Zapolyas Witwe Jsabella und ihren Sohn gegen Ferdinand und schickte Hilfstrnppen zum
Entsätze von Munkacs (1557). Seine feindselige Haltung bewog Ferdinand, den
Abenteurer Jakob Heraklides Despota in seiner Werbung um den moldauischen Fürsten -
stuhl zu unterstützen. Mit einem in Ferdinands Ländern und anderwärts geworbenen
Söldnerheere besiegte dieser unweit Snczawa den wegen seiner Strenge unbeliebten
Alexander und zwang ihn zur Flucht nach der Türkei (November 1561).
Jakob Heraklides Despota (1561 bis 1563), wieer sich nannte, richtig Johannes
Basilicus genannt, ein Kretenser, der in Karls V. Dienste getreten war, ist der erste Grieche
auf dem moldauischen Fürstenstuhle. Durch einen erdichteten Stammbaum, der seine Abkunft
von den Herakliden, gleichwie mütterlicherseits jene der Nachkommenschaft des Peter Rares
Nachweisen sollte, sowie durch andere Vorspiegelungen, als beispielsweise, daß er zufolge
einer Vision vom Himmel bestimmt sei, die Moldau mit der Walachei und Siebenbürgen zu
einem Reiche zu vereinigen, bethörte er die Menschen und gewann sogar Anhang im Lande.
Er verstand es auch, nachdem er als vorgeblich „erwählter Fürst und rechtmäßiger Erbe
der Moldau" Ferdinand gehuldigt hatte, sich die Bestätigung vom Sultan zu verschaffen,
allerdings gegen Erhöhung des ordentlichen Tributes ans 20.000 Dneaten, Die schwere
Steuer (einen Ducaten von jeder Familie), die er zur Auftreibung des Tributes und zur
Erhaltung seiner deutschen, ungarischen und spanischen Söldner, sowie zur Bestreitung
seines verschwenderischen Hvfhaltes auferlegte; die Profanirung von Kirchengerüthen, aus
welchen er Münzen prägen ließ; seine Propaganda für den Protestantismus und unbeliebte
Reformen, die er einsührte: diese des Landes Habe, Sitte und Glauben arg verletzenden
Neuerungen erregten bald den Haß der Nationalen gegen den Fremdling und dreisten
Abenteurer und beschleunigten seinen Sturz. An die Spitze der Bewegung trat der
Hetman (Vorstand des Heeres) Stefan Tomsa. Nachdem die befestigte Burg von
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Suczawa, in welche der für abgesetzt erklärte Fürst sich cingeschlossen hatte, durch Verrath
der Besatzungstruppen in die Gewalt der Belagerer gelangt war, fiel der Pscndoheraklide,
als er in fürstlichem Ornate vor das Volk trat, von Tomsas Hand (November 1563).
Stefan VII. Tomsa (1563 bis 1564), zum Fürsten ausgerufen, vermochte sich
nicht zu behaupten. Der Sultan verweigerte ihm die Anerkennung und setzte Alexander
wieder ein. Dieser kam mit türkischen und tatarischen Truppen ins Land und zwang den
Gegcnwojwoden zur Flucht nach Polen (Februar 1564). In Lemberg gefangen genommen,
wurde Stefan auf Befehl des Königs hingerichtet.
Alexander, gegen den Willen des Landes wieder zur Regierung gelaugt, machte
sich durch Grausamkeiten verhaßt. Flüchtige Bojaren wandten sich an Kaiser Maximilian U..
um seinen Sturz herbeizuführen. Ein von Maximilian unterstützter Prätendent, angeblich
fürstlichen Stammes, wurde jedoch von Alexander zurückgeschlagen.
Eine der ersten Regierungshandlnngen Alexanders nach seiner Wiedereinsetzung
mar die Verlegung der Hauptstadt des Fürstenthums von Suczawa nach Jassy. Diese
durch die geographische Lage wie auch durch die politischen Verhältnisse des Fürstenthums
gebotene Maßregel war zugleich die Folge eines Auftrages der Pforte, die Festungen im
Lande bis auf Chotin zu zerstören, um es desto leichter in Botmäßigkeit halten zu können.
Demgemäß wurden auch die Befestigungen von Suczawa der Zerstörung preisgegeben
und die Residenz verlegt. Die verlassene Burg blieb noch stehen, und in den folgenden
Zeiten suchten darin, nach erfolgter Wiederherstellung, die Wojwoden noch öfters Schutz.
Der Sitz der Metropolis blieb hingegen bis 1630 in Suczawa. Nach der Verlegung des
Fürstensitzes aus der Bukowina ist die territoriale Landesgeschichte derselben in der
moldauischen Periode nicht mehr in dem Maße mit der allgemeinen Geschichte des
moldauischen Fürstenthums verflochten, als seit dessen Gründung bis zu diesem Zeitpunkte.
Bogdan IV. (1568 bis 1572), Alexanders Sohn und Nachfolger, schloß sich,
gleich seinem Vater, Polen an, huldigte dem Könige Sigismund August und schloß mit
ihm ein Bündniß gegen jedweden Feind (2. October 1569). Durch die übertriebene
Freundschaft für Polen und durch die Vernachlässigung der einheimischen Bojaren, indem
er sich mit polnischen Edelleuten umgab und sie mit Landesämtern bedachte, rief er das
Mißvergnügen der Nationalen hervor und zog sich auch die Ungunst der Pforte zu. Dies
machte sich ein natürlicher Sohn Stefans IV., genannt Johannes der Armenier (nach seiner
armenischen Mutter), zunutze, der nach einem abenteuerlichen Leben sich als Juwelier in
Constantinopel niedergelassen hatte und nun bei der Pforte, namentlich durch seine Schätze
Bogdans Absetzung und für sich den Fürstenstuhl erwirkte.
Joan I. der Armenier (1572 bis 1574) siegte über den mit polnischer Hilfe sich
wehrenden Bogdan und zwang ihn zur Flucht nach Polen. Gleichwohl begann er Unter-
103
Handlungen mit Polen, dessen Oberhoheit er gegen Abtretung von Pokutien anerkennen zu
wollen erklärte. Indessen bei der Pforte verdächtigt, wurde er abgesetzt, als er die geforderte
Erhöhung des Tributes verweigerte. Er fiel im Kampfe mit den Türken, denen er einige
Niederlagen beibrachtc, die für seine besondere militärische Begabung zeugen.
Mit Peter V. dem Lahmen (1574 bis 1579; 1582 bis 1591) kam wieder ein
Nachkomme des Peter Rares (als Sohn von dessen Tochter Despina-Chiajna und des
Wojwodcn der Walachei Mircca II.) auf den Fürstenstuhl. Im Kampfe mit Ivans des
Armeniers Halbbrüdern, die als Prätendenten gegen ihn auftraten, zu schwach und daher
von der Pforte abgesetzt, mußte er die Regierung an Joan II. (Janen) Sassul (1579 bis
1582), einen natürlichen Sohn des Peter Rares, abtreten. Dessen feindseliges Verhalten
gegen Polen — er fiel in Pokutien und Podolien ein - führte seinen Sturz herbei. Hierauf
erhielt Peter wieder die Regierung, jedoch nur gegen eine bedeutende Erhöhung des
Tributes (angeblich um 10.000 Dncatcn,nebst einer hohen außerordentlichen Kontribution).
In seine zweite Regierung fällt die Erbauung des Klosters Suczawitza (1582) bei Radautz
durch den Nadautzer Bischof und nachmaligen Metropoliten Georg Moghila und dessen
Bruder, den nachmaligen Fürsten Jeremias. Vor seinem Tode widmete Peter einen Theil
seines Vermögens zum Baue des Klosters Dragomirna bei Suczawa, den der Metropolit
Anastasius Crimca ausführte (1602). In der Metropolitankirche von Suczawa, an welcher
dieser Fürst einige Herstellungen machen ließ, stellt ein Wandgemälde (in der Nische mit den
Reliquien des heiligen Johannes Novi) ihn selbst und seine Familie mit den Stiftern
Bvgdan III. und Stefan IV. dar. Zur Förderung des Handels schloß Peter im Jahre 1588
einen Handelsvertrag mit Elisabeth von England; für denHandelsverkehr mit den Lemberger
Kausleutcn bestimmte er Schipenctz zum Marktplatz. Der regeHandelsverkehr kam namentlich
der noch blühenden Handelsstadt Suczawa zugute. Als Peter trotz der ziemlich reichen
Einkünfte seinen Verpflichtungen gegenüber der Pforte, die eine weitere Erhöhung des
Tributes (nebst einer außerordentlichen Kontribution von angeblich 200.000 Ducaten)
forderte, nicht Nachkommen konnte, dankte er freiwillig ab und zog sich nach dem befreun -
deten Österreich zurück, wo er im Jahre 1594 zu Bozen starb. Seines Lohnes -Ltcfan
nahm sich Kaiser Rudolf II. an und sorgte für seine Erziehung; doch folgte derselbe im
jugendlichen Alter dem Vater in den Tod.
Nach dem Rücktritte Peters V. des Lahmen, dem die Chronik Milde und Wohl-
thätigkeit nachrühmt, kam der Fürstenstuhl förmlich zur Versteigerung. Eine Anzahl von
Bewerbern traten auf, die bei der Pforte sich als Nachkommen gewesener Wojwodcn
meldeten und hohe Summen anbvten. Die höchste L-umme hat ein Prätendent Aron ans
getrieben, der sich für den (natürlichen) Sohn Alexanders IV. Lapusneanu arwgab und auch
die Unterstützung des englischen Agenten in Constantinopel gewann. Mit einer Million
104
Thaler, die er bei Geldleuten in Constantinopel für Geschenke an den Sultan und die
Pfortenfunctionäre aufnahm, und durch den Einfluß des englischen Agenten erwirkte
Aron seine Einsetzung als Wojwode. Er verpflichtete sich überdies, außer dem ordentlichen
Tribut von 15.000 Ducaten noch die zwei- bis dreifache Summe jährlich als außer -
ordentliche Contribution zu leisten.
Aron der Tyrann (1591 bis 1595) mußte zu ungewöhnlichen Erpressungen
greifen, um seinen Verpflichtungen gegenüber der Pforte und gegenüber seinen Gläubigern
in Constantinopel nachzukommen. Dadurch machte er sich im Lande verhaßt und gab
Anlaß zu wiederholten Beschwerden bei der Pforte. Dies und die Tributrückstände führten
schon nach einem Jahre seine Absetzung herbei, woraus der Prätendent Peter, angeblich
auch ein Sohn des Alexander Lapusneanu (von der Pforte als solcher nicht anerkannt),
zum Fürsten gewählt wurde. Aber Arons Gläubiger in Constantinopel traten für diesen
bei der Pforte ein, um ihre Forderungen einbringen zu können, und Aron wurde noch
in demselben Jahre (1592) wieder eingesetzt, jedoch um den Preis des Gebietes von Bender
am Dniestr, das der Türkei einverleibt wurde. Nach seiner Wiedereinsetzung nahm Aron
grausame Rache an seinen Widersachern. Bald lenkte er aber ein und trat dem christlichen
Bunde bei, den Kaiser Rudolf II. unter Vermittlung des Papstes Clemens VIII. gegen
die Türken bildete.
Nach Ansbruch des Türkenkrieges in Ungarn schickte der Papst im November 1593
einen Gesandten an die Fürsten von Siebenbürgen, der Walachei und der Moldau, um sie
zum Abfalle von der Pforte zu bewegen. Gleichzeitig traten auch die kaiserlichen Generale
in Obernngarn in Verbindung mit Aron. Dieser zeigte sich bereit, sich dem Kaiser an -
zuschließen. Schon im Februar 1594 legte Aron in Briefen an die kaiserlichen Generale
und an den Fürsten Sigmund Bathory von Siebenbürgen die Nothwendigkeit einer
gemeinsamen christlichen Action dar. Der Antrag des Wojwoden, mit seinem ganzen
Volke einem christlichen Bunde gegen den gemeinsamen Feind beitreten zu wollen, fand
die beifälligste Aufnahme bei Erzherzog Matthias, dem Oberbefehlshaber der kaiserlichen
Truppen in Ungarn. Auf den Rath des Erzherzogs schickte der Kaiser im März seinen
Agenten Johann de Marini von Ragusa an die Fürsten von Siebenbürgen, der Walachei
und der Moldau, um über das Bündnis zu verhandeln. Am 16. August 1594 schloß Marini
zu Jassy das Bündniß mit Aron ab, durch welches die Moldau „dem römischen Reiche
einverleibt" und der Wojwode in den Schutz des Kaisers ausgenommen wurde. Am
5. November (a. St.) wurde zu Bukarest auch ein Bündnis zwischen Aron, dem Fürsten
der Walachei Michael und Sigmund Bathory geschlossen, wodurch die drei Wojwoden
ihren Abfall von der Pforte besiegelten und sich zu gemeinsamer Action gegen diese
verbanden.
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Die Feindseligkeiten begannen zu gleicher Zeit in der Moldau und in der Walachei,
indem in der Nacht auf den 13. November in Jassy und Bukarest alle dort weilenden
Türken erschlagen wurden. Hierauf ergriffen beide Wojwoden, von siebenbürgischen Truppen
unterstützt, die Offensive; mehrere Städte am rechten Donauuser wurden ausgeplündert
und niedergebrannt und türkische Corps wiederholt geschlagen.
Den Antheil der siebenbürgischen Truppen an der Befreiung und Vertheidigung
der Moldau und Walachei wollte Sigmund Bäthory benützen, um diese Länder unter
seine Schutzherrschaft zu bringen. Er nahm den Titel eines „Fürsten von Siebenbürgen,
der Moldau und Walachei und des heiligen römischen Reiches" an und schloß am
28. Januar 1595 ein Bündnis mit Rudolf II. auch im Namen der beiden Fürstenthümer.
Aron, der sich bereits unter den Schutz Rudolfs II. als dessen Vasall begeben hatte,
weigerte sich, den gleichfalls unter der Oberhoheit des Kaisers stehenden Fürsten von
Siebenbürgen als seinen Schutzherrn anzuerkennen. Unter dem Vorwände, der Wojwode
wolle sich wieder auf die Seite der Türken schlagen, ließ ihn Sigmund durch seine vor -
geblich zu Hilfe geschickten Truppen Anfangs Mai festnehmcn und nach Siebenbürgen
abfiihren, wo er in der Gefangenschaft starb (1597). Mit ihm schließt die Reihe jener
Wojwoden, die als fürstliche Bastarde oder als Nachkommen von solchen mit der alten
Dynastie noch znsammcnhiengen.
An Arons Stelle ward der Hatman Stefan Reswan unter siebenbürgischer Ober -
hoheit als Wojwode eingesetzt, der am 3. Juni 1595 mit Sigmund einen Unterwerfungs -
vertrag schloß. Während der Kaiser als eigentlicher Schutzhcrr der vertragsmäßig seinem
Reiche einverleibten Moldau sich diesen Vorgängen gegenüber theilnahmslos verhielt,
ergriff Polen die Gelegenheit, um seine Oberhoheitsansprüche wieder geltend zu machen.
Im August, als Stefan in der Walachei an der Seite Michaels gegen die Türken kämpfte,
rückten polnische Truppen in die Moldau ein, um ihren Schützling Jeremias Moghila
unter polnischer Oberhoheit als Wojwoden einzusetzen. Der mit siebenbürgischen Hilfs -
truppen zurückgekehrte Stefan wurde bei Suczawa geschlagen und geköpft (December 1595).
Jeremias Moghila (1595 bis 1607) nahm seine Residenz in Suczawa, wo
die Nähe Polens ihm inehr Sicherheit bot und zugleich sein Bruder Georg als Metropolit
den Sitz hatte. Bei seiner Einsetzung leistete er am 27. August 1595 den Huldigungseid
als Vasall Polens und durch polnische Vermittlung erlangte er auch die Anerkennung des
Sultans, wodurch die Moldau in das frühere Verhältniß zur Pforte trat. Erst dem
Fürsten der Walachei Michael gelang es, die Moldau noch einmal aus polnisch-türkischer
Abhängigkeit zu befreien, wenn auch nur auf kurze Zeit.
Michael der Tapfere war durch sein Bündniß mit Sigmund Bathory und
niit Aron vom Jahre 1594, sowie durch Sigmunds Bündniß mit Rudolf II. vom
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28. Januar 1595, in welchem auch die Moldau und Walachei eingeschlossen waren, dem
christlichen Bunde beigetretcn. Im Befreiungskriege, den er gegen die Türken siegreich
geführt, bewährte er sich als eine Hauptstütze des Bundes. Als Sigmund im Jahre 1598
Siebenbürgen an den Kaiser abtrat, schloß Michael am 9. Juni in seiner Sommerresidenz
zu Torgoviste einen Vertrag mit den Bevollmächtigten Rudolfs II. und leistete dem
Kaiser als seinem Schntzherrn den Eid der Treue. Unter den Verpflichtungen, die er in
diesem Vertrage übernahm, war die erste, die Türken und andere Feinde in der Moldau,
Siebenbürgen oder anderen Theilen Ungarns zu bekriegen, wofür der Kaiser ihm Sold
für 5000 Mann Kriegsvolk auszahlen und andere 5000 Mann nach Michaels Verlangen
entweder selbst stellen und unterhalten oder besolden sollte. Ans Grund dieser Stipulation
griff Michael in die moldauischen Verhältnisse ein. Aber ehe er den geplanten Feldzug in
die Moldau unternahm, riefen ihn die Verhältnisse nach Siebenbürgen.
Der unbeständige Sigmund, seine Abdankung bald bereuend, hatte im August 1598
wieder die Herrschaft in Siebenbürgen übernommen. Doch schon am 30. lNärz 1599
dankte er abermals ab, diesmal zu Gunsten seines Vetters, des Eardinalv Andreas
Bathorh. Dieser befolgte eine antihabsbnrgische Politik und bekundete auch gegen Michael
eine nicht wohlwollende Gesinnung. Er trat inVerbindnng mitPolen und dem moldauischen
Wosivoden Jeremias und knüpfte auch Unterhandlungen wegen eines Friedens mit den
Dirken an. Da erbot sich Michael, Siebenbürgen für den Kaiser zu erobern. Noch ehe die
Antwort des unschlüssigen Rudolf U. kam, brach Michael gegen Siebenbürgen auf und
besiegte Andreas Bathory bei Schellenberg (28. Octobcr 1599). Das ganze Land unter -
warf sich dem Sieger, der die Regierung mit dem bescheidenen Dtel eines kaiserlichen
Statthalters antrat, wenngleich er die Rechte des Landesherrn für sich in Anspruch nahm.
Von Siebenbürgen ans machte Michael Anfangs Mai 1600 den schon früher
geplanten Angriff auf die Moldau und drang ohne Widerstand bis vor Jeremias' Residenz
Suczawa vor. Als hier die feindlichen Heere sich gegenüberstanden, giengen die moldauischen
Truppen zu Michael über. Jeremias ergriff mit den polnischen Hilsstruppen die Flucht;
darauf am Dniestr geschlagen, schloß er sich in der Festung Chotin ein. Das ganze Land
bis auf diese Grenzfestung fiel in die Hände des mit Jubel anfgenon,menen Siegers. In
Suczawa ließ sich Michael als Fürst der Moldau salben und benachrichtigte von hier
aus den Kaiser über die Eroberung des Landes. Nachdem er seine Beamten eingesetzt,
kehrte er schon im Juni nach Siebenbürgen zurück.
Hier hatte indessen die Partei Bathory's den Boden vorbereitet, um Sigmund
wieder auf den Thron zu bringen. Anfangs September war Siebenbürgen bereits im
vollen Aufstande Den Aufständischen kam der kaiserliche General Basta aus Oberungarn,
ein persönlicher Gegner und Neider Michaels, zu Hilfe und brachte diesem am l 8. September
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bei Miriszlö am Maros eine vollständige Niederlage bei. Während Michael an der
walachischen Grenze neue Truppen znsammenzog, brachen die Polen Anfangs Octvber in
die Moldau ein, um Jeremias wieder einzusetzen. Michaels Generale, zu schwach, um Wider -
stand zu leisten, ließen in Suczawa eine Besatzung und zogen sich aus dem Lande zurück.
Nachdem auch Suczawa sich ergeben hatte, wurde Jeremias wieder eingesetzt. Die Polen
zogen nun in die Walachei, wo sie am 20. October über Michaels Truppen siegten und den
Bruder des Jeremias, Simeon Moghila, als Wojwoden unter polnischem Schutz eiusetzten.
Aller Eroberungen und selbst seines eigenen Fürstenthums verlustig, von allen
Seiten von Feinden umgeben, nahm Michael zu Rudolf ll. Zuflucht. Er fand erst
nach langem Zögern Gehör, als Sigmund Bäthory, der am 3. Februar 1601 wieder zum
Fürsten von Siebenbürgen gewählt worden war, darauf ausging, das frühere Verhältniß
mit der Pforte herzustellen. Der Kaiser versah Michael mit Geld zur Anwerbung von
Truppen behufs Wiedereroberuug der eingebüßteu Gebiete. Mit dem ihm zur Seite
gestellten Basta ausgesöhnt und im Verein mit diesem zog Michael nach Siebenbürgen.
Nach dem Siege bei Goroszlö am Szamos (3. August), der Sigmund zur Flucht über
die moldauische Grenze nöthigte, entzweiten sich aber.die beiden siegreichen Feldherren
wieder. Der Haß gegen den Rivalen ließ Basta zur Mordwaffe greifen. In seinem Zelte im
Lager bei Thorda wurde Michael am 19. August 1601 von Bastas Gesellen ermordet. Mit
ihm fiel der letzte Fürst, der unter habsburgischer Oberhoheit in der Moldau geherrscht hat.
Jeremias Moghila führte die Regierung unter polnischem Schutz und unter türkischer
Oberherrschaft weiter. Er wurde in dem von ihm und seinem Bruder Georg erbauten Kloster
Suczawitza bei Radautz begraben (1607). Unter den Wandgemälden der Klosterkirche
befindet sich auch das Bildniß des Fürsten mit seiner Familie. Unter den Kostbarkeiten,
die er und seine Familie dem Kloster gewidmet, ist auch eine kunstvoll gestickte Grabdecke
mit seinem Bildniß.
Unter den Nachfolgern des Jeremias bis 1634, die meisten aus dem Hause Moghila,
gaben Thronstreitigkeiten und häufige Regierungswechsel den Polen und Türken oft
Gelegenheit, in die Geschicke des Landes einzugreifen. Dagegen war die habsburgische
Politik durch den dreißigjährigen Krieg vom Osten abgelenkt, und als später die Türken -
kriege wieder ausgenommen wurden, war die Moldau dem habsburgischen Einflüsse
völlig entrückt, um schließlich dem russischen Thür und Thor offen zu lassen.
Suczawa, von Jeremias wieder zum Fürstensitz erhoben, verlor diese Stellung schon
unter dessen nächsten Nachfolgern, die ihre Residenz in Jassy nahmen. Im Jahre 1630
wurde dann auch der Sitz der Metropolie von Suczawa nach Jassy verlegt. Die alte
Residenzstadt mit ihrer Festung behauptete sich aber noch eine Zeitlang als zweite Haupt -
stadt, als welche sie noch zu Ende des XVII. Jahrhunderts galt, und barg noch oft in Zeiten
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der Gefahr die fürstliche Familie. Neben Suczawa treten in der Bukowina zn dieser Zeit
namentlich die landesfürstliche Stadt Czernowitz und der Bischofsitz Radautz hervor.
In diese Zeit gehört die Stiftung des Klosters Svlka (bei Radautz) durch den Wvjwoden
Stefan Tomsa, in dessen erster Regierung begonnen (1615) und in der zweiten
vollendet (1623).
Mit Basil Lupul (1634 bis 1653) kam noch ein tüchtiger Regent auf den
moldauischen Fürstenstnhl. Seine relativ lange Regierung zeichnet sich namentlich durch
Förderung der geistigen Cnltnr aus. In dieser Beziehung war von Bedeutung die Ein -
führung der rumänischen
Sprache inKirche und Amt
an Stelle des bis dahin
üblichen Kirchenslavischen.
Im Zusammenhänge da -
mit wurden Kirchenbücher
ins Rumänische übersetzt
und zu ihrer Verbreitung
eine Buchdruckerei in Jassy
errichtet. Zugleich erhielt
das Land das erste ge -
druckte Gesetzbuch (?ravi-
loie IruporüteZti, Jassy
1646), ans Grund früherer
Formularien des landes -
üblichen Rechtes verfaßt.
Durch die Pflege der
Nationalsprache nahmen Siegel des moldauische» Fürsten Stesa» Tom?» (IMS).
auch die Bisthums- und
Klosterschulen einen die allgemeine Bildung fördernden Aufschwung, ^.ie zu^assy errichtete
höhere (griechisch-lateinische) Schule trug wesentlich zur Verbreitung vornehmerer Bildung
auch in der Bukowina bei. In Basils Regierungszeit fällt das Wirken des Metropoliten
und Kirchenschriststellers Varlaam und des Geschichtschreibers Groß-Vornik Gregor
Ureche, der hervorragendsten Rathgeber des Fürsten und Teilnehmer an dessen Cnltnr-
arbeit. Die Chronik des Nreche, auf Grund älterer slavisch geschriebener Annalen und
Chroniken der Moldau verfaßt, ist die erste Geschichte des Landes in rumänischer Sprache.
Minder glücklich war Basil Lupul in seiner äußeren Politik. Die guten Beziehungen
zur Pforte und zu Polen pflegte er aufs sorgfältigste. Seine Verbindungen mit Polen
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giengen so weit, daß ihm zum Dank für seine treue Anhänglichkeit das Polnische Ehren-
indigenat verliehen wurde. Ans Polens und der Türkei Freundschaft gestützt, strebte er, auch
die Walachei zu erwerben. Der Versuch Michaels des Tapferen, die Moldau, Walachei
und Siebenbürgen zu einem Reiche zu vereinigen, schwebte ihm vor, doch mit dem Unter -
schiede, daß er hiebei nicht in Gegensatz zur Türkei und zu Polen treten wollte. Um gegen
die Walachei freie Hand zu behalten, trachtete er, sich der Gunst der Pforte durch reiche und
wiederholte Geschenke, welche die Leistungsfähigkeit des Landes übermäßig in Anspruch
nahmen, zu versichern. Aber in dem langwierigen Kriege,, den er gegen den Fürsten
der Walachei, Matthäus Bassaraba, unternahm, kämpfte er unglücklich, und Matthäus,
vom Fürsten von Siebenbürgen unterstützt, schlug alle Angriffe siegreich zurück. Diese
Feindseligkeiten, welche bei Suczawa ihren Abschluß fanden, führten endlich seinen
Sturz herbei.
Unter den auswärtigen Beziehungen Basils kommen für die Bukowina auch jene zu
dem Kozakenhetman Bogdan Chmelnitzki in Betracht. Dieser hielt für seinen Sohn
Timotheus um die Hand von Basils Tochter, der auch von Georg I. Räköezy für seinen
jüngeren Sohn Sigmund, sowie von polnischen Großen viel umworbenen Rnxanda, an.
Abschlägig beschieden, brach Chmelnitzki mit Kozaken und Tataren in die Moldau ein und
drang plündernd bis Suczawa vor (1650), wohin die fürstliche Familie in Sicherheit
gebracht worden war. Basil mußte seine Tochter dem Timotheus vermählen (1652).
Diese Verbindung nahm Georg II. Räköezy zum Anlasse, Basil bei der Pforte zu
verdächtigen und seine Absetzung zu verlangen. Er gab an, der Wojwode verfolge den
Zweck, die Kozaken mit den Polen auszusöhnen, um mit beider Hilfe gegen die Tataren
und Türken vorzugehen und als souveräner Herrscher auch die Walachei und Siebenbürgen
an sich zu bringen. In Anbetracht der Gefahr, die ihnen von Basil drohte, schlossen
Räköezy und Matthäus ein Schutz- und Trutzbündnis gegen den moldauischen Fürsten.
Im Frühjahr 1653 fielen siebenbürgische und walachische Truppen in die Moldau ein und
zwangen Basil, zu den Kozaken zu fliehen, während seine Familie in der Suczawer Burg
Schutz suchte. Die feindlichen Truppen setzten die Wahl des Groß-Logotheten Stefan
Georg zum Fürsten durch. Mit kozakischen Hilfstruppen zurückgekehrt, jagte Basil den
Gegenfürsten ans dem Lande und fiel dann in die Walachei ein, wo er aber eine
empfindliche Niederlage erlitt.
Indessen schickte Räköezy eine Beschwerdeschrift an die Pforte, daß Basil mit dem
Kaiser über ein Bündnis gegen die Türken unterhandle, dem auch die Kozaken und Polen
beitreten sollten; er erwarte nur den Aufbruch der kaiserlichen Truppen, die bereits in
Ungarn concentrirt würden, um mit vereinter Macht gegen die Türken ins Feld zu ziehen.
Diese auf eine thatsächliche Annäherung an den Wiener Hof, jedoch auf keine erwiesenen
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Abmachungen gegründete Anzeige verfehlte ihre Wirkung nicht. Am 29. Juli 1653 wurde
die Absetzung Basils ausgesprochen und die Wahl Stefans genehmigt.
Mit walachischen und siebenbürgischen Truppen brach Stefan auf, um den Fürsten-
stnhl einzunehmen. Der geschlagene Basil zog sich in die Festung Chotin zurück, um von
den Kozaken und Tataren Hilfstrnppen heranzuziehen; sein Eidam Timotheus schloß sich
mit der fürstlichen Familie in der Festung Suczawa ein, wo er eine dreimonatliche
Belagerung aushielt. Ans Raköczys Verlangen kamen den Belagerern auch die Polen
zu Hilfe, welche mit Chmelnitzki eben in Fehde waren. Nachdem Timotheus auf der
Suczawer Burg durch eine polnische Kugel den Tod gefunden, ergab sich die Festung
am 9. October 1653. Die Kozaken zogen ab, in den Händen der Sieger Basils Familie
und seine in der Burg aufbewahrten Schätze lassend. Als Basil mit den geworbenen
Truppen zum Entsätze von Suczawa heranrückte, war bereits alles verloren. Arglos folgte
er dann einer Einladung des Tatarenchans, der ihn mit Hilfstrnppen versehen hatte, jetzt
aber gefangen nahm und nach Constantinopel schickte. In den Siebenthürmen endete der
unglückliche Fürst, der nach höheren Zielen für seines Volkes Dasein und Gesittung gestrebt.
Basils kozakische Hilfstrnppen haben sich während ihres Aufentha'tes im Lande
durch die Plünderung der Bukowiner Klöster Dragomirna, Humor und Pntna berüchtigt
gemacht. Namentlich das von seinem Stifter Stefan dem Großen reich ausgestattete
Kloster Pntna, aus dessen Bleidach Timotheus Kugeln gießen ließ, wurde von ihnen m
geradezu vandalischer Weise zerstört und ansgeplündert, so daß nachher die Kirche
umgebaut werden mußte, doch nicht so kunstvoll wie zuvor.
Basil Lnpul ist der letzte moldauische Fürst der Bukowina, dessen Regierung von
Bedeutung war. Es folgte eine Zeit wirrer Regierungswechsel und jähen Politischen
Verfalls. Neben der türkischen Willkürherrschaft behauptete sich noch der polnische Einfluß
als der mächtigste, bis er nach dem Karlowitzer Frieden dem aufsteigenden russischen
weichen mußte.
Während der polnisch-türkischen Kriege von 1672 bis 1699 hatte das Land durch
polnische und türkische Truppen, welche es öfters durchzogen und teilweise besetzten, viel
zu leiden. Die Wojwoden waren gezwungen, den Türken Heeresfolge zu leisten, und alv im
Jahre 1673 der Wvjwode Stefan Petriceieu (Stifter der Klosterkirche von L-t.
Onufri bei Sereth, 1673) zu den Polen übergieng, nahmen die Türken dafür furchtbar
Rache. Auch die Polen, welche in die Moldau einrückten und das Land als türkisches Gebiet
behandelten, ließen es an Verheerungen nicht fehlen. Suczawa, das in diesem langwierigen
Kriege zum letztenmale als ein wichtiger fester Punkt erscheint, wurde im Jahre 167u,
nachdem es zwei Jahre von polnischen Truppen besetzt gewesen war, bei dem Abzüge
der Besatzung ein Raub der Flammen-
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Der im Jahre 1676 zustande gekommene Friede von Zurawno brachte dem Lande
keine Ruhe, denn nun ging der Krieg mit Rußland wegen der Ukraine los. Für diesen
mußte auch die Moldau Truppen stellen und der Wojwode die Verwaltung des eroberten
Theiles der Ukraine übernehmen, deren Behauptung und Vertheidigung sür die Pforte
dem Lande große Opfer auferlegte. Auch bei der Belagerung von Wien (1683) mußten
die moldauischen Truppen unter dem Wojwoden Duca für die Türken kämpfen.
Während dieses letzteren Kriegszuges begannen die polnisch-türkischen Kämpfe in
der Moldau von neuem. Der nach Polen geflüchtete Stefan Petriceicu kam mit polnischen
Truppen, besetzte Suczawa und drang bis Jassy vor, mußte aber bald wieder das Land
verlassen. Der Krieg zwischen Polen und Türken wüthete dann fort; im Jahre 1685 war
sein Schauplatz vorwiegend am Dniestr und in der Bukowina. Im folgenden Jahre
zog König Johann Sobieski selbst nach der Moldau in der Absicht, das Land zu
erobern, wozu ihm auch die in Ungarn operirende kaiserliche Armee die Hand bieten sollte.
Der Marsch ging abermals durch die Bukowina, und Suczawa wurde wieder von polnischen
Truppen besetzt. Am 16. August zog Sobieski in Jassy ein und nahm die Huldigung des
Metropoliten und der Bojaren entgegen, während der Fürst Constantin Cantemir
sich gegen Süden zurückgezogen hatte. Hierauf drang er bis an die Donau vor, um sich
mit den erwarteten kaiserlichen Truppen zu verbinden. Da aber diese nicht eintrafen,
trat Sobieski schon im September den Rückzug über die Bukowina an. Mit ihm zog
auch der Metropolit Dositheu, viele Schätze und Urkunden der Metropolie, sowie die
Reliquien des heiligen Johannes aus Suczawa mitnehmend (1686). DerHeilige wurde nach
Zölkiew gebracht, woher ihn die Stadt Suczawa unter Kaiser Josef II. zurückerhielt. Bei
seineni Rückzuge ließ Sobieski in Suczawa und anderen befestigten Plätzen der oberen
Moldau Besatzungen zurück, die in den Jahren 1688 und 1691, als der Polenkönig wieder
das Land mit Krieg überzog, noch verstärkt wurden. Auch Czernowitz nebst mehreren
Orten des Czernowitzer Districtes und Cämpulung (Kimpolung) erhielten polnische
Besatzungen. So ward die ganze Bukowina nebst Chotin und Neamtz von polnischen
Truppen besetzt. Erst nach dem Karlowitzer Frieden (1699) räumten diese das Land.
In den Friedensverhandlungen forderte Polen auch die Abtretung der Moldau
und Walachei und versuchte in Betreff der Moldau die letzte Besitznahme und Huldigung
des Landes geltend zu machen. Dieser Forderung wurde aber von kaiserlicher Seite der
entschiedenste Widerstand entgegengesetzt. Kaiser Leopold I. berief sich auf die ehemalige
Zugehörigkeit der beiden Fürstenthümer zur ungarischen Krone und auf seinen Krönungs -
eid, kraft dessen er nicht das Recht habe, diese Nebenländer Ungarns aufzugeben. Die
kaiserlichen Ansprüche gingen vorläufig dahin, daß die Schutzherrschaft über beide Fürsten -
thümer vom Kaiser und vom Sultan gleichmäßig ausgeübt werde. Angesichts der
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polnischen Forderungen wurde aber diese Friedensbedingung fallen gelassen. Polen hin -
gegen beschränkte seine Ansprüche nunmehr blos auf die Moldau, zuletzt auf den besetzten
Landestheil, die ganze Bukowina einbegriffen. Doch alle Anstrengungen, die in dieser
Beziehung mit größter Hartnäckigkeit gemacht wurden, scheiterten an der österreichischen
Staatskunst. Die schließliche Annahme der Friedensbedingungen, welche die Räumung
des Landes von den Polen stipulirten, bezeichnet den völkerrechtlichen Verzicht der
letzteren auf die beanspruchte Moldau.
Die Erwerbung Siebenbürgens durch Österreich in diesem Frieden war vorzüglich
geeignet, den habsburgischen Einfluß in der Moldau wiederherzustellen und zu befestigen.
Allein der von nun an aufsteigende russische Einfluß durchkreuzte hier die öster -
reichische Politik. Schon in den Karlowitzer Friedensverhandlungen nahm Rußland die
Gelegenheit wahr, als Protector der morgenländischen Christen im osmanischen Reiche
aufzutreten. Es hielt diesen Standpunkt auch in dem mit der Türkei geschlossenen
Separatfrieden aufrecht. Die Wirkung zeigte sich bald im russisch-türkischen Kriege vom
Jahre 1711.
Schon vor Ausbruch des Krieges hatten die Russen im Jahre 1709, als sie anläßlich
des Zuges des Schwedenkönigs Karl XII. nach Rußland die nach der Schlacht von
Pultawa auf moldauisches Gebiet geflüchteten Schweden angriffen, die Moldau im Ein-
verständniß mit dem Wojwoden Michael Racovitza zum erstenmale betreten. Sie
brachen durch polnisches Gebiet in die Bukowina ein und schlugen die bis Czernowitz und
Umgebung vorgedrungenen Heerhaufen Karls. Als hierauf die Pforte auf Veranlassung
des Schwedenkönigs an Rußland den Krieg erklärte, schloß sich der eben auf den Fürsten -
stuhl gelangte Wojwode Demetrius Cantemir den Russen an. Am 13. April 1711
wurde zwischen Peter dem Großen und Demetrius Cantemir ein Vertrag geschlossen, durch
welchen der Fürst sich unter russischen Schutz stellte und zur Heeresfolge wider die Türken
verpflichtete. Die Befreiung der Moldau und der anderen Christen vom Türkenjoche
erscheint darin als Ziel der in Angriff zu nehmenden Action. Dem Geschlechts Cantemirs
wird die Moldau in ihren alten Grenzen (die der Türkei einverleibten beffarabischen
Gebiete eingeschlossen) als erbliches Fürstenthum unter russischem Schutz zugesichert,
ausgenommen den Fall, daß der Fürst von der orthodoxen Kirche abfallen oder dem Zaren
untreu werden sollte.
Die Niederlage der Russen am Pruth in der südlichen Moldau uöthigte Cantemir
zur Flucht nach Rußland. Auf ihn folgt die unglücklichste Periode der moldauischen
Geschichte, die der Fanariotenherrschaft.
Der Abfall Cantemirs bewog die Pforte, dem Lande weiterhin keine eingeborenen
Wojwoden zu bewilligen. Der Fürstenstuhl wurde nun meist Griechen aus Fanar, einer
Bukowina. 8
114
Vorstadt von Constantinopel, verliehen, die hohe Geldsummen dafür boten, und nach
losester Willkür sehr oft gewechselt wurden. Indem außer dem jährlichen Tribut, der sich
damals mit den obligaten Geschenken auf mehr als 200.000 Thaler belief, für jede
Ernennung in der Regel noch mindestens 100.000 Thaler im ganzen, oft aber viel höhere
Beträge gezahlt wurden, schuf sich die Pforte mit ihren habgierigen Functionären aus
dem öfteren Regierungswechsel die bequemste Einnahmequelle, während das unglückliche
Land den härtesten Erpressungen seitens dieser Fürstenthumspächter preisgegeben wurde.
Während der Türkenkriege Kaiser Karls VI., welche zu den Friedensschlüssen von
Passarowitz (1718) und Belgrad (1739) führten, sowie im russisch-türkischen Kriege von
1736 bis 1739 war auch die Bukowina Schauplatz kriegerischer Ereignisse.
Als nach den ersten Erfolgen der kaiserlichen Truppen in der Walachei, wo die
Bevölkerung sich ihnen anschloß, auch einige moldauische Bojaren mit ihren an Sieben -
bürgen grenzenden Districten sich unter kaiserlichen Schutz stellten, rückten im Winter
1716 bis 1717 kaiserliche Truppen unter einem Rittmeister auch in die Moldau bei
Cämpuluug ein. Sie drangen unter Beistand der kaiserlich gesinnten Bojaren bis Jassy vor,
wurden aber mit Hilfe der herbeigeeilten Türken und Tataren zurückgeschlagen. Hierauf
machte der (zum drittenmal ernannte) Wojwode Michael Racovitza mit tatarischen
Hilfstruppen im August 1717 über Cämpulung einen Einfall in Siebenbürgen, an welchen
Zug das sogenannte Tatarendenkmal bei Wama noch erinnert. Noch in demselben
Jahre unternahm dann General Stainville einen Rachezug in die Moldau und zwang den
Wojwoden zur Zahlung einer Kriegsentschädigung. Er fand im Lande einen nicht
unbedeutenden Anhang.
Die von der Bevölkerung der Moldau und Walachei in diesem Kriege wiederholt
angesuchte und von kaiserlicher Seite zugesicherte Befreiung von der drückenden Türken-
nnd Fanariotenherrschaft wurde trotz aller Siege der österreichischen Waffen nicht
verwirklicht. In den Passarowitzer Friedensverhandlungen forderten zwar die kaiserlichen
Bevollmächtigten die Abtretung beider Fürstenthümer. Statt aber, wie angesucht und
zugesichert worden war, an der kaiserlichen Schutzherrschast über dieselben festzuhalten,
begnügte man sich beim Friedensschlüsse mit der Einverleibung der kleinen Walachei,
wodurch mau infolge der Zertheilung des Fürstenthums zu den nationalen Bestrebungen
in Gegensatz trat. Es war ein politischer Mißgriff, der zur Folge hatte, daß in den
Sympathien der unter türkischem Joche schmachtenden christlichen Völker bald Rußland an
Österreichs Stelle trat. Dies zeigte sich schon im nächsten Kriege von 1737 bis 1739.
Als im Jahre 1737 die österreichischen Truppen in die Walachei und Moldau
einrückteu fanden sie die Stimmung im Lande dem Anschlüsse an Österreich weit weniger
günstig, als im vorigen Kriege. Der Fürst und der maßgebende Theil der Bevölkerung,
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waren in beiden Fürstenthümern russisch gesinnt. Entscheidend für diese Wendung war,
nebst dem Passarowitzer Frieden, die auf dem Niemierower Congreß (1737) beobachtete
Haltung in Betreff der Fürstenthümer. Die österreichischen Bevollmächtigten forderten
nämlich die Vorrückung der Grenze in der Walachei bis an die Dimbovitza und die
Abtretung der Moldau bis zum Pruth, was eine weitere Zertheilung bedeutete. Dagegen
protestirten die russischen Bevollmächtigten und verlangten die Anerkennung der Moldau
und Walachei als unabhängige Fürstenthümer unter russischem Protektorat. Der Gegen -
satz zwischen beiden Mächten trat hier in seiner Schärfe zum erstenmale hervor. Der Krieg,
den Österreich diesmal im Bunde mit Rußland führte, fiel sehr ungleich für die Verbündeten
aus, indem er Österreich den unglücklichen Belgrader Frieden mit der Rückabtretung der
kleinen Walachei, Rußland aber nur Vortheile brachte.
Die in die Moldau zu Beginn des Krieges durch den Oitos-Paß und über Campulung
eingerückten österreichischen Truppen konnten sich im Lande nicht behaupten und mußten
sich auf die Besetzung der Grenze und auf gelegentliche Streiszüge beschränken. Unvergleich -
lich größere Erfolge erzielten hierauf die Russen im Jahre 1739. Feldmarschall Münnich
überschritt den Dniestr in der Bukowina und brachte am 28. August den Türken bei
Stauceni eine so entscheidende Niederlage bei, daß sie sich bis Bender zurückzogen.
Zwei Tage später ergab sich Chotin dem Sieger. Münnich drang hierauf ohne Widerstand
bis Jassy vor und nahm hier am 16. September die Huldigung der Bojaren und Bischöfe
entgegen. Ein wichtiger Punkt der Unterwerfungsbedingungen war, daß in dem unter
russischen Schutz sich begebenden Fürstenthume weder Russen, noch Griechen oder andere
Fremde Staatsämter sollen bekleiden dürfen.
Wie im Karlowitzer Frieden die Ansprüche der Polen, so hat Österreich diesmal
durch den in Eile geschlossenen Separatfrieden von Belgrad die Absichten der Russen auf
die Moldau zu Hintertreiben gewußt. Rußland sah sich genöthigt, ebenfalls Frieden zu
schließen und das schon so gut wie angeeignete Land zu räumen. So verblieb das Fürsten -
thum nach wie vor unter türkischer Oberherrschaft.
Der russisch-türkische Krieg von 1768 bis 1774 brachte die Russen wieder in die
Bukowina. Nach einem mißlungenen Versuch auf Chotin im März 1769 überschritt die
russische Hauptarmee unter Fürsten Galizin Anfangs Juli zum zweitenmal den Dniestr und
rückte um den Bukowiner Wald (zwischen Dniestr und Pruth) bei Czernowitz vorbei gegen
Chotin vor, wo sie im Rücken des türkischen Heeres erschien. Ins Lager von Chotin kam
bald eine moldauische Deputation, welche die Russen als Befreier begrüßte und das
Land dem russischen Schutze empfahl. Nach der Einnahme von Chotin und seinem feier -
lichen Einzüge in Jassy nahm der commandirende General Baron Elmpt am 26. und
27. September (a. St.) die Huldigung der Bevölkerung entgegen und das Land im Namen
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der Zarin in Besitz. Das Gleiche geschah dann auch in der Walachei nach dem Einzuge der
russischen Truppen in Bukarest. Im April 1770 huldigte eine Deputation beider Fürsten-
thümer in Petersburg der Kaiserin Katharina II. persönlich. Die Bevölkerung hatte sich
mit dem Gedanken vertraut gemacht, in Rußland den einzigen Befreier vom Türkenjoche zu
erblicken, nachdem die auf Österreich gerichteten Hoffnungen seit dem Passarowitzer Frieden
gescheitert waren.
Während der nun folgenden fünfjährigen russischen Occupation bis zum Frieden
von Kntschuk-Kainardschi (21. Juli 1774) errichteten die Russen eine Münzstätte in der
Bukowina, mit deren Leitung Peter Freiherr von Gartenberg-Sadagorski betraut ward.
Von den hier geprägten Kupfermünzen sind 15 Typen aus den Jahren 1771 bis 1774
bekannt. Sie führen neben dem russischen Wappen auch das vereinigte Wappen der Moldau
und Walachei oder nur letzteres allein mit russischer Umschrift. Die an dieser Münzstätte bei
Czernowitz entstandene Colonie von Handwerkern und Gewerbsleuten erhielt nach ihrem
Leiter den Namen Sadagöra.
Die aus der ehemaligen Schutzherrschaft der ungarischen Krone sich ergebenden
Ansprüche Österreichs auf die Moldau und Walachei, welche Schutzherrschaft vorübergehend
auch das Haus Habsburg ausgeübt hatte, sowie das reale Interesse der Monarchie erfuhren
durch die russische Besetzung die empfindlichste Beeinträchtigung.
Nun trat an Österreich die Aufgabe heran, die seiner Interessensphäre und zugleich
seinen historischen Rechtsansprüchen entrückten Donanfürstenthümer vor dem Aufgehen im
russischen Reiche zu retten. Ihre Zurückstellung an die Pforte im Frieden von Kutschuk-
Kainardschi war vornehmlich ein Erfolg der österreichischen Politik.
Diese Verhältnisse führten zur Erwerbung der Bukowina. So fanden jene Ansprüche
mit dieser Gebietserweiterung ihren geschichtlichen Abschluß.
Die Besitzergreifung.
Zur Wahrung seines Besitzstandes sowohl als auch zur Aufrechterhaltung des
politischen Gleichgewichtes in Osteuropa hatte der Kaiserhof bald nach dem Ausbruche
des russisch-türkischen Krieges einen Militärcordon gegen die Moldau und die Walachei
gezogen und dabei beträchtliche Landstriche, die früher zu Siebenbürgen gehörten und diesem
Lande durch List oder Gewalt entrissen worden waren, in Besitz genommen. Zu demselben
Zwecke hatte er auch den Vertrag vom 6. Juli 1771 mit der Pforte abgeschlossen, worin
Österreich gegen das Versprechen, der Türkei eventuell mit Waffengewalt einen annehm -
baren Frieden zu verschaffen, die Abtretung der kleinen Walachei zugesagt worden war.
117
Die Erwerbung dieses Landstriches behielt der Staatskanzler Fürst Kaunitz auch
noch dann im Auge, als sich durch den weiteren Verlauf des Krieges sowie durch die
Theilung Polens die Umstände derart änderten, daß Österreich die übernommenen
Verpflichtungen nicht mehr erfüllen konnte. Er schlug vor, der Pforte für denselben fünf
bis sechs Millionen Gulden anzubieten. Dadurch, meinte er, würde ihr die Möglichkeit
gewährt, sich billigere Friedensbedingungen von Rußland zu erkaufen.
Gegen diesen Vorschlag sprach sich jedoch Kaiser Josef ganz entschieden aus, denn
ihm schien die kleine Walachei keines solchen Geldopfers Werth. Nur mit Widerstreben
stimmte er schließlich dem Projecte des Staatskanzlers zu. Dasselbe sollte übrigens gar
nicht zur Ausführung kommen; es scheiterte an dem von Rußland im März 1773 an die
Pforte gerichteten Ultimatum, das jede Entschädigungsforderung in Geld auszuschließen
schien. Da trat der Kaiser mit einem anderen Plane hervor.
Die Wahrnehmungen, die Josef II. auf seiner Reise durch Siebenbürgen im
Sommer 1773 machte, bestärkten ihn noch mehr in seiner Meinung von dem geringen
Nutzen der kleinen Walachei. Ebenso belanglos erschien ihm das bei der Bildung des
siebenbürgischen Cordvns wiederbesetzte walachische Gebiet. Dagegen stellte sich ihm ein
anderer Streifen türkischen Landes, die Nordspitze des Fürstenthnms Moldau, d. i. die
heutige Bukowina, nicht nur als eine entsprechende Grenzabrundung, sondern auch als
eine besonders in militärischer Hinsicht willkommene Verbindung zwischen Siebenbürgen
und dem neu gewonnenen Galizien dar. Dieser Landstrich, schrieb er am 19. Juni 1773
von Szäsz-Regen seiner Mutter, sei mindestens so viel werth als die kleine Walachei
und ohne Zweifel durch die Zurückstellung der Siebenbürgen einverleibten walachischen
Gebietstheile von der Pforte zu erlangen. Er bat schließlich, diese Angelegenheit vom
Fürsten Kaunitz in Erwägung ziehen zu lassen.
Bei der Anregung zur Erwerbung der Bukowina ließ es jedoch der Kaiser nicht
bewenden; mit gewohntem Feuereifer begann er sofort an ihrer Verwirklichung zu arbeiten.
Noch von Rodna aus schickte er den Obersten des zweiten walachischen Infanterieregiments,
Karl Freiherrn von Enzenberg, mit einem Officier und zwei Unterofficieren zur
Recognoscirung in die obere Moldau ab. Sie sollten über fünf Punkte Auskunft bringen:
über die Möglichkeit der Anlegung einer gut fahrbaren Straße aus Siebenbürgen nach
Galizien, dann über die Ausdehnung der Besitzergreifung mit Rücksicht auf die Gewinnung
einer leicht zu vertheidigenden Grenzlinie, ferner über die Beschaffenheit des zu besetzenden
Gebietes sowie über dessen Werth für die Monarchie, endlich über die eventuelle Haltung
der Bevölkerung im Falle des Herrschaftswechsels.
Wie oft mochte der Kaiser auf seiner weiteren Reise zumal bei dem großen Umwege,
den er, um Ostgalizien zu erreichen, machen mußte, an sein Project erinnert worden sein!
An der galizisch-bukowinischen Grenze, in dem Städtchen Sniatyn war es, wv er bei
seiner Ankunft am 10. August 1773 den Recognoseirungsbericht empfieng. Derselbe
entsprach ganz und gar den daran geknüpften Erwartungen. Die Erwerbung des ins
Auge gefaßten moldauischen Landstriches, berichtete Enzenberg, würde nicht nur für die
in Siebenbürgen und Ostgalizien stehenden Truppen die beste Verbindung schaffen,
sondern auch die Flanken jener Länder sichern. Sie würde aber auch den Aufschwung
des Handels zur Folge haben; denn die Waaren, die bisher aus der Türkei nach der
Ukraine und Podolien über Jassy giengen, würden ihren Weg über Bukarest, Kronstadt,
Bistritz, Czernowitz und Sniatyn nehmen. Was endlich die Gesinnung der Bewohner
anbelange, so würden sich die Bauern, die unter schwerem Joche seufzten, sofort für
Österreich erklären; aber auch der Adel und die Geistlichkeit würden, wenn sie auch
anfangs aus Furcht vor einem Machtverlust der neuen Herrschaft feindlich gegenüber
stünden, bald ihre Gesinnung ändern und das gerechte Scepter der österreichischen
Dynastie mit Freuden küssen.
Infolge des Enzenberg'schen Berichtes wurden alsbald einige Generalstabsofficiere
unter der Leitung des Hauptmanns von Mi eg mit der kartographischen Aufnahme des
an Galizien, Ungarn und Siebenbürgen stoßenden Grenzgebietes betraut. Mieg übernahm
den Landstrich, der von den Flüssen Pruth und Dniestr und dem sogenannten Bukowiner
Walde, d. i. von dem von Chotin gegen Südwesten bis in die Nähe von Czernowitz
streichenden und mit Buchen bestandenen Bergrücken eingeschlossen wird. Er sandte
am 17. September 1773 davon eine allerdings nur skizzirte Übersichtskarte an das
galizische Generalcommando, indem er gleichzeitig in einem längeren Berichte ebenso wie
Enzenberg die Vortheile der geplanten Gebietserweiterung auseinandersetzte.
Nun erübrigte noch, einen Rechtstitel aufzufinden, auf dessen Grund die Abtretung
jenes Theiles der Moldau von der Pforte gefordert werden konnte. Diese Aufgabe fiel dem
geschichtskundigen Obersten Baron v. Seeger zu, der denn auch im December 1773 den
Beweis erbrachte, daß alles moldauische Gebiet bis zum Bukowiner Wald und dem
Pruth, ja auch das weiter südlich gelegene Gebiet bis an den von Czernowitz gegen
Sereth und von da gegen Borgo laufenden Höhenzug einst einen Bestandtheil der nunmehr
zu Österreich gehörenden Königreiche Galizien und Lodomerien gebildet habe.
So sehr Fürst Kaunitz seinerzeit der Erwerbung der kleinen Walachei das Wort
geredet hatte, mit so großer Wärme trat er nun für die Verwirklichung des von Kaiser
Josef II. entworfenen Projectes ein. Dabei lag auch ihm der Gedanke fern, das angestrebte
Ziel durch die Gewalt der Waffen zu erreichen. Im Wege friedlicher Verhandlungen sollte die
Türkei bewogen werden, zu Gunsten Österreichs auf einen Strich Landes zu verzichten, der
für sie selbst nur geringe Bedeutung, für Österreich aber einen großen Werth zu haben schien.
General Gabriel Freiherr von Splenhi.
Daher war auch Kaunitz geneigt, die Rechte Siebenbürgens auf die in den Cordon
eingeschlossenen walachischen Gebietstheile preiszugeben, wenn die Pforte in die Abtretung
des zur Verbindung der Länder Siebenbürgen und Galizien nöthigen Gebietes willigte,
indem sie dieselbe als einen für beide Theile passenden Austausch anerkannte.
Schon als ihm durch Kaunitz die erste Andeutung von diesem Plane des Kaiserhofes
zugekommen war, hatte der österreichische Jnternuntius in Constantinopel, Franz Freiherr
von Thugnt, rückhaltlos erklärt, daß er, falls der ins Auge gefaßte Landstrich erheblich sei,
keine Hoffnung hege, dessen Abtretung ans gütlichem Wege bei der Pforte durchznsetzen.
120
Auf dieser Versicherung verharrte er, als man von Wien aus auf die Sache neuerdings
zurückkam. Er rieth, diese Angelegenheit wenigstens so lange ruhen zu lassen, bis sich
eine günstige Gelegenheit zu ihrer Durchführung biete.
Thugut's Bedenken brachten den Kaiser von seinem Entschlüsse nicht ab, und die
von Mieg und Seeger einlaufenden Berichte befestigten ihn noch mehr darin. Dazu mußten
die neuen und gemäßigteren Friedensbedingungen, welche der St. Petersburger Hof im
December 1773 der Pforte vorschlug, in Wien die Hoffnung wecken, daß der lang
andauernde Krieg bald zu Ende sein und die Pforte dann auch Österreich gegenüber sich
willfähriger zeigen werde. So kam es, daß Josef II. am 4. Januar 1774 den Befehl
erließ, die Aufstellung der kaiserlichen Adler »nach der neu angemerkten Grenze"
Pokuziens bis zum Ausmarsche der russischen Truppen aus diesem Theile der Moldau zu
verschieben, sie aber dann sogleich vorzunehmen und die Abtretung des eingeschlossenen
Gebietes „unter dem Namen einer Grenzberichtigung" bei der Pforte durchzusetzen.
Die Ereignisse nahmen jedoch zunächst einen anderen Verlauf, als man in Wien
erwartet hatte. Am 24. Januar 1774 starb nämlich der zum Frieden geneigte Sultan
Mustapha, und der neue Großherr, Abdul-Hamid, war so verblendet, daß er die Vorschläge
Rußlands schroff zurückwies. Jetzt rieth auch Thugut, daß man sich vorerst in den
wirklichen Besitz des in Anspruch genommenen Landes setze. Die Pforte, schrieb er am
3. Februar an den Fürsten Kaunitz, werde leichter die vollendete Thatsache anerkennen,
als freiwillig auf ein so beträchtliches Gebiet verzichten. Demzufolge erneuerte der Kaiser
am 6. März den hinsichtlich der Adleraufstellung bereits erlassenen Befehl mit dem Zusatze,
daß zwischen Pokuzien und der Moldau durch Ausgrabung der dort vorhandenen Grenz -
pfähle eine unbestimmte Grenze hergestellt, dann der ganze zu occupirende District so gut
als möglich von Mieg vermessen und, sobald die kaiserlichen Adler zur Aufstellung gelangen
könnten, zum Schutze derselben ein kleiner Truppenkörper dahin entsendet werde.
Im April concentrirten sich die Russen zu neuem Waffengange an der Donau. Sie
begannen deshalb zu jener Zeit die Gegenden um Czernowitz und Suczawa zu räumen.
Dies veranlaßte Mieg, der Anfangs Mai seine Arbeit in Angriff zu nehmen willens war,
zur Förderung derselben um Entsendung zweier Husarenabtheilungen, die unter dem
Vorwände der Remontirung in Czernowitz und Preworodek stehen sollten, anzusuchen.
Obwohl dieses Begehren mit den Befehlen vom 4. Januar und 6. März 1774 keineswegs
im Einklänge stand, schien dem Kaiser doch dessen Erfüllung „zur Erreichung der gefaßten
Absicht" dienlich. Nur sollte man Mieg begreiflich machen, daß die Moldau, solange
daselbst noch russische Truppen stünden, als eine nach dem Kriegsrechte von Rußland
eroberte Provinz anzusehen sei, daß folglich den Russen nicht nur kein Hinderniß in den
Weg gelegt werden dürfe, sondern vielmehr getrachtet werden müsse, sie bei gutem Willen
121
zu erhalten und insbesondere den in der Nähe commandirenden Officier zu gewinnen,
damit er und die ihm unterstellten Truppen die Mappirung ruhig geschehen ließen.
Die beiden Hnsarenabtheilungen scheinen noch im Mai 1774 in die Moldau
eingerückt zu sein. Sie waren jedenfalls die ersten österreichischen Truppen, die auf dem
Boden der heutigen Bukowina festen Fuß zu fassen suchten. Die wirkliche Besetzung des
Landes wagte der Kaiserhof auch nach erfolgtem Friedensschlüsse ohne die Erlaubnis der
Russen nicht. Doch ließ er auch damals, weil noch nicht einmal hinsichtlich der ostgalizischen
Grenze alle Streitpunkte geschlichtet waren, keine Mittheilung von seinem Vorhaben nach
St. Petersburg gelangen, sondern setzte sich blos mit dem russischen Heerführer, dem
Feldmarschall Grafen Rumjanzow, ins Einvernehmen. Diesem stellte man vor, daß man
durch die Einziehung des kleinen und an sich ganz unbeträchtlichen Distriktes nichts
anderes als eine vortheilhafte militärische Position gegen die Türkei zu gewinnen suche,
was dem Interesse Rußlands nicht zuwider laufe. Die Hauptsache werde man
mit der Pforte ganz allein ausmachen, so daß weder für ihn, den Feldmarschall, noch
für seinen Hof jemals irgend ein Nachtheil aus dieser Angelegenheit zu besorgen sei.
Rumjanzow's Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Noch in der zweiten Hälfte des
August wußte man in Wien, daß er nicht nur die Besetzung der neuen pokuzischen Grenze,
sondern auch die Aufstellung der k. k. Adler zugestand. Mit letzterer sollte man allerdings
bis nach des Feldmarschalls Aufbruch von Jassy warten.
Indessen waren österreichischerseits alle Vorbereitungen zum Einmarsch in die
Moldau getroffen worden. Drei Cavallerieregimenter und fünf Bataillone Infanterie,
insgesammt unter dem Kommando des Generalmajors Gabriel Freiherrn von Splenyi,
hatten Befehl, zu einem noch zu bestimmenden Zeitpunkte aus Galizien in die neue
Cordonslinie vorzurücken. Diesen Truppen war strengstens aufgetragen, gegen die
Bukowiner Bevölkerung liebevoll, gegen die Russen höflich und bescheiden zu sein. Als
Hauptquartier war Czernowitz bestimmt.
Die ersten k. k. Detachements überschritten am 31. August 1774 unter der
Führung des mit den Localverhältnissen bereits gut vertrauten Majors von Mieg von
Sniatyn aus, wo sich der Obercommandant aufhielt, die Grenze. Sie erreichten noch an
demselben Tage Czernowitz. Am 2. September wurden Sereth und Suczawa, tagsdarauf
Kapukodrului im Mvldawathal besetzt. Da von jedem Hauptposten einige Mann nach den
wichtigeren Grenzpunkten entsendet wurden, war innerhalb dreier Tage der Cordon vom
Dniestr bis zur Mvldawa fvrmirt. Mitte September bestand derselbe aus 400 Mann.
Am 6. und 20. September wurde Thugut von dem Geschehenen unterrichtet. Er -
schlug sofort ein energischeres Vorgehen vor. Die Pforte, berichtete er am 3. October,
werde weder durch die Darlegung älterer Rechtsansprüche noch durch die Zurückgabe der
122
in Siebenbürgen eingeschlossenen walachischen Gebietstheile zur Abtretung des Bnkvwiner
Districtes zu bewegen sein. Statt sich also mit ihr in lange und fruchtlose Erörterungen
einzulasien, solle man die Besitzergreifung der Bukowina zuerst ganz durchführen und
sich dann auf die kurze Erklärung beschränken, daß man aus giltigen Beweggründen den
in Besitz genommenen Landstrich als einen rechtmäßigen Bestandtheil der an Österreich
gefallenen polnischen Länder erkenne und entschlossen sei, ihn nötigenfalls mit den
Waffen zu vertheidigen. Demzufolge ordnete der Kaiser am 27. October die Besetzung
und Sicherstellung der Bukowina mit einer größeren Anzahl Truppen an. Genügten für
diese Absicht die in Galizien stehenden Streitkräfte nicht, so sollten noch zwei Regimenter
aus den nächst gelegenen Theilen Ungarns dahin abgeschickt werden.
Indessen hatte jedoch der commandirende General in Galizien, Feldzeugmeister
Freiherr von Elrichshausen, den District nahezu vollständig besetzen lassen. Am 24. October
war auch schon General Splenyi in Czernowitz eingetroffen. Im ganzen befanden sich damals
vier Garnisonsbataillone und ein Husarenregiment in der Bukowina. Dazu kam im
November noch ein Garnisonsbataillon und ein zweites Husarenregiment. Diese Truppen
erachtete Elrichshausen für genügend, um allen Eventualitäten gewachsen zu sein. Aber
auch die Aufstellung der kaiserlichen Adler fand früher, als man es erwartet hatte, statt.
Sie wurde mit Rumjanzow's Einwilligung in der Zeit vom 16. bis 19. November 1774
vorgenommen.
Die Nachricht von dem Einmärsche der Österreicher in die Moldau rief in
Constantinopel anfangs nur „Bedenken" hervor, die sich aber durch äußere Einflüsse sehr
bald bis zur Erbitterung steigerten. Preußen und Rußland waren es, welche, die
Abrundung in Galizien Österreich mißgönnend, die Pforte gegen den Wiener Hof
aufstachelten. Hierzu bedienten sie sich hauptsächlich des moldauischen Fürsten Ghika.
Dieser doppelzüngige Grieche hatte schon als Pfortendolmetsch und dann als Fürst der
Walachei (von 1768 — 1769) gegen das Kaiserhaus große Feindseligkeit an den Tag
gelegt; als Herrscher der Moldan (seit Mitte October 1774) arbeitete er dessen Absichten
umsomehr entgegen, als es in seinem Interesse lag, jede Schmälerung seines Fürstenthums
zu verhindern. Ghika stellte der Pforte vor, wie wenig die Besitzergreifung der Bukowina
mit den Freundschaftsversicherungen des Kaiserhofes harmoniere; dann erklärte er, daß
dieser District die übrige Moldau an Fruchtbarkeit bei weitem übertreffe; zuletzt verstieg
er sich sogar bis zu der Drohung, daß die Moldauer, falls der Großherr wider Vermuthen
ihr Interesse zu wahren unterließe, zu einer fremden Macht ihre Zuflucht nehmen würden.
Letztere Drohung war ein arger Mißgriff. Sie brachte die Pforte derart auf, daß
diese mehr an die Bestrafung des übermüthigen Hospodars als an den Verlust der
Bukowina dachte. Gleich ihre erste Antwort auf die Erklärungen, die ihr Thugut im
123
Namen des Kaiserhofes machte, lautete nicht geradezu ablehnend, und in der Folge zeigte
sie sich so entgegenkommend, daß der Jnternuntius die Abtretung der Bukowina einzig
und allein auf Grund ihrer ehemaligen Zugehörigkeit zu Pokuzien fordern konnte. Mitte
März 1775 waren die Verhandlungen schon so weit gediehen, daß die Pforte vorläufig
den Grundsatz anerkannte, Österreich solle so viel moldauisches Land erhalten, als es zur
Herstellung einer angemessenen Verbindung von Siebenbürgen und Galizien brauche.
Anfangs wollte man diese Linie nach Ghika's Vorschlag von Siebenbürgen nach Pokuzien
ziehen, dann aber fand man sich bereit, sie nach dem an Österreich gefallenen Theile
Pvdoliens zu leiten; nur das Gebiet von Chotin sollte der Türkei verbleiben. Schließlich
kam man überein, daß die neue Grenzlinie durch eine gemischte Commission geregelt
werde, und damit die Cvmmissäre nicht in Streit geriethen, wurden im allgemeinen auch
die Grenzorte schon bestimmt. Diese Vereinbarungen erlangten durch die am 7. Mai 1775
in Constantinopel Unterzeichnete Convention ihre volle Rechtskraft. Darin wurde überdies
auch die von österreichischer Seite gegen die Walachei hin gezogene siebenbürgische Grenz -
linie von der Pforte anerkannt.
Kaiser Josef hatte allen Grund, die Nachricht von dem Ausgange der Verhandlungen
freudig zu begrüßen; war er es doch gewesen, der den Gedanken an die Erwerbung der
Bukowina zuerst gefaßt. Er vergaß aber jener Männer nicht, die an der Verwirklichung
dieses Gedankens rastlos mitgearbeitet hatten, des Staatskanzlers Kaunitz und des
Jnternuntius Thugut. In einem eigenhändigen Schreiben lobte er den „unermüdlichen
Eifer und die so klar als vorsichtig gegebenen Weisungen" des Ersteren, ihn zugleich seiner
„wahren Hochschätzung und freundschaftlichen Dankbarkeit" versichernd; Letzterer erhielt
zur Belohnung seiner Verdienste das Commandeurkreuz des St. Stefansordens.
Die Grenzcommissäre — der Wiener Hof hatte den Feldmarschall-Lientenant Baron
Vincenz von Barco, die Pforte den Bauwesen-Aufseher Tahir Aga gewählt — begannen
Mitte September 1775 die Verhandlung. Diese nahm anfangs einen so günstigen
Verlauf, daß schon Ende Octvber die ganze Südgrenze sowie die Ostgrenze bis Czernawka
als berichtigt gelten konnte. Dabei waren Österreich sowohl Gebietstheile im Süden von
Kandreny und Stulpikany als auch erhebliche Strecken Landes zwischen dem Suczawa-
und dcni Serethflusse wider die in der Abtretungsconvention getroffene Vereinbarung
zugesprochen worden. Die weitere Grenzabstecknng aber stieß aus fast unüberwindliche
Schwierigkeiten. Während nämlich Barco infolge allerhöchster Weisung die Forderung
stellte, daß die Grenze von Czernawka an den Dniestr längs des Bnkowiner Waldes nach
Preworodek gezogen werde, war Tahir Aga beauftragt, auch nicht eine Handbreit von
dem Chotiner Territorium abzutreten. Die Uneinigkeit der Commissüre wurde durch
moldauische und russische Einstreuungen noch genährt. So kam es, daß Tahir Aga bald
124
auch die schon regulirte Strecke zwischen dem Sereth und der Suczawa als nicht ganz
berichtigt erklärte. Jetzt gab Österreich insoweit nach, daß es sich mit Rohatyn als östlichstem
Grenzpunkt am Dniestr begnügen wollte und auch seine in Preworodek stehenden
Besatzungstruppen bis dahin zurückzog. Und als auch damit noch keine Einigung zu
erreichen war, nahm es, um das Abgrenzungsgeschäft nicht zu gefährden, in der Convention
vom 12. Mai 1776 eine vom Bukowiner Walde nach Onuth gezogene Linie als Grenze
im Nordosten an, wogegen es als Ersatz für das zurückgestellte Land die Gemarkungen
von neun Dörfern zwischen dem Pruth und dem Rakitnabach erhielt. Schließlich willigte
es am 2. Juli 1776 zu Palamutka auch in die Herausgabe der zwischen dem Sereth und
der Suczawa gelegenen Enclave.
Bei den Verhandlungen mit der Pforte hatte sich die Nothwendigkeit herausgestellt,
den in Anspruch genommenen District von dem Lande, zu welchem er bis dahin gehört,
genau zu unterscheiden. Was lag nun näher, als jenen Namen festzuhalten, der, wie Oberst
von Seeger in seiner zur Begründung der österreichischen Ansprüche verfaßten historischen
Skizze nachgewiesen, für diesen Theil der Moldau längst gebräuchlich war und auch dessen
Beschaffenheit am deutlichsten zum Ausdruck brachte? Bukowina heißt Buchenwald,
auch Buchenland. Dieser Name verdrängte seit September 1774 alle übrigen Bezeichnungen
und wurde schon im November 1775 als die „wahre Benennung" des neuerworbenen
Landes angesehen.
Nach allen ans der Zeit der Besitzergreifung stammenden Berichten war die
Bukowina damals größtentheils mit Wald bedeckt. Sie war darum auch äußerst schwach
bevölkert. Auf den 10.456 Quadratkilometern, die das Land umfaßt, wohnten nicht mehr
als ungefähr 12.000 bis 15.000 Familien oder 60.000 bis 70.000 Personen, also etwa
ein Neuntel der heutigen Bevölkerung. Die Ortschaften, selbst die Studie (Czernowitz,
Sereth und Suczawa) nicht ausgenommen, waren über alle Maßen elend; die Häuser
waren mit wenigen Ausnahmen aus Holz erbaut, hatten zumeist nur eine Stube und
lagen weit auseinander.
Der Nationalität nach gehörte die Mehrzahl der Bewohner dem rumänischen
Volksstamme an. Nur im Russisch-Kimpolunger Bezirke (heute Gerichts-Bezirke Wiznitz und
Putilla) und am Dniestr saßen fast ausschließlich Ruthenen. Außerdem gab es in Suczawa
eine ziemlich starke Gemeinde von orientalischen Armeniern und im ganzen Lande zerstreut
Juden und Zigeuner. Auch eine deutsche Ansiedelung war schon vorhanden: das von dem
russischen Münzpächter Freiherrn von Gartenberg (russisch Sadagurski) im Jahre 1770
gegründete Sadagöra. Die Rumänen bekannten sich sämmtlich zur griechisch-nichtunirten
Kirche. Dieser Kirche hingen aus Mangel an eigenen Priestern auch die vordem griechisch-
katholischen Ruthenen an. Die Deutschen waren evangelisch.
12b
Die große Ausdehnung des Graslandes wies die Bewohner auf die Viehzucht als
Hauptbeschäftigung hin. Man ließ jedoch dem Vieh nicht die geringste Pflege angedeihen.
Es blieb, da die Häuser weder mit Schuppen noch mit Stallungen versehen waren, zur
Sommers- und Winterszeit im Freien und somit allen Unbilden der Witterung preis -
gegeben. Noch weniger Sorgfalt wurde auf den Ackerbau verwendet. Ohne vorher zu
düngen, pflegten Grundherren wie Bauern in unmittelbarer Nähe ihrer Wohnungen ihr
Maisfeld zu bestellen, soweit es der voraussichtliche Bedarf erheischte. Ebenso erzeugten sie
in primitivster Weise den zu ihren Kleidungsstücken nöthigen Flachs und Hanf. Daß auch
das Waldland einer Bewirthschaftung fähig und bedürftig sei, daran wurde nicht gedacht.
Jedermann entnahm seinen Holzbedarf der nächstgelegenen Waldung, und Grnndherren
und Gemeinden brannten Forste nieder, um neue Weideplätze zu gewinnen. Von Industrie
war keine Spur vorhanden; fehlten doch selbst in den Städten die nothwendigsten
Handwerksleute, wie Schuster, Schneider, Wagner u. s. w. Die meisten verfertigten ihre
Kleidungsstücke und Gerüthe selbst, und wer mehr Aufwand zu machen in der Lage war,
deckte seinen Bedarf von auswärts. Auch der Metallreichthum des Landes war unter
der moldauischen Regierung noch unbekannt. Man kannte nebst einigen Salzquellen nur
den Goldsand der Bistritza, mit dessen Auswaschung Zigeuner sich beschäftigten. Nur der
Handel war von einiger Bedeutung. Er wurde gewerbsmäßig von Juden und Armeniern
betrieben. Ausgeführt wurden Pferde, Rinder, Schafe, Häute, Wolle, Butter, Käse, Wachs
und Honig, eingeführt dagegen: Leder, Glas und Eisenwaaren. Zn bemerken ist hiebei,
daß die Einfuhr durch die Ausfuhr bei weitem übertroffen wurde, der Handel also
activ war.
Mit Ausnahme der seßhaften Zigeuner, der sogenannten Roby, war die gesammte
Bevölkerung völlig frei. Doch besaßen nur die Bewohner des Moldauisch-Kimpolunger
Bezirkes und der Städte, die landesfürstlich waren, eigenen Grund und Boden;
die übrigen erhielten von den Grundherren, dem Adel und der höheren Geistlichkeit
(Bischöfen und Äbten), so viele Gründe, als sie zu ihrem Unterhalte brauchten. Für die
Nutznießung hatten sie von allen Erzeugnissen den Zehent zu geben, zwölf Tage im
Jahre zu frohnen, jährlich je eine Fuhre Holz zuzuführen und bei der Ausbesserung der
herrschaftlichen Gebäude hilfreiche Hand zu leisten; sie mußten es jedoch ruhig geschehen
lassen, wenn man ihnen die urbar gemachten Gründe im kommenden Jahre gegen
schlechtere vertauschte.
Die Verwaltung des Landes hatte bis zu dessen Besitzergreifung durch Österreich
nur in der Einsammlung der Steuern und in der Pflege der Justiz bestanden. Die hierzu
verwendeten Personen bezogen keinen fixen Gehalt aus der Staatskasse, sondern waren aus
sogenannte Sporteln angewiesen. Dazu wurden die vornehmeren Ämter, das '-starosten- und
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Jsprawnikamt (elfteres in Czernowitz, letzteres in Snczawa), nicht auf Lebenszeit, sondern
auf zwei oder drei Jahre verliehen oder vielmehr an den Meistbietenden verhandelt.
Kein Wunder, daß diese Leute nicht nur das für das Amt ausgelegte Geld sobald als
möglich hereinzubringen, sondern sich auch noch obendrein auf Kosten der Bevölkerung
zu bereichern suchten.
Die Steuern waren mannigfach und lasteten hauptsächlich auf dem ärmeren Theil
des Volkes. Von der wichtigsten Steuer, dem Tribute, waren der höhere Adel und die
Klostergeistlichkeit sogar ganz befreit. In Hinsicht auf die Rechtspflege genügt es zu
erwähnen, daß alle Processe ohne Advocaten, ohne Beisitzer, ohne Protokolle, bloß nach
der natürlichen Einsicht und der Willkür des Richters durchgeführt und entschieden wurden.
Von der Polizei waren nicht einmal die Anfänge zu finden. Im ganzen Lande gab es
keinen Arzt und keine Apotheke. Nirgends war man seines Eigenthnms und seines Lebens
sicher, da die zerstreut und einsam lebenden Bewohner aus Furcht vor Mißhandlung und
Mord dem räuberischen Gesindel allzeit Unterkunft gewährten. Die wenigen Landstraßen
waren dergestalt vernachlässigt, daß die Reisenden alle Augenblicke in Morästen stecken
blieben. Da es auch keine Brücken gab, mußte man zur Zeit des Regenwetters an
Bächen und Flüssen warten, bis das Wasser sich verlausen hatte. Dieselbe Fahrlässigkeit,
die auf dem Lande überall in die Augen sprang, herrschte auch in den Städten. Nirgends
waren Vorsichtsmaßregeln gegen Feuersbrunst, nirgends ordentliches Maß und Gewicht,
nirgends Reinlichkeit, noch etwas, was den Aufschwung einer Stadt befördert, zu erblicken.
Daß unter solchen Umständen auch die geistige Cultur der Bewohner auf der tiefsten
Stufe stand, ist selbstverständlich. Es gab zwar einige Klosterschulen (in Putna, Radautz
und Snczawa), sie hatten jedoch nur den Zweck, den Candidaten des geistlichen Standes
die zur Verrichtung der gottesdienstlichen Handlungen unumgänglich nöthigen Kenntnisse
beizubringen. Die große Masse des Volkes wuchs ohne jeden Unterricht auf. Und wie das
Schul-, so lag auch das Kirchenwesen sehr im Argen. Wenn schon das äußere Gefüge der
Landeskirche — es reichte einerseits die Radautzer Diöcese weit in das moldauische
Fürstenthnm hinein, während anderseits nicht nur viele Seelsorgestationen, sondern auch
alle Bukowiner Klöster dem Erzbischöfe von Jassy direct unterworfen waren — große
Übelstände zeitigte, so mußte die trostlose materielle Lage, in welcher die Mehrzahl der
Geistlichen sich befand, deren geistige und sittliche Verwahrlosung zur Folge haben. Die
Popen (Pfarrer) und Diakonen hatten weder Pfründen noch feste Stolgebühren; sie lebten
darum theils von dem Grundbesitz, den sie unter denselben Bedingungen wie die Bauern
innehatten, theils von freiwilligen Geschenken, welche sie dem leichtgläubigen Volke durch
Versprechungen oder Drohungen abzulocken wußten. Ebenso mußten die zahlreichen
Mönche — das kleine Ländchen zählte 26 Mönchs- und 3 Frauenklöster mit über
127
500 Mitgliedern — bei dem Umstande, als ihre Vorsteher die Erträgnisse der reichen
Stiftungen verpraßten, entweder innerhalb der Klostermauern ein erbarmungswürdiges
Dasein führen, oder sich außerhalb derselben durch allerlei, mit den Ordensregeln
keineswegs immer im Einklang stehende Geschäfte ihren Lebensunterhalt verdienen.
Das war der Zustand der Bukowina, als Österreich von diesem Lande Besitz ergriff.
Leit der Besitzergreifung.
Vom Jahre 1777 bis 1786. — Am Schluffe jener Denkschrift voll leuchtender
Klarheit, die General Freiherr von SpUnyi am 10. December 1774 — also drei
Monate nach dem Einmärsche der kaiserlichen Truppen — der Centralregierung vorlegte
und in der er sein Reformprogramm entwickelte, hat er mit einem Nachdruck ohnegleichen
auf die Nothwendigkeit einer Erbhuldigung hingewiesen. Es entsprach dies den Ideen
der Zeit und den Anschauungen der damaligen Träger der Staatsgewalt. Er wünschte
gleichsam jede einzelne Person der neugewonnenen Landschaft durch einen feierlichen Eid
der Treue fester an das neue Staatswesen zu knüpfen. Er schreibt jedes wünschenswerthe
Detail dieses feierlichen Actes vor, und merkwürdiger Weise ist dann später die Huldigung
genau in derselben Weise vollzogen worden, wie er sie dachte und beschrieb. Bis zur Voll -
streckung seines Programmes verflossen aber fast drei Jahre. Erst nachdem die letzten
Verhandlungen mit der Pforte über die Grenzregulirung ihren endgiltigen Abschluß
gefunden hatten, ordnete der Hofkriegsrath im Aufträge der Krone am 28. Juni 1777
die Vornahme der Huldigung an. Diese Feierlichkeit wurde auf den 12. October 1777
festgestellt, Czernowitz als Huldigungsort bestimmt und der Administrator Freiherr von
Splenyi zum kaiserlichen Cvmmissär ernannt. Ihm fiel selbstverständlich auch die Rolle
des Ordners der Festlichkeiten zu.
Drei Monate währten die Vorbereitungen zu dem Feste, das der imposanten Kund -
gebung in würdigster Weise entsprechen sollte. Wie ganz verändert gegen die früheren
Zustände mochte ein Fremder die Stadt damals finden. Man weiß, daß das „Stüdtel"
Czernowitz nur ein ärmliches Dorf war, das kaum 900 (mit der Vorstadt Rosch zusammen
1620) Seelen zählte und nur wenige gemauerte Häuser, zumeist nur kümmerliche Hütten
besaß. Spllnyi's unermüdlicher Sorgfalt war es zu danken, daß es gelang, Unterkunft für
zahlreiche Gäste, für große Truppenabtheilungen aller Waffengattungen und würdige
Stätten für die Vornahme der feierlichen Handlung zu schaffen. Der Platz vor dem
Gebäude des kaiserlichen Commissärs war in einen „schönen Garten" umgewandelt,
geziert mit einer hochragenden Ehrenpforte, mit Obelisken im Schmucke von Flaggen und
Reisig, mit Pyramiden, die in ihren Feldern große symbolische Bilder und ans der
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stumpfen Spitze auffliegende Adler zeigten. Für den Act der Huldigung wurde ein großes
Bretterhaus gezimmert, das einen, ganz mit Tannenreifig tapezirten Saal in seiner
Mitte barg. Am 12. October 1777 war Czernowitz die Stätte einer erhebenden Feier.
Das Land war vertreten durch die Repräsentanten aller seiner Corporationen. Die im
Lande wohnenden Adeligen waren Persönlich geladen und erschienen; jedes Kloster war
durch zwei Mönche, die Geistlichkeit eines jeden Bezirkes durch die Erzpriester und zwei
Popen, jede Gemeinde durch zwei Abgeordnete vertreten. Nach dem festlichen Aufzuge
fand um 9 Uhr Morgens im Hnldigungssaale die feierliche Eidesleistung statt. Der vom
Kanzler Chereskul vorgelesene Huldignngseid wurde von allen Vertretern Wort für Wort
laut und feierlich nachgesprochen. Endloser Jubel der Landesvertreter und des Volkes,
Musik und Kanonendonner verkündeten weithin, daß die Bukowina den Eid der Treue
geleistet. An die Huldigung reihte sich die kirchliche Feier in der Dreifaltigkeitskirche,
wo der Radantzer Bischof Dositheu Chereskul, umgeben von zahlreichem Clerus pontisicirte.
Um 3 Uhr begann das Festessen an 27 Tafeln mit je 26 Gedecken. Abends war dann
großer Ball und beim Beginn der festlichen Stadtbeleuchtung, wobei der Platz vor der
Behausung des kaiserlichen Commissärs im Lichte von 5000 Lampen erstrahlte, wurde
ein großes Feuerwerk abgebrannt, das an und für sich den damaligen Stadtbewohnern
eine bisher unbekannte Erscheinung aus der Fremde war. Die erste Feuerfront zeigte
die Worte. „Vivat Vlarin. Illorosia, vivnt -losopllns II". Am Tage daraus — am
13. October — wurden die kaiserlichen Truppen, die in der Stärke von 1697 Mann
in Zelten außerhalb der Stadt lagerten, reichlich bewirthet.
Sechs Monate nach diesem Feste — im April 1778 — schied Freiherr von Splenyi
aus der Bukowina, indem er, seinem Wunsche gemäß, zur Operationsarmee berufen
wurde, die eben damals im Aufmärsche gegen Preußen begriffen war. Der Erbe seines
Amtes, seiner Geistesrichtung und seiner Reformgedanken war General Karl Freiherr
von Enzenberg, der am 6. April 1778 die Function eines Administrators der
Bukowina übernahm.
Als Commandant des zweiten walachischen Grenzregimentes in Siebenbürgen,
in welcher L-tellung er fast 15 Jahre bis zu seiner Berufung als Administrator der
Bukowina verblieb, hatte Enzenberg nicht nur die Militärgewalt, sondern auch die
Civilverwaltung des ganzen Grenzdistricts in seiner Hand gehabt und damit eine Schule
der Entwicklung seines Sinnes für Politische Organisationen durchgemacht. Der Umstand,
daß er mit der Verwaltung eines Gebietes betraut war, das zumeist von Rumänen
bewohnt ist, also von einem Volke, dessen Stammesgenossen den größten Theil der
Bevölkerung der Bukowina bildeten, machte ihn für die Erfüllung seines Berufes in dem
neugewonnenen Kronlande besonders geeignet. Er kannte genau die Sitten und Gebräuche,
129
die Gewohnheiten und die Sprache dieses Volkes und wußte die gewonnenen Erfahrungen
bestens zu verwerthen. Darum hat er auch auf seinem neuen Verwaltungsposten mit
erstaunlicher Raschheit die Kenntniß der Landeszustände, der Sitten und Bedürfnisse, der
Tugenden und Fehler der einzelnen Gesellschaftsclassen des ihm zur Verwaltung
General Karl Freiherr von Enzenherg.
anvertrauten Landes erworben. Er erscheint eben als einer jener Generale des öster -
reichischen Heeres, die mit allen militärischen Tugenden ein hohes organisatorisches
Talent verbanden. Alle Zweige des öffentlichen Lebens faßt er ins Auge; bestrebt, das
Leben des Volkes aus eigener Anschauung kennen zu lernen, reitet er durch alle Thäler
des Landes und sucht er selbst die einsamen Gehöfte auf, um die Lage und die Bedürfnisse
des Volkes zu erkunden. So war es möglich, daß er bereits anderthalb Jahre nach dem
Bukowina.
130
Antritte seines Amtes in fünf Denkschriften (October 1779) auf Verlangen der
Centralregierung in trefflicher Weise über den Zustand des Buchenlandes berichten und
seine Reformvorschläge erstatten konnte. In einschneidenden Zügen hat er da die trostlosen
Zustände des Landes geschildert, die Mittel zur Abhilfe erörtert und schließlich sein
Reformprogramm entwickelt. Das Leben und Treiben der einzelnen Gesellschaftsklassen,
die Besteuerung der Bauern, das drückende Verhältniß derselben zu den Grundherren, die
Reformbedürftigkeit der städtischen Verwaltung, der erschreckende Mangel an Bildung
und Gesittung bei der Welt- und Klvstergeistlichkeit, die Vernachlässigung der Landes-
cultur-Angelegenheiten, der Mangel einer Wohlsahrts- und Sicherheitspolizei, all' dies
findet in seinen Staatsschriften die ausführlichste, zumeist düsterste Beleuchtung.
Diese Denkschriften waren es, welche die Centralregierung bestimmten, nun endlich,
nachdem im Großen und Ganzen seit 1774 der slutus quo im Lande aufrecht erhalten
worden war, die Verhandlungen über die definitive Regelung der Verhältnisse und über
die Organisation der Verwaltung des neuerworbenen Kronlandes in Fluß zu bringen. An
diesem Probleme ist nun jahrelang gesonnen, versucht und gearbeitet worden, aber nur
zögernd und tastend schritt man vorwärts. Der Administrator des Landes, General
Enzenberg, der Commandirende in Galizien, Feldmarschall-Lieutenant Schröder, der
dortige Landeschef Graf Brigido, der Hofkriegsrath, der böhmisch-österreichische Hofkanzler
und endlich der Staatsrath haben nacheinander auf Gruud kaiserlicher Aufforderung ihre
Meinungen und Pläne über die dnrchzufnhrenden Reformen in der Bukowina zu
schriftlichem Ausdrucke gebracht.
Kraft kaiserlicher Entschließung vom 18. Januar 1780 wurden General Enzenberg
und der Oberkriegscommissär Wagmuth als Stellvertreter des Generals Schröder nach
Wien berufen, um beim Hvfkriegsrathe an der großen Berathung über die Regelung der
Bukowiner Verhältnisse theilzunehmen. Diese Berathungen währten vom 4. bis 15. April
1780, und die Resultate derselben wurden unverzüglich dem Kaiser vorgelegt. Sie
umfaßten alle wichtigen Fragen der Zukunft des Landes und bezogen sich ans die Stellung
desselben im Reichsverbande, auf die Reform der kirchlichen Angelegenheiten, auf die
Errichtung von -schulen, auf die neuen Zuwanderer griechisch-katholischen Bekenntnisses,
auf die Einrichtung der politischen Landesbehörde, auf die Begünstigung der Armenier,
um den Handel zu heben, auf die Verhältnisse der Juden, auf das Mauthwesen, auf den
Münzfuß, auf die Beschränkung der Einfuhr des Branntweins und des Steinsalzes, ans
Straßenbau und andere Communicationsmittel.
Der Kaiser verschob die Entscheidung über die Vvrgeschlagenen Reformen und gab
am 21. April 1780, wo noch das feste Vorhaben bestand, auf der geplanten Kaiserreise
nach Galizien und Rußland auch die Bukowina zu besuchen, die Erklärung ab, er wolle sich
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selbst während des Aufenthaltes in der Bukowina die Überzeugung von der Möglichkeit der
vorgeschlagenen künftigen Einrichtung des Landes verschaffen. Am 26. April (1780) trat
der Kaiser seine Reise an; im Verlaufe derselben wurde jedoch der Plan, die Bukowina
zu besuchen, fallen gelassen. Erst während der Heimreise nahm der Kaiser den abgerissenen
Faden der Verhandlungen über die Bukowiner Frage wieder auf und richtete am
5. August 1780 jenes denkwürdige Handschreiben an den Commandirenden in Galizien,
worin derselbe aufgefordert wurde, im Vereine mit dem Landeschef ein Gutachten über
die Reformfrage der Bukowina abzugeben. Zum ersten Male ist da der unglückliche
Gedanke einer Angliederung des Landes an Galizien zum Ausdrucke gelangt.
Ehe noch das verlangte Gutachten abgegeben werden konnte, trat ein ungemein
interessanter Zwischenfall ein. Ein Mann aus dem fernen Osten erschien in Wien als
„Abgeordneter der Bukowina", um im Namen des Adels und der Geistlichkeit
seines Vaterlandes die Klagen, Bitten und Wünsche der verschiedenen Gesellschaftsklassen
vor den Thron zu bringen. Am 13. November 1780 überreichte nämlich der Bojar
Basilius Balschs als Abgeordneter der Bukowina der Centralregierung eine höchst
bedeutsame Denkschrift. Darin schildert er in einschneidenden Zügen die Verhältnisse
seines Vaterlandes, den Zustand des Adels, der Geistlichkeit, der Bauern, die Corrnption
in den Klöstern, den Verfall des Handels. Er deckt nicht nur die Wunden ans, überall
bringt er auch die nöthigen Heilmittel in Vorschlag und bezeichnet in beredter Weise die
Ziele der inneren Politik, die in dem neuen Reichslande erstrebt werden sollten. Jede seiner
Klagen ist durch patriotischen Schmerz geadelt und die ganze Denkschrift wird durchströmt
von der Wärme patriotischer Empfindung und von der unbedingten Hingebung an die
große Monarchie, der sein Vaterland angegliedert werden soll. Auch über diese Vorschläge
und Wünsche verschob der Kaiser durch seine Entschließung vom 25. November 1780 die
Entscheidung bis zum Einlangen der Gutachten Schröder's und Brigido's. Am 30. November
trafen dieselben endlich in Wien ein. Aber auch jetzt wich der Kaiser der endgiltigen Ent -
scheidung aus und forderte die böhmisch-österreichische Hofkanzlei zu einer bestimmten
Äußerung über das Bukowiner Reformwerk auf. Am 17. Februar 1781 kam die Hof -
kanzlei dem erhaltenen Aufträge nach und begleitete Brigido's Denkschrift mit ihren:
Gutachten, dem aber der Oberstkanzler, Graf Blümegen, seine eigene höchst beachtens-
werthe Erklärung beischloß. Der scharfsinnige und weitblickende Staatsmann sprach sich
entschieden dagegen aus, daß das Land an Galizien angegliedert oder gar in zwei Theile
zerrissen werde, er that dies mit der bezeichnenden Forderung, „daß die Bukowina
keineswegs mit anderen Provinzen vereinigt, sondern als ein ganz abgesondertes Land
und soviel möglich nach den jetzigen Gebräuchen und Sitten behandelt und darnach
getrachtet werden sollte, die Zuneigung und das Vertrauen der moldauischen Nation auf
9*
132
das möglichste zu gewinnen." Schwerlich wird man mit der Annahme fehlgehen, daß diese
Worte des klugen Staatsmannes einen großen Einfluß auf den Kaiser ausübten, denn
mit Handschreiben vom 20. Mai 1781 brachte er eine von seinem bisherigen Jdeengange
abweichende, hochsinnige Entschließung zum Ausdrucke. Jetzt war vou keiner Zerreißung
des Landes, von keiner Angliederung desselben an Galizien die Rede. Der Kaiser erklärte:
„Ich habe ans wichtigen Betrachtungen für gut befunden, den Bnkowiner District derzeit
noch unter der weiteren Leitung des Hofkriegsrathes zu belassen". Er gab daher dem
Hofkriegsrathe den Auftrag, auf der Grundlage der bisher schier endlos dauernden
Berathungen ein Programm der in der Bukowina durchzuführenden Reformen endgiltig
zu entwerfen. Nachdem es mit höchster Raschheit schon am 24. Mai 1781 vollendet und
dann noch dem Staatsrathe zur letzten Begutachtung übergeben worden war, ertheilte der
Kaiser am 18. August dem Reformprogramme, das die Summe aller aus den überlangen
Berathungen gewonnenen Ergebnisse in sich schloß, seine Genehmigung. Der Hofkriegsrath
hat nun dasselbe in Form einer „Belehrung" dem Landesverweser der Bukowina,
Freiherrn von Enzenberg, am 21. August 1781 mit dem Aufträge übermittelt, diese
„Belehrung" bei der Durchführung der Reformen als unwandelbare Richtschnur zu
betrachten, und wie eine Fackel leuchtet diese Kundgebung den kommenden Ereignissen voran.
Die Reform auf dem Gebiete des griechisch-orientalischen Kirchenwesens hatte aber
schon früher begonnen, noch ehe die bahnbrechende „Belehrung" dem General Enzenberg
als Richtschnur in die Hände gelegt wurde. In Bezug auf die Kirchenpolitik in der
Bukowina schwebten der Centralregierung als unverrückbare Ziele folgende drei Aufgaben
vor: Trennung der Bukowina von der moldauischen Erzdiöcese, Bildung einer eigenen
von Jassy ganz unabhängigen Diöcese, daher Erhebung des Radautzer Bischofs zum
Oberhaupte der griechisch-orientalischen Kirche in der Bukowina und Unter -
ordnung desselben unter einen in den österreichischen Staaten residirenden griechisch -
orientalischen Metropoliten, endlich die Errichtung eines Consistoriums in Czernowitz.
Niemand wäre weniger geneigt gewesen, die Durchführung dieser kirchenpolitischen
Pläne zu hindern, als der damalige Bischof von Radautz, Dositheu aus dem Hause
der Chereskul. Mehr als einmal hebt Enzenberg die hohe Einsicht, die Milde und
patriotische Gesinnung dieses Kirchenfürsten hervor; er rühmt seine Staatstreue, seine
Ergebenheit für das neue Herrscherhaus und seinen reinen kirchlichen Eifer. So darf es
nicht überraschen, daß die Kirchenpolitik der Centralregierung in dem Bischof eine feste
Stütze fand. Die diplomatischen Unterhandlungen, die mit dem Metropoliten von Jassy
gepflogen wurden, führten im Frühlings 1781 zum erwünschten Ziele. Am 24. April
(6. Mai neuen St.) stellte der Erzbischof von Jassy die Urkunde aus, kraft deren er auf
seine Metropolitan-Jurisdiction über das Radautzer Bisthum verzichtete.
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Die alte bischöfliche Residenz in Czernowitz (erbant 1782).
So bildete fortan das Land eine eigene, von Jassy ganz unabhängige Kirchenprovinz,
und der Bischof von Radautz war zum Bischof der neuen Bukvwiner Diöcese erhoben.
Die Centralregierung war nun beflissen, sobald als möglich die feierliche Jnstallirung
des neuen Bischofs vornehmen zu lassen, denn erst dann konnte das kirchliche
Reformwerk beginnen, die Errichtung des Konsistoriums und die Reform der Klöster
vorgenommen werden. Trotz der drängenden Eile der Centralregierung verzögerte sich die
Feier der Jnstallirung um einige Monate. Sie erfolgte endlich am 10. Februar 1782
und bildet nicht nur einen bedeutungsvollen Wendepunkt in der Geschichte der griechisch -
orientalischen Kirche in der Bukowina, sondern bezeichnet den Anfang des kirchlichen
Reformwerkes.
Dem Feste der Jnstallirung wurde ein glänzendes Gepräge aufgedrückt. Die
Inthronisation nahm General Enzenberg als kaiserlicher Commissär vor. Die Feier
begann mit dem Schwure der Treue, den der Bischof dem Herrscherhause in lateinischer
Sprache leistete. Hierauf überreichte Enzenberg dem Bischof im Namen des Kaisers das
große goldene Kreuz, das bereits mit kaiserlicher Entschließung vom 12. November 1781
als sichtbares Zeichen der kaiserlichen Gunst und als Anerkennung der Staatstreue des
Bischofs für das Fest der Inthronisation bestimmt worden war. Bei der Überreichung
dieser glänzenden Zier gedachte Enzenberg in ergreifenden Worten der Verdienste des
Bischofs. Dieser Kundgebung folgten der Dankspruch des Bischofs und die Festreden,
134
welche von dem Bojaren Basilius Balschs und dem Archimandriten Meleti gehalten
wurden. Wenige Tage darauf vollzog sich die ersehnte Errichtung des griechisch -
orientalischen Konsistoriums. Am 15. Februar 1782 fand die erste Sitzung
desselben unter dem Vorsitze des Bischofs und in Gegenwart Enzenbergs und der
geistlichen und weltlichen Consistorialräthe statt.
Die Klosterreform sollte zuerst vorgenommen werden, und gleich in dieser ersten
Sitzung wurde eine Commission (aus drei geistlichen Consistorialräthen bestehend) als
Untersuchungscommission gewählt, als deren Aufgabe es bezeichnet wurde, von
Kloster zu Kloster zu wandern, die Mißbräuche abzuschaffen, das Klostergut genau zu
bestimmen, zu diesem Zwecke umfassende Erhebungen einzuleiten und Einnahmen und
Ausgaben sorgfältig zu prüfen. Die Frühlingsmonate des Jahres 1782 waren erfüllt
von der rastlosen Thätigkeit dieser Commission. Mit unnachsichtlicher Strenge wurde den
Mißbräuchen gesteuert, die häßliche Korruption auszurotten versucht, wurden unwürdige
und widerspenstige Klostervorsteher abgesetzt, an die Stelle unfähiger oder unredlicher
Jgumenen vertrauenerweckende Persönlichkeiten gestellt und denselben genaue Instructionen
ertheilt. Auch wurde eine Norm für die wirthschaftliche Verwaltung gegeben. Damit war
der Grund zu einer geregelten Verwaltung des Klostergutes gelegt.
Da der neuinstallirte Bischof in Czernowitz kein eigenes Heim besaß, die Wohnungs-
noth daselbst außerordentlich groß war und die Sitzungen des Consistoriums im Hause der
Landesadministration abgehalten werden mußten, drängte sich die Nothwendigkeit der
Erbauung einer bischöflichen Residenz in Czernowitz auf. Dieser Mangel hatte
ja den mächtigsten Grund zur Verzögerung der Jnstallirung und der Übersiedlung des
Bischofs von Radautz nach Czernowitz gebildet. Am 27. Mürz 1782 gab der Hofkriegsrath
seine Zustimmung zu dem geplanten Baue, der im Juli 1783 vollendet wurde.
Seit den Augusttagen des Jahres 1782, wo der Commandirende von Galizien,
General Schröder, in Czernowitz weilte, kam die wichtige Frage der Eigenthums -
übertragung der bischöflichen Güter an den Staat zur Verhandlung. Am
3. August hielt Schröder in Czernowitz die entscheidende Berathung. Am 5. August
sprach der Bischof seine principielle Zustimmung zu dieser Übertragung in einer Urkunde
aus, die in feierlicher Weise eine Verzichtleistung zu Gunsten des Staates unter der
Bedingung bekundete, daß dem jeweiligen Bischof der Bukowina ein entsprechender
Jahresgehalt vom Staate zugesichert werde.
Hatte die im Jahre 1780 nach Galizien und Rußland unternommene Reise
Josefs II. einen geradezu hemmenden Einfluß aus den Fortgang des Reformwerkes in der
Bukowina genommen, so übten die Kaiserreisen in den Jahren 1783 und 1786 die
nachhaltigste Rückwirkung aus und hatten tief einschneidende Verfügungen für dieses Land
135
in ihrem Geleite. Im Jahre 1783 betrat Josef II., unmittelbar von Siebenbürgen
kommend, am 14. Juni den Boden der Bukowina und verweilte je zwei Tage in Suczawa
und Czernowitz (15. bis 19. Juni). In der letztgenannten Stadt hat er, unmittelbar vor
seiner Abreise am 19. Juni, jenes wichtige Handschreiben an den Hofkriegsraths-
Präsidenten Grafen Hadik gerichtet, das fast das ganze Reformwerk der Bukowina ins
Auge faßt und ein leuchtendes Zeugniß von dem weiten Blicke, der scharfen Auffassung
und der edlen Sorge dieses rastlosen Fürsten ablegt. Die künftige Stellung des Landes im
Verbände der Monarchie, die Steuerbemessung, die Robotleistungen, die Justizpflege, die
Grenzwache, die Verpflegung des Militärs, die zur Regelung der Besitzfragen eingesetzte
Commission, die Aufhebung eines Theiles der Klöster, die Unterordnung der Bukowiner
Diöcese unter den Metropoliten von Karlowitz, die Gesellschaftsclassen der Armenier,
Lippowaner und Juden, der Bau einer neuen Verbindungsstraße mit Siebenbürgen über
Pojana Stampi nach Borgo, endlich die Berufung des Bojaren Basilius Balschs als
Referenten in den Hofkriegsrath: dies alles ist in jenem Handschreiben in den Kreis
der Betrachtung gezogen.
Während seines fünftägigen Aufenthaltes im Buchenlande wurden dem Kaiser nicht
weniger als 297 Majestätsgesuche von Corporationen oder Privatpersonen überreicht,
die einerseits Zeugniß dafür ablegen, wie das Volk des jungen Kronlandes in der Person
des Herrschers die Quelle der Gnade und Gerechtigkeit erblickte, andererseits durch ihren
Inhalt uns einen tiefen Einblick in die socialen Verhältnisse und in die Stimmungen der
Gesellschaftsclassen jener Tage eröffnen.
Unverzüglich schritt der Hofkriegsrath zur Ausführung der in dem Handschreiben
vom 19. Juni ertheilten Befehle und ließ am 4. Juli 1783 die entsprechenden Weisungen
an das galizische Generalcommando und an Enzenberg gelangen.
Eifrig wurde nun an dem Reformwerke im Sinne des kaiserlichen Handschreibens
gearbeitet, aber dem Lande war das Glück nicht beschieden, die Vollendung der Arbeit,
wie sie geplant war, zu schauen. Sie wurde jählings durchbrochen durch die einschneidenden
Umgestaltungen, die das Jahr 1786 zum Schmerze des Landes brachte.
Es war ein merkwürdiger Zufall, daß wenige Tage nach der Abreise des Kaisers
ein langgehegter Herzenswunsch der griechisch-orientalischen Glaubensgenossen in der
Bukowina seine Erfüllung fand und die Gebeine des heiligen Joannes Nvvi,
dieses Nationalheiligen, am 30. Juni 1783 in dem griechisch-katholischen Basilianer-
Kloster zuZötkiew gehoben, feierlich nach Suczawa übertragen und der früheren
Begrübnißstätte zurückgegeben wurden, der sie fast ein Jahrhundert entfremdet geblieben
waren. Die Erfüllung dieses Lieblingswunsches hängt mit der Kaiserreise durchaus nicht
zusammen, aber das Volk hat den Schleier der Sage um das Ereigniß gewoben und die
Übertragung der Reliquien mit dem Aufenthalte des Kaisers in Suczawa in die engste
Verbindung gebracht. Die kaiserliche Entschließung darüber war bereits im Herbste 1781
erflossen, der Vollzug des Befehles ist aber erst nach langen Verhandlungen und nach
sieghafter Überwindung der Bedenken möglich geworden, welche in ermüdendem Streite
von Seite der Basilianer, des griechisch-katholischen Bischofs in Lemberg und der
galizischen Landesregierung erhoben worden waren.
Die Kaiserreise im Jahre 1786 brachte dem Lande eine überraschende Wendung.
Von Borgo-Prund kommend und die neue kühne Chaussee durch den Borgoer Paß
benützend, überschritt Kaiser Joseph am 24. Juli die siebenbürgisch-bukowinische Grenze,
weilte am 25. in Suczawa, am 26. in Czernowitz, und setzte seine Reise am 27. Juli nach
Lemberg fort. Am 6. August 1786 richtete er von dort aus jene zwei folgenschweren
Handschreiben an den Präsidenten des Hofkriegsrathes und den Obersten Hofkanzler,
welche das Schicksal der Bukowina für ein halbes Jahrhundert bestimmten. In diesen
Handschreiben verfügte der Kaiser die Vereinigung der Bukowina mit Galizien,
dem sie als ein Kreis angegliedert werden sollte. Es war dies eine Entscheidung, die auf
die dauernde Opposition aller maßgebenden Gesellschaftsclassen des Landes stoßen mußte,
die nicht aufhörten, eine autonome Stellung ihres Vaterlandes anzustreben, eine Entschei -
dung, die im schroffsten Gegensätze zu den klugen Rathschlägen des weitblickenden Grasen
Blümegen stand, auch im stärksten Widerspruch mit der früheren Entschließung des Kaisers
(20. Mai 1781), in dessen Jdeenkreise die consequente Durchführung dieses Gedankens
nicht gelegen war. Er habe beschlossen — sagt der Kaiser in den erwähnten Handschreiben
— „die Bukowina mit Galizien zu vereinigen und solche sowohl in pubiieo-xolilieis als
Oairioralibus und 1u8ti«üu1i1>us dem ?olitieo vollkommen zu übergeben".
Damit hatte die Militär-Administration, die zwölf Jahre hindurch segenbringend
im Lande gewaltet, ihr Ende erreicht. General Enzenberg erhielt eine neue Mission. „Ich
will" entschied der Kaiser „dem General Enzenberg, da er solche (die Administration) bisher
zu Meiner Zufriedenheit besorget hat, hievor eine Remuneration und respective einen
Übersiedlungs-Beytrag von 6000 Gulden ohne allen Abzug hiemit angedeyhen lassen, und
demselben die vacante Brigade der beyden Wallachischen Gränz-Regimenter in Sieben -
bürgen anvertrauen". Wenige Monate früher, ehe diese für das Land schicksalsschwere
Entscheidung getroffen wurde, hat Freiherr von Enzenberg einen Hauptbericht an den Hof -
kriegsrath (25. Februar 1786) gesendet, der in lebensvollen Zügen ein Bild von den
Zuständen des Landes entrollt und die großen Fortschritte schildert, die dasselbe unter
dem Walten der Militär-Administration zurückgelegt. Er weist zunächst auf die steigende
Bevölkerungsziffer hin, die sich seit der Occupation mehr als verdoppelte. In gleichem
Maße habe das Einkommen des Staates aus den Steuern und Abgaben sich gemehrt.
137
Mit großer Befriedigung blickt er auf das Aufblühen der Gewerbe und des Handels; er
macht alle Handwerkergruppen namhaft, die in den drei Städten Czernowitz, Suczawa und
Sereth und in manchen anderen ansehnlichen Ortschaften angesiedelt wurden. Mit Stolz
konnte Enzenberg auch auf die große Anzahl neuer öffentlicher Gebäude sowie auf die zwei
Heerstraßen Hinblicken, die nun das Land mit Siebenbürgen verbanden. Noch heute bildet
die kühne Chaussee durch die schönen und romantischen Gebirgsgegenden der Grenzgebiete
von Pojana Stampi über die Magura Kalului nach Borgo das Band, welches den Süden
der Bukowina mit Siebenbürgen verknüpft.
Mit noch größerer Befriedigung als auf das Verkehrswesen konnte Enzenberg
auf die Fortschritte hindeuten, die sich auf dem Gebiete des Kirchen- und Schulwesens
ergeben hatten. Er kann da in erster Linie die Errichtung des Consistoriums und die
Klösterreform nennen. Auf hohe Beachtung dürfen seine, wenn auch nur kurzen Bemerkungen
über die Entwicklung des Schulwesens Anspruch erheben. „Zwei deutsche Hauptschulen"
— schreibt er — „darin auch moldauisch gelehrt wird, und davon eine sich in Czernowitz,
die zweite aber in Suczawa befindet, sind errichtet und werden ohne Unterschied der
Nation stark besucht. In diesen werden Moldauer für die Nationalschulen unterrichtet,
deren auch bereits vier angelegt sind, und nach denen sich nach und nach die Trivialschnlen
bilden." Am Schlüsse seines Rechenschaftsberichtes zählt Enzenberg noch alle „Meliora -
tionen" auf, die in der Ausführung begriffen seien und deren baldigste Vollendung durch
das Interesse des Landes gebieterisch gefordert werde.
Das Bild, das Enzenberg hier entwarf, ist nicht nur ein Gemälde des Landes,
nicht nur ein glanzendes Zeugniß der unermüdlichen und erfolgreichen Thätigkeit der
beiden staatsklugen Männer, Splenyi und Enzenberg, es ist zugleich ein ragendes Denk -
mal, das alle Lichtseiten der Militärverwaltung von 1774 bis 1786 uns offenbart.
Vom Jahre 1786 bis 1848. — In den beiden Handschreiben Josef's U. vom
6. August 1786 war angeordnet, daß die Vereinigung der Bukowina mit Galizien und
die Errichtung des Kreisamtes bis zum 1. November desselben Jahres durchzuführen sei.
Die einer solchen fieberhaften Hast sich entgegenstemmenden Hindernisse machten es
nothwendig, die Frist bis zum 1. Februar 1787 zu erstrecken. Das kaiserliche Handschreiben
an den Hofkanzler Grafen Kolowrat vom 6. August 1786 vollzog bereits die Ernennung
des ersten Kreishauptmannes der Bukowina, nämlich des in der Bukowina
bisher als „Oberdirector" fungirenden Josef Beck, der aus den vier Directoren der
Bukowina die tauglichsten als Kreiscommissäre auszuwühlen und vorzuschlagen beauftragt
wurde. Als Sitz des Kreishauptmannes wurde Czernowitz bestimmt.
Durch das Patent vom 14. Mürz 1787 ist ein weiterer Schritt der Verschmelzung
beider Länder vollzogen worden, indem auch dem Adel der Bukowina eine mit dem
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galizischen ähnliche Gestalt gegeben, der Titel Bojar und Masil ausgehoben, der Adel
in den Herren- und Ritterstand getheilt wurde. In jenen reihte man die hervorragendsten
Bojaren und den Bukowiner Bischof, in diesen die übrigen Bojaren und Masilen ein;
beide Adelsclassen wurden mit den galizischen Landständen vereinigt.
Die Stimmung der tonangebenden Gesellschaftskreise des Landes stand in schroffem
Gegensätze zu all' diesen Verfügungen und unerwarteten Neuerungen. Nach dem Tode
Josef's II. (20. Februar 1790) empfanden daher auch die führenden Persönlichkeiten in
Wien die Nothwendigkeit, dieser Stimmung Rechnung zu tragen. Zeugniß dessen der
Vortrag, den der oberste Hofkanzler Graf Kvlowrat am 1. Juli 1790 dem Kaiser
Leopold II. erstattete. Darin wurde mit Nachdruck die Trennung der Bukowina von
Galizien und die Einführung einer autonomen Verwaltung dieses Landes empfohlen. „Im
Grunde", sagt der Kanzler, „ist im Wesentlichen wenig geschehen, um die Vereinigung
anders als dem Namen nach zu bewirken, sowie dann dieser so heterogene Theil mit deni
Ganzen auch wirklich nie Zusammenhängen wird. Sitten, Gebräuche, Religion, Sprache,
Alles ist verschieden. Alle bisher angeführten Betrachtungen wären hinreichend, um das
Einrathen, daß die Bukowina von Galizien wieder ganz abgesondert werde, zu begründen.
Sie erhalten aber ein neues Gewicht durch die im Werke stehende Einführung einer
ständischen Verfassung in Galizien „Worin immer", fügt der weitblickende Staats -
mann in prophetischem Tone hinzu, „der Wirkungskreis der Stünde bestehen wird,
kann er der Bukowina nur nachtheilig sein, weil die Bukowiner Stände niemals hieran
einen activen Antheil nehmen werden."
Die Entscheidung Leopold's II. enthielt aber keine rückhaltlose Zustimmung zum
Vorschläge seines Kanzlers. Am 7. Juli 1790 theilte der Kaiser demselben folgende Reso -
lution mit: „Meine Gesinnung gehet eigentlich dahin, daß die Bukowina nur insoweit von
Galizien getrennt werde, daß sie anfhöre, einen Theil des letzteren auszumachen und der
Bukowiner Adel nicht als Stände Galiziens betrachtet werde; ohne also für diesen kleinen
Strich Landes eine besondere kostspielige Administration auszustellen, wird selber in
Ansehung Galiziens quoaä ?oIitioa et luäieialia auf die nämliche Art wie Schlesien in
Ansehung Mährens zu behandeln sein, inzwischen aber ist die unmittelbare Besorgung der
Bukowina noch wie bisher ohne neue Einrichtung fortzuführen."
Auf Grund dieser kaiserlichen Entscheidung entwarf der Hofkanzler ein Patent, das
am 29. September 1790 die Sanktion des Monarchen erhielt und sofort kundgemacht
wurde. Dies Gesetz räumte dem Lande eine autonome Stellung ein, die viel weiter
als die kaiserliche Entschließung vom 7. Juli ging. In ihm offenbart sich klar das
Schwanken, das im Schoße der Centralregierung über die Stellung herrschte, welche die
Bukowina im Verbände der Monarchie einzunehmen habe. Das kaiserliche Patent erklärte,
139
„daß jene, blos in der Absicht, die öffentliche Verwaltung zu vereinfachen, im Jahre 1786
erfolgte Vereinigung ferner nicht bestehen könne, indem die Erfahrung gezeigt hat, daß
die Verschiedenheit der Sprache, Sitten und Gebräuche der Einwohner eine vollkommene
Vereinigung nicht erwarten läßt." Es sei daher beschlossen worden, verkündet das Patent
weiter, „daß dieselbe (die Bukowina) künftig nicht mehr als ein Theil des Königreiches
Galizien anzusehen sei, die Stände derselben nicht mehr Mitstände der galizischen aus -
machen sollen, in Ansehung der Staats- und Rechtsverwaltung aber indessen vorsehungs -
weise derjenige Zusammenhang mit Galizien zu verbleiben habe, welcher der Bukowina
Sicherheit und Aufnahme verspricht."
So sollte also im Sinne dieses kaiserlichen Patentes die Bukowina vom
1. November 1790 neuerdings als eine für sich bestehende Provinz nur durch die
gemeinschaftliche Landesverwaltung mit Galizien im Zusammenhangs stehen. Nach dem
Wortlaute des Gesetzes hatte also das Land scheinbar eine autonome Stellung errungen.
Das war aber eine bittere Täuschung, und die einer Vereinigung beider Länder wider -
strebenden Patrioten mußten die schmerzliche Erfahrung machen, daß die Ereignisse stärker
sind, als alle Vorsicht der Menschen. Im Hinblick auf diese Täuschung konnte später die
Landes-Deputation in der Begründung des im Jahre 1848 an den Kaiser gerichteten
Gesuches mit Recht sagen: „Es blieb ungeachtet jener höchsten Orts ausgesprochenen
Erfahrung und anerkannt guten Absicht die Bukowina, vorzüglich in politischer Beziehung
wie ein Kreis Galiziens, und ihre Selbstständigkeit wurde außer bei der Steuerausschreibung
kaum irgend bemerkbar."
Leopold's II. Patent vom 29. September 1790 schien vollends vergessen, als mit dem
kaiserlichen Gesetze vom 13. April 1817 für das Königreich Galizien eine neue
ständische Verfassung in's Leben gerufen wurde und durch den §. 3 dieses Gesetzes die
Stände der Bukowina als mit den galizischen vereinigt betrachtet wurden.
So waren die Hoffnungen der Patriotenpartei, einen eigenen Landtag für die
Bukowina zu erringen, zu Nichte gemacht, und die Abneigung gegen den vereinigten
Landtag in Lemberg war so stark, daß das erwähnte Majestütsgesuch wohl mit Recht
klagen durfte, die Verschiedenheit aller Verhältnisse der beiden Länder, Galizien und der
Bukowina, sei der Hauptgrund gewesen, daß die Bukowina an den bisherigen galizischen
Landtagen niemals theilgenommen habe.
Nur auf dem Gebiete der Justizverwaltung wurde den autonomistischen Bestrebungen
insoferne Rechnung getragen, daß mit dem Hofdecrete vom 23. Februar 1804 für die
Bukowina ein besonderes Landrecht und Kriminalgericht in Czernowitz errichtet,
für die fiscalämtlichen Geschäfte ein Fiscaladjunct nach Czernowitz gesetzt wurde und die
Bukowiner Landtafel ihre eigene Führung erhielt.
140
Darüber kann kein Zweifel bestehen, daß die tonangebenden Gesellschaftskreise nur
mißmuthig die Politische und wirthschaftliche Abhängigkeit ihres engeren Vaterlandes von
Galizien ertrugen. Gleichwohl wurden keine öffentlichen Kundgebungen des Strebens nach
Autonomie und Selbstständigkeit des Landes bemerkbar, für die ja unter dem autokratischen
Regierungssystcme jener Zeit bis zum Jahre 1848 kein Raum gegeben war. Das politische
Leben der Bukowina war überhaupt von 1817 bis 1848 ein träg-stilles, doch darf nicht
verkannt werden, daß auf dem Gebiete des culturellen und materiellen Lebens einige
beachtenswerthe Fortschritte zu verzeichnen waren.
Im Jahre 1817 ergab sich für die Bukowina die ersehnte Gelegenheit, dem
Herrscherpaare ihre Huldigung darzubringen. Am 1. August dieses Jahres langten Kaiser
Franz und seine Gemalin Karoline in Czernowitz an, verweilten daselbst vier Tage,
besuchten die Kirchen, die öffentlichen Gebäude und die Schulen, machten Ausflüge nach
Bojan und Zaleszczyki und empfingen überall Beweise der Verehrung, die sich in
herzlichen Ovationen kundgab. Am 5. August verließen die beiden Majestäten die Stadt
und setzten die Rundreise durch den Süden des Landes nach Siebenbürgen fort.
Sechs Jahre später, im Jahre 1823, wurde der zweite Sohn des Kaisers, Erz -
herzog Franz Karl, vom Lande jubelnd begrüßt, als derselbe auf seiner Jnspections-
reise durch die nordöstlichen Länder der Monarchie den Boden der Bukowina betrat.
Der Erzherzog langte am 2. August 1823 in Czernowitz an, besichtigte am 3. August
die Contumazanstalt in Bojan, besuchte am 4. August die Kirchen und öffentlichen
Lehr- und Wohlfahrtsanstalten und reiste am 5. nach Jakvbeny und Kirlibaba, um
die Werke der Montanindustrie in beiden Ortschaften zu inspiciren. Als Führer bei
Besichtigung der Berg- und Hüttenwerke gab ihm der Steiermärker Karl Manz das
Geleite, der Mann, der sich so große Verdienste um das Montanwesen in der Bukowina
erworben hat.
Im Herbste desselben Jahres (1823) lenkte das stille, weltvergessene Czernowitz die
Angen des Morgen- und Abendlandes auf sich. Ein Fürstencongreß von geschichtlicher
Bedeutung, die Zusammenkunft der Kaiser von Österreich und Rußland in
Czernowitz weckte diese Aufmerksamkeit. Am 4. October 1823 traf Kaiser Franz I. hier
ein, am 6. October, um 7 Uhr Abends, hielt Alexander I. unter dem Donner der
Kanonen seinen Einzug in die Stadt, die den festlichsten Empfang bereitet hatte. Auch die
höchsten Würdenträger der Nachbarländer hatten sich hier eingefunden: Graf Taaffe,
Statthalter von Galizien, und die beiden commandirenden Generale von Galizien und
Siebenbürgen. Der Staatskanzler Fürst Metternich, für den in Czernowitz die Wohnung
schon bereit stand, mußte im letzten Augenblicke seine Reise nach Czernowitz wegen
Unwohlseins aufgeben und blieb in Lemberg zurück, wohin sich infolge dessen der russische
Minister Nesselrode begab, um dort die Conferenzen mit dem österreichischen Kanzler zu
pflegen, in Czernowitz vertrat denselben Graf Mercy.
Im Lande selbst hatte man keine klare Vorstellung von der Aufgabe des Kongresses.
Der gleichzeitige Chronist dieser Stadt, der uns ein sehr anschauliches Gemälde von dem
Leben und Treiben jener Tage entworfen hat, ergeht sich hierüber in schwankenden Ver -
muthungen, heute aber kann über sie kein Zweifel mehr bestehen. Die Haltung der beiden
Kaisermächte gegenüber der Erhebung der Griechen und ihre Stellung zur Pforte waren
die großen Fragen, die den Gegenstand der Verhandlungen in Czernowitz bildeten.
Welche Bedeutung diesem Congresse damals beigemessen wurde, erhellt aus dem Briefe
Gentz' an Adam Müller, wo gesagt ist: „Unermeßliche Interessen stehen ans dem Spiele, es
gilt nicht bloß die Existenz oder Nichtexistenz des türkischen Reiches, sondern den Bestand
oder die Auflösung des ganzen politischen Systems." Findet auch diese übertreibende
Äußerung in den Thatsachen nicht ihre Begründung, so wird doch der Behauptung eines
Geschichtsschreibers unserer Zeit die Berechtigung nicht abgesprochen werden können,
wenn er sagt: „Zu Czernowitz ward die Einmischung der Mächte in die griechische Sache
angebahnt." Sieben Tage währte der Aufenthalt und die Berathung der beiden Kaiser in
Czernowitz. Erst am 13. October verließen sie die Stadt.
Wenn auch bei der Bevölkerung des Landes in dieser Zeitperiode jede Regung des
politischenLebens schwieg, weildasSystemderStaatsbevormundung dieselbe im Schlummer
hielt, so darf doch nicht verkannt werden, daß sich in dieser Zeit des Stilllebens einige
trostverheißende Anfänge eines höheren Culturlebens auf der Bildfläche zeigten und
manches der Aufzeichnung Würdige geschaffen wurde. Leider machte sich auf dem Gebiete
des Volksschulwesens in den ersten Jahren nach der Vereinigung des Landes mit Galizien
ein bedauerlicher Rückgang bemerkbar. Das Land zählte im Jahre 1817 nur 20 Volks -
schulen (gegenüber 30 im Jahre 1787). Doch trat in den nächsten Decennien eine
Besserung dieser traurigen Zustände ein. Im Jahre 1830 zählte man 42 Volksschulen
und 23 Wiederholnngsschulen. Im Jahre 1840 war die Zahl der Volksschulen ans 46,
die der Wiederholungsschulen auf 40 gestiegen. In beiden Arten von Schulen zusammen
betrug die Zahl der schulbesuchenden Kinder im Jahre 1830, 4114, im Jahre 1840
bereits 6833. Es war dies noch immer ein Mißverhültniß ärgster Art gegenüber einer
Bevölkerungsziffer von 334.080 Seelen, die das Land im Jahre 1840 zählte, und
gegenüber der Zahl der schulpflichtigen Kinder, die sich nach einer freilich unsicheren
Berechnung aus 15.142 belaufen haben soll, in Wirklichkeit aber sich viel höher gestellt
haben wird. Diesen ungünstigen Verhältnissen hat die Verordnung vom 18. Mai 1844
nur theilweise gesteuert, aber doch eine Hebung des Vvtksschulwesens zur Folge gehabt.
Durch sie wurden die griechisch-orientalischen Volksschulen unter die Aufsicht und Ober-
142
1»
leitung des griechisch-orientalischen Consistoriums gestellt und der griechisch-orientalische
Religionsfond wurde in höherem Maße, als es durch die Allerhöchste Entschließung vom
18. December 1820 geschehen war, zur Erhaltung der Volksschulen herangezogen. Und
dennoch zählte das Land im Jahre 1850 nur 50 Volksschulen!
Gegenüber dem düsteren Bilde, das uns das Volksschulwesen bis zum Jahre 1850
bietet, erscheint die Entwicklung der theologischen Cultur in der griechisch-orien -
talischen Kirche als wohlthuende Lichtseite. Für diese hat der geistliche Regulirungs -
plan vom 29. April 1786, an dessen Zustandekommen der edelgeartete Bischof Dositheu,
der Administrator des Landes und die Centralregierung gleich rühmlichen Antheil haben,
eine feste und glückliche Grundlage gebildet. Darin war auch für die Ausbildung des
Clerus Fürsorge getroffen und die Errichtung einer Clericalschule angeordnet. Treffend
ist im Eingänge des Regulirungsplanes gesagt: „Die Fähigkeit der Clerisei, ihre
Glaubensgenossen in den Pflichten der Religion zu unterrichten, setzt ihre selbsteigene
Bildung voraus, da nichts der Religion mehr Glanz verschafft und ihren Lehren einen
größeren Nachdruck gibt, als wenn der äußere Wandel derjenigen, welche an dem Altäre
stehen, von innerer Überzeugung einen Beweis ablegt."
Nach längeren Verhandlungen wurde diese Clericalschule im Sommer 1786 in
Suczawa eröffnet. Die einzige Lehrkanzel, die man zunächst systemisirte, wurde dem
Klostervicar aus der Bacser Diöcese, Daniel Wlachowicz, anvertraut, den der Metropolit
von Karlowitz entsendet hatte, weil im Lande selbst keine geeignete Lehrkraft hiefür
gesunden werden konnte. Es war anfänglich ungemein schwer, junge Männer für diese
neue Schule zu gewinnen. Im ersten Jahre waren nur sieben Candidaten eingeschrieben,
trotzdem sich der Bischof mit allem Eifer für eine bessere Frequenz einsetzte. Seiner That-
kraft und unermüdlichen Sorge war es zu danken, daß die Frequenz allmälig stieg und
bereits im Jahre 1788 die Zahl der jungen Cleriker sich auf 33 belief. Daraus ergab sich
die erfreuliche Nothwendigkeit, neue Lehrkräfte an die Clericalschule heranzuziehen. Noch im
Jahre 1788 erscheinen an der Seite Wlachowicz' zwei Hilfslehrer und die ursprünglich
nur einclassige Priesterschule wurde im Herbste des genannten Jahres in eine dreiclassige
umgestaltet.
Als nach dem Tode Dositheu's (2. Februar 1789) Daniel Wlachowicz, der erste
Lehrer der Priesterschule, zum Bischof ernannt wurde, verlegte er die Schule nach Czerno-
witz und wies ihr eine Heimstätte in der bischöflichen Residenz an. Die Zahl der Schüler
in der jungen Pflanzstätte war in stetem Wachsen begriffen, im Jahre 1804 zählte sie
bereits 141 Zöglinge. Sie war ja die einzige höhere Lehranstalt im Lande und wurde
nicht nur von Candidaten des Priesterstandes, sondern auch von anderen lernbegierigen
Jünglingen besucht.
143
1»
.--s
Im Sominer 1818 wurde die Clericalschule nach einem Bestände von 32 Jahren
unvermuthet geschlossen, weil die Studienhofcommission von der gewiß wohlwollenden
Tendenz erfüllt war, eine höhere theologische Lehranstalt an ihre Stelle zu setzen.
Das Bedauerliche aber war, daß man das Alte aufhob, ohne es rasch durch eine neue
Schöpfung zu ersetzen. Die „Einführung des ordentlichen theologischen Studiums"
verzögerte sich in dieser Zeit langsamer und träger Entwicklung durch mehrere Jahre. Erst
durch das Handschreiben des Kaisers Franz I. vom 16. Juni 1821 kam die Sache in
rascheren Fluß und wurde der Bischof aufgefordert, die entsprechenden Anträge in Bezug auf
die „Einführung" einer theologischen Studienanstalt und Gründung eines Clerical-Seminars
der Regierung vorzulegen. Dem von Alter und Krankheit gebeugten Bischof Wlachowicz
war es nicht gegönnt, diese Aufgabe zu lösen; er starb am 20. August 1822. Ein gütiges
Geschick hatte die Sorge für die Erfüllung der Wünsche der Patrioten in die Hände
des ungemein rührigen Nachfolgers Jsaia Baloseskul gelegt. Dieser Kirchenfürst hat
die Pläne und Entwürfe für die Gründung einer theologischen Lehranstalt und eines
Clericalseminars ausgearbeitet, und nach langen Verhandlungen und sieghafter Über -
windung vieler Schwierigkeiten traten diese zu einer segensreichen Wirksamkeit berufenen
Institute in den Jahren 1827 und 1828 endlich in's Leben. Daß von dem ersten Ent -
schlüsse bis zur Gründung dieser Institute ein Zeitraum von fast sechs Jahren verstrich,
war gewissen Unterströmungen zuzuschreiben, deren Quelle unschwer zu errathen ist. Auf
diese Unterströmungen ist im Berichte des Bischofs Jsaia vom 8. Juni 1824 deutlich
hingewiesen, indem er sagt: „Mehreren Allerhöchsten Befehlen, vielfältigen Gubernial-
Anordnnngen in Bezug auf Entwürfe zu einem bischöflichen Seminario für die Bnkowiner
Diöcese der griechisch-nichtunirten Kirche wurde keine Folge geleistet. Mögen diejenigen,
welche die Einführung dieser in religiöser sowohl als bürgerlicher Hinsicht heilbringenden
Bildungsanstalt, sei es aus Unwissenheit, Mangel an Einsicht oder einer anderen unedlen,
vielleicht gar unredlichen Absicht znrückgesetzt haben, es bei dem barmherzigen zwar, aber
zugleich strengen Richter einst verantworten."
Endlich am 4. October 1827, am Namenstage des Kaisers Franz I. fand die
feierliche Eröffnung der neuen theologischen Lehranstalt in Czernowitz statt,
und vier Monate später, am 12. Februar 1828, am Geburtstage des Kaisers, erfolgte
in feierlichster Weise die Ankündigung der Eröffnung des Clericalseminars. Diese
Gründungen bilden einen Wendepunkt, sie bezeichnen die Anfänge eines höheren Geistes -
lebens der griechisch-orientalischen Glaubensgenossen. Nach 48jähriger Wirksamkeit ist die
im Jahre 1827 in's Leben gerufene Lehranstalt bei der Gründung der Universität als
lebensvolles Glied derselben — als theologische Facultät — zu neuer Blüte berufen
worden.
144
Neben dieser theologischen Lehranstalt erhebt die Gründung des ersten
Gymnasiums in der Bukowina Anspruch auf hohe Beachtung. Es sind dies in dieser
sterilen Zeit die einzigen Lichtpunkte auf dem Gebiete des Unterrichtswesens. Die erst?
Anregung zur Gründung des Gymnasiums gab die kaiserliche Entschließung vom
5. August 1805, welche Kaiser Franz I. an den Oberstkanzler der böhmisch-österreichischen
Hofkanzlei gelangen ließ. In derselben sprach das Staatsoberhaupt aus, daß es nicht
gesonnen sei, „den Unterricht der Söhne des Bürgerstandes und aller derjenigen, die etwas
lernen wollen, in der Bukowina lediglich auf Lesen, Schreiben und Rechnen zu beschränken".
Bei dem schleppenden Gange aller Amtsgeschäfte jener Zeit kann es nicht befremden, daß drei
Jahre bis zur Erfüllung der kaiserlichen Anordnung verflossen. Erst am 16. December 1808
erfolgte die Eröffnung des Gymnasiums in Czernowitz niit der ersten Grammatikalclasse,
die 24 Schüler zählte. Im folgenden Jahre erließ die Centrakregierung die Anordnung,
daß das Gymnasium aus fünf Elasten zu bestehen habe, denen sich im Sinne der damaligen
Studienordnung die zwei philosophischen Jahrgänge anschließen sollten, welche die
Mittelstufe zwischen Gymnasium und Hochschule zu bilden berufen waren. Doch erst im
Schuljahre 1812/13 hatte das Gymnasium in Czernowitz seine Vollständigkeit erreicht,
das heißt, es besaß die fünf Elasten. Das Jahr 1814 ist für die Entwicklung dieser Mittel -
schule denkwürdig geworden durch die Errichtung der philosophischen Lehranstalt und den
Beginn eines eigenen Gymnasialbaues, der bei den vielen Hemmnissen und Wider -
wärtigkeiten, die sich der Bauausführung entgegenstemmten, erst nach zehn Jahren <4824)
seine Vollendung erhielt. Die Frequenz war in steter erfreulicher Steigerung begriffen.
Die Anstalt zählte im Jahre 1816 nur 86, dagegen schon im Jahre 1818 145 und im
Jahre 1824 360 Schüler. Als nach den Stürmen des Jahres 1848 die Reform auf
dem Gebiete des Unterrichtswesens begann und die neue Studienordnung in's Leben trat,
hob man die beiden philosophischen Jahrgänge auf und schuf das achtclassige Gymnasium.
Auch auf dem Gebiete der materiellen Cultur blieben die Erfolge weit hinter den
Erwartungen zurück, die man nach den verheißungsvollen Anfängen in der Zeit der
Militärverwaltung hegen durfte. Doch darf nicht verkannt werden, daß wenigstens in den
Städten die Bautätigkeit eine Förderung erfahren hat und damit die Hebung einzelner
Gewerbe und die Steigerung der städtischen Grundwerthe verbunden war; insbesondere
in der Landeshauptstadt ist dies der Fall gewesen. Um die Bürger zum Häuserban aus
hartem Material zu veranlassen, gewährte ein Regierungserlaß vom 7. März 1788 den
Erbauern steinerner Häuser eine dreißigjährige Befreiung von allen landesfürstlichen
Steuern und zehnjährige Befreiung vom städtischen Grundzinse. Dadurch wurde wirklich
die Baulust geweckt, und der gewünschte Zweck, die Holzbauten zu verdrängen und
steinerne Häuser an ihre Stelle zu setzen, erreicht. Eine Reihe öffentlicher Gebäude in der
145
Endoxms Freiherr von Hormuzaki (Hurmuznki).
kirche„zurheiligenParaskewa" (begonnenimJahre1844, eingeweiht am 17.Febrnar1862);
und vvn Prvfanbauten: das stattliche Nathhans mit seinem weithin sichtbaren Thurme
(begonnen 1844, vollendet im Jahre 1847), das vom regen Vereinsgeiste der Schützengilde
in's Leben gerufene Schützenhaus (erbaut im Jahre 1882), das Bürgerspital (durch
freiwillige Beiträge der Bürger im Jahre 1832 erbaut), das heute noch bestehende
Militärspital (begonnen im Jahre 1846, vollendet im Jahre 1840). Schließlich soll nicht
unerwähnt bleiben, daß im Jahre 1830 die Fürsorge der damaligen Stadtverwaltung
die große und schöne Parkanlage des „Volksgarten" zu schaffen begann.
Landeshauptstadt, die freilich nur zum geringsten Theile höheren Ansprüchen genügten,
dankt dieser Zeit ihre Entstehung, so der Bau der römisch-katholischen Pfarrkirche „zum
heiligen Kreuz" (begonnen im Jahre 1787, eingeweiht am 29. Juli 1814); die griechisch-
katholische St. Peters und Paulskirche (begonnen im Jahre 1825, vollendet im Jahre 1830) ;
der mächtige Kuppelbau der griechisch-orientalischen Kathedralkirche „zum heiligen Geist"
(begonnen im Jahre 1844, eingeweiht am 17. Juli 1864); die griechisch-orientalische Pfarr-
146
Von 1848 bis zur Gegenwart. — Die Märztage des Jahres 1848 riefen auch
in diesem Lande eine mächtige Bewegung der Geister hervor.
Abgesehen von einigen tumultuarischen Semen in der Landeshauptstadt, die ihren
Ursprung in dem jugendlichen Übermuthe gegen mißliebige Amtspersonen zu suchen haben
und jeder Politischen Bedeutung entbehrten, ist eine ernste Störung der öffentlichen Ruhe
und Ordnung im Lande nirgends vorgekommen. Dagegen kam ein Gefühl, das in der Liebe
zur engeren Heimat seine Quelle hatte, mächtig zur Geltung, ein Gefühl, das lange
zurückgedrängt und nur durch die Ungunst der Zeiten an seiner Bethätigung behindert
worden war, die tiefgewurzelte Abneigung gegen die politische Abhängigkeit von Galizien.
An der Spitze dieser Bewegung stand Eudoxius von Hurmuzaki, ein Mann,
der den vollen Beruf zur Führung der Patriotenpartei besaß. Hurmuzaki (geboren 1812,
gestorben 1874) entstammte einem alten moldauischen Bojarengeschlechte und hatte seine
Geburtsstätte im Herrenhause von Czernawka bei Czernowitz. Trefflich erzogen, durch
den sorgfältigsten Unterricht im Elternhause vorbereitet, bezog er 1822 das Gymnasium
in Czernowitz, nach dessen Absolvirung er sich an der Hochschule in Wien philosophischen
und juridischen Studien widmete. In regem wissenschaftlichem Eifer für historische
Forschungen und im Umgänge mit gleichgesinnten jungen Männern hatte dort sein Dasein
die entscheidende Richtung genommen. Beide Arten derselben hatten die gleiche Quelle in
der Liebe zu seinem Volke und seiner Heimat. Seine wissenschaftliche Thätigkeit war von
da an der Erforschung der Vergangenheit seines Volkes und Landes zugewandt und das
starke Heimatsgefühl drängte ihn, seinem Lande der politische Führer zu werden.
Die Mürzereignisse des Jahres 1848 lockten ihn wieder nach Wien, wo er regen
Antheil am öffentlichen Leben nahm und sich auch für kurze Zeit in die dortige National -
garde einreihen ließ. Aber noch im Sommer dieses Jahres eilte er, seiner inneren
Stimme folgend, nach der Heimat, um dort den vaterländischen Interessen zu dienen.
Und sogleich — den Stimmungen der Patriotenpartei entsprechend — schrieb er als Ziel
seines Politischen Strebens auf seine Fahne: Unabhängigkeit des Landes von Galizien,
Autonomie und selbständige Stellung der Bukowina als eines Kronlandes im Verbände
der habsburgischen Mvnarchie. Für diese Idee wirkte er mit gleicher Wärme, mit gleicher
Unerschrockenheit sein ganzes Leben hindurch. Mit der heißen Liebe zum engeren Vaterlande
hat er aber stets die aufrichtigste Hingebung an das Reich und dessen Interessen, sowie
unerschütterliche Treue zum Herrscherhause harmonisch verbunden. Er war seines rumänischen
Volkes Stolz und Zierde, aber er war mehr, rückhaltslos ist er allenthalben als einer der
edelsten Söhne seines Vaterlandes anerkannt worden.
Es ist kein Zweifel, daß E. Hurmuzaki der Verfasser jener bedeutungsvollen Petition
war, die, mit zahlreichen Unterschriften der Patrioten versehen, im Juni k848 an den
147
Kaiser gerichtet und am 3. August vom Ministerium an die Reichsversammlung abgetreten
wurde. Die reiche, der Petition augeschlossene Begründung bezeugt eine so umfassende
historische Kenntniß, wie sie damals im Lande wohl nur Hurmuzaki eigen war. Alles,
was seit langer Zeit den Patrioten auf der Seele brannte, ist in dieser Petition
zu klarem Ausdrucke gelangt. Den Kern derselben, die im Ganzen zwölf Punkte umfaßt,
bilden die drei eindringlichen, an die Spitze gestellten Bitten um „Wahrung der
Nationalität", „Bewilligung eines eigenen Provinzial-Landtages in Czernvwitz", und
„eigene Provinzialverwaltung". An diese drei Hauptpunkte schlossen sich die folgenden
neun Petitionspunkte. Die Abgeordneten bitten: um Hebung des Credits durch Errichtung
einer Creditanstalt sowie um Sicherung des Besitzes durch Regulirung der Landtafel
und Einführung von Grundbüchern auf dem Lande, ferner um Regelung der bäuerlichen
Verhältnisse, um Gleichstellung aller Religionsbekenntnisse, um zeitgemäße Änderung
der Pestpolizei-Ordnnng vom Jahre 1836, um Reform der zollamtlichen Controle,
um Herabsetzung der die Viehzucht hemmenden Salzpreise, um Wahl des griechisch -
orientalischen Bischofs durch eine Nationalsynode, um Regulirung des griechisch -
orientalischen Kirchenwesens, endlich um Verwaltung des Religionsfondes durch ein
Comite unter Controle des Provinziallandtages.
Diese Petition wurde bald nach der Thronbesteigung Seiner Majestät des Kaisers
Franz Joseph I. wiederholt. Zu Anfang des Jahres 1849 zog eine aus allen
Stünden des Landes gewählte Deputation zur Huldigung nach Olmütz. Von da begaben
sich die Abgeordneten nach Kleinster, um der Reichsversammlung ebenfalls eine
Bittschrift zu überreichen. Dieselbe ist datirt: „Kleinster, den 8. Februar 1849" und
unterzeichnet vom Bischof Eugen Hakman, von drei Professoren der theologischen Lehr -
anstalt, von sechs adeligen Großgrundbesitzern und zwei Reichstagsabgeordneten der
Bukowina, vom Gymnasial-Präfeeten Anton Kral aus Czernvwitz und von Michael
Bvdnar aus Radautz.
Dein heißen Bemühen der Patrioten gelang es, den Sieg an ihre Fahne zu fesseln.
Durch die octroirte Reichsverfassung vom 4. März 1849 erfolgte die Erhebung der
Bukowina zu einem autonomen Kronlande mit dem Titel eines Herzogthums.
Den Stimmungen, welche damals in allen tonangebenden Gesellschaftskreisen dieses
Ereigniß begleiteten, hat das Organ der Patriotenpartei: die „Bucovina" (in deutscher
und rumänischer Sprache) Ausdruck gegeben. „Wir begrüßen," wird in dein Leitartikel vom
16. März 1849 verkündet, „die selbständige Constituirung der Bukowina als das größte,
folgenreichste und glücklichste Ereigniß in der Geschichte unseres Landes unter der öster -
reichischen Herrschaft. Wir fühlen, daß wir am Beginne einer neuen ruhmreichen Epoche
unseres geliebten Heimatlandes stehen."
10*
148
Wenige Tage darauf (am 23. März 1849) erließ Eduard Bach, der Bruder des
Ministers, der damals als „k. k. Gubernialrath und Kreishauptmann" in Czernowitz
fungirte, eine Kundmachung, die zur freudigen Mittheilung brachte, „daß das Kreisamt
in Czernowitz bis zur definitiven Regelung der Administrativ-Behörden die Landes -
behörde zu bilden, als solche die politischen Geschäfte zu führen und mit dem
Ministerium unmittelbar zu correspondiren habe". Am 29. September 1850 erfolgte
die Verleihung einer eigenen Landesverfassung und Landtagswahl-Ordnung an das
neue Kronland. Der Systemwechsel, der im December 1851 eintrat, entzog zwar dem
Lande diese Verfassung, aber auf die Selbständigkeit der Bukowina und ihre Stellung
als Kronland unter dem Titel eines Herzogthums übte dieser Wandel der Dinge
keinen Einfluß.
Im Jahre 1853 erfolgte die förmliche Lösung des Verwaltungsbandes mit Galizien.
Das Land besaß nun eine von Galizien völlig unabhängige Landesregierung in
Czernowitz. Als erster Landespräsident der Bukowina erscheint Franz Freiherr
von Schmück (vom 6. März 1853 bis 27. November 1857), dem dann Karl Graf
Rothkirch-Panthen folgte (vom 18. Februar 1858 bis 1. September 1860).
Wohl verfügte eine Allerhöchste Entschließung vom 22. April 1860 neuerdings die admini -
strative Unterordnung der Bukowina unter Galizien, das ist eine Rückversetzung in den
früheren Zustand, welche zu einer Petition an Seine Majestät und zu einer Adresse
an den Staatsminister von Schmerling den Anlaß gab. Doch die Februarverfassung
des Jahres 1861 zerstreute auch diese Sorgen und brachte dem Lande die Erfüllung
seiner Wünsche.
Nachdem kurze Zeit (vom 1. September 1860 bis 1. März 1861) Hofrath Jakob
Ritter von Mikuli als Kreisvorsteher seines Amtes gewaltet hatte, erscheintim
Frühling des Jahres 1861 wieder ein Landespräsident an der Spitze einer eigenen,
der Centralregierung unmittelbar untergeordneten Landesregierung. Zu dieser Würde
wurde Wenzel Ritter von Martina berufen (26. März 1861), welcher die von nun
an ununterbrochene Reihe der Statthalter dieses Kronlandes eröffnet.
Man kann sich die gehobene Stimmung lebhaft vergegenwärtigen, in der die Abge -
ordneten der Bukowina am 6. April 1861 zur ersten Sitzung des ersten Bukowiner
Landtages sich versammelten, der in feierlichster Weise unter dem Vorsitze des ersten
Landeshauptmannes, des Bischofs Eugen Hakman eröffnet wurde. Die Stimmungen,
die nicht nur die Abgeordneten, sondern das ganze Land tief bewegten, erhielten
beredten Ausdruck, als in der zweiten Sitzung (am 10. April) der Antrag „freudig zum
einstimmigen Beschlüsse erhoben wurde", Seiner Majestät die Gefühle des Dankes für
die mit der Allerhöchsten Entschließung vom 26. Februar 1861 der Bukowina gewährten
150
Rechte und für die Reactivirung einer selbständigen Landesregierung in einer Adresse
auszusprechen.
Gleich der erste, im Jahre 1861 eingesetzte Landes-Ansschuß richtete an die Krone
die Bitte, dem Lande ein, seinem staatsrechtlichen Range entsprechendes Landeswappen
zu verleihen. Dasselbe sollte das äußere, weithin leuchtende Symbol der selbständigen
Stellung und der Autonomie des Vaterlandes bilden. Ein Jahr später begrüßte das
Herzogthum mit patriotischer Freude die ersehnte Erfüllung der Bitte. Am 9. December
1862 erschien das kaiserliche Diplom über die Verleihung des Landeswappens. Im
Eingänge der Urkunde sagt der Kaiser, er habe mit Vergnügen vernommen, daß der
Landtag des getreuen Herzogthums Bukowina die schon von der Vertranenscommission
im Jahre 1849 vorgebrachte Bitte um Verleihung eines eigenen Landes- Wappens
erneuert habe. Nach einem Rückblicke auf die politischen Gestaltungen in der früheren
Zeit dieses Landes sagt Seine Majestät: „Mit dem Staatsgrundgesetze vom 26. Februar
1861 haben Wir diese Wiederherstellung der administrativen Selbstständigkeit Unseres
getreuen Herzogthums Bukowina, wodurch es eine Landesvertretnng erlangte und am
Reichsrathe Theil zu nehmen berufen ward, garantirt und mit Unserer kaiserlichen
Entschließung vom 25. August 1861 Uns bewogen gefunden, ihm ein eigenes Landes -
wappen zu verleihen." Hierauf folgt die Beschreibung des „herzoglichen Wappens" mit
folgenden Worten: „In einem von Blau und Roth längs getheilten Schilde ein natürlicher
Auerochsenkopf vorwärts gestellt und von drei goldenen Sternen im aufrechten Dreieck
begleitet. Den Schild umgibt ein rother, mit goldenen Fransen eingefaßter, mit
Hermelinen gefütterter und über den Schildesecken mit goldenen Quasten aufgeschürzter
Mantel, welchem ein goldener, mit Edelsteinen geschmückter, zur Halste roth ausgefüllter
Herzogshut aufliegt."
Hier ist nicht Raum, die Segnungen der errungenen Autonomie und die umfassende
Thätigkeit des Landtages seit seinem 36jührigen Bestände im Detail zu schildern. Die
dankbare Anerkennung der Völker dieses Kronlandes wird immer verknüpft bleiben mit
der Erinnerung an die reiche Arbeit seiner Vertreter auf dem Gebiete des Unterrichtswesens,
das ist mit den zahlreichen Gesetzes zum Zwecke der Ausgestaltung des Reichsvolksschul -
gesetzes, mit der Creirung von Stipendien für die hilfsbedürftige studirende Jugend, mit
der Schaffung von Wohlfahrtseinrichtungen, mit der Förderung der Communications-
mittel und mit der Pflege des Vereinswesens durch zahllose Unterstützungen. Wir weisen
hier zunächst auf den Bau des großen, den modernen Anforderungen entsprechenden
Landesspitals hin. Der Initiative des Landtages sowie der kräftigen Unterstützung
durch die Landesregierung und durch die um das Wohl des Landes besorgten Reichsraths-
Abgeordneten der Bukowina war es zu danken, daß Seine Majestät im Jahre 1879
151
einen Theil aus den Einkünften der Wohlthütigkeits-Staatslotterie (80.000 Gulden)
dem Zwecke des zu erbauenden allgemeinen, mit einer Irrenanstalt verbundenen Kranken -
hauses in Czernowitz hnldvollst widmete, so daß der umfassende Bau eines Krankenhauses
(im Jahre 1886), mit Benützung aller Erfahrungen, welche die moderne medicinisch-
chirnrgische Wissenschaft bietet, zur Ausführung gelangte. Gleiche Verdienste darf der
Landtag um die Errichtung der „landwirthschaftlichen Lehranstalt" in Czernowitz, sowie
um die Ausdehnung des Localbahn-Netzes in Anspruch nehmen.
Die patriotischen Empfindungen der Völkergruppen dieses Landes fanden im
Landtage stets einen treuen Dolmetsch. Dies war insbesondere der Fall, als das Kronland
sich rüstete zur Feier der hundertjährigen Vereinigung der Bukowina mit
Österreich (1875).
In der Landtagssitzung vom 12. Mai 1875 ist nach dem Anträge des Landes -
hauptmann-Stellvertreters v. Konstantinowicz-Grecul einstimmig und unter lebhaftem
Beifalle der Beschluß gefaßt worden: „Die hundertjährige Vereinigung des Herzogthnms
Bukowina mit dem Kaiserstaate und die Eröffnung der Universität in Czernowitz werde
vom Landein festlicher Weise begangen." Daran reihten sich die weiteren Beschlüsse,
eine Huldigungs-Deputation an das Allerhöchste Hoflager abzusenden und ein Landes-
Festcomite einzusetzen, welches die Art und Weise der Begehung dieser Landesfeier
festznstellen und durchzuführen hatte. In sinniger Weise wurde das große Doppelfest, die
Jubelfeier und die Eröffnung der Universität, auf den 4. October, das ist auf
den Namenstag des gefeierten Herrschers verlegt.
Zweiundzwanzig Jahre sind seit jener Feier verflossen, aber in allen Theilen des
Landes lebt die erhebende Erinnerung an die glänzenden Festtage des 3., 4. und 5. October
des Jahres 1875 in dem patriotischen Empfinden der Völker dieses Landes fort. Es
lebt die leuchtende Erinnerung fort an den Huldigungszug, an die Enthüllung de->
Austria-Monumentes, an die vielen, von echter Begeisterung getragenen Reden.
Am 4. October um 12 Uhr Mittags fand in der festlich geschmückten Aula die
Eröffnung der Universität in feierlichster Weise statt, im Beisein des Unterrichts -
ministers v. Stremayr, der Landeswürdenträger, der Abgeordneten der in-und ausländischen
Universitäten, aller neuernannten Professoren, zahlreicher Deputirter der Studentencorps
der Schwester-Universitäten. Mit welchem Jubel ist die Vorlesung des kaiserlichen
Stiftungsbriefes begleitet worden, in dem der erlauchte Gründer u. A. sagt: „An dem
Werke, das damals (bei Erwerbung des Landes) Unser großer Vorfahr, weiland Kaiser
Joseph U. unsterblichen Angedenkens, mit Errichtung der unentbehrlichsten niederen
Schulen begonnen hat, haben Unsere in Gott ruhenden Vorfahren und Wir selbst redlich
weiter gearbeitet. Uns aber ist es mit Gottes gnädigem Beistände zu Theil geworden,
diesem Werke jetzt — nach hundertjähriger Arbeit — durch Errichtung der höchsten
Schule den vollendenden Abschluß zu geben Wir vertrauen insbesondere, daß sie
nicht nur eine Pflegestätte werde für die hohe Wissenschaft, für freie Forschung und
für alle Kunst und Fertigkeit des menschlichen Geistes, sondern daß sie sich auch gestalte
zur edlen Pflegerin von Gottesfurcht, Sitte und Tugend, und daß sie gedeihe, blühe
und wachse zum Heile des Reiches und des Landes."
Fünf Jahre später war der Hochschule das Glück beschieden, Seiner Majestät, ihrem
erhabenen Gründer in der Aula dankerfüllt die Huldigung darznbringen. Der Kaiser hat
am 15. September 1880 auf seiner Reise durch die nordöstlichen Kronlünder die Bukowina
besucht und war in jenen vier unvergessenen Tagen von demselben Jubel seines treuen
Volkes umrauscht, wie es bei den zwei früheren Anwesenheiten des Herrschers im October
1851 und im Juni 1855 der Fall gewesen war.
Wie ganz verändert gegen die Zustände bei seinem Regierungsantritte mochte der
Kaiser das Land damals finden! Wie viele Neugestaltungen hatten sich da vollzogen.
Welchen Aufschwung hat da das Unterrichtswesen genommen! Bis zum Jahre 1860
besaß das Land nur eine einzige Mittelschule, das seit dem Jahre 1808 bestandene Gym -
nasium in Czernowitz. Seit dieser Zeit sind sechs neue Mittelschulen ins Leben gerufen
worden und zur erfreulichsten Blüte erwachsen. Im Jahre 1860 erfolgte die Gründung
des Gymnasiums in Suczawa, das aus den Mitteln des griechisch-orientalischen Religions-
fondes erhalten wird. Einem lebhaft gefühlten Bedürfnisse ward durch die Errichtung
der griechisch-orientalischen Oberrealschule im Jahre 1862 entsprochen. Im Jahre 1872
erhielt das Land sein drittes Gymnasium. Mit Allerhöchster Entschließung vom 15. August
1871 wurde die Gründung eines Staats-Realuntergymnasiums in Radautz genehmigt
und zugleich angeordnet, daß die Besoldung der Lehrer und die Beistellnng der Lehrmittel
der Staat zu übernehmen, dagegen für das Schulgebäude und dessen innere Einrichtung
die Stadtgemeinde zu sorgen habe.
Aus den Segnungen des Reichsvolksschulgesetzes ergab sich als Consequenz die
Errichtung einer staatlichen Lehrer- und Lehrerinnen-Bildungsanstalt in Czernowitz, welche
am 1. October 1870 in feierlicher Weise eröffnet wurde. Den gewerbetreibenden Classen
der Bevölkerung des ganzen Landes ist eine hilfreiche Wohlthat durch die Gründung einer
k. k. Staatsgewerbeschule geschaffen worden. Die Lehranstalt feierte ihre Eröffnung am
10. November 1873, die damit verbundene Fortbildungsschule am 15. October 1876.
Während die Besoldung der Lehrer und die Anschaffung der Lehrmittel der Staat
übernahm, hatte die Commune von Czernowitz für die Herstellung des Schulgebäudes
zu sorgen, das die Stadtverwaltung mit einem Kostenauswande von 60.000 fl. in
schöner und stattlicher Form erstehen ließ. Um das Staats-Obergymnasium in Czernowitz,
153
diese älteste Mittelschule des Landes, welche au einer die Lehrziele störenden Überfüllung
litt und unter allen Gymnasien Österreichs die stärkste Frequenzziffer auswies, zu entlasten,
wurde am 1. September 1896 ein neues Staats-Untergymnasium in Czernowitz eröffnet.
In Bezug auf das Volksschulwesen kann nicht geleugnet werden, daß die Entwicklung
desselben in der Bukowina nicht gleichen Schritt mit den anderen, westlichen Kronländern
gehalten hat. Aber die Segnungen des Reichsvolksschulgesetzes vom Jahre 1869 kommen
auch hier zur Geltung und ist seit diesem Zeitpunkte ein erfreulicher Aufschwung wahr -
zunehmen. Die Zahl der öffentlichen allgemeinen Volksschulen ist seit dem Jahre 1850
in der Bukowina von 50 auf 327 (im Jahre 1896) gewachsen, hat sich also nahezu
versiebensacht. Der Aufschwung ging nur langsam vor sich und ist die Steigerung erst seit
dem Erscheinen des Reichsvolksschulgesetzes eine bedeutendere. Auch in Bezug auf das
lange Zeit hindurch beklagenswerthe Mißverhältniß zwischen schulpflichtigen und schnt-
besuchenden Kindern ist eine tröstliche Besserung eingetreten. Während noch im
Jahre 1885 von 74.696 schulpflichtigen Kindern nur 27.346 die Schule besuchten, war
im Jahre 1896 der Procentsatz der Schulbesuchenden auf 67 gestiegen.
Die opferwillige Schulfrenndlichkeit der Stadtgemeinde von Czernowitz darf hier
nicht unerwähnt bleiben. Die Stadt zählt gegenwärtig 11 öffentliche communale Schulen,
während zwei in der Errichtung begriffen sind. Vor 25 Jahren sind die wenigen Schulen
zumeist in gemietheten Loealitüte» untergebracht gewesen; seit dieser Zeit hat die Stadt -
verwaltung nicht weniger als zehn neue Schulgebäude mit einem ihr Budget schwer
belastenden Kostenaufwande erbauen lassen. Diese rasche Ausdehnung des Volksschnl-
wesens entspricht völlig dem Aufschwünge und der Blüte der Landeshauptstadt.
Das „Städtel", wie Czernowitz zur Zeit der Occnpation des Landes in amtlichen Tabellen
genannt wird, erwuchs in kaum mehr als einem Jahrhundert zu einer Stadt, die heute
erfüllt ist mit einer langen Reihe der schönsten und stattlichsten Gebäude, eine Bevölkerung
von nahezu 60.000 Seelen aufweist und 5044 Häuser zählt, einer Stadt, welche die
edle Heimstätte zahlreicher Bildungsanstalten ist, in jüngster Zeit besonders gehoben durch
die Schöpfung der großen Assanirnngswerke, der Wasserleitung und Canalisirung, sowie
durch die Einführung der elektrischen Stadtbelenchtung und Straßenbahn, welche Werke
die Stadtverwaltung in ihrer Sorge für die Wohlfahrt der Bürger mit dem Kostenauf -
wande einer Million ins Leben rief.
Unter den stattlichen und schönen Neubauten der letzten Decennien ragt unstreitig
als der bedeutendste das griechisch-orientalische Residenzgebüude, das im Jahre
1864 an Stelle des verfallenden alten Bischvfshauses zu bauen begonnen wurde.
Dieser stolze Prachtbau in byzantinischem Stile ist die glänzende Heimstätte der griechisch -
orientalischen Kirchenfürsten, die auf Grund der Allerhöchsten Entschließungen Seiner
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Kronprinz Rudols-Sänle in Snczawitza.
Majestät Franz Joseph I. vom 11. September 1870 und 23. Januar 1873 die Würde
eines Erzbischofes und Metropoliten bekleiden.
In diesem gewaltigen Wandel der Dinge ist zweierlei unwandelbar geblieben: Die
Reichstreue seiner Völker und das erhebende Bewußtsein aller Söhne dieses Landes, fest -
gehalten zu haben an dem Eide der Treue, den die Väter einst am 12. October 1777 in
feierlichster Weise dem Hause Habsburg geschworen haben.
Der griechisch-orientalische Neligionssond.
in unvergängliches Denkmal kaiserlicher Weisheit und Gerechtigkeit, eine
glorreiche Schöpfung des unvergeßlichen Kaisers Josef II-, bildet der
Bukowiner griechisch-orientalische Religionsfond, das wirtschaftliche
Rückgrat der Bukowiner griechisch-orientalischen Kirche und mittelbar
auch des gesammten Landes. Von kleinen Anfängen unter den
schützenden Fittigen des Doppelaars zu maßgebender Bedeutung gediehen, bot er eine
breite Grundlage für die Entwicklung der Kirche und Schule und trug in hohem Maße
zum geistigen und materiellen Aufschwünge des Herzogthums bei.
Den Grundstock dieses Fondes bildeten die Güter des Radautzer, später Bukowiner
Bisthums und der im Lande gelegenen griechisch-orientalischen Klöster. Seit dem
XV. Jahrhundert bis in die Mitte des XVIII. waren nämlich durch die Munificenz
moldauischer Fürsten, Bojaren und hoher kirchlicher Würdenträger im nördlichen Theile
des ehemaligen Fürstenthums Moldau, dem heutigen Herzogthum Bukowina, zahlreiche,
von ihren Stiftern mit Gütern und Kleinodien reichlich bedachte Klöster gegründet
worden, von denen zur Zeit der Einverleibung der Bukowina in die kaiserlichen Erblande
noch zehn bestanden, welche nach der von General Splenyi im Jahre 1776 veranlaßt»:
Zählung 466 Mönche und 88 Nonnen, meist Fremde aus aller Herren Länder,
beherbergten und zusammen 82 Güter und Gutsantheile besaßen. Neben diesen Klöstern
waren im XVIII. Jahrhundert noch 13 Einsiedeleien entstanden, welche jedoch, mit Aus -
nahme zweier, schon wegen der Kürze ihres Bestandes ohne nennenswertes Vermögen waren.
Nicht minder arm waren die einzelnen Pfarrkirchen. Dieselben wurden von ihren
Patronen, als welche die Stifter und in der Folge die jeweiligen Gutseigenthümer angesehen
wurden, erhalten, während die Seelsorgegeistlichkeit auf das karge Stola-Einkommen
150
und auf milde Gaben angewiesen war. Unter diesen Umständen konnte von einer
entsprechenden Vorbildung der Geistlichkeit oder einer ersprießlichen Seelsorge keine Rede
sein, ein Übelstand, welcher umso empfindlicher war, als selbst für die Heranbildung
zu höheren kirchlichen Würden, abgesehen von einer Privatanstalt im Kloster Pntna, im
ganzen Lande keine einzige Schule bestand. Auch die Klöster konnten zu diesen Zwecken
nichts beitragen, weil sie trotz ihres ansehnlichen Grundbesitzes, bei dem Mangel einer-
geregelten Wirthschaft und einer genügenden Controls und da sie nicht dem Diöcesanbischofe,
sondern direct der entfernten Jassyer Metropolie unterstanden, über keine Mittel
verfügten, im Gegentheile sogar verschuldet waren und aus ihrem Grundbesitze nicht mehr
Einkünfte zogen, als eben zur nothdürftigen Erhaltung der Mönche ausreichte. Demgemäß
bot die Bukowiner Kirche zur Zeit der Einverleibung ein durchaus unbefriedigendes Bild;
glücklicherweise bewirkte jedoch die österreichische Herrschaft in diesen Verhältnissen einen
raschen Wandel.
Schon der damalige Bischof Dositheu Cheresknl (Fereskul) war zu der Überzeugung
gelangt, daß die Bewirthschaftnng der Güter und die mit derselben verbundenen weltlichen
Geschäfte den Regularclerns seinem eigentlichen Berufe immer mehr entfremdeten. Nach
reiflicher Überlegung erbot er sich daher die Güter des Bisthnms gegen einen jährlichen
Snstentationsbetrag von 8000 Gulden für sich und seine Nachfolger dem kaiserlichen Hofe
abzutreten; doch verstand der Bischof, wie aus dem von dem Administrator der neuen
Provinz, Generalmajor Freiherrn von Enzenberg, am 29. October 1782 in rumänischer
Sprache erlassenen Bescheide erhellt, unter „Abtretung" lediglich die Überlassung der
Benützung dieser Güter an den kaiserlichen Hof auf unbestimmte Zeit, da er sich für
den Fall, als der kaiserliche Hof diese Güter nicht weiter benützen wollte, den Rückfall
derselben an das Bisthum ausdrücklich vorbehielt. Auch der kaiserliche Hof dachte keineswegs
an eine Erwerbung der Substanz, sondern beabsichtigte blos, die ausgedehnten Besitzungen
des Bisthnms und der Klöster einer besseren Bewirthschaftnng zuzuführen und den hiedurch
erzielten Ertrag zur moralischen und intellectuellen Hebung der griechisch-orientalischen
Kirche zu verwenden. Demgemäß wurde dem Bischöfe eröffnet, daß zufolge Allerhöchster
Entschließung die bischöflichen Güter mit Anfang April 1783 in die kaiserliche Verwaltung
überzugehen hätten. Hiebei wurde, um alle weiteren Befürchtungen des Bischofs zu zerstreuen,
in dem an Enzenberg gerichteten Erlasse des Hofkriegsrathes vom 19. März 1783 noch
ausdrücklich hervorgehoben, „daß die Güter des Bisthnms oder der Klöster und sonstigen
frommen Institute durch Übernahme in die öffentliche Verwaltung ihrer Bestimmung nicht
entfremdet werden, sondern im Gegentheile nur bezweckt wird, dieselben für diese
Bestimmung umso fruchtbringender zu machen." Dem Bischöfe wurde ein Jahresgehalt
von 6000 Gulden ausgesetzt, worauf am 11. April 1783 die förmliche Übergabe der
157
Diese Verfügung wurde niemals ausgeführt und später zurückgezogen.
bischöflichen Güter in die öffentliche Verwaltung durch den Bevollmächtigten des Bischofs
erfolgte. Blos das Gut Radautz verblieb über Ansuchen des Bischofs demselben auf
Lebenszeit gegen einen Jahresabzug von 1000 Gulden seiner Dotation.
In Betreff der Klostergüter war schon im December 1781 an den Hofkriegsrath
eine Allerhöchste Entschließung herabgelangt, welche die Reducirung der Klöster und die
Übernahme derselben in die öffentliche Verwaltung in Aussicht nahm, „jedoch nur so, daß
diese Einkünfte (der Klostergüter) den Religionsgenossen und der Provinz zu Nutzen
kommen, wo die Klöster aufgehoben wurden." Früher schon scheint das zu jener Zeit
errichtete Consistorium aufgefordert worden zu sein, für eine bessere Verwaltung des
Klostervermögens Sorge zu tragen. Um der kirchlichen Oberbehörde diese Controle zu
ermöglichen, wurde Anfangs 1782 die commissionelle Aufnahme des Vermögens jedes
einzelnen Klosters angeordnet. Die durch die betreffenden Erhebungen rücksichtlich des
Vermögensstandes und der Verwaltung klargestellten Verhältnisse waren nichts weniger
als erfreulich, weshalb die Klöster verhalten wurden, dem Bischöfe Rechnung zu legen.
Aus diesen Rechnungen ist ersichtlich, daß im Jahre 1783 der Ertrag sümmtlicher Güter
sich auf 58.433 Gulden belief, denen Ausgaben an Regie- und Unterhaltungskosten im
Betrage von 44.050 Gulden gegenüberstanden, so daß sich ein Überschuß von 14.383
Gulden ergab.
Die auf einer Bereisung der neuerworbenen Provinz gemachten Wahrnehmungen
bestärkten den Kaiser in seinem ursprünglich gefaßten Vorsatze, da sein scharfes Auge
sofort den Segen ersah, welchen eine rationelle Bewirthschaftung und gewissenhafte
Verwaltung des bis dahin nahezu unproductiven Vermögens der zahlreichen Klöster dem
Volke durch Hebung der Kirche und Förderung der Schule bringen mußte. Daher erflvß
bald nach der Abreise des Kaisers aus dem Lande die Verordnung des Hofkriegsrathes
vom 4. Juli 1783, welche unter Anderem im Punkte 8 besagt: „die Verminderung und
Zusammenziehung der Kalugier- (Mönchs-) Klöster hat ohne Weiteres vor sich zu gehen,
und ihre Gründe und Fonds sind in Administration zu nehmen; das Vermögen der
nicht im Lande wohnenden, mithin fremden Geistlichkeit ist einzuziehen- und von dem
hieraus entstehenden ganzen Fond ist der gesammte griechische Clerus zu erhalten, dann
wenigstens eine Schule, sei es in Czernowitz oder Suczawa zu errichten und das noch zu
Erübrigende zu anderen nutzbaren Verwendungen vorzubehalten."
Noch in demselben Jahre hob Bischof Chereskul mehrere Klöster und Einsiedeleien
auf, so daß mit Schluß des Jahres 1783 nur mehr 7 Klöster bestanden. Dagegen
stießen die Verhandlungen wegen Übernahme der Klvstergüter in die öffentliche Verwaltung
bei den Klosterconventen und ihren Vorstehern auf entschiedenen Widerstand. Aus diesem
158
Grunde wurde bis zur endgiltigen Regelung der Angelegenheit über kaiserliche Anordnung
eine eigene „Religionscasse" errichtet, in welche das Ertrügniß der bischöflichen Güter
und die Überschüsse aus dem Ertrage der Klostergüter zu fließen hatten und unter
Mitwirkung des Bischofs und seines Consistoriums zu verwalten waren. In dieser Casse
fanden sich bei einer im Mürz 1784 vorgenommenen Scontrirung 2223 Gulden
18 Kreuzer vor.
Das Provisorium dauerte jedoch nur kurze Zeit, indem bald an die mit der
Verwaltung des Landes betraute Militär-Administration eine wichtige und folgenreiche
kaiserliche Verfügung erging, auf deren Grundlage über die Erlässe des Hof-
kriegsrathes vom 5., 9. und 12. Juni dem Konsistorium wörtlich Folgendes eröffnet
wurde: „Auf Seiner Majestät des Kaisers Allerhöchsten Befehl sollen die geistlichen Güter
in der Bukowina allsogleich in die Administration übernommen und durch weltliche
Ökonomen administrirt werden, über welche Seine Majestät den Vorschlag auf das
baldigste gewärtigen und dagegen gar keine Vorstellung mehr hören wollen."
General Enzenberg erstattete denn auch unter dem 31. Oetober 1784 Vorschläge,
welche die kaiserliche Genehmigung erhielten und im Frühjahre 1785 die Errichtung von
acht Verwaltereien zur Folge hatten. Daraufhin wurden auch die übrigen Klöster
aufgelöst, mit Ausnahme von drei angesehenen Mönchsklöstern, und zwar jenen
zu Putna, Suczawitza und Dragomirna, welche auch heute noch bestehen. Für jedes dieser
Klöster wurden je 25 Stellen systemisirt, und den Mönchen zum Unterhalte den damaligen
Verhältnissen entsprechende Gehalte ans der Religionscasse ausgeworsen. Außer den
ausgedehnten Liegenschaften und einem bescheidenen kmrclus iimtrrmtus fand sich bei den
Klöstern ein anderes Vermögen nicht vor.
Im Monate April 1786 erfolgte endlich der letzte und wichtigste, die Bildung,
den Charakter und die Bestimmung des griechisch-orientalischen Religivnsfondes und die
Organisirung der griechisch-orientalischen Kirche der Bukowina betreffende Schritt, indem
für den von der Districtsadministration und dem Bischöfe gemeinschaftlich entworfenen
„Plan zur Reguliruug des geistlichen Kircheu- und Schulwesens" mit dem Decrete des
Hofkriegsrathes vom 29. April 1786 im Wege des galizischen General-Commandos die
Allerhöchste Genehmigung mit dem Beisätze erflvß, daß der Plan nunmehr ohne
Aufschub in Ausübung zu setzen sei. Im Anschlüsse folgte der vom Kaiser gutgeheißene
geistliche Regulirungsplan, welcher den Religionssond folgendermaßen definirt:
„Unter dem Namen Religionsfond ist das zur Aufrechthaltung der Religion
gewidmete ganze Vermögen einbegriffen. Dieses Vermögen des Rcligionsfondes besteht
im baren Gelde oder Realitäten, unter die letzteren gehören alle beweg- und unbeweglichen
Klöster- und geistlichen Güter. Die Einkünfte davon fließen in eine dazu bestimmte
159
Religionscasse ein und werden überhaupt nach Abzug des ausgemessenen Unterhaltes für
die geistlichen Personen und für die Schulen blvs und allein zum wahren Besten des
Clerus, der Religion und der Menschheit verwerthet. Der Landesfürst, welcher die
Sorge für die allgemeine Wohlfahrt auf sich hat, ist der Schutzherr des Religions -
fondes; die Verwaltung, Aufbewahrung und Verwendung desselben für die Geistlichen
und das Schulwesen, wozu er einzig und allein gewidmet ist, hängt bloß von seiner
Anordnung ab. Die Angelegenheiten dieses Religionsfondes sind durchgehends officivse
Das Kloster Putna in der Gegenwart.
Geschäfte, und seine Gerechtsame werden von den landesfürstlichen Beamten vertreten,
daher alle Urkunden, Obligationen, Briefe und was immer für andere Schriften, die
zum Beweis der Rechte oder sonstigem Gebrauch dienen und auf die Angelegenheiten
des Religionsfondes einen Bezug haben können, der aufgestellten öffentlichen Aufsicht
und respective der Landesstelle zuzukommen haben und in der Religionscasse anf-
zubehalten sind."
Damit war über kaiserliche Initiative die dauerhafte Grundlage geschaffen, auf
welcher die griechisch-orientalische Kirche der Bukowina zum Heile der Bevölkerung sich
mächtig entwickelte und noch heute beruht.
160
Die erste Frucht der Errichtung des Religionsfondes war die Eröffnung der
Clerikerschule in Suczawa, welche im Jahre 1786 activirt wurde, und deren befriedigende
Absolvirung zur Bedingung der Aufnahme in den geistlichen Stand gemacht wurde.
Mit der im November desselben Jahres erfolgten Aufhebung der um das Land
hochverdienten Militär-Administration, der Vereinigung der Bukowina mit Galizien und
der Unterordnung dieses Landes unter das Landesgubernium in Lemberg wurde auch
der griechisch-orientalische Religionsfond mit den galizischen Fonden vereinigt. Über die
Amtsthätigkeit des genannten Guberninms in den Angelegenheiten des griechisch -
orientalischen Religionsfondes bis 1790 ist nur soviel bekannt, daß einige in der Moldau
gelegene Fondsgüter theils verkauft, theils gegen andere im Lande befindliche Güter
vertauscht wurden. Gelegentlich der im Jahre 1790 erfolgten Trennung der Bukowina
von Galizien wurde auch die Trennung des griechisch-orientalischen Religionsfondes von
den galizischen Fonden und eine gesonderte Rechnungsführung verfügt; doch blieb der
Religionsfond auch fernerhin unter der Verwaltung des galizischen Landesguberniums.
Der damalige Stand der Fondscapitalien bezifferte sich mit 48.898 Gulden in öffentlichen
Papieren und 12.079 Gulden Conventions-Münze in Bargeld. Diese Kapitalien waren
aus dem Verkaufe der im Auslande gelegenen Güter und den Überschüssen aus dem
Ertrage der Liegenschaften gebildet worden. Durch die eigene Regie, welche das galizische
Landesgubernium bei der Bewirthschaftnng der Güter eingeführt hatte, sank das Ein -
kommen auf ein Minimum herab und wurde fast zur Gänze von den Regieauslagen
verschlungen, weßhalb im Jahre 1810 die eigene Regie aufgegeben und das unter der
Militär-Administration geübte Pachtsystem wieder eingeführt wurde.
Die schweren und langwierigen Kriege zu Anfang dieses Jahrhunderts, welche viel
Ungemach über die Monarchie brachten und die Finanzen derselben zerrütteten, zogen auch
den Religionsfond in Mitleidenschaft. Um nämlich dem Staatshaushalte aufzuhelfen
und mit Erfolg den Kampf gegen den mächtigen äußeren Feind führen zu können, wurde
durch das Kreisschreiben des galizischen Landesguberniums vom 26. September 1810
zur allgemeinen Kenntniß gebracht, daß Kaiser Franz 1. mittels eines an den Hofkammer-
Präsidcnten erlassenen Handschreibens vom 14. September desselben Jahres bewilligte, daß
auch geistliche Güter, welche bestehenden Stiften und Klöstern gehören, zum Behufs der
Staatsfinanzen gegen klingende Münze veräußert werden dürfen. Infolge dessen wurden
zu dem gedachten Zwecke die dem Religionsfonde gehörigen Güter, und zwar im Jahre
1811 ein Drittel vvn Zamostie um 70.350 Gulden, Plesznitza um 13.080 Gulden, Ostra
um 12.500 Gulden, im Jahre 1812 Stawczan mit Hawrylcstie und Chliwestie um
140.000 Gulden und außerdem die Fondsantheile von Banilla am Czeremosz, Kabestie
und Zwiniacze und andere kleinere Gutsantheile veräußert.
101
Im Jahre 1817 fiel die Bukowina wieder an Galizien. In der darauffolgenden
Zeit wurde an maßgebender Stelle die Wahrnehmung gemacht, daß die mit der
Verwaltung des griechisch-orientalischen Religionsfondes betrauten Organe sich von den
im geistlichen Regulirungsplan festgesetzten Bestimmungen entfernten und den Religivnssond
als eine Art Landes- oder Staatsfond anzusehen schienen, indem sie die Fvndsmittel
zu Zwecken verwendeten, welche trotz ihrer gemeinnützigen Natur dennoch mit der
stistnngsmäßigen Widmung des Fondes nicht in Einklang zu bringen waren. Diesem
Kloster Dragomirna.
Gebaren machte die Allerhöchste Entschließung cko cknto Troppau, 18. December 1820,
ein Ende, welche besagte: „da der Bukowinaer n. u. Religionsfvnd ags dem eingezogenen
Vermögen des n. n. Bischofs und der dortigen Klöster dieses Ritus entstanden, so kann
derselbe nur zur Aufrechthaltung des n. n. Cnltus lind des Volksschnlunterrichtes, jedoch
auch dieses Unterrichtes nur dann verwendet werden, wenn dieser von Klöstern ertheilt
worden, und auch in diesem Aalte nur insoweit es die damals bei dem Bestände der
Klöster vorhandenen, von denselben nicht unterhaltenen Unterrichtsanstalten nicht betrifft.
Er muß daher zuerst zur Erhaltung des n. n. Clerus, dann, insoweit er nach Meiner
vbengedachten Entschließung zu dem Volksuntcrrichte verwendet werden darf, für selben
Bukowina. ^
162
verwendet werden. Alle Auslagen, die dieser Meiner Entschließung zufolge aus gedachtem
Fonds seit seiner Entstehung mit Unrecht bestritten worden, sowie jene, die andere
Fonds hienach ebenfalls nicht mit Recht seit diesem Zeitpunkte für selben bestritten
haben, müssen den respectiven Fonds für das Vergangene gänzlich vergütet werden."
Ferner wird angeordnet, daß die im Sinne dieser Allerhöchsten Entschließung vom
Bukowiner griechisch-orientalischen Religionsfonde zu tragenden Lasten genau zu bestimmen,
deren Bedeckung in seinem Präliminare jährlich gehörig aufznfnhren seien. Demgemäß
wurden mit dem an die galizische Provinzial-Staatsbuchhaltung ergangenen Erlasse des
galizischen Landesguberniums vom 3. Februar 1821 die vom Bukowiner griechisch -
orientalischen Religionsfonde widerrechtlich getragenen Auslagen aus dem Präliminare des
Religionsfondes ausgeschieden und mit einigen wenigen Ausnahmen theils dem Stndien-
und Normalschulfonde, theils dem ständischen Domesticalfonde zngewiesen.
Das Gesammteinkommen des Religionsfondes muß um diese Zeit bereits bedeutend
gewesen sein, da auf die Bitte des Consistoriums mit der Allerhöchsten Entschließung
vom 22. December 1826 den an der Hochschule in Lemberg ausgebildeten Theologen
nach erhaltener Priesterweihe und Anstellung im Seelsorgedienste ausnahmsweise eine
Congrua von 300 Gulden Conventions-Münze bewilligt und, an Stelle der aufgehobenen
Clerikerschule, im Jahre 1827 auf Kosten des Religionsfondes eine theologische Lehranstalt
sammt einem bischöflichen Diöcesan-Seminarium errichtet wurde. Genauere Daten über
den Stand des Fondsvermögens, sowie über die Gebarung und Verwaltung desselben
zu jener Zeit sind nicht bekannt. Erst im Jahre 1835 theilte das galizische Landes-
gubernium mit dem Erlasse vom 6. Februar dem Consistorinm mit, daß bis zum Erfließen
einer Allerhöchsten Entschließung die Hofkanzlei für die vom Ärar in Pacht gehaltene
Religionsfondsdomäne Tratautz (gegenwärtig Radautz) vorläufig einen Pachtschilling
von jährlich 34.000 Gulden Conventions-Münze bestimmt habe. Doch wurde die vom
Consistorinm aus diesem Anlasse an die Bukowiner k. k. Cameral-Gefüllen-Bezirks-
verwaltung gerichtete Frage, welches Reinerträgniß die Güter des Religionsfondes im
Militärjahre 1834 abgeworfen haben, nicht beantwortet, worauf das Consistorinm sich
unter Berufung auf das Hofdecret vom 17. März 1791, demzufolge den römisch-
katholischen Bischöfen Einsicht in den Rechnungsstand des Religionsfondes gewährt und
ein Ausweis über die für den betreffenden Sprengel angewiesenen Pensionen und Gehalte
übermittelt werden mußte, an die galizische Provinzial-Staatsbuchhaltung wandte und
von derselben unter dem 18. Juni 1835 eine Übersicht über das Erträgniß sämmtlicher .
Fondsgüter erhielt. Darnach beliefen sich schon im Jahre 1834 die Einnahmen ans
223.069 Gulden, denen bloß Verwaltungsauslagen im Betrage von 10.284 Gulden
gegenüberstanden, so daß ein Reinerträgniß von 212.785 Gulden erübrigte, in welchem
Die Pamflewa-Kirche in Czernowitz.
jedoch der Pachtschilling für die Herrschaft Tratantz (Radautz) nicht inbegriffen war.
Auch die Kapitalien des Fvndes hatten laut der von der Provinzial-Staatsbuchhaltung
in Lemberg am 18. Juni 1836 gemachten Mittheilung im Jahre 1834 die namhafte
Summe von 2,827.186 Gulden erreicht, so daß mit Hinzurechnung des Ertrages
der Liegenschaften der Neligionsfond im Jahre 1834 über ein Gesammteinkommen
vvn 275.813 Gulden verfügte. Die Summe der Kapitalien steigerte sich schon im
Jahre 1837 auf 3,468.436 Gulden mit einem Zinsenerträgnisse von 127.104 Gulden.
Über die Gestaltung des Ertrages der Liegenschaften vom Jahre 1835 an fehlen jedoch
genauere Daten.
Diese Erstarkung des Rcligionsfondes gab die Möglichkeit, denselben für seine
Bestimmung im höheren Maße heranzuziehen. Demgemäß wurde bereits im Jahre 1835
mit Allerhöchster Entschließung vom 19. März den Pfarrern, welche ihre Studien an
der theologischen Lehranstalt ordnungsmäßig absolvirt hatten, eine Congrua jährlicher
300 Gulden Conventions-Münze bewilligt, worauf der bis dahin mit 6000 Gulden
bemessene Gehalt des Bischofs im Jahre 1841 um eine Zulage von 2000 Gulden
vermehrt und 1843 unter Einstellung der Zulage auf 9000 Gulden erhöht wurde.
Mit dem Beginne der Regierung Seiner Majestät des gegenwärtig regierenden
Kaisers übernahm der Religionssond auch die Fürsorge für die ,^>inteibliebenen der
Seelsorger, deren Witwen und Waisen bis dahin zumeist dem Elende preisgegeben
waren. So wurde bereits mit dem Gubernial-Decrete vom 26. März 1849 eröffnet,
daß Seine Majestät den Priesterswitwen und Waisen jährliche Unterstützungen von
80 bis 120 Gulden, beziehungsweise von 30 Gulden aus dem griechisch-orientalischen
Religionssonde zu bewilligen geruht haben. In der Folge wurden diese Pensionen
wiederholt erhöht, bis schließlich mit der Allerhöchsten Entschließung vom 14. August 1889
die Unterstützung der Erzpriesters- und Pfarrerswitwen mit 295 Gulden 31 Kreuzer,
jene der Pfarradministratoren und Cooperatoren mit 196 Gulden 87 Kreuzer festgesetzt
wurden und auch die Erziehungsbeitrüge für die Waisen eine angemessene Erhöhung
erfuhren.
Allein nicht blos auf die Förderung des Cultus und die bessere Dotirung seiner
Diener beschränkten sich die segensreichen Wirkungen des Bestandes und Erstarkens des
Religionsfondes. Sie setzten auch die griechisch-orientalische Kirche in der Bukowina in die
Lage, höheren Pflichten nachzukommen. Als nämlich im Jahre 1859 der Monarchie ein
schwerer Krieg aufgezwungen wurde und das Kriegsglück gegen uns entschied, beeilte sich
im Wetteifer mit den Völkern Österreichs auch die griechisch-orientalische Kirche, ihren
Tribut auf dem Altar des Vaterlandes darzubringen und ihrer Treue für das angestammte
Kaiserhaus, dessen Weisheit, Gnade und Gerechtigkeit sie ihre Erhaltung und Blüte zu
danken hatte, entsprechenden Ausdruck zu geben. Im Namen der griechisch-orientalischen
Kirche der Bukowina beschloß daher der damalige Bischof Eugen Hakman mit seinem
Consistorium, ans der dem griechisch-orientalischen Religionsfonde bei der Durchführung
der Grundentlastung zugesprochenen Entschädigungssumme einen Beitrag von einer
Million Gulden zu den Kriegslasten des Staates zu leisten. Seine Majestät haben mit
166
Allerhöchstem Handschreiben vom 11. Juli 1859 dieses patriotische Anerbieten mit Dank
anzunehmen und den Minister fiir Cultus und Unterricht zu beauftragen geruht, dem
Bischöfe und dem Consistorium das Allerhöchste Wohlgefallen über deren opferwillige
Treue und Anhänglichkeit an den Allerhöchsten Thron und das gemeinsame Vaterland
zu erkennen zu geben.
Mittlerweile schritt die Entwicklung des Religionsfondes und die Erweiterung
der Wirksamkeit desselben ununterbrochen fort. Nach einer dem Bischöfe seitens der
Landesbehörde unter dem 21. Juni 1860 zugekommenen Mittheilung besaß der Religions -
fond an Kapitalien:
In Schuldverschreibungen 3,421.912 Gulden 30>/s Kreuzer,
„ Hofkammer-Obligationen 1,137.162 „ 58 „
„ Privatschuldbriesen 1,835.971 „ 51i/s „
„ Pfandbriefen 20.198 „ 59>/s „
„ unverzinslichen Darlehen 125.778 „ 93 „
während der Ertrag der Domänen sich auf 200.520 Gulden belief.
Mit Rücksicht auf die vorhandenen Mittel wurde mit der Allerhöchsten Entschließung
vom 30. Juni 1860 die Errichtung der ersten griechisch-orientalischen Mittelschule, des
Gymnasiums in Suczawa, auf Kosten des Religionsfondes verfügt, und im darauffolgenden
Jahre den Kirchensängern, für deren Ausbildung bereits seit dem Jahre 1840 vorgesorgt
war, eine Entlohnung von 40 bis 80 Gulden jährlich bewilligt.
Nachdem mit dem Erlasse des Ministeriums für Cultus und Unterricht vom
17. December 1860 verordnet worden war, daß dem Bischöfe in Hinkunft ein vollständiges
Pare des jeweiligen Rechnungsabschlusses zur Verfügung gestellt werde, und das Staats -
ministerium mit dem Erlasse vom 1. Juli 1861 verfügt hatte, daß bei der Vorlage des
jeweiligen Präliminars auch die diesfällige Äußerung des Bischofes anzuschließen sei,
stellte Bischof Hakman im Jahre 1861 auf Grund des kaiserlichen Patentes vom
31. December 1851 und der Landesordnung vom 26. Februar 1861 die Bitte, daß die
Verwaltung des Religionsfondes den kanonisch berufenen Organen der Kirche über -
antwortet werde. Dieser Bitte konnte jedoch im Hinblicke auf die Bestimmungen des
geistlichen Regulirungsplanes nicht willfahrt werden, da nach demselben die Verwaltung,
Aufbewahrung und stiftungsmäßige Verwendung des Religionsfondes der Anordnung
des Landesfürsten Vorbehalten ist.
Während also rücksichtlich der Verwaltung an den früheren Grundsätzen festgehalten
wurde, erfuhr die Wirksamkeit des Religionsfondes insoferue eine Erweiterung, als eine
griechisch-orientalische Oberrealschule zu Czernowitz errichtet, und der Ausbau und die
innere Einrichtung der von einem emeritirten Pfarrer errichteten St. Paraskewa-Kirche zu
167
Czernowitz mit einem Kostenaufwande von 60.000 Gulden vollendet wurde. Dieser ersten
in der Landeshauptstadt aus solidem Materiale aufgesührten Kirche folgte im Jahre 1864
die Vollendung der bereits seit dem Jahre 1844 im Bau begriffenen Kathedralkirche nach,
welche einen Aufwand von nahezu 200.000 Gulden erforderte. Ferner übernahm der
Religionsfond im Jahre 1866, als infolge wiederholter Mißernten die Bukowiner
Bevölkerung sich der höchsten Noth preisgegeben sah und der Landesausschuß zur
Behebung derselben ein Darlehen von 500.000 Gulden von der Nationalbank aufzunehmen
gezwungen war, durch Verpfändung der Herrschaft Kuczurmare die Garantie für dieses
Darlehen und ermöglichte derart eine rasche Hilfeleistung. Desgleichen widmeten Bischof
und Consistorium im Jahre 1866 mit Rücksicht auf die im Lande wüthende, von Typhus uud
Cholera begleitete Hungersnoth und die Folgen des unglücklichen Krieges 100.000 Gulden
und sodann weitere 10.000 Gulden für die Pflege der Kranken. Dessenungeachtet und
trotz der im Jahre 1862 erfolgten Aufbesserung der Dotation der Seelsorgegeistlichkeit
war der Religionsfond in der Lage, im Jahre 1869 auch die Cameralgüter Zuczka und
Kimpolung um den Kaufschilling von 1,450.100 Gulden zu erwerben und bald daraus
auch die Privatgüter Toporoutz und Styrcze um 363.353 Gulden, beziehungsweise um
291.295 Gulden anzukaufen.
Neben den materiellen Erfolgen trat auch in organisatorischer Beziehung ein
Fortschritt insoferne ein, als der Mangel einer Geschäftsordnung des Consistoriums
beseitigt und mit der Allerhöchsten Entschließung vom Februar 1869 eine Norm geschaffen
wurde, der zufolge dem Consistorium die Übersicht über das Vermögen des Religions-
fondes, die Wahrung der Interessen desselben, die Begutachtung der beabsichtigten
Veränderungen der Substanz durch Verkauf, Tausch, Belastung, die Wahrnehmung von
Gefahren, und Schäden, welche den Religionsfond treffen könnten, die Äußerung über
Voranschläge und Rechnungsabschlüsse des Fondes, ferner die Erstattung von Gutachten
über die Gewährung von Darlehen und Vorschüssen aus dem Religionsfonde, über die
Verwaltungsart der Religionsfondsgüter, über die Systemisirung von bleibenden Ausgabs -
posten und über nicht systemisirte Ausgaben aus dem Religionsfonde eingeräumt wurde.
Ferner wurden unter die besondere Fürsorge des Kirchenökvnomats die Evidenzbücher
gestellt, von denen das erste, über den Religionsfond, die Abschriften sämmtlicher
landtäflichen und grundbücherlichen Eintragungen, welche die einzelnen Fondsgüter und
das sonstige Vermögen der Diöcese zum Gegenstände haben und die Ergebnisse der
jährlichen Rechnungsabschlüsse zu enthalten hat.
Als über diese Bestimmungen hinaus die Realisirung der kirchlichen Autonomie und
speciell die Übergabe des griechisch-orientalischen Religionsfondes, in kirchliche Verwaltung
durch mehrmalige Petitionen des Bischofs und durch eine Adresse des Bukowiner Landtages
168
vom Jahre 1863 angestrebt wurde, erfloß im Jahre 1869 die Allerhöchste Entschließung
vom 10. December, in welcher Seine Majestät Folgendes zu eröffnen geruhten: „Es ist
Mein Wille, daß die von Meinem Vorfahren, weiland Kaiser Josef II., dem Landesfürsten
vorbehaltene Schutzherrschaft über den von Ihm für griechisch-orientalische Cnltus- und
Schnlzwecke gewidmeten griechisch-orientalischen Religionsfond, sowie auch der Grundsatz,
daß bei genauer Festhaltung der widmungsmäßigen Zwecke dieses Fondes die Verwaltung,
Aufbewahrung und Verwendung desselben blos von der Anordnung des Landesfürsten
abzuhängen habe, auch fortan erhalten werde. Hiedurch soll jedoch der Fortbestand des
bisher eingehaltenen Grundsatzes, vermöge dessen dem Cvnsistorium die Einsichtnahme in
die Gebarung der Fondsverwaltung offengehalten, und dasselbe über Fragen von größerer
Tragweite vor deren Entscheidung einvernommen werde, durchaus nicht alterirt werden."
Neben den kirchlichen Zwecken förderte der Religionsfond auch jene der Schulen,
und zwar nicht nur das Mittelschul-, sondern auch das Volksschulwesen. Letzteres hatte
seit den Sechziger-Jahren auch in der Bukowina einen erfreulichen Fortgang genominen.
Da aber die meisten Gemeinden nicht in der Lage waren, die gesetzlichen Erhaltungskosten
allein zu tragen, kam ihnen der Religionssond zu Hilfe, zumal die Volksschulen anfangs
einen confessionellen Charakter hatten. Aber auch als die Volksschulen dieses Charakters
entkleidet wurden, blieb die Hilfe des Religionsfondes nicht aus. Um nämlich die rasche
Activirung der Volksschulen, die Vermehrung des Lehrpersonals und die zeitgemäße
Regelung der Bezüge desselben zu ermöglichen und zu fördern, geruhten Seine Majestät
mit der Allerhöchsten Entschließung vom 27. October 1872 zu genehmigen, daß vom
1. Januar 1873 angefangen durch fünf Jahre dem Landesschulfonde für die Zwecke des
öffentlichen Volksschulwesens in der Bukowina ein Jahresbeitrag von 50.000 Gulden
aus den Mitteln des griechisch-orientalischen Religionsfondes geleistet werde. Dieser Beitrag
wurde auch auf die folgenden Jahre ausgedehnt und mit der Allerhöchsten Entschließung
vom 19. Januar 1895 für das folgende Quinquennium aus 80.000 Gulden erhöht.
Endlich griff der Religionsfond auch der Industrie helfend unter die Arme. Schon
zu Ende des vorigen Jahrhunderts hatte nämlich eine im Lande gebildete Gesellschaft
Eisenbergwerke in Jakvbeny angelegt, während der Staat, wenn auch mit geringem
Erfolge, ein Kupferbergwerk in Pozoritta, betrieb. Diese Unternehmungen wurden bald
in der Hand der aus Ungarn stammenden Familie Manz vereinigt und nahmen, vielfach
vom Staate unterstützt, einen sehr raschen Aufschwung, welchem jedoch vom Jahre 1848
ein eben so rascher Verfall folgte. Um die Unternehmung zu stützen, gewährte der
griechisch-orientalische Religionsfond, welcher über bedeutende Geldmittel verfügte,
dem Unternehmer im Jahre 1859 auf die mit 5,454.923 Gulden geschätzten Werke
wiederholt Darlehen bis zum Gesammtbetrage von 525.000 Gulden Conventions-Münze.
169
Als jedoch die Unternehmung die betreffenden Zinsen nicht aufbringen konnte, die ans
den Werken lastende Schuld die Höhe einer Million überschritt und die finanzielle
Zerrüttung der Werke unaufhaltsam fortschritt, übernahm der Religionssond, als größter
Gläubiger, auf Grund der mit der Allerhöchsten Entschließung vom 9. December 1869
Die Mirautzer Kirche in Suczawa.
erhaltenen Ermächtigung, die gerichtlich auf 1,459.147 Gulden geschätzten Bergwerke im
Licitativnswege um den Kaufpreis von 300.000 Gulden, erlitt aber trotz des geringen
Betrages dieses Kaufschillings bei der Abwicklung der Geschäfte empfindliche Verluste.
In der Verwaltung des Religionsfondes trat mit dein Jahre 1870 eine bedeutende
Veränderung ein, indem in Anbetracht des steten Wachsens des Fondsvermögens und
170
der hiemit verbundenen Vermehrung der Geschäfte, für die Besorgung derselben mit der
Allerhöchsten Entschließung vom 18. März 18/0 unter dem Titel: „k. l. direction der
Güter des griechisch-orientalischen Religionssondes" eine eigene Behörde errichtet wurde.
Bald darauf erfolgte auch auf Grund der Allerhöchsten Entschließung vom 12. Mai 1872
die Ausscheidung der Verwaltung des Religionssondes aus dem Ressort des Ministeriums
für Cultus und Unterricht und deren Überweisung an das Ackerbauministerium; doch
wurde dem Cultusministerium auch fernerhin die Einsichtnahme in die Gebarung der
Fondsgüterverwaltung, sowie eine meritorische Jngerenz in Betreff der einschlägigen
wichtigeren Angelegenheiten Vorbehalten, soweit dieselben dem Wirkungskreise der Güter-
direction entrückt und nicht ausschließlich wirthschaftlicher Natur sind.
Schon kurze Zeit nach ihrer Errichtung wurde die Güterdirection einer einschneidenden
Reorganisirung unterworfen. Dem neuen Statute zufolge, welches mit dem Erlasse des
Ackerbanministeriums vom 19. Mai 1875 kundgemacht wurde, wird die oberste Leitung
und Überwachung der Verwaltung der Bukowiner griechisch-orientalischen Religions -
fondsgüter nach den von Seiner Majestät dem Kaiser festgestellten Grundsätzen vom
Ackerbauministerium innerhalb des Wirkungskreises der Ministerien ausgeübt. Der Aller -
höchsten Schlußfassung sind außer jenen Gegenständen, welche den allgemeinen und speciellen
Wirkungskreis des Ackerbauministeriums überschreiten, noch insbesondere Vorbehalten: die
Genehmigung der Jahresvoranschläge und die Genehmhaltung der jährlichen Rechnungs -
abschlüsse für sämmtliche Zweige der Güterverwaltung. Unter der Oberleitung und Aufsicht
des Ackerbaumiuisteriums wird die Verwaltung derGüter von einer eigenenDirection besorgt,
welche in der Landeshauptstadt Czernowitz ihren Sitz hat und den Titel: „k. k. Direction
der Güter des Bukowiner griechisch-orientalischen Religionssondes" führt. Der politische
Landeschef der Bukowina ist zugleich Präsident der Güterdirection. Die Güterdirection
besteht aus einem Güterdirector, den Fachreferenten und der erforderlichen Anzahl Hilfs -
arbeiter. Die Direction verwaltet sämmtliche Fondsgüter (Forste, Domänen, industrielle
Unternehmungen, trockene Gefälle, Zinshäuser, Montanwerke u. s. w.), sie leitet und
überwacht den gesummten technischen Betrieb und den ganzen administrativen Dienst der
ihr untergeordneten Organe in allen Zweigen der Güterverwaltung nach den besonderen
Instructionen und hat das Bestreben im Allgemeinen dahin zu richten, daß einerseits der
Ertrag der Güter durch eine möglichst rationelle, den von der fortgeschrittenen Wissenschaft
aufgestellten und bewährten Regeln entsprechende Bewirthschaftungsweise stetig und
dauernd gehoben, anderseits aber der Verwaltungsaufwand nach Zulässigkeit vermindert
werde. Ihr obliegt auch die Obsorge für die Erhaltung der Substanz der griechisch -
orientalischen Religionsfondsgüter, sowie für die Sicherheit und Ordnung der Geld-
gebarnng. Das Vermögen des griechisch-orientalischen Religionssondes in Werthpapieren
172
und Kapitalien, sowie die Gebäude, mit Ausnahme der ökonomischen und der aus den
Renten des Fondes aufgeführten, verblieben auch fernerhin in der Verwaltung der
Landesregierung.
Gelegentlich der Neorganisirung wurde insbesondere auch auf die Forstwirthschaft
ein besonderes Gewicht gelegt. Die Holzarmuth der östlichen Nachbarländer, sowie
die vorzügliche Qualität der Bestünde in den Fondswaldungen zeitigten immer mehr
die Überzeugung, daß die Forste mit verhältnismäßig geringen Kosten einen größeren
Ertrag abwerferr könnten, als die Domänen. Der Durchbruch dieser Überzeugung hatte
sodann zur Folge, daß mit der Allerhöchsten Entschließung vom 14. Januar 1888 die
Errichtring einer selbständigen Forstabtheilung genehmigt wurde. Der Larrdesprüsident
blieb auch fernerhin Präsident der Güterdirectiorr mit seiner bisherigen Stellung und
Befugniß; die Direktion selbst aber zerfiel in zwei selbständige Abheilungen, und zwar in
die Forstabtheilung für die Forstagenderr, das heißt für den Betrieb, die Wirtschaft und die
gesammte Verwaltung der Forste und der zu denselben gehörigen Objecte einschließlich
des forstlichen Bauwesens, und in die Domänenabtheilung für alle anderen in den
Geschäftsbetrieb der Güterdirection fallenden Angelegenheiten. An der Spitze jeder der
beiden Abtheilungen steht ein dem Landespräsidenten als Präsidenten der Güterdirection
untergeordneter Vorstand, welcher bei der Forstabtheilung „Oberforstrath und bei der
Domänenabtheilung „Domänendirector" heißt.
Die eben geschilverte Organisation besteht auch heute noch. Der Stand des Fonds -
vermögens ist seither nicht unbeträchtlich gestiegen. Bei der Errichtung der Güterdirection
betrug das Vermögen des griechisch-orientalischen Religionsfondes im Ganzen 12,346.5.87
Gulden; seither hat es sich bis zum Zeitpunkte der Reorganisirung im Jahre 1888 ans
14,231.771 Gulden erhöht.
Die günstige finanzielle Lage des Religionsfondes ermöglichte auch bei der
Errichtung der anläßlich der Feier der hundertjährigen Vereinigung der Bukowina mit
den österreichischen Erblanden durch die Gnade Seiner Majestät ins Leben gerufenen,
den Allerhöchsten Namen führenden Universität zu Czernowitz im Jahre 1875 die
Umwandlung der ehemaligen theologischen Lehranstalt in eine Facultät auf Kosten des
griechisch-orientalischen Religionsfondes, ferner die zeitgemäße Erhöhung der Dotationen,
Besoldungen und Unterstützungen der im Kirchcndienste stehenden Personen und insbesondere
der erzbischöflichen Dotation auf 18.000 Gulden und der Pfarrer- und Cooperatoren-
Congrua auf 700 bis 900, beziehungsweise 500 bis 600 Gulden. Außerdem wurden
bedeutende Bauten zum Nutzen der Kirche und des Staates aufgeführt. So erstand 1878
die prächtige erzbischöfliche Residenz mit dem Seminargebäude und dem Priesterhause,
welche einen Aufwand von nahezu 1,800.000 Gulden erforderte, und im Jahre 1885
/
173
die Cavallerie-Kaserne in Neu-Zuczka mit einem Aufwands von 376.000 Gulden. Noch
in den letzten Jahren wurden trotz des Anwachsens der Ausgaben des Fondes bedeutende
Beträge sowohl für die Herstellung alter kirchlicher Baudenkmale, als auch für die Aus -
führung verschiedener kirchlichen Interessen dienender Neu- und Umbauten gewidmet.
So wurde mit Allerhöchster Entschließung vom 18. Februar 1892 die Herstellung
der sogenannten Mirautzer Kirche in Suczava, eines der ältesten Baudenkmale des
Landes, bewilligt, welches nach dem Urtheile der Sachverständigen das bedeutendste
Überbleibsel mittelalterlicher Kunst im Lande bildet. Die Kosten für die Reconstruction
dieser hochinteressanten Kirche wurden pro 1894 vorläufig mit 50.000 Gulden präliminirt.
Neu- und Umbauten wurden ferner auf Kosten des Fondes bei der unter dem
Namen „alte Metropolis" bekannten St. Georgs-Kirche in Suczawa ausgeführt. Das
Patronat iiber dieselbe, dessen endgiltige Regelung übrigens erst im Zuge ist, stand der
Jassyer Metropolis zu, welcher unter Anderen auch die Instandhaltung der Kirchengebände
oblag, bis diese Verpflichtung, infolge Einziehung der Kirchengüter, auf die rumänische
Regierung überging. Dieselbe stellte denn auch für die Herstellung der ihrer Bestimmung
nicht mehr entsprechenden Nebengebäude einen Betrag von 80.000 Francs zur Verfügung,
worauf mit der Allerhöchsten Entschließung vom 28. December 1892, vorbehaltlich der
Frage der Heranziehung des Patronatsbeitrages, aus dem Religionsfonde ein Betrag von
51.000 Gulden für den erwähnten Zweck bewilligt wurde.
Gegenwärtig hat das Gesammtvermögen des Religivnsfondes die Höhe von
17,581.102 Gulden erreicht und besteht theils aus Gütern, Realitäten und Rechten, theils
aus Obligationen und Activkapitalien. Die Güter sind in acht Domänen eingctheilt, hatten
nach dem im Großen und Ganzen auch heute zutreffenden Stande vom Jahre 1887 einen
Flächeninhalt von 470.223 Joch 241 Qnadratklaster, gleich 47 Quadratmeilen oder ein
Viertel des gesammten Flächeninhaltes des Landes und umfaßten:
An Bauarea 343 Joch 1249 Quadratklafter,
„ Gärten 208 „ 100
„ Äckern 23.214 „ 426
„ Wiesen 13.101 „ 791
Weiden 16.274 „ 9111
Alpen 19.639 „ 318
Waldungen 395.404 „ 599
„ Teichen und Sümpfen 22 „ 915
„ Parificationsland 71 „ 400
„ unproductivem Boden 1.943 „ 922
Nach einer theilweise früher vvrgenvmmenen und daher veralteten Schätzung
repräsentiren die acht Domänen stimmt den dazu gehörigen Rechten, Mvntanweiken
174
und Waldungen, von denen die letzteren 22 Forstbezirke bilden, einen Werth von
7,459.531 Gulden, 76 Kreuzer. — An Obligationen und Activkapitalien besitzt der Fond:
In verzinslichen Werthpapieren 9,929.232 Gulden 09 Kreuzer,
„ barem Gelbe 192.338 „ 59 5 „
„ verzinslichen Werthpapieren W. W 42.908 „ — „
Nach dem Rechnungsabschlüsse für 1893 betrugen die Einnahmen des Religions-
fondes:
Aus den Activinteressen 488.402 Gulden 13 Kreuzer,
„ dem Reinerträge der Forste, Domänen, Montanwerke und Realitäten 494.927 „ 69'5 „
„ den Beiträgen 1.050 „ — „
„ den Schulgeldern . Il.785 „ 68 „
„ dem Erträgnisse des Bücherverschleißes 542 „ 68 „
„ verschiedenen Titeln 5.061 „ 81 „
Zusammen 1,001.769 Gulden 99'5 Kreuzer.
Den Einnahmen stehen folgende Ausgaben gegenüber:
Titel I. Cultus 500.766 Gulden 33 Kreuzer,
Titel II. Unterricht 141.457 „ 23 „
Titel III. Allgemeine Fondsauslagen. . . 61.345 „ 98'5 „
Titel IV. Pensions-Etat 78.110 „ 89 5 „
Zusammen 781.680 Gulden 44 Kreuzer.
Es ergab sich mithin ein Überschuß von 220.089 Gulden 55'5 Kreuzer, welcher an
das Stammvermögen abgeführt wurde.
In demselben Maße, in welchem sich der griechisch-orientalische Religivnsfond von
unscheinbaren Anfängen zur gegenwärtigen Größe entwickelte, wirkte er auf das Land
zurück, dessen intellectuelle und materielle Kräfte er wachrief und förderte, nicht nur „zum
wahren Besten des Clerus und der Religion" sondern, wie der weite Blick seines
glorreichen Schöpfers es vorzeichnete, auch zu jenem des Landes und der Menschheit.
5
Volkskunde.
Physische Beschaffenheit der Bevölkerung.
ie Ergebnisse der Volkszählung. — Als die Bukowina im
Jahre 1775 unter die österreichische Herrschaft gelangte, wurde nach
Biedermann eine Einwohnerzahl von 79.513 Personen ermittelt.
Die allmühlige Zunahme der Bevölkerung zeigt nachstehende
Tabelle:
Jahr
1775
1786
1805
1830
1840
1850
1869
1880
>890
Einwohner -
zahl
79.513
171.731
212.653
282.668
334.088
456.920
513.404
571.671
646.591
Seit der letzten
Zählung sind Jahre
verflossen
12
20
25
10
10
19
11
10
Zunahme der Bevölkerung
absolut
92.218
41.122
70.015
51.420
122.832
56.484
58.267
74.920
sür die ganze
Zeitdauer "/,
125
23
32
18
36
12
11
>3
Durchschnitt
1 Jahres °/„
10 4
1-15
1-2
1-8
3-6
0-7
10
1-3
Der für die erste Zeitperiode (1775 bis 1786) sich ergebende durchschnittliche
Jahreszuwachs von 10'4 Percent findet in den während der ersten Jahre des Anschlusses
der Bukowina an Österreich zahlreichen Einwanderungen in das sehr schwach bevölkerte
Land seine Erklärung.
In den ersten vier Decennien des XIX. Jahrhunderts nahm die Bevölkerung der
Bukowina in normaler Progression zu und betrug der durchschnittliche percentuclle Jahres -
zuwachs in diesem Zeitabschnitte 115 bis 1'8. Im Zehnjahre 1840 bis 1850 finden wir
wieder einen bedeutenden Bevölkerungszuwachs im Jahresdurchschnitte von 3'6 Pereent.
Es müssen sonach in diesem Zeitabschnitte, in welchen die Aufhebung der Leibeigenschaft
in Österreich und die dadurch bedingte größere Freizügigkeit der Volksmassen füllt,
neuerlich stärkere Einwanderungen in das Land stattgefnnden haben. Die Zeitperiode vom
Jahre 1850 bis zum Jahre 1869 weist hingegen einen verminderten Bevölkerungs -
zuwachs von im Jahresmittel nur 0'7 Percent auf, eine Erscheinung, welche durch die in
den Jahren 1854, 1855 und namentlich 1866 im Lande auftretenden Cholera-Epidemien,
durch zahlreiche Flecksieber-Epidemien und durch schwere Hungerjahre mit ihren für das
leibliche Wohl so bösen Folgen bedingt wurde. Während der zwei letzten oben verzeichnten
Decennien vollzog sich der Bevölkerungszuwachs in normaler Weise, nur war derselbe in
den Jahren 1880 bis 1890 im Jahresmittel um 0'3 Percent größer, als im voran -
gegangenen Jahrzehnte.
Die Bevölkerung der Bukowina hat seit der Occupation des Landes durch die
österreichische Regierung, das ist seit dem Jahre 1775, bis zum Jahre 1890 um rund
700 Percent zngenommen, und die Ziffern der Bevölkerung des Jahres 1775 Verhalten sich
zu denen des Jahres 1890 wie 1:8. Von den 646.591 Bewohnern, welche bei der letzten
Volkszählung in der Bukowina anwesend waren, gehören 324.469 dem männlichen und
322.122 dem weiblichen Geschlechts an. Auf je 1000 Männer kommen sonach 993 Frauens -
personen, und das Sexualpercent beträgt 99 3.
Auf einen Quadratkilometer entfielen im Jahre 1890 62 Bewohner, gegen 80 in
den im Reichsrathe vertretenen Ländern Österreichs überhaupt; sonach gehört die Bukowina
zu den spärlich bewohnten Ländern Österreichs. Doch hat die Volksdichtigkeit der Bukowina
gegen die Vorperioden in nicht unbedeutendem Grade zugenommen, denn es kamen im
Jahre 1880 55, im Jahre 1869 44 und im Jahre 1775 7 6 Bewohner auf einen Quadrat -
kilometer.
Was das Alter der Bewohner der Bukowina anbelangt, so entfallen nach der
Volkszählung vom Jahre 1890 auf das kindliche Alter bis zu 14 Jahren 38 Percent der
Gesammtbevölkerung, aus das erwerbsfähige Alter von 15 bis inclusive 59 machen
58 Procent, auf das Greisenalter von 60 und mehr Jahren nur 4 Percent der Gesammt-
bevölkernng. Die Bewohner der Bukowina sterben sonach rasch ab, und nur wenigen ist
es gegönnt, ein Alter von inehr als 60 Jahren zu erreichen.
Den Stand betreffend finden wir in der Bukowina nach den: Resultate der letzten
Volkszählung auf 100 Einwohner beim männlichen Geschlechte 61 ledige, 37 verheiratete
177
Bukowina.
und 2 verwitwete; beim weiblichen Geschlechts 56 ledige, 37 verheiratete und 7 verwitwete;
in den im Reichsrathe vertretenen Ländern hingegen beim männlichen Geschlechts 63 ledige
(um 2 mehr als in der Bukowina), 34 verheiratete (um 3 weniger als in der Bukowina)
und 3 verwitwete (um 1 mehr als in der Bukowina), beim weiblichen Geschlechts 59 ledige
(um 3 mehr als in der Bukowina), 33 verheiratete (um 4 weniger als in der Bukowina)
endlich 8 verwitwete (um 1 mehr als in der Bukowina). Es ergibt sich sonach, daß in
der Bukowina, sowohl beim männlichen, als auch beim weiblichen Geschlechts die Heirats-
Rumänen.
lust, das ist das Bedürfnis nach Gründung eines eigenen Familienstandes, größer ist, als
in den im Reichsrathe vertretenen Ländern Österreichs überhaupt.
Wenn wir die Bevölkerung nach dem Religionsbekenntnisse gliedern, so ergeben
sich nachstehende Verhältnisse:
Römisch-katholisch . . . .
Griechisch-unirte - . . -
Armenisch-unirte . . . .
Altkatholiken
Absolut Auf lOOO Einwohner
72.389 111-95
19.810 30-64
747 1.16
2 000
178
Absolut
Griechisch-orientalisch 450.773
Armenisch-orientalisch 546
Evangelische Augsburger Confession 15.868
„ Helvetischer „ . . 476
Lippowaner - - - 3.213
Israeliten 82.717
Muhamedaner 3
Konfessionslose 47
Auf 1000 Einwohner
697-15
0-84
2454
0-74
4-97
127-93
001
007
Aus obiger Übersicht ist zu entnehmen, daß das Gros der Bevölkerung zur
griechisch-orientalischen Religion sich bekennt; ferner ist die große Zahl der die Bukowina
bewohnenden Israeliten bemerkenswert^ sie übersteigt die der römisch-katholischen Glaubens -
genossen. Schließlich sei hervorgehoben, daß im Lande 3.213 Lippowaner, welche sich zu
einer besonderen alt-russischen Sekte bekennen, ansäßig sind.
Bezüglich der Umgangssprache ergeben die Resultate der letzten Volkszählung
nachstehende Verhältnisse:
Ruth misch . . .
Rumänisch . . .
Deutsch ....
Polnisch ....
Magyarisch. . .
Sonstige Sprachen
Absolut
268.367
208.301
133.501
23.604
8.139
583
Pro Mille
417-70
324-21
207-78
36-74
12-67
0-90
Die Meistzahl der Bevölkerung (74 Percent derselben) bedient sich im Umgänge
der ruthenischen oder der rumänischen Sprache. Diese beiden Sprachen sind die Umgangs -
sprachen der autochthonen Bevölkerung; und zwar ist die ruthenische im Lande mehr
verbreitet als die rumänische, und da die Umgangssprache mit der Nationalität der
betreffenden Personen sich deckt, so ergibt es sich, daß die Anzahl der Ruthenen in der
Bukowina größer ist als die der Rumänen.
Die politischen Bezirke Kotzman, Wiznitz, Czernowitz-Umgebung und Sereth,
sonach der nördliche und westliche Theil des Landes, werden vorwiegend von den Ruthenen
bewohnt, während in den Politischen Bezirken Gurahumora, Radautz, Snczawa, Kimpolung
und Storozynetz, daher im südlichen und östlichen Theile der Bukowina die überwiegende
Zahl der Bewohner Rumänen sind.
Außer der ruthenischen und rumänischen ist auch die deutsche Sprache im
Lande sehr stark verbreitet. Daß im allgemeinen Verkehre der höher gestellten Volksklassen
des Landes, in fast allen Mittelschulen, in den Ämtern und im Landtage die deutsche
Sprache als Umgangssprache dient, erscheint in einem so polyglotten Lande, wie es die
Bukowina ist, selbstverständlich. Übrigens sprechen sehr viele Bukowiner, selbst der
179
!
niederen Stände, drei bis vier Sprachen geläufig, zumeist deutsch, ruthenisch, rumänisch
und polnisch.
Was den Bildungsgrad der Bevölkerung anbelangt, so ergeben die Resultate
der Zählung vom 31. December 1890, daß auf je 1000 Personen des männlichen
Geschlechtes 798'8 und auf je 1000 Personen des weiblichen Geschlechtes 861'7 Analpha -
beten entfallen, gegen 389'5, beziehungsweise gegen 413'3 in den im Reichsrathe vertretenen
Ländern Österreichs. Wenn auch die bezüglichen Verhältnisse in den letzten Jahren sich
gebessert haben, so steht doch besonders die Landbevölkerung der Bukowina auf einer sehr
niedrigen Bildungsstufe.
Bezüglich der schweren körperlichen und geistigen Gebrechen liefern die
Ergebnisse der letzten Volkszählung nachstehende Daten:
pro Mille der Bevölkerung
absolut
Bukowina Österreich
Mud auf beiden Augen 464 7-2 8'1
Taubstumm 730 lt'2 12 9
Geisteskrank 511 7-9 18'0
Cretinismus 259 4'0 66
Der Cretinismus ist auf mehrere im Gebiete des Moldawaflusses gelegene
Gemeinden der politischen Bezirke Gurahumora und Kimpolung beschränkt. Cretin-
gegenden sind stets auch Kropfgegenden.
Über die physische Entwicklung und Beschaffenheit der Bevölkerung geben die
Resultate der Assentirungseommissionen Aufschluß. Von je 100 im Jahre 1895 zur
Stellung Gelangten wurden assentirt:
für das Recruten- in die Ersatz- ^ Ganzen
coutingent Reserve
Stadt Czernowitz - 27 6 7-9 35'5
Bezirk Czernowitz-Umgebung . . 25'4 111 36'5
„ Gurahumora 34-5 8-2 42-7
„ Kimpolung 23'3 3-3 266
„ Kotzman 17'0 4-0 21'0
„ Nadautz 33-2 10-9 44-1
„ Sereth 200 9-3 293
„ Storozyuetz 19-8 103 30'1
„ Suczawa 30-2 4-3 34'5
„ Wiznitz 22-8 5'0 27-8
Land Bukowina 24-6 7 5 32-1
Von je 100 Stellungspflichtigen wurden in der ersten Altersclasse 32 7 Percent, in
der zweiten 21'5 Percent und in der dritten 42'6 Percent (hievon 23 3 Percent in die
Ersatzreserve) assentirt. Es war sonach in der ersten Altersclasse fast jeder vorgeführte
12*
180
dritte Mann bereits derart kräftig und entwickelt, daß er als kriegsdiensttauglich
bezeichnet werden konnte.
Wie aus der obigen Tabelle zu entnehinen ist, wurden im Lande 24'6 Percent der
Gestellten auf das Recrutencontingent assentirt. Diese Relativzahl fluctuirt innerhalb der
einzelnen Landestheile zwischen 17 Percent im Bezirke Kotzman und 34'5 Percent im
Bezirke Gurahumora.
Die Kriegsdiensttanglichkeit in Relation zur Körpergröße macht nachstehende Tabelle
ersichtlich.
Körpergröße in Centimetern Tauglichkeits-Percent
171 — 175 37'5
180 und darüber 36 1
176 — 180 35-6
166 — 170 35-5
161 — 165 33-6
155 — 160 27-6
153 — 154 8-4
Was die Ursachen der Kriegsdienstuntauglichkeit anbelangt, so wurden im
Jahre 1895 62 Percent der Gestellten als „körperschwach" bezeichnet, 3'8 Percent wegen
Mißbildungen der unteren Extremitäten, 3'1 Percent wegen Mißbildungen am Kopfe
oder Stamme, 2 5 Percent wegen Erweiterung der Blutadern, 2 3 Percent wegen Augen -
krankheiten, 2'2 Percent als mit einem Kropfe behaftet, endlich 1'8 Percent der Unter -
suchten wegen Eingeweidevorlagerungen zurückgestellt.
Die meisten Augenkranken weisen die politischen Bezirke Kotzman und Radautz auf;
fast ein Drittel sämmtlicher mit Kropf Behafteten stammt aus dem politischen Bezirke
Kimpolung; wegen erweiterter Blutadern wurden Assentpflichtige zumeist in den politi -
schen Bezirken Kotzman und Radautz zurückgestellt; die meisten Eingeweidevorlagerungen
wurden in den politischen Bezirken Kotzman und Gurahumora vorgefnnden; die meisten
Mißbildungen an den unteren Extremitäten kamen in den politischen Bezirken Suczawa und
Sereth vor.
Von den Zurückgestellten wurden 74'6 Percent als derzeit untauglich, 23 6 Percent
als waffenunfähig und 2'8 Percent als offenkundig zu jeder Dienstleistung untauglich
bezeichnet.
Einen weiteren Beitrag zur Kenntniß der physischen Beschaffenheit der Bevölkerung
liefern die Verhältnisse der Volksbewegung.
Im Mittel der Jahre 1889 bis 1895 sind ans 1000 Einwohner 8'37 Ehe -
schließungen vorgekommen. Es entfällt sonach eine Eheschließung auf 120 Einwohner.
Diese Relativzahl schwankte im Jahre 1895 in den einzelnen Politischen Bezirken zwischen
105 in der Stadt Czernowitz und 130 im politischen Bezirke WiHnitz.
181
Die geringe Zahl der Eheschließungen im politischen Bezirke Wiznitz ist auf den
Umstand zurückzuführen, daß die in diesem Landestheile zahlreich ansäßigen orthodoxen
Israeliten (Chassiden) zumeist blos rituelle, rechtsungiltige Ehen eingehen.
Im Deeennium 1886 bis 1895 entfielen Per Jahr auf 1000 Einwohner 45'8 Ge -
burten. Diese Ziffer schwankte im Jahre 1895 in den einzelnen Landestheilen zwischen
55 5 im politischen Bezirke Kotzman und 39'9 Stadt Czernowitz. Die politischen Bezirke
Kotzman, Sereth und Czernowitz Umgebung, sonach die Landestheile mit vorwiegend rutheni-
scher Bevölkerung standen in den
Jahren 1894 und 1895 mit ihrer
relativen Geburtsfrequenz über dein
Landesmittel. Daß der politischeBe-
zirk Wiznitz, dessen überwiegendeBe-
völkerung gleichfalls Ruthenen sind,
in seiner Relativnszahl an der
vorletzten Stelle steht, erklärt
sich daraus, daß die den Gebirgs-
theil dieses Bezirkes bewohnenden
Huzulen sich keines großen Kinder -
segens erfreuen.
Im Durchschnitte der Jahre
1881 bis 1895 sind auf 1000 Ein -
wohner 310 Todesfälle vor -
gekommen. Dieses Mortalitäts -
percent fluctuirt innerhalb der
einzelnen Jahre dieses Zeitab -
schnittes zwischen 40'0 iin Jahre
1882 und 28'0 im Jahre 1893.
Wenn das Mortalitätspercent der
relativen Geburtsfrequenz entgegengestellt wird, so ergibt sich im Durchschnitte ein jährlicher
Geburtsüberschuß von 1'3 Percent.
In den Jahren 1890 bis 1895 betrug der durchschnittliche Jahresgeburtsüberschuß
rund 8200 Personen.
Was die Mortalitätsverhältnisse in den einzelnen Landestheilen anbelangt, so
schwankt die bezügliche auf 1000 Einwohner berechnete Relativzahl im Jahre 1895
zwischen 23 9 im politischen Bezirke Kimpolung und 39 5 im politischen Bezirke Kotzman.
Das besonders hohe Mortalitätsprocent im letztgenannten Landestheile ist theils durch die
Nutheiie.
hohe Geburtsfrequenz, theils durch die ungesunde Beschaffenheit des Bodens in vielen
Gemeinden dieses Bezirkes bedingt.
In den politischen Bezirken Kimpolung, Radantz und Gurahumora, also in den
Bezirken mit überwiegend rumänischer Bevölkerung, herrschten imJahre1895 die günstigsten,
in der Stadt Czernowitz, sowie in den ruthenischen Bezirken Czernowitz Umgebung und
Kotzman die ungünstigsten Gesundheitsverhaltnisse.
Entsprechend der großen Geburtsfrequenz herrscht im Lande auch eine hohe Mortalität
im ersten Lebensjahre, denn es sterben durchschnittlich von 100 Geborenen 22 Erstjährige.
Diese Todesfälle belasten die Gesammtmortalität durchschnittlich mit 33 Percent.
Was die Mortalitätsverhältnisse in Berücksichtigung des Alters anbelangt, so belasten
die Todesfälle der bis 5 Jahre alten Kinder die Gesammtmortalität des Jahres 1895 mit
59'5 Percent, die der 5 bis 15 Jahre alten Personen mit 9 5 Percent, die der 15 bis
30 Jahre alten mit 5 Percent, die der 30 bis 50 Jahre alten mit 8'4 Percent, die der
50 bis 70 Jahre alten mit 118 Percent, die der über 70 Jahre alten mit 5'7 Percent.
Die enorme Sterblichkeit der bis 15 Jahre alten im kindlichen Alter stehenden
Personen, welche mehr als zwei Drittel der Gesammtmortalität belastet, ist einerseits durch
die bedeutende Sterblichkeit des ersten Lebensjahres, auf welches 50Percent dieserTodesfälle
kamen, anderseits durch die bedeutende Sterblichkeit an infectiösen, die Kinder vorwiegend
befallenden Krankheiten (Scharlach, Diphtherie, Keuchhusten), welche im Lande endemisch
herrschen, bedingt. Das hohe Mortalitütspercent der 50 bis 70 Jahre alten Personen spricht
dafür, daß das Absterben der in diesen Altersclassen stehendenPersonen, welches schon bei der
früheren Altersgruppe begonnen hat, in rascher Folge vor sich geht, welche Thatsache den
bereits oben gemachten Ausspruch, daß es nur wenigen Bewohnern der Bukowina gegönnt
ist, ein hohes Alter zu erreichen, bestätigt.
Äußerst interessante Daten liefern die Mortalitätsverhältnisse bei Berücksichtigung
der Religion der Verstorbenen. Von je 1000 Israeliten sind im Durchschnitte der Jahre
1892 und 1893 19 Percent gestorben, von je 1000 Bekennern der evangelischen Augs -
burger Confession (zumeist deutsche Colonisten) 22'7 Percent, von je 1000 römisch-
katholischen Glaubensgenossen (zumeist Bewohner der Städte und Marktorte) 29'8 Percent,
von je 1000 Bekennern der griechisch-katholischen Kirche (zumeist Vvrstädtler) 30 Percent,
endlich von je 1000 Bekennern der griechisch-orientalischen Glaubensgenossen (autochthone
Landbevölkerung) 35 Percent.
Das hohe Mortalitätspercent der autochthonen Bevölkerung des Landes ist theilweise
durch die große Geburtsfrequenz bedingt, welche im Durchschnitte der zwei obangeführten
Jahre für dieselben 48'9 Pro Mille ausmacht; ferner trägt der schwerwiegende Umstand zu
der großen Sterblichkeit unter der autochthonen Landbevölkerung bei, daß dieselbe ärztliche
Huzulin.
Hilfe nur in den seltensten Füllen herbeirnft und insbesondere beim Ausbruche infectivser
Erkrankungen die ärztlichen Anordnungen nicht beachtet.
Bezüglich der Todesursachen ergibt die Statistik des Jahres 1890 nachstehende
auf 100.000 Einwohner berechnete Zahlen:
Inf ections-Krankheiten
Bukowina
Blattern, . .
Masern . . -
Scharlach . -
Typhus . . .
Ruhr . . . .
Keuchhusten .
Diphtherie .
Wuthkrankheit
19
57
111
113
168
265
179
2
Österreich
25
04
51
47
46
115
120
Summe der durch Jnfection verursachten Todesfälle . 914
468
184
Ferner Bukowina
Angeborene Lebensschwäche der Unter-jährigen . . 647
Entzündliche Erkrankungen der Athmungsorgane . 235
Lungenschwindsucht 361
Darmcatarrh 94
Schlagfluß 36
Krebsige Entartungen 2g
Altersschwäche 268
Sonstige Krankheiten 583
Gewaltsame Todesfälle 41
Gesammtsumme der Todesfälle
Österreich
388
348
394
194
68
55
300
711
44
3208
2923
Das gegen den Durchschnitt Österreichs größere Mortalitätspercent der Bukowina
wird durch die bedeutend höhere Sterblichkeit im ersten Lebensjahre und durch die größere
Mortalität infolge der Jnfectionskrankheiten bedingt.
Das auf 100.000 Einwohner berechnete Mortalitätspercent betrug im Jahre 1890
beim männlichen Geschlechts in der Bukowina 3362, in den im Reichsrathe vertretenen
Ländern Österreichs 3074, beim weiblichen Geschlechts 3054, beziehungsweise 2780.
Anthropologie. — Über die Körpergröße der einheimischen Bevölkerung
geben die am Assentplatze ausgeführten Messungen der 20 bis 23 Jahre zählenden
Personen männlichen Geschlechtes einige Auskunft; doch muß, da bei den bezeichneten
Personen das Wachsthum noch nicht abgeschlossen ist, angenommen werden, daß die männ -
liche Bevölkerung der Bukowina von etwas größerem Körperwuchse ist, als es die
obangeführten Erhebungen darthun.
Körperhöhe
rn
Centimeter
Politische Bezirke Gura -
hnmora, Kimpolung,
Radautz und Suczawa mit
vorwiegend rumänischer
Bevölkerung o o
weniger als 153 2'2
153 bis inclusive 160 17'2
161 „ „ 165 28-2
166 „ „ 170 28-3
171 „ „ 180 22-1
181 und darüber 1'3
bis inclusive 165 47'6
166 und darüber 52'4
Politische Bezirke Czerno-
witz Umgebung, Kotzman
und Wiznitz mit vorwie- ^ ^ .
. ^ Bukowina
gend ruthemicher Bevöl -
kerung " o
3'6 30
23- 4 20-9
31-3 28-6
24- 6 27-5
16-4 18-9
0-7 0-5
58 3 52 5
41-7 47-5
Die im Reichs -
rathe vertre -
tenen Länder
Österreichs °/o
3-4
21-4
27-6
26-5
19-9
1-2
52-4
47-6
Die Bevölkerung der Bukowina ist von mittelhoher Körpergröße. Personen von
sehr kleiner und von besonders hoher Statur kommen in der Bukowina seltener vor, als
in den im Reichsrathe vertretenen Ländern überhaupt.
Die Rumänen sind von höherem Körperwuchse als die Ruthenen, denn in den
Bezirken mit vorwiegend rumänischer Bevölkerung hatten nur 47'6 Percent eine
18ö>
Körpergröße von weniger als 166 Centimeter, gegen 58'3 Percent in den Bezirken mit
vorwiegend ruthenischer Bevölkerung. Ferner kommen bei den Rumänen Personen von
besonders hohem Körperwuchse häufiger vor als bei den Ruthenen. Schließlich überwiegt
die relative Zahl der Untermäßigen, das ist der in der Entwicklung Zurückgebliebenen
die Zahl der Übergroßen in den ruthenischen Bezirken um das Fünffache, in den rumänischen
Bezirken hingegen nicht
ganz um das Zweifache.
Die Rumänen sind so -
nach früher körperlich ent -
wickelt als die Ruthenen.
Die größte Anzahl von
Personen mit kleinem
Körperwuchse finden wir
im politischen Bezirke
Kotzman, sodann im
politischen Bezirke Wiz-
nitz, die größte An -
zahl von Personen von
hoher Körperstatur in
den politischen Bezirken
Gurahumora und Kim-
Polung.
Himmel berechnet für
die Bukowiner Rumänen
eine Körpergröße von
167'3 Centimeter, für die
Ruthenen eine solche
von 167 0 Centimeter;
es ergibt sich also nach diesen Bestimmungen ein ganz minimaler Unterschied der Körper -
größe von nur 0'3 Centimeter zu Gunsten der Rumänen. Die anscheinende Divergenz
zwischen meinen Berechnungen und jenen von Himmel erklärt sich dadurch, daß Himmel
nur Soldaten des 41. Linien-Jnfanterieregiments untersucht hat, zu welchem die
politischen Bezirke Kotzman und Wiznitz, sonach die Landestheile mit der relativ
größten Anzahl von kleinwüchsigen Personen keine Recruten stellen, während meine
Erhebungen die Maßergebnisse der in der ganzen Bukowina aus dem Assentplatze Unter -
Lippuw aner.
suchten betreffen.
186
Über die Farbe der Augen, der Haare und der Haut der hierländigen
Bevölkerung orieutireu die interessanten Zusammenstellungen von Schimmer, welcher
das statistische Material über die im Jahre 1880 vorgenommenen somatologischen
Untersuchungen der Schulkinder gesichtet und erläutert hat. Von 100 untersuchten christ -
lichen Schulkindern haben in
der Bukowina Österreich überhaupt
blaue Augen 30
graue „ 32
lichte „ 62
dunkle „ 38
lichte Haare 45
dunlle „ 55
weiße Haut 74
braune „ 26
brauner Typus 27
lichter „ . . - 19
34
33
67
33
45
55
78
22
23
20
Die relative Anzahl der Personen mit dunklen Augen und brauner Haut, sonach
der zum braunen Typus gehörenden, ist in der Bukowina größer als in den Ländern
Österreichs überhaupt.
Die meisten blauäugigen Schulkinder wurden in der Stadt Czernowitz und im
politischen Bezirke Storozynetz (je 36 Percent) gezählt. Die große Zahl der Blauäugigen
im politischen Bezirke Storozynetz ist auf den interessanten Umstand zurückzuführen, daß
in mehreren Gemeinden des südlichen Theiles dieses Bezirkes, so in den Gemeinden
Krasna, Czudyn, Suczaweni, Kupka bei den Erwachsenen tief dunkelblaue Augen bei
dunklem Haare sehr oft Vorkommen. Von weitem erscheinen diese Augen, infolge ihrer fast
indigoblauen Farbe als dunkel, erst beim näheren Zusehen wird man von der besonders
schönen Färbung dieser Augen überrascht. Die wenigsten Schulkinder mit blauen Augen
wurden im politischen Bezirke Czernowitz-Umgebung (24 Percent) gezählt.
Die meisten Schulkinder mit grauen Augen kommen im ruthenischen Bezirke
Kotzman (40 Percent) vor, die wenigsten im rumänischen Bezirke Kimpolung (26 Percent).
Die meisten lichtäugigen Schulkinder finden wir im politischen Bezirke Storozynetz
(72 Percent), die wenigsten in dem von den Huzulen bewohnten Bezirke Wiznitz
(53 Percent). Die meisten Schulkinder mit dunklen Augen kommen im politischen Bezirke
Wiznitz (47 Percent) vor, sodann in den rumänischen Bezirken Kimpolung und Suczawa
(je 46 Percent); die wenigsten im Bezirke Storozynetz (28 Percent), sodann im ruthenischen
Bezirke Kotzman (31 Percent). Die meisten Kinder mit lichtem Typus: blaue Augen,
blondes Haar und lichte Haut (Virchow) wurden in der Stadt Czernowitz sowie in den
Bezirken Storozynetz und Suczawa (je 21 Percent) Vvrgefunden; die meisten mit braunem
187
Typus: dunkle Augen, dunkles Haar (Virchow-Gnttstadt) in den Bezirken Wiznitz und
Suczawa (31 beziehungsweise 30 Pcrcent).
Es ergibt sich sonach, daß die Rumänen und die ruthenischen Gebirgsbewohner
(Huzulen) zumeist dunkle Augen, hingegen die Flachland-Ruthenen der Mehrzahl nach
graue Augen haben, ferner daß bei der einheimischen Bevölkerung schon in der Kinder -
zeit der braune Typus
häufiger vorkommt als
der lichte.
Eingehende anthro -
pologische Studien der
Bukowiner autochthonen
Bevölkerung hat bisher
nur Himmel vorgenommen,
welcher je 200 Rumänen
und Ruthenen vom Stande
des 41. Linien-Jnfanterie-
regimentes eingehend unter -
sucht hat. Seine Beob -
achtungen beschränken sich
auf vollkräftige, im Alter
von 20 bis 23 Jahren
stehende Personen männ -
lichen Geschlechtes und
wurden, wie bereits oben
erwähnt, Personen aus den
politischen Bezirken Kotz-
man und Wiznitz in diese
Untersuchungen nicht ein -
bezogen. Himmel gelangt
in Bezug auf die somato-
logische Beschaffenheit der einheimischen Rumänen und Ruthenen zu nachstehenden
Schlußsätzen. Die Rumänen der Bukowina sind mittelgroß, jedoch wie es scheinr,
größer als die ungarischen Rumänen, sie sind von mittlerem Gewichte und haben einen
mäßig schnellen Puls. Ihr Haupthaar ist viel öfter dunkel (meistens braun und dunkel -
braun) als licht, während bei der Farbe der Augen die dunklen nicht so sehr die lichten
überwiegen. Die meisten haben braune und graue Augen. Der reine dunkle Typus
Slovake.
188
(41 Percent) findet sich bei ihnen viel häufiger als der lichte (25 Percent), ohne aber
die Mischtypen (34 Percent) besonders zu übertreffen; bei letzteren überwiegen noch
immer die Personen mit dunklem Haare. Obwohl die Rumänen vorwiegend eine weiße
Haut besitzen, kommen doch solche mit nicht weißer (44 Percent) Haut in sehr ansehnlicher
Menge vor; unter diesen gibt es viel mehr mit gelblicher (34 Percent), als mit bräunlicher
Haut. Eigenthümlicher Weise sind diese dunkelhäntigen Rumänen von höherem Wuchs
als die anderen. Der Kopfindex beträgt bei 24'5 Percent der untersuchten Rumänen
weniger als 82'9, bei 23 Percent derselbe 83'0 bis 84'9, bei 52 5 Percent derselbe 85'0
und mehr. Der Kopf ist bei mittlerer Größe sehr breit, brachykephal, an der Basis von
mäßiger Breite; das Gesicht im Ganzen, sowie in seinen einzelnen Abschnitten, speciell
die Stirne und das Untergesicht, nach oben und nach unten mehr verschmälert als bei den
Ruthenen. Die Nasenwurzel ist schmal, die Nase bei mäßiger Länge und Höhe ebenfalls
schmal, der Mund sehr klein, die Ohrmuschel klein. Die Rumänen haben einen mäßig
langen, dicken Hals und bei mittelgroßer Schulterbreite einen umfangreichen Brustkorb
von ziemlicher Breite und Tiefe, mit sehr wenig geneigter, kurzer Eingangsöffnung. Durch
ihre ziemlich starke Taille erscheint der Rumpf nach abwärts wenig verschmälert. Ihr
stark geneigtes Becken ist bei mäßiger Größe schmal, niedrig, wenig tief. Die Rumänen
besitzen kurze obere Extremitäten, mit starken mäßig langen Oberarmen, dicken, gegen das
Handgelenk wenig verschmächtigten Vorderarmen und mäßig breiter Hand; Mittelfinger
und Daumen sind von mäßiger Länge. Ihre ziemlich langen unteren Extremitäten, die
länger als die oberen sind, haben kurze, dicke, nach unten wenig sich verjüngende
Oberschenkel, mäßig starke Knie, lange, an der Wade ziemlich dicke Unterschenkel. Die
Füße sind bei mäßiger Länge und Breite sehr hoch und dick.
Die Ruthenen der Bukowina sind im Durchschnitte von mittlerer Statur bei
mäßig großem Körpergewichte. Der Puls ist minder lebhaft als bei den Rumänen. Ihr
Haupthaar ist fast ebenso oft dunkel, als lichtfarbig, letzteres viel häufiger als bei den
Rumänen. Ihre Augen sind viel öfter licht als dunkel und wie bei den Rumänen,
vorwiegend braun und grau. Im Ganzen genommen kommt bei denselben, im Gegensätze
zu den Rumänen, der lichte Typus etwas häufiger als der dunkle vor, doch werden
beide Typen von dem Mischtypns an Zahl übertroffen. Ihre Haut ist vorwiegend
weiß, wenn auch nicht selten gelblich und bräunlich, jedoch seltener als bei den
Rumänen. Bei 38 Percent der Untersuchten beträgt der Kopfindex weniger als 82'9,
bei 23 Percent 83 0 bis 84'9, bei 39 Percent 85'0 und mehr. Der Kopf ist mäßig groß,
bei mittlerer Länge etwas schmäler, daher auch minder brachykephal, als jener der Rumänen,
an der Basis ist er breit. Das im Ganzen und in einzelnen Abschnitten niedrige Gesicht
hat mäßig hohe Kiefer, ist nach oben und unten weniger verschmälert als bei den Rumänen,
189
welchen es jedoch bezüglich seines Kopfbreitenindex vollständig gleicht. Die Nase ist an
der Wurzel schmal, mäßig lang und mäßig hoch; der Mund mäßig groß, die Unterkiefer
sind lang und die Ohren klein. Der Hals ist von mäßiger Länge und Dicke, der Eingang zum
Brustkorb bei geringer Tiefe sehr wenig geneigt, der Thorax bei mäßiger Schulterbreite
groß, von ziemlicher Breite und Tiefe (breiter als bei den Rumänen), dann ziemlich stach
(stärker als bei den Rumänen), seitlich stark gewölbt. Der mittellange Rumpf zeigt bei
ziemlich starker Taille nach abwärts eine geringe Verschmächtigung. Das mäßig große
Becken ist stark geneigt
und niedrig. Der Abstand
der oberen Darmbein -
stachel ist geringer als
bei den Rumänen. Die
Rmhenen haben kurze
obere Extremitäten mit
langen,mäßig dickeuOber-
armen und dicken, wenig
verschmächtigten Vorder -
armen, die nur wenig
kürzer als bei den
Rumänen sind. Die ziem -
lich langen Beine haben
kurze, dicke, nach unten
ansehnlich verschmälerte
Oberschenkel, mäßig starke
Knie, sehr lange, ziemlich
dicke Unterschenkel und sehr
dicke Füße von mäßiger
Länge und Breite. Was die anderen theils zerstreut, theils compaet in ganzen Gemeinden
oder Gemeindetheilen Hierlands ansäßigen fremden Volksstämme anbelangt, so kommen
nach ihrer Zahl die Juden in erster Reihe in Betracht. In allen Gemeinden der Bukowina
sind mindestens einige jüdische Familien ansäßig. In den Gemeinden Wiznitz und Sadagöra
bilden die Juden die überwiegende Mehrheit der Ortseinwohner, 90, beziehungsweise
70 Perccnt der Gesammtzahl der Einwohner. Von der Gesammtzahl der Einwohner der
Landeshauptstadt Czernowitz sind ein Drittel Juden. Die in den nördlichen Landes-
theilen wohnhaften Juden sind von schwächlicherem Körperbau als die in den südlichen
Gebirgen des Landes ansäßigen. Die in den Landgemeinden zerstreut wohnenden Juden,
Armenier.
190
welche sich zumeist mit Pachtungen von Wirthshäusern oder Wegmauthen, in selteneren
Fällen mit Land-, beziehungsweise mit Waldwirtschaft befassen, sind in Folge der an die
körperliche Leistungsfähigkeit seit der frühesten Jugend gestellten Anforderungen und der
consequenten Abhärtung zumeist von kräftigem Körperbau. Himmel, welcher 100 Bukowiner
Juden des Activstandes des 41. Linien-Jnfanterieregimentes genau untersucht hat, entwirft
von deren anthropologischer Beschaffenheit nachstehendes Bild. Die Juden der Bukowina
besitzen im jugendlichen Mannesalter einen lebhaften Puls, eine geringere Körpergröße
mit ebenfalls geringerem Körpergewichte, weit überwiegend dunkles Haupthaar unter
Vorherrschen dunkler Schattirungen, meistens graue oder braune Augen, im allgemeinen
jedoch mehr lichte als dunkle und vorherrschend weiße, nur selten gelbliche bis bräunliche
Haut. Unter ihnen zeichnet sich der Mischtypus mit dunklen Haaren und lichten Augen
vor allen übrigen durch größere Statur aus, wogegen der lichte Typus neben dem Misch -
typus mit lichten Haaren und dunklen Augen den niedrigstenWuchs besitzt; der braune Typus
hält zwischen Beiden die Mitte. Ihr mäßig umfangreicher Kopf hat bei mäßiger Länge und
ansehnlicher Breite den Index von 84, daher derselbe den brachykephalen Formen beigezählt
werden muß. Das Gesicht ist schmal, die Stirne hoch, die Nase lang, sehr hoch, der Mund
ziemlich breit, das Ohr von beträchtlicher Länge, der Hals ziemlich dünn, der ziemlich tiefe,
mäßig enge Brustkorb zwischen den Schultern recht schmal, der kurze Rumpf an der Taille
von geringem Umfange, das Becken mäßig umfangreich, wenig geneigt, von geringer
Breite, die oberen vorderen Darmbeinstacheln weit voneinander abstehend, die Darmbeine
sehr flach, die Hüften schmal, die oberen Extremitäten kurz, Ober- und Vorderarm dünn,
die Hände kurz und breit, die unteren Extremitäten mäßig lang, der Oberschenkel kurz und
dünn, der Unterschenkel ziemlich lang, der Fuß lang, hoch, von mäßiger Breite. Die in
mehreren Gemeinden der Bukowina in compacten Maßen ansäßigen deutschen,
magyarischen und slovakischen Colonisten, sowie die Lippowaner zeigen, da Misch -
ehen bei diesen Einwanderern fast nie Vorkommen, die somatologischen Eigenschaften ihrer
Stammesbrüder. Die Lippowaner sind zumeist blondhaarig und blau- oder grauäugig. Aus
religiösen Gründen sind sie Gegner der Impfung. Die Slovaken sind meist von hohem
Körperwuchse, und haben meist braunes Haar, welches in vielen Fällen einen Stich ins
Röthliche zeigt. Das Gesicht ist lang. Bei den zahlreichen Armeniern der Bukowina
herrscht der braune Typus vor. Ihre Nase ist zumeist sehr hoch und gewölbt.
Bei den zahlreichen Zigeunern des Landes kommen Mischehen häufig vor, doch
verrätst sich das Zigeunerblut bei den aus solchen Ehen stammenden Kindern durch das
schwarze Auge, das dunkle, oft gelockte Haar und die bräunliche Farbe der Haut, sonach
durch den ausgesprochen braunenTyPus. Die einheimischenZigeuner verschmelzen allmählig
mit der autochthonen Bevölkerung und werden in absehbarer Zeit in ihr ganz aufgehen.
Die Rumänen.
Zur Zeit der Einverleibung der Bukowina in die österreichischen Staaten bildeten
die Rumänen fast ausschließlich das einheimische Volkselement im Lande; nur derjenige
Theil desselben, der den Namen Pinutut oder Oeolut (lüinpul-lrmgului ru86se führte,
war von einem Zweige der Ruthenen, die tckutam oder Huzulen hießen, bewohnt. Die
wenigen armenischen und jüdischen Familien, die damals nur in den Städten und
Marktflecken des Landes Handel trieben, verschwanden in der Masse der rumänischen
Bevölkerung. Diese numerische Überzahl vermochten jedoch die Rumänen nicht bis zum
heutigen Tage zu behaupten. Durch die Colonisirung einiger Gegenden mit deutschen,
slovakischen oder magyarischen Familien, durch die Niederlassung einer Menge aus
Galizien eiugewanderter ruthenischer Arbeiter auf privaten und klösterlichen Gütern, durch
das Zuströmen fremder Handwerker und Kaufleute in die Städte und Marktflecken, durch
die Besetzung der öffentlichen Landesstellen mit aus Galizien und Böhmen herangezogenen
Beamten und durch die Aufnahme von Fremden in den Privatdienst wurde allmählig
das ursprüngliche numerische Verhältniß der Bevölkerung des Landes immer mehr und
mehr zu Ungunsten der Rumänen alterirt. Die rumänischen Handwerker und Kaufleute
verschwanden zum größten Theile, weil sie der aufkommenden Concurrenz nicht gewachsen
waren. In den Dörfern aber, wo sich rutheuische Arbeiter im Übermaße ansiedelten,
besonders in den Galizien näher gelegenen, erlernte die rumänische Landbevölkerung mit
der Zeit die Sprache ihrer ruthenischen Mitbewohner und bediente sich derselben seit der
zweiten Generation auch in der Familie, bis endlich die ursprünglich rumänische National -
sprache ganz aus dem Kreise der Familie verdrängt wurde. Auf diese Weise kam es, daß
gegenwärtig die rumänische Sprache in vielen Dörfern aus dem Verkehre verschwunden
ist und in den Städten und Märkten eine sehr große Einschränkung erlitten hat.
In gesellschaftlicher Beziehung war die rumänische Bevölkerung des Landes in
Priester und Mönche, Bojaren (komm), Ruptaschen (imptum), Reseschen (rsrmsl) und
Masilen (mamk, das ist aus den Staatsämtern entlassene, adelige Beamte), Städtler
(tür^ovsti, oi-aseiü) und Frohnbauern (oiLeasi) eingetheilt. Die Bojaren, Ruptaschen,
Reseschen und Masilen bildeten den Adel und zugleich mit den Klöstern und Städtlern die
grundbesitzende Elaste, während die auf den adeligen und klösterlichen Gütern ansässigen
Grundarbeiter (etüoasi) den besitzlosen Bauernstand ausmachten. Die Bojaren besaßen
als Eigenthum je ein oder mehrere Güter, die Ruptaschen und Masilen aber nur Theile
solcher; die Reseschen hatten kleinere oder größere Liegenschaften. Die Bewohner des
Kimpolunger Tzinuts (Bezirks) waren Freibauern und nahmen bis zur Einverleibung
der Bukowina in die österreichischen Staaten eine eigenthümliche, mehr vasallenartige
192
Stellung gegenüber dem moldauischen Fürsten ein. Diese gesellschaftlichen Classen haben sich
bis jetzt erhalten, jedoch mit dem Unterschiede, daß die ehemaligen Grundarbeiter grund -
besitzende freie Bauern (leraick) geworden sind und die Einwohner des Kimpolunger
Bezirkes infolge eines langwierigen Processes von ihrem Territorium viel eingebüßt haben.
Die Rumänen der Bukowina sind aufgeweckten Geistes, edel gesinnt, religiös und
von einer an Fatalismus streifenden Ergebung in die göttliche Vorsehung, daher ihr Spruch:
nn-ali soris, nri s'a si lwtömplä! — Was mir beschicken ist, wird mich auch treffen!" In
der angestammten orthodox-orientalischen Kirche sieht der Rumäne eine göttliche Anstalt,
in den Priestern derselben nicht nur Diener Gottes und Verkünder seines beseligenden
Willens, sondern auch göttliche Richter über die Handlungen des Menschen, die mit unum -
schränkter Macht der Lossprechung und der Verdammung versehen sind; deswegen begegnet
er ihnen mit Ehrfurcht und mit blindem Vertrauen in allen das Seelenheil betreffenden
Dingen. Die Rumänen halten zähe an dem väterlichen Glauben und an den altehrwürdigen
Gebräuchen und lassen sich von diesen nicht leicht abwendig machen. Bis zur Scrupulosität
ehrenhaft, brechen sie das gegebene Wort nicht, auch wenn sie sich damit übereilt hätten,
denn sie sagen sich stets: ,p6 uncks ess ouvörckrck, sss si sullotul! — Auf demselben
Wege, auf dein das Wort entflieht, entflieht auch die Seele!" Ein Handschlag zur
Bekräftigung ihrer Aussage gilt ihnen wie ein förmlicher Eid. Auch sind sie ungemein
empfindlich lind vergessen es nie, wenn man sie unzart oder ungerecht behandelt, dagegen
sind sie hingebungsvoll und verläßlich, wenn inan ihnen init Vertrauen und rücksichtsvoll
begegnet. Sie sind friedliebend und lassen eher von ihrem Rechte etwas nach, als daß sie
in Hader und Streit gcriethen, eingedenk des Satzes: ,irmi bino taiä'ti poalu si luga,
ckeeLt sä ts pm eu ei in poarä, saü sä aibi ou älirsul In elin si ln inärweä! — Es ist
besser den Saum des Gewandes abzuschneiden und ihm zu überlassen, als mit ihm weiter
zu thun zu haben!" Geschieht ihnen aber Unrecht, oder werden sie in dem, was sie fiir
hoch und unantastbar halten, verletzt, so vcrtheidigen sie mannhaft diese theueren Güter.
Die Sitten der Rumänen in der Bukowina sind durchwegs rein, nur in den Gegenden,
wo viele Schankhäuser sich befinden, lassen sie manches zu wünschen übrig. Der Rumäne
ist überaus gastfreundlich und von zuvorkommendem Benehmen gegen Jedermann. Er
betrachtet jeden, auch den Fremdling oder den Andersgläubigen, als seinen Nächsten und
hilft ihm jederzeit, auch wenn er darum nicht ersucht wird, ohne Entlohnung, denn er sagt:
URiinnockeü stis si'mi va. ajukä si iriis! — Gott weiß es und wird auch mir helfen."
Der Rumäne ist überhaupt mehr ein Gemüthsmensch; er hält alle für ebenso aufrichtig und
wohlwollend wie er selbst ist, was ihm viele, bittere Enttäuschungen gebracht hat.
Die Rumänen achten jede Autorität; sie anerkennen diese leicht und unterwerfen sich ihr
auch dann, wenn sie fühlen, daß ihnen Unrecht geschieht; sie thun das in dem festen Glauben,
193
daß Gott immer der gerechten Sache zum Siege verhelfe: »an vulirnsckaü nstrka 1a
santa ärsptats". Der Rumäne ist der festen Meinung, daß der Kaiser die Stelle Gottes auf
Erden vertritt und von ihm dazu bestimmt ist, für jeden die Wage der Gerechtigkeit in der
Hand zu halten. Deswegen betrachtet er auch die Behörden und Gerichte als im Aufträge
Gottes eingesetzt, um Ordnung unter den Menschen zu erhalten und dem Bedrückten und
Überv ortheilten zu seinem Rechte zu verhelfen. In der Berufung des Volkes, an der
Regelung der gesellschaftlichen und staatlichen Bedürfnisse mitzuwirken, sieht der Rumäne
eine Mahnung Gottes zur Begründung der Brüderlichkeit und der Gerechtigkeit, weil er
Rumänische Landleute in ihrer Tracht.
glaubt, daß nur dann Gott gefällige Werke verrichtet werden, wenn in seinem Namen alle,
oder doch wenigstens recht viele sich versammeln und einigen. Dem Kaiser treu zu sein,
seinem Ruse überallhin zu folgen, für ihn und sein weites Reich, aber auch für dav engere
Vaterland und die eigene Nation zu kämpfen und zu sterben, hält der Rumäne für eine ihm
von Gott auferlegte Pflicht, für eine Ehrensache und für eine große Tugend, deren Nicht-
ansübung ihm Schmach und Schande und ewige Verdammung bringen würde. Zn einer
Auflehnung gegen die bestehende Ordnung läßt sich der Rumäne ungemein schwer bewegen;
nur wenn sich bei ihm der Glaube eingewurzelt hat, daß er in seinem nationalen Wesen
bedroht sei, erhebt er sich zur Vertheidignng des Eigenwesens; aber auch in diesem Falle
Bukowina. ^
194
will er durchaus nicht irgend eine Autorität als solche verletzt wissen, denn seine Miß -
stimmung richtet sich nicht gegen die Autorität, sondern nur gegen diejenigen, von denen
er glaubt, daß sie dieselbe zu unlauteren Sonderzwecken gebrauchen.
Der Rumäne hegt eine tief eingewurzelte Liebe zum väterlichen Hause und ange -
stammten Erbgute, sowie zu seinem Geburtsorte und zu seinem engeren Heimatlande. Jeder
zieht es vor, dort zu leben und zu sterben, wo er das Licht der Welt erblickt hat. Aus
diesem Grunde trifft es sich nur selten, daß ein Bursche oder ein Mädchen durch Heirat den
Geburtsort verläßt; sonst findet Auswanderung bloß bei schweren Unglücksfällen statt,
die man nur auf diese Art beseitigen zu können glaubt.
Der Beruf des Vaters vererbt sich regelmäßig in der Familie. Dies führte zu einer
starren Routine in der Ausübung desselben und zu einem eingewurzelten Mißtrauen, ja
einer fast unüberwindlichen Abneigung gegen jedwede Abweichung von der hergebrachten
Art und Weise und somit gegen jede Neuerung, wenn sie auch noch so zeitgemäß und
nothwendig wäre. Dieser Charakterzug hat der rumänischen Bevölkerung manchen
schweren Nachtheil verursacht. Die von derselben betriebenen Gewerbe konnten daher
keinen Aufschwung nehmen und fremde Concurrenz nicht bestehen. Selbst ein Theil der
Großgrundbesitzer, gewöhnt von der Arbeitskraft der auf ihren Gütern ansässigen Frohn-
leute sorgenlos zu leben, waren trotz ihrer höheren geistigen Bildung nicht in der Lage,
ihre Besitzungen selbst zu verwalten und viele derselben sahen sich, als man die Bauern
gegen Entschädigung emancipirte, genöthigt, ihre Güter an eingewanderte Fremdlinge zu
veräußern. Erst in der neuesten Zeit, seit die Volksbildung einen höheren Aufschwung
genommen, findet man Kinder, die aus eigener Vorliebe oder auf Anrathen ihrer Eltern
andere Berufszweige wählen; besonders die Bauernsöhne, die nicht mehr Grundwirte sein
wollen, beginnen jetzt, sich dem Handwerke oder einem Gewerbe zu widmen, oder sie streben
noch lieber, in den geistlichen, Lehr- oder Beamtenstand zu treten.
Der rumänische Landmann ist in seinem häuslichen Leben einfach, aber reinlich
eingerichtet. Sein Haus ist aus Holz gebaut und gegenwärtig fast überall mit Schindeln
gedeckt; es gibt aber auch noch mit Kornstroh lMpl) gedeckte Häuser, weil diese Art der
Bedachung sehr dauerhaft ist, und weil dieses Stroh bei Futtermangel auch als Viehfutter
benutzt wird. Das Haus ist stets mit der Front gegen Süden gerichtet und durch ein
Vorhaus (tinäü) in zwei ungleiche Theile getheilt. Links vom Vorhause, in dem kleineren
westlichen Theile, befindet sich ein als Küche und Schlafgemach eingerichtetes und mit zwei
Fenstern versehenes Zimmer, von denen das eine in der Frontseite, das andere in der West -
wand angebracht ist. Hinter diesem in der Regel einzigen Zimmer in diesem Theile des
Hauses, befindet sich hie und da noch eine kleine Speisekammer (eümai-8,) mit dem
Eingänge aus dem Vorhause. Der geräumigere, rechts vom Vorhause gegen Osten
195
gelegene Haustheil wird zu einem für Gäste bestimmten und bei feierlichen Familienanlässen
benützten Zimmer (eusü manch eingerichtet und hat ein Fenster in der Ostwand mit Heiligen -
bildern oberhalb desselben und noch zwei andere in der Frontseite. In diesem Zimmer
werden die werthvollen Kleidungsstücke, das bessere Bettzeug und die für die zn verheiratenden
Töchter bestimmte Mitgift, theils auf einem Balken tzrinckü) ausgehängt, theils in einer
Truhe (laäü) verschlossen, aufbewahrt. Meist ist es die Truhe, in welcher die Hausfrau
ihre Aussteuer an Kleidungsstücken aller Art dem Manne ins Haus gebracht hatte, und
Walkmühle (plus äs iLnsts).
welche nur beim Verheiraten einer Tochter mit der für diese bestimmten, neuangekauften
Truhe zeitlich umgetauscht wird. In manchen Häusern wird von dem Raume dieses Zimmers,
gegen die Nordseite hin, etwa ein Viertheil durch eine Bretter- oder Balkenwand abgesondert,
mit einem Eingänge aus dem Zimmer und mit einem sehr kleinen Fensterchen in der Ostwand
versehen und zu einem Ankleidezimmerchen, gewöhnlich für Frauen, wohl auch als Schlaf -
gemach eingerichtet. Wenn diese Balkenwand nicht bis zur Decke reicht, so werden über
dieselbe Kleidungsstücke gelegt.
Vor dem Hanse und an der Westseite, hie und da auch an der Nordseite desselben,
befindet sich ein größerer Hofraum und ein mit Brnnnenschwengel (euiupüim) oder
13*
196
bloßem Schöpfhaken (cariig) versehener Brunnen. An der Ostseite des Hauses, hie und da
auch an der Südseite des Hofraumes, ist gewöhnlich ein kleiner Gemüse- und Blumengarten
angelegt und durch einen Zaun vom Hofraume und dem übrigen Grund getrennt. Hinter
dem Hause und an der Westseite des Hofraumes sind landwirthschaftliche Gebäude und
Stallungen angebracht, hinter welchen in der Regel auch ein kleiner Obstgarten sich befindet.
Bei ärmeren Leuten besteht das Wohnhaus blos aus dem Vorhause und einen: einzigen
Zimmer, welches nur zwei, in der Front- und Ostwand angebrachte Fenster hat; auch die
landwirtschaftlichen Gebäude sind bei diesen auf das Unentbehrlichste beschränkt, oder sie
fehlen gänzlich. Die Häuser eines Dorfes sind zerstreut und ohne Rücksicht auf die Haupt -
straße oder Nebengassen desselben angelegt.
Die Rumänen der Bukowina sind von kräftigem Körperbau, die Gebirgsbewohner
meist von hoher, die auf dem flachen Lande lebenden aber gewöhnlich von mittlerer Statur,
in der Regel von dunklerer Gesichtsfarbe und regelmäßigen Gesichtszügen. Man findet
unter denselben Typen, die an Römer und Griechen erinnern. Insbesondere sind die
Bewohner des flachen Landes im Suczawer, Radautzer, Serether nnd Storozinetzer Bezirke
von seltener Schönheit.
Die Nationaltracht des Landvolkes besteht bei dem Manne in einem weißen, langen,
mit breiten Ärmeln versehenen, aus Hanf oder Lein verfertigten Hemde, dessen Brustöffnung
am Halse nur durch zwei an den Enden zumeist mit kleinen Quästchen versehene
Zwirnfäden (ebiotori) zusammengehalten wird, und dessen Saumtheil über die gleichfalls
aus Hanf oder Lein verfertigten Unterhosen bis zu den Knien hinabreicht. Das Hemd
hält entweder ein langer aus Wolle gewebter Gürtel (brau) oder ein kurzer, aber breiter
mit messingenen Schnallen versehener Doppelriemen (eursä) stramm um den Leib. Am
Halse tragen manche ein schwarzseidenes Halstuch. Als Fußbekleidung dienen Opintschen
(opiuei), hie und da auch grobe Schuhe (boeauel) und nur bei feierlichen Anlässen und
an Festtagen hohe, an der Knöchelbeuge mit Falten versehene, an den Absätzen mit Huf -
eisen beschlagene Röhrenstiefel. Die Opintschen werden um den Fuß mittelst einer sehr
langen, aus Roß- oder Ziegenhaar verfertigten und quer durch die am Rande befindlichen
Löcher gezogenen Schnur festgehalten, welche dann noch vom Knöchel nach aufwärts in
einer Breite von 1 bis Isis Centimeter um den Fuß zur Zierde und zum Schutze
gebunden ist. Die Weiber tragen eine eigene Art aus weiß-wollenem Tuche genähter
Gamaschen (eiorapi), die Männer aus eben demselben Stoffe verfertigte Hosen
(bernsveel oder cioareel). Über dem Hemde trägt man, je nach der Jahreszeit und
Bequemlichkeit, einen kurzen (poptäras) oder einen langen ärmellosen Pelz (paxtar)
oder einen vollständigen Pelzrock (eojoe). Alle drei sind aus gegerbtem Schaffell
und haben kein Oberzeug, weil die Außenseite hübsch weiß gemacht wird; alle drei
197
sind am Kragen, an der Brust und am Saume mit Iltis- oder schwarzem Lamm -
fell verbrämt (mr priirnrri), überdies manchesmal mit bunter Seidenstickerei verziert.
Der kurze ärmellose Pelz reicht nur bis zu den Hüften, der längere bis an die Knie, der
vollständige Pelzrock bis über dieselben hinab; sie werden mit aus weißem Schaffell
verfertigten Knöpfen und Schlingen vorne bis zur Gürtelnaht zugeknöpft. Über diese, im
Sommer aber statt derselben, trägt man noch einen eigenen langen, ohne Gürtelschnitt,
aber mit zwei Falten gegen den Rücken an beiden Lendenseiten versehenen, aus grau- oder
schwarzwollenem dicken Tuche ohne Unterfutter verfertigten Rock, der ebenso wie das
Tuch selbst „srmmiU genannt wird. Auch Mäntel (inLntä) tragen die Männer, ebenfalls
aus grobem, grau-, schwarz- oder weißwollenem Tuche verfertigt, gewöhnlich mit
einer Kapuze tzlussü) versehen und von glattem, langem Zuschnitt. Er muß breit
genug sein, da er manchmal über alle obigen Kleidungsstücke angezogen wird. Eine
besondere Art Mantel ist die sogenannte „mäirtü äo abä". Dieser Mantel hat einen Quer -
schnitt; er ist ohne Ärmel, an den Schultern ziemlich anpassend und mit einer Kapuze
versehen; er reicht bis an den Boden und hat am unteren Saume eine Breite von vier bis
sechs Metern. Er wird stets ans feinerem, schwarzwollenem Tuche verfertigt und nur von
wohlhabenderen Leuten bei größeren Feierlichkeiten, wie Hochzeiten rc., getragen. Wenn
der Mantelträger reitet, so breitet er denselben auf sein Pferd aus; geht er aber zu Fuß, so
wirft er in der Regel den linken Saumtheil auf die rechte Schulter, so daß er immer die
rechte Hand frei hat, die mit einem schönen Stock oder auch einer Pistole bewaffnet ist.
Als Kopfbedeckung dient den Männern im Sommer ein breitkrämpiger, schwarzer
Hut (püleris), im Herbst und Winter aber eine aus schwarzem oder grauem, seltener
weißem Lammfelle verfertigte Mütze (mrsnra). Hat die schwarze Mütze eine Höhe von etwa
40 bis 60 Centimetern, so heißt sie »ousmü tureüimaseö.« und wird gewöhnlich nur bei
feierlichen Anlässen und beim Kirchgänge getragen. Bei Frösten und auf Reisen trägt man
im Winter eine kurze, mit Ohrlappen versehene (eusmü cur ursclll), manchmal auch mit
Fuchsfell am Rande verbrämte Mütze (ousiaü <m vuipi); im letzteren Falle ist die Mütze
auf der Außenseite mit blauem, braunem oder rothem Tuche überzogen. Bei gelinder
Temperatur werden die Ohrlappen über die Mütze geworfen und rückwärts mit einer
ledernen Schnur zusammengebunden.
Die Nationaltracht der rumänischen Bäuerinnen ist sehr malerisch. Sie haben
dreierlei Hemden, die sich voneinander durch die an denselben angebrachten Stickerei-
Verzierungen und durch den Zweck unterscheiden. Die zum alltägigen Tragen bestimmten
Hemden sind zierlos und werden .eamosoi« genannt; die zum gewöhnlichen Ausgehen
bestimmten sind mit verschiedenen baumwollenen Punkten- und Blumenstickereien an den
offen gehaltenen Ärmeln und an der Brust versehen (oüinosi ou prn). Diese Stickereien
198
sind jedoch bei den für feierliche Anlässe bestimmten Hemden viel reichhaltiger, kunstvoller
und in Seiden- oder wollenen Fäden ausgeführt. Bei diesen Hemden sind die Ärmel an den
Handgelenken geschlossen und haben überdies oben an den Achseln eine eigene länglich -
breite, quer angebrachte Stickerei, die »altitü cu lrwi-stiturü« heißt, wovon auch diese
Gattung von Hemden »süirrssi ou altits« genannt werden. Als Rock tragen die Weiber
in der Regel die wollene, buntgewebte ,eütriirtü", seltener die leinene ,xrsjitoars° und
jetzt noch seltener den seidenen oder baumwollenen »psstenmn", über welche sie sich mit
einem viele Meter langen, zwei bis vier Finger breiten und buntfarbig gewebten Gurt -
bande (braust, kraugbis) umgürten. Statt dieser Röcke tragen wohlhabendere und ältere
Frauen auch einen an der Brust offenen Leibrock mit oder ohne Ärmel (roebis)
und über denselben eine Art Jacke (soui-tsieü) oder auch eine mit Fuchs- oder Iltis -
fellen oder auch mit einem Zeuge gefütterte, bis an die Knie reichende »eatavsioä«.
Außerdem tragen die Weiber, wie die Männer den ,psptar«, den ,eojoo« und den
,8muair«. Als Fußbekleidung haben sie Schuhe (päprwl, eirivim), schwarze Rvhrenstiefel
und Opintschen. Als Zeichen der Wohlhabenheit und angeseheneren Stellung gelten auch
jetzt noch die aus Saffianleder verfertigten gelben und rothen Stiefel.
Das Kopfhaar der verheirateten Frauen ist stets in einen oder zwei Zöpfe (eoch)
geflochten, welche auf den Scheitel gelegt und mit einem ,kss° ohne Quasten bedeckt werden.
Über diesen tragen sie ein langes, weißes, sehr fein gewebtes Handtuch (gröberes »stsi-^r«,
feineres „luLuLZtsi^rn'L«), seltener ein wollenes oder baumwollenes, färbiges und geblümtes
Tuch (tulpair). Ganz junge Mädchen theilen ihr Kopfhaar in zwei Hälften und flechten
es dann von der Mitte der Stirn an nach beiden Seiten in Zöpfchen (oosits), die dann
rückwärts in einen einzigen Zopf geflochten auf dem Rücken herabhängen. Die heiratsfähigen
Mädchen hingegen flechten ihr Haar nur von rückwärts hinunter in einen Zopf (eoaäü),
den einige auf dem Rücken herunterhängen lassen, andere aber auf dem Scheitel in einein
Halbkreise zu einer Art Krone formen und mit Perlenbändern verzieren, welcher Schmuck
dann »Ablta« genannt wird. Während der milden Jahreszeit tragen die Mädchen keine
Kopfbedeckung, wornach sie sehr leicht von den Frauen zu unterscheiden sind; bei einem
Todesfall in der Familie dürfen die Mädchen das Kopfhaar sechs Wochen hindurch
nicht flechten, sondern müssen es lose herabhängend tragen. Als Ohrenschmuck tragen
die Mädchen und die jungen Frauen Ohrgehänge (oerem), als Halsschmuck hingegen
Perlen (mür^els) oder ein aus Perlen gefertigtes und mit herunterhängenden Silber -
und Goldmünzen geschmücktes Halsband (salim). Dieser Schmuck, besonders an Fest -
tagen und bei Tanzunterhaltungen reichhaltig und geschmackvoll, richtet sich nach der
Wohlhabenheit der Trägerinnen und repräsentirt manchmal den Wert von mehreren
Hunderten von Gulden.
199
Die Nationaltracht der Bewohner des Flachlandes ist in der Regel viel zierlicher
und reichhaltiger ausgestattet als jene der Gebirgsbewohner, nicht etwa weil letztere ärmer
sind, sondern weil sie seltener gesellschaftlich Zusammenkommen und somit keine Gelegenheit
haben, einander an Geschmack und Kunst zu tiberbieten, oder weil sie sich scheuen, mit
werthvollem Schmucke zu prunken.
Die Kleidung des Adels und der Intelligenz ist heutzutage die allgemein europäische.
In früherer Zeit aber bestand sie beim Adel, bei der Intelligenz und bei den Städtern in
einem aus langgestreiftem seidenen oder wollenen Stoffe verfertigten, breiten, bis an die
Knöchel reichenden Kleide (äobon), das ein breiter, ebenfalls seidener und gestreifter,
Feldarbeitaushilse (ci-roä).
mehrere Meter langer Gürtel (brau) zusammenhielt. In diesen Gürtel steckte man die
Handwaffen: eine oder zwei Pistolen und den Dolch. Über diesen Sobon zog man einen
fast eben so langen, aus blauem oder schwarzem Tuche verfertigten und mit breiten Ärmeln
versehenen Talar (gludeä) mit oder ohne Unterfutter an, und über diesen, bei rauher
Witterung, noch ein ähnliches, aber mit feinem Pelz gefüttertes Kleid (blaua, eataveiea).
Bei Frösten und auf Reisen trug man einen großen Bären- oder Wolfpelz (subä). Als
Kopfbedeckung diente eine feine, cylinderartige, nicht lange Lammütze (eüeiuia), deren
Boden von außen mit Sammt überzogen war, und als Fußbekleidung Schuhe (papuey
oder Reisestiefel (mobotch. Auch die Reseschen, deren Lebensweise gegenwärtig von jener der
Bauern wenig verschieden ist, halten es, wenn sie auch noch so arm sind, unter ihrer Würde
gewöhnliche Bauernkleider zu tragen, suchen sich vielmehr von denselben, die Männer
200
wenigstens durch eine Weste (asiusckolas) und durch ein Paar Überhosen (irsckrsgl,
psntsloul), die Weiber durch einen Rock (kusts) und durch eine Jacke (seurtvies) oder ein
Mäntelchen (estsveies) zu unterscheiden.
Der Stoff zu den Kleidern und fast alle Kleidungsstücke werden im Hause selbst
zubereitet. Die rumänischen Frauen kleiden das ganze Hans. Und wenn die eine oder die
andere wegen Überbürdung nicht im Stande ist, den Hanf, den Flachs oder die Wolle
selbst zu spinnen, so wird eine Spinn- und Federschleißgesellschaft (elscs äs tor^ m cio
8cmrmlimt) veranstaltet, damit auf diese Weise die Arbeit rascher vor sich gehe.
Die Feldarbeit liegt den Männern ob; doch sieht man auch Weiber ihnen helfen,
so namentlich beim Henmachen, beim Heindeln von Kukuruz und Kartoffeln und beim
Einfechsen derselben. Wenn in solchen Fällen die Hausfrau einen Säugling oder kleine
Kinder hat, die sie nicht zu Hause lassen kann, so nimmt sie dieselben mit aufs Feld, bettet
sie irgendwo im Schatten und läßt sie da ruhen, wofern diese die Mutter nicht etwa durch
Weinen oder Aufschreien von der Arbeit abbcrufen.
Wenn die Wirthe viel Feld zu bebauen oder eine reiche Ernte einzufechsen haben und
daher mit den gewöhnlichen Arbeitskräften nicht das Auslangen finden, so veranstalten
sie für einen halben oder für einen Viertel-Tag eine Arbeitaushilfsgesellschaft, eine
sogenannte ,olses«, zu der alle arbeitsfähigen Dorfbewohner, von denen man sich eine
Aushilfe verspricht, Tags vorher eingeladen werden. Sind darunter junge Leute beiderlei
Geschlechtes, was gewöhnlich der Fall ist, so spielen wohl auch Musikanten lustige Weisen,
auf, und die Leute greifen eifrig bei der Arbeit zu, um darnach noch Zeit für den Tanz zu
gewinnen, der manchmal bis tief in die Nacht dauert, obwohl am nächsten Tage zeitlich
früh jeder wieder an der Arbeit sein muß. Bei diesen Klakas wird auch Trunk und Zubiß ver -
abreicht, seltener ein förmliches Mahl, letzteres in der Regel nur dann, wenn die Arbeit etwa
einen halben Tag gedauert hatte. Am interessantesten sind jene Klakas, die zum Schälen der
Maiskolben (ässlseutui pspusolului) Abends veranstaltet werden, da bei denselben allerlei
Märchen (basme, pvvsytl), Anekdoten (porogsuii), Spüsse (ssglri), Satiren (paesliturl),
Räthsel (Zlinilitiri-i), und Wortspiele (krsrituri äolimbs), wohl auch Gesangstücke (ckoiiw,
cmnteoe bstrlirostl) zum Besten gegeben werden. Da jedoch bei diesen Klakas die Arbeit
nicht immer zur vollen Zufriedenheit des Eigenthümers ansfüllt, so hat dies zu den Redens -
arten lrwru cko eines - ordinäre Arbeit, vorbs cke elses - unnützes Gerede, Anlaß gegeben.
Während die Landbewohner ihre ganze Aufmerksamkeit der Feldarbeit zuwenden,
von deren Ertrügniß sie sich erhalten und ihre nicht geringen Steuern zu zahlen haben,
beschäftigen sich die Gebirgsleute zunächst mit der Vieh-, besonders mit der Schafzucht.
Zu Beginn des Frühlings, gewöhnlich am heiligen Georg, werden die Lämmer von den
Mutterschafen geschieden Die Lämmer (mlm) werden mit dem übrigen unmelkbaren
20 l
Schafstande (rmoouro, eLrlunl, storpari, berdsei) auf eine besondere Gebirgsweide unter
der Obhut eines eigenen Hirten (eLrlLrmr) geschickt, während die melkbaren Schafe in einer
anderen weidereicheren Gebirgsgegend von mehreren Hirten (eiobuiü) geweidet werden.
Diese stehen unter der Oberaufsicht eines älteren, in der Schafzucht und Käsebereitung
wohlerfahrenen Mannes (buei). Hier wird dann auch eine Sennhütte (stürm, eoiibü) zur
Käse- und Milchbereitung bloß für die Sommerzeit errichtet. Diese ist aus rohen Balken
mannshoch gebaut, mit einem an der Frontseite offenen Giebeldache versehen, und hat
zwei Abtheilungen, von denen die eine, ,cüirmi-irie« genannt, zur Aufbewahrung der Milch -
erzeugnisse, die andere mit einem Feuerherde auf dem Erdboden in der Mitte als Küche
und als Schlafkammer benützt wird. Dem Oberhirten liegt nicht nur die Oberaufsicht
über die Mannschaft, den Weidestand und den guten Fortgang der Sennerei (stürm)
ob, sondern auch die Käse- und Milchbereitung (kueerou easrllui si a lapleiui) und
insbesondere die Vertheilung der Erträgnisse unter die Theilhaber, wenn die Schafherde
aus Milchschafen mehrerer Besitzer besteht. Für seine Verrichtungen hat er stets neben sich
einen Knaben als Gehilfen (strrmZar), der auch die Schafe, wenn sie zum Melken
eintreffen, in die Melkeinfriedung (kure) lenkt und sie dann durch mehrere in den Zaun
angebrachte Pferchen (strruaZü) den Melkenden in die Hand treibt.
Auf dem Flachlande, wo die einzelnen Bauern wenig oder gar kein Weideland
besitzen, aber dennoch Schafe halten müssen, um Wolle und Schaffelle, Käse und Milch
zum eigenen Hausgebrauche zu gewinnen, treten mehrere Wirthe zusammen und bilden
untereinander eine Sennerei entweder bei sich im Dorfe oder im Gebirge. Der Antheil an
Käse und Milch wird in solchen Fällen nicht nach der Anzahl der in die Senne gebrachten
Schafe, sondern nach der Milch, welche die Schafe bei ihrem ersten Melken geben, bestimmt.
Diese Gesellschaftssennereien gehen dann auseinander, wenn jeder Gesellschafter seinen
Antheil und die Hirten ihren Lohntheil erhalten haben, was gewöhnlich Ende August oder
im Laufe des September geschieht.
Solange die Schafe in der Senne verbleiben, ist keinem Hirten gestattet, an
Belustigungen und Tanzunterhaltungen theilzunehmen, weil nach dem Volksglauben in
solchen Fällen die Schafe, die man als geheiligte Thiere betrachtet, entweiht und beschrieen
werden, ihre Milch verlieren und auch mehrere von ihnen zu Grunde gehen müssen.
Während der Sennzeit reiben die Hirten ihren Körper mit Schafbutter ein und
tragen kohlschwarze Wäsche, die sie vorerst in Butter tauchen und mit Kohlenpulver dicht
bestreuen, und zwar zu dem Zwecke, damit sie von Ungeziefer aller Art, besonders von
den Zecken (ellmi-elrltMe, eLxusi) nicht belästigt werden; die Hemden werden auch gar
nicht gewaschen. Die Hemdärmeln werden während des Melkens anfgeschlagen und an
einem auf den Achseln angebrachten messingenen Knopfe befestigt.
202
Wenn die Hirten ihre Herde auf die Weide treiben, so nimmt ein jeder außer dem
Hirtenstvcke auch noch eine Hirtenflöte (tlrwr) mit, der sie die schönsten Weisen zu entlocken
wissen. DieSchafe werden dreimal täglich gemolken und zu diesem Zwecke von demOberhirten
mittelst eines etwa zwei Klafter langen, dünnen und nur an der Endseite breiten Rohres
(lnreluin) von der Weide gerufen. Die Rufmelodien sind sehr hübsch, werden weithin gehört
und erwecken einen feierlichen Wiederhall in den Bergen. Nach dem Abendmelken werden
die Schafe noch auf kurze Zeit, gleichsam zum Spaziergange (m pornonlü), auf die Weide,
hierauf in die Einfriedigung (türlü) getrieben. Die Hirten speisen, unterhalten sich eine Zeit
lang und legen sich hierauf schlafen, um noch vor Sonnenaufgang die Schafe wieder auf
die Weide zu treiben. Den nächtlichen Wachdienst besorgen die Hunde.
Im Spätherbste verlassen die Gebirgsbewohner ihre Sennhütten, um mit den
Herden da zu überwintern, wo sie Heu genug gemacht haben, und wo sich für sie ein
ärmliches Häuschen (oäalch, für die Viehstücke eine ganz- oder halbgedeckte Umfriedigung
(tare, oool) befindet. Die nun eintretenden rauhenTage des Herbstes gemahnen die zerstreuten
und geschäftigen Bewohner sich wieder um den Hausherd zu versammeln und für die Bedürf -
nisse des herannahenden Winters zu sorgen. Die Gebirgsbewohner steigen in ihre Thäler
herunter, versorgen das Haus mit dem nöthigen Brennmateriale, beginnen Tannenbäume zu
fällen, Klötze für Schindeln und für die Sagemühlen vorzubereiten und den letzteren zur
Verarbeitung zu Brettern, Pfosten, Latten rc. zuzuführen. Die Bewohner des flachen Landes
aber beginnen, nachdem sie ihre Feldfrüchte eingeheimst und in Scheuern (stoäoalü) oder
auf Tennen (arich in Schobern (stoA untergebracht haben, das Getreide auszudreschen
und die Frucht in Speichern (büinbnr, ArLnar) unterzubringen oder auf den Markt zu
führen. Das Dreschen des Getreides und die Zufuhr des Brennmaterials aus dem Walde
für ein ganzes Jahr sind die Hauptbeschäftigung des Landmannes während des Winters;
ist dies zu Ende, so bleibt ihm nur noch die Pflege seines Viehstandes und die Ausfuhr des
Düngers auf die Felder übrig.
Nicht so verhält es sich mit der Arbeit der Frauen. Bei diesen dauert auch während
der Winterzeit die Beschäftigung ununterbrochen fort. Sobald sie den Männern auf dem
Felde wenig oder gar nichts mehr zu helfen haben, fangen sie an, die Wolle zu waschen
und zu krämpeln, den Hanf und Flachs zu weichen, zu brechen, zu hecheln und zu bürsten,
hierauf alles zum Spinnen und für den Webstuhl (stativü poirtru tosut) vorzubereiten
und endlich allerlei Leinwand und Tuchgattungen zu weben und verschiedene Wäsche für
die Angehörigen anzufertigen. Daher auch der Spruch: »Usirwaa imbraLÜ ausu! — Das
Weib kleidet das Haus!" Um an den langen Winterabenden die Arbeitslust für längere
Zeit rege zu erhalten, versammeln sich, sobald es dunkel wird, mehrere Nachbarinnen,
abwechselnd bei einer aus ihrer Mitte oder in einem eigens dazu gemiethetenLocale, indem eine
203
jede die für den Abend zu verrichtende Arbeit mitbringt. An diesen Abendversammlungen
choäetoai-o) nehmen in der Regel nur heiratsfähige Mädchen und junge Frauen Theil.
Manchmal kommen auch die Männer der jungen Frauen und auch heiratslustige Burschen
nach Verrichtung ihrer Geschäfte in diese Versammlungen und tragen auch ihrerseits durch
Spässe, Räthsel, Lieder und andere Belustigungen zur Förderung der Unterhaltung und
der Arbeit bei. Diese Abendzusammenkünfte werden in der Regel nur bis gegen
Weihnachten abgehalten.
Multimsn eopiilor, bnenrioa si avorsa UomLiinlui! --- Die Menge der Kinder
ist die Freude und das Vermögen des Rumänen!" sagt ein Sprichwort. Demgemäß fühlt
sich jede Rumänin höchst unglücklich, wenn sie keine Kinder hat. Gelangt sie jedoch in
gesegnete Umstände, so ist ihre und des Mannes Freude umso größer; beide sind von den
Rumänische Sennhütte (stüiiü).
besten Hoffnungen beseelt und denken fortwährend an die Nachkommen, die nicht nur
ihre Namensträger und Erben, sondern auch dankbare Pfleger im Greisenalter und
fromme Fürbeter für ihr ewiges Heil sein werden. Deshalb hütet sich auch die
zukünftige Mutter vor allem, was dem zukünftigen Weltbürger schaden könnte, umsomehr,
da sie jede Mißgeburt für das größte Unglück und jedes tvdtgeborene Kind für eine schwere
Sünde hält.
Beim Heraunahen ihrer Zeit beichtet und commnnicirt die Frau und zahlt wohl
auch Messen für eine glückliche Niederkunft. Gleich nach der Geburt des Kindes und der
ersten Pflege der Wöchnerin (loku^L, iropoatü) nimmt die Hebamme das Kind, legt es
ans den Erdboden und ruft den Ehemann herbei. Dieser tritt bedeckten Hauptes in das
Zimmer, hebt das Kind auf, zum Zeichen, daß er es als das seinige ansieht, küßt dasselbe
und übergibt es der Mutter mit einem Kusse auf die Stirn. Wird dein Ehemanne bei
dieser Gelegenheit von der Hebamme die Kopfbedeckung abgenvmmen, so steigert sich die
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Freude, weil dies die Bedeutung hat, daß das Kind ein Knabe ist. Hierauf wird der
Ortsseelsorger verständigt, der das Kind und das ganze Hans mit Weihwasser besprengt
oder dies durch die Hebamme verrichten läßt, auf daß der böse Geist und andere Unglücks -
fälle von dem Kinde und dessen Mutter ferngehalten werden. Sobald die Nachbarinnen,
die Anverwandten und die Freundinnen der Frau von deren glücklichen Niederkunft
Kenntniß erhalten, eilen sie mit allerlei Geschenken (rockiu), die zumeist in Nahrungsmitteln
bestehen, herbei, um den neuen „Gast" (ouspo) zu bewillkvmmen und dessen Mutter zu
beglückwünschen. Dies dauert bis zur Taufe, die, wenn die Umstände es nicht anders
erheischen, am achten Tage nach der Geburt vorgenommen wird.
Es ist allgemeiner Volksglaube, daß bis zum dritten Tage nach der Geburt des
Kindes die Schicksalsgöttinnen (uräitourolo, uräitele) zu dem Neugeborenen kommen und
die bedeutenderen Ereignisse für sein Leben feststellen. Daher sagt auch der Erwachsene,
wenn er im Leben von Unglücksfällen heimgesucht wird, oder wenn es ihm besonders gut
geht: kost uräitu! — So war es mir beschieden!" Während dieser drei Tage
breunt die ganze Nacht hindurch das Licht im Zimmer, wobei mau aber die Fenster so
verhängt, daß man von draußen das Licht nicht bemerkt, da es sonst den böswilligen
Frauen oder Hexen leicht würde, den Neugeborenen des ruhigen und stärkenden Schlafes
zu berauben und ihn zum fortwährenden Weinen zu bringen (sä eapsto Mirsori).
Nach der Taufe des Kindes wird in der Regel ein Schmaus (cumüti-io) zu Ehren
der Taufpathen (vumütri, irüimsl) und der eingeladenen nächsten Verwandten, Nachbarn
und Freunde veranstaltet, bei welcher Gelegenheit die Taufpathen den Täufling mit einem
Viehstücke oder mit Geld beschenken und die Gäste ebenfalls Geschenke mitbringen. Das
Bad (seüläuseü), in welchem der Täufling das erste Mal nach der Taufe gebadet wird,
wird in dem Garten an der Wurzel des größten, schönsten und fruchtbarsten Obstbanmes
ausgegvssen, auf daß das Kind ebenso hübsch wachse und gedeihe. In dieses Bad werden
auch Geldstücke für die Hebamme geworfen; in die folgenden Bäder aber werden allerlei
wohlriechende, reinigende und stärkende Pflanzen gethan, damit das Kind sich kräftige,
entwickle und besonders die Mädchen sich schön entfalten.
Sobald die Mutter die Führung des Hauswesens wieder übernimmt, so legt sie
vor dem ersten Ausgang, quer über die Wiege oder an dieselbe den Kehrbesen oder den
Schürhaken, damit nicht böse Geister und Hexen das Kind verunstalten oder es gar mit
einem anderen garstigen und krüppelhaften vertauschen können; vom Hause aber darf sich
die Mutter durch vierzig Tage nicht entfernen, nicht einmal zu den Nachbarn und in die
Kirche. Erst nach Ablauf dieser Zeit geht sie mit dem Säugling zur Kirche und wartet
draußen, bis der Geistliche die vorgeschriebenen Gebete verlesen hat und ihr den Eintritt
in die Kirche gestattet; hierauf nimmt er das Kind aus seinen linken Arm und trägt es
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unter Gebeten in dieselbe, verneigt sich mit demselben bei den vier unteren Hauptbildern
der Jkonostasis, tritt, wenn es ein Knabe ist, mit demselben auch an die rechte Seite
des Altartisches und übergibt es dann, zuriickgekehrt, der Mutter, die es nach der heiligen
Liturgie zur Communion bringt.
Wenn die Mutter mit ihrem Säugling aus dem Hause unter die Leute geht, sv
bindet sie demselben etwas Rothes um den Hals vder um die Windeln, damit er von
Niemandem beschrieen werde (ea sü uu se ckioaelüe). Daher muß auch jeder, der das
Kind betrachtet und von demselben spricht, sagen: ^pkiu, ptiu! sa uu lie äs
Anerkennung der Vaterschaft.
^ioe , es soll nicht beschrieen werden". Die Rumäninnen säugen selbst ihre Kinder;
beim Schaukeln in der Wiege singen sie ihnen nicht selten einschläfernde Lieder (eüulsea
<la lauAuir) vor. Das Säugen (lapkuro) des Kindes dauert in der Regel zwölf bi^? achtzehn
Monate. Wird ein Kind krank, so wendet die trostlose Mutter allerlei Hausmittel au,
von denen die alten Weiber eine Menge zur Verfügung haben; helfen diese nicht, so glaubt
man, daß böse Geister die Entwicklung des Kindes verhindern wollen und nimmt dann
entweder die Hilfe des Priesters vder die Kraft der BesPrechungsfvrmeln «äaseLuteech in
Anspruch. Hilft auch das nicht, so wird der Daufuame des Kiudev mit einem anderen, oft
sogar dem Gattungsnamen eines Thieres vder einer Pflanze, wie Impul lWolf), Ilrsul (Bär),
Lujor (Pfingstrose), lAoarsa (Blume), Ouiotitu (Nelke) re. vertauscht, in der festen
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Meinung, daß hiedurch die Genesung des Kindes herbeigeführt wird; trifft es wirklich zu,
so behält das Kind den Namen fürs Leben.
Sobald die Kinder zu gehen beginnen, so üben sie Körper und Geist durch allerlei
Spiele, die sich auf ihren künftigen Beruf beziehen. Zu den Spielen für beiderlei Geschlechter
gehören: clo-u iriltu ourkü --- die blinde Katze (Kuh); cis-u puil Ao,ii oder cks-u puü u
ssuieu die Küchlein und der Geier; clo-u pourou ^ Schweintrieb zum Markte, rc.
Die Lieblingsspiele der Knaben sind zumeist: cko-u iruugso, — Ballspiel; clo-g, purstolo
oder cko-u motu — Ballkriegsspiel; cks-u träntu — Ringspiele rc.
Das Ballspiel (äe-u luiriAsu) wird von zwei oder drei Paaren Knaben gespielt, von
denen ein oder zwei Paare, mit Stöcken versehen, sich in einiger Entfernung voneinander
postiren und ein kleines Loch in die Erde graben, worin sie das Ende des Stockes
fortwährend halten müssen, damit nicht einer von den zwei hinter ihnen stehenden Ball -
werfern den Ball in dasselbe stecken könne. Während der eine Ballwerfer seinem Partner
den Ball zum Einfangen zuwirft, suchen diesen die Gegner mit den Stöcken zu treffen, die
Stöcke dann aneinander in der Mitte der Bahn anzuschlagen (äuu tieu), hierauf schnell zu
den Löchern zurückzukehren und die Stöcke in dieselben zu stecken, bevor die Gegner den
Ball darein legen; geschieht dies doch, so werden die Ballschläger zu Ballwerfern.
Beim Ballkriegsspiel wird die ganze Gesellschaft von zwei aus derselben gewühlten
Commandanten (kuta, irminu) zuerst in gleichwärtige Paare sortirt und über jedes Paar
von den Commandanten zur Auswahl das Los geworfen. Ist auf diese Weise die Spiel -
gesellschaft in zwei gleiche Hälften getheilt, so wird noch einmal gelost, welche Hälfte zuerst
zum Ballschlageu kommt. Dann wird von dem Platze der Ballschläger an, nach einer zum
Ballschlagen günstigen Richtung, eine ziemlich weite Entfernung durch irgend ein Zeichen
lpurots, motu) markirt. Hinter diesem Markzeichen stellen sich die Ballfänger weit
auseinander zerstreut auf, während die Ballschläger oben beisammen bleiben und jeder
derselben nacheinander den Ball gegen seine Gegner dreimal zu schlagen sucht und im
Verlaufe der drei Schläge oder nach denselben, wenn ein anderer den Ball gut getroffen
und weit geschlagen hat, die ganze Bahn bis zum Markzeichen hin und zurück durchlaufen
muß. Kann er dies nicht, oder wird der Laufende von einem der Gegner mit dem ergriffenen
Balle während des Laufens getroffen, oder wird der Ball aus der Lust mit den Händen
eingefangen, so kommen die Ballfänger an die Reihe zum Ballschlagen. So wird das Spiel
abwechselnd beliebig lange fortgesetzt.
Beim Ringkampf (trLntü) wird besonders die Körperkraft und der Erfindungssinn
geübt. Es gibt vorzüglich drei Gattungen der trirckä, die trLntu clrouptü — regelrechter
Ringkampf, voiiuLouseZ. — heldenartiger und tulllürouseä oder llotuseü — diebischer
Ringkampf. Bei der trüirtu ckrouptä fassen sich die Ringenden kreuzweise an den Schultern,
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bei der tranta voinioeasoü kreuzweise um die Mitte oder am Gürtel, bei der trauta
llotaseü oder tälllüroasoL aber werden, bei beliebiger Anfassung, allerlei Kunstgriffe
angewendet, um den Gegner zu Boden zu werfen. Wer im dreimaligen Ringen den Gegner
mehrere Male zu Boden geworfen hat, bleibt Sieger.
Die Spiele finden während der warmen Jahreszeit an Sonn- und Feiertagen, oder
beim Weiden des Viehes statt, wo die Spielenden über genug freien Raum verfügen.
An Tanzspielen nimmt nur die reifere, heiratsfähige Jugend theil. Von den verschie -
denen Tänzen erwähnen wir hier nur die Illora oder Nolckovsneasoa — Kreistanz, den
^reaiull oder die ^reauaüa, die Lorabieasea, die Oloanckra, den (lloearlauul, den Oo-u
piporlul, die ^rcleleana oder ^räslsairea, die IIuAuroanoa oder IIuAurenouta, die
lllusasea, die Lörbeasoa.
Bei der Hora (luolckovsneasea) bilden die Paare einen geschlossenen Kreis und
machen in wiegender Bewegung des Körpers und der Hände, je nachdem sie den Kreis
verkleinern oder erweitern wollen, auf Commando einen oder zwei Schritte vor- und
eben so viele rückwärts, stampfen in der Mitte mit dem rechten Fuße dreimal auf den
Boden, wiederholen dieses Verengen und Erweitern des Kreises oder gehen hierauf zwei
oder drei Schritte nach links und einen oder zwei nach rechts, und variiren die Schritte
und die Bewegungen immer auf Geheiß des Anführers und im Tacte der Musik, die bei
diesem Tanze mitten im Kreise spielt, so lange es dem Kommandanten beliebt.
Die ^reanaüa oder der ^.reauul und der Do-a piporlui sind Kettentänze; beim
ersteren tanzen nur Burschen, beim letzteren auch Mädchen. Beim ^rcarull fassen sich die
Burschen gegenseitig am Gürtel und machen unter dem Kommando des Anführers, der
einen Stock in der rechten Hand hält, verschiedene Schwenkungen um die Musik, bald
nach vorne, bald nach rückwärts und führen dabei, bald sich duckend, bald aufspringend,
allerlei kunstvolle Bewegungen aus. Beim vo-a piperlui legen die Tanzenden die Hände
einander auf die Schultern und machen unter Anführung des an der Spitze Tanzenden
verschiedenartige Bewegungen nach links und durchkreuzen von Zeit zu Zeit, bald hier,
bald dort, die Kette unter den aufgehobenen Armen der Tanzenden.
Die übrigen genannten Tänze find Rundtänze und werden immer paarweise nach
dem Taete der betreffenden Melodien ausgeführt, nur beim Oloearlanul machen die Paare
vier Schritte vor und zwei rückwärts, stampfen mit dem Fuße, wiederholen dieses noch
einmal und drehen sich dann nach der einen und nach der anderen Seite. Bei der ^räslsaima
fassen sich nicht nur zwei, sondern auch mehrere Personen beiderlei Geschlechtes zu je einem
kleinen Reigen und alle diese Reigen tanzen sodann in der Runde nach einander, sich dann
und wann drehend. Der Oloauckra-Tanz ist eine Art Hora und wird gewöhnlich bei dem
Hinaustragen der Mitgift der Braut aus dem väterlichen Hause und beim Ausladen
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derselben vorgespielt. Das Hinanstragen der einzelnen Stücke der Mitgift geschieht unter
fortwährendem Tanzen der Träger (soaeä ckestrea).
Bei den Ulora-Tänzen Pflegen die Musikanten auch sogenannte klora-Gesänge (bore)
zu singen. Meist aber sind es einige aufgeweckte Burschen, die während des Tanzes nach dem
Tacte der Musik zwei- bis sechs- und achtzeilige Strophen, sogenannte striAaturi, ebirnturi,
zumeist satirischen Inhaltes, zur allgemeinen Erheiterung recitiren. In diesen 8triȟturi oder
ebirnturi werden nicht nur die Schwächen beiderlei Geschlechtes und die Liebesverhältnisse
in beißender Weise gegeißelt, sondern auch hervorragende geistige und körperliche Eigen -
schaften gepriesen.
Die allgemeinen Tanzunterhaltungen werden gewöhnlich nach der Katechisation an
Sonn- und Feiertagen veranstaltet, und zwar vor der Kirche, vor dem Gemeinde -
hause oder vor dem Wirthshause, auch vor dem Dorfbrunnen, wenn ein entsprechend weiter
Raum da vorhanden ist und schattenreiche Bäume Vorkommen, da bei solchen Tänzen
nicht blos die tanzlustige Jugend, sondern auch ältere Leute, ja sogar Greise sich versammeln.
Während die junge Welt theils dem Tanze huldigt, theils anderweitig sich unterhält, sitzen
vder stehen die älteren Personen auf der Seite, betrachten mit Wohlgefallen die tanzlustige
Jugend und führen untereinander landwirthschaftliche Gespräche, erzählen sich heitere
Erlebnisse oder planen zukünftige Verschwägerungen. An vielen Tanzplützen ist auch eine
Schaukel angebracht, welche zumeist von denjenigen der zuschauenden Jugend in Anspruch
genommen wird, die ihrem Alter nach noch nicht zu den Tänzern gehören.
Die heiratsfähigen Burschen (altei, boltei, tlaeLu) und Mädchen (lbtü irmre)
dürfen Tanzunterhaltungen erst dann besuchen, wenn sie bei den Hochzeitsrednern, den
sogenannten eolüeerl oder eoloeerl (eolloquarü), Tanzunterricht genommen haben. Dieser
wird ihnen in der Zeit Vvn Weihnachten bis nach dem Jordanfeste in hiefür geeigneten
Häusern ertheilt. Diese Zusammenkünfte heißen verg'el (6ere1e- oder Jungfernunterhaltung)
vder bare oder ksreau (Unterhaltung mit Gelage). Die Burschen erscheinen dabei (äuu in
bere) ohne Begleitung, die Mädchen dagegen stets in Begleitung der Mutter oder einer ver -
heirateten Schwester oder einer anderen unverwandten Frau (ruerg- 1a ver^el, la bare,
bsrean). Bei diesem Gange schreitet das Mädchen voran, und die begleitende Frau folgt mit
einem Kölnischen auf den Armen nach. Beim Eintritt in den Unterhaltungsort werden sie
vvn einem eoloeer bewillkommt, der auch das dargebrachte Geschenk in Empfang nimmt
und auf den Tisch legt. Für die Getränke (bsre, beuturL) sorgen die Burschen. Wenn eine
hinlängliche Anzahl von Personen sich versammelt hat, so beginnt die Unterhaltung, die in
allerlei Tänzen besteht; die mündliche Unterhaltung ist hiebei immer Nebensache. Wenn die
Eltern mehrere Töchter haben, so gestatten sie der jüngeren nicht eher auf einer Tanz-
unterhaltung zu erscheinen, als bis die ältere Tochter verheiratet ist; nur wenn diese
209
Bukowina.
körperliche und geistige Gebrechen hat und Aussicht für ihre Verheiratung nicht vorhanden
ist, wird die jüngere zu den öffentlichen Tanzunterhaltungen geführt. Aus diesem Grunde
findet man auch höchst selten, daß eine jüngere Schwester vor einer älteren heiratet.
Die Heiratszeit der Mädchen ist das 15. bis 20. Lebensjahr. Hat ein Mädchen
das 25. Lebensjahr erreicht, so heißt es katä statuta oder lata tu per, das ist ein sitzen -
gebliebenes oder bemoostes Mädchen, und eine solche heiratet höchst selten. Die Heirats -
zeit der Burschen variirte in früherer Zeit zwischen dem 18. und 25., jetzt aber wegen des
Empfang des Bräutigams im Hofe der Braut.
Militärdienstes zwischen dem 24. und 30. Lebensjahre. Heiratet ein Bursche bis zu seinem
30. Lebensjahre nicht, so heißt er lieior oder klLoau toiuuatio (Herbstbnrsche), und burlao
oder burctao (Hagestolz in der üblen Bedeutung ohne Hans und Tisch), wenn er nie heiratet.
Wenn ein Bursche aus eigenem oder aus Antrieb seiner Eltern heiraten will, und
bereits eine Wahl getroffen wurde, wobei immer die Meinung der Eltern maßgebend ist,
so schickt man zwei angesehene Männer aus der Verwandtschaft zu den Eltern des in Aus -
sicht genommenen Mädchens behufs näherer Erkundigung und Werbung (so äue in
potito, in stüroslio, insrg po voäoro). Sind die Eltern des Mädchens mit dem Vor -
haben nicht einverstanden, so weisen sie die Gäste (xstitom, slaroskl) nicht rnndwegs
ab, sondern bringen allerlei Entschuldigungen vor. Ist ihnen aber der Bursche und die
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210
Verschwägerung (iuermeriro) willkommen, so werden die Brautwerber wärmsteus aus -
genommen und bewirthet. Bei dieser Gelegenheit wird nur im Allgemeinen über die Mitgift
(ct68tre) der Braut und über den Vermögensstand des Bräutigams gesprochen. Nach
einigen Tagen oder Wochen kommen die Brautwerber (pstitori) wieder zu den Eltern der
Braut, diesmal aber mit dem Bräutigam selbst und mit den Eltern desselben. Während
nun das junge Paar bei Seite im Zimmer oder auch draußen sich gegenseitig verständigt,
besprechen die Eltern die Ausstattung ihrer Kinder, und nachdem sie sich in dieser Beziehung
geeinigt, befragen sie dann auch die Jungen um ihre Meinung. Wenn diese nichts dagegen
haben oder nicht dagegen zu sein sich getrauen, was sie nur höchst selten offen heraussagen,
geben sie ihre verschämte Zustimmung dadurch kund, daß sie ihre Unerfahrenheit vorschieben
und sich auf das Wohlwollen der Eltern gegen ihre Kinder berufen. Hierauf wird dem jungen
Paare die beiderseitige Ausstattung bekanntgegeben. Die Eltern reichen sich gegenseitig
unter Glück- und Segenswünschen die Hände, und das junge Paar küßt den Eltern unter
Danksagungen und mit Thränen in den Augen die Hände. Hiermit ist die Verlobung
geschlossen (uu tueut ls^üturu si luersckiirtursu), worauf gleich auch der Trauungstag
festgesetzt wird. Von dieser Zeit an führen die Jungen den Namen Bräutigam (inirch und
Braut (rmreusü).
Nun beginnen die Hochzeitsvorbereitungen. Zuerst wird für die Aussteuer der Braut
eine schönbemalte Truhe (InäL) gekauft, in welche die Wäsche derselben gethan wird.
Alsdann bereitet die Braut die Hochzeitsgeschenke (äururi) vor: für den Bräutigam einen
vollständigen Wäscheanzug chellimduri), für die Eltern desselben je ein Hemd (eüin6L3Ü
(io 8oacrü m cko 3oeru), für die nächsten Anverwandten desselben und für die Brautwerber
Handtücher (rirurEtsi-Furi, sksrKuri) und für die Brautführer (vLtäsoi) und die Kranzel-
mädchen (ärimko) Taschentücher (imtrumi). Alles dieses wird während des Brautstandes,
und zwar mit Unterstützung von Freundinnen sorgfältig genäht und mit Woll- und Seiden -
stickerei verziert. Der Bräutigam aber kauft für seine Braut hübsche Schuhe oder Stiefel,
Socken, einen Spiegel und ein großes, wollenes oder seidenes Kopftuch (bull, llobot), das
sie bei der Trauung trägt und mit dem sie beim Haupthochzeitsmahle auch verschleiert wird
(86 IiubLitou^ü, 86 iickiobotu). Hierauf werden zu Brautführern (vatüfoi) und zu Kranzel-
mädchen (ärrmkch beiderseits je zwei heiratsfähige Burschen und Mädchen aus den
nächsten Verwandten und Freunden des Bräutigams und der Braut gewählt und
Musikanten bestellt. Die Brautführer gehen, hübsch gekleidet, die geschenkten Taschentücher
um die Stöcke gewunden und jeder mit je einer schönverzierten hölzernen Flasche von der
Form einer zusammengepreßten Kugel (piosmL), etwa sieben bis vierzehn Tage vor der
Trauung, von Haus zu Haus, um die gewünschten Gäste von der bevorstehenden Hochzeit
in einer gereimten Ansprache in Kenntniß zu setzen und zu derselben unter Zutrinken
211
aus der mitgenommenen Flasche einzuladen. Die eingeladenen Gäste begeben sich schon
vor dem Trauungstage, manche aber erst an diesem, zu den Brauteltern, um dieselben
zu beglückwünschen, erscheinen aber hiebei niemals mit leeren Händen, sondern bringen
stets etwas, wie Geflügel, Eier, Butter, Käse, Mehl, gedörrte Früchte oder was sonst zur
Bereitung des Hochzeitsmahles verwendet werden kann, mit sich.
Am Abende vor dem Trauungstage, der in der Regel auf einen Sonntag, seltener
auf einen Donnerstag fällt, schickt zuerst der Bräutigam durch seine Brautführer an die
Braut die vorbereiteten Hochzeitsgeschenke (äarurl), in Begleitung einiger Burschen und zweier
oder dreier Musikanten, die unterwegs verschiedene Märsche und Lieder spielen, während
die Überbringer der Geschenke fortwährend Juchhe schreien (ekius). Sobald man im
Hause der Braut die letzteren herannahen sieht, setzt sich die Braut zwischen ihre Kranzel-
madchen an den Tisch und erwartet so die Ankunft der Gäste. Diese werden draußen von
den Führern der Braut mit Musik empfangen und in das Zimmer geleitet. Hier überreicht
der Führer die Geschenke. Die gereimte Ansprache, die er dabei hält, ist fast stereotyp und
Braut und Bräutigam werden in derselben stets mit impsrut (Kaiser) und tmparülaaski
titulirt. Die Braut erhebt sich, nimmt die Geschenke in Empfang, begrüßt mit einem vollen
Glase den Redner, trinkt aber aus demselben nicht, sondern gießt den Inhalt über den
Kopf nach rückwärts aus, füllt es wieder und überreicht es dem Sprecher. Dieser trinkt
den Eltern der Braut, diese trinken den übrigen Gästen zu. Nach kurzen: Schmause, während
dessen die Musik spielt, erhebt sich die Jugend sammt der Braut zu einem Hora-Tanz,
umkreist, sich an den Händen haltend, dreimal den Tisch und begibt sich dann zur Fort -
setzung des Tanzes auf den Hof. Hier verabschieden sich nach einiger Zeit die Abgesandten
des Bräutigams. Bald darauf schickt auch die Braut auf gleiche Weise ihre Hochzeits -
geschenke chalnuiduri) an den Bräutigam, die unter demselben Ceremoniel übergeben und
in Empfang genommen werden. Auch hier wird nach dem Schmause getanzt.
Am Trauungstage, wenn die Kirchenglocken den Beginn der heiligen Liturgie
ankündigen, brechen Braut und Bräutigam, jeder von seinem Hause, in Begleitung der
eigenen Hochzeitsgäste und der Musik, der Bräutigam in der Regel zu Pferde, die
Braut aber immer in einem von Pferden oder vier Ochsen gezogenen Wagen (nur im
Gebirge pflegt auch die Braut zu reiten) in die Kirche auf, wo sie dem Gottesdienste
beiwohnen. Nach Beendigung desselben wird das Brautpaar durch die Beistände MM
luurh zum Trauungstische geführt, wo es sich auf einem Teppiche, unter welchen einige
Münzen für den Kirchendiener gelegt werden, aufstellt, während die Beistände mit großen
Kerzen in der Hand hinter demselben stehen. Nun nimmt der Priester zuerst die kirchliche
Verlobung (logockim) durch den Ringwechsel (Zelrimburau iuslalor) vor, dann die
Trauung (ermuuia) durch Auflegung der Trauungskronen (eunuiü) auf die Häupter der
14*
212
Verlobten. Zum Schlüsse faßt der Beistand mit der einen Hand die Stola (spitratir)
des Priesters, mit der anderen die Hand des Bräutigams, dieser die der Braut und diese
wieder die der Beistandin und so umkreisen sie dreimal den Trauungstisch, indem Priester
und Kirchensänger das Lied Zsaisa äarllrmsko" anstimmen. Bei dieser Gelegenheit werfen
die Brautführer Wall- und Haselnüsse, ja auch Zuckerwerk über die Getrauten und das
anwesende Publicum zum Zeichen, daß die Getrauten die jugendlichen Freuden abstreifen,
und mit dem Wunsche, daß ihr Familienleben im Überflüsse verlaufe. Als ungünstiges
Zeichen gilt es, wenn bei der Verlobung ein Ring oder beim Gange um den Tisch eine
Trauungskrone hinabfällt.
Nach vollzogener Trauung wird das junge Paar von den Brautführern und Kranzel-
mädchen in die Mitte genommen und vor die Umfriedung der Kirche hinausgeführt, wo sie
einen kurzen Hora-Tanz aufführen. Hierauf kehren Braut und Bräutigam in der Weise, wie
sie in die Kirche gekommen waren, nach Hause zurück, wo jedes von seinen Eltern und
nächsten Verwandten mit Brot und Salz empfangen und ein kleiner Imbiß eingenommen
wird. Sodann besteigen der Bräutigam und seine Brautführer (vLtäjm) wieder ihre Pferde
und begeben sich mit den anwesenden Verwandten und Gästen unter Musikbegleitung,
Pistolen- oder Pöllerschießen und Hellem Jauchzen zu der Braut.
Sobald die Brautführer der Braut erfahren, daß der Bräutigam mit seinen
Hochzeitsgästen nahe, eilen sie hinaus und sperren das Thor ab. Die Anführer des
Bräutigams suchen zwar in den Hof einzudringen, werden aber von denen der Braut
aufgehalten und befragt, wer sie seien und was sie wünschen. Nun entspinnt sich ein
längeres Zwiegespräch in Reimen zwischen den beiden Hauptanführern. Jener des
Bräutigamsgefolges bringt vor, sie wären Jäger, hätten ein hübsch gewachsenes und
hurtiges Reh angeschossen und bis hieher verfolgt; sie bäten demnach um die Erlaubniß,
es hier suchen zu dürfen. Der Hauptanführer der Brautgäste stellt das anfangs in Abrede
gibt aber schließlich die Möglichkeit zu und öffnet das Thor. Beim Betreten des Hof -
raumes kommt ihnen die Hausfrau oder eine andere Verwandte mit einem großen
Kölnischen und einer Kanne frischen Wassers entgegen, worin Weihwasser gegossen wurde,
und worin auch ein Strauß aus Basilienkraut (busukoo) steckt, und besprengt damit die
Eintretenden. Einer aus dem Gefolge des Bräutigams erhascht den Kölnischen, steckt einen
Stock in denselben und reicht einem Genossen das andere Ende des Stockes; dieser faßt
schnell dasselbe und nun halten beide den Stock mit dem Kölnischen in der Mitte in solcher
Höhe, daß der reitende Bräutigam beim Eintritte in den Hofraum dreimal unter demselben
durchreiten kann. Beim dritten Male steigt der Bräutigam in der Nähe der Hausschwelle
ab und wird von den Brauteltern bewillkommt. Während dessen erhaschen die beider -
seitigen Anführer den Kölnischen, brechen ihn in mehrere kleine Stücke (kräng eolaerü)
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und werfen diese nach allen Weltgegenden zum Zeichen, daß es dem Brautpaar überall
wohlergehe, und daß sie miteinander friedlich leben mögen.
Nun erhebt sich die Tischgesellschaft von der Tafel, tritt mit der Braut unter
Horn-Tanz aus dem Hause in den Hofraum und setzt hier den Tanz unter Betheilignng der
mit dem Bräutigam angekommenen Tänzer fort, während der Bräutigam mit seinen
verheirateten Verwandten zum Haupthochzeitsmahle in das Zimmer eingeladen wird. Bei
diesem Gastmahle, an welchem auch die verheirateten Verwandten der Braut theilnehmen,
Beweinen (bocirss) des Tobte» beim Heraustragen aus dem Sterbehauje.
sitzt der Bräutigam als ^inpornt" (Kaiser) mit der Mütze auf dem Kopfe an der Spitze
der Tafel.
Gegen Ende des Mahles wird auf Geheiß des Bräutigams die Braut von den
Brautführern desselben aus der Mitte der Tanzenden geraubt, in das Speisezimmer
gebracht und an die linke Seite des Bräutigams an den Tisch gesetzt. Bald treten
die Brautführer des Bräutigams wieder herein, nehmen der Braut den Schleier (butt), den
sie bisher nin den Hals getragen hatte, ab, tanzen mit demselben in der Hand eine Weile
hinter der Braut und verschleiern (lmbnlt6n?n, inliodotn) sie dann mit demselben zum
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Zeichen, daß sie von nun an nur dem Manne zugehört. Nach einigen beglückwünschenden
Trinksprüchen seitens der Beistände wird das Mahl aufgehoben und die Tischgäste treten
nun alle sich einander an den Händen haltend, unter Hora-Tanz (ciantui eot irrars)
heraus in den Hofraum. Wie der Bräutigam die Zimmerschwelle betritt, wird er von dein
jüngsten Bruder der Braut oder von einem anderen minderjährigen Hausgenossen mit
einer Pistole in der Hand angehalten und genöthigt, die Braut mit einem Geschenke
loszukaufen. Während nun die Hora im Hofraume fortdauert, wird von den Braut -
führern die Mitgift unter Jubelrufen und Tanzen aus dem Zimmer hinausgetragen und
auf einen mit vier Ochsen oder Pferden bespannten Wagen geladen. Sobald die Truhe
an die Reihe kommt, setzen sich die Eltern der Braut auf dieselbe, von ihren nächsten und
älteren Verwandten umgeben, und das Brautpaar tritt in Begleitung der Beistände, der
Eltern und Verwandten des Bräutigams, um sich zu verabschieden (sä 1a mrtaeluim), in das
Zimmer. Nun spielt sich eine herzergreifende Scene ab. Das Brautpaar kniet auf einem
Polster, der auf einen vor den Brauteltern ausgebreiteten Teppich gelegt wurde, nieder,
und ein Hochzeitsredner (coloeor) nimmt in einer gereimten, ziemlich langen Ansprache,
in welcher den Eltern für die gute Erziehung und für die Aussteuer der tiefgefühlte Dank
ausgesprochen und um den elterlichen Segen gefleht wird, von denselben Abschied. Kein
Auge bleibt dabei trocken, die Braut aber und die Mutter weinen und schluchzen, als ob sie
sich nimmer sehen würden. Nach Schluß der Ansprache steht das Brautpaar auf, kiißt den
Eltern der Braut und den Verwandten derselben die Hand und verläßt mit der Truhe
das Zimmer. Der Bräutigam hebt seine Braut ans den mit der Mitgift beladenen Wagen,
auf den sich die Beiständin mit den Schwestern oder anderen dem Bräutigam anver-
wandten jungen Frauen gesetzt haben, und gibt derselben zum Zeichen, daß sie von nun an
ihm allein gehöre und ihm fort an Gehorsam schulde, einige leichte Schlüge mit der Hand
auf die Schultern. Nun setzt sich der Wagen, von dem reitenden Bräutigam und den
Brautführern umgeben, unter Glück- und Segenswünschen der Anverwandten nach dem
Hause des Bräutigams in Bewegung. Wenn dieser nicht in demselben Dorfe wohnt,
so wird er beim Ausritte aus dem Hofraume von den Burschen umringt und aufgehalten
und nicht eher fortgelassen, als bis er ihnen eine reichliche Geldspende (plata vulpii)
gegeben als Entlohnung dafür, daß sie auf ihren Tanzunterhaltungen mit seiner Braut
getanzt haben. Diese „Fuchsfellbezahlnng" muß er sich unbedingt gefallen lassen, wenn er
sich nicht unterwegs Unannehmlichkeiten aussetzen will.
Im Hause des Bräutigams dauert die Unterhaltung noch eine Zeit lang fort, dann
wird das junge Paar in das Schlafgemach geleitet. Am folgenden Tage erscheinen im
Hause des jungen Paares vorerst einige Frauen der nächsten Verwandtschaft zu einer
kurzen Familienbesprechung und einer gleich darauf folgenden kleinen Tafel, die unerop
215
(Heißwasserprobe) genannt wird. Bei diesem Schmause erscheint auch die Braut, aber jetzt
nicht mehr ohne Kopfbedeckung wie früher, sondern als junge Frau (nov-mtä tiirm-ü)
gekleidet mit dem im Dorfe üblichen Kopfputze, der in der Regel in einem rothen, eigen -
artig geformten Fes besteht, um den ein seidenes oder wollenes, hübsch zusammengelegtes
Tüchel (töstomöy gebunden wird, worauf dann Kopf und Hals mit einem weißen, verziert
gewebten, langen Leintuche oder mit einem anderen gefärbten blumenreichen Kopftuche
in eigener Weise umwickelt werden. Bald darauf versammeln sich auf neuerliche Einladung
durch die Brautführer nur verheiratete Hochzeitsgäste zu einer großen Tafel (irmsü mni-o,
pripoi), bei der jeder Gast mit einer Anrede in Versen und einem versüßten Trunk
(palmr äuleo) beehrt wird. Jeder auf diese Weise geehrte Gast legt in seinem Namen und
in dem seiner Frau auf den Prüsentirteller eine Geldspende. Das so gesammelte Geld wird
theils zur Bestreitung der noch nicht gedeckten Hochzeitskosten, theils für die Einrichtung
des neuen Hausstandes verwendet. Einige Tage darauf gehen die Neuvermählten zu den
Eltern der Frau auf Besuch (onls primarü). Es wird ihnen zu Ehren ein Schmaus
gegeben, zu welchem auch die Eltern des Bräutigams und die Beistände eingeladen werden.
Hiemit sind die Hochzeitsfeierlichkeiten zu Ende.
Wenn der Bräutigam die Braut in sein eigenes Hans oder in das seiner Eltern
hcimführt, so sagt man von ihm „an s'n liwurnt - daß er geheiratet hat"; übersiedelt er
aber in das Haus der Braut, so sagt man von ihm ,cü Z'n irrnritnt -- daß er verheiratet
worden ist". In der Regel wohnt das junge Ehepaar eine Zeit lang in dem Hanse der
Eltern des Mannes oder in demselben Hofraume, bis es sich ein eigenes Haus irgendwo
in der Nähe baut, was nur in dem Falle geschieht, wenn mehrere Brüder im Elternhause
vorhanden sind. Während dieser Zeit führt die Schwiegertochter mit der Schwiegermutter
gemeinsamen Haushalt, wobei die Schwiegermutter immer die Haupt- und Führerrolle spielt.
Jedes nengebaute Hans wird beim Einziehen in dasselbe eingeweiht. In ein neues
Haus kommt kein Anverwandter und Bekannter das erste Mal mit leeren Händen.
Ergeht es dem Eigenthümer im neuen Hause wohl, so wird der Ort, ans dem es steht, für-
rein und das Haus selbst für glückbringend gehalten. Das Haus bleibt darauf von
Generation zu Generation und wird nur erneuert, sehr selten durch einen Zuban erweitert,
da sonst einer der Inwohner sofort sterben müßte. Auch glaubt man, daß in den Funda -
menten des Hauses ein Schutzgeist in Gestalt einer Schlange wohne, die dann und wann
zum Vorschein kommt, den Angehörigen des Hauses nichts Böses thut, und die man deshalb
schonen muß, widrigenfalls über die Hauseinwohner allerlei Unglücksfülle kommen.
Wenn Jemand im Hause schwer erkrankt, so beichtet er allsogleich und empfängt die
Commnnion. Liegt er in den letzten Zügen (trn»6 cko inonrte), so wird ihm eine brennende
Wachskerze in die Hand gegeben, welche er hält, bis er den Geist aufgibt. Darauf wird
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eine sehr lange gelbe Wachskerze angefertigt und zu einer Scheibe gewunden. Diese Leichen -
kerze (toiu^) ist dazu bestimmt, um neben dem Kopfe des Verstorbenen bis zu seinem
Begräbnisse zu brennen. Der Verstorbene wird gewaschen, mit den von ihm gewünschten
Kleidern gekleidet und im großen Zimmer auf die an die Frontseite gestellte lange Wand -
bank (luilü) mit dem Kopfe gegen Osten gelegt. Nun stimmen die Angehörigen Klagelieder
an, in denen sie ihrem Schmerze um den Dahingeschiedenen Ausdruck geben (boesse). Diese
Klagelieder (boeiturl) werden bis zum Begräbniß dreimal des Tages angestimmt: Früh,
Mittags und Abends. Die Schmerzensergüsse und die untröstliche Trauer der jungen
Frauen, der Mütter und Töchter geben sich besonders beim Hinaustragen des Todten aus
dem Hause in erschütternder Weise kund. Überdies gibt es an manchen Orten auch Klage -
weiber von Profession (boeiloure).
Nun kommen die Verwandten, Bekannten und Nachbarn, um sich von deni
Verstorbenen mit den Worten »vumueäoü sä'I isrto — Gott habe ihn selig" zu
verabschieden und den Angehörigen Trost zu spenden, bei welcher Gelegenheit sie immer
eine gelbe Wachskerze mitbringen, die neben dem Verstorbenen, besonders während der
nächtlichen Todtenwache (priveAÜ) angezündet wird. Über die Nacht weilt im Todten-
zimmer stets eine größere Gesellschaft, welche die vorgelesenen Psalmen und die Apostel -
geschichte andächtig anhört; wenn das Lesen aufhört, werden entweder Märchen erzählt,
oder die jungen Leute veranstalten, um sich die Zeit und den Schlaf zu vertreiben, ver
schiedene Todtenspiele. Am dritten Tage wird der Todte in den Sarg gelegt und nach
kurzem Gebete des Priesters von den Trägern hinausgetragen, während die Angehörigen die
Fenster öffnen, damit die Seele, wenn sie noch im Zimmer und nicht schon neben dem
Leichname wäre, entweichen könne. Der Sarg hat immer an der Kopf- oder einer Neben -
seite eine Öffnung, damit die Seele durch dieselbe, beim Senken des Sarges in das Grab,
entfliehen könne; denn es herrscht der Glaube, daß die Seele bis zu diesem Momente von
der Seite des Leichnams nicht weicht.
Beim Leichenznge werden vor dem Priester und dem Leichnam, gewöhnlich in
einem Reuter (eiur) oder in einer Backmulde (eovulä), eigenartig geformte Kolatschen
mit einem in dem untersten derselben eingesteckten Obstbaumzweige (poin), der mit Früchten
und Lebkuchen verziert ist, dann Weizen, in einer großen Schüssel gekocht und mit
Honig eingemacht (ooiivü oder eolibu) und eine kleine mit Wein oder Honigwasser
angefüllte Flasche (puu8) mit der Leichenkerze stoluA) darauf, gleichsam als Proviant
(irieriiräo) für die Reise der Seele des Verstorbenen getragen. Beim Heraustragen
des Sarges aus dem Hofraume, an den Kreuzwegen und über etwaige Brücken und
Stege werden auf dem Boden vor den Sargträgern oder dem Leichenwagen lange
Handtücher ausgebreitet, die dann arme Leute für sich aufhebeu dürfen; auch werden bei
217
dem jedesmaligen Mtehenbleiben des Leichenzuges, wobei das Evangelium gelesen wird
(starch, kleine Münzen über den Sarg an arme Kinder verabreicht. Solche Münzen
werden auch dem Verstorbenen entweder zugleich mit einem gelben Wachskreuzchen in
die Hand oder unter die Zunge gelegt. Dies alles geschieht, damit die Seele des
Verstorbenen aus ihrer weiten Reise zum Paradies sich der Handtücher als Brücken (punti,
poäurl) über etwaige Gewässer, der Münzen zur Bezahlung der von Teufeln bewachten
Weihnachtsbrauch: Sternsinger.
Luftmauthen (vüml) und des Wachskreuzes und der Evangelien, die bei den ,stLri« gelesen
werden, zur Aufhebung des Mauthbalkens (stülp) bedienen könne.
Herzerschütternd ist nach der Einsegnung der Leiche in der Kirche die Verabschiedung
und die Darreichung des letzten Kusses (sürutnron eon äo pe ui-mü), sowie das Beweinen
des Verstorbenen bei dessen Einsenkung in das Grab (mormont). Nachdem der Geistliche
mit dem Spaten das Kreuzeszeichen an den vier Rändern des Grabes gemacht, wirft jeder
der Anwesenden eine Hand voll Erde auf den Sarg mit den Worten: ,sL'i tlo torna
usonrü si vuirmsckoü sL'l isi-ts! ^ Möge ihm die Erde leicht sein und Gott ihm
verzeihen!"
218
Nach dem Begräbnisse kehren die Personen, die dem Verstorbenen das letzte Geleite
gegeben haben, wo möglich nicht auf demselben Wege, auf welchem sie zum Friedhofe
gegangen sind, nach Hause zurück. Hier wäscht man sich die Hände, dann wird ein kleines
Todtenmahl (eoinnirä, xrnäirio) servirt, zu dessen Ende jeder Theilnehmer einen kleinen
Kölnischen mit einer brennenden Kerze (eolne si luiränn) von den Veranstaltern des
Todtenmahles für die Seele theils des jetzt Begrabenen, theils der früher verstorbenen
Mitglieder der Familie (äs sullstul niortilor) erhält. Daher das Sprichwort: ,äL'l
solao si Irnränn — gib dafür einen Kölnischen mit einer Kerze", wenn man von etwas
Verlorenem, das man nimmer finden wird, sprechen will. Dian meint, daß die guten
Thaten, welche die lebenden Verwandten im Namen eines ihrer verstorbenen Angehörigen
verrichten, von Gott so angesehen werden, als ob dieser sie selbst im Leben geübt hätte.
Daher die öfteren Erinnerungsfeste (äilsls inortilor), die während des Jahres unter
Vertheilnng von Geschenken im Namen der Verstorbenen gefeiert werden.
Schließlich seien hier noch einige volksthümliche Anschauungen und Gebräuche
erwähnt, die an das vorchristliche Leben und die damaligen religiösen Anschauungen
erinnern.
Während der Fastenzeit vor Weihnachten versammeln sich an den langen Abenden
mehrere, in der Regel der niederen Volksclasse angehörende Jünglinge, um uralte,
durch Überlieferung aufbewahrte Weihnachts-, Stern- und Neujahrslieder (eorinäs oder
sotinäs äs ernsiun si äs nrnrl non, enntsss äs sksL) zu erlernen. Die Weihnachts -
lieder (eorinäsls oder eotinäsls äs ernolnni sind theils weltlichen, theils christlich -
religiösen Inhaltes. Die elfteren feiern den Hausherrn und dessen Familie, insbesondere
die schönen Töchter, die letzteren die Geburt Christi. Sie werden mit oder ohne Violine
vor den Fenstern der Häuser Abends bis gegen Mitternacht, vom heiligen Abend beginnend
in der Regel durch drei Tage gesungen. Diese Sänger (eorinänlori oder ootinäntori)
führen hie und da auch eine in Gestalt einer länglichen Kirche geformte mit drei Thürmen
versehene Stallung (Viktisin) mit, deren Inneres beleuchtet ist, und worin eine Krippe
mit dem Christuskinde in derselben, Maria und Josef und überdies noch einige Ochsen,
Schafe und Pferde in Figuren oder in Abbildungen angebracht sind.
Mit dem ersten Weihnachtstage beginnen die Colindatoren mit dem Sterne (en
stsnüa, en luesntsrnt), gewöhnlich drei, und die Herodes-Sänger (Iroäii), in der Regel
sechs an Zahl, nicht blos von Haus zu Haus, sondern auch von Dorf zu Dorf, nicht nur
Abends, sondern auch unter Tags herumzustreifen und verschiedene auf die Geburt Christi, die
Weltschöpfung, den Sündenfall, den Tod, das Paradies und die Hölle sich beziehende Lieder
zu singen. Sie führen mit sich einen beleuchteten, drei- oder sechseckigen Stern, der entweder
oben an einer langen Stange beweglich angebracht (stsn) oder an einer horizontalen
219
Zugwinde befestigt ist (Inoenkär), mit der im Zimmer der Stern während des Singens
vor den Heiligenbildern geschwungen wird. Die Herodes-Sänger sind nichts anderes, als
eine sehr primitive, melodramatische, herumwandernde Schauspielergesellschaft, von denen
einer den König Herodes, drei die drei morgenländischen Könige, einer den Hohepriester
und der letzte einen sehr alten Greis, der den Stern trägt, vorstellen, weshalb sie auch dem
entsprechend costümirt sind. Sie streifen durch vierzehn Tage, vom 25. December bis
6. oder 7. Januar a. St. herum und führen das Stück in den Häusern besser gestellter
Leute des Dorfes auf.
Am Abende vor dem neuen Jahre bilden sich an jedem Orte mehrere Gruppen von
Kindern und Jünglingen, die mit dem Pfluge (arnl, i'luA, Marmor, bulmi) von
Haus zu Haus herumgehen, vor den Fenstern ein die Landwirthschaft vom Anbau
des Getreides bis zum Auftischen des Brotes feierndes Lied singen und den Hausherrn
zum besten Erfolge während des neuen Jahres beglückwünschen. Einer hält ein Faß vor.
welches an einem Ende mit gespanntem Leder geschlossen ist; durch dieses Leder geht ein
Roßhaarbüschel hindurch, an welchem ein Zweiter zieht, dadurch das Leder zum Schwingen
bringt und so das Gebrüll ackernder Ochsen nachahmt. Zwei oder mehrere von den anderen
Burschen knallen mit den Peitschen. Auf die Worte des Vorsängers: ,inöimti ileioi-i oder
inmmti mul« antworten die Übrigen „Km! Inn!" An diesem Abende spielen die kleinen
Kinder mit Nüssen und naschen Lebkuchen (turtü änlee) und Obst; der Hausherr zählt seine
Barschaft und gibt den Kindern Münzen zum Spielen; die Mädchen gießen unter
Anleitung der Mutter oder einer anderen alten Frau geschmolzenes Blei in eine große
mit Wasser gefüllte Schüssel; oder sie befestigen Wachskerzen in ausgehölte Nußschalen
und lassen dieselben ans dem Wasser in einer Schüssel schwimmen und suchen aus den
Figuren des Bleies und den Bewegungen der Kerzen die Zukunft zu erforschen; oder sie
gehen in den Viehhof (kure, oeol), binden sich beim Eintritte in denselben die Augen zu,
zählen an der Umzäunung von einem beliebigen Pflocke (pur) angefangen bis neun, und
dieser neunte Pflock stellt je nach Höhe und Dicke, nach der Berindung und der größeren
oder kleineren Menge von Knoten, die er hat, den hohen oder kleinen, den reicheren
oder ärmeren, den moralisch und körperlich bemakelten oder unbemakelten Zukünftigen
vor. Der erfahrenste Mann im Hause fertigt sich einen Witterungskalender für das
ganze Jahr an, indem er eine Zwiebel nimmt, sie in zwei gleiche Hälften theilt und
daraus zwölf gleiche Blattschalen sucht, die er mit gleichen Mengen Küchensalz füllt und
dann in der Reihe der zwölf Monate von Osten nach Westen auf den Hausherd stellt. Je
nachdem das Salz in den Blattschalen ganz oder theilweise, oben, unten oder in der Mitte
über Nacht zerflossen ist oder nicht, wird auch der betreffende Monat ganz oder theilweise,
am Anfänge, gegen Ende oder in der Mitte regnerisch oder trocken sein. Auch glaubt man,
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daß in der Neujahrsnacht der Himmel sich öffnet, und daß die Thiere untereinander über
die Schicksale der Hausgenossen während des kommenden Jahres sprechen; daß man
zwar dies alles sehen und hören könne, doch auch während des Jahres unbedingt sterben
müsse, wenn man diese Neugierde befriedigt hat. Am Neujahrstage, zeitlich früh, kommen
wieder Colindatoren, um zu säen (eu sornouLtul), indem sie in Reimen die Hausgenossen
beglückwünschen (urea^n), gegen dieselben Weizensamen streuen und dafür ein kleines
Geldgeschenk, einen Kölnischen oder einen Kuchen (pILeiirtü) erhalten.
Der Tag vor Weihnachten (ujuiurl oruemnuiui) und jener vor dem Jordanfeste
(ujrmul dobotorm) gelten als strenge Fasttage. Keiner der Hausgenossen erdreistet sich,
von dem mit allerlei Fastenspeisen (unter denen Fisch, Bohnen, gedörrte Zwetschken und
gekochter mit Honig eingemachter Weizen nicht fehlen dürfen) vollbedeckten Tische vor
Mittag etwas zu kosten, nicht einmal die kleinen Kinder. Davor hüten sich besonders die
Mädchen und Jünglinge, weil sie glauben, daß hievon nicht nur die Gesundheit, sondern
auch die Schönheit des oder der Zukünftigen und besonders der Wuchs der vollen, runden
Augenbrauen des- oder derselben abhängen. Zum Festtische setzt sich die Familie erst
gegen Abend, nachdem früher der Dorfgeistliche, der am Vorweihnachtstage mit dem Bilde
der Christi Geburt (eu ieounn), am Vorjordanstage aber mit dem Handkrenze (ou eruesu)
und mit dem Weihwasser (eu uglllusmu), unter Vorantritt einer großen Knabenmenge,
die fortwährend «eliirulesu iilriUoch« schreien, das Haus besucht und den Tisch
eingesegnet hat. Der Hausherr empfängt den ankommenden Priester in der Regel mit einer
brennenden Wachskerze. Während des Absingens der üblichen Hymnen seitens des Priesters
küssen die Hausgenossen das heilige Bild, respective das Kreuz, der Priester aber besprengt
mit Weihwasser nicht nur sie, sondern auch das ganze Haus, segnet den Speisetisch ein,
beglückwünscht die Hausgenossen, erkundigt sich nach dem Befinden derselben und kostet ein
wenig von den Speisen.
Wenn die Hausgenossen sich zu Tische setzen, so unterläßt der Hausherr nicht, am
Vorweihnachtstage Bohnen auszustreuen, auf daß der Viehstand gedeihe, und am Vor -
jordanstage einen Löffel Weizen gegen die Zimmerdecke zu werfen, auf daß der Bienenstand
sich mehre und reichlichen Honig sammle. Klebt nun der Weizen oben an, so wird dies als
eine gute Vorbedeutung angesehen. Als Zeichen eines fruchtbaren Jahres gilt, wenn sich
an diesen Tagen an die Zweige der Obstbäume recht viel Reif (ellickio) ansetzt.
Das Jordansfest wird besonders feierlich begangen. Wer nur irgendwie vom
Hause abkommen kann, geht in die Kirche, um die heilige Liturgie anzuhören. Von da
geht alles, die Kirchenprocession an der Spitze, an ein fließendes Wasser oder zum
Dorfbrunnen; nur selten wird die Wasserweihe im Kirchhofe vorgenommen. Die Wasser -
weihe wird unter Poller- oder Pistolenschüssen durch dreimalige Senkung des heiligen
221
Kreuzes in das Wasser vollzogen. Man glaubt, daß hiedurch das ganze Jahr jedes
Wasser frei von allem Bösen bleibe, wenn nicht etwa später böswillige Menschen
verderbenbringende Unreinlichkeiten hineinwerfen oder böse Geister Hineintreiben. Da das
Wasser in dem Momente der Weihe als völlig rein und heilbringend gilt, unterläßt es
Die Jordanfeier.
keiner, sich hievon etwas in einem kleinen Gefäße mitzunehmen, von dem die Hausgenossen
vor dem Mittagmahle kosten. Der Rest wird in einer Flasche an der Bilderwand anfbcwahrt
und zu verschiedenen Heilzwecken verwendet. Dieses Wasser wird alljährlich erneuert.
Nach dem Jordansfeste bis zum Fasten vor den Ostern finden die meisten Hochzeiten
statt. Diejenigen aber, welche aus verschiedenen Gründen in dieser Zeit nicht stattfinden
222
können, werden auf den Herbst, in die sechs Wochen vor Advent, verschoben; während des
Sommers finden nur selten Trauungen statt.
Eine Persönlichkeit, von der jeder Rumäne etwas zu erzählen weiß, ist die
tmtm voetiisu. Diese ist eine mehr mythische als christlich-kirchliche Gestalt. Sie wird
als ein sehr altes Weib gedacht, das den Winter vorstellt, auf den höchsten Bergen der
Karpathen seinen Wohnsitz hat und der Kälte wegen mit mehreren Pelzen gekleidet ist.
Naht nun ihr Festtag, der kirchlich auf den 1./13. März fällt, so steigt sie von den
Gipfeln der Berge herab und beginnt 3, 6, 12, 24 oder 36 Tage vorher, je nachdem sie
mehr oder weniger Pelze angehabt hatte, je einen derselben von sich abzuwerfen; dies
äußert sich in den Stürmen und dem Gestöber, die um die Frühlingsnachtgleiche eintreten.
Nach dem Volksglauben müssen solcher Sturm- und Gestöbertage ebensoviele ihrem
Festtage folgen, als ihrer vorangegangen waren. Diese werden dann Ȋitots tmbel
Ooellioi (— Tage der bubu OoLtusu)" genannt.
Der Tag des heiligen Alexius (17./29. März) gilt als der Frühlingsanfang; man
glaubt, daß an diesem Tage die Poren der Erdrinde sich erweitern, damit durch dieselben
die lebenden Wesen, die den Winter in der Erde zugebracht haben, hervorkriechen können.
Die Bienenstöcke werden untersucht und, wenn die Witterung es erlaubt, hinausgetragen,
auch Vorkehrungen zur Bebauung der Felder getroffen. Auf eine besondere, feierliche
Weise wird der Pflug zum ersten Male auf das Feld geführt. Vier Ochsen werden an dem im
Hofraume des Hauses fertiggestellten Pfluge eingespannt. Ein kleines Kind hält vorne das
um die Hörner des ersten Ochsenpaares gelegte Seil in der Hand. Der Ochsentreiber stellt
sich mit der Peitsche in der Hand an die linke Seite des zweiten Ochsenpaares. Der Führer
des Pfluges hält rückwärts in der einen Hand den Pfluggriff (ooruut ptuFutui) und in
der anderen die Pflugreute. Nun tritt aus dem Zimmer die Hausfrau mit einer Schüssel
voll brennender Kohlen, worauf Weihrauch gestreut ist, und an deren Rand Brotstücke
gelegt sind; ihr folgt der Mann mit einer, oben mit einem Kölnischen decorirten Kanne
frischen Wassers, worin Weihwasser gegossen wurde, in der einen, und mit einem Basilien-
strauße in der anderen Hand und besprengt den im Aufbrechen begriffenen Pflug, während
die Frau dreimal um denselben geht. Zuletzt werden die auf der Schüssel befindlichen
Brotstücke den Ochsen zu fressen gegeben, während der Kölnische unter die Pflugleute
verthcilt wird, ans daß Gott reichliche Ernte verleihe.
Das siebenwöchentliche Osterfasten (ujuuut oder postut est luurs, ujuuut purosiium)
wird, sowie das zweiwöchentliche Fasten vorMariaentschlafung (ujuuut oder postut 8uutL-
Nurioi) und der sechswöchentliche Advent (ujuuut oder postut Orümuuutui), von Groß
und Klein sehr strenge gehalten. Sogar in Krankheitsfällen, selbst mit priesterlicher
Erlaubniß, getraut sich kein alter Mann und keine Frau Fleisch-, Milch- und Butterspeisen
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zu genießen. Nur das nicht immer gleich lange Fasten vor Peter und Paul (ujuinrl
SüiMötrului) wird minder strenge beobachtet.
Zu Mitterfasten (miscknl xurosoi oder pmrasirnsi oder pürotii) zählen die Haus -
frauen die Eier, sondern die brut- von den unbrutsähigen ab und lassen das Geflügel brüten.
Auch werden an diesem Tage, sowie an den folgenden Sonn- und Feiertagen bis Char-
dvnnerstag ein oder mehrere Eier mittelst einer Wachsfeder (elimitL) mit allerlei Blumen -
oder Figurenverzierungen (liripistrituri) als Vorbereitung für die Ostern beschrieben (se
tinpisti-esc). Und während nun die Männer die Umzäunungen aufrichten, die etwaigen
Schäden an den landwirthschaftlichen Gebäuden und Gerüthschaften ausbessern und die
Felder zu bebauen beginnen, sind die Frauen mit dem Znschneiden und Nähen der Wäsche,
Einsegnung des Pfluges im Frühling.
mit dem Reinigen und Übertünchen- der Häuser und mit der Bestellung der Gemüsegärten
beschäftigt; denn bis zu den Osterfeiertagen will ein jeder mit seiner Arbeit fertig sein.
Am Palmsonntage muß wenigstens eines der Familienglieder, insbesondere der
Vater oder die Mutter, in die Kirche gehen, um sich von da geweihte Weidenkätzchen
(rnitisoni-6 oder murtisouro) als Palmzweig (stLixni-e) zu holen, mit dem inan dann die
Familienglieder auf den Kopf, die Achsel und die Schulter klopft, auf daß sie ebenso wie die
Natur frisch ausblühen und gedeihen mögen. Auch verschluckt man zuweilen ein Kätzchen, aus
daß auch das Innere sich erneuere. Wer zu Hautausschlägen inclinirt und überhaupt, wer für
das ganze Jahr gesund bleiben will, der badet im Flusse vor Sonnenaufgang vom Palm -
sonntage angefangen die ganze Charwoche (septöinrlnn pntiinilor) bis nach den Astern.
Die drei letzten Tage der Charwoche widmen die Frauen der Zubereitung der Oster -
speisen, da während der drei Ostertage weder gekocht, noch gebacken wird. Insbesondere
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werden am Chardonnerstage die beschriebenen (oaüo kmpislrito) und einige unbeschriebene
Eier (morisoaro) verschieden gefärbt, die meisten derselben auch gekocht. Am Samstage
bereitet man den Braten und die Paskakuchen, vvn denen wenigstens einer mit dem Oster-
krcuze versehen sein muß. Die Schalen der Eier, die man zur Bereitung der Osterkuchen
verwendet, werden in ein fließendes Wasser geworfen, um von den Wellen weithin zu jenen
Völkern getragen zu werden, die man „klocmmu- nennt, und denen man, da sie ans
Mangel an Priestern nicht wissen, wann sie die Ostern feiern sollen, auf diese Weise Kenntniß
von der Ankunft der Ostern geben will. Paskakuchen und Ostereier spielen unter den Speisen
die Hauptrolle. Einige davon werden mit etwas Speck zur Weihe in die Kirche getragen,
wo gleich nach Mitternacht die Auferstehung gefeiert, die heilige Liturgie celebrirt und
bis 6 oder 8 Uhr beendigt wird; je ein Stück der geweihten Speisen bekommt der Priester,
das Übrige wird nach Hause gebracht. Die Verwandten und Bekannten in der Kirche,
vorzüglich bei dem wahrend der Ostern stattfindenden Glockengelänte und Brettklvpfen
(toLLÜ), und die Familienglieder zu Hause grüßen einander mit dem Zuspruche Zckriskos
u lirvial! Christus ist anferstanden!" und mit der Erwiderung „^.clevorat cm a ürviat
^ in Wirklichkeit ist er auferstanden" und Pecken (tetschen --- cnoeuese) dann je zwei Eier,
auf daß die Knospen aufspringen, neues Leben und neue Blumen auf Erden entstehen, und
sie alle froh und munter bleiben. Das angeschlagene Ei gehört immer dem Besitzer des
stärkeren Eies. Mit den friiher erwähnten Worten grüßt man sich gegenseitig auch beim
Begegnen bis zur Himmelfahrt Christi.
Am Ostersonn- und Montage kommen die verheirateten Söhne und Töchter, die
Täuflinge und die Traukinder illuii) zu den Eltern, respective Pathen, mit je drei Oster -
kuchen und sechs Eiern auf Besuch und erhalten beim Weggehen zwei Osterkuchcn und vier
Eier als Gegengeschenk. Am Ostermontag und am Osterdienstag besuchen sich in gleicher
Weise gegenseitig die Bekannten und Freunde. Bei diesen Besuchen werden gegenseitig
Eier angeschlagen.
Damit die allgemeine Freude unbeschränkt sei, gedenken die Familienhüupter
auch ihrer verstorbenen Angehörigen. Es herrscht nämlich der Glaube, daß Christus die
ihrer Sünden wegen zu Höllenstrafen bestimmten Seelen jedes Jahr am Ostersonntage
besuche und einige derselben, für welche die Kirche intcrvenirte, und in deren Namen die
Angehörigen Gutes gethan hatten, von der Strafe befreie. Daher läßt fast jedes Familien -
haupt für die Seelen der Verstorbenen während des Osterfastens an den sechs ersten
Samstagen (särubokolo mortilor) und am Chardonnerstage bei der heiligen Liturgie
Gebete leseu. Man glaubt, daß während der ganzen Osterwoche (soptoruüiia, Irrmiualü)
der Himmel oder das Paradies offen stehe, und daß alle, die in dieser Zeit, insbesondere
während der ersten drei Tage, sterben, in den Himmel aufsteigen.
So wie die Frauen an gewissen Wochentagen keine Arbeiten zu beginnen wagen,
namentlich den Freitag (snnta Vinere) hoch in Ehren halten und vom Borabende an weder
Wäsche waschen, noch nähen oder spinnen, so scheuen sich auch die Männer, an den
Donnerstagen (santa lole, sairtels loi) zwischen den Ostern und den Pfingsten Feldarbeiten
zu verrichten, da sonst die Saaten durch Regengüsse und Hagelschlag leiden würden. Auch
hütet man sich während dieser Zeit im Freien auf der Erde, besonders auf dem Felde zu
schlafen, um nicht von gewissen weiblichen, bösen Geistern (Sävütma -- die Wuthbringende,
NLrgälina ^ die Entnervende und Hujülina ---- die Rothlaufbringende, auch leis genannt)
heimgesucht zu werden und durch ihre Zauberkraft Verstand, Sprache, Gehör und den
Gebrauch der übrigen Gliedmaßen zu verlieren. Besonders gefährlich sollen sie in dieser
Hinsicht jungen Leuten sein.
Am Abend vor dem Feste St. Georgs, der als Frühlingspatron und als Helfer im
Kampfe mit wilden Thieren gefeiert wird, legt man ans die Thorsüulen, auf die Umfriedung
und auf das Dach des Hauses Rasenstücke, in deren jedem ein grüner Weidenbaum -
zweig steckt, zum Schutze gegen böse Geister und Hexen. Auch werden zu diesem Zwecke
in einigen Dörfern an Snmpfstellen und an Brücken um das Dorf herum oder auch im
Dorfe selbst Feuer angezündet und durch mehrere Stunden unterhalten.
Der Samstag vor Pfingsten (vummeen mare, kiusalil) wird vorzüglich als Ahnen-
und Seelentag (Snmdata mosilor, a mortilor) gefeiert, daher dieser Tag kurzweg Nosi
(Ahnen) genannt wird. An diesem Tage werden allerlei Speisen, insbesondere Kuchen
(Meinte) und Kölnischen in die Kirche gebracht, geweiht und an den geschmückten
Gräbern unter die Armen vertheilt. Den anwesenden Kindern aber werden Töpfchen
(niesle), Gläser (stiele), Kandeln (sollte), Schüsseln (straelrim), Teller (talgere),
Kannen (cane, eünute), die, mit Blumen geschmückt, mit Milch, süßem oder reinem
Wasser gefüllt und mit einer kleinen gelben brennenden Wachskerze versehen sind, für das
Seelenheil (cke snlletul mortilor) dieses oder jenes Verstorbenen geschenkt. Auch nach
Hause werden solche Gaben geschickt, was ,a Lmblä en mosil- heißt. Die Empfänger
der Gaben sagen dabei: »Omrmeäsn sü'l lerte — Gott habe ihn selig." Am
Abende werden Vordächer, Fenster, Heiligenbilder und Bettstätten mit Lindenzweigen
und Blättern geschmückt. Man glaubt mich, daß um diese Zeit die sogenannten lltusalil oder
Hosalii, eine andere Art böser Geister weiblichen Geschlechtes, hernmgehen und die Eßlust
und die gute Laune verderben, gegen die man sich nur dadurch wehren kann, daß man
Wermut im Busen trägt und ins Bett streut.
Das Sändzenifest hat sich allmählich zur heutigen Bedeutung bei allen griechisch -
orientalischen Glaubensgenossen der Bukowina ansgebildet. Den Anlaß hiezu gab der
moldauische Fürst Alexander der Gute (1401 bis 1433), als er die Reliquien des im
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XIV. Jahrhundert zu Czetatea Alba (Akierman) von Türken gemarterten Kaufmannes Jon
aus Trapezunt nach Suczawa brachte und den Tag seiner Verehrung auf den 2./14. Juni
festsetzte. Drei Wochen darauf (24. Juni a. St.) feiert die griechisch-orientalische Kirche
die Geburt des heiligen Johannes des Täufers. Die kirchlich-religiösen Andachten
an diesen beiden Festen wurden im XV. und XVI. Jahrhunderte bei dem damaligen großen
Glaubenseiser in den Klöstern so sehr in die Länge gezogen, daß beide Feste und
insbesondere die damit in Verbindung gebrachten Schmausereien und Belustigungen
ineinander fielen. Da nun im Rumänischen der heilige Johannes ursprünglich sunt, linn
(neben der späteren Form Ion, lonn), Plural sunt! linni oder lioiu hieß, so wurden diese
beiden Johannes sLnti lioni genannt, woraus die abgeschwächtere und contrahirte Form
SnnäenI entstand. Johannes von Suczawa wird gegenwärtig als Landespatron der
Bukowina verehrt. An seinem Festtage (2./14. Juni) und besonders am 24. Juni/6. Juli,
welch letzterer Tag jetzt insbesondere den Namen LLnäenl führt, kommen nach Suezawa viele
Tausende von Pilgern aus den benachbarten Ländern, selbst solche, welche nicht der
griechisch-orientalischen Confession angehören, wie griechisch-katholische Ruthenen aus
Galizien. An diesem Tage werden die Reliquien des Heiligen durch die Stadt bis zu
einem größeren Platze derselben getragen, wo Wasser geweiht und eine Predigt gehalten
wird. Durch drei Tage vor-diesem Feste werden in den Straßen neben der Kirche, in
welcher die Reliquien aufbewahrt werden, allerlei Maaren, meist Kreuzschnüre, heilige
Bilder, Kerzen und Kopftücher rc. zum Verkaufe ausgestellt.
Es gibt auch zwei Arten wohlriechender Feldblumen, das ^nliium rnoliu^o und das
AnIIinm verum, die um diese Zeit in voller Blüte stehen und nach der Volksmeinung von
diesen Heiligen den Namen snrnlarnr, Plural sunäsire, erhalten haben. Einige Gelehrte
sind jedoch der Meinung, daß diese Blumen ihren Namen nicht nach diesen Heiligen,
sondern von der Göttin Diana, der diese Blumen geweiht waren, erhalten hätten, zumal
die Göttin Diana im Rumänischen ,snntn Iwim' hieß, woraus leichter sänüarm entstehen
konnte. Aus diesen Blumen winden die Mädchen und Jünglinge ain Vorabende des Festes
einen Kranz, den sie ans die Ostseite des Hausdaches legen, so daß die ersten Strahlen der
ausgehenden Sonne ihn treffen können. Finden sie nun am Morgen zwischen den Blüten
des Kranzes ein Haar von irgend einer Thiergattung, so glauben sie, daß sie in der Zucht
derselben Glück haben werden; sind aber die gefundenen Haare Menschenhaare, so deutet
dies auf reichen Kindersegen hin.
Im Sommer gibt es drei Tage, an denen kein Landmann eine schwere Hans- oder
Feldarbeit zu verrichten wagt, nämlich am Tage des heiligen Foka (23. Juli a. St.),
auf daß ihm das Feuer, insbesondere der Blitzschlag nicht Scheunen und Fechsung
einäschere, am Tage der heiligen Marina (17./29. Juli), auf daß die Kinder beim Baden
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nicht ertrinken, und am Tage der Paliea (21. Juli a. St.), auf daß Rinder und Schafe
vor jeder Krankheit und vor wilden Thieren verschont bleiben.
Am heiligen Krcuzerhöhnngstage (ckiüa errwii, 14./26. September) werden nicht
nur von sachkundigen alten Weibern, sondern säst von allen Frauen verschiedene
heilbringende Kräuter im Blumengarten, ans Wiesen und Feldern und im Walde gesammelt,
getrocknet und für unvorhergesehene Krankheitsfälle in Bereitschaft gehalten. L>ie wählen
dazu diesen Tag nicht nur, weil um diese Zeit die Kräuter ihre Reife bereits erreicht
haben, sondern auch weil sie glauben, daß, sowie Jesus Christus durch seinen 2wd am
Kreuze seinen heilbringenden Lehren über die Erlösung der Menschheit Anerkennung und
Geltung verschafft habe, ebenso auch das Fest der Kreuzerhöhung den Kräutern eine
größere Heilkraft für den Körper des Menschen verleiht.
Zum Schlüsse seien noch der Vorabend des heiligen Andreas (8äut-L.uckroa, saulu!
^uckroi) und der Tag des heiligen Rikolaus (8üir-diieoai'ü, säutul I^ieulai) erwähnt.
Sobald die Sonne untergeht und es dunkel wird, werden am Vorabende des heiligen
Andreas (29. November a. St.) die Thürpfosten und die Gesimse der Häuser und der land -
wirtschaftlichen Gebäude sowie die Thore der Viehhöfe mit Knoblauch eingerieben, weil
durch den Knoblauchgernch nicht nur die bösen und unreinen Geister, wie die Strigelo,
8trigoii, Noi-oü, von dem Hause und dessen Inwohnern ferne gehalten werden, sondern
auch die Wölfe, die um diese Zeit die Viehhöfe heimzusuchen pflegen.
Der heilige Nikolaus (6./18. December) wird als Beschützer und Helfer der
fleißigen und sittsamen Kinder, insbesondere der Waisen verehrt. Von ihm heißt es, daß
er den gesitteten Kindern Geschenke während der Nacht durch das Fenster ins Zimmer
werfe und den armen, braven Mädchen die Mitgift spende. Auch glaubt man, daß er,
wenn er die Flüsse brückenlos (das ist nicht gefroren) findet, dieselben durch das Schütteln
seines Bartes (durch Schnee und Frost) überbrücke, und daß er die Brücken zerstöre, wenn
er sie antrifft: „8üirkri1 diieuiai >sk scrckurü barlm si kaeo prmti, canci nu Io güseske, si
1s skrieü eünck le atlü".
Die Ruthenen.
Die Nuthenen bewohnen den Norden des Landes; ihre Zahl beträgt (die Huzulen
mit circa 30.000 eingerechnet) 268.000; sie zerfallen in zwei, zwar nahe verwandte, aber
doch durch charakteristische Merkmale ausgezeichnete Gruppen: in die Flachlandruthenen,
welche sich selbst „Husnaks- nennen, und die wir im Nachfolgenden schlechthin als
Ruthenen bezeichnen wollen, und in die Gebirgsruthenen oder Huzulen.
Das Volksleben der Ruthenen, welche den Norden unserer Provinz in compacter
Masse, und zwar die Gegenden am Pruth, Dniestr und am unteren Lauf des
220
Czeremoszflusses bewohnen, zu beschreiben, ist eine erfreuliche Aufgabe, da dasselbe eiue
reiche Fülle vou Liedern und symbolischen Gebräuchen aus grauer Vorzeit in sich birgt.
Wir wollen unsere Beschreibung desselben nach dem Lebenslauf orduen und mit der Geburt
des Ruthenen beginnen.
Das rnthenische Kind (äitz'iru). Der rnthenische Vater sieht einem freudigen
Ereignisse, der Geburt eines Kindes entgegen. Je mehr sich diese Zeit nähert, desto zuvor -
kommender ist er gegen seine Gattin und erfüllt ihr Verlangen (fair sju rmdaliue) nach
Lieblingsspeisen, Obst rc. sehr gerne. Einige Tage vor der Geburt des Kindes hantirt
schon die Hebamme (iuos?u, dabu oder pmvMeiru genannt) im Hause herum, vergißt
auch ja nicht, der Wöchnerin (poimirzma) unter den Polster Knoblauch, ein Messer oder
andere Eisenstücke zu schieben, um dieselbe gegen das Böse zu schützen, und bereitet alles
zur Geburt des Kindes vor. Ist dieses geboren, so wird es gleich gebadet, aus dem Bade
gehoben, wobei die Hebamme dreimal ausspuckt, um den Neugeborenen vor dem bösen Blick
zu bewahren und sodann in den Teigtrog gebettet, welcher die Stelle der Wiege vertritt.
Wer aus dem Hause geht, muß aus seinem Pelze einige Haare reißen und dieselben in die
Wiege werfen, um dem Kinde den Schlaf nicht zu vertreiben. Rothe Wolle wird um das
Händchen des Kindes gebunden, ein rothes Band hingegen an den linnenen Vorhang,
hinter welchem die Wöchnerin ruht, gegen den „bösen Blick" geheftet. So schlummert denn
das Kind in der primitiven Wiege, wobei ihm den Schlummer Wiegenlieder versüßen, wie:
„Schlaf, der ziehet ein
Bei dem Fensterlein,
Bei dem Zaune steht der Schlummer.
Frägt der Schlaf den Schlummer sachte:
Wo gedenken wir zu nachten?
Dort, wo Hütte warm und klein
Und ein herzig Knäbelein.
Heizin, schlafe, schlafe
Unter grünem Birnbäume.
Birnbaum wird erblühen,
Und N. N. wird wachsen.
Der Birnbaum wird Früchte tragen
Und N.N. wird gehen;
Die Birnen werden herabfallen
Und N. N. wird sie anflesen."
So lange das Kind ungetanst ist, muß bei demselben die Nacht hindurch ein Licht
brennen, weil sonst böse Geister sich dem Kind nähern und ihm Schaden zufügen könnten.
Deshalb säumt man auch nicht lange mit der Taufe; schon am zweiten Tage, spätestens
aber am achten Tage nach der Geburt findet dieselbe statt. Wie am Tagender Geburt selbst,
so kommen auch jetzt die nächsten Verwandten, Nachbarsleute und Freunde zusammen,
indem sie Geschenke, bestehend aus Hühnern, Mehl, Fisolen, Bohnen rc., mit sich bringen.
Aus ihrer Mitte wurden schon vorher die angesehensten zu Gevatter gebeten und nun gehts
in feierlichem Aufzuge, die Taufpathen mit Lichtern in der Hand voran, zur Kirche. Doch
dürfen nicht eine Schwiegermutter zugleich mit ihrem Schwiegersöhne oder mit ihrer
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Schwiegertochter, ebenso wenig ein Ehepaar oder eine schwangere Frau das Kind aus der
Tause heben, da dies nach dem Volksglauben sündhaft wäre. Bei der Taufe erhält das
Kind den Namen eines Verwandten oder Freundes, doch nie den eines Verstorbenen, da es
sonst bald sterben müßte. Und nun geht es lustig im Hause der Eltern des Neugeborenen zu;
bei dem festlichen Mahle, bei welchem Hühner- und Schweinsbraten, doch fast nie Rindfleisch
genossen wird, da es nach der Volksanschauung sündhaft wäre, das Fleisch derjenigen
Zugthicre zu genießen, welche dem Bauern das Feld bearbeiten und ihn ernähren. Hier
singen die Taufpathen folgendes Lied:
„ Hci, mein Gevatter, gut ist der Fusel,
Werden bis Montag trinken im Dusel,
Dann nach dem Montag Dienstag mag kommen,
Gut ist dein Branntwein, G'vatter willkommen!
Dienstag wenn flieht, ist Mittwoch so wonnig,
Wohl schmeckt der Branntwein auch ohne Honig.
Hei, mein Gevatter, merk' dir es heute,
Donnerstag trinken auch noch die Leute.
Hei, mein Gevatter, heut' ist's mir wohlig,
Trinken wir Freitag, wird's gar so drollig.
Hei, mein Gevatter, Samstag ist 'kommen,
Unsere Wonn' hat ihr Ende genommen.
Hei, mein Gevatter, was thun wir denn weiter?
Heut' ist 'ne Woche, seit wir sind heiter.
Lasset uns senden um unsere Frauen,
Daß sie des Schnapses Seligkeit schauen.'
Kaum hat Gevatter dieses gesprochen,
Kommt schon Gevatterin langsam gekrochen.
,Grüß Gott, mein Mann, wie ist's dir ergangen,
Denkst du nach Hause nicht zu gelangen?
Auch du Gevatter könntest dich trollen,
Hättest doch längst schon dich schämen sollen.'"
In der Dniestrgegend singt der Hauswirth seinen Gästen:
„Gäste, Freunde, wie denn soll ich
Heute euch bewirthen?
Sei denn, daß 'neu Sperling fang' ich,
Der im Garten schwirrte.
Aus den Rippen koch' ich Sulz euch,
Aus dem Kopf 'ncn Braten,
Reicht schon aus zum Frühstück, Mittag,
Nachtmahl für die Pathen."
Wenn das Kind todtgeboren wäre oder ungetanst stürbe, so müßte man nach dem
Volksglauben sein Grab sieben Jahre lang niit Weihwasser besprengen; erst dann dürfte
die arme Seele um Mitternacht bei schlafenden Christen ans Fenster pochen und um die
Taufe bitten. »Lrostü, lrisskü« (Taufe, Taufe) ruft da der gequälte Geist und wer es
hört, muß ein Kreuz schlagen, die Taufformel recitiren und ihm als sichtbares Zeichen
(kroLmn) der vorgenommenen Taufe ein Stückchen Leinwand heranswerfen. Sehr ver -
dienstlich vor Gott ist es auch, ein Judenkind insgeheim mit Weihwasser zu besprengen
und selbes derart zu taufen. Wehe aber der Mutter, welche ans irgend einem Grunde den
Tod des Kindes herbeiführen würde. Jenseits müßte sie es zur Strafe essen und an jedem
Samstage würde die Leiche wieder ganz sein.
Seltene Mutterliebe umfängt den Säugling und bei besonderer Pflege fängt der
kleine Ruthene gewöhnlich schon nach dem ersten Lebensjahre die den Eltern so lieben
Kinderausdrücke zu lallen an: etwas Schönes nennt er etwas Widerwärtiges:
VolMypen aus der Czeremoszgegend.
Kairo; etwas Genießbares: papa-, etwas Furchterregendes: >voeva; den Hund: eiueia;
das Schlafen: liuliu; die Wiege: liulia; Gott und die Heiligenbilder: boxia; den Vater
fe nach der Gegend: elfotlia (am i§zeremosz) oder noirio, tato (am f^nitß, 2)nieftr), die
Mutter ironia oder iwama; einen älteren Mann: baäiira oderrvufiro; eine ältere Frau:
rvufna oder tsta; das Geld: ämn; das Springen: lropa; u. s. w.
So fest ist das Volk von der Bedeutung der Muttermilch überzeugt, daß selbst dem
tobten Säugling in einem ans Wachs geformten Schälchen die Milch mit in das Grab
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gegeben wird, damit dieselbe ihm in der anderen Welt als Nahrung diene. Dagegen
genießen die Kinder, wenn sie älter werden, wenig Pflege. Sobald sie die Wiege ver -
lassen können, werden sie älteren Geschwistern, mit denen sie die auf Arbeit ausgehenden
Eltern zusammen einsperren, oder sich selbst überlassen. Sind die Eltern zu Hause, so
kriecht und geht das Kind in seinem schmutzigen Hemdchen meist unbeaufsichtigt im Hofe
umher; denn der Schutzengel schützt ihren Liebling vor Gefahren? Die ruthenische
Mutter fürchtet sich spät abends mit ihrem Kinde nach Hause zu gehen, da böse Geister
dasselbe vertauschen könnten. Nicht von jedem Gaste läßt sie dasselbe anschauen, um es
vor „bösen Augen" zu hüten; wer aber das Kind anschaut, muß dreimal ausspucken,
wobei die besorgte Mutter ausruft: „Our pnslruclu^iu oermur" (wehe den bösen Augen).
Schreitet ein Mensch oder ein Thier über ein Kind hinweg, so behindert dies das Wachsen
und Gedeihen des letzteren. Wenn ein schwangeres Weib mehrere Male jemandem begegnet,
der drei Kannen Wasser trägt, so wird es Zwillinge oder Drillinge gebären.
Das ruthenische Kind beginnt schon im fünften Lebensjahre den Eltern kleine Hilfs -
dienste zu leisten; besonders die Obhut der Herden wird ihm anvertraut. Auf der
Wiese und sonst in freier Zeit kommen die Kinder zusammen und führen hier ihre Kinder -
spiele ans, wie: „das Verstecken" (muurki), das „Ballspiel" (pMa), das „Schaukeln"
(lrojänt^chn), „Reiß ab den Schweif" (umvMst), „ck/üublü" oder „Autüi", das ist die
Übung mit Stöcken nach einem entfernten Ziele zu werfen :c. Sehr beliebt ist auch das
„Pferdchenspiel" (kouLn liralzsi; ein Knabe nämlich reitet hiebei dem anderen auf dem
Rücken und recitirt:
„Es reitet dort ein Herr
Auf dem Pferd einher,
Nach dem Herrn ein Bauersmann,
Der sein Pferd wohl reiten kann,
Nach dem Bauersmann ein Jud,
Sitzt am Pferde gar nicht gut,
Judenbuben hinterdrein
Verloren die Pantöffelein."
Die Schule besucht das Kind sehr unregelmäßig. Dies liegt aber nicht so sehr an
ihm, als vielmehr an den Eltern, welche oft der Schule feindlich gesinnt sind, weil sie in
dem Schulknaben einen unentgeltlichen Hirten, einen Hüter des Hauses, einen Gehilfen bei
allen leichteren Dienstleistungen verlieren. Doch ist in neuester Zeit eine Wendung zum
Besseren bemerkbar, seitdem ein zwanzigjähriger Bauernbnrsch, vom Volke der „Prophet
von Mahala"- genannt, aufgetreten ist, der demselben gänzliche Enthaltsamkeit vom
Branntwein, sowie den eifrigen Besuch der Volksschule durch die Dorfjngend predigt. In
Folge dessen sind die Schulen der Prnthgegend fast überfüllt.
* „Wenn das Kindchen fällt, der Engel den Polster unterhält", lautet ein diesbezügliches Sprichwort, ditMa
pado, Io gnkel poduorku kludo.)
-Ein Dorf in der Nähe von Czernowitz.
233
Finden die ruthenischen Kinder im Felde eine Schnecke, so reeitiren sie folgende
Verse, um dieselbe aus ihrem Gehäuse zu locken:
„Schneckchen, Paulchcn, streck' heraus die Hörner,
Ich gebe dir einen Kreuzer für Mehltaschen;
Dir zwei, mir zwei, wir theilen uns in sie beide."
Bursch und Mädchen (purnbok, äievlco). Der Knabe ist zum Burschen, das
Mägdelein zum Mädchen herangewachsen. Jetzt müssen sie die Eltern bei solchen Arbeiten
unterstützen, welche schon größere Kräfte und gereifteres Wissen und Können erfordern. Doch
welch' prächtige Gestalten findest du unter ihnen beim Spiel und am Tanzboden! Das
Auge ergötzt sich an ihren buntfärbigen Trachten. Der Bauernbursche aus dem unteren
Czeremoszthale schmückt sich im Sommer das Haupt mit dem hohen Hute aus Stroh-
gcflecht, verziert mit schönen Pfauen- und Hahnenfedern, umgürtet von Bändern und
,6ioi'änn^ (Perlenstreifen), im Winter mit der Pelzmütze (kucxinn, 82uplcu, liupueu).
Über das weitsaltige Hemd hat er den buntbenähten Brustpelz (koptnr), sowie den
,861-ZuIe- (einen Mantel aus Schafwolle, welcher gewöhnlich schwarz, in den Dörfern
Millie und Zamvstie aber weiß ist) angethan; die Hose aus schneeweißem Linnen (im
Winter ans weißem, schwarzem oder rothem grobem Schafwvlltnche, genannt Inre/i),
sowie hohe Stiefel (e?obotzst oder Schnürstiefletten (crlsiorvoki), im Sommer Sandalen
(postotzst, vervollständigen seine Tracht. Auch einen breiten Ledergürtel, welcher mit
Messingknöpfen verziert ist, trägt der Banernbnrsche um die Taille? Dieselben Kleidungs -
stücke werden, von kleinen Differenzen in Schnitt und Verzierung abgesehen, auch in
der Prnth- und Dniestrgegend gebraucht, mit Ausnahme des Hutes welcher hier niedrig,
mit rundem Boden und auch aus schwarzem Tuche verfertigt wird. Das Mädchen kleidet
sich in ein schneeweißes, bis an die Knöchel reichendes Hemd, welches auf der Brust oder
an den Hemdärmeln mit bunter Wolle in schönen Mustern benäht ist. Darüber kommt
ein ebenfalls bnntbenühter Brustpelz, welcher je nach der Gegend theils länger, theils
kürzer ist. Den Kopf des mitunter sehr schönen Natnrkindes schmückt das mit Bändern
durchflochtene lange Haupthaar, welches am Prnth und Dniestr überdies mit einem
höheren oder niedrigeren Kopfputze (kocln) bedeckt wird. Hals und Brust ziert eine
reiche Fülle von Glasperlen, Korallen und Münzen (genannt snlbn oder ^gnrän), den
Unterleib umhüllt das aus schwarzer Schafwolle verfertigte Unterkleid iftorbotlcn), bei
feierlichen Veranlassungen ein blaurothes Wollkleid (lots, riirln), wobei an beiden Hüften
der Länge nach znsammengefaltete färbige Tüchel hängen. Die Fußbekleidung bilden lederne
Schuhe oder Stiefel ans schwarzem, rothem oder gelbem Leder. Bei kalter Witterung
kommt selbstverständlich über den Brnstpelz ein sercknk oder ein langer Schafpelz auch bei
> Intrlotzmauer Bezirke ist der farbige Wollgürtel gebräuchlich.
234
Mädchen vor. Im Winter bedeckt das Mädchen den Kopf mit einem buntfärbigen Tüchel
oder mit weißem Handtnche.
Spiele (itrra82üi). Verschiedenartig sind die Spiele, welche die erwachsene Dorf -
jugend vereinigen. Da ist zunächst in der Dniestrgegend ein Spiel üblich, welches nach
den Anfangsworten des Liedes, das dabei gesungen wird, „Weidenholzbrettchen"
(vvarborvnja äos^e^oo^lra) benannt wird. Die spielenden Mädchen umstehen in einem
Kreise einen Jüngling und singen folgendes Lied:
„Dort am dünnen Brettchen von Weidcnholz
Geht herum die Nastia so schön, so stolz.
,Wo bist du, o Nastia, herumgeeilt,
Als den grünen Hain hat die Glut ereilt?'
,Löschen wollt' die Glut ich im grünen Hain
Und erspäh'n, wo Liebster doch könnte sein;
Wollte seh'n, woher er gefahren kommt
Mit Geschenk, das mir, seiner Liebsten frommt.
Schenken wird er Schuhe mir schön und fein,
Die in Kossow fertigt das Schnsterlein/
,Ja in Kossow sind diese Schuh' gemacht
Und der Liebsten dargebracht, dargebracht.'"
Nach Schluß des Liedes sucht jedes Mädchen den Burschen zu erhaschen und zu
umarmen; jene, der dies zuerst gelingt, erhält den Preis, der aus Ostereiern besteht.
Am Pruth und Czeremosz ist besonders das „Eierschlagen" zu
Ostern üblich; wessen Ei, von dem eines Anderen getroffen, sich als das schwächere erweist,
der hat das Spiel und das Ei an den Gegner verloren. Aus diesem Grunde sind Eier von
Perlhühnern, welche eine sehr harte Schale haben, gesucht und werden theuer gezahlt. In
der Pruthgegend ist ferner ein Osterspiel (kio^kat^) bemerkbar, wobei Ostereier, in eine
aus zwei Brettchen hergerichtete Rinne gelegt, hinunterkollern. Wessen Ei beim Herabkollern
eine Anzahl anderer Eier berührt, der hat die letzteren gewonnen.
Diese Spiele finden im Freien statt. Doch gibt es auch andere, welche minder
lärmend verlaufen, so bei Todtenwachen. Ist jemand im Dorfe hingeschieden, so
versammeln sich am Abend die Burschen und Mädchen zur Todtenwache, aber auch zu
gemeinsamer Unterhaltung. Nicht nur Märchen und Sagen werden da erzählt und Räthsel
gelöst, auch Gesellschaftsspiele sind gebräuchlich. Erstere hier anzuführen erlaubt der
beschränkte Raum nicht; von den Volksräthseln jedoch sind folgende nennenswertst: Aus
einem tiefen Bachesbette flog eine Elster hinaus. — Was ist das? — Der Schuß.
Hinter dem Walde, hinter dem Urwalde schreit ein rothes Kalb? — Die Geige.
Schwarz und klein, weckte er das Fräulein? — Der Floh. Was ist das für eine Frau
im rothen Mantel; kleidet man sie aus, so weint man dabei? — Die Zwiebel. Es
steht ein Berg, am Berge ist ein Wald, am Walde ist eine Schlucht voll weißer Menschen?
— Das Haupt, das Haar, der Mund, die Zähne.
Und nun wollen wir noch einige Gesellschaftsspiele erwähnen. Ein Bursch steckt
seinen Kopf zwischen die Beine eines anderen, und nun schlägt ihn ein jeder der Burschen
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auf den Rücken; erräth er, wer ihm den Schlag versetzt hat, so tritt dieser an seine Stelle.
Beim Ringspiel (parstine^ale) sitzen Bursche und Mädchen im Kreise herum und
lassen einen Ring auf einem Faden in schnellem Tempo von Hand zu Hand gleiten. Einer
der Burschen muß errathen, bei wem sich der Ring befindet; gelingt ihm dies, so setzt er
sich in den Kreis und derjenige, bei dem der Ring gefunden wurde, setzt das Spiel fort.
„Lichtchen" (srvie^e^a) ist ein Spiel, bei welchem ein brennender Kienspan im
Kreise herumgereicht wird; bei wem er erlischt, der muß alle Mitspielenden küssen
— fürwahr, eine für Burschen sehr angenehme Aufgabe!
Am Tanzboden (ckanae). An Sonn- und Feiertagen, wenn die Geige (ski-^Ma)
und die Zimbel (eainbaix) oder das Tamburin (rvuLkmIo, rssreko) ertönt, sieht man
Burschen und Mädchen in ihren schönen Trachten dem Wirthshause, im Sommer wohl
auch der Hutweide zueilen, um sich hier bei Tanz und Gesang zu belustigen. Der Tanz
beginnt gewöhnlich um zwei Uhr Nachmittags und endet mit Sonnenuntergang. Zuerst
beginnen nur die Bursche denselben (ro^vvock^ ckanse), während die Mädchen abseits
vom Tanzboden stehen; dann erst ruft jeder der Burschen seine Liebste dem Vornamen nach
zum Tanze auf und nun dreht sich alles bunt im Kreise um die Musikanten herum, die auf
einer Bank im Centrum des Tanzbodens sitzen, daß der Staub aufwirbelt. Getanzt wird
gewöhnlich: die „Xoiomejlca", seltener der ,Serben"- und der ,^rkan«-Tanz,
welch letzteren nur die Burschen allein in verschiedenen „Figuren" aufführen. Hiezu singen
die Burschen mit ihren frischen Stimmen folgende Tanzlieder:
„Winde wehen gar so trocken
Peter mein hat schöne Locken,
Beutelt mit den schönen Locken,
„Hei, ihr Burschen troxota,
Dies ist unsre Arbeit da.
Teufel wird den Schuster holen,
Wird er uns nicht Stiefel sohlen."
Wird mich gleich znm Branntwein locken;
Ja, zum Branntwein, der wie Honig,
Süß ist er und gar so wonnig."
„Hoppa, zuppa bei der Bank,
Stiefel reißen, Gott sei Dank."
Im Czeremoszgebwte wird der Tanz mit folgenden Liedern eröffnet:
„Wohl, ich will den Tanz beginnen, möge Gott nun walten,
Doch auf uns, die Dorfesjugend, schaut nicht krumm, ihr Alten!
Laßt uns frisch zum Tanze schreiten und zusammen singen,
Jener Maid, die zu gescheit ist, wird's bei uns mißlingen.
Musikant, du Nowisilker, spiele in der Mitte,
Daß ich nur' mal eins auftanze, so nach alter Sitte.
„„Tanze, tanz', wie viel man kann, doch an mich schmieg' Dich nicht an.
Ach, kaum freut das Tanzen mich, bin ich nicht gelehnt an Dich.""
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Am Tanzboden bringt der Bursch seine Verhöhnung in Spottliedern zum Ausdrucke,
um sich an einem Mädchen oder an seinem Nebenbuhler zu rächen.
Aber auch bei der „iriuleg/ oder „kolokm", das ist bei jenen geselligen Zusammen -
künften zur gemeinsamen Aushilfe bei der Feldarbeit, welche die Ruthenen einander an den
„kleineren" Feiertagen unentgeltlich leisten, wird am Abende getanzt und gesungen. So
beim Haindeln des Maises:
„Kukuruz ist uicht gehamdclt, Kukuruz ist grüne,
Nach dem Liebsten härme mich, bin rasend, nicht bei Sinne.
Kukuruz ist ansgehaindelt, hoch hinaufgeschossen,
Nach dem Liebsten härme mich, Hab' ihn in's Herz geschlossen.
Traue, Maid, dem Burschen nicht, wie jenem tücken Hunde,
Raubt er sonst den Kranz Dir schnell und schlägt Dir Herzenswundc.
Beißt ein tücker Hund auch Dich, kannst Du die Wunde heilen,
Doch wenn Liebster Dich verräth, wird Schmach Dich nur ereilen."
Beim Schälen des Maises:
„Überschwemmt der Fluß den Hain, so schwimmen Busch und Zweige,
Sich, das Schälen dieses Maises geht schon bald zur Steige.
Nicht allhier, nur dort im Haine sieht man Raute blühen,
Laßt uns alle bald von hier nach Hanse hurtig ziehen.
Laßt uns bald nach Hause ziehen alle schnell und hurtig,
Denn daheim erwartet man uns gar so ungeduldig.
Denn daheini späht man nach uns bei Nachbarn ganz beklommen:
„„Kinder sind zum Tanz geeilt und sind nicht wiederkommen.""
Ähnlich unterhält sich die erwachsene Dorfjugend auch in den Spinnstuben (rm
rveermrnzmucü), welche gewöhnlich bei Witwen eingerichtet werden, die heiratsfähige
Töchter haben. Hier spinnen die Mädchen fleißig, während die Burschen ihre Spässe
treiben, singen, Märchen und Sagen erzählen und Räthsel aufgeben.
Die Zahl der Volkslieder ist sehr groß. Die Bukowiner Ruthenen fingen überall
und bei jeder Gelegenheit: an der Wiege, beim Taufmahle, am Tanzboden, bei der
Hochzeit, im Felde bei der Arbeit, daheim und in der Fremde, in guten und in schlechten
Tagen; Freud und Leid bringen sie in Liedern zum Ausdrucke.
Liebesleben, Orakel. Bei diesen und ähnlichen Liedern und Zusammenkünften
erglühen oft die Herzen für einander und es beginnt die Liebe mit süßem Zauber den
Burschen und das Mädchen zu umweben. Doch selten nur geschieht es, daß wahre Liebe
unter den ruthenischen Landleuten den Bund für das Leben schließt. Unser Landmann,
welcher von Feldwirthschaft und Viehzucht lebt, sucht (besonders der reichere) für seine
heiratsfähige Tochter einen gut situirten Brüutigani zu erwerben. So kommt es denn,
237
daß bei der Wer -
bung mehr Vater
und Mutter, als die
Liebe der Tochter
über die Zukunft der
letzteren entscheidet.
Freiere Wahl hat
der heiratsfähige
Sohn; die Tochter
ist meistens darauf
angewiesen, sich der
Entscheidung der
Eltern unbedingt
zu fugen.
Deshalb nimmt
auch das ruthenische
Mädchen nicht blos
aus Neugier zu
vielfachen Liebes-
orakeln, zu Wahr -
sagerinnen und Be -
sprecherinnen seine Zuflucht. Für das
Dorfmädchen ist das Liebesorakel ein
Schicksalsspruch, dem es sich oft zu
seiner Beruhigung willenlos unter -
wirft. Die erste Frage jeder Dorf-
schönen ist wohl die, ob und wie viele
Freier sie haben werde. Zu diesem
Zwecke streut das Mädchen am Vor -
abende des Andreasfestes Hanfkörner
in der Holzkammer ans, und schleift sein Unterkleid (Irorbotüa) darüber hinweg, indem
es spricht:
Bolkschpen aus der Pruthgcgeud.
„Andreas, Andreas! > Gebe mir sogleich hier kund,
Ich säe Hanf ohn' Unterlaß; ^ Mit wem ich schließ' den Herzcnsbund."
So viele Körner an dem Unterkleid hängen bleiben, so viele Freier stehen im
folgenden Jahre in Aussicht. Will das Mädchen wissen, von welcher Dorfseite her der
238
Werber nahen werde, so wirft es am Andreasvorabend seinen Stiefel über die Hütte und
schließt ans der Richtung, nach welcher derselbe mit der Öffnung fällt, auf die Gegend,
aus welcher der Werber kommen wird. Auch verfertigt an diesem Abende jedes Mädchen
je zwei Nudeln: die eine aus Brot, welche es selbst, die andere aus Butter, welche ihren
Liebsten vorstellen soll, legt dieselben auf den Fußboden nieder und läßt die Katze ins
Zimmer; das Mädchen, dessen Nudel die Katze zuerst auffrißt, heiratet früher. Oder es
legen Mädchen ihre färbigen Wollgürtel (bujurksi xojg.8zsi in einen Teigtrog zusammen
und beuteln mit demselben; jenes Mädchen, dessen Gürtel zuerst herausfällt, hat Aussicht
zu heiraten. Auch aus der Form des geschmolzenen Bleies schließen die Mädchen auf ihre
Zukunft; sieht sie dem Kreuze ähnlich, so muß das Mädchen sterben, wenn hingegen einer
Blüte, so steht ihr die Heirat bevor. Das Horchen unter dem Fenster ist gleichfalls üblich;
hört das Mädchen im Zimmer das Wort „gehe" aussprechen, so wird es unter die Haube
kommen, das erhaschte Wort: „laß", „sitze" hingegen prophezeit ihr, daß sie noch sitzen
bleiben werde. Ob ihr Mann reich oder arm sein werde, dies zu erfahren begibt sich die Maid
mit zugemachten Augen zum Schober und zieht einen Halm heraus; ist dessen Ähre voll, so
wird ihr Mann reich, wenn hingegen leer, arm sein. Auch werden von den Mädchen die
Zaunpflöcke folgendermaßen bei Nacht gezählt: „Nicht einer, nicht zwei, nicht drei" rc.,
beim neunten sagen sie: „Dies der Meinige" und umbinden denselben mit einem Faden.
Früh am Morgen betrachten sie dann jeden neunten Pflock: ist derselbe mit der Rinde
umgeben, so wird der Mann reich, wo nicht, arm sein. Der Kamm, mit welchem sich das
Mädchen am Vorabende des heiligen Andreasfestes gekämmt hat, wird in einen Knäuel
Rohgarn gewickelt und unter den Polster, auf welchem die Schöne ruht, gesteckt; im
Traume offenbart sich sodann der Schläferin die Zukunft. Stellt sich aber ein Mädchen
ganz entblößt um Mitternacht vor einen Spiegel, so erscheint in demselben der künftige
Bräutigam. Noch ein derartiges Orakel ist hier erwähnenswerth. Auf den Tisch werden
nämlich ein Kreuz, ein Kranz und eine Puppe gestellt und diese drei Gegenstände mit je
einem Teller bedeckt. Nun muß ein Mädchen, das bei der Vorbereitung nicht anwesend
war, einen der Teller aufheben; findet dasselbe das Kreuz, so stirbt es im nächsten Jahre,
der Kranz deutet auf Heirat, die Puppe auf Mutterfreuden oder Schande. Am Vorabende
des Weihnachtsfestes treten die Mädchen mit den Löffeln, welche vom Abendessen abgeräumt
wurden, hinaus ins Freie und rasseln mit denselben: aus der Richtung, in welcher ein Hund
bellt oder ein Hahn kräht, ist der Werber zu erwarten.
Außer diesen Orakeln kennt das ruthenische Mädchen auch mancherlei Mittel,
vermöge deren sie die Liebe der Burschen zu erwecken und stets rege zu erhalten glaubt.
Nie vergißt sie das Kräutchen Ziubosloir" im Gürtel mit sich zu führen, da dasselbe den
239
Oe^nium dasilieum; ruthenisch: ^Va88^Iiolr.
Liebsten anziehen soll. Und um gar Gegenliebe zu erreichen, begibt sich die ruthenische
Dorfschöne am Chardonnerstage an ein reißendes Wasser und spricht:
Von der Burschenrache
Von der Mädchenrache
Lieb Wasser, reißend Wasser,
Zieh' her zu mir den Liebsten,
Er soll nicht essen, nicht sitzen, nicht schlafen,
Bevor er nicht erscheint bei mir."
„Lieb Wasser, Jordan-Wasser,
Du waschest zwei der User
Und auch die dritte Mitte;
Drum wasch' die vierte mich N. N.
Mich ärmste, abgehärmteste:
Bon der Weiberrache,
Von der Männerrache,
Auch Hexen und Wahrsagerinnen werden von den Mädchen sehr oft zu Rathe gezogen.
Hier ein Zaubermittel: das zauberknndige Weib (o?arnvi^eu) gießt in eine Schiissel
Weihwasser, nimmt BasiliumkrauU und wäscht damit die im Zimmer befindlichen Heiligen -
bilder; das Mädchen aber steht vor ihr mit entblößtem Oberleibe. Hierauf wäscht sie
letzteres mit dem Weihwasser und murmelt: „Ich N. N. (Name des Mädchens) ging in
die Kirche, trug in der Rechten eine Kerze und in der Linken das >Vass^1ioü-Kraut. Da
begegneten mir drei Zauberinnen, große Verleumderinnen; sie bespieen mich, bespuckten
mich (tfn, tfn, tfu) und gingen weiter. Da stand ich, wie mitten im Wasser und flehte
zum heiligen Jesus, zur Mutter Gottes uud zum heiligen Nikolaus. Da kamen diese des
Weges einher und ich erzählte ihnen mein Leid. Darauf wuschen mich ab: die Mutter
Gottes bis zur Brust (sie wäscht dem Mädchen die Brust), Sauet Nikolaus bis unter die
Oberarme und Jesus bis an den Gürtel. Darauf kam ich in die Kirche und dort bewunderten
meine Schönheit alle Heiligen und die Menschen. Sie frngen: wer ist denn die Schöne,
die da kommt; ist es eine Gräfin oder eine Priestersfran (popuchu)? Nein, es ist N. N."
Hiemit ist die Abwaschung vollendet, das Mädchen schüttet das übriggebliebene Wasser
in den Bach und geht mit der Überzeugung nach Hanse, daß um ihre Liebe von nun an alle
Dorfburschen wetteifern werden. Auch die Fledermaus wird zu Zaubereien gebraucht, wie
folgt: Sie wird gefangen und in eine Leinwand gehüllt, welche mit kleinen Löchern versehen
ist. Hierauf wird dieselbe auf einen Waldameisenhaufen unter einen neuen Topf gestellt.
Die Ameisen verzehren nun die Weichtheile des Thieres und aus dem L-kelette desselben
sucht sich das Mädchen zwei Knöchelchen heraus, deren eines die Form einer Heugabel,
das andere die einer nach innen eingebogenen Hand aufweist. Will nun dav Mädchen die
Liebe eines Burschen erwerben, so zieht sie ihn mit dem letzteren insgeheim an sich; mit
dem ersteren aber wird derjenige weggestoßen, dessen Anträge dem Mädchen lästig sind.
Werbung und Verlobung (srvätaifis, 2arüo?M)fi. Wie bereits erwähnt, werden
ohne Einwilligung der Eltern schon deshalb keine Ehen geschlossen, weil von ihnen die
' Besonders in den Dörfern am Dniestr.
240
Mitgift (rvlno) abhängt, welche die Grundlage der selbständigen Wirtschaft des jungen
Paares bildet. Als Regel gilt in der Bukowina, daß ein Bursch nicht früher, als nach
vollendetem 24., das Mädchen aber schon mit dem 14? oder 17. Lebensjahre verheiratet
werde. Nie darf ferner ein jüngeres der Geschwister vor dem älteren eine Ehe eingehen,
doch bilden in dieser Beziehung Burschen und Mädchen getrennte Reihen; Blödsinnige
und Krüppel sind ebenfalls aus diesen Reihen ausgeschlossen.
„Anu, ich möchte gerne meinen Sohn verheiraten (oLsnzck^, ^akmlatzsi" beräth der
alte Vater mit seiner Gattin und sobald dieselben für ihren heiratsfähigen Sohn (parubolr,
tsKin) eine Wahl getroffen haben, laden sie Verwandte und Nachbarn zu einem Familien-
rathe ein, aus deren Mitte der Werber (8taroska) gewählt wird. In der Regel ist es ein
naher Verwandter des Burschen (sein älterer Bruder oder sein Schwager, seltener übernimmt
der Vater die Werbung). Ein Zeuge, welcher fälschlich ebenfalls ,s1aroZ1a° genannt wird,
begleitet den eigentlichen Werber in das Haus des Vaters der Auserwählten. Hier wird
jedoch nicht sofort auf den Zweck losgesteuert, sondern unter langandauernden einleitenden
Gesprächen über Wetter, künftige Ernte rc. blos darauf hingedeutet, welch ein schönes
Paar der Bursch und die Tochter des Hauses ausmachen würden. Der Vater bittet sich
eine Bedenkzeit von wenigen Tagen aus und ersucht die Werber, dann wiederzukommen,
was schon als Zeichen gilt, daß die Werbung eine willkommene war. Ist diese Bedenkzeit
verstrichen, so erscheinen abermals dieselben Werber, um „Umschau zu halten" (na ob^oi-Mzsi
nach der künftigen Mitgift, halten um die Hand des Mädchens an, erhalten in der Regel
einen günstigen Bescheid und nun wird auch formell das Mädchen um seine Einwilligung
befragt, welches vorher die Mutter in der kleinen Stube mit guten Worten, seltener mit
Drohungen überredet hat, ihr Jawort zu geben.
Schon in den nächsten Tagen kommen mit den Werbern auch die Eltern des Burschen
in das Heim des Mädchens; cs wird nun daselbst das ,slovvo", das heißt, das
Ehrenwort, die Zusage getrunken, was zugleich auch die Verlobung nach der Anschauung
des Volkes ausmacht. Hier werden die Mitgift, sowie die Geschenke vereinbart, welche Braut
und Bräutigam an die gegenseitigen Verwandten zu vertheilen haben, ferner wird
ausgemacht, daß zwei Musikbanden gesondert für Braut und Bräutigam gemiethet werden,
auch die Anzahl der beiderseitigen Hochzeitsgäste festgesetzt. Wird endlich auch der Tag
der Hochzeit anberaumt, so erscheint die Verlobung als unumstößlich abgeschlossen. Will -
kürliches Brechen des ,slorvo^ rächt sich oft schwer; denn einerseits kann der schuldige Theil
vom Dorfrichter zu Schadenersätze verurtheilt werden, anderseits hüten sich dann andere
Väter, mit demselben eine Verlobung einzngehen.
241
16
Bukowina.
Drei bis fünf Wochen lang, während welcher die gesetzlichen Aufgebote in der Kirche
verkündigt werden, dauern die vielfachen Vorbereitungen zur Hochzcitsfeier. Da werden
die Häuser der Brautleute getüncht, Geschenke eingekauft, Speisen und Getränke herbei -
geschafft, zu deren Besorgung eine Bäuerin als „Köchin" (bwebarkL, rmpwMn bubkw)
bestimmt wird. Nachdem auch die Musikanten für die Hochzeitsfeier, welche sowohl bei der
Braut, als auch beim Bräutigam abgesondert begangen wird, gemiethet sind, wird an die
Besetzung der zahlreichen Hochzeitsämter geschritten. Außer dem „Starosten" und dessen
Zeugen werden auch der Brautvater (bnl'Ico) und die Brautmutter (inatlrn) aus den
Angesehensten der Familie gewühlt? Zu Brautführern (ckrr.r-.bn) werden gewöhnlich einer
oder zwei Busenfreunde des Bräutigams bestimmt^ zwei Freundinnen der Braut erhalten
das Amt der Brautmüdcheu (ckrrrLbr). Lustige Weiber (srvusM) besorgen die Unter -
haltung bei der Hochzeitsfeier durch ihren Gesang und ein kleines Mädchen (srvilervlrg)
wird zur Lichtträgern! bestimmt. Der ,I4ockas2" endlich ist ein Knabe, welcher den
Einzug in das Hans der Braut beschließt und „Bojaren" sind bekannte Burschen, welche
Braut und Bräutigam sich für die Hochzeitsfeier zur Suite auserwühlen.
Die Hochzeitsfeier (ävssrljö). Die ruthenische Hochzeitsfeier währt in der Regel
drei bis vier Tage und besteht aus: 1. dem Vortage der Hochzeit (rurvöcksirzsi. 2. dem
eigentlichen Hochzeitstage (sljrrb), 3. dem sogenannten „Nachtrnnk" (propif) und
4. der Lachfröhlichkeit (smifin^).
Am Vortage der Hochzeit (öknvockerrzt) wird in beiden Gehöften, hier für die
Braut, dort für den Bräutigam, der Hochzeitsschmuck in feierlicher Weise hergestellt. Für
die Braut wird nämlich aus mit Flittergold überzogenen Jmmergrünblätteru (vineu minor)
entweder ein bloßes Band zusammengenäht und dies auf dein Zrulpule« am Kopfe
angebracht, oder — so in der Czeremoszgegend, wo sonst kein Kalpak üblich ist — aus
Immergrün, Flittergold, Bändern, Silbermünzen und Knoblauch ein kronenförmiger
Kopfputz hergestellt, unter welchen Rautenblätter zu stehen kommen. Zwei Weiber, die noch
mit ihren ersten Männern leben, müssen diesen Kopfputz nähen, bei welcher Arbeit sie
folgendes Lied anstimmen:
„Segne Gott Vater und Mutter mit ihnen
Euerem Kinde den Kranz zu beginnen.
Mütterchen, reich' die Nadel und den Seidenfaden,
Daß ich drei Blätter Immergrün
Dem Bräntchen näh' zum Kopfkranz."
„Ach du Kranz aus Immergrün,
In der Stadt kaust' ich dich,
In der Truhe barg ich dich,
Jetzt muß ich dich räumen,
Und mein Leid beweinen."
„Mög' der Wald stets neu erblühen,
Der dies Kräutchen uns geliehen,
Das im Winter nie erfroren,
Sommers auch nicht thut verdorren,
> Im Kotzmaner und Dniestrgebietc wählt der Bräutigam den bat'lio, die Braut die -natka; im Wiznitzer Bezirke findet
das Entgegengesetzte statt, ja sehr selten sind auch zwei Männer oder zwei Weiber Trauungszeugen.
242
Das im Winter immer grünt,
Blühet blau, wenn Lenz beginnt."
„Musikanten spielen mit den Händen
Und die Kränze will man schon beenden."
Für den Bräutigam wird aus vergoldeten Jmmergrünblättern eine Rose gefertigt,
in die ebenfalls Silbermünzen und Knoblauch (um gegen alles Böse zu feien) kreuzweise
eingenäht find; dieser Schmuck wird an die rechte Seite der Pelzmütze befestigt, mit
welcher der Bräutigam im Sommer ebenso wie im Winter zur Trauung fährt. Auch diese
Rose muß eine Frau nähen, die mit ihrem ersten Manne lebt; hiebei wird gesungen:
„Nicht das rothe Meer ertönet,
Sondern Sonne badet sich;
Bräutigam vergeht vor Sehnen
Nach der Braut, der holden, schönen."
„Zwei Pfaue die Erde stampften
Nach der Stadt zwei Brüder gelangten,
Haben Seide dort erstanden,
Welche in den Kranz sie wanden."
„Zwei Entriche Erde stampften
Nach der Stadt zwei Brüder gelangten,
Haben Flittergold erstanden,
Und den Kranz damit vergoldet."
Sobald die Kopfzierden fertiggestellt sind, so werden dieselben der Braut und dem
Bräutigam aufgesetzt, nachdem ihnen zuvor ihre Eltern dreimal mit Brot und Salz den
Kopf berührt haben. Hierauf wird ein Tannenbäumchen, hier und dort mit weißen, roth-
und gelbgefärbten Federn geschmückt, auf den Tisch gestellt zur Erinnerung an den ersten
Sündenfall, worauf sich Braut und Bräutigam, jeder Theil für sich, in das Dorf begeben,
um die Gäste einzuladen.
Die Braut begleiten bei dieser Gelegenheit ihre zwei Brautmädchen, welche im
Dniestrgebiete in der einen Hand einen Flachsbüschel tragen, die andere Hand mit
einem leinenen Tüchel (s^aranün) umwickeln. Mit dem Bräutigam gehen ein oder zwei
Brautführer, von denen der eine (in der Pruthgegend) einen auf einem Tüchel hängenden
Kuchen (koknech, der andere hingegen einen mit einem leinenen Tüchel umwundenen Stock
trügt. Die Einladung geschieht in der Art, daß Braut oder Bräutigam dem zu Ladenden
einen Kuchen überreicht und hiebei die Worte spricht: „Es baten Euch Vater und
Mutter und auch ich bitte Euch, damit Ihr gütigst zur Hochzeit kommet; wir bitten auf
Kolatschen". Hierauf fügen noch Brautmädchen oder Brautführer hinzu: „Es baten Euch
der Onkel, dessen Weib, die Braut (der Bräutigam) und auch ich bitte Euch, damit
Ihr re."'
' Onkel und Tante heißt in der allgemeinen Bedeutung und Ladet hingegen ein Waisenkind zu seiner
Hochzeit ein, so sagt es: „Es baten Euch Brüder und Schwestern, die Onkel und Tanten rc."
243
,-i . --------
Sind die Einladungen beendet, so kehren die Hochzeitsbitter nach Hause zurück,
wo sich gegen Abend die Dorfjugend bei Musik und dem von den Brautleuten gespendeten
Branntwein unterhalten. Sodann gehen sie Hand in Hand in die große Stube (eirala),
wovon der Name ,?aevoä6ii)'" (die Hineinführung ins Haus) oder ,2ac?^nuju^6ig/
>der Beginn) herrührt.
Von der Braut erhalten
die Burschen gleichsam
zum Abschiedsgruß zu
Sternen zusammenge -
nähte, mit Flittergold
überzogene Jminergrün-
blätter. Auch Wahlen an
diesem Abende Braut
und Bräutigam ihre
„Bojaren" (Hochzeits -
begleiter) und schmücken
Hüte und Brust derselben
mit vergoldeten Jmmer-
grünblättern. Eine Ver -
bindung zwischen den
beiden Häusern findet
an diesem Abende nur
insoferne statt, als die
,8rvu82ki" unter lustigen
Gesängen in das Haus
des Bräutigams das
gestickte Hemd und das
Schnupftuch (srmroiikg)
tragen, welche die Braut
ihren: Verlobten zu
spenden verpflichtet ist,
worauf andere ,8rvas2ki« von: Bräutigam die gelben Stiefel und ein feines Stück Leinwand
(runkuel: oder poürxrvulo) der Braut als Gegengeschenk überbringen.
Am eigentlichen Hochzeitstage (sistrk) in der Früh bereiten sich Braut und
Bräutigam zum Kirchgänge vor. Es versammeln sich hier wie dort der ,buküo , die
,mutku° und andere Gäste, von denen die Männer zwei Kuchen und eine halbe Oka
^
Bolkslypen aus der Dmeslrgegend.
244
Branntwein oder ein Stößel Salz/ die Frauen eine Henne als Geschenk mitbringen.
In der Mitte des Zimmers wird eine Holzbank aufgestellt, auf welcher die Eltern
Platz nehmen, Brot und Salz in der Hand; zu ihren Füßen liegt eine Strohgarbe
ausgebreitet, aus derselben ein Kotzen (Hausteppich) mit einem Polster. Auf diesen
Polster nun kniet Braut oder Bräutigam nieder und der angesehenste der Gäste recitirt
folgenden Segensspruch: „Im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes,
Amen. Niedergekniet ist dieses Kind und beugt seinen Kranz vor dem väterlichen Sitze,
vor Gott dem Herrn, vor der allerreinsten Jungfrau, vor der Welt so hell, vor den Ange -
hörigen so schön, vor dem Tisch so ehrbar, vor den Gaben Gottes; vor Vater und Mutter,
vor Brüdern und Schwestern, vor Brautvater und Brautmutter, vor Onkeln und Tanten,
vor allen Verwandten, vor allen Nachbarn und vor Euch allen, ihr ehrbaren Christen,
verbeugt es sich, wie das Helle Wachslicht vor den Kirchenbildern. Das Licht erglänzt und
flammt und schlägt den Feind mit der Flamme nieder. Dieses Kind aber erbittet sich Ver -
zeihung: vorerst bei Gott dem Herrn und vor Euch verbeugt es sich, bittet Euch um
Verzeihung und den Segen, Ihr ehrbaren Christen möget alle es segnen mit Glück und
Gesundheit, mit vielen Jahren und Wohlstand; Ihr möget es begleiten zur glücklichen
Stunde auf den langen Lebensweg. Auch zum zweiten Male erbittet sich dieses Kind
Verzeihung und Segen, und zum dritten Male bittet es rc." Nach jedem Male antworten
die Anwesenden: „Gott möge dir verzeihen, Gott möge dich segnen." Bevor Braut und
Bräutigam die elterlichen Häuser verlassen, um getrennt in die Kirche zu ziehen, werden sie
mit Weizen beworfen. Begleitet wird die Braut auf ihrem Gange von den zwei Braut-
jnngfrauen, der Brautmutter, einer „svrasMa" und ihren „Bojaren"; der Bräutigam von
den Brautführern, dem Brautvater, der „svvitavvirm" und seinen „Bojaren". An der Spitze
der beiden Züge schreiten die letzteren, während auf dem ersten der nachfolgenden Wägen
das Tannenbäumchen Prangt. Während des Ganges zur Kirche singen sie unter Musik -
begleitung folgende Lieder:
„Wohin geht die Reise heute?
In den Wald und Hain so weite?
Nicht zum Wald und Hain, ihr Leute,
In die Kirche zieh'n wir heute.
Nicht das Meer thut so ertönen,
Bräutchen weint vielmehr schon Thronen,
Rust den Vater an im Schmerze:
Liebes, trautes Baterherze
Rette mich aus diesem Meere.
„„Wenn dies, Kind, mir möglich wäre!
Dies hängt ab von jenem Herrn,
Der Dich wird zur Frau begehren.""
Vor der Kirche treffen beide Züge zusammen; in derselben findet die Trauung
durch das Wechseln der Ringe und Auflegen der Kränze auf die Köpfe des Paares statt,
1 In letzter Zeit werden die Hochzeitsfeierlichkeiten zu Folge der Nüchternheitsbewegung in der Bukowina fast durch -
gehend? ohne Branntwein begangen.
245
wobei draußen Pistolenschüsse abgefeuert und drinnen beim Umzug um den Altartisch über
die Köpfe der Braut und des Bräutigams Zuckerstückchen oder Haselnüsse gestreut werden.
Als Trauungszeugen walten hiebei der Brautvater und die Brautmutter. Wenn beide
Verlobten vor dem Mare stehen, so trachtet eines dem anderen auf den Fuß zu treten, da
sie glauben, daß derjenige Theil, welchem dies gelingt, über den anderen herrschen werde.
Auf anderen Wegen, als sie in die Kirche gingen, und wieder getrennt, kehren die
Neuvermählten nach der Trauung in ihre elterlichen Häuser zurück.
Sobald die Braut sich dem Hausthor nähert, singen die „Bojaren" folgendes Lied:
„Komm' lieb' Mutter mir entgegen
Mit „Kölnischen" schön geflochten
Und mit gutem Willen.
Willst Du mich denn nicht begrüßen,
Willst von mir du gar nichts wissen,
Ob von Ferne wir gelangen,
Wie es uns ist dort ergangen?
Trefflich' Glück Hab' ich erschauet,
Gleich hat man mich angetrauet."
Beim Einzug ins elterliche Haus empfängt die Mutter die Braut sowohl, als auch
den Bräutigam feierlich mit Kuchen und Salz. Indem das Bäumchen vorangetragen wird,
begiebt sich alles Hand in Hand in das Haus, an der Spitze der Brautführer, welcher
mit seinem Stocke den Thürstock kreuzweise berührt, wobei folgendes Lied dem
gesungen wird:
„Hoza, hoza, hoza-scha,
Nicht verlieret Kodasza;
Werfet Groschen ihm zusammen,
Kaufet ihm ein Pferd mitfammen.
Kodasz hat's bei uns verdient,
Daß zu Fuß er nicht mehr minnt/
Dieser aber ist so übermüthig geworden, daß er mit einem in ein Tüchel gewickelten
Steine den Thürstock als letzter im Zuge tüchtig bearbeitet.
Wenn die Braut beim Einzuge hinter dem Tische zu stehen kommt, so singen die
Anwesenden:
„Jetzt kommt unsre Braut
Von der Trauung zurück,
Verbeugt sich vor dem Tische:
Tischchen, Tischchen mein,
Es muß geschieden fein,
Von der Mutter muß mich trennen.
Ach, ein großes Leid zieht durch's Immergrün,
Nicht die Schneeballstaude knicket,
Bräntchen, Abschiedsgruß schon nicket,
Denn sie zieht von Vater, Mutter."
Hierauf findet hier ebenso, wie beim Bräutigam ein festliches Mahl statt, bei welchem
zur Rechten und Linken der Braut die Brautmädchen sitzen. Diese wenden sich nach dem
Mahle zum Bruder der Braut, welcher hier der Festordner ist, mit folgendem Gesänge:
„Du Täuberich — Rührer,
Du Bruder, unser Führer!
Hast uns eingeführt in's Haus,
Führe uns auch gleich hinaus;
Führe uns zum Tanz, dem netten,
Daß wir draußen Erde treten."
246
Und nun erwartet man bei froher Unterhaltung die Ankunft des jungen Mannes.
Dieser aber ist ungeduldig und läßt inzwischen, nachdem sich die Gäste mit Speise und
Trank gestärkt, die Vorbereitungen zur Abfahrt um die Braut treffeu. Dieser Zug findet
gewöhnlich gegen Abend mit festlichem Gepränge statt. An der Spitze schreitet der
Bräutigam mit seinen Genossen und der Musik einher; hinter ihm fahren einige Wagen,
auf dem ersten die Brautmutter, die „Lvvitsrvüu« und die »srvusMi". Hierauf folgen
die anderen Hvchzeitsgüste, deren Zahl schon beim ,slorvo-Trinken" bestimmt wurde und
welche stets eine ungerade sein muß, so daß bei der Rückkehr mit der Braut die Zahl gerade
wird. Gelangt der Festzug vor die Wohnung der Braut, so wird der Schwiegersohn
mit Brot und Salz empfangen.
Doch bleibt der junge Mann vorläufig noch vor dem Thore mit seinen Begleitern
stehen und sendet den Werber und den Brautführer als Parlamentäre in das Innere des
Hauses. Der erstere überreicht der Braut im Namen des Bräutigams einen Kuchen mit
Flittergold verziert und kauft die Braut von den Brautjungfrauen los. Die Braut nimmt
den Kuchen, bekreuzt sich und schaut durch das Loch desselben, indem sie sich nach allen
vier Weltgegenden wendet, worauf sie für den Bräutigam einen gleichen Kuchen als
Gegengeschenk übergibt. Sobald nun die Brautführer herbeikvmmen, so wird von Gästen
das Lied angestimmt:
„Ach ein großes Leid zieht durch's Immergrün.
Falken kommen schon geflogen
Aus dem fernen Erdenbogcn:
Schwalben, müsset euch erheben,
Falken diesen Platz vergeben."
Die Brautmädchen aber, welche bei Tische sitzen, verspotten die Brautführer
und singen:
„Ach, ein großes Leid zieht durch's Immergrün.
Dort am Himmel Mond so Helle,
Hier schön Brautführer zur Stelle;
In die Tasche wird er langen
Uns mit seinem Gelde fangen."
Die Brautführer müssen so lange Kleingeld in einen Teller werfen, bis die Braut -
mädchen zufriedengestellt sind, worauf diese sich von den Plätzen erheben, die sie bis dahin
neben der Braut eingenommen hatten.
Und nun nähert sich der Bräutigam mit seinen Güsten der Hausthür; an der Spitze
des Zuges der Werber mit dem Bäumchen und der Brautführer. Aus der Schwelle steht
der Vater der Braut, „srvat" genannt, mit der Branntweinflasche in der Hand. „Guten
247
Besonders im Czeremoszthale gebräuchlich.
Tag, srvak" ruft diesem der „skaroska" zu, worauf die Antwort erfolgt: „Gebe Euch Gott
Gesundheit." Darauf fragt der Werber: „Wohin führt unser Weg ins Haus?" Der Haus -
wirt!) zeigt ihm zunächst eine falsche Richtung; erst wenn diese Frage zum dritten Male
wiederholt wird, während welcher Zeit alle mit Branntwein bewirthet werden, und vor
dem Hause tanzen, kann der Bräutigam seinen Einzug in's Haus halten? Alle fassen sich
nun bei den Händen und ziehen unter Gesängen in die Hütte ein. Der „starost", dessen
Mantel bereits mit einem bunten Tüchel oder einein weißen Handtnche, welches er sich
rings um den Oberleib bindet, geschmückt wurde, entfernt das mit Federn geschmückte
Bäumchen der Braut von dem Tische, und setzt dafür das Bäumchen des Bräutigams hin;
dann geht er dreimal um den Tisch, wobei ihm alle Ankömmlinge folgen. Tie Braut weint
indessen Abschiedsthränen. den Kopf über die vor ihr stehenden Kuchen gesenkt; so oft jedoch
der Bräutigam während des ltmzuges an ihr vorbeigeht, hebt er ihr gleichsam zum wivste
den Kopf mit einem Tüchlein empor. Ist der dreimalige Umzug beendet, so setzt sich der
Bräutigam zur Linken der Braut am Ehrenplätze nieder und sucht gleichzeitig einen Zipfel
des Pelzes der Braut unter sich zu bringen, um in der Folge sein Weib zu beherrschen.
Links vom Bräutigam setzt sich der Brautführer, nunmehr mit drei Tücheln geschmückt,
deren eines ihm die Braut, die zwei anderen die Brautmädchen spendeten. Neben dem
Brautführer haben der Brautvater und die Brautmutter ihren Sitz; auch diese wurden von
der Braut mit Tücheln oder mit Handtüchern beschenkt. Hinter dem Brautpaare aber steht
die „sviterviru" und leuchtet über den Häuptern des Paares mit jenen zwei Kerzen,
welche die Brautzeugen bei der Trauung gehalten hatten. Weiterhin nach rechts und links
vertheilen sich um den Tisch herum die angesehensten Hochzeitsgäste je nach Rang und
Alter und werden gastlich bewirthet. Nach dem Mahle zieht der Brautvater jenes Stück
feiner Leinwand, welches der Bräutigam tagsvorher überschickt hatte, hervor und gibt
dasselbe dem älteren Bruder der Braut, von dem der Bräutigam die Schwester vorwsi
etwa um ein Federmesser loskausen mußte. Derselbe hebt dieses Tüchel (genannt raukueü
oder xokr^vato) auf zwei Stäbchen und läßt dasselbe auf den Kopf der Braut nieder -
gleiten, durch welchen Vorgang sie schon zum Weibe eingckleidet worden ist. Im Kotzmaner
Bezirke erfolgt jetzt die Beschenknng der Anverwandten des Bräutigams.
Nachdem man sich noch bei fröhlichem Tanze ergötzt, wird endlich zum Aufbruch
gemahnt. Nun wird die große Kiste (sür^iria), welche das bewegliche Eigenthum der
jungen Frau (ärwstry) - Wäsche und Kleidungsstücke — enthält, auf jenen Wagen
gehoben, auf welchem die Brautmutter, die „srvitsrvka" und die „svas^i" sitzen. Der
Bräutigam gibt noch der Braut zum Zeichen seiner Herrschaft über sie ans den mit einem
Polster bedeckten Rücken drei Schläge mit einer Ruthe, setzt sich mit ihr auf den ersten
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Wagen und fort geht's nach seinem Heim, wohin ihm alle seine Gäste, die mit ihm
gekommen waren, unter entsprechendem Gesang in langer Reihe folgen. Auf einem anderen
Wege, als der, auf welchem sich der Hochzeitszug zum Hause der Braut bewegt hatte
(damit die junge Frau nicht den Weg zu ihren Eltern finde, falls sie etwa ihrem Manne
entlaufen wollte), nähert man sich nun der elterlichen Wohnung des Bräutigams. Ist der
Zug vor dem Thore angelangt, so ertönt folgender Gesang:
„Hffne, lieber Swat, das Fenster vor Wonne,
Wir bringen dir 'ne junge Frau, wie eine Sonne.
Laß', lieb Mutter, das Thor öffnen der Holden,
Ihr, die wir bringen, der Gold'nen.
Schnell die Riegel von dem Hause entfernet,
Wir bringen die junge Frau, die euch gehöret."
Die „Bojaren" schaffen hieraus den Koffer der jungen Frau, die Polster rc. in die
Hütte und nun fassen sich alle Ankömmlinge— der „Starost" mit dem Bäumchen der Braut
an der Spitze — bei den Händen und ziehen, vom Vater oder der Mutter des Bräutigams
mit Brot und Salz empfangen, in das Heim der Neuvermählten ein, wobei ebenfalls ein
entsprechendes Lied gesungen wird. Sodann setzt sich das junge Paar auf den Ehrenplatz
an der Ostwand des Hauses, das Gesicht gegen Westen gewendet, zu Tische, links vom
Bräutigam der Brautführer, nach ihm dem Range nach die anderen Gäste. Im Czeremosz-
gebiete beschenkt die Braut erst jetzt die Angehörigen und Dienstboten des Bräutigams mit
Gegenständen der Hausindustrie. Darauf folgt Mahl und Tanz. Endlich wird das junge
Paar von der Brautmutter in ein Kämmerlein geführt und die Gäste entfernen sich, um
daheim der Ruhe zu pflegen.
Am folgenden Tage versammeln sich in der Wohnung des jungen Mannes abermals
die Gäste zum sogenannten „Nachtrunk" (propis), an welchem auch schon die Angehörigen
und Gäste der jungen Frau theilnehmen. Um Brautvater und Brautmutter werden in
feierlicher Weise der Brautführer und die ,sevu82lU" mit einem Kuchen entsandt und
werden diese Würdenträger in ebenso feierlichem Aufzuge unter Gesängen von ihren
Wohnungen abgeholt. Ist nun der Zug im Hause angekommen, so setzen sich Männer und
Weiber um den Tisch und singen: „Alles wäre gut, nur eins uns verdrießet, daß mau
das junge Pärchen vermisset." Der Brautführer sucht hierauf die Neuvermählten auf, diese
setzen sich zu den Gästen an den Tisch und heute bewirthet schon die junge Frau mit Brannt -
wein, wofür dieselbe von den Männern mit Geld, von den Frauen mit Handtüchern und
dergleichen beschenkt wird. Essen wollen jedoch die Gäste nicht, bevor man sie nicht oft dazu
gebeten hat. Zum Abschiede wird ein Danklied von den Gästen angestimmt. In der Pruth-
gegend werden an diesem Abende Strohwische an Pflöcken befestigt und angezündet.
Am vierten Tage, welcher den sonderbaren Namen „Lachfröhlichkeit" (Smijinx)
führt und gegenwärtig nur noch sehr selten gefeiert wird, besucht das junge Paar mit den
Verwandten des Mannes die Eltern der jungen Frau; hier wird gegessen und getrunken
und findet die Hochzeitsfeierlichkeit endlich ihren Abschluß.
Mann und Weib. Mann (o?otovill, inuL) und Weib (r'mkn, ga^ckMia) tragen
nach ihrer Vereinigung eine viel einfachere Tracht als während des ledigen Standes. Das
Weib bedeckt von nun an den Kopf mit einem schneeweißen Handtuch (ruernM oder
persmitkg), unter welchem ein Wergballen (learpa genannt) eine Erhöhung bildet. Im
Hause trägt es wohl auch ein färbiges Tuch um den Kopf, oder, wie in einigen
Gemeinden des Kotzmaner Bezirkes, einen rothen Fez.
Sein Los ist kein besonders beneidenswerthes. Durch die drei Schläge auf den
Rücken, welche die Braut vom Bräutigam beim Verlassen ihres Heims erhielt, hat der Mann
bereits deren untergeordnete Stellung durch das ganze Eheleben angedeutetT Ja, im
Czeremoszgebiete bezeichnet bisweilen, wenn auch sehr selten, der Mann seine Frau nicht
mit ihrem Namen, sondern mit „diese" oder — „die zum Haus -
gesinde gehörige". Ruft hier der Bauer sein Weib an, so hängt er an den Vornamen der -
selben ein »niu" an, wie man wohl Thiere anzurufen pflegt. Ja selbst der Tänzer ruft
sein Mädchen bisweilen mit einem Pfiff zum Tanze herbei. Stirbt ein rnthenisches Weib,
so meldet der Gatte diesen Vorfall dem Priester hie und da mit den Worten: „Mir ist die
zum Hausgesinde gehörige umgestanden." So hat sich leider seit Jahrtausenden die
niedrige sklavische Stellung des Weibes beim ruthenischen Landvolke erhalten, worauf auch
das Sprichwort hindeutet: „Langes Haar, kurzer Verstand" oder: „Höher ist die Pelzmütze
(kme-ina) als die Msrpa" (Wergballen)." Doch gilt das Gesagte nicht von der ganzen
ruthenischen Bevölkerung.
Das Weib scheint nie auf den Gedanken einer Trennung der Ehe zu verfallen; der
Mann schafft sich mitunter selbst „Recht", jagt wohl auch, wenn ihm sein Weib gar unnütz
erscheint, dasselbe davon. Stellt es sich in der Folge heraus, daß die Frau nichts verschuldet
habe, so verhängt der Dorfrichter über den Mann die Arreststrafe. Hat sich ein Mann gar
an seinem Weibe vergriffen und dasselbe mißhandelt, so zahlt er ihm ein Schweig- und
Schmerzensgeld, damit es ihn nicht „verklage". Treulose Frauen werden in der Regel sofort
gezüchtigt, und ihrem Verführer lauert (pickZickaja) der beleidigte Mann mit seinen Freunden
unter einem Zaune so oft auf, bis sie auch ihn oft in schrecklicher Weise bestraft haben.
Die Wirtschaft wird von beiden Ehegatten gemeinsam geführt. In der ersten Zeit,
solange das Ehepaar im Hause der Eltern des Mannes wohnt, ist die Stellung des letzteren
> Hierauf deutet sogar zu grell das rnthenische Sprichwort: „Das nicht geprügelte Weib gleicht einer nicht geschärften
Sense." lTintea nobz'ta, saü kosä uellexana.)
und noch mehr die seines Weibes eine völlig untergeordnete. Beide wohnen im kleinen
Zimmer (clmte-^ann) und führen sie mich einen eigenen Haushalt, so bleiben sie doch
völlig der Aufsicht und den Rathschlägen der Eltern unterworfen. Erst wenn der junge
Ehemann sich auf einem eigenen, als Ausstattung übernommenen Grundstücke seine Hütte
erbaut hat, erfolgt die Begründung einer selbständigen Wirtschaft und dann heißt es:
„er hat sich losgetrcnnt" (rv'm rvickckitxrvssa, rvlckoüi'om^vsja). Dahin führt der neue
Wirth (Fn^än) nun auch die ihm versprochenen Geräthe nnd Viehstücke, und ist dies
geschehen, so ist er ganz selbständig geworden. Er ist das Haupt in seinem Heim und bei
der Wirthschaft, welchem sich alles fügen muß.
Vor allem ist der Ruthene sehr fromm; er unterläßt es fast nie, sein Morgen- und
Abendgebet zn sprechen und geht er schlafen, so murmelt er noch, den Polster bekreuzend,
folgendes Sprüchlein:
„Hehres Kreuz zu Häupten, > Reiner Ort unter mir,
Gottes Kraft zu Füßen, I Gott mein Hort über mir.'
Die Bauern fasten sehr viel. Außer den kirchlichen Fasten beobachten sie noch frei -
willige, so zum Beispiel während einer Krankheit, „auf den Kopf des Feindes", zur Zeit
eines Rechtsstreites, um eine ,impnst,'° (ungerechtfertigte Beschuldigung) abzuwenden und
dergleichen. Als An,ulet trägt der ruthenische Landmann mitunter ein Stückchen zn Ostern
zugleich mit dem Osterbrot geweihten Holzes (lUollierlra). Im Verkehre mit anderen Dorf -
bewohnern ist derselbe sehr artig. Ausdrücke, wie: das Hemd, die Unterhose, das Schwein,
der Hund rc. wird er nicht eher anssprechen, bevor er nicht voransgeschickt hat: „indem ich
die Heiligenbilder, die Sonne und Euch, artiger Herr, hochachte". Landleute gleichen Alters
rufen einander mit dem Ausrufe: Mos!" oder .Nos-t^-mo!« („mein, du mein", seiliesl:
Freund) an. Den Tag theilt der Ruthene nach den drei Essenszeiten ein, nnd zwar: „odick"
bis 9 oder 10 Uhr Vormittags; .pokncksnok« ^ Mittagszeit, endlich in der Dämmerung
die ,ev6E'sa." (Nachtmahl). Besucht ihn Jemand, während er speist, so frägt der
Angekommene: äo obiän?« (Zeit zum Essen?), worauf ihm der Essende antwortet:
„es ist Zeit, wir bitten auch Euch." Die Mittagszeit und die Zeit um Mitternacht gelten
als unglückbringend. Geschieht an einem Tage ein Unglück, so sagt der Landmann:
koralim clirvrm« (dies ist ein Unglückstag). Auch gibt es nach der Ansicht des Volkes
Stunden, in denen Segen und Fluch sofort in Erfüllung gehen können, sowie die ungeraden
Zahlen als unglückbringend gemieden werden. Geht der Ruthene an eine Arbeit, so spuckt
er in die Hände, denn dadurch soll inan an Kraft gewinnen. Von den Monatsnamen sind
ihn, nur folgende drei allgemeiner bekannt: Nart oder Nnrok — März, Karten (Birken -
monat) -- April und Driver, (Grasmonat) — Mai. Geschieht während des Gesprächs
des Teufels Erwähnung, so fügt der Ruthene hinzu: (er möge verschwinden
251
oder: „im sn^rv-b^-sa" (er möge mir nicht träumen); spricht er vom Wolfe in Gegenwart
eines Wiegenkindes, so pflegt er hinzuzufügen: „ein heißer Stein sei ihm in den Zähnen
und der Abend hinter dem Meere". Lobt Jemand das schöne Aussehen seines Kindes, so
entgegnet der Ruthene sofort: „nievrokew (keinen bösen Blick!) oder ,eur (pfui) den
garstigen Augen"!
Die Nahrung des Bukowiner Ruthenen besteht hauptsächlich ans der »üuiesrm«
oder (Polenta), welche bei keiner Speise fehlen darf, ferner aus „borsxe/."
Ruthenisches Bauernhaus aus Lenloutz (Pruthgegeud-.
(Sauersuppe), ^rokv« (Mehltaschen), ,matas- (Maisplatzeln), Erbsen, Bohnen, Fisolen,
Gurken, „Inckus^ (mit Graupen gefüllte Krantblätter), Erdäpfel, Kraut — seltener
Schweine- und Hühnerfleisch.
Was der Mann im Hofe und bei der Feldwirthschaft, das bedeutet die Frau im
Inneren des Hauses und im Gemüsegarten. Hier trachtet sie die schönste Ordnung
aufrecht zu erhalten, fegt beide Stuben (eimta und cimtcxena) am Abend immer rein,
damit die Engel in der Nacht die Bewohner derselben besuchen, sie kocht, backt Brot, melkt
252
die Kühe, schlägt Butter, reinigt, putzt, webt und versieht überhaupt alle Arbeiten, die
ihr zugehören. Beim Schlagen der Butter spricht das ruthenische Weib Folgendes:
„Bettler prügelten einander, Butter habe ich geschlagen,
Erbsen haben sie verschüttet, j Zusammen Butter, zusammen Butter,
Ich N. N. ging und las sie auf; Zusammen, zusammen, zusammen Butter."
Wenn beim Brotbacken der Sauerbrei (iro-ol^cm) angemacht wird, so spricht das
Bauernweib:
„Es ging ein Greis über's Eis, ! In Euere Sauersuppe (krvusru),
Verlor den Wein und den Meth j In unfern Sauerbrei."
Schiebt sie sodann das Brot in den Backofen, so macht sie über dem ersten Laib mit
der Hand, sowie nachher vor dem Anschneiden des schon gebackenen Brotes mit der Messer -
spitze über dem letzteren das Kreuzzeichen.
Das Vermögen wird in der Regel vom Manne und vom Weibe gemeinschaftlich
verwaltet, doch hat meist nur der Mann das Verfügungsrecht über dasselbe. Nur Kleider
und Wäsche, welche das ruthenische Weib als Mitgift bekommen hat, sind ihr unangreif -
bares Eigenthum. Stirbt die Frau nach kurzer Zeit kinderlos, so fällt ihr unbewegliches
Eigenthum wieder an ihre Eltern zurück.
Haus und Hof (ellutu, poärvirjo, ob^tse). Will der junge Ehemann seine selb -
ständige Wirtschaft gründen, so geht er vorerst an den Bau des Hauses und veranstaltet
zu diesem Zwecke eine „irluira." oder „toloicg.", das ist er ladet Nachbarn und Verwandte
zur unentgeltlichen Hilfeleistung ein, wofür er sie dann mit Speise und Trank bewirthet.
Das Baumaterial, woraus die Wände verfertigt werden, besteht je nach der Gegend aus
Stein, Holz oder Ruthengeflecht, das Dach wird aus Stroh, Schilf oder Schindeln her -
gestellt. Hat die Aufführung der Hütte begonnen, so legt der Meister in eine Ecke derselben
zwischen zwei Balken Salz, Ladanum und einige Brocken geweihten Osterbrotes und
besprengt den Ort mit Weihwasser. Ist der Bau vollendet, so findet nicht selten auch eine
kirchliche Hausweihe statt. Doch häufiger, als die kirchliche Weihe ist folgender Brauch:
Der Wirth wirft einen oder zwei Tage vor seinem Einzuge in das neue Haus einen
schwarzen Hund oder Hahn in die Stube; auf dieses Thier werden alle Übel und Krank -
heiten übertragen, welche die künftigen Bewohner der Hütte hätten treffen sollen.
Die durchschnittliche Länge einer ruthenischen Bauernhütte beträgt 8 bis 10 Meter,
ihre Breite etwa 5 Meter. Sie ist mit der Längsseite, in welcher die Eingangsthür
sich befindet, meist gegen Süden gewendet. Durch die Eingangsthür gelangt man in
ein Vorhaus oder elloröinzfi, aus welchem eine Thür zur rechten Hand in
die große Stube (elluta), zur linken Hand in die kleine Stube (oirutL^sna) führt.
Treten wir zunächst in die erste ein. An der Süd- und Ostwand finden wir daselbst lange
253
und breite Bänke (lnrvzfi befestigt. Vor der Bank an der Ostseite steht der Tisch, während
an der Ostwand selbst die Heiligenbilder hängen; diesen schreibt man, je älter sie sind,
besondere Kräfte zu. Wenn in der Nachbarschaft ein Haus brennt, so trägt der gefährdete
Landmann ein Heiligenbild, ein Stück Salz und zwei Brote vor seine Hütte und hält hie -
durch dieselbe für vor jeglicher Gefahr gefeit. Die gebräuchlichsten Bilder bei den Rnthenen
sind: Die Kreuzigung Christi, die Mutter Gottes, St. Nikolaus, St. Barbara und
St. Georg rc., welche sie mit verschiedenen Blumen schmücken. In einer Reihe mit den
Heiligenbildern bringt man auch die Bilder des Kaisers, der Kaiserin und der Mitglieder
des Kaiserhauses an der Ostwand an. An der Nordwand erblicken wir den Kleiderrechen
(Lorcklcn) und das Bett (postik), vor welchem die Kleiderkiste (ski-Mia) ihren Platz hat;
an der Westwand endlich befindet sich der Herd lpioch und der Geschirrkasten chnmxsnM.
Die kleine Stube, die vorzüglich für den Winterausenthalt bestimmt ist, enthält an der
Südwand eine Bank, an der Ostwand einen Geschirrkasten, welcher mit Schüsseln,
Töpfen und Krügen, die in Kolomea verfertigt werden, angefüllt ist, an der Nordwand
einen Backofen mit warmer Schlafstätte (dorn) für die Winterszeit, an der Westwand
einen Eßtisch.
An die Hütte des Rnthenen lehnt sich die Winterstallung (prvtuiÄ unter gemein -
samem Dache für das Vieh. Daneben erheben sich im Hofe die wenigen anderen Wirth-
schaftsgebüude: gegenüber dem Hause eine Kammer (üoinorn) zur Aufbewahrung der
Speise- und Getreidevorräthe, daneben der Kukuruzkorb (kosten), die Sommerstallung
für das Vieh cholssMia), eine Umfriedung für Kälber, dann auch Kammern für Schweine
(IrarirmK) und Hühner (krn-nvü). Selten fehlen auch ein Brunnen (üernvon) mit einfachem,
offenem Geländer und ein Keller spürenden, poknsirM). Hinter dem Hose oder auch hinter
dem Hause dehnt sich der Gemüsegarten, oder auch ein Obstgarten aus, in welchem Weichsel-,
Zwetschken-, Äpfel- und Birnbäume zu erblicken sind. Auch ein kleiner Blumengarten, in
welchem Basiliumblumen, Nelken, Malven, Astern, Päonien und das Liebstöckel prangen,
ziert bisweilen das bescheidene Heim des rnthenischen Landmannes.
Das ruthenische Dorf (solo). Selten leben ruthenische Nachbarn unter einander
in Frieden und Eintracht. Deshalb sagt des Sprichwort: „Wer sich eine Hütte bauen
will, der suche einen guten Nachbarn." Der Zaun, der benachbarte Gründe trennt, der
Baum, der aus dem Raine wächst, das Ei, welches die Henne auf fremdem Boden legt,
werden oft die Veranlassung zu großem Streite. Dann hört man die Leute sagen: „Sie
zanken wie die Hunde über den Zaun." Besitzt einer der Nachbarn zusammengewachsene
Augenbrauen, so hat er böse Augen; hat ein anderer Sommersprossen, so ist er gut, fleißig
und arbeitsam. Wirft ein Nachbar einen langen Schatten, so soll er gut und gerecht sein;
Brandstifter hingegen Hütten keinen Schatten. Von nichtgcachteten Nachbarn sagt der
Volksmund: „Auch der Hahn ist am Miste ein Wirth." Von einem Nachbar, welcher
nachbarliches Gut und Hilfe mißbraucht, heißt es: „Mit des Nachbars Dreschflegel ist
leicht Dornsträucher zu dreschen."
Indem sich Gehöfte an Gehöfte, ein Nachbar an den andern reiht, entsteht das Dorf.
Die einzelnen Gründe werden durch Zäune, Raine (rueÄ), Erdhaufen oder Erdlöcher
(üichei, üopunb.6) abgegrenzt; auch das Dorf hat seine Grenzen gegen die Nachbardörfer,
welche im allgemeinen »tioturi" oder »lirau^ei", wofern sie Erdhügel sind: ,inolr^"
genannt werden. Die Grenzen zu verschieben ist eine schwere Sünde; deshalb behauptet das
Volk, daß Nachbarn, welche hienieden der Grenze wegen in Unfrieden leben, jenseits
einander auf einem Raine an den Haaren hin- und herzerren würden. Als gemeinsames
Gut gelten den Dorfinsassen: Das Wasser in den Bächen und Flüssen fammt den Fischen,
die Hutweide, die Kirche, der Friedhof mit seinen Obstbäumen, die Wege, die Brunnen im
Felde, die Bachbrücken, der Schotter an den Flüssen, das dürre Holz im Walde, die einzelnen
Ähren auf dem Felde nach der Ernte, die Pilze, Erd- und Brombeeren, endlich auch das
Wild im Walde.
Die oberste Stelle im Dorfe bekleidet bekanntlich neben dem Grundherrn und Priester
der Dorfrichter lckrvlruolc, rmL^uliwir oder preckstojetel'); unter ihm stehen die
Geschworenen (pr^matin oder ckLurut^). Ist elfterer unbeliebt, so sagt man: „Der
Dorfrichter bereißt das ganze Dorf", ist er unbeholfen, so heißt es: „Er will Alle lenken,
und kann keine Ahle schärfen." Neben dem Dorfrichter ist vorzüglich der Pfarrer (punotse),
wenn er beliebt ist, eine sehr einflußreiche Person im Dorfe, der allgemeine Rathgeber und
Helfer bei Processen, Krankheiten, Heiraten und in ehelichen Zwistigkeiten, wobei die
streitenden Theile sich oft seinem Urtheile unterwerfen. Eine minder günstige Stellung nimmt
der Dorflehrer (ue^^talh ein. Ihn betrachten die Landleute als den Grund zum Bestände
der Schule und da sie dieselbe hassen, so sind sie auch dem Lehrer nicht sehr gewogen. Doch
hat sich dieses Verhältniß in neuerer Zeit wesentlich gebessert. Einflußreiche Personen im
Dorfe sind ferner noch: die Gemeindesecretäre (x^sar), der Kirchensänger («sink oder
äuslcui), reiche, redegewandte Wirthe und auch alte ausgediente Soldaten.
An Sonn- und Feiertagen versammeln sich die Dorfbewohner im Wirthshause, auf
der Hutweide, oder wo ein solcher besteht, im Lesevereine (e^talnia), zur gemeinsamen
Unterhaltung und Berathung. Gastfreundschaft hält der ruthenische Landmann sehr hoch.
Liebe Gäste empfängt er oft schon an der Thür mit Salz und Brot, und wenn der Gast
Abschied nimmt, so begleiten (rvirjuäMjut) ihn noch die Hausgenossen mit Speise und
Trank bis zur Thür, bis hinter das Thor, ja selbst bis an die Dorfgrenze.
Rechtsanschaunngen. Nach der Anschauung des Volkes ist der Todtschlag, den
ein Betrunkener ausführt, kein schweres Verbrechen, der nicht beabsichtigte Todtschlag
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soll gar nicht bestraft werden. Die Tödtung eines zänkischen Weibes oder eines Juden
wird sehr milde beurtheilt, woraus die niedrige soeiale Stellung des Weibes und des Inden
ersichtlich ist. Anderseits zählt die Profanirung des Kreuzes, ferner Kirchenraub und
Priestermord zu den schwersten Verbrechen. Nicht minder heilig sind dem Ruthenen die
Eltern. Dem Kinde, das seine Hand gegen Vater oder Mutter ansstreckt, muß dieselbe
verdorren, oder das Kind Wahnsinn umnachten. Elternmord ist daher das ruchloseste
Verbrechen, ebenso die Tödtung eines schwangeren Weibes. Auch die Beraubung einer
Leiche und der Diebstahl im Hause einer armen Witwe wird aufs Strengste beurtheilt.
Merkwürdig ist die Strenge, mit welcher der Bienendiebstahl beurtheilt wird. Mit Abscheu
begegnet das Volk dem Selbstmorde. Es hält darauf, daß der Selbstmörder abseits, an
einer besonderen Stelle des Friedhofs beerdigt werde. Dagegen gilt der Räuberhauptmann
Dvwbusz, welcher im Jahre 1745 erschossen wurde, nicht für einen Räuber, wiewohl
er gemordet und geplündert hat, sondern geradezu für einen Helden, welchen dav Volk in
großen Ehren hält. Erzählt doch die Sage von ihm, daß er den Teufel erschossen habr,
dafür von einem Engel heimgesucht und von Gott mit unendlicher Stärke ausgestattet worden
sei. Dowbusz und seine Genossen waren nach der Meinung des Volkes nicht gewöhnliche
Räuber (rnbrrvnzRi), sondern „oprz'srür" oder ftmsclarimelrr", welche den Kampf gegen
die Bedrücker des Volkes führten, und nur Verräther aus dessen Mitte verfolgten.
Vom Advocaten heißt es: „Der Advoeat schreibt und schreibt, aber stets auf deiner
Haut", daher ist der Landmann meistens bestrebt, ohne Inanspruchnahme der Gerichte
seine Streitigkeiten vor dem Dorfrichter oder einem anderen Schiedsrichter zu schlichten.
Die Seele des Meineidigen verfällt nach dem Volksglauben dem Teufel; doch wer bei der
Leistung eines Meineides einen Stein unter dem Arme versteckt hält, dem soll sein falscher
Schwur nicht schaden, denn die Strafe für die Sünde treffe dann den Stein.
Für gute Nachbarn gilt das Vorkaufsrecht, wvferne der Nachbar nur denselben
Preis wie der Fremde bietet. Wird ein Pferd oder ein Rind verkauft, so ist im Kaufpreis
stets auch der Halfter mitinbegriffen. Ist der Verkauf abgeschlossen, so wirft der Verkäufer
eine Glücksmünze (rm Z^emslfs) auf die Erde; fällt dieselbe auf den Adler, so wird rw dem
Käufer mit dem erstandenen Thiere gut ergehen. Wird das Thier dem Käufer mit dem
Halfter übergeben, so sagt der Verkäufer: „Gebe Euch Gott Glück mit dem Thiere und
mir mit dem Gelde", worauf dann der Karlstrunk (rirolloi-iech folgt. Finderlohn zu geben
ist beim Ruthenen üblich, doch hängt die Höhe desselben vom Gutdünken des Eigenthümers
ab. Fängt ein Landmann auf seinem Boden einen Bienenschwarm ein, so betrachtet er ihn
als einen ihm gehörigen Fund, falls sich der Eigenthümer nicht meldet.
Feldbau und Viehzucht. Heilig ist dem ruthenischen Landmanne die Mutter
Erde chrvsata ^mherr); er ruft sie als seine Ernährerin im Gebete an und küßt dieselbe,
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wenn er seine Kniebeugungen (xoklonx) verrichtet. Auf seinem Felde ruht sein ganzes
Hoffen; kein Wunder also, wenn er durch geheimnißvolle Bräuche seiner Saat Fülle und
Segen zu sichern sucht. So bestreicht der Säemann bei der Aussaat des Weizens seine
rechte Hand mit zu Ostern geweihtem Speck und wirft die ersten Samenkörner mit
geschlossenen Augen auf das Ackerfeld; auch muß er stumm bleiben, wenn ihn Jemand
hiebei anspricht, denn sonst würden die Spatzen den Weizen am Halm beschädigen. Der
Ruthene fürchtet die Hagel- und Gewitterwolken sehr und nimmt deshalb seine Zuflucht zu
Zaubermitteln und Hagelbeschwörern, welche nach seiner Meinung die Macht besitzen sollen,
die Hagelwetter aufzuhalten; ja er leistet dem Hagelbeschwörer bisweilen selbst Abgaben
an Getreide und Mehl. Um den Gurkenpflanzen schöne und viele Früchte abzugewinnen,
streuen die Bauernweiber taube Gurkenblüten, welche keine Früchte erwarten lassen, auf
Kreuzwegen aus und Peitschen dieselben.
Sein Vieh beschützt der Ruthene vor dem „bösen Blicke", indem er an die Zäune
seines Hofes Thierschüdel aufhüngt und schönen Kühen oder Kälbern ein rothes Band
um den Hals bindet. Gefährlich sind den Kühen nach der Volksmeinung die Hexen. Am
St. Georgstage werden die Kühe zum ersten Male auf die Weide getrieben. Um
Mitternacht vor diesem Feste versammeln sich alle Hexen auf den Grenzhügeln und
berathen dort, wie den Kühen die Milch benommen werden solle; deshalb wendet der
Landmann Zaubermittel gegen den bösen Einfluß der Hexen an.
Festkalender. Zahlreich sind die Festtage, welche der Landmann unter Fasten,
Gebeten und Arbeitsfeier, sowie mit Gebräuchen begeht, welche noch an die heidnische
Vorzeit erinnern. Den Reigen derselben eröffnet das Weihnachtsfest (rmärvo s25. bis
27. December a. St., 6. bis 8. Jänner n. St.j). Am heiligen Abend (srvjatch
wird in der großen Stube mit Ladanum vorerst geräuchert, dann, um die Krippe nach -
zuahmen, unter dem Tische Stroh und auf dem Tische unter das Tischtuch Heu ausgebreitet;
in das Heu kommen noch Hanfsamen, Knoblauch und ein Vorhängeschloß, um alles Böse
zu bannen. Hieraus versammeln sich die Hausgenossen an dem Tische, wo sie nach langem
und strengem Fasten (poioxüvvlcu genannt) ein reichliches Mahl erwartet. Kuchen
Sauersuppe (bors^och, mit Graupen gefüllte Krautblätter (bulrisLlck oder boiubai), frisches
und gedörrtes Obst (suZE^oi), vor allem aber in Honig eingemachter Weizenbrei
oder kwtju) werden als Festspeisen anfgetragen. Bevor man diesen Brei kostet, wirft man
von demselben einen Löffel voll gegen die Stubendecke; so viele Körner an derselben haften
bleiben, ebenso viele Bienenschwärme wird der Hauswirth im folgenden Jahre sein eigen
nennen. Verwandte, Nachbarn und gute Freunde senden einander an diesem Abende einen
Theil der Fastenspeisen zu; dieser schöne Brauch, welcher auf die bei den Slaven einst
gebräuchliche Hausgemeinschaft hindeutet, heißt „das Nachtmahltragen" (rvsc^srju nssk^).
Unterdessen versammelt sich die erwachsene männliche Dorfjugend an einem vorher
verabredeten Orte; ein Bursch wird mm als Greis (ckiäj, ein anderer als Ziege
verkleidet. Beide ziehen sodann, von den Oangern (üvliuclir^ki) begleitet, von Hütte zu
Hütte; überall singen sie unter den Fenstern ihr Weihnachtslied (koiinän) und treiben ihre
derben Spässe, wofür sie vom Wirthe mit einigen Kupfermünzen und Brot oder Kukuruz
beschenkt werden. Mehrere solcher Weihnachtslieder geben wir hier wieder:
„Eh' noch begann die Erschaffung der Welten,i Hei gebe Gott!
War weder Himmel, noch Erde zu sehen; Hei gebe Gott!
Nur war zu schauen ein blaues Meere, Hei gebe Gott!
Auf diesem Meere ein grüner Ahorn/ Hei gebe Gott!
Auf diesem Ahorn saßen drei Täubchen, Hei gebe Gott!
Saßen drei Täubchen, riethen, beriethen; Hei gebe Gott!
„Brüder, wie könnten die Welt wir erschaffen? Hei gebe Gott!
Tauchen wir bis auf den Grund dieses Meeres, Hei gebe Gott!
Heben von dort her goldenen Sand wir, Hei gebe Gott!
Lasset uns schaffen aus goldenem Sande, Hei gebe Gott!
Dann einen Mond, den sichelgeformten, Hei gebe Gott!
Der wird leuchten in Nächten, den dunklen, Hei gebe Gott!
Sonne wird strahlen an heiteren Tagen, Hei gebe Gott!
Sterne, so kleine am Abend, dem stillen, Hei gebe Gott!
Brüder, enteilet zum Meeresgründe, Hei gebe Gott!
Hebet nur schnell den Sand, ja den gold'nen. Hei gebe Gott!'
„Tief betrübten sich Berge und Thäler/Hei gebe Gott!
Daß sie nicht zeugten Korn und Weizen;
Aber sie zeugten grünende Ranken,
Grünende Ranken wanden sich aufwärts,
Wanden sich aufwärts, blühten taubengrau,
Blühten taubengrau, trugen gar reichlich,
Diese hütete artiges Fräulein N. N.
Als es stand Wache, nähte es fleißig,
Da es genäht hat, schlief es so fest ein.
Da flogen herbei paradiesische Vögel,
Aßen und tranken die grünenden Ranken,
Aßen und tranken, schlugen mit Flügeln,
Weckten das artige Fräulein N. N.
Da wird es munter, wehrt mit dem Ärmel
Hela, ach hela! Ihr himmlischen Vögel,
Esset und trinket nicht grünende Ranken,
Hab einen Bruder, der nicht vermählt ist,
Selbst bin ich auch noch gar jung."
In derselben Weise werden die drei folgenden Tage gefeiert, wo auch die „Knchen-
bruderschaft" singend im Dorfe umherzieht und Abgaben für die Kirche einsammelt.
Es gilt für sündhaft, am Weihnachtsseste die Küchlein mit dem Lockrufe: cip, cip, cip!
anzurusen, da sie sonst keine Eier legen würden; die Pelzmütze auf den Tisch zu legen, weil
sonst Maulwürfe das Feld durchwühlen; im Gespräche des Mohnes zu erwähnen, da sonst
> Ein Weihnachtslied aus der Dniestrgegend.
e Ahorn — iavrir lxlainnus Orientalin).
- Ein Weihnachtslicd aus der Pruthaegend.
>7
Bukowina.
258
die Flöhe sich vermehren müßten; oder auch die Bohne, weil dies das Anschwellen der
Halsdrüsen (Halsentzündung) nach sich ziehe.
Neujahrsfest (riovvch riü st. Jänner a. St., 13. Jänner n. St.j). Am Vorabende
dieses Festes haben in manchen Gegenden nur die Dorfknaben das Recht, singend durch
das Dorf zu ziehen. Ihr Lied lautet:
„Eine Schwalbe kam geflogen,
Setzte sich am Fensterbogen;
Dort begann sie so zu singen:
Wirth, steh' ans, sieh' nach den Dingen.
Wirth, steh' auf, sieh' nach dem Stalle,
Schon gekalbt haben die Kühe.
Lauter Öchslein ohne Mühe,
Öchslein alle goldbehörnt,
Diesem Wirth zu seinen! Heil!
Auch geworfen haben die Stuten,
Lauter Pferdchen brachten sie,
Pferdchen auf der Stirn gefleckt,
Diesem Wirth zu seinem Heil!
Und die Schafe warfen Lämmer,
Widder sind es insgesammt,
Lauter Widder krummgehörnt,
Diesem Wirth zu seinem Heil!"
In der Nacht vor Neujahr schlafen nur wenige Dorfbewohner. Da bringen die
nmherziehenden Knaben selbstverfertigte Lose (Larsbei), das ist Figuren, welche eine Kirche,
ein Kreuz, die Sonne, das Glück, das Grab, den Greis, den Burschen, das Mädchen w.
darstellen und lassen die Hausbewohner einen dieser Gegenstände ziehen, woraus sie dann
die Zukunft jedes Einzelnen bestimmen. Um Mitternacht öffnet sich der Himmel, um diese
Zeit sprechen auch die Hausthiere eine dem Menschen verständliche Sprache; doch muß, wer
dieselbe hört, bald sterben. Auch brennen in dieser Nacht die Schätze, welche in der Erde
verborgen sind. Am Neujahrsmorgen kommen Glückwünschende in die Häuser, bewerfen
die Bewohner derselben mit Weizen und recitiren folgenden Segensspruch:
„Säe Dich, wachse Korn und Weizen
Und jegliches Thierfutter;
Du Hanf bis zum Boden,
Du Hemd bis zur Erde,
Du Flachs bis an die Knie,
Auch möge Euch der Kopf nie schmerzen."
In der Dniestrgegend schreien die Dorfknaben am Vorabende des Neujahrsfestes
unter den Fenstern folgenden Glückwunsch aus:
„Hej, hej! Deine Ochsen, meine Ochsen.
Hej, hej! Dein Pflug, mein Pflug,
Hej, hej! Wie viele im Zaune Pflöcke, so viele
(mögen gedeihen) dem Wirthe Ochsen.
Hej, hej! Wie viele im Siebe Löcher, so viele
(mögen gedeihen) dem Wirthe Schafe.
Hej, hej! Wie viele in der Sitzbank Stützen, so
viele (mögen gedeihen) dem Wirthe am
Backofen Büblein."
Am Neujahrstage darf man weder zanken, noch Jemandem Geld borgen, denn dies
müßte man dann nach der Volksmeinung das ganze Jahr hindurch thun. Auch wird das
Wasser, womit an diesem Tage das Geschirr gewaschen wird, in einer Flasche aufbewahrt
und werden damit die Bienenschwärme besprengt, welche entfliehen wollen.
Fest Erscheinung Christi (rvickorsri, loräan s6. Jänner a. St., 18. Männer
n. St.st. Am Vorabende dieses Festes zieht ein Bursch in Begleitung von einigen Sängern
als „Matanka" (verderbt aus „heilige Melanin", deren Gedächtnißfeier auf diesen Tag
füllt) verkleidet, im Dorfe umher und ahmt in possirlicher Weise die uchütigkeit einer
Hausfrau nach, wobei gesungen wird:
„He, Wirth, Du mein lieber Wirthc,
Laß' herein nur die Malanka.
Uns re Matanka ist 'ne Wirthin,
Sie kann tünchen, sie kann waschen.
Schüssel steh'n dort unter Bänken,
Sind bewachsen schon mit Grase;
Töpfe wieder sind zu sehen,
Ganz bewachsen schon mit Unkraut.
„Unsere Matanka weidete Enten,
Sieben Paar Stiefel trug sie hiebei;
Bis sie alle hat getränket,
Hat sie sieben Paar Stiefel vertragen;
Bis sie alle hat eingetrieben,
Hat sie sieben Paar Stiefel zertreten.
Unsre Matanka ist vom Dniestr,
Sie trank stets nur Dniestrwasser,
Ihr feines Fürtuch naß gemacht.
Wehe Wind, du so gewaltig,
Trockne das gar feine Fürtuch;
Wehe Wind, du längs der Straße,
Weh' zu unserer Matanka;
Wehe Wind, so mir nichts, dir nichts,
Trockne das Fürtuch, wie Mohn, wie Mohn.
Wehe Wind, du aus Zatucze,
Trockne das Fürtuch, wie Fußfetzen."
Hat am Stein die Füße gewaschen,
Am Vorabende des „Jordanfestes" wird ebenso wie zu Weihnachten der Fannlren-
tisch gedeckt und, nachdem jeder Hausgenosse etwas Weihwasser getrunken hat, das Festmahl
genossen. Wird es dunkel, so kommen die Dorfknaben und singen folgendes Lied:
„Schön' guten Abend am heil'gen Abend.
Ist denn zu Hause der Herr Wirthe?
Diener sagen, er sei nicht zu Hanse
Doch ich weiß es, er ist zu Hause,
Setzet sich am Tischesende,
Angethan mit großem Pelze;
Dort im Täschchen sind hundert Goldfüchse,
Diesem, jenem schenkt er je einen;
Für uns Knaben je ein Brotlaib,
Für euch Mädchen je ein Kränzchen,
Für euch Greise je einen Kuchen,
Für euch Mütterchen je eine Ruthe,
Und nun leb' wohl, du Herr Wirthe."
Doch im Pelze ist ein Täschchen,
Am Festtage selbst findet an einem fließenden Wasser die kirchliche Wasserweihe statt.
Das Volk entzündet während derselben Zündschwämme und für jede Familie wird ein am
unteren Ende in Basilinmkraut gefülltes und init einem Tiichel umwickeltes dickes Wachs -
licht (krijcnr) geweiht. Sobald der Priester die Wasserweihe beendet hat, ruft die versammelte
Volksmenge: „soräan rvockn, gsrelchsoin^ Vierzehn Tage nach dem Jordanfeste darf m
den Bächen und Flüssen keine Wäsche gewaschen werden, weil das Wasser geweiht ist.
Christi Darstellung (Zti-ilsujk s2. Februar a. St., 14. Februar n. ^t.st. An
diesem Tage, sagt der Volksglaube, ist die Gottesmutter in die Kirche gegangen, um das
Dies bedeutet: „Jordan-Wasser, Kopte sXstovv!
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Reinigungsgebet zu hören und findet nach der Meinung der Landleute die Begegnung
zwischen Winter und Sommer statt. Auch werden an diesem Festtage die Jordanslichter
(trije^), welche bis dahin in der Kirche deponirt waren, nach Hause abgeholt, um sie hier
während eines Gewitters als Schutz gegen dasselbe anzuzünden. Mit dem an diesem Tage
getrockneten Rinderkothe werden diejenigen, die an den Ohren erkrankt sind, geräuchert.
Mariä Verkündigung (biairo-evis^eLaiijo (25. Mürz a. St., 6. April n. St.j).
An diesem Feste wird das Stroh, mit welchem zu Weihnachten die Krippe nachgeahmt
wurde und mit dem nachher die Obstbäume zum Schutze gegen die Kälte oder die Raupen
umwunden wurden, verbrannt und die Überreste werden in fließendes Wasser geworfen.
Eine Bauernregel sagt: „Wie das Wetter an diesem Tage ist, ebenso wird es auch am
Ostersonntage sein." Wer an diesem Festtage die Gluckhenne zum Brüten ansetzt, dem
werden Küchlein mit zwei Köpfen ausgebrütet werden.
Weiße Woche (dilaj t^Lcksii oder wusir^eu) und Osterfasten (llorviiije
oder pist). Die letzte Woche vor Beginn des Osterfastens heißt „weiße Woche"
(bitsj tz^ctoir); während derselben wird kein Fleisch mehr, wohl aber noch Milch und Käse
genossen, weshalb auch der Name „fette Woche" (inusu^eu). In dieser und in der auf
dieselbe folgenden Woche des großen Fastens darf weder gesponnen noch gewoben werden,
sonst bilden sich in der Milch und im Käse Würmer. In der ersten Fastenwoche aber darf
nicht gesponnen werden, „weil der heilige Theodor im Winkel steht". Deshalb werden in
dieser Woche alle Winkel rein geputzt und gefegt.
Die Charwoche (rvel^lrej oder strustuvj kecken). Am Mittwoch der Char-
woche, im Volksmunde auch „der schwarze Mittwoch" genannt, darf Niemand in ein neues
Haus einziehen, weil dies ein Unglückstag ist. Am Gründonnerstage (L^rviroj o^olrvorj)
baden die Landleute in Bächen, um vor Hautkrankheiten geschützt zu sein. Dieser Donnerstag
heißt deshalb weil, als Christus starb, der Sperling gerufen
haben soll. Am Charsamstage werden die Schalen der Eier, welche zur Bereitung des
Osterbrotes verwendet werden, in die Bäche und Flüsse geworfen, um in ein fernes Land
zu fließen, wo die Rachmanen (Wesen, die halb Mensch, halb Fisch sind) wohnen. Bis die
Eierschalen dahin gelangt sind, werden sie wieder zu Eiern und in ein solches Ei theilen sich
zwölfRachmanen. Dies soll alljährlich am Mittwoch der vierten Woche nach Ostern geschehen,
weshalb dieser Tag im Volke „ruelunuirskch genannt wird. Am Charsamstage
oder Gründonnerstage wird auch der „Dick" (Alte), das ist ein Haufen Stroh verbrannt,
um die Ohnmacht des Winters und den Einzug des Frühlings zu feiern.
Das Osterfest (lVotz-lr äori). An diesem größten aller Feste, werden früh morgens
bei der Kirche die Osterbrote (puM), Würste, Käse, Fleisch, Speck, Kren, Knoblauch, sowie
geschälte Eier und färbige Ostereier (posunIU) geweiht. Nach dem Gottesdienste eilt alles
2«,1
aus der Kirche nach Hause, um vom „Geweihten" (äorch srv.sne^iie) zu kosten. Sie kosten
vorerst vom geweihten Ei, weil dies gegen Magenkrämpfe schütze; vom Ären, um so
gesund wie dieser, vom Speck, um fett und vom Käse, um gegen Fieber gefeit zu sein. Hierauf
ertönt vom Kirchthurme Glockengeläute, welches durch drei Tage andauert und Groß
und Klein eilt zur Dorfkirche, um daselbst an den Osterspielen theilzunehmen. Statt der
gewöhnlichen Begrüßung reden die Landlente einander mit ,6Irrwtos vvosüres, -
noistMiro rvoMros« (Christ ist erstanden, — wahrlich, er ist erstanden) an. Auch wird
bei der Kirche von den Mädchen so manches Liedchen angestimmt. Am Ostermontage läßt
sich das ruthenische Mädchen von ihrem Burschen und seinen Freunden mit Wasser begießen,
um frisch und gesund zu bleiben; dafür werden die Burschen mit Ostereiern beschenkt, welche
oft sehr schöne Mnsterzeichnungen aufweisen. Am Osterdienstage hingegen steht den Torf-
schönen das ausschließliche Recht zu, die Burschen zu begießen. Will Jemand Glück im
Fischfänge haben, so lehrt ihn der Volksmund, am Ostersonntage, wenn der Priester zum
ersten Male: „Ollristo^ rvoskreft" ausruft, statt: „rvoiskoirno voMro8«, zu entgegnen:
,.jn lovvsti rxbu" (ich fange Fische). Diejenige Maid, welche am Ostersonntage zuerst die
Glocken läutet, heiratet bald. Am Ostersonntage darf Niemand Salz in die Hand nehmen,
am allerwenigsten ein Mädchen, weil es sonst ^chweißhünde bekäme.
St. Georgstag (ckeir srv. .Inri.jn (23. April a. St., 5. Mai n. St.j). Der heilige
Georg gilt als Beschützer des Viehes und der Felder vor den Nachstellungen der Hexen
und der Wölfe. Am Vorabende dieses Festes gräbt der Ruthene Rasenstücke (keMi)
von gnadratischer oder runder Form aus und setzt dieselben aufs L.H01, um den Hexen
den Eintritt ins Gehöft zu verwehren. Auf die Thüren der Kuhställe werden Kreuzzeichen
mit Thecr gemalt und die Eingänge zu den Stallungen überdies mit verkehrten Eggen
verbarricadirt, damit den Kühen durch die Hexen die Milch nicht benommen werde.
Vor Sonnenaufgang wird am St. Georgstage selbst die ganze Viehherde auf die Weide
getrieben, damit selbe mit dem Grase den Frühthau verkoste, was die ^.hiere fett erhalten soll.
St. Marcnstag (äon ärv. lVInrkn). Dieser Tag wird vom Volke, wiewohl er
Arbeitstag sein soll, als „Ochsenfeiertag" Hvotorva ärvjnko) stets gefeiert. Ter Ruthene
verwendet an diesem Tage seine Ochsen zu keiner Arbeit, da dies schaden lningen könnte.
Pfingsten (srvjnkn iraäitjn, srvjnkn). Am Samstage vor Pfingsten
werden die Bauerngehöfte mit grünem Laube und die Fensterscheiben mit Liebstöckelblättern
geschmückt, weshalb auch der Name „grüne Feiertage". An diesem Tage werden auch die
Friedhöfe in feierlichem Aufzuge besucht und auf den Gräbern über den mitgebrachten
Liebesgaben (wie Kuchen, Milch, Salz rc.) Gebete für die Todten Provvoä^ verrichtet.
Am Pfingstmontag, oder, wenn es regnerisch ist, am nächstfolgenden Sonntage werden
die Felder in Procession begangen und die Saaten und Brunnen geweiht tpota srvjntvh',.
262
Bis zum Pfingstsonntage darf man nicht baden, da der Dawiderhandelnde leicht von den
Manlri« (Wassernymphen) unter das Wasser gezogen werden könnte. Letztere haben auch
die Macht, die Wolken „zu sperren" und den Regen nicht zur Erde zu lassen.
St. Prokopiustag (sv. Uroklpijn (8. Juli a. St., 20. Juli n. St.)) wird bei
der Landbevölkerung als „Feuerfesttag" (volnrova Svjato) gefeiert und darf daher an
diefem Tage im Hause kein Feuer brennen; auch gearbeitet wird nicht, wiewohl die Kirche
die Arbeit nicht verbietet. — St. Elias (sv. 11)1 (20. Juli a. St., 1. August n. St.))
wird ebenso, wie „Uiavriita." (Gabriel 13./25. Juli) und »Uoki" (Phokas 12./24. August)
als „Donnerfeiertag" (tiroirrovs sevsoto) gefeiert. Nach diesem Feiertage (Elias) gibt
es keine Gewitter mehr mit Blitz und Donner. Bezeichnend ist für diesen Festtag die
Legende, welche über den heiligen Elias im Volke umgeht. Als Gott die Welt erschuf,
ließ er auch Blitz und Donner werden und übergab beide dem Teufel, welcher damit Miß -
brauch trieb. Da ließ Gott alle Gewässer 24 Klafter tief einfrieren und unter dieser so
dicken Eisdecke schlief der Teufel. Darauf beorderte aber Gott den heiligen Elias, dem
schlafenden Teufel Blitz und Donner zu stehlen, was ihm auch nach hartem Kampfe gelang.
Seitdem fährt Elias auf seinem Wagen und führt Kuchen mit sich, wenn es donnert. Bis
St. Elias fliegen auch die Bienenschwärme aus — sagt das Volk — nachher geschieht
dies nicht mehr. — Fest Maria Schirm (Uokrova) 1./13. October. An diesem Tage
sagen die Mädchen, welche bald heiraten wollen, folgenden Spruch her:
„Heilige Maria mein, Mit einem Fetzen gnt oder schlecht,
Bedecke mir das Köpfelein i Daß ich mich als Mädchen nicht plagen möcht'!"
St. Demetrius «vm^tria (26. October a. St., 7. November n. St.)). Diesen
Heiligen, wie noch mehr den heiligen Nikolaus (dlvicolasa, 6./18. December) rufen alle
Schwerkranken an und erhoffen von ihnen Genesung. Bis zu diesem Tage werden die
Felder jährlich verpachtet. — St. Andreastag (Sv. ^ircli-chn (29. November a. St.,
11. December n. St.)). Die Gebräuche, welche am Vorabende dieses Festes üblich sind
haben wir schon beschrieben. Wir fügen nur noch hinzu, daß dies Fest auch Mädchen -
feiertag (äivocös Svjato) genannt wird.
Teufel und Gespenster (oroi-tv i ärwlii). Den Teufel stellt sich das Volk in
menschlicher Gestalt vor; doch ist derselbe schwarz, hat am Kopfe Hörner, besitzt einen
Schweif und hinkt am linken Fuße, welcher dem einer Ziege gleicht. Die Namen des
Teufels sind: ,ckiküo" (Alterchen), »eroi-t« (der Schwarze), „noe^stch« (der Unreine),
oder (möge er verschwinden, der Verschwindende), „ckued svsat^j
pi-5 iras« (Gottseibeiuns). Seine Begleiter in der Hölle sind Gespenster, Zauberer,
Hexen und unredliche Ärzte. Die Hölle befindet sich in der Mitte der Erde, wo der Teufel
das ewige Feuer von Schwefel und Pech schürt, in welchem die Sünder ohne Erbarmen
263
gemartert werden. Den Eingang zur Hölle kennt Niemand, doch soll er in furchtbaren
Tiefen liegen. Erscheint ein Irrlicht ans einem sumpfigen oder Moorgrunde, so ist dies ein
Werk des Teufels, welcher die Menschen ins Verderben locken will. Hier, in alten Mühlen
und in Ackerfurchen wohnt er und zeigt sich den Menschen in verschiedenen Spuckgestalten:
bald als schwarzes Kalb, bald als schwarzer Hund oder Katze und dies Ändern der Gestalt
nennt das Volk: .psrsiesäa^sja-. Wenn es donnert, so fürchtet der Bauer auf der
Feldmark zu sitzen, weil der Teufel sich dort herumtreibt und Niemand anderen neben sich
dulden will. Auch den Hagel erzeugt der Böse, indem er ein weißes Pferd reitet, und wenn
es im Walde stark braust oder der Wind gewaltig heult, dann treibt sich der „Schwarze -
in der Luft umher. Dauert der starke Wind zwei bis drei Tage lang an. so hat sich Jemand
erhängt und der Teufel führt seine Seele in die Hölle.
Leidet Jemand an Alpdrücken, so sitzt ihm der Teufel auf der Brust und benimmt
ihm den Athem. Läßt sich ein Mensch abwägen, so wägt sich der Teufel unsichtbar mit.
Juden und Geizhälse halten den Teufel als „Hausgeist" im Schornstein versteckt, wofür
er ihnen Reichthum bringt. Wenn Jemand einen Gegenstand verliert, so bindet er um den
Tischfuß einen Bindfaden und sagt, um das Verlorene wieder zu finden: „Teufel. Teufel,
spiele Dich nicht, gib mir das Verlorene zurück." Wer die Feder in sein eigenes Blut vom
kleinen Finger (nEimch patsch taucht und hiemit um Mitternacht seine Seele dem Teufel
verschreibt, der hat von diesem zeitlebens Reichthum und Befriedigung aller Wünsche zu
gewärtigen; nach dem Tode aber verfällt die verschriebene Seele dem Teufel.
Außer dem Teufel glaubt das ruthenische Volk auch an „Vampyre" lop^r).
Die Vampyre sind stets männlichen Geschlechts und zu solchen werden nach dem Tode
gewöhnlich Besprecher. Hagelbeschwörer. Selbstmörder. Hingerichtete und auch betrogene
Liebhaber. Ein Vampyr (op^r), welcher bei Lebzeiten einen Schweif hat. ist nach dem
Tode durch seine auffallend rothe Gesichtsfarbe erkennbar. Wird er beerdigt, so findet er
im Grabe keine Ruhe, sondern zieht von Mitternacht an ans der Erde umher, saugt Kindern
und jungen Mädchen das Blut aus und erdrosselt sie bisweilen. Kräht aber der Hahn zum
ersten Male nach Mitternacht, so muß der Vampyr wieder in sein Grab zuruckkehren. das
gewöhnlich an dem eingefallenen Grabhügel und an einem Loch in demselben zu erkennen
ist. Ja selbst Hagel und Unwetter verursachen die Vampyre; will man sich davon über -
zeugen so öffne man ein solches Grab und inan wird um den Mund des Vampyrs
Hagelschlossen und Schnee liegen finden. Deshalb soll mau den Vampyr mit dem Gesichte
nach abwärts in den Sarg legen und ihm einen Pfahl dnrch's Herz treiben, worauf er das
Grab nicht mehr verlassen wird?
, - etwa 20 fahren im Dorfe Luzan, daß einige Bauern einen Selbstmörder, welcher auch »ach dem
....7.. .« -
264
Zauberei (cEirvnvetrvo). Die gefürchtetsten Zauberinnen im ruthenischen Volke
sind die Hexen (rvickm^), welche bei Ausübung ihrer Zauberwerke und bei ihren geselligen
Zusammenkünften mit aufgelöstem Haare umhergehen und in der Rechten eine Schaufel
(kormtg) oder einen Besen (ririttä), in der Linken aber einen Milchkübel (clijirzmn) tragen,
welcher mit der fremden Kühen abgenommenen Milch gestillt ist. lim Mitternacht vor dem
St. Georgstage kommen die Hexen je zwölf und zwölf aus den Grenzhügeln (nroftM) der
Dörfer zusammen, tanzen dort und spielen mit Feuer (St. Elmsfeiler). Will man daher
die Kühe vor dem Zauber dieser bösen Weiber schützen, so streut man am Vorabende des
St. Georgstages um die Kuh Mohn oder Mehl und spricht dazu: „Erst wenn Du diesen
Mohn (Niehl) anfgeklaubt haben wirst, sollst Du meiner Kuh N. N. die Milch nehmen."
Ist trotzdem eine Kuh verzaubert worden und zwar in der Art, daß ihr das Enter blut -
rünstig, oder daß sie milcharm wird, so nimmt die Bauernfrau einen Strick und schleift
denselben am Morgen des St. Georgstages im Than umher. Der Strick wird sodann
zerstückelt und mit Salz gemischt der Kuh auf das Futter gestreut. Der Zauber schwindet,
sobald die Kuh davon gefressen hat.
Zauberinnen (c^arirvn/ei) im engeren Sinne des Wortes sind junge Frauen
oder Mädchen, welche junge Burschen mit ihren Glutaugen, mit Kräutern und geheimen
Liebestränken an sich fesseln und ihre Opfer in Verzweiflung und Tod treiben. Hieran
erinnert das bekannte Spinnstubenlied: „Gehe nicht, Hrycin, in Spinnstubenznsammen-
künfte re."
Besprecher und Besprecherinnen (prvmiwirek, prvmirvn^au) werden solche
Männer und Weiber genannt, welche Menschen und Thiere durch geheimnißvolle Mittel
von Krankheiten und Übeln befreien. Die Besprechungsformeln gegen die Krankheiten zu
erfahren ist sehr schwer; doch ilt es mir gelungen, einige derselben kennen zu lernen. Hier
zwei Beispiele:
Durch neun Tage murmelt die Besprecherin gegen Magenkrämpfe Folgendes:
„Festgesogen haben sich die Krämpfe
Zur Zeit des Neumonds
So schmerzend, so stechend,
Das Blut anssaugend,
Früh und Abends,
Mittags und um Mitternacht.
Ich fordere Euch zurück,
Ich rufe Euch hinweg
Sieben und Sicbzigmal.
Hier möget Ihr nicht weilen,
Um den Leib zu schwächen,
Um das Blut zu trinken;
Aber hinweg in die finsteren Berge,
In die Tiefe des Meeres,
In den gelben Flugsand,
In den Koth und Moorgrund!
Doch diesen gereinigten,
Getauften Knecht Gottes N. N.
Möget Ihr lassen
Gesund,
Wohlauf!"
26ü
Gegen das Anschwellen des Kuheuters wird Folgendes neunmal gesprochen
„Geschwulst, Du Hundspfote,
Wurdest groß wie ein Apfel,
Voni Apfel (kleiner), als eine Nuß,
Von der Nuß, wie Bohne,
Bon der Bohne, wie Erbse,
Von der Erbse, wie Mohnkorn,
Vom Mohnkorn (schwandst du), wie nichts.
So soll auch diese Geschwulst schwinden,
Wie schwindet
Der Schaum auf dem Wasser,
Der Thau auf dem Grase,
Das Wachs auf dem Feuer."
Wahrsagerinnen (rvoroMö) sind alte, erfahrene Weiber, welche sich mit der
Bereitung von Liebestrünken beschäftigen und dieselben für Geld oder Geldeswerth
verkaufen; mit Zaubersprüchen Liebespaare an einander fesseln (so das Rufen des Liebsten
durch den Schornstein); unfruchtbaren Frauen Hilfe leisten; Diebstühle ausdecken, Lraume
deuten und die Zukunft aus Karten, Kukuruzkvrnern oder Bohnen Voraussagen. Zwei
solcher Wahrsagerinnen lebten und erfreuten sich eines großen Rufes: die eine im
Dorfe Boroutz (Bezirk Kotzman), die andere in Czartoria (Bezirk Storozynetz). Das
Wahrsagen mit den Bohnen geschieht folgendermaßen: Die Wahrsagerin nimmt 41 Körner
oder Bohnen und murmelt hiebei: „Vierzig Bohnen und eine, sagt die Wahrheit, wie
eine", indem sie die Bohnen gleichzeitig in drei beliebige Hänschen theilt. Bon jedem der
drei Häuschen nun werden so lange je vier Körner weggenvmmen, bis an Stelle jedes
der drei Häufchen nur noch vier, drei, zwei oder ein Korn liegen. Dies setzt man noch
zweimal fort, bis man ganz andere drei Reihen erhält. Aus der Stellung der Körner
in den drei erhaltenen Reihen und ans der Anzahl dieser Körner wird dann die Zukunft
vorhergesagt.
Will Jemand einem verhaßten Menschen etwas Schlechtes anthnn, so legt er in einen
alten Topf Haare, ein Stückchen vom Besen und gewisse Kräuter und stellt sodann
diesen Topf sammt dem Inhalte an einem Wege auf, welchen sein Feind oft pasfirt. Schreitet
dieser darüber hinweg, so wird er wahnsinnig oder wenigstens dahinsiechen. Diese Art der
Verzauberung heißt: „Jemand unterschnitten" (kolros pickszgnckv). Diebe verschaffen sich
ein menschliches Schienbein, entfernen daraus das Mark und gießen durch das Loch des
Schienbeines ein Licht. Dieses Licht soll nun, wenn man mit demselben dreimal um
ein Haus geht, die Eigenschaft haben, alle Bewohner desselben in einen todähnlichen
Schlaf zu versenken, so daß die Diebe dann alles stehlen können, ohne Gefahr zu laufen,
ertappt zu werden.
Traumdeutung und Vorzeichen. Der Ruthene legt den Träumen eine große
Bedeutung bei; doch dieselben zu deuten ist schwer, dies ist schon Sache besonderer alter
Leute im Dorfe, welche sich hiezu berufen fühlen. Nach ihrer Meinung kommen gute
Träume von Gott, die bösen Träume vom Teufel.
266
Es gibt aber auch Vorzeichen (ckobri oder Bi Muke), aus denen man das Künftige
erfahren kann. Die Zahl dieser Vorzeichen, auf welche besonders alte Leute sehr achten,
ist eine bedeutende.
Hier einige Bespiele: Wenn eine Fliege in die Milch fällt, so hat man ein Geschenk zu
erwarten. Begegnet man Jemandem, der leere Kannen trägt, so gilt dies als schlechtes
Vorzeichen; volle Kannen bedeuten Glück. Wer einem Juden begegnet, dem wird es auf
seinem Gange gut ergehen; wer hingegen einem Priester begegnet, dem wird es schlecht
ergehen, und um dies abzuwenden, müsse man dem Priester insgeheim einen Stein oder
Stroh nachwersen. Am Montage darf kein Geld gewechselt werden, weil man sonst die
ganze Woche hindurch nur Ausgaben machen müßte. Wer am Freitag lacht, muß am
Sonntag weinen und umgekehrt. Wenn Jemandem der Frost durch Mark und Bein geht
sirioror tiloin iäo), so steht ein Unglück oder Krankheit bevor. Läuft einem Reisenden ein
Hase quer über den Weg, so darf er keinen Erfolg erhoffen u. s. w.
Heilkunst (liüch Maekiürskrvo). Wiewohl der Bnkowiner Ruthene sich stets einer-
rüstigen Gesundheit erfreut, so wird derselbe doch auch von Krankheiten nicht verschont.
Dagegen wenden nun arzneikundige Männer und Weiber im Dorfe Mittel an, deren
Mehrzahl wohl mehr durch den starken Glauben, den der Kranke auf dieselben setzt, als
durch eigenthümliche Heilkraft wirkt. Gewisse Kräuter, Wurzeln oder Blüten bei Regen -
wetter, im Frühjahr nach der Schneeschmelze, bei Neumond oder in der Nacht vor gewissen
Feiertagen eingesammelt, bilden, verbunden mit gewissen Formeln und Bräuchen, Volks -
arzneimittel, denen der Landbewohner eine untrügliche Kraft zuschreibt. Doch ist es schwer,
diese Sprüche und Formeln von den Heilkundigen zu erfahren, denn sie werden in den
einzelnen Familien stets mit größter Sorgfalt gcheimgehalten und vom Vater auf den
Sohn vererbt. Nach dem Volksglauben besitzt der Letztgeborene (mmMoir) eines Ehepaares
ganz besondere Fähigkeiten, ein Heilkundiger zu werden. Doch können nicht nur Männer,
sondern auch Weiber heilkundig sein, welche dann stets ein Mittelchen gegen die Krankheiten
von Menschen und Thieren vorräthig haben und sich in ihrer Gegend eines ganz besonderen
Ansehens erfreuen. Im Folgenden wollen wir nun aus der großen Menge der Volksarzneien
wenigstens die gebräuchlichsten auszählen:
Gegen das Erschrecken (rvick skraelrü) wird durch drei Tage vor Sonnenaufgang
nachfolgender Spruch über dem Kranken, welcher ein Messer im Munde hält, reeitirt:
„Ich ging durch den Hain,
Traf da eine wilde Knh.
Da fing ich an um Hilfe zu rufen,
Da fing ich an zu schreien,
Zur heiligen Jungfrau zu flehen:
Allerheiligste Jungfrau
Erhöre mein Flehen.
Begann zu erfragen
„„Womit ist dir zu helfen?""
Im Namen des Vaters und Sohnes
267
Möge dieser Schrecken
Sich heben von dir hinweg
In die Berge,
In den zerklüfteten Felsen,
In den zerrinnenden Schnee.
Nicht möge er dich martern;
Mit dem Wasser möge er zerfließen,
Steine drehen möge er gehen,
Aufhören, dich zu martern,
Dein Blut zu trinken,
Deine Knochen zu schwächen,
Fliehen soll er, wie das Blatt aus dem Wasser
Von dir, du Getaufte,
Gereinigte,
Der heiligen Gottesgebärerin
j Ergebene N. N."
Den Angenstaar (bilino) heilt man durch das Befeuchten des kranken Auges mit
der Milch einer Frau, welche das erste Kind säugt. Noch häufiger werden in das kranke
Auge pulverisirter Zucker oder Gewürznelken hineingeblasen und hiezu wird folgender
Spruch dreimal täglich gemurmelt:
Mit dem Spaten ausgraben,
Mit dem Rechen wegreinigen,
Mit der Schaufel wegwerfen,
Mit dem Besen wegfegen.
„Ging da vom weißen Berge herunter 'ne Maid
Mit weißen Händen, mit weißen Füßen,
Mit weißer Schulter.
Zu ihr gesellte sich die Gottesmutter:
Geh', weiße Maid zum gereinigten, getauften
Diener Gottes N. N.
Und thne ihm den Staar
Lasse das Auge rein sein,
Wie eitel Gold, wie Sonne so klar.
Gegen das Fieber (krsbra, kriasarvzma, koku) räuchert man den Kranken mit einer
Fledermaus oder einem Igel ein. Auch räth man ihm an, Wasser aus den umgekehrten
Boden einer Kanne zu giessen und dasselbe aus der Zimmerschwelle anszutrinken.
Gegen Abscesse (exorako): Man kerbt in ein Stück Holz so viele Einschnitte ein,
als der Kranke Abscesse hat und wirst es auf die Straße. Wer dies Holz findet, auf den
gehen dann alle Geschwüre über, während der Kranke dieselben verliert.
Gegen Fraisen (krass oder skusa): Man entwende aus der Kirche einen Kehrbesen,
schlage damit dem Kranken dreimal über das Gesicht und spreche: Zaires irisk, talros
Icolao^ (wie der Gast, so der Kolatsch sBewirthungj).
Wer an der Krätze (korösta) leidet, muß sich vor Sonnenaufgang entkleiden und
ein bethautes Hanffeld durchlaufen, worauf er gesund wird. Warzen (boroclarvki) werden
mit Hilfe des Saftes, welchen die Kröten ausscheiden, beseitigt. Magendrücken (bik
soiokitKa) wird durch das sogenannte „Topfumkehren" (Irornso pororvsrtakx) geheilt.
Auf den Nabel des Kranken wird nämlich ein Töpfchen umgekehrt, worunter ein Werg -
ballen brennt. Ein Säufer (pijay wird geheilt, indem man ihm Branntwein zu trinken
gibt, in welchem vorher Kürbisblüten geweicht wurden.
Himmelskörper und Naturerscheinungen. Sieht der Landmann sich an
schönen Abenden den bestirnten Himmel an, so ist er der Meinung, daß jeder Stern ein
Mir »»verständliche Zanberworte.
Menschenleben darstellt. Die hellfunkelnden Sterne sind die Seelen der Gerechten, die
trübleuchtenden die Seelen der Sünder. Fällt eine Sternschnuppe (pmlüe^u ^rvmäü),
so ist nach seiner Meinung irgendwo ein Leben verloschen, ein Mensch gestorben. Von den
Sternbildern sind ihm blos bekannt: der große Bär (lMus^km), der Krebs (raü) und der
Steinbvck (e^spslm). Erglänzt die Milchstraße (llorüllu) am Firmamente, so ist gutes
Wetter zu erwarten. Von großer Bedeutung ist für den Ruthenen das Erscheinen eines
Kometen (vietm); leuchtet derselbe roth, so wird es Krieg geben, wenn jedoch weiß, so
ist Hungersnoth oder Seuche zu gewärtigen. Sonnen- und Mondesfinsternisse
(rmtruirijs sonea, urisiuöu) sollen deshalb stattfinden, weil die Weiber am Sonnabend
oder am Sonntage Morgens die Knüpfsäden (Züs^emuki), welche die Falten am Hemd -
kragen Zusammenhalten, annähen, was eine Sünde sei. Neumond (irorvsj misius) ist die
geeignetste Zeit, um gewisse Heil- und Zauberkräuter einzusammeln.
Blitz (bt^skuvvxou) und Donner (Krim) sind zugleich mit den anderen Körpern
von Gott erschaffen und dem Teufel übergeben worden; doch nahm ihm diese, wie schon
erwähnt, der heilige Elias ab. Schlügt irgendwo der Blitz ein und zündet er, so kann dieses
Feuer nur mit Ziegenmilch gelöscht werden. Einen vom „Donner Erschlagenen" halten
einige für einen Gerechten, andere hingegen betrachten seinen jähen Tod als eine Strafe
Gottes. Daher der Fluch: „Llriur-b^ tsbs tris« — der Donner soll Dich treffen.
Ein Werk des Teufels ist ferner der Hagel (tirucl, tüc^u). Doch es gibt Männer,
welche ihn besprechen und dahin lenken, wo er keinen Schaden anrichten kann. Ein solcher
Hagelbeschwörer heißt Zrruäorvsj" (Hagelmann) und führt seine Beschwörung folgender -
maßen aus: Sobald die graugelbe Hagelwolke naht und in der Luft ihr Sausen vernehmbar
wird, entkleidet sich der Beschwörer entweder ganz oder behält nur das Hemd an; mit
der einen Hand ergreift er sodann einen alten Hut, mit der anderen eine Sense und segnet
damit die herannahende Wolke viermal mit den Worten: „Im Namen des Vaters, des
Sohnes und des heiligen Geistes, Amen (viermal); Lsiniuts, Links, HsKiZ Elias, Du
Schlager! Trage diese Wolken hinweg auf die Wälder, auf die Felsen, dorthin, wo weder
Ackerfeld, noch Obstbäume zu finden sind; und solltest Du dies nicht thun, so wirst vor
Gott Du der Schuldige sein." Hierauf kommen noch kurze Gebete. Um ein Saatfeld vor
Hagelschlag zu beschützen, gräbt man Wohl auch an den vier Seiten desselben geweihtes
Osterbrot (ärtos) ein. Auch werden bei herannahendem Gewitter die Kirchenglocken
geläutet, sowie eine Schaufel und ein Besen kreuzweise vor die Hausthür geworfen. Nach
dem Regen erscheint dann gewöhnlich der Regenbogen (ckulm, rvsssllcu), welcher nach
der Meinung des Volkes den Regen aus den Wolken aufsangt, worauf schönes Wetter
eintreten muß.
269
Der Ruthene hat schließlich auch eine Anzahl Wetterregeln, van denen hier einige
fvlgen mögen: Grvße Schneeverwehungen deuten auf ein gutes, fruchtbares Jahr. Wird
ein Schwein geschlachtet und ist die Milz desselben lang, so wird der Winter lang andauern:
ist sie hingegen kurz, sv naht bald der Frühling. — Fliegen die Raben in Schwärmen
unruhig umher, sv bedeutet dies je nach der Jahreszeit Schnee aber Regen. — Tragen die
Schweine Stroh in das Lager, steht Regen bevor. — Viele Maikäfer deuten auf eine zu
gewärtigende gute Kukuruzernte. — Fliegende Herbstfüden lkatmlcv >ito genannt) künden
einen lang andauernden Herbst an.
Der Tod und die Leichenfeier. Wenn die Eule (sovvü) ihr umheimliches Geschrei
aus einem Hause ertönen läßt, vder wenn der Kukuk (rmrmiiu) in der Nähe des Gehöftes
nenn- vder elfmal kurz hinter einander ruft, so ahnt der Ruthene, daß in seinem Hause oder
wenigstens in der Nachbarschaft Jemand sterben muß. Hat der Tod an die Thürc des
Landmannes gepocht und ist ein Mitglied des Hauses verblichen, sv wild der Tvdle
zunächst gewaschen, mit den Kleidern, wie er sie im Leben trug, angethan und svdann aus
der breiten Sitzbank, welche an der Südwand des Hauses angebracht ist die Kinder auch
wohl aus dem Tische — aufgebahrt. Den Kopf bedeckt man dein tobten Manne und
Jünglinge mit seiner Pelzmütze, dem Weibe wird er mit dem weißen Handtuch umwickelt,
das erwachsene Mädchen wird mit einem runden Kopfputz, welcher in der Pruthgegend
„karaklili« heißt, und mit Bändern und Blumen geschmückt, dem kleinen Kinde ein
Kranz von Immergrün um die Schläfen gelegt. Hierauf wird der Leichnam mit einem
weißen Leinen (raritrwlr) ^ bis zum Halse hinaus bedeckt: die Hände liegen kreuzweise
ineinander geschlungen und halten die Kerze, bei welcher der Verstorbene ausgerungen
hat. Doch trennt sich die Seele nach der Meinung des Volkes sehr ungern vom
Körper. Sic hält sich bis zur Beerdigung des Körpers in der Nähe desselben auf und kehrt
auch noch nach der Beerdigung in die Stube des Verblichenen ein. Deshalb wird sein oft
am Fußende im Sarge ein viereckiges Lvch, „das Fensterchen" (rvikoireo) genannt, auvgesägt,
um den Verkehr der Seele mit dein Körper nach dem Tode nicht zu behindern. Zu Häupten
des Aufgebahrten steht ein Leuchter, an den die Besucher ihre Wachskerzen befestigen, welche
Tag und Nacht für das Seelenheil des Tvdten brennen. Dieser liegt auf weiß überzogenen
Pölsteru, neben den Polstern werden alle seine übriggebliebenen Kleidungsstücke auv-
gebreitet und sodann über den Sarg hinweg vor dem Hanse an Verwandte oder Dvrsarme
vertheilt. ^
Sv lange die Leiche im Hause liegt, gehen die männlichen Mitglieder desselben
ohne Kopfbedeckung, die Mädchen mit aufgelöstem Kopfhaar umher. Am Abend versammelt
1 Verderbt aus dem deutschen „Raudtuch".
2 Dies geschieht besonders im Kotzmaner Bezirke, sobald die Leiche vor das Haus hmausgetrageu wurde.
sich, wie schon erwähnt, die erwachsene Dorfjugend, um Todtenwache (Indoü oder
prorvoljo) * zu halten und gesellige Spiele, selbstverständlich ohne Gesang, aufzuführen.
Wird der Sarg gehoben, um aus der Stube zunächst in die Kirche und dann auf
den Friedhof getragen zu werden, so senkt man denselben dreimal über jeder Schwelle des
Hanfes, als wenn der Todte Abschied nehmen wollte; die Angehörigen aber bleiben in der
Stube zurück, schließen schnell Thür und Fenster zu, daß nicht der Todte Jemanden nach
sich rufe und kommen erst nach einer Weile heraus, um an der Beerdigung theilzunehmen.
Die Hinterbliebenen sowohl, als auch bestellte Klageweiber stimmen nun unterwegs
Klagelieder an. „Ei, wie konntest Du uns, lieb' Mütterchen, so lassen? Wer wird uns
jetzt Essen verabreichen? Wer wird uns jetzt Pflegen und kämmen? — O ! meine theuere
Mutter, wie wirst Du hier so vereinsamt liegen", — so beklagen die Töchter den Tod
ihrer Mutter. „Ei, Söhnchen, mein Söhnchen, welch' kleine Hütte hast Du Dir erbaut;
wer wird Dich von nun an Herzen und kosen, wie wird es Dir so kalt in der Erde sein; wer
wird Dich nähren und kämmen", — so jammert die Mutter um ihr verstorbenes Kind.
Dem Erwachsenen wurde in früheren Zeiten ein Kuchen, seltener eine gebratene Henne oder
eine Flasche Branntwein in den Sarg mitgegeben; doch hat dieser Brauch schon überall
aufgehört. Stets aber erhält der Todte einen oder zwei Kreuzer, die ihm auf die Brust
gelegt oder dem Sarge nachgeworfen werden (ähnlich dem Obolos im Alterthum).
Ein großer Laib Brot, in welchen fünf bis neun Stäbchen mit daran befestigten Leb -
kuchen, Zwetschken und Äpfeln gesteckt werden, genannt »pni-nskus" oder „ätziwrvos", wird
dem Sarge vorangetragen und deutet auf einen alten Opferbrauch hin? Auch pflegt man
eine lebende, schwarz befiederte Henne über das Grab hin dem Todtengräber als Entlohnung
für seine traurige Dienstleistung zu reichen und dem Todten ins Grab Geld oder Erd -
klumpen nachznwerfen.
Die Trauerandacht, gleichfalls »pnrnstns« (Todtenmesse, Requiem) genannt, für
das Seelenheil des Todten, verbunden mit einem Todtenmahl, wird in der Regel in sieben,
neun, vierzehn, vierzig Tagen oder in einem Jahre nach beendeter Seelenmesse im Trauer -
hanse selbst abgehalten, worauf gekochter Weizen (üolorvo) und andere Speisen genossen
und unter die Gäste kleine Kuchen mit Wachslichtern, sowie Töpfchen, die mit Wasser
gefüllt sind, vertheilt werden. Bei der Übergabe der Kuchen und Töpfchen wird stets der
Name des Verstorbenen genannt, für dessen Seelenheil (2a änsrm ^.) die Gabe gespendet
wird. Auch für sein eigenes Seelenheil pflegt der Hausvater ein Töpfchen mit den Worten
zu spenden: „Im Vorhinein für meine Seele" (irn rvporeck nrosi änsÄ). Hernach werden
' lakok — Liebesdienst; nprsvoho« — vom rumänischen priveAkiorsa — Wachen, Bewachen.
- das Danebenstehende, weil dieses so aufgepntzte Brot sowohl im Trauerhause, als auch in der Kirche neben
dem Leichnam aufgestellt wird. Wird das Schlußgebet für den Todten verrichtet, so wird der »para8ts8« dreimal gehoben
271
die Lieblingsspeisen des Verstorbenen unter die Teilnehmer des Todtemnahles vertheilt.
Trinkt der Landmann bei dieser Gelegenheit, so läßt er einige Tropfen zur Erde fallen,
das ist er opfert sie den Tvdten (lilmtio).
Am Samstage vor Pfingsten chubota poinorZ^etr, provviclnü) werden Hierlands
die Grabkrenze mit Kränzen geschmückt und auf den Grabhügeln Kerzen angeziindet, worauf
der Priester über jedem Grabe Gebete für die Todten verrichtet.
Die Trauer nach einem theueren Verblichenen dauert in der Regel ein Jahr,
mindestens jedoch sechs Wochen im Kotzmaner Bezirke. Will aber ein Mädchen nach
Ablauf dieser sechs Wochen tanzen, so „kaust es sich von der Trauer los" (vUupjnjscha),
indem es aus den Tanzboden einiges Kleingeld wirft.
Das Weltende (koirse Eta) schließlich stellt sich der Bukowiner Ruthene
folgendermaßen vor: Zunächst werden viele blutige Kriege (rvoji^), Hungersnoth (liotock»
und Henschreckenschwärme (saraire^ä) die Erde heimsuchen, Vögel mit eisernen Schnäbeln
werden erscheinen und allen Lebenden die Augen anshacken; ein riesiger Auerochs <busevol>
wird alles Wasser der Flüsse und Teiche anstrinken und die Wiesen und Felder abweiden.
Darnach wird die Erde sieben Klafter tief brennen und ein Sturm aus der ganzen Erde
tosen, der drei Erdhügel in die Josaphatebene zusammenwehen wird. Dann erst wird
Christus erscheinen, um aus jenen Hügeln das große Weltgericht zu halten. Während aber
das Urtheil über die Ungerechten gesprochen werden wird, wird die heilige Gottesmutter
in tiefen Schlaf versenkt liegen, damit durch ihre warmen Fürbitten der Laus der ewigen
Gerechtigkeit nicht gehemmt werde.
Die Lsuzulen.
Den Rnthenen im engeren Sinne oder, wie sie sich selbst nennen, den Rusnaken,
sind die Huzulen engverwandt. In Sprache und Sitte stehen sie ihnen sehr nahe, und
deshalb sind sie, wie dies auch die Behörden zu thun Pflegen, den Rnthenen im weiteren
Sinne zuzuzühlen, welche außer ihnen und den bereits geschilderten Rusnaken bekanntlich
auch noch andere, einander überaus nahe verwandte Zweige umfassen. Von den galizischen
Huzulen werden jene in der Bukowina durch das Thal des Czeremvsz, des weißen Czeremvsz
und des Perkalabbaches geschieden; doch stehen sie einander sehr nahe. Das stärkste
Unterscheidungsmerkmal ist wohl das verschiedene Religivnsbekenntniß; während nämlich
die Huzulen Galiziens griechisch-katholisch sind, gehören diejenigen der Bukowina fast
ausschließlich der griechisch-orientalischen Kirche an. Doch auch in Sitten, Kleidung und
Sprache machen sich einzelne Unterschiede bemerkbar, so wird der nationale Rock der
huzulischen Frauen in Galizien ans zwei Schürzen gebildet, während die Huzulin in der
272
Bukowina blos eine breitere Schürze rings um den Leib schlingt; auch der merkwürdige
galizische Frauenmantel, die ,pai»Iin«, ist in der Bukowina nicht zu finden, und wird hier
durch einen gewöhnlichen Mantel vertreten. Bezüglich der Sprache ist zu bemerken, daß
jene der bnkowiner Huzulen reicher an romanischen Elementen ist, als die der galizischen;
diese Erscheinung findet ihre Erklärung in dem Verkehre mit den rumänischen Anwohnern.
Von der oben angeführten Westgrenze bewohnen nämlich die Huzulen das Bergland der
Bukowina bis in das große Sereththal, wo ihre Nachbarn im Httgellande die stamm -
verwandten Rusnaken sind. Ferner besiedeln sie das obere Suczawathal bis Frassin,
woselbst das k. k. Gestüt sie scharf von den weiter thalabwärts wohnenden Rumänen
scheidet. Weiter südwärts zieht sich ihre Grenze gegen die Rumänen am linken User des
Brvdinabaches. Es ist bezeichnend, daß ein rechter Zufluß des genannten Baches, die kleine
Brodina, den rumänisch ausklingenden Namen Brvdinvara führt, ein linker Zufluß aber mit
dem rein slavischen Namen O/orn^ potok, das heißt der schwarze Bach, bezeichnet wird.
Ans dem Berge Heppa, welcher sich im Winkel zwischen dem linken Ufer der Brvdina und
dem Suezawaflusse erhebt, findet man bei den Huzulen bereits dieselben Gebräuche und
Vvlksüberliefernngen, wie sie in anderen Theilen des Gebirges bekannt sind. Weiter süd -
wärts wohnen die Huzulen jenseits der Wasserscheide der Brodina im Thale der Moldawitza
in Ardzel und Ruß-Mvldawitza, ferner jenseits der Wasserscheide der oberen Quellbäche
der Lnczawa im Moldawathale bis Briaza, endlich im Südwesten bis Kirlibaba im
Bistritzthale. Getrennt von der Masse ihrer Stammesbrüder wohnen Huzulen auch noch
im Thale der Sucha, eines südlichen Zuflusses der Moldawa.
Tie bnkowiner Huzulen wohnen somit durchaus im Gebirge; im Osten und Südvsten
sind sie durch die Rumänen vom Httgellande völlig abgeschlossen. Daher weisen die Huzulen
alle Eigenthümlichkeiten auf, welche den Gebirgsbewohnern eigen zu sein pflegen. Sie sind,
insofern übermäßiger Branntweingenuß oder ausschweifender Lebenswandel nicht entnervend
einwirkte, kräftiger und selbstbewußter als die Bewohner des Hügellandes; die alten Sitten
bewahren sie überaus treu, so daß z. B. bei ihnen sich mich deutliche Überreste der altslavi-
schen Hausgenossenschaft finden. Die reiche Fülle ihres Aberglaubens, ferner ihrer Mythen
und -Lagen, ebenso der Räthsel und Sprichwörter legt Zeugnis ab von einer lebhaften
Phantasie; und wenn auch die Liebe zum Gesänge nicht sehr entwickelt ist, so zeigen die
Huzulen im Dichten kleiner Lieder und in der Handhabung ihrer Blasinstrumente, vorzüglich
des langen Alphorns, der Trembita, nicht geringes Geschick. Der Aufenthalt im Gebirge
hat auch einzelne merkwürdige Einrichtungen und manche Eigenthümlichkeit in Sitten und
Anschauungen gegenüber den stammverwandten Hügelländern hervorgernfen.
Einige dieser charakteristischen Züge mögen hier Erwähnung finden. So vor Allem
die überaus weitgehende Gastfreundschaft, welche der Huzule jedermann zu Theil werden
273
G
laßt, der sein Gehöfte betritt, und welche die Haupttugend dieses Völkchens ist. Daneben
muß aber auch sofort ihre größte Schwäche, die lose sittliche Anschauung, genannt werden,
welche ebenfalls eine Folge der eigenthümlichen Verhältnisse des Gebirges ist. Auch der
Umstand, daß die Huzulen gegenüber den verwandten Rusnaken des Hügellandes, welche
sich vorzüglich des Wagens bedienen, gewandte Reiter sind, erklärt sich aus der Beschaffenheit
ihrer Wohnsitze. Die weiten Entfernungen, welche er oft in die nächste Stadt oder auch schon
Huzulen aus dem oberen Moldawalhal.
in das nächste Dorf, zur Kirche, zum Gericht zurückzulegen hat, nöthigen ihn, ans ein rasches
Fortkommen bedacht zu sein; für Wagen sind aber auch setzt noch zahlreiche -rhäler nicht
fahrbar und vor nicht allzulanger Zeit waren Fahrstraßen in diesem Gebirgstheile über -
haupt nur sehr selten. Es entspricht also durchaus den natürlichen Verhältnissen, wenn die
Huzulen ohne Unterschied des Geschlechtes und des Alters gute Reiter sind und das Pferd
hoch schätzen. Ihre kleinen, aber ausdauernden und tüchtigen Pferde, die nach ihnen
„Huzulen" genannt werden, erfreuen sich übrigens auch über die Grenzen ihrer Heimat
eines guten Rufes. Bezeichnend ist ein Sprichwort, welches das Pferd geradezu in eine
Bukowina. ^
274
Parallele mit dem Menschen stellt. Will nämlich der Huzule das deutsche Sprichwort
„Irren ist menschlich" zum Ausdruck bringen, so sagt er: „Das Pferd hat vier Füße und
stolpert; soll da der Mensch, der nur zwei hat, nicht stolpern?" Zu den merkwürdigsten
Einrichtungen, welche durch die Verhältnisse im Gebirge geschaffen wurden, zählt ferner
vor Allem noch das System der sogenannten llociorvanei. Alte, meist familienlose Huzulen
nehmen nämlich oft selbständige und wohlhabende Wirthe unter der Bedingung an Sohnes -
statt an, daß diese die Adoptiveltern bis zum Tode pflegen und schließlich standesgemäß
beerdigen, wofür ihnen das Vermögen derselben zufällt. Zn solchen „Adoptivkindern"
wählt man nicht selten Juden, weil vorausgesetzt wird, daß diese die übernommenen
Verpflichtungen im eigenen Interesse einhalten werden; mit Verwandten tritt man dagegen
höchst selten in ein derartiges Verhältniß, weil von diesen, die ohnedies erbberechtigt zu
sein glauben, die Einhaltung der Vertragspunkte nicht erwartet wird. Es ist übrigens klar,
daß das Verhältniß zwischen dieser Art von Adoptiveltern und Adoptivkindern im Vergleiche
zu unseren gewöhnlichen Anschauungen geradezu ein verkehrtes ist. Der Adoptirte ist
eigentlich der Ernährer und die Adoptirenden sind die Pfleglinge. Trotzdem sprechen die
Adoptirten die sie Adoptirenden mit „Väterchen, Mütterchen" an und werden von diesen
mit „Söhnchen" angeredet. Zuweilen werden übrigens zwei „lrockorvanei" angenommen,
und zwar mitunter ein Huzule und ein Jude. Auch geschieht es in einzelnen Fällen, daß
die Pflegeeltern dem „Adoptivkinds" die Nutznießung der Wirthschaft schon bei Lebzeiten
übertragen. Die Verträge, welche diesen Adoptionen oder Adrogationen stets zu Grunde
liegen, werden in der Regel schriftlich, seltener mündlich vor Zeugen abgeschlossen. Hält
der „lioäorvayzw" seine Verpflichtungen nicht ein, so kann der Vertrag aufgehoben werden.
Die Entwicklung dieser eigenthümlichen Einrichtung erklärt sich leicht aus den Lebens -
verhältnissen im Gebirge, die insbesondere alten vereinsamten Leuten unüberwindliche
Schwierigkeiten bereiten. Mit dem Schwinden dieser mißlichen Verhältnisse infolge der
fortschreitenden Cultur und dem gleichzeitig wachsenden Werthe des Grundbesitzes beginnt in
manchen Gegenden diese Institution bereits abzukommen.
Es ist selbstverständlich, daß das Gebirge auch auf die anderen Lebensverhältnisse,
besonders aus Kleidung und Beschäftigung, mannigfaltigen Einfluß äußert. Das wichtigste
Unterscheidungsmerkmal in der Tracht der Huzulen gegenüber derjenigen des Hügelländers
ist die Kürze seines ärmellosen Pelzes und des darüber getragenen Mantels; dies entspricht
offenbar den Bedürfnissen des Gebirgsbewohners. Nur bei besonderen festlichen Anlässen,
z. B. der Trauung, ferner bei anhaltendem Regenwetter und strenger Kälte wird über den
kurzen Mantel auch noch ein langer umgeworfen. Dieser zweite Mantel entspricht dem
Bedürfnisse nach wärmerer Kleidung im Gebirge. Auch die wollenen Frauenhosen, welche
aus zwei getrennten Stücken bestehen und unter dem auch bei den Rusnaken und Rumänen
275
üblichen Schürzenrocke im Winter getragen werden, verdanken ihr Entstehen den Bedürfnissen
der Gebirgsbewohner; im Hügellande findet man dieselben nirgends unter der Land -
bevölkerung. Übrigens gleicht die huzulische Tracht in vielen Stücken derjenigen ihrer
Huzulen in Sommerkleidung am Werktag.
Nachbarn, nur ist sie durchaus farbenprächtiger, reicher und malerischer. Die Hausindustrie
hat hier in ihren gelungenen Stickereien, den mit bewunderungswürdiger Kunstfertigkeit
Hergestellteil Taschen, die bald aus Leder und Metall, bald wieder aus mit unechtem Gold-
276
und Silberdraht durchzogenem Gewebe angefertigt sind, ihr Bestes geleistet; nicht zu vergessen
sind die mit Metall und Horn eingelegten und mit schonen Ornamenten versehenen Geh -
stöcke, deren es drei verschiedene Formen gibt. Vom Mantel bis zum Pfeifenstierer des
Mannes und der Spinnwirtel des Weibes legt jedes Stück Zeugniß ab von der
Geschicklichkeit dieses Völkchens und seiner Freude an Schmuck und Zier. Der Händler
liefert den Huzulen nur verhältnißmäßig wenig für ihren Hausrath und ihre Kleidung.
Ermöglicht wird diesen Gebirgsbewohnern die zeitraubende Herstellung ihrer Bedarfs -
gegenstände durch den Umstand, daß sie verhältnißmäßig über sehr viele freie Zeit verfügen.
Besonders die häusliche Thätigkeit der Frauen ist eine geringfügige. Da der Garten- und
Feldbau ein sehr beschränkter ist und die innere Hausarbeit, insbesondere das Kochen,
ebenfalls nicht viel Zeit in Anspruch nimmt, die Viehzucht aber zum großen Theile
Beschäftigung des Mannes ist, so erübrigt dem Weibe sehr viele Zeit für hausindustrielle
Arbeiten; nur zur Zeit der Heumahd sind alle Hände vollauf beschäftigt. Auch die Männer
liefern mannigfaltige Erzeugnisse des häuslichen Fleißes; sie sind Kürschner, Weber,
Metallarbeiter, Bötticher, überaus gewandte Schnitzer und dergleichen. In früherer Zeit
warf auch die Jagd und Fischerei manchen Verdienst ab; gegenwärtig gehört zu ihren
lohnendsten Arbeiten die Beschäftigung in den Holzschlägen und das Holzflößen, in dem
die Huzulen Meister sind. Vor allem aber sind die Huzulen Viehzüchter. Die Herden
bilden den wichtigsten Bestandtheil ihres Besitzes. Nach der Anzahl der Rinder, Pferde
und Schafe, ferner der Ziegen und Schweine schätzen sie ihr Vermögen; auf die
Ausdehnung des Grundbesitzes wird dagegen weniger Rücksicht genommen, weil derselbe
von verhältnißmäßig geringem Werthe ist. So wurde zur Zeit, da die Gemeindeausschüsse
die Steuerbeträge an die einzelnen Insassen vertheilten, die Höhe derselben nicht nach dem
Grundbesitze, sondern nach dem Viehstand bemessen. Wer wenig oder gar kein Vieh hat, ist
arm. Aus dem jährlichenZuwachs anViehstücken wird gewöhnlich nur derjenigeTheil verkauft,
zu dessen Ernährung die zur Verfügung stehenden Wiesen und Weiden nicht hinreichen.
Im Sommer des Jahres 1895 geschah es, daß ein Huzule auf der Alme Jarowitza bei
Szipot Kamerale an der Suczawa sich das Leben nahm, weil er nicht genügendes Futter
für sein Vieh hatte. Fürwahr ein bezeichnendes Selbstmordmotiv für einen Huzulen! Mit
Hinsicht auf den Charakter der Huzulen als Viehzüchter ist es erklärlich, weshalb in ihren
sprichwörtlichen Redensarten mit Vorliebe der Hausthiere Erwähnung geschieht. Eine
derartige Redensart haben wir schon oben kennen gelernt. Hier mögen noch einige andere
angeführt werden. Um anzndeuten, daß die Handlungsweise eines Menschen dem von ihm
vorausgesetzten Charakter entspricht, heißt es: „Wie der Stier gewohnt ist, so brüllt er."
Unser Sprichwort „Leben und leben lassen" umschreibt der Huzule folgendermaßen:
„Sowohl die Ziege ist ganz, als auch der Wolf nicht hungrig." Um auszudrücken, daß
277
einem Reichen alles gelingt, dient die Redensart: „Der Hahn legt ihm Eier und der Stier
wirft ihm ein Kalb." Um anzudeuten, daß man Beschäftigung, Verdienst sucht, daß man
seiner gewohnten Arbeit nachgeht und dergleichen, wird gesagt: „Die Henne schaut, damit
sie etwas ausscharre." Schließlich heißt es über die Hartnäckigkeit der Weiber. „Leichter
ist's von einer milchlosen Kuh Milch zu erhalten, als von einer Hexe die Wahrheit zu
erfahren." Anknüpfend an die letztere Redensart mag bemerkt werden, daß es ähnlicher die
Frauen herabsetzender Sprichwörter eine ganze Reihe gibt, und daß das Weib bei den
Huzulen überhaupt nur eine sehr untergeordnete Stellung einnimmt.
Die Viehzucht im Gebirge ist im Großen und Ganzen eine Nomadenwirthschaft.
Der Auftrieb auf die Almen findet im Juni statt, wenn der Schnee geschmolzen ist. Die
Armen übergeben ihre Viehstücke den Reicheren zur Obhut und Pflege; auch aus dem
Hügellande führen ihnen die Landleute ihre Herden zu. Die Milchwirthschast aus den
Almen wird nur von Männern betrieben. Von dem großen Schafhunde und dem Pferde
begleitet, das die nöthigen Geräthe und den Sack mit Kukuruzmehl für die Kulescha
(dicker Brei) auf dem Rücken führt, zieht der Senne unter den Glückwünschen der
Seinen mit den Herden aus die Hochwiesen. Auch sein langes Alphorn, die Trembita,
vergißt er nicht daheim; mit ihren langgezogenen Tönen pflegt er den seiner Alme sich
nahenden Wanderer schon aus der Ferne zu begrüßen. Sobald die Hirten mit ihren Herden
ans den Bergwiesen angelangt sind, wird zunächst das sogenannte lebendige ^euer
angesacht. Zu diesem Zwecke wird ein Holzstück an einem Ende mit einem Spalt versehen
und in denselben ein Zündschwamm geklemmt. Durch starkes Reiben an einem anderen
Holze wird dann der Schwamm zum Glühen gebracht und mittels desselben das Feuer in
der Sennhütte angezündet. Dasselbe darf bis znm Abtreiben der Herden nicht verlöschen;
würde dieses geschehen, so sähe man darin ein böses Vorzeichen für den Besitzer der Alme.
Über die Asche des Feuers treibt man aber die Viehstücke, um sie gegen böse Mächte und
jeden Zauber zu schützen. Besonders viel hat das Vieh durch die „bösen Blicke" neidischer
und schlechter Menschen zu leiden; um es dagegen zu schützen, bindet man, besonders den
schönen Thieren, rothe Bänder um den Hals und an den Schweif. Ist sich ein Viehbesitzer
oder ein Hirt bewußt, daß er einen „bösen Blick" habe, so ertheilt er einem seiner Haus -
genossen den Auftrag, ihn insgeheim Teufel oder Räuber zu schimpfen, sobald er sich dem
Vieh nähere; dies soll die Wirkung des bösen Blickes aufheben. Viel Leid thun vor Allem
aber die Hexen den Kühen an. Sie verstehen es auf mannigfaltige Weise fremden Kühen
die Milch zu nehmen und sich dieselbe anzueignen. So führen die Hexen Beutel mit sich,
in welchen sich die Milch von den Kühen ansammelt, welche sie mit ihrem bösen Blick
behexen. Der Beutel wird sodann mit einer Zauberschnur Angebunden und bleibt zum
Gebrauche der Hexe stets mit der Milch gefüllt, welche die verzauberten Kühe verloren.
278
Ein anderes Mittel besteht darin, daß die Hexe an der Stelle, wo die Kühe gewöhnlich
gemolken werden, eine Kuh aus Holz anfertigt und das bei dieser Arbeit verwendete Messer
in den Boden steckt. Den Kühen ist nun die Milch „wie mit einem Messer abgeschnitten";
der Hexe gibt aber die hölzerne Kuh die Milch aller Kühe, die an jenem Orte gemolken
wurden. Ebenso können übrigens die Hexen, abgesehen von vielen anderen Mitteln, aus
den Thürpfosten, einer Bank oder einer Ölpresse Milch gewinnen. Besonders an gewissen
Tagen des Jahres ist die Macht der Hexen und bösen Geister über das Vieh sehr groß;
wir werden dieselben sofort bei der Schilderung des huzulischen Festkalenders kennen lernen.
Hier sei nur noch erwähnt, daß die Huzulen besondere Feste feiern, um die Raubthiere,
besonders die Wölfe und die von ihnen allgemein für giftig gehaltenen Wiesel, für ihre
Herden versöhnlich zu stimmen.
An den Festkalender der Huzulen knüpft sich der wichtigste und merkwürdigste
Theil ihrer Volksüberlieferung. Vor Allem weist das Weihnachtsfest, diese uralte Feier
der geheimnißvollen Wiedergeburt alles Lebens, eine Fülle uralter Gebräuche auf. Das
Stroh, welches die Huzulen unter das Tischtuch des Weihnachtstisches legen, um das -
selbe drei Tage nachher als den „Dick", das heißt den „Alten", vor dem Hause zu
verbrennen, versinnbildet den bösen Winter; seine Herrschaft ist nach dem kürzesten Tage
des Jahres gebrochen und mit der wiederkehrenden Sonne, die fortan immer größere
Bögen beschreibt, kehrt auch neue Hoffnung für die Zukunft wieder. Das lebendige Feuer,
welches am Weihnachtsabend auf ähnliche Weise, wie dies in den Sennhütten zu geschehen
pflegt, angefacht wird, und wenigstens durch die ganze Nacht, mitunter aber bis zum
heiligen Dreikönigstage ohne Unterbrechung unterhalten wird, ist das schönste Sinnbild
der neubelebten Sonnenwärme. Und wie zur Zeit dieses Festes, an das die christliche
Kirche so sinnreich die Feier der Geburt Christi geknüpft hat, die Erneuerung alles Lebens
geheimnißvoll vor sich geht, so wohnt demselben auch etwas Ahnungsvolles inne; keine
Zeit ist so geeignet die Zukunft zu enthüllen, wie der Weihnachtsabend. Der Hausvater
stellt Orakel an, wie die Wirthschaft im folgenden Jahre gerathen werde; so wirft er z. B.
einen Löffel voll Weizenbrei gegen die Decke, und schließt aus der Anzahl der an derselben
haften gebliebenen Körner auf sein Glück in der Bienenzucht. Damit der Hagel im folgenden
Sommer die Saaten nicht vernichte, wird er an diesem Abend auf merkwürdige Art
beschworen und zum Weihnachtstisch als Gast geladen; das Mädchen erforscht ihr künftiges
Liebesglück in oft höchst phantastischer Weise. Ganz merkwürdig ist es auch, wie in dieser
heiligen Nacht die guten und bösen Mächte noch mit einander ringen. Die Brunnen fließen
um Mitternacht voll Wein, aber ebenso ist alle Welt erfüllt von bösen Geistern, die den
Menschen und Thieren Schaden zuzufügen suchen. Wer vergessen hat, zauberkräftigen
Knoblauch an die Thürverschlüsse der Stallungen zu befestigen und das Rückgrat der
280
Thiere mit demselben zu bestreichen, dem schleicht sich der Böse ins Haus und reitet und
springt so ungestüm auf den Thieren umher, daß diese vor Ermüdung noch in derselben Nacht
zu Grunde gehen oder doch sehr abmagern. Aber auch die auf das Weihnachtsfest folgenden
Tage sind durch zahlreiche Gebräuche ausgezeichnet. Es währt mehrere Tage bis die
Bögen der wiederkehrenden Sonne merklich größer werden, und deshalb dauert auch die
Feier dieser Wiederkehr zwölf Tage, nämlich von der Weihnacht bis zum Dreikönigsfest.
Es ist schon bemerkt worden, daß in manchen Gegenden das lebendige Feuer durch alle
diese Tage erhalten wird. Anderwärts darf man von Weihnachten bis zum Dreikönigstage
draußen nicht essen, damit die Mäuse nicht die Saaten verzehren und die Getreidevorräthe
schädigen. Besonders die Neujahrsnacht ist während dieses Zeitraumes der Wunder voll.
In derselben sprechen, wie übrigens auch in der Weihnacht, die Thiere; nur darf mau ihr
Gespräch nicht belauschen, weil man sonst sterben könnte. Ferner brennen in dieser Nacht
die verborgenen Schätze und reinigen sich hiedurch. Man muß an der Stelle, wo die
Flammen erschienen sind, Pflöcke einschlagen, damit man im Frühjahre nachgraben könne.
Auch sucht mau an diesem Tage durch verschiedene Mittel die Zukunft zu erforschen. Um
z. B. zu erfahren, wer übers Jahr an diesem Feste noch leben und wer bis dahin mit Tod
abgehen werde, füllt man eine Schüssel mit Asche und zieht durch diese eine breite tiefe
Furche. Rechts und links von derselben werden zwei Späne hineingesteckt, von denen der
eine den Pfarrer, der andere den Kirchensänger v ersinnbild et. Ebenso wird für jede
anwesende Person zu einer Seite der Furche, die gleichsam das Grab vorstellt, ein Span
in die Asche gestoßen. Diese Hölzchen werden sodann angezündet und inan achtet darauf,
wohin die Asche der verglimmenden Kohlen fällt. Sinkt sie in die Furche, so stirbt die
betreffende Person bis zum nächsten Neujahrstage; fällt sie seitwärts von der Furche, so
bleibt der Mensch am Leben. Am Dreikönigstage findet wie anderwärts bei den
orientalischen Christen die große Wasserweihe statt. Durch zwei Wochen nach diesem Feste
ist daher alles Wasser geweiht, und man darf an den Bächen und Flüssen keine Wäsche
waschen. Da auch die Erde geweiht ist, so ziehen in der Nacht nach dem Feste alle bösen
Geister, wie auch die Seelen der Ertrunkenen, die sonst im Schoße der Erde weilen, unstät
über dieser umher; auch die Seelen der ungetaust gestorbenen Kinder flattern durch die
Lüfte und bitten um die Taufe.
Ebenso wie die geschilderten Gebräuche und Aberglauben auf das alte Fest der
Winter-Sonnenwende hiudeuten, zeigen die Feste in den folgenden Monaten bis Ostern,
dann dieser hohe Festtag selbst und endlich einige Festtage nach Ostern deutliche Spuren
der Feier der Tag- und Nachtgleiche im Frühling. So mag z. B. hier erwähnt werden,
daß am Feste Christi Darstellung (14. Februar) nach dem Volksglauben Sommer und
Winter einander begegnen. Ist dieser Festtag mild, so kommt der Bär aus seiner Höhle
281
hervor, aber nur zu dem Zwecke, um dieselbe besser zu verwahren, denn der Winter wird
noch lange anhalten. Ist es aber kalt und brausen die Schneestürme, dann bleibt der Bär -
in der Höhle; es tritt aber um so früher die milde Jahreszeit ein. In die zweite Hälfte
des März fallen die Tage der Baba Jeudocha (Eudoxia), über welche die Huzulen ebenso
wie die Rusnaken und Rumänen viel zu erzählen wissen; sie ist aber offenbar eine
Personification des Winters: wie dieser nun völlig erstirbt, so erfriert oder versteinert die
„Alte" Jeudocha. Der Feier des Sieges des Frühlings über den bösen Winter war aber
das Osterfest in seiner ursprünglichen Bedeutung geweiht. Wie nach Weihnachten der
„Alte" verbrannt wurde und im Mürz die „Alte" zu Grunde geht, so wird nun auch am
Gründonnerstag der „Alte" verbrannt. Die Huzulen nennen diese Sitte geradezu den
Judas (das heißt den Teufel) verbrennen, woraus klar hervorgeht, daß es sich um die
Vernichtung des winterlichen Gottes handelt. Am Gründonnerstag baden sich morgens die
Mädchen im fließenden Wasser, um schön zu werden und gesund zu bleiben. In derselben
Absicht geschieht das Begießen der Burschen und Mädchen am Ostermontag und -dienstag:
dem von seinen winterlichen Fesseln befreiten Wasser wohnt offenbar ganz besondere Kraft
inne'. Wie zur Weihnachtszeit, so beobachtet man auch zu Ostern allerlei Orakel. Am
ersten Ostertag strebt jeder möglichst rasch am Glockenstrang zu ziehen; denn man ist der
Ansicht daß jedem, dem dies gelingt, im nächsten Jahre die Hände von der Arbeit nicht
schmerzen werden, und daß ihn das Glück so überhäufen werde, wie die Klänge aiw der
Glocke quillen. Deshalb hört man auch die Glocken während der Ostertage fast ununter -
brochen, und so sehr erscheint dies Geläute von der Osterfeier untrennbar, daß das Volk
dasselbe auch an der Stätte abgetragener Kirchen zu vernehmen glaubt. So erzählen die
Huzulen, daß am Ostersonntag auch die Glocken jener Klosterkirche läuten, welche einst an
der Grenze der Gemeinden Ploska und Serdzie an der Stelle stand, wo der Lvstunbach in
die Putilljuka fällt. Die Mönche hatten ein unsittliches Leben geführt, daher war das
Kloster aufgehoben und die Kirche abgetragen worden. Eine von den Glocken desselben
wurde an der Klosterstätte verscharrt und diese läutet auch jetzt noch am Ostersonntag.
Fünfundzwanzig Tage nach Ostern, also stets auf den Mittwoch der vierten Woche nach
Ostern, fällt das merkwürdige Fest „Rachmanenostern", das übrigens auch von den
Rusnaken und Rumänen gefeiert wird. Die Huzulen erzählen, daß diese Rachmanen
Zwerge seien, die am fernen Meeresgestade wohnen und so klein sind, daß zwölf derselben
in einem Backofen dreschen können. Dieselben seien überaus rechtschaffen und ein Muster
für die Menschen; aber sie wüßten nicht, zu welcher Zeit das Osterfest gefeiert werden solle.
Da hatten die Menschen beschlossen, ihnen Nachricht hievon zu geben. Man warf daher
die Schalen der zu Ostern verzehrten Eier in die Bäche und Flüsse, damit diese den
Zwergen die Botschaft brächten. Als nun die Schalen dahingelangten, feierten die
282
Rachmanen Ostern. Das geschieht nun alle Jahre und mit den Rachmanen feiern auch die
Menschen diesen Tag.
Als erster Frühlingstag gilt bei den Huzulen das St. Georgsfest (5. Mai). Am
Vorabende zündet man am Hofe wieder große Feuer an. Vor Allem muß man aber an
diesem Abende Anstalten treffen, welche die Hexen vom Gehöft und Vieh fernhalten; denn
in der Nacht vor St. Georg werden die bösen Mächte den Kühen besonders gefährlich.
Man pflegt daher auf die Pflöcke beim Hofthore und den Stallthüren Rasenstücke zu stellen,
in welche die am Palmsonntag geweihten Zweige oder auch Zweige von der Silberpappel
gesteckt werden. Auch werden auf die Thore Kreuzzeichen mit Theer gemalt. Die Kühe
bestreut man aber mit Lehm und beräuchert sie mit Weihrauch oder Schlangenhaut. Am
Vorabende des Georgsfestes finden auch die großen Zusammenkünfte der Hexen statt. Sie
fahren zu denselben durch den Ofenschlauch auf dem Ofenschürholz oder einem Besen. Auf
dieser Reise erscheinen sie als Funken und Sternchen. Stimmen die Hexen einen Gesang
an, so ist's, als ob der Sturmwind durch die Lüfte und die Wälder erbrausen würde, und
die Erde erzittert.
Um die Zeit der Sommersonnenwende, da die Sonnenstrahlen fast senkrecht auf die
Erde herabfallen und die Feuer des Himmels am häufigsten und heftigsten zur Erde
herniederzucken, fallen die zahlreichen Festtage des Feuers und des Blitzes. Dieselben
werden zumeist im Juli und August gefeiert; kein Huzule wird an diesen Tagen arbeiten,
denn er huldigt der Überzeugung, daß sonst sein Gehöfte vom Feuer verzehrt oder vom
Blitze getroffen würde. Vor allem ist der Tag des heiligen Elias (1. August) dem Donner
heilig. Elias ist nämlich der Donnergott, der mit dem Teufel sich im Kampfe befindet und
diesen mit dem Blitze zu tödten sucht. Wo der Blitz einschlägt, hat Elias denselben nach
dem Teufel geschleudert.
Von den Herbstfesten ist besonders der Andreastag zu erwähnen, an dem auch die
huzulischen Schönen ihr Liebesglück der Zukunft durch mannigfaltige Mittel abzulauschen
suchen.
Dis Lippowaner.
Noch bevor die Bukowina unserem mächtigen Kaiserstaate einverleibt wurde,
wanderte ein Theil der von der russischen orthodoxen Kirche Abgesallenen, welche von den
Russen mit dem Namen „Raskolniki", das ist Abtrünnige oder Schismatiker belegt wurden,
aus der Moldau und Bessarabien nach der Bukowina aus. Diese Einwanderer nennen sich
selbst „Lippowaner". Der Name stammt angeblich von Philipp her, weshalb sie auch von
den Nachbarn Philippowaner oder kürzer Lippowaner benannt wurden.
284
Die Lippowaner der Bukowina sind seit jeher in zwei religiöse Lager getheilt. Die
eine Partei ist Priesterlos, da sie behauptet, daß das wahre Priesterthnm auf Erden nicht
mehr bestehe. Sie heißt daher »bo^poxovseirm-, ist die extremere, aber an Zahl die
geringere, etwa nur 400 Seelen zählende Partei. Die Bezpopowzy bewohnen einen Theil
von Klimoutz und Mechindra (bei Lukawetz), woselbst ihre von der anderen Partei
,ormsorvnik>/ genannten Kirchen von Kirchensängern, welchen sie aber den pomphafteren
Namen »rmstarvillki", das ist Vorsteher, beilegen, geleitet werden.
Die priesterliche ,poporrseinn" genannte 2400 Seelen zählende Partei besitzt im
Centrum ihrer Niederlassung Biata-Krinitza oder k'niitLim-nIbL eine Kirche, ein Mönchs -
und ein Nonnenkloster und in den Dörfern Sokolintze oder Mitokul-Lippoweny, heute
Lippowcny, Lukawetz und Klimoutz je eine Pfarrkirche. Diese Partei wird heute von ihrem
Oberhirten Athanasie Makurow geleitet, welcher sich den volltönenden Titel: „Erzbischof
von Biala-Krinitza und Metropolit aller altgläubigen Lippowaner" beilegt. Diesem zur
Seite steht ein mit bischöflicher Weihe versehener ,rmin68tniü", das ist Stellvertreter in
der Person eines gewissen Alimpie, welcher aber in Tulczea in Rumänien residirt.
In den letzten Jahren sind etwa 200 Bezpopowzy aus Klimoutz zum griechisch -
orientalischen Glauben übergetreten. Daselbst haben sie eine kleine Kirche und einen aus
ihrer Mitte entnommenen Seelsorger.
Die Lippowaner haben von der Gnade Seiner Majestät unseres Allergnädigsten
Kaisers und Herrn vielseitige Privilegien erhalten, darunter, daß ihre wehrpflichtigen
Söhne nur zur Sanitätstruppe assentirt werden. Übrigens entziehen sie sich gerne jedem
Militärdienste, angeblich weil derselbe mit ihren religiösen Grundsätzen im Widerspruche
steht, was sie aber nicht hindert, vom Wildschützenhandwerk auf Kosten der Wild-
eigenthümer recht fleißig Gebrauch zu machen.
Die Lippowaner sind von hohem, kräftigem Wüchse mit hellblonden, meist schönen,
sehr oft aber blatterspurigen Gesichtern. Diese Verunstaltung ihres Antlitzes haben sie
ihrem Widerwillen gegen die Kuhpockenimpfung zu verdanken. Ihre Angen sind gewöhnlich
blau oder grau, die Nase proportionirt, der Mund mittelgroß, die Zähne gesund und weiß,
die Kopf- und Barthaare blond.
Sie kleiden sich gerne in buntfärbige Stoffe. Ihre Hemden sind zumeist roth oder
bunt, wenn aber weiß, so am Kragen, an den Rändern der Ärmel und am unteren Saume
roth eingefaßt und schließen immer an der linken Schulter. Der Schlitz der Hemden der
Lippowaner Weiber und Mädchen aber öffnet sich vorne an der Brust. Das Hemd wird von
den Männern über die Hose getragen und mittelst eines buntfärbigen engen Wollgürtels
um den Körper gebunden. Die weiten, dunkelfärbigen Beinkleider werden in den hohen
Stiefelröhren getragen.
285
Die Oberkleider der Männer sind lang nnd nach russischem Schnitt derartig gesonnt,
daß der Leib passend, die Ärmel eng und möglichst lang aussallen. während sich die
Schöße vom engen Leib nach unten glockenförmig und faltenreich erweitern. Diese
Lippowaner Erzbischof in vollem Ornat.
Oberkleider werden für Männer, wie für Frauen aus Manchester. Plüsch oder dunkelblauen
Wollstoffen angefertigt und bekommen für den Wintergebrauch eine noch längere Form
und ein vorne an den Rändern mit Fuchstheilen besetztes Lamm- oder Schaffellfntter.
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Zum Schutz des Körpers wird die rechte Brustklappe über die linke geschlagen und dann
an der linken Brustseite mittelst kleiner, runder, grauer vom Halse bis zum Gürtel herab
angebrachter Zink- oder Stoffknöpse zusammengehalten. Die Männer tragen über dem
Kleide einen schmalen Woll- oder Ledergurt. Männer, Frauen und Kinder pflegen auf
der Brust unter dem Hemd ein metallenes an eine Schnur befestigtes Kreuz als eine
Art Amulet zu tragen. Die Kopfbedeckung der Männer ist im Sommer ein gewöhnlicher
Filzhut; im Winter wird eine schwarze oder graue Lammfellmütze, die man bei großer
Kälte bis über die Ohren zieht, getragen. Männer und Burschen tragen Sommer und
Winter faltenreiche Röhrenstiefel aus russischem Leder.
Die Frauen und Mädchen tragen besonders bei Hochzeiten über ihre breiten
Manchesterjacken noch ein buntfärbiges Tuch, welches derartig über die Schultern geworfen
wird, daß es ein Dreieck bildet. In der Hand halten sie ein rothes Taschentuch und
die Ohren schmücken große Metallohrgehänge. Die Kopfbedeckung der Frauen besteht
in buntfarbigen Seiden- oder Wolltüchern. Darunter tragen sie einen aus Haaren und
Leinwandstücken bestehenden, „obrueMilr« oder genannten Reif, der sie von
den Mädchen unterscheidet. In früherer Zeit war der Kopfschmuck der Mädchen an Festtagen
die hohe diademförmige welche heute bloß noch die Bräute zur Trauung
tragen. Die Pereweska wird mit Vorliebe vorne mit bunten Steinen, Perlen, Füttern,
Knöpfen rc., rückwärts mit herabwallenden buntfärbigen Seiden- oder Wolltüchern
geschmückt. Das Zopfende wird mit rothen Bändern gebunden, die sammt dem fchön-
geflochtenen Zopfe auf den Rücken herabhängen. Die bis an die Knöchel reichenden
faltenreichen, bunten, bei älteren Frauen aber weniger bunten Oberröcke werden von den
LiPPowanerinnen mittelst Achselträger in die Höhe gehalten und Binde- oder Gürtelbänder
lose dicht unter dem Busen gebunden. Die Frauen tragen im Sommer Stiefeletten
aus Kordovan- oder Lackleder, im Winter Stiefel.
Frauen wie Mädchen tragen buntgefärbte Schürzen, die sie aber beim Kirchgänge
ablegen müssen. Die in den Städten wohnenden wohlhabenderen Lippowaner entfalten in
ihrer Kleidung einen großen Luxus und tragen sogar moderne Kleider, obwohl ihre
Religionsgrundsätze angeblich jede Neuerung in der Kleidung verpönen. Oft spazieren an
Sonn- und Festtagen die Männer in modernen Kleidern, die Frauen in Sammt und
Seide herum.
Das Kopfhaar wird von den Lippowanern gestutzt getragen. Hingegen verbieten
ihnen ihre strengen Religionsgrundsätze, das Barthaar zu scheeren oder zu rasiren, weshalb
manche ein recht verwahrlostes Aussehen aufweisen.
Sie sind Gegner der Matrikenführung, theatralischer Vorstellungen, des Kaffee -
genusses und besonders des Tabakrauchens. Die Tabakpflanze wird für ein aus dem
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Blute des Teufels entsprossenes Kraut gehalten, weshalb sie nicht nur selbst nicht rauchen,
sondern das Tabakrauchen in ihren Häusern auch Anderen nicht gestatten. Daher fehlen
in ihren Dörfern die Tabaktrafiken. Eidesablegung ist ihnen unter keiner Bedingung, nicht
einmal vor Gericht, gestattet, weshalb sie daselbst nach den abgegebenen Depositionen
folgende Formel hersagen: „Ls, ch, sn mtiirn prnvciu ka^at!«, das ist „wahrlich,
wahrlich, ich habe die reine Wahrheit gesagt!" Doch wird in letzter Zeit oft davon Umgang
genommen und entweder vor einem vom Hause mitgebrachten oder vor dem Gerichtskrenze
geschworen. Früher sträubten sie sich gegen die Zählung und die Zeichnung ihres Viehstandes
mit Brand- oder sonstigen Malen, indem sie dies als nach ihren religiösen Grundsätzen
verpönt und unzulässig erklärten. Auch bekommt man noch zu hören, daß einer gezählten
Kuh das Euter verdorre und versiege und die Milch einer gezeichneten Kuh ungenießbar sei.
Erwähnenswerth ist der Umstand, daß sie ihre in den Städten erkrankten Brüder
sofort nach ihren Dörfern transportiren, wodurch oft ansteckende Krankheiten auf's Land
verschleppt werden. Ärzte ziehen sie auch bei den schwersten Krankheitsfällen nicht zu Rathe,
weil Gott allein alle Krankheiten heile. Kartenaufschlagen, Beschwören re. wird für sündhaft
gehalten. Die Hunde verachten sie als die unreinsten Thiere; dieselben dürfen ihre Häuser
nicht betreten, obwohl sie deren nächtliche Wachsamkeit in Höfen und Obstgärten vielfach
in Anspruch nehmen.
Die Lippowaner sondern sich ängstlich von den Andersgläubigen, die sie als unrein
betrachten, ab und beschränken ihren Verkehr mit denselben auf die dringendsten Geschäfte.
Doch glauben sie, daß ein verheiratheter Mann seine Ehefrau verlassen oder wegjagen
und mit einer Jüdin leben dürfe, wenn es ihm nur gelinge, selbe dem Christenthume
znzuführen. Um sich durch den Besuch von Andersgläubigen nicht zu verunreinigen, hielten
sie früher für solche eigene Teppiche in Bereitschaft, womit die dem Gaste zum Sitzen
dargebotene Bank bedeckt wurde. Falls sich aber der Ankömmling auf eine bloße Bank
niedergelassen hatte, so wurde dieselbe nach dessen Abgang blank gescheuert.
Sie essen und beten nie mit Andersgläubigen zusammen, auch trinken sie selten aus
dem Glase eines Nichtlippowaners, weshalb manche auf Reisen ein eigenes Trinkgefäß mit
sich führen. Wenn sie trinken wollen, so bekreuzigen sie sich zuerst, woraus gewöhnlich der
ganze Inhalt des Glases in einem Zuge ausgetrunken wird. Dieser Vorgang wird ganz
genau auch vor und nach dem Essen beobachtet. Ihre Priester aber müssen vor dem Essen
und Trinken die Speisen und das Getränk segnen. Sie bekreuzigen sich mittelst des Zeige-
und Mittelfingers im Gegensätze zu den Orthodoxen, die das Kreuz mit dem Daumen,
Zeige- und Mittelfinger machen. Auch der Segen wird mittelst der obenangeführten Finger
von ihren Priestern ertheilt. Das Kreuz der Lippowaner hat folgende Form E ' besteht
also ans vier Balken und acht Enden. Die Kreuze an ihren Kirchen sind nicht aus Metall,
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sondern von Holz mit einer Weißblechumfassung und zwar aus dem Grunde, weil der
Heiland nicht auf einem metallenen, sondern einem hölzernen Kreuze starb.
Sie halten nicht viel auf auswendig vorgetragene Predigten, da man so leicht irren
könne; daher werden in ihren Kirchen die gedruckten Predigten der alten Kirchenlehrer
vorgelesen. DieLiPpowanerPriester benützen znrProskomedie nicht wie dieOrthodoxen einen
Diskos (Scheibe), sondern drei. Auf den ersten legen sie das Christustheckchen, auf den
zweiten das der Mnttergottes und auf den dritten die für die Heiligen, Lebenden und
Todten herausgezogenen Theilchen.
Lippowanerinnen in der Kibitka fahrend.
Ihre Religion verbietet den Lippowanern den Tanz, den Genuß geistiger Getranke
nnd die Musik, was das Fehlen von Musikanten und Tänzen hinlänglich erklürck. Mit dem
Verbote der geistigen Getränke und des Tanzes nehmen sie es freilich nicht sehr genau,
daher kann man an Markttagen in den Stadtschänken von Alkohol berauschte Lippowaner
tanzen, singen und lärmen sehen. Lobend muß erwähnt werden, daß in ihrem Dorfe
Biala-Krinitza die Wirthshäuser fehlen.
In den Orten, wo sie mit Andersgläubigen Zusammenleben, pflegen sie ihre
Wohnungen und Gärten mit hohen Zäunen zu umgeben, uni dieselben den neugierigen
Bukowina.
Blicken der Fremden zu entziehen und um ihr Eigenthum zu schützen, was ihren Häusern
einen geheimnißvollen Anstrich verleiht. So mittheilsam sie ihren Stammesbrüdern gegen -
über sind, so mißtrauisch sind sie gegen Fremde, weshalb man auch über ihr geselliges
Leben, wenn bei ihnen überhaupt von einem solchen die Rede sein kann, wenig oder nichts
erfährt.
Ihre Feste und Hochzeiten erhalten durch das Absingen etwas monotoner religiöser
Gesänge und weltlicher Liebeslieder eine originelle Abwechslung. Um heiraten zu können,
soll der Bursch, wenn er auch kein Hans und Feld sein eigen nennt, doch Wagen und Pferd
besitzen; das Mädchen bekommt zur Aussteuer gewöhnlich Feld und eine Kuh. Die jungen
Leute wohnen stets ein bis zwei Jahre bei den Eltern des Bräutigams, während welcher
Zeit ihnen ein eigenes Haus gebaut wird. Die Ehen der Bezpopowcy sind eigentlich wilde
Ehen; dagegen sind die letzteren bei den Popowcy streng verpönt; wer dennoch in wilder
Ehe leben würde, dem würde das Brunnenwasser, das Betreten der Straße und der
Kirchenbesuch durch sieben Jahre verwehrt.
Die Nahrung der Lippowaner ist gewöhnlich eine vegetabile und besteht aus Hülsen -
früchten und verschiedenem Obst. Fleisch genießen sie nur im Winter namentlich im Fasching,
Mönche und Nonnen aber nie. Ihre Kochkunst ist höchst einfach. Die Speisen werden in
Thontöpfen in dem sehr heißen Backofen zum Dunsten zugestellt. Hierauf wird die Backofen -
öffnung mit einem halbkreisförmigen Brett oder Stein, ^astoirka." genannt, verstellt, um
den Zutritt der Luft hintanzuhalten. Zur Essenszeit werden dann die Töpfe mit den gut-
gekochten Speisen herausgenommen und die letzteren aufgetischt. Durch diesen Vorgang
erhalten sie ihre Speisen im warmen Zustande auch über die gewöhnliche Mittagszeit
hinaus. Doch wird auch viel auf dem Herde gekocht. Ihre Fasten sind streng und dauern
186 Tage im Jahr.
Die Masse des Lippowaner Volkes will von einer modernen höheren Schulbildung
nichts wissen, im Bewußtsein, daß jede höhere Bildung ihre religiösen Anschauungen über
den Haufen werfen müsse. In neuerer Zeit aber scheinen fortschrittsfreundlichere Ansichten
bei ihnen Eingang gefunden zu haben, denn sie beginnen ihre Kinder auch auf Mittelschulen
zu schicken, von denen zwei bereits maturirt haben und einer Namens Epiphanias
Balanowicz sich ein Officierspatent im k. und k. Heere erwarb, dessen Bruder Eutychie
aber griechisch-orientalischer Pfarrer in Petersburg ist. Epiphanias Balanowicz, der
durch drei Jahre in Wien die Medicin studirte, dies Studium aber wegen Abgang von
Existenzmitteln unterbrechen mußte, ist gegenwärtig öffentlicher Lehrer an der Schule in
Klimontz, wo er sich um die Bildung der LiPPowanerkinder, für die er eigene Fibeln
herausgegeben hat, erfolgreich bemüht. Doch stehen derartige Fälle höherer Bildung bei den
Lippowanern bis heute vereinzelt da. Hingegen kann fast jeder Lippowaner, Mann oder Weib,
291
jung oder ult. seine rituellen altrussischen Bücher lesen. Nicht selten kann man in den
Städten Lippowaner oder Lippowanerinnen hinter ihrem Obsttisch ein religiöses Buch
lesen sehen.
Lippowaner Mönche aus Fantäna alba.
Die zerstreut lebenden Lippowaner führen ihre Todten auf ihre eigenen Friedhöfe.
Vor der Beerdigung werden die Todten nur von den Angehörigen, ohne daß man Klage -
weiber bestellt, beweint. In die Hand gibt man dem Todten einen von dem Priester
ausgestellten Zettel, eine Art Reiseschein, .rullopiZunie" genannt, worin es heißt, daß
er vor Gott stehen könne.
292
Außer ihrer Muttersprache, dem Großrussischen, bedienen sich die Lippowaner oft
und ziemlich geläufig der rumänischen Sprache. Für das Wohlergehen ihrer Stammes -
brüder aus aller Herren Länder zeigen sie stets ein großes Interesse und stehen mit
denselben, trotz vieler ihnen in den Weg gelegter Hindernisse, durch Boten in Fühlung.
Die in Noth befindlichen Stammesbrüder werden von Allen reichlich unterstützt. Hoch in
Ehren halten sie jeden älteren Stammesbruder; sie ziehen vor demselben die Mütze ab,
vor dem älteren Verwandten aber macht jeder jüngere eine Kniebeugung, „pokkoii" genannt,
bei welcher man sich so tief beugt, daß mit der Stirne fast die Erde berührt wird. Die Hand
küßt man nur dem Geistlichen.
Ihre Häuser bestehen durchwegs aus Holz, sind in der Regel mit einem Schindeldachs
gedeckt und werden durch das Vorhaus in zwei Theile getheilt. Aus dem Vorhause geht
man rechter Hand in das Wohnzimmer und links in die Küche. Links von der Küche, unter
demselben Dache befindet sich die Stallung sammt Wagenschoppen. In einer vorderen
Ecke des Wohnzimmers sind die Heiligenbilder und vor denselben Öllampen angebracht. Auch
in der Küche befinden sich — freilich minder werthvolle — Heiligenbilder sammt Öllampe.
An der Westwand des Wohnzimmers befindet sich das tannenhölzerne Ehebett, welches
vor neugierigen Blicken mittelst eines rothen Vorhanges geschützt wird. Längs der Nord-
und Ostwand stehen Holzbänke und davor ein manchesmal angestrichener Tannentisch. In
der Küche steht gleich beim Eingänge der Feuerherd sammt dem Backofen, welcher letztere
im Winter als Schlafstätte benützt und deshalb auch mittelst eines rothen Vorhanges
verdeckt wird.
Die verwitweten Lippowaner Priester, deren Bildung nicht über die Kenntnisse des
Lesens und Schreibens in der Muttersprache und des Kirchenrituals hinansreicht, dürfen
keinen Seelsorgedienst versehen, sondern müssen Mönche werden. Doch sind Fälle vor -
gekommen, daß sich solche Priester wieder verheirathet haben. Ihre Mönche stehen auf einer
noch niedrigeren Bildungsstufe, denn die meisten können wohl die Kirchenbücher lesen, nicht
aber auch schreiben. Einer ihrer Mönche namens Nikolai Czerniszew gab vor einigen
Jahren die „Ltnrookrjnckse" genannte Zeitschrift in Kotomea (Galizien) heraus, um ihre
von der Welt angefochtenen religiösen Grundsätze zu vertheidigen. Denselben Zweck verfolgt
heute die wieder von Czerniszew ebendaselbst herausgegebene Zeitschrift »vrsrvirlja kluss".
Auch der zu den Lippowanern übergetretene Jude Michails Karlowicz hat vor einigen
Jahren in drei Bänden, wovon ein Band in Petersburg, zwei aber in Czernowitz gedruckt
wurden, die Religion derselben, freilich nicht sehr zutreffend, zu rechtfertigen gesucht.
Die Kleidung der Mönche besteht in einem langen mit einem pelerinartigen, roth oder
blau umsäumten Kragen versehenen schwarzen Talar. Als Kopfbedeckung dient ihnen eine
schwarzsammtene, kegelförmige Mütze, worüber beim Kirchgänge eine schwarze Kapuze
203
angelegt wird. Die Nonnen haben als Kopfbedeckung ein niedriges, krempenloses, schwarzes
Sannnt- oder Filzkäppchen, worüber beim Ausgehen ein schütterer, schwarzer Wollschlerer
derartig geworfen wird, daß ein Ende davon die Brust herzförmig bedeckt, das andere aber
ans dem Rücken herabhängt.
Mönche und Nonnen pflegen
eigenthümliche, aus Leder be -
stehende Rosenkränze, »lostov-
ke" genannt, in den Händen
zu halten. Die Beschäftigung
der Mönche und der Nonnen
besteht größtentheils in der Er -
füllung der strengen Klosterregel,
die täglich ein vierzehnstündiges
Gebet vorschreibt, dann in
Feld- und Gartenbau. Die
Nonnen verfertigen auch Rosen -
kränze, Bettpölster, Kleider rc.
Um in den Mönchsstand aus -
genommen zu werden, muß der
Kandidat das siebzehnte Lebens -
jahr zurückgelegt haben. Außer
den Nonnen leben in Biaka-
Krinitza auch Einsiedlerinnen,
,Mik6niiÜ6° genannt, welche
sich das tägliche Brot durch Feld -
arbeit oder Betteln erwerben.
Der Status des gesumm -
ten LiPPowaner Clerns der Buko -
wina ist: Ein Erzbischof, ein
Vicar, vier Priester, zwei
Diakone, dreißig Mönche,
dreißig Novizen, vierzig Nonnen, zwanzig Novizinnen, 30 Einsiedlennnen und em Pfarrer
in Biata-Krinitza, endlich je ein Pfarrer in Lippoweny, Klimoutz und Lukawetz.
Sowohl die Mönche und Nonnen, als auch die Laien bedienen sich ber ihren
Kniebengungen kleiner, aus buntfürbigen Wollstoffen oder Seidenresten bestehender,
.pockrueirLa- genannter Pölster zum Stützen der Hände. Diese Polsterchen drenen
Lippowaner Nonne.
294
auch zur Verzierung der Zimmerwände. In Ermanglung solcher Pölsterchen muß bei der
Kniebeugung unbedingt ein Taschentuch auf dem Boden ausgebreitet werden.
Die Lippowaner sind ehrliche, fleißige und überaus thätige Geschäftsleute, die sich
auf dem Lande auch mit Ackerbau und Viehzucht, besonders aber mit Garten- oder richtiger
Obstcultur und hie und da mit Bienenzucht befassen. Sie pachten alle größeren, wenn
auch meilenweit entfernten Obst- und Weingärten. Im Herbste pflücken sie mit der Hand
auch von den höchsten Bäumen, die sie auf langen Leitern besteigen, das reife Obst und
hinterlegen es in den in allen Städten der Bukowina gemietheten Kellern. Allmälig sammeln
sie die gesummten Obstvorräthe des Landes und beherrschen so den ganzen Obstmarkt der
Bukowina, und bestimmen selbst die Obstpreise in den Nachbarländern. Auf ihren kleinen
Wagen transportiren sie alle Obstgattungen: Weichsel«, Kirschen, Aprikosen, Äpfel, Birnen,
Zwetschken, Nüsse, Weintrauben, Wassermelonen, ferner Honig, Wachs, Öl, Kürbiskörner,
Flachs, Lein und anderes nach allen Gegenden und senden auch ganze Waggonladungen
davon ins Ausland.
Während die Männer in Geschäften auswärts weilen oder in ihren Gärten das
Obst bewachen und pflücken, verkaufen die Frauen und Greise vor ihren Kellern das daselbst
auf Tischen ausgestellte frische und gedörrte Obst und den daraus bereiteten Most. Denn
die Lippowaner sind in der Obstdörrekunst, der Mostbereitung und Früchteeinsäuerung
unübertreffliche Meister.
Sie beschäftigen sich aber auch mit der Herstellung ihrer Wagen und Schlitten, mit
Leinwandweberei und Seilerarbeit. Beim Graben von Teichen, Dämmen, Canälen,
Schanzen und Fundamenten und beim Ausführen der ausgehobenen Erde entwickeln sie
eine unübertreffliche Geschicklichkeit und Ausdauer. Namentlich gilt dies von den Lukawizer
Lippowanern, die sich ausschließlich mit Erdarbeiten beschäftigen.
Ochsen pflegen die Lippowaner nicht oder nur selten zu halten. Aber auch der Ärmste
besitzt Wagen und Pferd. Die Ärmeren fahren gewöhnlich einspännig; nur die Reichen
spannen bei größeren Lasten zwei Pferde ein. Der auf hölzernen Achsen ruhende Wagen
hat eine Gabeldeichsel. Der leichsenlose und aus Lindenholz bestehende Wagenkorb ist
von innen mit Lindenrinde bekleidet. Auch ihre Schlitten bestehen aus Lindenholz und
sind mit ebenderselben Rinde bekleidet. Das Pferd wird beim Einspannen zwischen die
Deichseln gestellt, woran es auch den drittellosen Wagen zieht. Das Kummet wird hierauf
mittelst starker Riemen unter Zuhilfenahme eines starken, halbkreisförmigen Holzreifes, der
über den Hals des Pferdes zu stehen kommt, mit den Deichseln derart fest verbunden, daß
diese gleich weit vom Körper des Thieres zu stehen kommen. Jeder Wagen hat zwei Lang -
bäume, wovon der niedrigere unter der Vorderachse steht und mittelst eines Seiles in gleicher
Höhe mit dem oberen gehalten wird. Den Pferden legen sie nie das Gebiß des Kopfgestelles
205
ins Maul, weshalb dieselben oft, besonders bergab und bei Glatteis, von dem herunter -
treibenden Wagen an den Hinterfüßen getroffen werden und durchgehen.
In letzter Zeit überwiegt bei ihnen das weibliche Geschlecht etwas über das männliche,
da sich die Jünglinge aus Widerwillen gegen den Militärdienst oft ins Ausland begeben
und sich daselbst bleibend niederlassen. Nach Gemeinden und Seelenanzahl sind dre LlPPo-
waner in der Bukowina folgendermaßen vertheilt: In Biata-Krinitza sind 972, m
Klimontz 1223, in Lippoweny 469, in Suezawa 53 und in Lnkawetz 294 Seelen.
Die Deutschen.
Deutsche Gewerbsleute fanden sich in der heutigen Bukowina, und zwar in Lereil,
,md Snezowo, schon z» End- d-z XlV, Inh-h»»d-r,s vor. Sie wor-n ms Si-b-nlnirg-n
,i»g-w°»d-r, ,md nnl.rhi.lt-n °i».n --»-» Brrkrhr mit d-m M»,t->,-»d-. Untrr d-r
stammsr-mdrn B-völ!ki»„g Io»»t-N si- sich j-doch. »irlricht wkgin chrer vkrhottenhniaßn,
orrnmm Anzahl. nicht h°hanp,-»i !»- Kit drs Si,,n,arsch.s d-r -si-rr-ichisch-n Trapp.»
i» dir Bnlownm -rinn-,.-,, »n si- „nr »och di- Rnin-n ihr-, «rchm. Eb.»s° wnr-»
dnmnts j-n- d-ntsch-n Tnchmnch--. w°,ch- d-r B-t-r d.s ,-tzt°n Polnisch.» »on.gs. d-r
Grns Ane,»st Poniatowsli. mit »-Willi,,mg d-s nwld-nilch-n Ftirst-n S°h°n» Tl,-°d-r
»«nmchi zn P,-lip°z° °d-r Philipp-,,» NM r-cht-n »!-- d-s Dni.ftr. Z-i-Ir-ihki
im Inh« I7S0 »ng-si-d-lt hntti. b-rrits p-rschwnnd-n. Dossilb- Lch,«i»I droht- anch
d-r -inig- J-Hr- jn»»--.» d-a.sch.» »-Ii-d>n»s S-d-go-n. Hi-r h°,t° d-r Osisi-Iänd-r
P-.-r Fr-ih-rr Po» G-r.-nb-rg »rnsisich Sndagors!» in, J-Hr- 17'» ->»- Eich-
ftntt- -„ich,., »,,d z» ihr.», B-t,i.b° -in- Anzahl L-mdsl-nt- h-rb-ig-rns-». d-»-n sich
bnld -nch v°r,chi-d-»- s-w-rbs. nnd H°»d.,rl-»t- d-ntsch-, «bstnnnn,,».,. dnrnnt-r nnch
sind-,, zna-s-llte». All- di-s- «nsikdl-r bli-b-n, ols di- Rnnzstiitt- ,«, Frnlsiohrr 1774
,°i-d-r' -nsg-lass-n «,„d-. im --°d- M« «» sich »»- dnrch d.» d-sond-r-n
Schnh. d-n ihnrn di. Bnlowi»-- Milt,ärp-mml,nag -mg-d-th-» l,.ß. H-nt. ,st Sadag»,»
ei» Mnrktfl-ck-n. d-r nah-z» booo Einwohner zahlt.
D-I nnt-n Di-Nst- weg-». welch- di- B-W°h»°r von S-dagor- nicht n»r d-r ,mh.»
Ädnptstodt.' I-nd-r» nnch °»d--.n. -.„ft-nt-r-» B--°wi»°° Ortlchnft.» l-ist-.-n. ,.d°l-
s-n-rot Spsi'n», d-r A»,-gn», d-n.sch-r L°l°»i°» wi-d-rhol. d-s W°„. Nicht men -r
wnsit- !-i» Re,chs°,g.r. G-n-r-l S»z-nb-rg, di. D-n„ch.» als V-rb,-,t-r h-h-r-r Enttm
zn sch-ihe». Insb-sond-r- Ichi-»-» l-tzt°r.n, di- ..sl-iing-» d-»t,ch-„ H»»d° !»r Fordern»»
d-s sil-rdnn-s in d-r Bnlowina „othig. «-»» trotzd-m w°d.r d-r -in- »och d-r ander.
La»d-z°-„»-i., di- Grnndnng solch-- «nsi.d-lnng.» i» Angriis »nhm. d-r -,„- °°»
ih„.» E»z-»b-,g. sogar ->»- d°r» s-h- tIMstiS- «-EE"
206
so ist dies, abgesehen davon, daß die deutschen Einwanderer zumeist sehr arm und der
staatlichen Unterstützung bedürftig waren, dem Umstand zuzuschreiben, daß es, solange sich
der größte Theil von Grund und Boden in den Händen der Klostergeistlichkeit befand, der
Regierung an geeigneten Ansiedlungsplätzen mangelte. Welch' große Verlegenheit bereiteten
dem General Enzenberg 22 aus Kurmainz und Mannheim stammende Familien, die,
nachdem sie lange vergebens im Banate auf ein Unterkommen gewartet hatten, im
Jahre 1782 unangemeldet in die Bukowina kamen! Mit schwerer Mühe gelang es,
13 Familien in Mokodia anzusiedeln; die übrigen mußten sich im Lande zerstreuen und
gingen nur darum nicht zugrunde, weil ihnen die Regierung zum Ankauf von Vieh und
Ackergeräthen Geld vorstreckte und obendrein durch mehr als ein volles Jahr Unterhalts -
beiträge bewilligte.
Erst zu Beginn der Civilverwaltung fand die Gründung einer Anzahl deutscher
Bauerncolonien statt. Augelockt durch die großen Begünstigungen, die Joseph II. mittelst
Patentes vom 17. September 1781 den sich in Galizien seßhaft machenden Fremden in
Aussicht stellte, waren nämlich seit dem Jahre 1783 so viele Auswanderer äus dem
Deutschen Reiche, besonders aus Schwaben, Franken und vom Rheine, herbeigeströmt,
daß sie nicht sämmtlich sogleich unterkamen und dem Staate große Unkosten verursachten,
da man sie bis zu ihrer Unterbringung verpflegen mußte. Auf kaiserlichen Befehl wurden
daher im Jahre 1787 75 Familien in die Bukowina abgeschickt, wo sie im folgenden Jahre
von der Staatsgüterverwaltung theils (die acht katholischen) in St. Onufry angesiedelt,
theils (die protestantischen) in die Ortschaften Arbora (8), Badeutz oder Milleszoutz (8),
Fratautz (16), Jliszestie (12), Satnlmare (8), Tereblestie (7) und in das zu diesem Zwecke
gegründete Neu-Jtzkany (8) vertheilt wurden. Jeder Ansiedler erhielt ein aus Stube,
Kammer und Vorhaus bestehendes Haus und gegen 30 Joch Grund als emphyteutischen
Besitz, wofür er außer der landesfürstlichen Steuer einen mäßigen Zins zu entrichten hatte.
Mehr als der Ackerbau hat die aufblühende Industrie die Gründung deutscher
Colonien begünstigt. Die Montanindustrie zog Deutsche aus Siebenbürgen und Oberungarn
(meist Gründner aus dem Zipser Comitat), herbei, denen die Orte Jakobeny (1784 bis
1796), Kirlibaba (1797), Luisenthal und Pozoritta (1805), Eisenau (1808) und Ruß-Pe-
boul oder Freudenthal (1809) ihren Ursprung danken. Die Glasindustrie dagegen rief
die deutschbvhmischen Ortschaften Alt- und Neuhütte (erstere 1793, letztere 1815), Karls -
berg (1797) und Fürstenthal (1803) ins Leben. Auch diesen Ansiedlern wurde je ein Haus
nebst einem kleinen Gartengrunde eingeräumt; Ackerfelder aber, und zwar je sechs Joch,
erhielten nur die bei den Glashütten beschäftigten Holzhauer.
Durch die Glashütten wurde ein Theil der unermeßlichen Bukowiner Wälder
nutzbar gemacht. Derselbe Zweck, zugleich aber auch die Herstellung der öffentlichen
297
Sicherheit längs der sogenannten verdeckten, das ist der von Gurahumvra über Mardzina
nach Duboutz und von da nach Sniatyn führenden Straße wurde in den Dreißiger-Jahren
durch die Gründung der Kolonien Bori (1835), Lichtenberg (1836), Pvjana Mikuli oder
Deutsche Bergleute aus Jakobeny.
Buchenhain (1838) und Schwarzthal (1838) auf den Religionsfondsherrschaften Jliszestie
und Solka angestrebt. Die Bewohner dieser Kolonien stammen sämmtlich aus dem nord -
westlichen Böhmen. Sie waren vhne Zusicherung der Aufnahme, bloß auf die Entladung
einiger in der Bukowina bereits seßhaften Verwandten herbeigekommcn und mußten sich
298
zumeist sehr drückenden Bedingungen unterwerfen. Es sei hier nur erwähnt, daß sie sich
mit sechs Joch, und zwar noch zu rodenden Waldgründen begnügen mußten. Noch schlechter
erging es den zahlreichen Nachzüglern. Sie wurden lange im Lande hin und her
geschoben, bis sie endlich ein leidliches Unterkommen fanden.
Das Beispiel der Religionsfondsgüter-Verwaltung nachahmend, begannen nunmehr
auch Privatgrundherren deutsche Einwanderer aufzunehmen, um durch sie den Ertrag
ihrer Güter zu erhöhen. So siedelte im Jahre 1850 die damalige Eigenthümerin von
Moldauisch-Banilla, Petronella Theodorowicz, 20 theils aus Böhmen (aus der Klattauer
und Budweiser Gegend), theils aus Niederösterreich stammende deutsche Familien in der
Nähe des genannten Ortes an und legte dadurch den Grund zu der Attinenz, seit 1887
aber selbständigen Gemeinde Augustendorf. In den Sechziger-Jahren sind zwei deutsche
Kolonien ans dem der freiherrlichen Familie Wassilko-Serecki gehörenden Gute Berhomet
am Sereth, nämlich Alexandersdorf (1863) und Katharinendorf (1869), gegründet
worden. Beide Orte erhoben sich auf öden, ganz werthlosen Grundcomplexen. Die
Ansiedler, Schwaben aus Jliszestie und Tereblestie, sowie aus der in Galizien gelegenen
deutschen Ansiedlung Brigidau, sind jedoch nur Pächter der von ihnen urbar gemachten
Gründe. Ans einer Privatherrschaft ist auch die jüngste deutsche Colonie in der Bukowina,
Zadowa am Sereth, entstanden. Dazu haben im Jahre 1885 David Kranz und kurz
darauf auch die Antheilsbesitzer Johann v. Baloszeskul und Alexander Ritter v. Gojan
den Grund und Boden käuflich überlassen.
Bei der starken natürlichen Vermehrung der deutschen Colonisten mußte diesen
der ihnen ursprünglich zugetheilte Grund und Boden bald zu enge werden. Sie suchten
sich darum nach allen Seiten auszubreiten. So kommt es, daß in der nächsten Umgebung
der deutschen Ansiedelungen (z. B. in Rohozna bei Sadagöra, in Mitoka-Dragomirna
bei Neu-Jtzkany, in Glitt bei Lichtenberg, in Klosterhumvra bei Bori und Pojana Mikuli,
in Negrileassa, Ostra und Stulpikany bei Schwarzthal u. s. w.) das deutsche Element
stark hervortritt. Aber auch in ganz entlegene Gegenden der Bukowina hat der Kampf
ums Dasein den deutschen Ansiedler geführt. Dieser Ausbreitung der Colonisten sowie
dem Umstand, daß infolge der Verbindung mit dem Kaiserstaate an sich zu allen Zeiten
aus den übrigen Kronländern Deutsche als Soldaten, Beamte, Gewerbs- und Handels -
leute in die Bukowina kamen und sich dann häufig daselbst bleibend niederließen, ist es
zuznschreiben, daß es heute hierzulande nur wenige (etwa 15) Gemeinden ohne deutsche
Bewohner gibt. Besonders zahlreich ist die deutsche Bevölkerung in den Städten und
einigen Märkten. In Czernowitz beträgt sie 50, in Kimpolung 33 8, in Radautz 66 15,
in Sereth 60'70 und in Suczawa 58 33, dann in Gurahumora 78'9, in Unter-Stanestie
36 54, in Storozynetz 40'07, in Wiznitz 90 06 Procente der Bevölkerung. Im ganzen
299
belief sich am 31. December 1890 in der Bukowina die Zahl der Deutschen auf
133.501 Seelen, d. i. auf 20'65 Percente der Gesammtbevölkernng.
Die Deutschen werden in der Bukowina gewöhnlich unter dem Namen „Schwaben"
znsammengefaßt. Dieser Name hat jedoch nur für die Bewohner der protestantischen
Colonien, d. i. der Colonien Alt-Fratautz, Arbora, Badeutz, Jliszestie, Nen-Jtzkany,
Deutsche Bäuerinnen aus der Czernowitzer Borstadt Rasch, vom Markte heimkehrend.
Satulmare und Tereblestie, dann Alexanders- und Katharinendvrf und Zadowa, einige
Berechtigung; die Bewohner der Werkscolonien sind durchwegs Siebenbürger Sachsen
und Zipser, die der übrigen Colonien bis auf einige baierische Familien lauter
Dentschböhmen.
Die Schwaben und Dentschböhmen, letztere mit Ausnahme des ehemaligen Glas -
hüttenpersonales, das sich jetzt zumeist mit Holzarbeiten beschäftigt, treiben Ackerbau und
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Viehzucht oder suchen als Maurer und Zimmerleute in der Bukowina sowie in Rumänien
Verdienst; die Sachsen und Zipser dagegen leben, seit in den meisten Werken die Arbeit
eingestellt ist, theils vom Fuhrwerk, theils von der Flößerei. Den sichersten Erwerb haben
jene Colonisten, welche in der Nähe der Städte und Märkte wohnen, weil sie diese fast
ausschließend mit den Erzeugnissen ihrer Wirtschaft zu verproviantiren pflegen. Nach
Czernowitz kann man jeden Morgen ganze Karawanen von „Schwäbinnen", die vollen
Milch- und Gemüsekörbe auf den Köpfen, leichtere Dinge in den Händen tragend, trotz
Regen und Sturm, trotz Glatteis und Schneeverwehungen ziehen sehen.
Obschon von ihrer ursprünglichen Heimat weit entfernt und inmitten einer anders -
gläubigen und fremdsprachigen Bevölkerung lebend, haben die Bukowiner Deutschen
dennoch ihren Charakter treu bewahrt. Sie sind wahr und offen, gutmüthig und theil-
nahmsvoll geblieben und kennen weder Unduldsamkeit noch Nationalitätenhaß. Ihrem
friedlichen, ja freundschaftlichen Verkehr mit den Nachbarn kommt auch der Umstand sehr
zu statten, daß sie frühzeitig beflissen waren, sich die verschiedenartigen Idiome des
Landes eigen zu machen. Leider hat der häufige Gebrauch mehrerer fremden Sprachen die
üble Folge, daß in ihre eigene Sprache, die unter dem Einflüsse von Schule, Kirche und
Verwaltung das Dialektmäßige abstreift und sich nicht mehr allzusehr von der Schrift -
sprache unterscheidet, immer mehr fremdartige Ausdrücke und Formen eindringen.
Die Landbevölkerung ist im allgemeinen ziemlich gleich gekleidet. Nur bei den
Zipfern macht sich, und zwar auch nur an Werktagen eine Besonderheit bemerkbar. Diese
tragen, während der Schwabe und Deutschböhme mit Mütze, Spenser, breiten Zeughosen
und Röhrenstiefeln angethan, seiner Beschäftigung nachgeht, runde schmalkrämpige Filz -
hüte, enganliegende, oben durch einen Gurt zusammengehaltene grauweiße Wollhosen
und Opintschen. Die Sonntagstracht besteht überall in einer schwarzen oder dunkel -
blauen Tuchjacke, in einem Beinkleid aus grauem Tuch, in einer Weste aus Halbseide
und einer schwarztuchenen Kappe. Im Winter tritt an die Stelle der Kappe eine
runde schildlose Pelzmütze, an Stelle des Spensers ein dunkelgrauer Pelz von mittlerer
Länge. Die Mädchen und Frauen tragen im Sommer kurze, faltenreiche dunkelblaue
oder rothe, stets getupfte Perkalkleider. Der Kopf ist entweder (nur bei den Mädchen)
bloß oder mit einem geblümten Tuch bedeckt, das rückwärts in zwei ansehnlichen Maschen
endigt. Im Winter greift wie bei dem männlichen Geschlechts der Wollstoff platz. Zum
guten Tone gehört, daß der junge Bursche am Sonntage die Spitzen eines buntfarbigen
Tuches aus den Taschen niederhängen, das Mädchen einen Blumenstrauß in den Händen
sehen läßt.
Der Deutsche der Bukowina ist keineswegs vergnügungssüchtig; aber er hat doch
seine Freuden und Zerstreuungen, denen er sich mindestens an Sonn- und Feiertagen
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hingibt. Dazu zählen vornehmlich die wechselseitigen Besuche der Verwandten und
Bekannten, ebenso die Versammlungen in und vor der Schenke, wo die junge Welt bei
den Lauten einer Ziehharmonika dem Tanze huldigt. Auch der Volksgesang wird gepflegt.
Deutscher Ansiedler aus Jtzkauy.
Fast jeder Bursche, wenigstens bei den Deutschböhmen und Schwaben, hat sein Liederbuch,
worin neben weltlichen auch geistliche Lieder stehen. Ein in der Bukowina entstandenes
deutsches Volkslied ist jedoch bisher nicht bekannt.
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Das wichtigste Familienfest ist die Hochzeit. Sie findet gewöhnlich im Herbste und
im Fasching statt und dauert zwei bis drei Tage. Dabei ist die Musik unentbehrlich.
Ihretwegen wählt man, besonders in größeren Ortschaften, wo mehrere Hochzeiten gleich -
zeitig abgehalten werden, als Hochzeitstag den Sonntag, Dienstag und Donnerstag, nur in
Bori zieht man den Montag, und zwar als glückbringenden Tag, vor. Die Einladung
zur Hochzeit wird häufig erst tagszuvor von dem Brautpaare selbst oder von vier bis
sechs dazu ansgewählten Burschen besorgt. Manche Colonien, wie z. B. Fürstenthal,
haben einen eigenen „Hochzeitslader", der, mit einem reichbebänderten Stocke in der Hand,
in die ihm vom Brautpaar und dessen Eltern bezeichnten Häuser geht und deren Bewohner
mittelst eines entweder selbst erdachten oder von den Vätern ererbten gereimten Spruches
bittet, daß sie zur Hochzeit kommen „auf a Tröpferl Suppen, auf a Bröckerl Fleisch
und a Zuspeis, auf an Trunk und auf an Sprung". In jedem Hause wird der „Hochzeits -
lader" mit einem Gläschen Schnaps bewirthet und der Schmuck seines Stockes durch ein
neues Band vermehrt. Die Hochzeitsgäste versammeln sich bei den Eltern der Braut.
Der Bräutigam erscheint daselbst in Begleitung der Beistände und der „Junggesellen"
(Brautführer). Es ist Sitte, daß Braut und Bräutigam, bevor sie zur Trauung gehen, die
Eltern sowie auch die Gäste für die ihnen etwa zugefügten Kränkungen um Vergebung
bitten. Hie und da wird der Hochzeitszug schon auf dem Weg zur Kirche von Burschen
mittels einer Schnur oder Stockes aufgehalten; in der Regel geschieht dies erst ans dem
Heimwege. Um den Weg frei zu machen, hat der Bräutigam eine „Mauthgebühr" von
20 Kreuzern bis einen Gulden zu entrichten. Zu Hause wird das Neuvermählte Paar von
der Mutter der Braut mit Brod und Salz (in Jakobeny mit Backwerk und Wein)
empfangen. Bei dem darauffolgenden Hochzeitsmahle — es findet im Hause der Braut
oder, wenn daselbst nicht hinlänglich Platz ist, in dem des Bräutigams oder auch in einem
fremden Hanse statt — spielt der sogenannte „Tischmeister", in Rosch auch „Plampatsch",
in Jakobeny und Kirlibaba „der mit dem langen Handtuch" genannt, eine wichtige Rolle.
Er trägt nicht nur die Speisen auf, sondern muß auch für die Unterhaltung der Gäste
sorgen. In letzterer Hinsicht sei nur erwähnt, daß er in Fürstenthal und Bori die erste
Schüssel — sie ist gewöhnlich mit Eierschalen gefüllt — unter dem schallenden Gelächter
der Hochzeitsgäste in der Mitte der Stube fallen läßt. Gegen das Ende des Mahles
gehen die Beistände oder die Brautführer (in Jakobeny und Kirlibaba „der mit dem langen
Handtuch") mit einem Teller, auf dem zwei mit Wein gefüllte Gläser stehen, von Tisch zu
Tisch und sammeln, indem sie jedem Gaste einen Trunk anbieten, die Hochzeitsgeschenke
ab. In der Regel ist es die Braut, die für die Geschenke dankt; nur in den protestantischen,
also „schwäbischen" Colonien fällt diese Aufgabe dem Bräutigam zu. Zum Schlüsse bittet
auch die Köchin sowie einer der Musikanten um eine milde Gabe, erstere, weil sie sich beim
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Kochen die Schürze verbrannt, letzterer, weil er sich beim Musieiren das Mundstück des
Blasinstrumentes zerbrochen habe. In manchem Dorse, z. B. in Bori, ist es Sitte, daß sich
die Köchin vor Beginn ihres Rundganges unter den Tisch schleicht und der Braut die
Schuhe von den Füßen zieht, wosür alsdann die Brautführer ein Lösegeld zu zahlen
^ haben. Um Mitternacht — um diese Zeit ist das Mahl zu Ende — wird die Braut von
den beiden Brautmüttern und den übrigen Frauen in das anstoßende Gemach geleitet, des
Brautkranzes sowie des hochzeitlichen Gewandes entledigt und mit einem gewöhnlichen
Kleide, einer Schürze und einer Haube — Geschenken der Brautmütter — angethan.
Weihnachtsspiel: Die Apostel.
Hierauf wird sie von den Frauen, die nun sümmtlich brennende Kerzen in den Händen
tragen, in das Speisezimmer znrückgeführt, wo unterdessen die Tische hinweggeräumt und
die Vorbereitungen zum Tanze getroffen worden sind. Zuerst tanzt jedoch nur die Braut
allein, und zwar der Reihe nach mit dem Bräutigam, den Brautvätern, den Brantmüttern,
den Brautführern, „Brautmascheln" (Brautmädchen) und allen Gästen. Das ist der
Brauttanz, auch der wilde Brauttanz genannt, weil die anwesenden Bursche die Braut in
dem Augenblicke, wo sie den Tänzer wechselt, zu „stehlen" suchen, um den Bräutigam zur
Zahlung eines Lösegeldes zu zwingen. Bei den Zipfern und in einigen deutschböhmischen
Colvnien (Bori, Fürstenthal) findet die Einführung der Braut in die Würde der Hausfrau,
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das sogenannte „Haubenaufsetzen", erst am zweiten Tage statt. Den Schluß der Hochzeit
bildet das Überführen der Mitgift („Bettkleider- oder Bettgewandführen") und das
„Strohsackverbrennen". Letzteres besteht darin, daß die Köchin oder eine andere Weibs -
person eine Handvoll -Ltroh oder Heu, aus dem Bette der Braut genominen, unter dem
Tische in Brand steckt.
Im allgemeinen sind die Bukowiner Deutschen mit Kindern reich gesegnet. Das
neugeborne Kind wird, sobald es gebadet ist, zuerst der Mutter, dann dem Vater und
hierauf denjenigen, die svnst noch anwesend sind, gereicht. Alle küssen es und machen darüber
dav Kreuzeszeichen, den Werkscolonien beten sie ihm überdies je ein Vaterunser in den
Mund (in Jakobeny) oder in das Ohr (in Kirlibaba) hinein. Den Pathendienst erweist
man sich gegenseitig; ihn zu versagen, gilt als Sünde. Als Taufgeschenk gibt man ein
Geldstück (ein bis zwei Gulden) und einen zwei Meter langen Streifen Perkal, woraus die
Mutter nach Verlauf von einem oder zwei Jahren dem Kinde ein Kleidchen macht. Besucht
die Wöchnerin zum erstenmale die Kirche, so beglückwünscht sie jeder, der ihr begegnet, mit
den Worten: „Euer Ausgang soll gesegnet sein. Ich wünsche Glück zu Eurem Prinzen (Eurer
Prinzessin); Gott möge ihn (sie) Euch erhalten und Ihr sollet ihn (sie) zur Ehre Gottes
großziehen, damit Gott und die Welt an ihm (ihr) ein Wohlgefallen habe." (Jakobeny).
Wie bei dem Eintritt in die Welt, so wird auch bei dem Austritt aus derselben
jedermann dem Allmächtigen empfohlen. Schlägt nämlich einem Familiengliede das letzte
Ltündlcin, so finden sich alle Verwandten und Freunde und, wenn es an einem Sonn -
oder Feiertag geschieht, auch andere Mitglieder der Gemeinde ein, um dem Sterbenden
durch ein Vaterunser das Hinscheiden zu erleichtern. Solange die Leiche im Hause ruht,
halten des Nachts Verwandte und Bekannte, gemeinsam betend, Wache.
Unter den hohen Festen des Jahres nimmt das Weih nachtsfest die erste Stelle ein.
Bei den Katholiken, d. i. bei den Deutschböhmen und der Mehrzahl der Zipser erscheint
am Weihnachtsabend, und zwar in Gestalt einer weißgekleideten Frau das Christkind.
Es wird von einem vermummten Manne begleitet, der in der einen Hand eine Ruthe
für die schlimmen, in der anderen eine Serviette mit Äpfeln und Nüssen für die braven
Kinder hält. Bei den protestantischen Schwaben gehen die „Pelznickel", d. i. der
heilige Nikolaus mit zwei oder mehr Begleitern, sümmtlich in umgekehrte Pelze gekleidet,
um. Aber auch förmliche Weihnachtsspiele sind in der Bukowina noch in Übung. In den
Werkscolonien wird eine „Schäferkomödie", in den deutschböhmischen Kolonien ein
„Dreikönigsspiel", auch „die Heroden" genannt, aufgeführt. Die Deutschböhmen der
Czernowitzer Vorstadt Rosch pflegen außerdem noch ein anderes Weihnachtsspiel, das
sie „die Apostel" oder „das christliche Apostelspiel" nennen. Dieses Spiel stellt den
Heiland dar, wie er von Petrus, Martinus, Nikolaus, Thomas, Moses, zwei Engeln und
zwei „Ruperus" (Ruprecht) umgeben, über die Menschen, insbesondere aber über die kleinen
Kinder Gericht hält. Als Ankläger treten Petrus, Nikolaus, Martinus und Moses auf.
Was sie Vorbringen, lautet so belastend, daß der eine der beiden Ruperus schon Miene
macht, sich der anwesenden Kinder zu bemächtigen. Da erfleht der heilige Thomas
ihre Begnadigung. Bis auf die beiden Engel und die beiden Ruperus, deren Rollen
in den Händen von Mädchen, beziehungsweise Knaben liegen, werden alle handelnden
Personen von Männern dargestellt. Jeder Darsteller ist mit einem weißen, durch einen
Gürtel aus farbigem Papier zusammengehaltenen Hemd bekleidet. Das Haupt ziert eme
papierene Krone. In der Hand hält Christus ein Scepter, Petrus einen langen hölzernen
Schlüssel, Moses zwei steinerne Tafeln, Nikolaus und Thomas Hirtenstäbe, Martinus
eine Büchse, der große Engel einen hölzernen Degen, der kleine Engel eine schelle und
die beiden Ruperus Ketten. So ziehen „die Apostel" von Haus zu Haus, um überall
da, wo man ihnen dazu die Erlaubniß gibt, gegen ein kleines Honorar, das Martinus
übernimmt, in der Stube oder im Vorhause ihr „Spiel" aufzuführen. Die beigegebene
Abbildung stellt die Schlußscene dar, wo alle handelnden Personen ein WeihnachUllicd
absingen.
' Trotz ihrer höheren Intelligenz sind die Deutschen in der Bukowina ebensowenig
wie die anderen Stämme von Aberglauben frei. Allgemein geübt ist das Bleigießen und
Schuhwerfen am Andreastage. Die Mädchen suchen außerdem an diesem Tage durch das
Knödel- und das Zaunpfahlorakel die Zukunft zu erforschen. Zn ersterem pflegen sich
in der Regel neun Mädchen zu versammeln. Ein jedes bereitet einen Knödel und merkt sich
dessen Form und Größe. Sind die Knödel gekocht, so setzen sie dieselben einem wohl -
genährten Hunde vor. Das Mädchen, dessen Knödel der Hund zuerst verzehrt, Wwd
bald Hochzeit halten. Das Zaunpfahlorakel dagegen besteht dann, daß dre Mädchen
um Mitternacht die Pfähle des erstbesten Zaunes zählen. Bei dem zwölften Pfahle wird
haltgemacht. Je nachdem dieser Pfahl gerade oder krumm ist, wird der Bräutigam
schön gewachsen oder bucklig sein. Dem Hausvater ist der Weihnachtsabend vvrbedeutend.
Helle Weihnachten verkünden ihm Helle, d. i. leere, dunkle Weihnachten dunkle, d. i. volle
Scheunen. Um zu erfahren, welche Früchte im kommenden Jahre gedeihen oder mißrathen
werden, legt er auf ein Brett eine Anzahl glühender Kohlen, die er vorher nach den
verschiedenen Fruchtgattungen, die er anzubauen pflegt, benannt. Dann achtet er genau
darauf, welche Kohlen ganz verbrennen und welche bald erlöschen. Erster? zeigen ihm
jene Früchte an, von denen eine gute, letztere, von denen eine schlechte Ernte zu erwarten
ist. Am Sylvesterabend sucht er mittelst des bekannten Zwiebelkalenders die trockenen
und die regenreichen Monate des neuen Jahres zu bestimmen. Gegen Hagel glaubt er
die Feldfrüchte dadurch zu schlitzen, daß er die zu Asche verbrannten Schalen von
O 20
Bukowina.
306
geweihten Ostereiern auf die angebauten Felder streut und die Birkenbäumchen, die am
Fronleichnamsfeste in der Nähe der Altäre standen, zwischen die Saaten pflanzt.
Selbstverständlich spielen im Volksglauben der Bukvwiner Deutschen auch die Hexen eine
nicht geringe Rolle. Ihr Einfluß erstreckt sich ans Vieh und Menschen. Das Vieh sucht
man dadurch gegen sie zu schützen, daß man ihm die bei der Frohnleichnamsprocession
verwendeten Blumen unter das Futter mischt.
Oie j?ole,i.
Seit mehr als einem halben Jahrtausend haben die Polen wiederholt die Geschicke
der Bukowina beeinflußt und mehr als ein Blatt der Geschichte dieses Landes ist eng
mit dem Polnischen Namen verknüpft. Zur selben Zeit, als das moldauische Fürstenthum
im Süden der Bukowina im Entstehen begriffen war, gerieth der nördliche Theil derselben
unter die Oberherrschaft der Polen, welche damals — unter Kazimir III. dem Großen —
Galizien in Besitz nahmen. Wie früher die ruthenischen Fürsten von Halicz ihren Einfluß
bis weit nach dem Süden geltend gemacht hatten, so waren auch die Pläne ihres Erben,
des Polnischen Königs, aus ein möglichst weites Vordringen den Pruth und Dniestr
abwärts gerichtet. Thatsächlich nahm Kazimir nicht nur die heutige nördliche Bukowina
zwischen Pruth und Dniester ein, sondern er ergriff auch Besitz vom westlichen Hügellande
derselben südlich vom Pruth und verband auch das Czeremoszgebiet mit seinem Reiche.
Zum Schutze dieser Landstriche hat Kazimir, wie die polnischen Reichstagsabgeordneten
im Jahre 1448 erklärten, außer anderen festen Orten in den benachbarten Ländern die
Burg Cecina erbaut. Die Trümmer derselben krönen noch heute den Gipfel des gleich -
namigen Berges, der sich westlich von Czernowitz bis zu einer Höhe von 539 Metern
erhebt und einer der beherrschenden Punkte des Hügellandes zwischen Pruth und
Czeremosz ist.
In ihrem weiteren Vordringen wurden die Polen durch das neu begründete
Fürstenthum Moldau gehindert. Zwischen den beiden Staatswesen mußte es zu einem
Zusammenstöße kommen. Ein Thronstreit zwischen den moldauischen Fürsten Stefan I.
und Peter I. bot Kazimir die erste willkommene Gelegenheit in die Verhältnisse der Moldau
einzugreifen. Von Stefan anfgefordert zog Kazimir im Jahre 1359 in die Bukowina; aber
auf der schwarzen Alm bei Hliboka erlitt das polnische Ritterheer durch die Moldauer eine
gänzliche Niederlage. Peters Krieger sollen die am Wege stehenden Bäume unterhackt und
sie hierauf auf das durchziehende Polnische Heer gestürzt haben. Viele Polen wurden auf
diese Weise getödtet, noch mehr gefangen, und überdies fielen drei königliche und neun
adelige Fahnen mit zahlreicher anderer Beute den Moldauern in die Hände.
307
Freundschaftlicher gestaltete sich das gegenseitige Verhältniß beider Staaten, als
Wladislaw ll. Jagielto auf dem polnischen Königsstuhle saß. Durch die Fortschritte der
Türken erschreckt, leistete diesem Könige der Wojwvde Peter II. (I-) am 26. September 1387
in feierlicher Weise den Lehenseid. Um Peter, der sich mit einer Schwester des Königs
vermählte, fester an Polen zu fesseln, verpfändete oder verlieh Wladislaw demselben auch
das Gebiet zwischen Pruth und Dniestr. Hiemit war der Anfall dieses Landstriches
an die Bukowina vorbereitet, der auch um die Mitte des XV. Jahrhundertes erfolgte.
Damals wurde als Grenze gegen <sniatyn der Bach Kotoczyna bestimmt, was dem
gegenwärtigen Verlaufe der westlichen Grenze zwischen Pruth und Dniestr entspricht.
In jenen Zeiten erscheint die nördliche Bukowina unter dem Namen Szepin, offenbar so
genannt nach seinem Hauptorte, dem heutigen Szipenitz, das zufolge neuer prähistorischer
Forschungen eine uralte Ansiedelung war und auch in den ersten zwei Jahrhunderten der
moldauischen Herrschaft nicht ohne Bedeutung gewesen zu sein scheint. Bezeichnend ist
es, daß der Fürst Peter der Lahme, als er im Jahre 1579 diesen Ort zum Marktplatz
für den Handelsverkehr mit den Lemberger Kaufleuten bestimmte, ausdrücklich bemerkt,
daß dies schon in früherer Zeit ebenso gewesen sei. Erwähnenswert ist es auch, daß im
Jahre 1519 für diese nördlichen Gebiete der Moldau ein ganz merkwürdiges Gerichts
verfahren zwischen dem Fürsten Stefan VI. (V.) und den Polen vereinbart wurde. Da
nämlich im Grenzgebiete nicht nur über Diebstähle von Vieh und dergleichen, sondern auch
wegen Frauenraubes häufig Klagen geführt worden waren, so wurde ein aus Moldauern
und Polen zusammengesetztes Gericht eingesetzt, welches über die an den Grenzen
vorkommenden Verbrechen zu urtheilen hatte. Die Gerichtstage sollten bald dies- bald
jenseits der Grenze stattfinden.
Mit dem Anfalle von Szepin war für die Moldau auch der Gewinn des von der
Burg am Cecina beherrschten Gebietes südlich vom Pruth verbunden. Die Gebiete am
Czeremosz blieben aber bis gegen Ende des XV. Jahrhunderts im Besitze der Polen. Erst
in Folge der furchtbaren Niederlage, welche König Johann Albrecht auf dem Zuge nach
der Bukowina (1497) erlitt, an den noch heute der von den Polen bei Lenkoutz am nörd -
lichen Pruthufer aufgeworfene Ringwall erinnert, traten (1499) die Polen die Gebiete
von Russisch-Kimpolung (Dolhopole am Czeremosz), Putilla, Rostoki, Wiznitz, ebenso
Jspas, Millie, Willautz, Karapcziu, Zamostie, Woloka bei Stanestie und Waszkoutz
am Czeremosz an die Moldau ab, und erst durch diese Erwerbungen hat die Moldau,
und mit ihr die Bukowina, ihre gegenwärtige Westgrenze südlich vom Pruth erreicht. Daß
die Sage an diesen Feldzug auch die Pflanzung jener Buchenwälder knüpft, nach denen
h die Bukowina ihren Namen führt, ist schon mitgetheilt worden; der Name Bukowina für
4 diese Buchenwälder kommt urkundlich schon im Jahre 1392 vor.
20*
308
Die blutigen Waffengänge zwischen den Polen und Moldauern ruhten auch in den
folgenden Jahrzehnten nicht. Gegen das Ende des XVII. Jahrhunderts durchzog der
mächtige Türkenbezwinger Sobieski die Bukowina, da die Moldau damals bereits zu einem
Vasallstaat der Türkei herabgesunken war. Das Land wurde verwüstet und selbst der
Leichnam des heiligen Johannes von Suczawa nach Galizien entführt, woher er erst nach
hundert Jahren wieder nach Suczawa gebracht wurde. Auch die Befestigungswerke, welche
Sobieski um die Kirche des heiligen Axentius zu Suczawa errichten ließ, sowie der Name
„Zamka", der jetzt für die genannte Kirche und ihre Umgebung allgemein üblich ist,
erinnern an jene vergangenen Zeiten, ebenso wie die Sage über den Sobieski-Brunnen in
Woloka. Noch im Jahre 1870 konnte man in der Sanct Georgs- und in der Demetrius-
Kirche zu Suczawa in die Wand eingeritzt polnische Namen lesen, in elfterer daneben die
Jahreszahl 1698 und die Bemerkung: „Beim Abmarsch". Erwähnenswerth ist auch eine
Urkunde, vermöge welcher König Sobieski am 20. December 1691 dem Edlen Stefan
Holubowski für dessen militärische Verdienste die im Czernowitzer Districte am Pruth-
flusse gelegenen öden Gebiete von Pjedykoutz unter der Bedingung schenkte, daß derselbe
für die Erhaltung der Brücken in jener Gegend Sorge trage.
Aber nicht nur kriegerische Ereignisse führten die Polen in die Bukowina; frühzeitig
entwickelten sich auch mannigfaltige andere Beziehungen. Da das römisch-katholische
Bisthum Sereth, welches vom Jahre 1371 bis zum Jahre 1401 bestand, von dem
Krakauer Erzbischöfe Florian errichtet worden war, so ist es leicht erklärlich, daß unter
den Bischöfen und Geistlichen dieser Diöcese sich Polen fanden; so stammte insbesondere
Andreas II., welcher von etwa 1385 bis 1387 auf dem bischöflichen Stuhle von Sereth
saß, aus dem Polnischen Geschlechte der Jastrzebiec. Ebenso ist es selbstverständlich, daß
diese Geistlichen in steter Beziehung zu den polnischen verblieben. Als der Pater Janitor
des Dominicanerklosters in Sereth vom heiligen Grabe ein Linnentuch brachte, schickte
er einen Theil desselben nach Kamieniec, einen anderen nach Lemberg. Kaum hatten diese
Beziehungen durch die Verlegung des Bisthums von Sereth nach Bakau eine Störung
erfahren, so trat ein um so regerer Verkehr der Lemberger Kaufleute in der Bukowina
ein. Grundlegend hiefür war die Urkunde, welche der moldauische Fürst Alexander der
Gute am 8. Oktober 1407 „zu Ehren seines Herrn, des Königs von Polen" den Lemberger
Kaufleuten verlieh, und die später öfters bestätigt wurde. Indem diese Urkunde einen
bestimmten Zollsatz festsetzte und die Kanfleute vor ungebührlichen Forderungen sicher -
stellte, veranlaßte sie einen sehr lebhaften Handelsverkehr von Lemberg über Czernowitz,
Sereth nach Suczawa, und von da nach allen Himmelsgegenden. Da Suczawa der Mittel -
punkt dieses Handelsverkehres war, so befand sich auch daselbst der Stapelplatz und die
Hauptmauthstation. Die Lemberger Kaufleute erhielten das Recht, sich in Suczawa eine
309
eigene Herberge zu errichten; doch durfte in derselben kein Wirthshnus eingerichtet, kein
Bier gebraut, noch Meth bereitet, auch keine Fleischbank angelegt, noch Brot verkauft werden,
außer daß hiefiir die städtischen Gebühren erlegt würden. Dian wird wohl mit Recht
annehmen dürfen, daß von diesem Zugeständnisse viele Kaufleute Gebrauch machten, und
daß in Folge dessen neben den armenischen, besonders auch polnische Kaufleute in die
Bukowina kamen. Zu Gunsten derselben sind vom polnischen Könige Sigismund im
Jahre 1521 und hierauf vom moldauischen Fürsten Peter VI. (V.) dem Lahmen im
Jahre 1579 Verordnungen gegen die jüdischen Handelsleute erlassen worden. Letzterer
Fürst war es auch, der den Ort Szipenitz nördlich vom Pruth zum Marktplatze für den
Handelsverkehr mit den Lemberger Kaufleuten bestimmte.
All' dies zeugt von einem regen Verkehre zwischen der Bukowina und der Metropole
des angrenzenden Theiles von Polen. Außer dem Handel gaben hiezu oft auch andere
Angelegenheiten Veranlassung. Welch' mächtige Anziehung auf die Blüte der polnischen
Ritterschaft übte beispielsweise die liebliche Tochter des Wojwoden Basil Lupnl, welche
als Domna Rosanda in der polnischen Sage fortlebt. Zu ihren Werbern zählte dieselbe
einen Stefan Potocki, den Fürsten Korybnt Wiszniowiecki, den Großkanzler von Lithauen
Albrecht Radziwill und mehrere andere. Die vielfachen Beziehungen zu Polen haben
schließlich auch in mancher anderen Richtung auf die moldauischen und insbesondere auf
die Bukowiner Verhältnisse eingewirkt. Hier sei nur ein besonders bemerkenswerther Fall
angeführt. Während in den übrigen Theilen der Moldau an der Spitze der Kreise
Parkalaben, das heißt Burgoberste standen, wurde der Vorsteher des Czernowitzer Districtes
mit dem polnischenTitel „Starost", das ist der „Älteste", bezeichnet. Dies sielschondem ersten
Landesverweser der Bukowina General von Splenyi auf, und er versucht diese Erscheinung
in seiner Denkschrift vom Jahre 1775 zu erklären. Der Districtsverwalter von Czernowitz,
lesen wir in derselben, wird „nach der polnischen Art" Starost genannt, um ihm „ein
mehreres Ansehen bei den benachbarten Polen zu geben".
Als Österreich an die Erwerbung der Bukowina schritt, war im Lande die einstige
Zugehörigkeit einzelner Theile desselben zum Königreich Polen nicht vergessen. So erfuhr
der im Jahre 1773 in die Bukowina gesandte Hauptmann Mieg von den Bauern, dass
die polnische Grenze einst auf dem Bergrücken Bukowina, der sich von Chotin am Dniestr
gegen Czernowitz erstreckt, gezogen wäre. Juden zeigten ihm auf diesem Hügelzuge auf
dem Wege zwischen Dobronoutz und Czernawka einen Grenzstein. Einige Bojaren endlich
wollten sogar wissen, daß nicht nur der Czernowitzer, sondern auch der suczawer District
ehemals zu Polen gehört hätte, und einer von ihnen wies zum Beweise der Richtigkeit
seiner Behauptung jene Urkunde vor, welche schon oben uns als Quelle für die Bestiftung
des Polen Holubowski mit Bukowiner Gütern gedient hat. Bekanntlich hat auch tatsächlich
310
Österreich von der Türkei die Bukowina als eine Attinenz Galiziens und als ein von
Polen dem Kaiserhause anheimgefallenes Recht zurückgefordert.
Als die Bukowina an Österreich fiel, befanden sich wohl keine Polen im Lande. Die
wirren Verhältnisse in den letzten Jahrzehnten der türkischen Herrschaft dürften sie
verscheucht haben. Aber schon im Gefolge Splenyis fanden sich einzelne Polen ein. Wenn
die Angabe der Chronik der römisch-katholischen Pfarre in Czernowitz richtig ist, daß der
galizische Grenzcommissär Thomas Edler von Woicikiewicz, welcher mit dem General
Splenyi nach Czernowitz gekommen war, zu den ersten Bekennern des lateinischen Ritus in
dieser Stadt zählte, so dürfen wir in ihm auch einen der ersten Polen, welche sich in der
Hauptstadt des Landes ansiedelten, erblicken. Die Zahl derselben vermehrte sich hierauf
durch nachkommende Beamte, Geistliche, Handwerker und Soldaten, ferner besonders auch
durch Personen des dienenden Standes. Gefördert wurde diese Einwanderung durch die
im Jahre 1786 erfolgte Verbindung der Bukowina mit Galizien, welche erst um die Mitte
unseres Jahrhunderts gelöst wurde. Zu dieser Zeit finden wir besonders unter den Beamten
sehr viele Polen. Daraus erklärt sich auch, warum noch gegenwärtig in der amtlichen
Schreibung der Bukowiner Ortsnamen die Polnische Orthographie vorherrscht. Auch die
römisch-katholischen Seelsorger waren zumeist polnischer Abkunft, und zwar auch in deutschen
Gemeinden, ohne daß sie der Sprache ihrer Pfarrkinder mächtig waren. Trotzdem ist die
Zahl der Polen, welche sich im Lande ansiedelten, eine geringe. Zur Zeit, da die Bukowina
nach mehr als sechzigjäriger Verbindung mit Galizien ihre Selbständigkeit wieder erhielt,
zählte man nur etwa 4000 Polen, was etwas mehr als 1 Procent der damaligen Gesammt-
bevölkerung ergibt. Seither hielt sich die absolute Zahl der Bukowiner Polen ziemlich
beständig in der angegebenen Höhe, trotzdem die Bevölkerung der Bukowina rasch anwuchs.
Wenn hierauf im Jahre 1880 über 18.000 und zehn Jahre später fast 24.000 Polen
gezählt wurden, so ist dieses überraschende Anwachsen aus dem Umstande erklärlich, daß
bei diesen Zählungen nicht die Abkunft, sondern die Umgangssprache maßgebend war und
daß diese in der Bukowina weit über den Kreis der eigentlichen Polen verbreitet ist.
Die Polen der Bukowina bekennen sich ebenso wie ihre Brüder in anderen Ländern
insgesammt zur römisch-katholischen Kirche. Man hat sich daher im Lande gewöhnt,
wiewohl die Bewohner mit polnischer Umgangssprache nur etwa ein Drittel aller Katholiken
desselben ausmachen, die römisch-katholische Confession als die polnische zu bezeichnen,
ebenso wie das Volk oft statt griechisch-orientalisch oder nichtunirt sich des Ausdruckes
„rumänisch" bedient und statt griechisch-katholisch oder unirt die Bezeichnung „rnthenisch"
verwendet. Nicht ohne Einfluß auf die erwähnte Bezeichnung mag der Umstand sein, daß
auch gegenwärtig wie in den früheren Jahrzehnten die meisten römisch-katholischen
Geistlichen Polen sind.
311
Die Polen gelten allgemein als gut kirchlich gesinnt. Auf die festliche Begehung der
Feiertage legen die Polen großes Gewicht, und die von ihnen beobachteten Sitten sind auch
bei den römisch-katholischen Deutschen der Bukowina vielfach zur Geltung gekommen. So
ist zum Beispiel der Brauch, daß am heiligen Weihnachtsabend vor dem Festmahle alle
Anwesenden gemeinsam eine Oblate genießen und sich hiebei beglückwünschen, offenbar
polnischen Ursprungs. Auch die Weihnachtsgesänge und die Puppenspiele der meisten
Weihnachtssänger in den Städten, besonders in Czernowitz, weisen einen ganz offenbar
polnischen Charakter auf. Die schönen Lieder ,^niol pkmtMoin inürviU und Llodie
I6L7- klingen zur Weihnachtszeit auch in der Bukowina, und zwar nicht nur in polnischen
Häusern häufig wieder. Die Begleitworte zu den Aufführungen in den kleinen Puppen -
theatern srvoi'topa), welche die Weihnachtssänger mit sich tragen, sind immer polnisch. Ilm
dieses Puppentheater herzustellcn, wird die auch anderwärts übliche Krippe mit dem Jesns-
kindchen, mit Maria und Josef, dem Esel und Ochsen und so weiter mit einem Doppel -
boden versehen. Die beiden Böden stehen so weit von einander ab, daß derjenige, welcher
das Spiel leitet, von rückwärts die Arme in diesen Raum stecken kann und die Figuren,
indem er sie durch eine hiezu bestimmte Öffnung des oberen Bodenv emporhält, in
Bewegung setzt. Dazu singt oder spricht er die den einzelnen Figuren in den Mund gelegten
Worte. Der Text ist witzig gehalten und entbehrt nicht derber Spässe; insbesondere der
Teufel und der Jude müssen herhalten. Als Jude ist übrigens auch einer der Weihnachts -
sänger verkleidet; er ist zugleich Spaßmacher und Prügelknabe. Zwischen ihm und einem
der anderen Weihnachtssänger entspinnt sich stets ein lebhafter Dialog. Auch kommt ein
Weihnachtsspiel vor, bei welchem die als Könige, Ritter u. s. w. vermummten Weihnachts -
sänger lebhafte Unterredungen führen und sich mit ihren Waffen bedrohen. Besonder^
feierlich wird auch das Osterfest begangen. Erstaunlich ist die Menge der Speisen und
Getränke, welche für dieses Fest vorbereitet werden. Da alle diese Speisen geweiht werden,
so werden sie mit dem Gesammtnamen »srviqeono" bezeichnet. Dieser Ausdruck wird oft
auch von den Deutschen gebraucht, die diesen Brauch ihrer polnischen Glaubensbrüder zu
dem ihren gemacht haben. Insbesondere hat die Sitte „auf Geweihtes" zu gehen und die
dafür gebräuchliche polnische Bezeichnung »na srvitzeona" keine geringe Verbreitung
gefunden. Am Ostersonntag vormittags beginnen diese Wanderungen von Haus zu Haus,
um in jedem etwas von den geweihten Speisen, Schinken, Würsten, Eiern n. s. w. zu
genießen und hiezu verschiedenartige Getränke zu sich zu nehmen. Mitunter nehmen diese
Besuche die Form von recht unerquicklichem Treiben und Jagen an, besonders wenn sie
auch den zweiten und den dritten Ostertag andauern. Erwähnenswert ist schließlich noch,
daß auch bei ven Polen der Bukowina am Andreasabend vielfache Orakel angestellt werden.
Wie anderwärts so gießen auck, die polnischen Schönen der Bukowina am Vorabende des
312
genannten Festes Blei, und deuten aus der Form des im Wasser erstarrten Metalles ihr
künftiges Schicksal. Auf diese Weise erfährt das Mädchen nicht nur im Allgemeinen, ob es
heiraten oder ledig bleiben werde, sondern auch deu Stand des künftigen Mannes. Ferner
ist es üblich, Schnüre über enge Gassen und Thorwege zu spannen und die darüber
fallenden Personen zu beobachten: fällt ein Verheirateter, so bleibt die Jungfrau ledig; ist
der Gefallene ein Lediger oder ein Witwer, so heiratet sie, und zwar im ersten Falle einen
Ledigen, im zweiten einen Witwer; fällt hingegen ein Priester, so stellt sich der Tod als
Bräutigam ein. Auch lassen die Mädchen einen Hund oder ein Kätzchen drei Tage vor
Andreas hungern; hierauf legt jedes der anwesenden Mädchen eine wohlgefettete Klöße
oder dergleichen aus deu Boden. Dasjenige Mädchen, dessen Klöße das herbeigeholte Thier
zuerst verzehrt, wird am schnellsten heiraten. Aus der Fülle der anderen Orakel sei nur
noch eines angeführt. Auf einen Tisch wird ein Ring, ein Myrthenzweig und eine Perlen -
schnur niedergelegt und jeder dieser drei Gegenstände mit einem Teller bedeckt. Nun muß
ein Mädchen, das bei diesen Vorbereitungen nicht anwesend war, einen der Teller aufheben.
Findet es den Ring, so verlobt es sich im nächsten Jahre; der Myrthenzweig deutet auf
baldige Hochzeit; die Perlenschnur zeigt aber au, daß die Arme noch weit von der Erfüllung
ihrer Wünsche stehe oder gar ins Kloster treten werde.
Die polnische Sprache ist weit über den Kreis der Polen hinaus verbreitet. Die
Ursache dieser Erscheinung liegt wohl vorzüglich in dem Bedürfnis, sich mit den Personen der
dienenden Classe, ferner mit den Handwerkern, welche zum großen Theile Polen sind, zu
verständigen. Aus dem Umstande, daß die meisten Dienstboten, Ammen u. s. w. Polinnen
sind, erklärt es sich auch, daß die polnische Sprache insbesondere unter den Kindern weit
verbreitet ist und viele dieselbe in ihrer Jugend beherrschen, wenn sie auch von ihr im
späteren Alter keinen Gebrauch machen. Mit Vorliebe pflegt man die polnische Sprache
in den israelitischen Familien; die Kinder sollen zu derselben besonders aus dem Grunde
angehalten werden, weil durch ihren Gebrauch die reinere Aussprache des Schriftdeutschen
vorbereitet werde. Polnische Kinderspiele, Kinderverschen und Neckreime sind in großer
Zahl vorhanden und sind nicht nur den polnischen Kindern bekannt. Von den Spielen,
bei denen die Teilnehmer stets der polnischen Sprache sich bedienen, sei beispielsweise
das Farbenspiel erwähnt. Jedes der Kinder erhält den Namen einer Farbe, nachdem
zwei derselben, der „Engel" und der „Teufel" ausgelost worden und bei Seite getreten
sind. Hierauf nehmen die Farben auf Steinen oder dergleichen Platz oder setzen sich auf
den Boden nieder. Nun kommt zunächst der Engel herbei und ahmt das Klingeln einer
Glocke nach. „Wer ist da?", frägt eine der Farben: „Der Engel!", lautet die Antwort.
„Was will er?" „Eine Farbe", erklärt der Engel, und nun nennt er eine Farbe. Wenn er
eine Farbe errathen hat, welche einer der Mitspielenden führt, so muß derselbe dem Engel
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folgen. Hierauf kommt der Teufel und ruft: „Kutkuduk!" Nachdem er sich hierauf als
Teufel angemeldet hat, wählt er ebenso wie der Engel eine „Farbe" und führt dieselbe
mit sich fort. Haben schließlich der Engel und der Teufel auf die beschriebene Weise alle
„Farben" weggeführt, so erscheinen beide mit denselben auf dem Spielplätze, um gegen
einander zu kämpfen. Zn diesem Zwecke wird eine lange Stange herbeigeholt, welche die
Partei des Engels von der einen Seite, diejenige des Teufels von der anderen faßt. Hierauf
bemüht sich jeder Theil, den anderen mit sich fortzuziehen. Welchem dies gelingt, der hat
das Spiel gewonnen. — Von den vielen Berschen, welche in der Kinderstube täglich
hergesagt werden, möge eins der beliebtesten in Übersetzung hier folgen:
„Ein Märlem mach' ich euch kund,
Wie einst die Pfeife raucht ein Hund,
Auf einem allzu langen Rohr,
Verbrannte sich daher das Ohr.
Da lief er zu der Mutter hin,
Doch diese schalt' und rügte ihn.
Als er zum Vater Zuflucht nahm,
Ein Goldstück er von ihm bekam."
Viele von den Berschen haben offenbar die Polen aus ihrer Heimat mitgebracht, so
zum Beispiel jenes vom Krakauerchen, der mit sieben Rößlein in den Krieg zog und ohne
den Säbel gezogen zu haben, heimkehrte. Andere zeugen davon, in wie nahe Beziehungen,
insbesondere im Kindermunde die polnische Sprache zur deutschen trat. Halb polnische
und halb deutsche Berschen und Neckereien sind nicht selten. So lautet beispielsweise ein
Schülervers, den man oft in Schülerheften findet und der uns lebhaft an die Schreiber-
Verse in mittelalterlichen Handschriften erinnert, folgendermaßen: Ende, Ende, Ende —
xisae friL nie btzcktz (das heißt: ich werde nicht mehr schreiben). Ebenso ist unter Schul -
kindern zum Beispiel die Neckerei unzählige Male zu Horen, daß auf die Frage „Was?
geantwortet wird „Kapusta mit Kwas", das heißt „Kraut mit Säure" und dergleichen.
Besonders mag noch hervorgehoben werden, daß Beziehungen dieser Art besonders
in Czernowitz sehr rege sind. Werden hier doch von der zur Osterzeit bei der Kirche
versammelten Jugend selbst so echt ruthenische Lieder, wie es jene von Selman sind, zum
großen Theil mit polnischen Wortformen versetzt, gesungen.
Das nationale Bewußtsein der Polen ist ein sehr reges. Auch in dieser Beziehung
bildet die Landeshauptstadt den Mittelpunkt. Hier haben vor allem die polnischen Vereine
ihren Sitz. Von denselben verdient besonders das im Jahre 1869 begründete „Norva-
r/^stvo Uolsüio bratnich poinoe^ genannt zu werden, welcher Verein die Unterstützung
Hilfsbedürftiger zum Zwecke hat. Die „Polnische Lesehalle" trägt nicht nur durch ihre
Bibliothek zur Hebung der geistigen Bildung der Polen bei, sondern auch durch die in
derselben stattfindenden dramatischen Vorstellungen und die veranstalteten Vorträge und
Vorlesungen. In den letzten Jahren ist auch der politische Verein „Lolo polsüio", ferner
der polnische Frauenverein ,Uolo pan na Unkorvinie" und der Turnverein „8oIn>l
314
entstanden. Die Gedächtnißtagc wichtiger nationaler Ereignisse werden durch kirchliche
Andachten und durch Veranstaltungen von Feierlichkeiten in der polnischen Lesehalle ebenso
festlich begangen, wie auch die Erinnerung an polnische Patrioten und andere berühmte
Männer liebevolle Pflege findet. Bei diesen Feierlichkeiten kommt nicht selten das polnische
Nationalkleid zur vortheilhaften Geltung. In demselben erscheinen die Polen auch gerne
bei anderen Gelegenheiten. So steht noch die im beliebten Ausflugsorte Horecza bei
Czernowitz vor einigen Jahren veranstaltete Krakauer Hochzeit in frischer Erinnerung und
ebenso zog an dem vom Czernowitzer Theatervereine im Jahre 1894 im „Volksgarten"
veranstalteten Feste die polnische Schenke mit ihren in buntem Schmucke erschienenen
Gästen und den flotten Tänzerinnen und Tänzern die Aufmerksamkeit auf sich.
Die Ungarn und Slovaken.
Die Bukowiner Ungarn stammen größtentheils aus Siebenbürgen. Sie sind aber
nicht direct aus diesem Lande eingewandert, sondern hatten sich vorher in den Donau-
fürstenthümern aufgehalten, wohin sie sich theils nach der Unterdrückung der Räköczy'schen
Jnsurrection, theils zur Zeit der Errichtung der Szekler-Militürgrenze geflüchtet hatten.
Gegen Zusicherung völliger Begnadigung kamen im Winter 1776/77 hundert Familien
aus der Moldau in die Bukowina und ließen sich in den Dörfern Tzibeny und Jakobestie
nieder, die sie Jstensegits und Fogodisten nannten. Im Jahre 1784 wurden ans Josef !!.
Befehl auch die übrigen ungarischen Flüchtlinge in der Moldau und Walachei ausgeforscht
und zum Theil in die Bukowina escortirt. Diese erbauten während der Jahre 1785 und
1786 die Dörfer Andras-, Hadik- und Jözseffalva.
Am Ende des Jahres 1880 belief sich die Zahl der Ungarn in der Bukowina auf
9887. Kurz darauf trat ein starker Rückgang ein. Von einigen hervorragendenPersönlichkeiten
Ungarns zur Übersiedlung nach dem Mutterlande aufgemuntert, wandelten im Jahre 1883
über tausend Familien (aus Jstensegits 353, aus Audrasfalva 336, aus Hadikfalva 262)
aus. Davon sind zwar viele nach einiger Zeit in die Bukowina zurückgekehrt, trotzdem
wurden ihrer am 31. December 1890 daselbst nur 8139, also 1748, das ist 17'68 Procent
weniger als Ende 1880, gezählt.
Der Ungar treibt in der Bukowina Ackerbau und Viehzucht. Außerdem wendet er
der Gartencultur seine Aufmerksamkeit zu. Er ist es insbesondere, der die Bewohner von
Czernowitz, Radautz, Sereth und Suczawa im Herbste mit Kartoffeln, Zwiebeln und
Kohl versorgt. In Tracht und Lebensweise unterscheidet er sich wenig von seinen
Stammesgenossen im Mutterlande. In letzterer Hinsicht sei hier bloß bemerkt, daß er im
Ungarisches Brautpaar aus Hadilsalva.
Winter nur zweimal täglich, und zwar zwischen 9 und 10 Uhr vormittags und zwischen
3 und 4 Uhr nachmittags ißt, wobei wenigstens einmal Fleisch, und zwar entweder in
Furm von Gulpäs oder Husleves (in Kohl, Fisolen oder Kartoffeln eingekocht) auf dem
Tische erscheint. Im Sommer schiebt er eine dritte, gewöhnlich aus Suppe bestehende
316
Mahlzeit ein. Stets heiteren Gemüthes, schwärmt er für Musik und Tanz. Diese dürfen
weder an hohen Feiertagen noch bei Familienfesten fehlen.
An ersteren, auch Weihnachten nicht ausgeschlossen, ziehen die Bursche mit Musik von
Haus zu Haus. Insbesondere besuchen sie jene Häuser, wo heiratsfähige Mädchen sind.
Überall wird eine Weile gesungen und getanzt. Hiesür spendet jedes Mädchen einen Kuchen
und eine Flasche Schnaps. Das auf diese Weise Gesammelte wird am folgenden Tage bei
Musik und Tanz gemeinschaftlich verzehrt.
Unter den Familienfesten sind es besonders die Taufen und Hochzeiten, wobei der
heitere Sinn dieser Ungarn sich offenbart. Zu den Taufen wird die ganze benachbarte
Jugend, oft 15 bis 20 Paare, eingeladen. Selbstverständlich fehlen auch die Musikanten
nicht. Noch fröhlicher geht es bei den Hochzeiten zu. Sie dauern zwei bis drei Tage. Die
Gäste versammeln sich theils bei der Braut, theils beim Bräutigam und beide Parteien
gehen gesondert unter Musik und Pistolenschüssen in die Kirche. Nach der Trauung werden
vor der Kirche einige Tänze aufgeführt, woran sich außer den Hochzeitsgästen auch die tanz -
lustigen Zuschauer betheiligen können. Dann kehren beide Parteien, also auch die Neu -
vermählten, an ihren Ausgangspunkt zurück, um sich den Freuden des Hochzeitsmahles
hinzugeben. Erst nach Beendigung dieses Mahles wird die Braut vom Bräutigam abgeholt.
Er reitet auf tüchergeschmücktem Pferde; die Bursche und übrigen Gäste, erstere gleichfalls
hoch zu Pferde, letztere zu Wagen, folgen ihm. Bei dem Hause der Braut angelangt, finden
sie das Thor versperrt. Es entspinnt sich ein harter Kampf, in welchem schließlich der
Bräutigam siegt; die Braut wird ihm aber erst ausgefolgt, nachdem er den geforderten
Kaufpreis zu geben versprochen und den ^läoiuüs (Kauftrunk) bezahlt hat. Darauf geht
es unter Musik und Pistolengeknall durch das ganze Dorf und schließlich zum Hause des
Bräutigams, wo abermals geschmaust und dann getanzt wird. Am folgenden Tage
erscheinen die verheirateten weiblichen Gäste und setzen der Braut unter verschiedenen
Ceremonien die Haube, das Zeichen der Hausfrau, auf. Bald darauf finden sich auch die
übrigen Hochzeitsgäste ein, und das Festgelage beginnt von neuem.
Trotz seiner bisweilen sogar ausgelassenen Heiterkeit ist der Bukowiner Ungar sehr
religiös. Jede Arbeit wird mit einem Helfgott angefangen, und es gilt für eine schwere
Sünde, ohne Grund den sonntägigen Gottesdienst zu versäumen. Dem tiefen religiösen
Drange mag es auch zuzuschreiben sein, daß bei ihnen jeder Verstorbene unter geistlicher
Assistenz in den Sarg gelegt wird. Schließlich sei noch erwähnt, daß sie weniger
abergläubisch als ihre rumänischen, ja selbst als ihre deutschen Nachbarn sind.
Die ersten Slovaken sind in der Bukowina am Ende des vorigen Jahrhunderts
als Holzhauer bei der Krasnaer Glashütte, und zwar in dem heute Althütte genannten
Orte, angesiedelt worden. Um das Jahr 1820 ließen sich 30 andere Familien in Hliboka
317
nieder. Bei der den Slovaken eigenen starken natürlichen Vermehrung reichten die wenigen
Grundstücke, die sie bei ihrer Ansiedlung erhalten hatten, nicht lange zu ihrem Unterhalte
hin. Daruin stickten, als um die Mitte der Dreißiger-Jahre zum Schutze der sogenannten
verdeckten Straße ans den Religionssondsherrschaften Solka und Jliszcstie neue Ortschaften
geschaffen wurden, nicht nur alle Hlibokaer, sondern auch die meisten Krasnaer Slovaken
um Ansiedlungsplätze an. So entstanden die stovakischen Kolonien Neu-Sotonetz, Plesz
und Pojana Mikuli. Seit einem Decenninm sind dieselben gleichfalls übervölkert. Der
Ungarische Bauernstube in Jstensegits.
Überschuß ist bisher theils nach Moldanisch-Banilla (im Gerichtsbezirk Storozynetz), theils
nach Amerika ausgewandert.
Durch den Einfluß von Kirche und Schule - ihre Geistlichen und Lehrer sind
durchwegs Polen — haben die Bukowiner Slovaken ihre Muttersprache längst vergessen.
Selbst die Ältesten unter ihnen sprechen nur mehr polnisch. Sie wurden daher insgesammt
am 3l. December 1800 zu den Polen gezählt. Aber trotz ihrer Entnationalisirnng haben
sie ihre alten Sitten und Gebräuche treu bewahrt. Selbst die Tracht hat sich nicht geändert.
Sie ist der ungarischen ähnlich; nur tragen die Weiber keine Hauben, sondern Tücher.
Wie die Ungarn lieben auch die Slovaken Musik und Tanz. Sie haben jedoch nur
selten Zeit und Gelegenheit, sich dergleichen Lustbarkeiten hinzugeben; denn Männer und
318
Bursche verdienen ihren Lebensunterhalt zumeist durch Holzschlag und bleiben, besonders
wenn sie in weit entfernten Wäldern beschäftigt sind, oft wochenlang vom Hause weg.
Sehr beliebt ist die sogenannte Klaka, das ist die freiwillige gegenseitige Hilfeleistung,
insbesondere bei der Feldarbeit. Sie endigt stets mit einer Tanzunterhaltung. Die meisten
Lustbarkeiten fallen aber in den Fasching. Dieselben finden am Aschermittwoch ihren
Abschluß mit der Beerdigung des „IrmarvsiriZ die darin besteht, daß die Bursche ein mit
einem Leintuch bedecktes Stück Holz auf einer Bahre zum Dorfe hinaustragen und unter
Weinen und Wehklagen im Schnee vergraben. Im Fasching werden gewöhnlich auch die
Hochzeiten abgehalten. Auch dabei kommen ganz eigenthnmliche Gebräuche vor. Nur die
wichtigsten sollen hier geschildert werden.
Die Verlobung wird um Mitternacht gefeiert. Zwischen 10 und 11 Uhr abends
erscheint der Bursche mit zwei Freunden im Hause der Eltern des von ihm auserkorenen
Mädchens und bietet ihnen Wein, Bier oder Schnaps an. Weisen sie den Trunk nicht
zurück, so ist der Bursche als Schwiegersohn willkommen. Nun wird auch das Mädchen
aus dem Schlaf geweckt. Trinkt auch sie, dann ist der Pact geschlossen. Es werden aber
noch die Eltern und Verwandten des Bräutigams herbeigeholt und in ihrer Gegenwart die
Mitgift sowie der Hochzeitstag bestimmt.
Die Hochzeit findet Sonntag oder Dienstag statt. Die Feierlichkeiten nehmen am
Vorabende mit dem Flechten des Brautkranzes ihren Änfang. Zu diesem Zwecke versammeln
sich alle Mädchen des Dorfes bei der Braut. Es kommen aber auch alle Bursche mit
Ausnahme des Bräutigams dahin; denn nach Vollendung des Kranzes wird getanzt. Um
Mitternacht begeben sich die Brautführer und die übrigen Bursche zum Bräutigam, um
mit ihm die Beistände in dessen Haus abzuholen. Hier finden sich auch die Gäste in der
Nacht noch ein. Sobald der Morgen graut, verabschiedet sich der Bräutigam von seinen
Eltern, indem er sie für alle Vergehen um Vergebung bittet und ihnen die Füße küßt,
während sie Salz und Brod über seinem Haupte halten. Darauf bewegt sich der Zug nach
dem Hause der Braut. Dort ist das Thor versperrt; es wird erst nach langen Unter -
handlungen geöffnet, während welcher die Musikanten spielen und die Bursche aus Pistolen
schießen. Beim Einlaß reichen die Eltern der Braut dem Bräutigam Brod und Salz. Nach
der Trauung kehrt der Hochzeitszug in einem Hause ein, wo Platz zum Tanzen ist. Das
Hochzeitsmahl findet erst gegen Abend, und zwar bei den Eltern der Braut statt. Nach
demselben laden die Brautführer die Mitgift auf die bereit stehenden Wagen auf, wobei
sie das Haus zu Gunsten des jungen Paares zu plündern suchen. Beim Scheiden dankt der
Bräutigam seinen Schwiegereltern für seine Frau, indem er ihnen zugleich Hände und Füße
küßt. Auch in seinem Hause geschieht der Empfang nach langem Hin- und Herreden unter
Darreichung von Brod und Salz. Es folgt ein zweites Mahl, das bis nach Mitternacht
Slovaken aus Pojana Mikuli.
währt. Trotzdem erscheinen schon in aller
Frühe die weiblichen Gäste wiederum der
jungen Frau die Alltagskleider anzulcgen
und das Kopftuch umzubinden, ohne
welches sie sich von nun an nicht mehr
öffentlich zeigen darf. Darauf stattet das
junge Paar den Eltern einen Besuch
ab, der noch am Abend desselben Tages
erwidert wird. Hier und dort erwartet die Besucher ein reich besetzter Tisch. Bei dem jungen
Paare trinkt man zum Schlüsse den xokmr äules, das ist mit Honig versüßten Schnaps.
Die Slovaken sind sehr religiös, doch ist ihre Religiosität mit Aberglauben und
Vorurtheil gepaart. Das tritt ganz besonders in der Weihnachtszeit zu Tage. Am heiligen
Abend müssen zwölf Speisen auf dem Tisch erscheinen. Die Ärmeren suchen dieseZahl dadurch
zu erreichen, daß sie eine und dieselbe Speise zugleich süß und sauer zubcreiten. In keinem
Falle darf die sogenannte kutju (ein Brei aus Weizen, Mohn und Honig) fehlen. Den
Schluß des Mahles bilden Nüsse und Äpfel. Beim Zerschneiden der letzteren achtet man auf
die Beschaffenheit des Innern, denn ein faules Kerngehäuse kündet schwere Krankheit an.
Den Apfel pflegt man überdies stets mit einem der Anwesenden zu theilen. Dies geschieht
im Glauben, daß man, wenn man sich verirrt, auf den richtigen Weg gelange, sobald man
sich desjenigen erinnert, mit dem man am heiligen Abend den Apfel aß. Bursche und
Mädchen bewahren von jeder Speise ein wenig in einem Handschuh auf, den sie beim
Schlafengehen unter den Kopfpolster legen, um im ^raum die künftige Braut, beziehungs -
weise den künftigen Bräutigam zu sehen. Der Hausvater dagegen glaubt in einer mit
Honig gefüllten und in einem Stückchen Brod geborgenen tDblate vom Weihnachtstische ein
Schutzmittel gegen Hagelschaden zu besitzen.
320
Oie Armenier.
Ununterbrochene Einfälle räuberischer Völkerschaften in Armenien veranlaßten zahl -
reiche armenische Familien ihr hartbedrüngtes Vaterland zu verlassen und nach dem fernen
Westen zu ziehen. So kamen viele Armenier auch nach der Bukowina, wo sie sich um das
Jahr 1418 niederließen. Heute findet man sie überall im Laude zerstreut; in eompaeten
Massen aber leben sie hauptsächlich in der Stadt Suczawa, wo sie seit altersher vier schöne
Steinkirchen haben, dann im Marktflecken Gurahumora, wv sie vor einigen Jahren eine
zierliche Mauerkirche entstehen ließen.
Snczawa ist der Brennpunkt des gesummten kirchlich-nationalen Lebens der Buko -
wina Armenier. Hier haben dieselben einen zwölfglicdrigen von der National-Versammlung
auf drei Jahre gewählten „Iroüu pui-lruliuir« genannten Cultnsrath. Dieser leitet durch den
Präsidenten alle kirchlich-nationalen Angelegenheiten dcr Pfarrgemeinde, handhabt über die
Priester und das sonstige Kirchen- und Schulpersonale das Diseiplinarrecht, schlägt der
Gemeinde Priestercandidaten zur Wahl vor und empfiehlt den also Gewählten dein Bischöfe
zur Answeihe. Einen eigenen Bischof haben übrigens die orientalischen Bukowiner Armenier
nicht, da ihre Zahl heute schon auf 600 Seelen znsammengeschmolzen ist; sie unterstehen
dank der großmüthigen Gnade des unvergeßlichen Kaisers Josef II. in spiriluullkus dem
armenischen Patriarchen vonConstantinopel und mit diesem demKatholikos vvnEtschmiadzin,
eine Begünstigung, die in unserem lieben Vaterlaude Österreich ohne Beispiel ist.
Die 900 mit der katholischen Kirche unirten Armenier der Bukowina besitzen in
Czernowitz eine schone den Apostelfürsten Petrus und Paulus gewidmete Mauerkirchc und
unterstehen in religiösen Angelegenheiten dem Czernowitzer Pfarrer und Suczawer
Administrator und mit diesen dem armenisch-katholischen Erzbischöfe in Lemberg.
Diese Armenier haben größtentheils ihren ursprünglichen Typus eingebüßt, die
nationalen Sitten und Gebräuche uud ihre Muttersprache vergessen und die polnische als
solche angenommen. Sie bilden eine separate Nation der sogenannten „Armeno-Polen"
und nur ihre in armenischer Sprache gelesene Messe erinnert dieselben, daß sie eigentlich
Armenier sind; doch ist die Zeit nicht mehr ferne, in der sie dein Polenthnme auch die
armenische Messe opfern werden.
Die gottesdienstliche und außerdienstliche Kleidung der armenisch-orientalischen
Geistlichkeit ist der der Griechisch-Orientalen ähnlich, nur mit dem Unterschiede, daß ihre
liturgisirenden Priester den das ist einen mit den zwölf Apvstelbildern versehenen
Metallkragen anlegen, ihr Schuhwerk ausziehen und nur in Socken verbleiben. Ihre
Priester und selbst die Diakonen tragen während der kirchlichen Functionen die Mitra,
die sie auch bei Ablesung des Evangeliums nicht ablegen. Ihre Bischöfe aber haben die
321
Tiara sammt Krummstab adoptirt. In früherer Zeit trugen die Priester während der
Morgenandacht schwarze, die Erzpriester aber dunkelkirschrothe Fes.
Die armenischen Priester dürfen im Chore nur nach Umlegung eines »plrilon"
genannten, langen Faltenmantels mitsingen, welcher gewöhnlich schwarz, vom Erzbischöfe
verdienstvollen Priestern in blauer Farbe als Auszeichnung gewahrt wird. Eine höhere
priesterliche Auszeichnung besteht in der Bewilligung zum Tragen eines goldenen Brust-
Armenische Kirche in Suczawa.
kreuzes an goldener Kette. Die höchste Ehrung aber bildet die Verleihung einer sammtenen,
UtmssaA" genannten geistlichen Kopfbedeckung von violetter Farbe.
Die Kirchen der orientalischen Armenier sind in Allem denen der Griechisch-Orientalen
ähnlich, nur daß ihre Altäre von der übrigen Kirche nicht durch Bilderwände, sondern
durch große Vorhänge getrennt werden.
Die Suczawer Armenier feiern zweimal jährlich Kirchweihfeste, und zwar am
29. December/9. Januar, das ist am heiligen Jakobstage und am Sonntage zwischen
Bukowina. ^
322
12./24. und 18./30. August, das ist am Maria-Entschlafungstage. Sie beschließen aber
dieselben niemals in Fröhlichkeit mit Tanz, Musik und Gesang. Sie halten noch heute an
einer uralten, heidnischen ,ruaäaeü" genannten Sitte fest, indem sie an gewissen Feiertagen
im Jahre Ochsen und Schafe schlachten und das Fleisch unter Arme vertheilen. Vor der
Abschlachtung wird diesen Thieren vom Priester etwas geweihtes Salz verabreicht. Diese
Opfersitte ist eigentlich die Fortsetzung der von den Armeniern vor ihrer Bekehrung zum
Christenthume der heidnischen Göttin Anahid dargebrachten Opfer; die an sich humane
Sitte wurde auch nach der Bekehrung der Armenier von der Priesterschaft geduldet, zumal
der letzteren das Fett und die Häute der geschlachteten Thiere zufielen. Die Anschaffungs -
kosten der Opferthiere werden durch Sammlungen oder von reichen Privaten bestritten.
Die Feiertage der Armenier fallen mit denen der Griechisch-Orientalen zusammen,
nur daß sie die Geburt und die Erscheinung Christi an einem und demselben Tage, am
6./18. Januar zusammenfeiern. Das Mariä Lichtmeß-, Verkündigungs- und Opferungsfest,
dann das Anna-Verkündigungsfest begehen sie um 12 Tage vor den Griechisch-Orientalen
und feiern am siebenten Sonntage nach Ostern noch ein zweites Palmfest. Ihre Fasten sind
ähnlich denen der Orthodoxen, die Wochenfasten aber endigen gewöhnlich Freitag abends.
Das armenische Volk glaubt, daß sich in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag
vor Christi Himmelfahrt der Himmel öffiw. Wer diese Nacht wachend zubringe und sündenlos
sei, dem zeige sich Gott und erfülle alle seine Wünsche. Am Vorabende des Christi Himmel -
fahrtsfestes veranstalten Frauen und Mädchen, um zu erfahren, wessen Wünsche in
Erfüllung gehen werden, eine Art Pfänderspiel: die Mädchen legen Ringe, Ohrgehänge re.
in einen tiefen Teller, den man mit Wasser füllt, in welches man sodann Blumen streut.
Das Ganze wird sodann mit einem reinen Tuche zugedeckt und bleibt so bis znm zweiten Tage
stehen. Am Himmelfahrtsnachmittage nun versammeln sich Frauen und Mädchen. Nachdem
ein Wunsch ausgesprochen worden, greift ein Mädchen mit verbundenen Augen in den Teller
und zieht ein Pfand heraus, worauf dasselbe vorgewiesen wird, und die Eigenthümerin
sich melden muß. Da umringt man dieselbe und überhäuft sie mit Glückwünschen, fest
glaubend, daß der ausgesprochene Wunsch an ihr in Erfüllung gehen werde.
Die Armenier benennen sich »Hüi« nach ihrem Stammvater Haik. Sie sind
gewöhnlich von mittlerer Höhe und robustem Körperbau. Der Kopf ist nüttelgroß, schwarz
behaart; dem mit schwarzem Barte umrahmten oder glattrasirten Gesichte gewähren
große, dunkle Augen und eine Adlernase sein Gepräge. Ihre Gesichtsfarbe ist mehr blaß
als dunkel, doch gibt es, freilich selten, auch blonde Armenier. Erwähnenswerth ist es, daß
man unter denselben niemals Blatternarbige vorfindet.
Ihre Lebensweise ist einfach und keusch und ihre Nüchternheit sprichwörtlich. Sie
führen ein patriarchalisches Familienleben; die Reichen verkehren intim auch mit ihren
323
ärmsten Stammesbrüdern. Sie fügen sich höchst willig den Verfügungen und Entscheidungen
ihres Cultusrathcs, welcher die Armen aus den nicht sehr reichen Mitteln der Cultus-
gemeinde versorgt. Es gilt als eine große Schande, ein Almosen zu verlangen, weshalb
man nie einen armenischen Bettler anzutreffen vermag. Aus den Mitteln der Cultus-
gemeinde wird die im Hofraume der Pfarrkirche befindliche vierclassige Nationalschule
erhalten, an der von einem Director und zwei Unterlehrern der an den Volksschulen sonst
übliche Lehrstoff in armenischer Sprache, dann die deutsche und rumänische Sprache und
noch der armenische Kirchengesang gelehrt wird.
Wahlsahrtskirche Haczladar bei Suczawa.
In hohen Ehren steht bei den Armeniern die Gastfreundschaft, für allzu große
Geselligkeit aber schwärmen sie nicht besonders. Im Verkehre mit Angehörigen anderer
Nationalitäten erweisen sie sich sehr zuvorkommend; trotz ihres ausgebildeten National -
gefühles kommen in letzter Zeit Fälle vor, daß sie sich mit Angehörigen anderer Volksstämme
und Glaubensbekenntnisse ehelich verbinden.
Den Kindern wird gleich nach der Geburt von der Hebamme etwas Salz aus den
Rücken gestreut, im Glauben, daß dasselbe das Blut reinige und daß dann der Kinderschweiß
weniger unangenehm rieche. Erfahrenere Hebammen sollen dem Salze noch verschiedene
Wohlgerüche beimischen und Gebete hersagen. Das neugeborene Kind wird in der Regel
erst nach-acht Tagen und zwar in der Kirche getauft. Eine Ausnahme findet nur im
21*
324
Erkrankungsfalle statt. Während des Taufactes hält jeder Pathe in jeder Hand je ein
brennendes Licht. Den Act selbst vollzieht der Priester in der Art, daß er das Kind in
horizontaler Lage in das wannenförmige mit Wasser gefüllte Baptisterion dreimal taucht,
worauf demselben weiße und rothe Seide zur Erinnerung an das Blut und Wasser, welches
aus der Seite Christi floß, gebunden wird.
Die Heiraten werden gewöhnlich von der Mutter des Bräutigams eingeleitet und
wird bei der Jungfrau viel auf gute Familie, wirtschaftlichen Sinn, Schönheit, noch
mehr aber auf Vermögen gesehen. Bis unlängst hielt man an der alten orientalischen Sitte
fest, den Jungfrauen den Kirchenbesuch nur am Neujahrs- und Palmsonntage, dann am
Verkündigungs- und Verklärungsfeste Christi zu gestatten. Dies geschah, um ja nicht zu
dem Gerede Anlaß zu geben, daß man die Töchter der Welt zum Anschauen vorführe.
Das Ceremoniell der Trauung ist dem der Griechisch-Orientalen ähnlich. Das Sacrament
der Ehe darf aber nur an gewissen Sonntagen im Jahre gespendet werden. Den Braut -
leuten werden während der Trauung Blumen- oder Metallkronen auf's Haupt gesetzt.
Früher wurden denselben rothe oder grüne seidene Schnüre um den Hals geschlungen, die
der Priester nach drei Tagen, wohl auch am Tage nach derHochzeit unter Gebeten löste, indem
er so die jungen Leute der Enthaltsamkeit entband. Vor Zeiten gab man dem Bräutigam,
nachdem ihn Maos iclipaioi-iL« genannte Jünglinge zur Trauung angezogen, ein Schwert
in die Hand zum Zeichen der absoluten Gewalt über seine Frau. Dieses Schwert sollte
auch das Symbol sein, daß der Bräutigam drei Tage lang so angesehen wie ein Kaiser
sei; daher auch das für die Ehemänner nicht sehr schmeichelhafte, aber zutreffende armenische
Sprichwort: „Drei Tage Kaiser, vierzig Jahre Hausknecht!"
Ehescheidungen sind bei den Armeniern höchst selten, übrigens werden dieselben durch
religiöse Bestimmungen verpönt. Die letzte Ölung wird nur kranken Priestern gespendet,
bei Laien aber werden blos die betreffenden Gebete gelesen. Stirbt der Mann, so muß ihn
die Witwe ein ganzes Jahr betrauern. Die Armenier legen ihren Todten Wachskreuze oder
Silbermünzen in die Hand. Bei der Beerdigung derselben entfalten sie gerne großen
kirchlichen Pomp. An Montagen aber sollen höchst selten Bestattungen Vorkommen, weil
sie glauben, daß sonst jeden Tag der Woche Einer der Ihrigen beerdigt werden müßte.
Die Armenier haben einen für Handel besonders ausgeprägten Sinn, den dazu
erforderlichen Witz, die unerläßliche Schlauheit und eine vielvermögende Beredsamkeit.
Merkwürdigerweise können dieselben aber in der Bukowina gar keine Bauern und sehr
wenige Gewerbetreibende, wohl aber viele Rechtsgelehrte aufweisen. Sie beschäftigen sich
mit dem Handel mit „Baccalien", Wein, Riemenzeug, Wolle, Pferdedecken, geblümten
Truhen, mit der Landwirthschaft, der Ochsenmastung, dem Viehhandel und dein Vieh-
Transport nach Wien, der Hornvieh- und Borstenviehschlächterei und endlich der Lichter-,
326
Seife- und Käsebereitung. In letzter Zeit aber beschränken sie sich mehr ans die Pachtung
und Bearbeitung der Privat- und Religionsfondsgüter. Fast ein Drittel des gesummten
Privatgroßgrundbesitzes befindet sich in ihren Händen.
Einst vermittelten sie den gesummten Handel zwischen Ost und West, und ihre
Handelszüge hatten ein echt orientalisches, karawanenähnliches Gepräge. Die Teilnehmer
solcher Züge rüsteten sich monatelang dazu; wenn Alles bereit stand, schwangen sie sich, mit
der kurzstieligen, geflochtenen Lederpeitsche versehen und dem breiten, mit ganzrandigen
Ducaten vollgefüllten »kiirrir" genannten Ledergürtel umgürtet, auf das Roß. Zur
Sicherheit der Gelder, der Maaren und des eigenen Lebens wurden im Gürtel stets
scharfgeschliffene Dolche und in den Satteltaschen wohlgeladene Pistolen mitgeführt. Hinter
dem polsterartigen, mit schwarzem Safianleder tapezierten Sattel lag der von Maaren,
Wäsche und Proviant strotzende Doppelledersack nebst Wettermantel. So wurden tagsüber
viele Meilen Weges ohne Rast zurückgelegt, am Abend hielt man Einkehr und erfreute sich
an einer reichbesetzten, gemeinsamen Tafel.
Beim Handel pflegt der Armenier die rechte Hand des Kunden mit einer Hand fast
gewaltsam zu drücken und dann darauf mit der anderen zu schlagen, um gleichsam die
Zuneigung des Kauflustigen zu gewinnen. Nach abgeschlossenem Geschäfte wird die Hand
des Kunden zuerst in die Höhe gehoben, dann geschwungen und erst nach den Worten:
„Gott gebe Glück!" fallen gelassen.
Die armenischen Häuser haben hohe, spitze Dächer, welche mit zwei, gewöhnlich an
der Ostseite befindlichen, die Stelle der Schornsteine vertretenden Dachlucken versehen sind.
Zur Verzierung des Daches werden an den Ecken des Dachkammes zwei gedrechselte
blitzableiterähnliche, meterhohe Holzstangeu angebracht. Die qnadratförmigen, ziemlich hoch -
gehaltenen Häuser, ebenso die großen Hofräume, in deren Mitte sie gewöhnlich erbaut
sind, wie auch die Straßen ihres Viertels werden rein gehalten. Die aus mehreren Wohn-
räumen bestehenden Häuser sind mit langen, orientalischen Divans, die als Sitz- und
Schlafstätte dienen, und auch mit modernen Möbeln recht behaglich, ja selbst luxuriös, doch
nicht überladen eingerichtet.
Die Bauart ihrer Häuser, welche ohne einen rings um das Haus führenden
hölzernen Gang oder wenigstens eine von hölzernen oder steinernen Säulen getragene
Veranda undenkbar sind, haben die Armenier von den Rumänen entlehnt. Im Schatten
dieses Ganges oder der Veranda sitzt im Sommer während der heißen Nachmittagsstunden
der starkbehaarte, hie und da noch in lange, faltige, orientalische Gewänder gehüllte
Familienvater. Hier raucht er aus seinem langen, wohlriechenden, mit einer Bernsteinspitze
versehenen Weichseltschibuk echt türkischen Tabak, den auch die Frauen hie und da in
Zigarrettenform nicht verschmähen. Gerne wird auf der Veranda in langen Pausen der
auf türkische Art gekochte, schwarze Kaffee in winzigen Schalen herumgereicht und
geschlürft, während man sich wortkarg oder auch erregt mit den Familienangehöngen
oder dem Nachbarn unterhält oder auch die Zeit in Halbschlummer nach echt orientalischer
Art verträumt.
Armenier aus Suczawa in orientalischer Tracht.
Die Geselligkeit wird unter den Armeniern Suczawas seit einigen Jahren durch ein
^rn" genanntes nationales Casino und ein eigenes Kaffeehaus gefördert.
Neben der modernen führen die Armenier noch eine echt orientalische, nationale
Küche. Besonders lieben sie verschiedenartige trockene und geräucherte Fleischconserven.
Zur Zubereitung derselben, worin sie unnachahmbare Meister sind, gaben die vielen
Verfolgungen, denen sie in ihrer Heimat ausgesetzt waren, den Anlaß. So bereiten sie
328
verschiedenförmige geräucherte Würste aus Rind-, Schaf- und Gänsefleisch, »salairü,
suFiuü, potooavo", armenisch aber »giaäsin« benannt, oder räuchern ganze Fleischstücke
davon als würzigen, schmackhaften Zubiß. Denn in ihrer Küche spielt das Gewürz eine
große Rolle. Gerne essen sie eine Art stark wohlriechender Honigkuchen mit Safran,
„liatlairm" oder genannt; ferner einen aus gestoßenen, in Honig gekochten
und gerösteten Nüssen und Mohnkörnern bereiteten »äaluusi" benannten Süßkuchen. Auch
pflegen sie gebratenes Rindfleisch in einem Holzgefäß in der Art zu conserviren, daß man es
öfters mit dem eigenen Fett übergießt und in dieser Sülze stehen läßt. Im Winter wird
dieses .elmurinä« genannte Fleisch aufgewärmt auf den Tisch gesetzt. Der Suppe mengen
sie elmrrck bei, weshalb sie auch grünlich wird, und säuern sie mit saurer Milch und
Petersilienblättern. Beliebt ist auch die mit Safran und „burolrma" benannten Fleisch -
kügelchen zubereitete Maccaronisuppe. Den Braten bereiten sie mit Koriander oder Reis zu.
Ihre »paclüava" benannte Strudelart besteht aus hundert mit Honig gefüllten Blättern.
Sehr beliebt ist ein aus gehacktem Fleisch und Eierfrucht bereitetes, „mrmalra" genanntes
Gericht. Ihre Mehltaschen, .sanrsali" benannt, werden in Fett geröstet und mit Fleisch
gefiillt. Oft bereiten sie in Rindsuppe gekochte, kleingeschnittene, Zukka« genannte Nudeln.
Ihr Thee- oder Kaffeegebäck, Zoebuur" benannt, besteht aus Mehl, Butter, Hefe, Eiern
und Milch. Ferner kochen sie halbgeschrotene Weizengraupen in Suppe ein und übergießen
dann diesen »gorgot" genannten Brei mit Butter, worauf er mit sauerem Schafschmetten
gegessen wird. Der Name dieses Breies dient oft dazu, um Einem seine Dummheit
vorzuhalten: „Man kocht dir goi-Kot ein und du siehst es nicht!" Der „borabia" genannte
Kuchen wird mit viel Butter und Zucker zubereitet und dann im Backofen gebacken. Der
nichtgerollte, sondern schichtenförmig gelegte, mit Äpfeln, Käse und Fleisch gefüllte Strudel
heißt ,bu^ebbu62". Zu Neujahr wird ein aus Teig-, Mohn- und Honigschichten und einer
aus geschälten Nüssen bestehenden Oberschichte zubereiteter, Zosr« genannter Süßkuchen
aufgetischt. Endlich bereiten sie sehr oft eine aus Rosinen und Reis bestehende, »Mal«
zubenannte Speise folgenderart: der Reis wird zuerst in Fleischsuppe, dann mit Rosinen
und Butter gekocht, worauf man ihn, damit er nicht weich wird, mittelst einer Serviette
zudeckt. Die Armenier sind auch große Freunde orientalischer Süßigkeiten, wie der in Zucker
eingekochten Früchte und Blüthen, , äirle^ulro" genannt, des robat und verschiedener
Scherbets und der Halwas (äakmlmlrvg,).
Die Kleidung der Armenier ist einfach und heute fast durchwegs die moderne, nur
hie und da bekommt inan noch die langen, orientalischen Kleider zu sehen. Früher trugen
die Männer weite, ^sralwarl" benannte Stoffbeinkleider, im Winter aber solche aus
Schaffellen, „inesmnl" benannt. Den Körper bedeckte ein oft seidener, weiß- und roth-
gestreifter, mit einem Stehkragen versehener, ,airlei-km" oder ,2obon° zubenannter Talar,
329
dessen von rechts nach links zugeschlagene Seiten von einem kostbaren, türkischen, um die
Taille gewundenen geblümten Shawl zusammengehalten wurden. In den Brustfalten dieses
Talars wurde mit Vorliebe ein großes, farbiges, oft seidenes Taschentuch getragen. Der
große, weiße, hervorstehende, aber nicht gesteifte Hemdkragen wurde mittelst eines schwarzen
Seidentuches, dessen Zipfel auf die Brust herabhingen, in der Höhe gehalten. Die Ärmel
des Talars waren zum Zuknöpfen hergerichtet, doch Pflegte man sich während der
Sommerzeit selten zuzuknöpfen, weshalb die weiten Hemdärmel stets sichtbar waren.
Über diesem Talar trug man im Sommer einen bis an den Gürtel reichenden, kirsch-
farbenen, breitärmeligen Seidenhalbmantel, „kermoirou" oder , skurleilcu" genannt,
welcher für den Wintergebrauch aus einem mit kostbarem Pelzwerke gefütterten, grünlichen
Wollstoffe bestand. Über der Fermenea trug man zu jeder Jahreszeit einen bis an die Knie
reichenden, mit theueren Pelzen unterschlagenen, breitärmeligen Wollstoffmantel, »ckulairm"
oder genannt. Beim Ausgehen aber wurde über alle bisher angeführten
Kleidungsstücke noch ein langer, weiter, bis an die Sohlen reichender, im Sommer mit
Seide, im Winter mit seltenem Rauhwerk versehener, ,äLubou" genannter Stofftalar
angezogen. Der rothe Fes war die Kopfbedeckung der Männer, worüber beim Ausgehen ein
türkischer, genannter Shawl gewunden wurde. In ncuererZeit aber trug man eine
tiefe, oben mit Sammt eingelegte Bibermütze, ärmere Leute trugen und tragen noch heute
hohe Lammfellmützen.
Die Frauen trugen ein ärmelloses, weites, den Ober- und Unterkörper bedeckendes,
bis an die Knöchel reichendes, farbenreiches, gewöhnlich seidenes, mit Goldschnüren auf -
geputztes, am Halse offenes Kleid, welches mittelst eines mit großen silbernen oder goldenen,
edelsteinbesetzten Spangen versehenen Gürtels eng um den Körper zusammengehalten wurde.
Darüber wurde eine zierliche Fermenea, dann noch eine aus Sammt, Seide oder Stoff
bestehende, mit sehr kostbarem Rauhwerk, Fuchs- oder Lammfellen unterschlagene Dulama
getragen, welche die Armenierinnen noch heute zu Hause gerne anziehen.
Die Frauen bedienten sich des weißen Fes als Kopfbedeckung. Darüber wurde
je nach Stand und Vermögen ein seidenes oder wollenes Tuch derart geworfen, daß ein
Ende desselben dreieckähnlich auf den Rücken herabhing.
Männer und Frauen bekleideten ihre Füße entweder mit gelben Safianstiefeln
oder türkischen, gelbfarbigen, Pirriiroi" oder ,ku8?irmkoi° benannten spitzschnabeligen
Halbschuhen.
Beide Geschlechter pflegten sich, während sie müßig mit nach türkischer Art unter -
schlagenen Beinen aus den Divans saßen, zum Zeitvertreib großer Bernsteinrosenkränze,
,MIrc>r" genannt, zu bedienen. Dieses Rosenkranzspielen, wie auch die türkische Art des
Divansitzens ist noch heute bei den Armeniern in Übung.
330
Dis Zigeuner.
Innere Unruhen, feindliche Einfälle in die hindostanischen Länder, wie auch die
unmenschlichen Gesetze des Manu zwangen den Volksstamm der Zigeuner, der „Roma"
oder „Romaniczei", wie sie sich selbst nennen, ihrem sonnigen Vaterlande auf immer den
Rücken zu kehren. Mit dem ewigen Wanderstabe ausgerüstet, durchstreiften sie die ganze
Welt, ohne sich irgendwo von der Scholle festhalten zu lassen. Auf dieser Weltwanderung
betraten sie um das Jahr 1400, wohl auch früher, den Boden der Bukowina. Hier wurden
sie zu Sclaven erklärt, viele wurden dies freiwillig und verblieben als solche bis zum
Jahre 1783, als Kaiser Joseph II. sie hochherzig zu freien Menschen machte.
Bis zu jenem Jahre besaßen die vielen Klöster und Großgrundbesitzer der Bukowina
Hunderte von Zigeunerseelen als Sclaven. Dieselben konnten, wie Sachen oder Thiere
verkauft oder eingetauscht werden. Sie bearbeiteten, unter der Überwachung eines hart -
herzigen Aufsehers, der von seiner, „Falanga" benannten Peitsche häufigen und grausamen
Gebrauch machte, die ausgedehnten Kloster- oder Privatgüter und verrichteten Wirtschasts-,
Haus-, Hof- und Küchendienste. Der Reichthum eines Gutsherrn oder Klosters wurde
dazumal nach der Seelenanzahl der Zigeuner bemessen. Die etwas freieren musiktreibenden,
nur eine Art Abgabe zahlenden Zigeuner mußten oft mit ihrer Kunst, ihren Gesängen und
Witzen zur Erheiterung der herrschaftlichen Häuser beitragen. Obwohl sie Christen waren
und man alle ihre körperlichen und geistigen Kräfte bis zur Erschöpfung ausnützte, waren
sie doch so verachtet, daß man sie nicht auf den gemeinsamen, sondern auf abgesonderten
Friedhöfen begrub.
Früher hatten die Zigeuner nach ihrer Beschäftigung folgende Benennungen:
1. Löffelmacher „liiiZurarl", 2. Bärenführer «ui-surD, 3. Goldwäscher »ruciuri oder
uurarl", 4. Hordenzigeuner ZLiesl" und 5. Herdzigeuner ,vütrusl". Heute gibt es in der
Bukowina nur ansäßige Herdzigeuner und Löffelmacher, hingegen keinen vagabundirenden
Hordenzigeuner; doch besteht auch bei diesen ansäßigen Zigeunern noch ein gewisser Rest
früherer Wanderlust, welche sie veranlaßt, ihre festen Wohnsitze aus einem Dorfe ins
andere zu verlegen. Auch die Sorte der Goldwäscher ist eingegangen, und Bärenführer
kommen nur aus Siebenbürgen und Rumänien ins Land.
Der Zigeuner ist mittelhoch, schwachgebaut und mager, hat aber einen gut
proportionirten Kopf und ein niedriges, breites, bronzefarbiges Gesicht. Seine Nase ist höher
gestellt als bei den übrigen Völkerschaften des Landes. Sein Mund ist etwas groß, der Hals
stark, die Arme kurz. Das gewöhnlich lange, ungekämmte, struppige Kopfhaar ist kraus,
kohlenschwarz und glänzend, die Augen sind schwarz und funkelnd, die Zähne schneeweiß
und kerngesund.
Die Zigeuner umgürten das
selten gewaschene, stets verrissene
Hemd mit einem breiten, mit vielen
gelben oder weißen Metallknöpfen
verzierten Riemen, worin ein an
gelber oder grauer Kette befestigtes
Daschenmesser getragen wird, Auch wird mit Vorliebe eine lederne, mit vielen glanzenden
Knöpfen, Kettchen und Kreuzchen versehene Tasche umgehängt. Überhaupt bekunden sie
eine Rabenvorliebe für glänzende Gegenstände. Auch die Männer tragen oft Ohr -
gehänge, um Glück zu haben, nicht verschrieen zu werden und um ein feines Gehör zu
bekommen. In jenen Familien, wo nur ein Knabe und mehrere Mädchen sind, legen
sie dem ersteren einen Ohrring an, damit ihn die Götter für ein Mädchen halten und am
Leben lassen.
Zigeunerfamilie aus Wulewa.
332
Über das Hemd wird, wenn man eine weitere Reise unternehmen will, ein sehr
durchlöcherter Sukman oder Mantel geworfen. Ist aber dies Kleidungsstück gut oder gar
neu, so kann man Hundert gegen Eins wetten, daß es, wenn nicht gestohlen, so doch sicher
ausgeliehen ist. Im Sommer wird ein solches Obergewand als überflüssig, ja lästig
angesehen, weshalb man es lieber beim Inden als Pfand für Schnaps in Aufbewahrung
liegen läßt. Den Kopf bedeckt der Zigeuner Sommer und Winter mit einem Hut oder einer
Pelzmütze. Diese Kopfbedeckung ist so durchlöchert, daß sie zum Sprichworte geworden ist;
denn man sagt, der Zigeuner schreite stolzer einher, wenn ihm die Kopfhaare durch seinen
Hut- oder Mützenboden herauskriechen.
Die in früher Jugend oft sehr schönen Zigeunerweiber kleiden sich, wenn sie wohl -
habender sind, geschmackvoll und bekunden eine große Vorliebe für intensive schreiende
Farben. Um den Kopf binden sie in herausfordernder Art ein großes gelbes, öfter aber
fenerrothes Wolltuch, nur höchst selten und im Falle äußerster Noth das landesübliche
weiße Baumwollhaudtuch. Das Hemd wird gewöhnlich an Brust und Achseln mit bunter
Seide oder Wolle und Goldflittern ausgenäht. Den unteren Körper bekleiden sie mit einer
oft mit Goldfäden durchwirkten Katrintza (Rock) oder aber und dies öfters mit in der
Stadt gekauften, aus intensiv farbigen Wollstoffen bestehenden Röcken. Hier muß noch
erwähnt werden, daß die Zigeunerinnen auch ihre Katrintzas und hie und da auch die
Hemdenleinwand kaufen und nicht selbst weben. Zur Bekleidung des Oberkörpers dient
gewöhnlich ein bis unter die Knie reichender Schafpelz oder auch nur ein Suckman.
Mädchen und junge Weiber tragen am Halse einen aus werthvollen alten Silber-, ja auch
Goldmünzen bestehenden, „Salba" genannten Schmuck.
Als Fußbekleidung dienen den wohlhabenden Männern Sandalen, Schuhe oder
Stiefel; die Armen laufen barfuß herum. Die Weiber tragen gewöhnlich Schuhe. Mit
der Bekleidung der Kinder nehmen es die Zigeuner nicht sehr genau, denn man sieht
dieselben stets ganz nackt im Straßenstaube vor den Fuhrwerken und Wanderern Rad
und Purzelbäume schlagen und dann denselben lange Wegestrecken nachlaufen, um als
Belohnung für diese Kunststückchen einige Geldstücke zu erbetteln.
Erwühnenswerth ist es, daß bei den Zigeunern Jung und Alt, Mann und Weib,
ja sogar die Säuglinge der Leidenschaft des Tabakrauchens fröhnen. Selbst in der Nacht
darf die gewöhnlich leere Tabakspfeife nicht im Munde fehlen.
Die in den Städten lebenden Zigeuner bewohnen abgesonderte, nach ihnen benannte
Viertel oder Gassen. Die auf dem Lande Lebenden aber wohnen auf den ihnen zugewiesenen
Hutweiden, außerhalb der Wohndörfer, welche Plätze „setra«, das find Zelte, benannt
werden. Hier erbauen sie sich hie und da Erdhütten oder ärmliche Häuschen, welche stets
schlechter construirt sind, als die der anderen Ortsbewohner und sich durch wenig Reinlichkeit
Zigeuner, Maliern verkaufend.
auszeichnen. Die innere Einteilung und Einrichtung ihrer Wohnungen ist der der anderen
Ortsbewohner ähnlich.
In den Ortschaften, wo die Zigeuner in größerer Anzahl Vorkommen, haben sie einen
ans ihrer Mitte von ihnen selbst gewählten Richter, der aber sammt seinen Untergebenen
dem politischen Gemeindevorsteher der betreffenden Ortsgemeinde untersteht.
334
Bei einer Zigeunerwirtschaft darf weder der Schmiedeofen sammt Blasebalg, noch
das primitive Schmiedewerkzeug fehlen, zumal das Schmieden eine Lieblingsbeschäftigung
des Zigeuners ist. Freilich ist er darin kein großer Meister, doch versteht er ziemlich gut,
Kessel zu flicken, Hacken, Messer und Sichel zu richten, zu schürfen und zu stählen, die
Zugochsen zu beschlagen, dann Töpfeunterständer, Feuerzangen, Nägel, Nadeln, Hanf -
kämme rc. zu verfertigen; ja einige betreiben auch die Glockengießerei.
Der Zigeuner bearbeitet aber gerne auch das Holz, woraus er Schaufeln, Spindeln,
Schöpflöffel, Teller, Mulden, Viertel, Siebe mit ledernem Untergründe rc. anfertigt. Alle
diese seine Kunsterzeugnisse pflegt er auf den Nachbarmärkten oder von Hans zu Haus
selbst zum Kaufen anznbieten, oder er betraut damit seine vielgeplagte Ehehälfte. Auch
weiß er Bürsten zum Weiseln zu binden, die Häuser mit Lehm anzuwerfen, er versteht sich
auf die Landwirtschaft und, wo sich die Möglichkeit dazu bietet, auf den Pferdediebstahl.
Endlich ist er Viehzüchter; bei seinem Hause darf weder das magere Schweinchen und der
magerere Hund, noch die Pferdemähre fehlen.
Nach dem Nichtsthun ist die Lieblingsbeschäftigung des Zigeuners die Musik. Darin
bringt er es, oft ohne eine Note zu kennen, sogar zur Virtuosität. Mit großer Fertigkeit
handhabt er alle nur erdenklichen Instrumente. In Ermanglung eines solchen weiß er sich
dadurch einen Ohrenschmaus zu bereiten, daß er, auf dem Rücken im Grase hingestreckt,
einem an den Lippen gehaltenen Blatte Töne, ja Melodien entlockt. In jeder Lebenslage
ist er sogleich bereit, sich und Anderen vorznspielen, seine Weisen aber sind seiner augen -
blicklichen Gemüthsverfassnng angepaßt. Ist er traurig, gekränkt oder hungrig, was
gewöhnlich der Fall ist, so läßt er eine ergreifende höchst traurige Weise ertönen. Ist er
aber fröhlich und gut gelaunt, was immer nach einem gelungenen Diebstahl vder einer
reichlichen Mahlzeit der Fall ist, so läßt er lebensfrohe, hüpfende Tanzaccorde hören.
Die alten Zigeunerinnen betreiben mit viel Geschick die oft einträgliche Kunst des
Wahrsagens aus Karten, Maiskörnern, Bohnen, den Handflächefalten rc. Auch verstehen
sie den abergläubischen Bauernweibern den Schrecken und die Krankheiten abzusprechen.
Den liebenden, daher leichtgläubigen Bauernmädchen zaubern sie ihre Zukünftigen herbei
und bereiten für dieselben und auch für manches liebeskranke Stadtfräulein für Geld oder
Eßwaaren unschuldige Liebestränklein. Die schnell abgeleierte, daher meist unverständliche
Wahrsageformel lautet: „Hast Glück und wirst viele kleine mit Füßchen ringsherum
versehene Thierchen haben. Das Glück folgt deiner Ferse, wie der Hase der des Hundes!" ^
Aber auch das Betteln übt das junge wie das alte Zigeunerweib mit unübertrefflicher
Zudringlichkeit und Zungengewandthcit aus. Durch ihre Geschicklichkeit im Betteln, Stehlen
und Verkaufen der diversen Schmiede- und Holzerzeugnisse ihres Mannes, sowie durch
ihre Gewandtheit in der Wahrsagekunst, im Zaubern, Kartenaufschlagen, Absprechen,
M
'
Zigeunerin, aus der Hand wahrsagend.
ernährt das arme Zigeunerweib ihre zahlreichen Kinder und den „claäa", das ist ihren
faulen Mann. Wehe der geplagten Zigeunerin, wenn sie abends, ohne Speck und Mehl, die
Lieblingseßwaren ihres Herrn und Gebieters, mitzubringen, heimkehrt. Bringt sie aber
dergleichen, so äußert sich der Dank ihres gesättigten Mannes in einer tüchtigen Tracht
Prügel, welche sie als Beweis seiner Liebe annehmen muß.
336
Am dritten Donnerstage nach den griechisch-orthodoxen Ostern pflegen sich die jungen
Zigeunerinnen zu bekränzen und mit rothen Bändern und Münzen behängen von Haus zu
Haus zu gehen und beim Gesänge einer alten Stammesgenossin zu tanzen. Darauf werden
sie, damit es im Sommer hinreichend regne, von der Hausfrau mit einem Topf voll Wasser
übergossen und mit einer Geldmünze, mit Mehl oder einem alten Kleidungsstücke beschenkt.
In der Bukowina gehören die Zigeuner fast ausschließlich der griechisch-orthodoxen
Kirche an, sind aber keine sehr guten Christen. Sie bringen es höchstens so weit, daß sie
sich nothdürftig bekreuzen können, ohne aber die Bedeutung des heiligen Kreuzes und die
nöthigen Gebete zu kennen. In der Kirche pflegt man sie höchst selten zu sehen, weshalb es
znm Sprichworte geworden ist, daß sie nicht in die Kirche gehen, sondern dahin zur Taufe
und zur letzten Einsegnung getragen werden. Die Beichte meiden sie und, wenn sie dennoch,
die anderen Ortsinsassen nachahmend, in den Beichtstuhl treten, so verschweigen sie die
schweren Sünden. Ihrer Kirche halber werden sie von den Rumänen oft geneckt. Die
Zigeuner, so behaupten die letzteren, hätten einmal, um ebenfalls eine Kirche zu besitzen,
eine solche aus ,bainao8«, das ist einem Gemisch von Kukuruzmehlbrei, Schafkäse und
Butter, aufgebaut und statt der Glocken ganze Borstenviehköpfe sammt Zungen im Glocken-
thurme aufgestellt. Als sie aber einstmals stark hungerten, da hätten sie ihre ganze Kirche
sammt den Glocken aufgegessen und seit jener Zeit besäßen sie keine eigene Kirche mehr.
Die Zigeunerinnen pflegen ihren Kindern den bösenBlick, denSchrecken rc. abzusprechen,
doch erst, nachdem dieselben ein Jahr alt geworden. Früher dies zu thun, wird als eine
große Sünde angesehen. Die Heranwachsenden Kinder werden wenig oder gar nicht
beaufsichtigt, sondern sich selbst überlassen. Die Zigeunermädchen fangen am Tage des
heiligen Johannes Fledermäuse ein, geben dieselben in mit neun oder sieben Löchern
versehene Gefäße und stellen dieselben auf Ameisenhaufen, worauf sie sich schleunigst
entfernen, um nicht das Schreien der von den Ameisen angegriffenen Fledermäuse zu hören,
da sie sonst taub werden könnten. Nachdem die Ameisen die Fledermäuse verzehrt haben,
nehmen sie die übrig gebliebenen Gebeine, pulverisiren dieselben und geben dieses Pulver
den auserkorenen Burschen in den Speisen zum Essen oder in Branntwein zum Trinken
und glauben, daß der betreffende Mann sie dann heiraten werde. Um die Liebe der
Männer zu gewinnen, pflegen ferner die Zigeunermädchen einen Fetzen vom eigenen
Kleide sammt einigen Kopfhaaren zu verbrennen und die Asche davon dem Auserkorenen
zum Trinken zu geben, in dem festen Glauben, daß jener dann in heftiger Liebe zu ihnen
entbrennen werde.
Die Zigeunerbrautleute pflegen eine Woche oder wenige Tage vor der Trauung die
Zukunft zu befragen, um zu erfahren, ob sie Nachkommen haben werden. Zu dem Zwecke
stellen sie am Ufer eines fließenden Gewässers zwei brennende Kerzen auf und wachen
daselbst. Werden nun die Kerzen vom Winde sogleich ausgelöscht, so wird ihre Ehe kinderlos
sein. Um aber doch Kinder zu bekommen, werfen sie Eier und Äpfel ins Wasser.
Wenn die Zigeunerbraut zur Trauung geht, umwickelt sie sich den linken Fußknöchel
mit nugesponnenem Hans, damit sie in ihrer Ehe keine Noth leide. Während der Trauung
halten manche Bräute ein Geldstück unter der Achsel, um im Eheleben vor Unglück gefeit
zu sein. Beim Heraustreten aus der Kirche werfen sie dieses Geldstück weit vor sich. Wer
dasselbe findet, soll es nicht aufheben, denn sonst würde sich das Unglück sieben Jahre an
seine Ferse heften. Auf die Einsegnung der Ehe durch den Priester halten die Zigeuner
nicht sehr viel, mehr aber auf die von einem alten Stammesgenossen unter einer Eiche
ausgesprochene Trauungsformel und auf die sie begleitende kurze Ceremonie, wie denn
auch die meisten Zigeuner in wilder Ehe leben und auch von ihrer ehelichen ^.reue und
Sittlichkeit blutwenig gesagt werden kann.
Die Begriffe von Mein und Dein sind nach ihrer Anschauung ziemlich identisch, daher
sind sie immer, bei finsterer Nacht wie am Hellen Tage, das Dein zu ihrem Mein umzu -
wandeln bestrebt. Aber das also Erworbene bleibt nicht lange in ihrem Besitze, denn es
wird in Saus und Braus schnell verthan. Denn sie sind große Freunde fröhlicher Gelage,
wobei Musik und Tanz nicht fehlen darf; Sorglosigkeit und leichtlebige Fröhüchkeck liegt
ihnen im heißen Blute.
Sind die Zigeuner zu Taufen, Hochzeiten oder Kirchweihfesten geladen, so essen sie
möglichst wenig, um nicht den Verdacht aufkommen zu lassen, daß sie zu Hause Noth
leiden und seit lange nichts gegessen haben. Dafür aber trinken sie desto mehr, wodurch ihr
ohnehin sanguinisches Temperament so aufgeregt wird, daß es dann unmer zu Streitigkeiten
und blutigen Schlägereien kommt. Überhaupt sind sie zu Zank und Streit gleich bereit,
und ist diese Eigenschaft sprichwörtlich geworden, denn man sagt: Jemand sei so streit -
süchtig, wie ein Zigeuner! Vor einer solchen Schlägerei streifen sie im Nu ihre Fetzen vom
Leibe ab und kämpfen dann ganz nackt. Sie thun dies, um ihre ohnehin nicht sehr festen
Kleider zu schonen, da, wie sie richtig bemerken, die verletzte Haut nachwächst, die versetzten
Kleider aber nie. Der Kleidermangel verleidet den Zigeunern den Winter sammt seinen
Freuden. Diese ihre Kleidernoth im Winter wird trefflich durch folgenden Dialog zwischen
einem Zigeuner und seinem vor Kälte zähneklappernden Sohne veranschaulicht: „Dada,
mich friert's, denn ich bin ganz nackt!" „Setze meinen Hut auf!" „Ich zittere auch so
vor Kälte!" „So gürte Dir meinen Riemen um!"
Die Zigeuner sind im Allgemeinen, von einigen schlechten, verrohten Individuen
abgesehen, harmloser, ja, man könnte fast sagen, gutmüthiger Natur. Freilich muß ihnen
viel Stolz, Einbildung, Herrschsucht, Rachelust, aber auch eine große Portion Dummheit,
Denkfaulheit, Aberglaube. Fatalismus, Unerfahrenheit und Feigheit zugesprochen werden.
22
Bukowina.
338
Von ihren Nachbarn werden sie wegen ihrer Faulheit und Dummheit verspottet.
Besonders der Rumäne pflegt dem Zigeuner vielfache Spottnamen beizulegen. Der
gebräuchlichste ist „Dohle", und diesen fürchtet der Zigeuner so, daß er eine Dohle nie bei
ihrem Namen nennt, um sich nicht selbst zu verspotten. Das Feilschen wird oft mit dem
Worte: „zigeunern" vertauscht. Einem Emporkömmling wird als Beleidigung folgende
Phrase in's Gesicht geschleudert: „Geld haben auch die Zigeuner, aber keine Menschlichkeit!"
Wenn in einem Hause Unordnung und Schmutz herrscht, so sagt man: „Das ist eine
Zigeunerwirthschaft". Von einem unordentlichen Menschen pflegt man zu sagen, er sei
unreiner als ein Zigeuner.
Der Zigeuner schämt sich daher seines Ursprungs und Namens. Befragt man ihn,
welcher Nation er angehöre, so antwortet er: „Ich bin ein Rumäne" und begründet dies mit
den Worten: „Denn auch mein Vater war ein solcher!" Er bringt eine gewisse Sympathie
dem Rumänen entgegen, wird aber vom letzteren verachtet. Weniger Anhänglichkeit bezeugt
er dem Ruthenen.
In letzter Zeit schicken sie ihre Kinder, wenn auch nicht gerade sehr willig, in die
Schule und manche ihrer Söhne haben sich bereits durch höhere Bildung eine geachtete
Stellung in der menschlichen Gesellschaft zu erringen gewußt.
Von einer richtigen Statistik der Bukvwiner Zigeuner kann nicht die Rede sein, da
sie sich immer als Rumänen ausgeben; doch darf ihre Seelenanzahl beiläufig auf 2000
angesetzt werden.
Dank ihrer Sympathie für die rumänische Bevölkerung, in deren Mitte sie wohnen,
dürften sie mit der Zeit in dieselbe vollständig aufgehen.
Grlsanlagsn und Wohnungen.
Außer vier dorfähnlichen Städten zählte man im Jahre 1775 in der Bukowina
273 bewohnte Ortschaften mit 55 Attinenzen. Die Bevölkerung hat sich seit dieser Zeit
insgesammt ungefähr achtfach vermehrt und sowohl die Anzahl der Orte, als ihre Aus -
dehnung ist eine größere geworden. Gegenwärtig besitzt die Bukowina über 700 Ortschaften
in rund 330 Ortsgemeinden, steht aber mit diesen Zahlen im Vergleiche zum Flächen -
inhalte des Landes weit unter dein Durchschnitte des Staatsgebietes, ist also ortsarm.
Die Dörfer sind indeß verhältnißmäßig groß, sowohl was die Einwohnerzahl, als namentlich
auch was den Umfang derselben anbelangt. Ungefähr 80 Ortsgemeinden, das ist fast
4Vs Procent aller Ortsgemeinden im österreichischen Staatsgebiete, beherbergen nämlich
über 2000 Einwohner, während die Area des Landes kaum 3Vs Procent der Fläche der
im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder ausmacht. Im Durchschnitte zählt in
339
der Bukowina eine Ortschaft rund 170 Häuser und 900 Einwohner; es kommen
demnach auf ein Haus kaum mehr als 5 Personen, eine Zahl, welche gegenüber anderen
Provinzen klein ist und sich selbst in der Landeshauptstadt, infolge ihrer rein bäuerlich
gebliebenen Vorstädte, auf nicht mehr als 10 Personen erhöht.
Die einzelnen Ortschaften liegen im Hügel- und Flachlande, soweit es thunlich, an
südlichen Abhängen oder in den Thalmulden der kleineren, häufig tief in das Terrain
eingeschnittenen Wasserläufe, im Gebirge aber in den Haupt- und Seitenthälern. Mit
der Vergrößerung der Siedlungen mußten zahlreiche, neu hinzugekommene Gehöfte
allerdings, namentlich in coupirten Gegenden, mit einer in Bezug auf die Witterungs -
einflüsse ungünstigeren Lage vorlieb nehmen. Im gebirgigen Theile des Landes befinden
sich einzelne Wirtschaften, hauptsächlich behufs Ausnützung der Weideflächen, ferner
Sennhütten, sowie Wohnungen der Holzarbeiter und Köhler auf den Hängen und,
weit vom Thale entfernt, auf den Höhen und in den Wäldern. Ehedem waren auch, der
Sicherheit wegen, schwer zugängliche Orte und Schluchten zur Errichtung einzelner
Wohnhäuser beliebt.
Abgesehen von den neu angelegten Colonien gruppiren sich die Häuser oder Hof -
stätten in den Dörfern im Allgemeinen mosaik- oder bienenzellenartig — gewissermaßen
im Rudel — nebeneinander, in der Weise, daß rund um das Anwesen, oder doch an
mehreren Seiten desselben, ein Dorfweg verbleibt. Nur auf ebenem Boden nähert sich die
Grundform der einzelnen Wohnsitze einem Rechtecke; auf abschüssigem, und namentlich auf
dem nicht selten vorkommenden Rutschterrain nehmen sie eine polygonale, oft eine ganz
regellose Gestalt an, welche sich aus der Konfiguration des Bodens und wohl auch aus
der wechselnden Güte desselben ergibt. Für die Cultur minder geeignetes Terrain bleibt
als Hutweide zur allgemeinen Benützung zurück, ebenso der Graswuchs in den Zwickeln
und Erweiterungen der zahlreichen, sich unregelmäßig verschlingenden Dorfwege, wovon
oft schwer einer als Hauptweg unterschieden werden kann. In jedem Falle besitzt das Dorf
eine große, ehemals außerhalb desselben gelegene, nun aber schon mit neu angelegten
Anwesen häufig umsäumte und hiedurch verkleinerte Hutweide, die gewöhnlich mittels
Graben und Wall eingefriedet erscheint. Brunnen, zumeist für den allgemeinen Gebrauch
bestimmt, sind nur etliche im Orte vorhanden.
In engen Gebirgsthälern ist die beschriebene, als Gruppendorf bekannte Ortsanlage
des Hügel- und Flachlandes wesentlich dieselbe, nur erscheint hier das Dorf gestreckter,
das heißt als Lüngendorf, ohne aber, selbst auch nicht in seinem, in der Thalsohle liegenden
Theile, zum Reihen- oder Gassendorf zu werden. Die zuletzt genannte Form ist lediglich
in den neuen Colonien, sowie zum Theile in neueren, längs bestehender Straßen sich
hinziehenden Dorferweiterungen anzutreffen.
22*
340
Die Hofstütte hat im Flachlande eine Ansdehnung von ein bis zwei Hektar, auch
weniger, und enthält neben den Baulichkeiten und dem Hofraume einen Gemüse-, nach
Umständen einen Obstgarten, in der Regel auch ein Stück Feld. Häufig bildet sie den
gesammten Besitz, zu welchem dann zumeist kleine, directe oder Subpachtungen treten. Oft
gehören indeß zur Hofstätte noch Ackergründe in einem oder mehreren, außerhalb des
Dorfes gelegenen Rieden, so daß das Anwesen bis zu einer Ausdehnung von zehn Hektar,
selten höher steigt. Im Hügellande erweitert sich die Hofstütte unter Verringerung des
Besitzes außerhalb derselben, so daß die Bauerngüter hier mehr oder weniger arrondirt
erscheinen. Dies ist auch im Gebirge vornehmlich bei jenen Hofstätten der Fall, welche nicht
im Thale liegen, und selbst bei den letzteren findet man die Arrondirung kleinerer Besitzungen
nicht selten; die größeren derselben aberhaben oft ausgedehnte Wald- oderWeideantheile,
und es steigert sich dann der Gesammtbesitz auf 30 und mehr Hektar.
Da die Hofstätten im Allgemeinen groß sind, erlangen also die Dörfer, namentlich
im Hügel- und Gebirgslande, eine um so bedeutendere Ausdehnung, als viele, wie bereits
hervorgehoben wurde, stark bevölkert erscheinen. Im Flachlande z. B. bedecken die Ort -
schaften Mahala mit Buda an drei, Rarancze über vier, Toporontz sieben Quadratkilo -
meter; im coupirten Terrain Burla fünf, Karapcziu am Czeremosz etwa sechszehn, Kuczur-
mare mehr als zwanzig Quadratkilometer; im Gebirge hat der schon durch seinen Namen
als lang gekennzeichnete Ort Kimpolung (6äiuM-Iuug) eine Längenausdehnnng von acht
Kilometern. Auch im Vorlande haben sich die breiten Thalgründe besonders stark besiedelt,
und in vielen Fällen sind Nachbarorte bereits vollständig aneinander gewachsen. Beispiels -
weise besitzen die Orte Straza, Ober-Wikow, Bitka, Fratautz und Andrasfalva eine
Gesammtlänge von über 35 Kilometern. Die magyarische Ansiedlung Jstensegits, welche,
wie der Hauptsache nach auch die deutschen Kolonien Badeutz, Deutsch-Satulmare, Fürsten-
thal, Lichtenberg u. s. w. und das lippowanische Fäntana alba, ein Gassendorf bildet,
umfaßt bloß eine Fläche von einem Quadratkilometer. In Toporontz mit rund 900 Hof -
stätten kommen demnach auf einen Quadratkilometer ungefähr 130, in Kuczurmare mit
circa 1800 Hofstätten blos 90, in Jstensegits aber annähernd 540 Wohnhäuser, während
insgesammt im Lande auf den Quadratkilometer durchschnittlich 11 Häuser entfallen.
Der Umstand, daß sich den niedrigen Wohn- und Wirtschaftsgebäuden oft ein
Obstgarten oder wenigstens Weiden- oder sonstige Baumpflanzungen anschließen, bewirkt,
daß die einzelnen Orte als solche, wenigstens im Sommer, von der Ferne einem Walde
gleichen, aus welchem nur die etwaige Kirchenkuppel emporragt.
Zur Zeit der Übernahme der Bukowina in die österreichische Verwaltung war von
Bauerngehöften mit entsprechenden Wohn- und Wirtschaftsgebäuden noch gar keine Rede
und es sahen die Dörfer mit ihren armseligen Hütten, wie als Zeitgenossen die Generäle
Gabriel Freiherr von SMnyi und Carl Freiherr von Enzenberg, sowie der Bojar Basilius
Balschs und der Mappirungsdirector Johann Budinszky aus eigener Anschauung berichten,
elend genug aus. Die Häuser bestanden gewöhnlich nur aus einem winzigen Vorhause
und einer engen Stube, selten besaßen sie noch eine Kammer. Sie waren schlecht, oft nur
ans Flechtwerk erbaut, das mit Lehm verschmiert wurde, oder stellten gar nur bloße
Erdlöcher dar; Rauchfänge fehlten. Stallungen gab es nicht, und nicht selten hatte deshalb
die Familie die dumpfen und feuchten Wohnräume noch mit jungen Schweinen und
Kälbern, sowie mit dem Geflügel zu theilen. Das übrige Vieh mußte, selbst bei strengster
Kälte, im Freien verweilen. Noch viel weniger kannte man Scheuern, nur zur Aufbewahrung
Zigeuner-Bordei's bei Ropcze.
des geernteten oder eingehandelten Knkurutz, der nebst dem Vieh die Hauptnahrung lieferte,
besaß man — wie noch jetzt — geflochtene große Körbe; Einfriedungen der Hofstätten
gab es selten. Künstliche Straßen oder Brücken waren nicht vorhanden, so daß bei nur
einigermaßen ungünstiger Witterung der gegenseitige Verkehr oft völlig abgeschlossen war.
Diese primitive Bauweise findet man, nur wenig verbessert, ab und zu auch noch
heute vertreten, und zwar beim unbemittelten Landwirthe, insbesonders im Gebirge.
Erdhütten, sogenannte Bord ei, gibt es nicht mehr viele. Nur der Zigeuner, der hier etliche,
im Verschwinden begriffene Ansiedlungen, unter andern bei Stnpka und bei Ropcze besitzt,
muß sich noch mit solchen begnügen. Sie bestehen ans einer, etwa metertief in die Erde
gegrabenen, kaum zwei Meter breiten und drei Meter langen Grube, in deren Ecken rauhe,
am oberen Ende womöglich gabelförmig auslaufende Baumstämme eingegraben find. Diese
tragen zwei starke Längshölzer, auf deren Enden zwei den Firstbalken unterstützende Quer-
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Hölzer lagern. Auf diese Weise erscheint das Gerüste für die aus Schwarten, Rinden,
Reisig und dergleichen und darüber befindlichem Erdreiche bestehende Dacheindeckung
gebildet. Die Wände werden durch etwas geneigt eingegrabene, sich an die unteren
Pfetten lehnende Schwarten oder Brettstücke und Erdreich hergestellt, so daß nun diese
primitive Wohnung von außen einem Hügel gleicht. Der Eingang, kaum mehr als einen
Meter hoch, befindet sich im Süden oder Osten an einer Schmalseite; ein kaum kopfgroßes
Fensterchen ist ferner an der wettergeschützten Langseite zu finden. An der entgegengesetzten
Längswand steht, wenig entfernt von dieser, ein aus Ruthen geflochtener und mit Lehm
verschmierter Ofen in Form einer unten etwas stärker gehaltenen, durch die Decke als
Rauchfang reichenden Säule. An drei Seiten des Ofens verbreitert sich der Sockel zu der
zwar äußerst engen, im rauhen Winter aber gerne ausgesuchten Lagerstätte, und unter ihm
ist eine als Backraum dienende kleine Aushöhlung angeordnet. Längs der rückwärtigen und
der Fensterseite sind aus rohen Brettern Lager gezimmert, während an den oft mit Kalk
getünchten Wänden einige Brettchen zum Aufstellen der wenigen Kochgefäße und dergleichen
befestigt erscheinen. Gewöhnlich besitzt eine solche Erdwohnung noch einen aus Flechtwerk
hergestellten Vorraum mit einer winzigen Abtheilung für Schweinchen oder für den treuen
Hund, dessen Anhänglichkeit unter dem Elend seines Herrn in keiner Weise gelitten.
Manchmal kann der letztere noch eine Kuh sein eigen nennen und dann hat er für diese
neben seiner Wohnung einen geflochtenen Stall errichtet; ein eingefriedetes Kohlgärtchen
vervollständigt das Heim des braunen Gesellen und seiner vielköpfigen Familie. Seine
Ahnen, erzählt er uns, waren es, die ihm gelehrt, sich seine Hütte zu bauen.
Nur auf eigener gesicherter Scholle und im völligen Unabhängigkeitsverhältniß des
Besitzers kann sich das Bauernhaus naturgemäß entwickeln. Die namhaften Verbesserungen
an demselben vermag man gerade in der Bukowina nachzuweisen, wo heute ziemlich
allgemein ganz rationell errichtete, den besonderen Verhältnissen angepaßte Wohn- und
Wirthschaftsgebäude anzutreffen sind. Nicht am wenigsten trugen zur Hebung des land-
wirthschaftlichen Bauwesens die Muster bei, welche die Regierungsorgane für die Kolo -
nisten errichteten oder welche letztere mitbrachten. Hier auch sieht man so recht deutlich,
welch überwiegenden Einfluß das Klima und die sonstigen localen Umstünde auf die
Ausgestaltung eines Baues ausüben, während die Überlieferungen und Gewohnheiten des
Volksstammes in minder wesentlichen Baudetails zum Ausdrucke kommen. Allerdings
treten zwischen ruthenischen, rumänischen und Huzulen-Bauernhäusern größere Unterschiede
auf, aber diese wurzeln, wie gesagt, nicht in den einzelnen Völkern als solchen, sondern sie
sind hauptsächlich nur den von ihnen besiedelten, verschiedenen Örtlichkeiten zuzu -
schreiben. In Gegenden, welche von mehreren Nationalitäten — die im Übrigen ihre
Sitten und Gewohnheiten größtentheils beibehalten haben — gleichzeitig bewohnt sind,
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gleichen sich deshalb auch die Baulichkeiten. Als fast unabänderlich und über die Verhält -
nisse der ersten Besiedlung eines Landes noch in späten Jahrhunderten Aufschluß gebend,
können lediglich nur die Form der Hofstütte, die Dorflage und die Flureintheilung gelten,
in welch letzterer erst jüngster Zeit und in fortgeschrittenen Ländern die Commassirung
langsam alte Grenzen durch neue ersetzt.
Sieht man vorläufig von den Baulichkeiten der Colonisten ab, so läßt sich als
Regel aufstellen, daß das Wohnhaus des Landwirthes in Anbetracht der strengen Winter
stets die Sonnenlage besitzt, das heißt mit seiner Vorderfront genau gegen Süden gekehrt
ist, und daß ferner, in den südlichen Theilen der Bukowina wenigstens, die vordere Seite
Huzulenhaus in Rub-pe-boul.
des Hauses zum Schutze gegen die Sommerhitze ein weit vorspringendes von Säulen
getragenes Dach erhält. Unter letzterem ist ein erhöhter Gang angeordnet, der mitunter
zu einer vor der Eingangsthüre befindlichen Laube zusammenschrumpft. Das Wohnhaus
liegt im Allgemeinen nicht an der Grenze der Hofstätte, sondern hinter derselben. Die
Hofeinfahrt befindet sich zumeist an der südlichen, seltener an einer anderen Seite, letzteres
nur dann, wenn eine Hofstätte an einen: bereits vorhandenen Dorfwege errichtet wird,
gegen welchen demnach das Wohnhaus im Allgemeinen schräge gerichtet ist und dem es
häufig sogar seine Rückseite zukehrt.
Das kalte Klima sowohl als der Holzreichthum des Landes führen in allen Theilen
desselben zur Anwendung des Holzbaues. Auch in den holzarmen Bezirken Kotzman und
344
Zastawna, welche, beiläufig bemerkt, die Kornkammer der Bukowina bilden, wird der
Kälte wegen, wenigstens für das Wohnhaus, das Holz als Baumaterial benützt, wenngleich
es meilenweit mittelst Fuhrwerken herbeigeholt werden muß und deshalb theuer ist.
Mancher Landwirth errichtet in der genannten Gegend, wie überhaupt der minder
bemittelte Bewohner der Niederungen, sein Hänschen der Hauptsache nach aus Flechtwerk.
Ein besonderer Schutz gegen die Temperaturseinflüsse wird durch Anfügen von Stall -
räumen oder Schöpfen an der Nord- und Westseite des Hauses, sowie durch Aufschlichten der
Brennmaterialvorräthe an der Ostseite — wie man dies häufig ja auch im rauhen Böhmer -
walde und in den Alpen findet — oder von Kukurutzstängeln, Schilf und Dünger erzielt.
Die Holzwünde ruhen gewöhnlich nur auf etlichen an den Gebäudeecken und einigen
Zwischenpnnkten aufgeschlichteten Bruchsteinen, seltener auf einer besonderen Grundmauer.
Die untersten Balken oder Schwellen stehen gegen außen, namentlich an der Süd- und
Ostfront, bis einen halben Meter über die Wandflucht vor. Auf ihren Köpfen lagern
horizontale Pfosten in Form einer Bank, welch letztere nur dann entfällt, wenn ein erhöhter
Gang angeordnet ist. Oft wird die Bank, gleich den Zwischenräumen unter den Wänden,
bloß aus gestampftem Lehm hergestellt. Aus demselben Material besteht auch der ein bis
vier Decimeter über das Terrain erhöhte Fußboden, für welchen ehedem nur äußerst
selten Bretter zur Verwendung gelangten.
Im Gebirge findet man die Wand durchwegs im Blockbau, und zwar in der Regel
aus sehr sorgfältig zusammengefügtem Rundholz hergestellt, wobei die Fugen mit Moos
gedichtet werden. An der Innenseite, gegen die Wohnrüume zu, erhält jedoch das Holz,
wenn man dasselbe, wie häufig, ebenfalls unverputzt läßt, eine entsprechend glatte Bear -
beitung. Auch im Flachlande stellt man die Wand im Blockbau her, nur benützt man hier
billiges, verhältnismäßig schwaches, rohes Rundholz und verputzt die Wandflächen mit
Strohlehm, der auf zahlreichen, schräg in die Stämme geschlagenen Holznügeln seinen
Halt findet. An den Verbindungsstellen der Wände stehen die Köpfe der unteren Hölzer
gewöhnlich nur um weniges vor, während die der oberen, das Dach tragenden Balken
stufenförmig mehr und mehr Vorkragen.
In neuerer Zeit bearbeitet man für bessere Häuser — im sogenannten Schrottbau
— das Holz vierkantig und läßt die Balkenköpfe nicht vorstehen. Dem Strohlehmverputz
wird hier mit Hilfe von aufgenagelten Leisten der nöthige Halt verliehen; in den Lehm -
überzug eingedrückte Stein- oder Ziegelbrocken bieten diesfalls dem etwaigen Kalkmörtel -
verputz entsprechende Haftung, durch welchen das Gebäude vollkommen das Aussehen
eines gemauerten Hauses erhält.
Eine billige im Flachlande und insbesonders für untergeordnete Bauten häufig
angewendete Wandherstellnng ist die des Riegelbaues mit zwischen die einzelnen Säulen
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eingeschobenen Spalthölzern, die hie und da als Stakenwände bekannt sind und sammt
den Säulen und Riegeln nachträglich verputzt werden. Für Wirtschaftsgebäude und
Nebenräume verwendet man häufig Flechtwerk in Verbindung mit in das Balkengerippe
eingebohrten verticalen Spalt- oder Stangenhölzern. An Wohnhäusern erhält die Flecht -
wand immer einen beiderseitigen Lehmverputz. Ganz kleine Objecte — der Kukurutzkorb,
Schweine- und Geflügelställe rc. — werden lediglich, ohne Zuhilfenahme stärkeren Holzes,
zumeist korbartig mit ovalem, beziehungsweise kreisförmigem Querschnitte geflochten.
Kukurutzkörbe bleiben immer ohne Verputz; die rund geflochtenen Ställe werden häufig
rein verputzt und getüncht und erhalten nicht selten einen gesimsartig vorspringenden
Rumänisches Bauernhaus in Unter-Horoduik.
Rand unter dem halbkugeligen Dache, auf welche Weise sie, abgesehen von den hier nur
sehr klein gestalteten Thürchen, lebhaft an die bienenkorbartigen Stroh- oder Schilfhütten
erinnern, wie sie archaistisch als Wohnungen von Barbaren auf der Antonins- und Marc-
Aurelsäule in Rom dargestellt erscheinen. Die vor wenigen Jahren in Szipenitz bei
Czernowitz durchgeführten Grabungen ergaben Wandbewurfstückchen von wohl ganz
ähnlichen Wohnhütten aus neolithischer Zeit. Verschalungen und Verschindelungen
einzelner Wandflächen kommen erst in neuerer Zeit an besseren Häusern vor.
Der Dachvorsprung, unter welchem landwirthschaftliche Geräthe aufbewahrt werden
oder Stangen zum Aufhängen von Kukurutzkolben angebracht find, ist meist ein bedeutender
und lagert auf den erwähnten vorkragenden Wandhölzern. In Anbetracht der geringen
Tiefe der Gebäude kann der Dachstuhl höchst einfach conftruirt werden; gewöhnlich ist er
346
nur aus Stangenholz znsammengestellt. Mit Ausnahme der älteren, flachen Dächer im
Gebirge, welche zwei Seitengiebel besitzen, ist das Dach allseitig abgewalmt, ziemlich steil
und mit Stroh oder Schilf, Wohl auch mit Knkurutzstängeln, mit Dranitzen, in neuerer
Zeit auch mit genutheten Schindeln gedeckt. Die flachen Dächer tragen Bretter oder
Legschindel. Gesichert werden diese durch darübergelegte, mit Steinen beschwerte Stangen,
welche an vorspringende Pfettenhölzer mittelst Holzbändern befestigt sind.
Das Kleinbauernhaus besteht in der Regel aus einem schmalen Vorraume, an den
sich rechts, die Südostseite einnehmend, eine Stube und gewöhnlich noch links eine schmale
Kammer anschließen. Die Stube mißt oft kaum viereinhalb Meter im Geviert, die
Kammer ist gar nur ungefähr zwei Meter breit. Stube und Kammer besitzen bei einer
inneren Höhe von kaum zweieinhalb Meter eine auf einem Unterzuge ruhende und auf
dem Dachboden mit Strohlehm verschmierte Bretterdecke, während das Vorhaus einer
Überdeckung ganz oder zu seinem größten Theile entbehrt. In der Stube sowohl, die zur
Winterszeit als Küche dient, wie in der Kammer, in welcher, falls nicht etwa im Hofe ein
Holzhäuschen als Sommerküche vorhanden ist, während der warmen Jahreszeit gekocht
wird, befinden sich nahezu zwei Meter im Quadrat messende Öfen mit je einem Back -
raume, gewöhnlich ans einem, mit Lehm verstrichenen Holzgerüste oder aus Flechtwerk
construirt, deren Rauch durch Wandlöcher in den Vorraum zieht und von da in das Dach
dringt, sich durch die Fugen der Eindeckung oder durch Dachlucken seinen Weg ins Freie
suchend. Sehr selten besitzt das Hans einen besonderen Rauchfang, welcher diesfalls aus
Brettern oder Flechtwerk mit Lehmverstrich zusammengefügt erscheint.
An der Südostecke der Stube sind ein Kruzifix und einige Heiligenbilder, diese roh
auf Holz oder Glas gemalt, befestigt, vor welchen der Tisch steht; längs der Süd- und
Ostseite ziehen sich gewöhnliche Bänke herum; an der Nordseite aber ist die oft mehr als
einen Meter breite, bankartige Lagerstätte angeordnet. Als solche dient auch der hinter
dem Ofen und über dem Backraume verbleibende Winkel. Passend angebrachte Wandbretter
tragen die werthvollste Habe der Familie: eine Anzahl zumeist im Hause aus selbst -
gesponnenen Fäden gewebter Leinen, Teppiche und Kotzen, sowie die Bekleidungsstücke,
für welch' letztere wohl auch eine mit Kerbschnittverzierungen versehene, oder, in neuerer Zeit,
mit bunten Malereien geschmückte Truhe dient. Neben der Stubenthüre bemerkt man an
der Wand ein Brett oder Gefach für die Teller, Holzlöffel, das Salzfaß u. s. w., neben
dem Ofen Stangen zum Aufhängen von Wäsche. Sonstige Einrichtungsstücke, eine Uhr
oder dergleichen fehlen, höchstens findet man in der Stube neben einem Webstuhle ein
paar primitiv hergestellte Sessel und einen in der Wand befestigten Spiegelscherben. Im
Großen und Ganzen gleicht der eben beschriebene Raum, abgesehen von den Lagerstätten,
einer nach fränkischer Art angelegten Bauernstube.
347
Die Einrichtung der Kammer, welche im Allgemeinen als Vorrathsraum, wohl auch
als Milchgelaß dient, ist im Übrigen ähnlich jener der Wohnstube. Im Vorhause lehnt
eine kurze auf den Dachboden führende Leiter; es befinden sich ferner daselbst gekrempelter
Flachs und Hanf, Wolle, eine Truhe für Mehl und dergleichen, Fässer und Kannen, die
Handmühle zum Mahlen des Kukurntz, wohl auch Hanfbrecher und sonstige Geräthe unter -
gebracht. Auf dem Dachboden aber sind mitunter Hürden oder Matten zum Trocknen und
Aufbewahren von Obst, sowie Vorrichtungen zum Rauchern des Ziegen- oder Schaf -
fleisches zu finden.
Wie bereits erwähnt, schließt sich an die Westseite des Wohnhauses ein Raum an,
der als Stall oder Schupfen dient und manchmal auch über die Südfront vorspringt; die
Nordseite nimmt häufig ein ebenfalls unter einem Flugdache befindlicher Stallanbau für
Kühe, Ochsen und Schafe oder Ziegen, seltener Pferde, ein, welcher mit dem Vorhause
durch ein Thürchen in Verbindung steht. Hie und da besitzt der kleine Landwirth außer
diesen Stallräumen noch ein aufs einfachste errichtetes, in einem besonderen Hofe liegendes
Viehhaus. Ein knapper Schweinestall mit Auslaufthürchen in den Hof, auf den Dorfweg
oder auf die Hutweide, meist korbartig geflochten, wohl auch ein gleichgestalteter Ziegen
oder Schafstall, gewöhnlich noch ein winziges, geflochtenes Geflügelhäuschen und der nie
fehlende längliche, mit Holzstreben gegen das Umwerfen durch den Wind versicherte und
mit Stroh oder dergleichen gedeckte, oft in zwei oder mehreren Stücken vorkommende
Kukurutzkorb bilden mit dem Hundekoben die noch übrigen, an passenden Stellen im Hofe
errichteten Baulichkeiten. Kellerartige Räume sind selten vorhanden.
Den Eingang in das Wohnhaus vermittelt eine schmale, niedrige Thüre, welche
gewöhnlich eines Schlosses entbehrt und blos mit einem innen angebrachten Holzriegel
verwahrt wird. Man schiebt diesen von außen durch ein neben der Thüre angebrachtes,
armdickes Wandloch vor und zurück. Im Gebirge, und namentlich beim Huzulen, erhält
die Thüre ein sinnreich, ganz aus Holz construirtes, mit einem hölzernen, zusammen -
legbaren Stechschlüssel zu öffnendes Schloß, wie man es in ähnlicher Weise auch noch rm
Pinzgau an den Almhütten antreffen kann. Die Thürbänder bestehen nicht selten bloß aus
Ruthenringen oder sie sind aus Leder hergestellt. Die Fenster bilden einen einzigen kleinen,
verglasten Rahmen, welcher fest in die Wand eingesetzt ist. Im Gebirge gibt es heute noch
viele Wohnhäuser, an denen auch nicht das geringste Stück Eisen vorkommt.
Die Einfriedung besteht in holzreichen Gegenden aus fenzenartig im Zickzack
liegenden Spalthölzern, die zwischen je zwei eingegrabenen und an rhren oberen Enden
mit geflochtenen Holzringen zusammengehnngten Säulen eingezwängt sind, manchmal auch
aus Blockholz. Sie ist wohl auch dem sogenannten Steckenzaune ähnlich, wie er beispiels -
weise im Salzburgischen vorkommt, und zwar ist sie dann aus in die Erde bockartig
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eingerammten Pflöcken gebildet, auf welche langes Spaltholz schräge gelagert wird. Im
Flachlande treibt man gespaltenes Holz knapp nebeneinander und versichert es oben durch
eingeflochtene Gerten, oder man stellt, was am häufigsten vorkommt, einen Flechtzaun
her, der an einzelnen Pflöcken oder an vorhandenen Weidenbäumen seinen Halt findet und
sich Wohl nach oben hin zu einem schmalen, mit Rasenziegel oder dergleichen bedeckten Dache
verbreitert. Erst in neuester Zeit verwendet man Bretter- oder Lattenzäune. In der holz -
armen Gegend am Dniestr, woselbst aus Mangel an Brennmaterial Maisstengel und Schilf -
rohr, das gleich Reisig manchmal auch zur Verbesserung der Wege dient, ja sogar an den
sonnenseitigen Gebäudewänden und Hofmauern getrockneter Dünger für die Feuerungen be -
nützt werden muß, Bausteine aber in genügender Menge vorhanden sind, wird die Einfriedung
als Mauer hergestellt, manchmal auch aus den starken Stengeln der Sonnenblume. Aus
Wall und Graben bestehende Einfriedungen kommen ebenfalls im Flachlande häufig vor.
Hof, Viehauslauf und der etwaige Vorhof sind gegen den Dorfweg, den Nachbar,
den Garten oder gegen die Feldstücke zu umzäunt. Die Verbindung in den Einfriedungen
wird durch einfache Flecht- oder Lattenthore für Fuhrwerk und Vieh hergestellt, während
Fußgänger einen bis auf die halbe Höhe der Einfriedung herabreichenden, thürbreiten
Einschnitt mittelst vorgelegter, als Stufen dienender Steine oder Holzböcke übersteigen
müssen. Ist vor dem Thore eine Brücke über den etwa vorhandenen Wasserabzugsgraben
nöthig, so besteht diese, je nach dem verfügbaren Material, aus Stein, Holzbalken, wohl
auch aus Flechtwerk oder aus einem ausgehöhlten halben Baumstamme. Brunnen werden
ebenfalls gerne mit einem hohlen Baumklotze, wohl auch mit Flechtwerk eingewandet.
Im Hofe befinden sich Geschirrständer — gewöhnlich aus einem dürren Fichtenstämmchen
bestehend — größere Hanfbrecher n. s. w.; in dem Schupfen neben einfachen Fahrzeugen,
Feldgeräthen und Werkzeugen oft Fangkörbe und Netze für Fische.
Im Großen und Ganzen und namentlich gelegentlich der zahlreichen Feiertage, die
das Volk in strengster^Weise begeht, herrscht auf der Hofstätte Reinlichkeit und Ordnung,
insbesonders hält man das Wohnhaus in stets sauberem Zustande; mindestens zweimal
des Jahres bessert das Weib den Wandbewurf aus und tüncht ihn. An unverputzten
Wohnhäusern werden häufig die Balkenköpfe mit Kalkmilch angestrichen, sowie die Fugen
zunächst der Fenster und Thüren verschmiert und getüncht.
Auch Schmuckformen findet man an dem einheimischen, selbst dem kleinsten Bauern -
hause in bescheidener Weise verwendet. Da schneidet der Huzule, der seinen Stolz im
Allgemeinen in die exacte Bearbeitung des Holzes setzt, die Köpfe der oberen, vorkragenden
Wandbalken treppenförmig oder in anderer Weise aus; der Ruthene im Flachlande stellt
mit größter Sorgfalt sein hohes Strohdach her, an welchem er die einzelnen Schichten
durch scharfe Abtreppungen zur Geltung bringt und wohl auch Figuren, wie namentlich
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die Kreuzesform auf der südlichen Dachfläche herstellt, während er den First besonders
sorgfältig deckt und durch Holzböcke versichert. Die Lehmbank erhält einen erdartigen
Anstrich, der Sockel darüber, sowie häufig auch die Fensterumrahmungen und dergleichen,
werden gewöhnlich blau gestrichen und oft mit zickzackartigen Contouren versehen. Der
Rumäne im südlichen Theile der Bukowina kerbt die Gangsüulen zierlich aus und versieht
die Firstenden mit geschnitzten Säulchen, den First aber bringt er durch Ausschnitzen der
vorstehenden Schindel zierlich zur Erscheinung; nach dem Vorbilde der Magyaren ersetzt
er die Firstspitzen hie und da durch ein Kreuzchen. Auch die Thorsüulen werden häufig
mit Schnitzarbeiten versehen; an größeren Hofstätten hauptsächlich findet man nicht selten
einen mit Kerbschnitzereien versehenen überdachten Thorbau, der wohl auch in Verbindung
Deutsches Bauernhaus in Mitoka.
mit einer Eingangsthüre steht. Trotz der im Allgemeinen sehr primitiven Bauweise wird
auf diese Art der Gesammteindruck der Hofstätte unserer einheimischen Bewohnerschaft ein
recht befriedigender, anheimelnder und malerischer, umsomehr dort, wo hiezu auch Mutter
Natur das ihrige beiträgt.
Die größeren Bauernhöfe der autochthonen Völker unterscheiden sich im wesentlichen
nicht von den kleineren Gehöften. Es gewinnt nur das Wohnhaus einigermaßen an Aus -
dehnung, namentlich erweitert sich die westliche Kammer, während die west- und nord -
seitigen Zubauten nun hauptsächlich als Vorrathskammern, Preßränme für Hanf- oder
Sonnenblumenöl oder dergleichen benützt werden. Nicht zu häufig findet man von der
Stube und der Kammer nach rückwärts zu noch kleine Gelasse abgetrennt. Ein oder zwei
Wohnräume dienen wohl auch als Ansgeding, für welches zuweilen ein besonderes
Häuschen im Hofe errichtet wird.
350
Zur Unterbringung von Vieh, namentlich der Pferde, ferner von Geräthen und
landwirthfchaftlichen Erzeugnissen sind nun besondere, mehr oder weniger umfangreiche
Gebäude nöthig, welche, wo nicht Bauholz sehr billig zu haben ist, größtentheils geflochten
oder, wie in der Dniestrgegend, mit steinernen Wänden erbaut werden. In den getreide -
reichen Bezirken kommen besondere Fruchtkammern vor, wo das Korn in geflochtenen Stroh -
körben aufbewahrt wird; es sind hier ferner die Höfe mit Kornfeimen und Strohtristen
besetzt. Auch der holländischen, vornehmlich zur Bergung der Heuvorräthe dienenden Feime
mit beweglichem Dache begegnet man, und zwar in der ganzen Bukowina, ziemlich häufig.
Die umfangreichen Colonisirungen unter Kaiser Josef II. boten den Verwaltungs -
behörden oft bedeutende Schwierigkeiten, da neben vielem anderen auch für die Herstellung
der nöthigen Baulichkeiten in den zu jener Zeit ziemlich unwirthlichen Gegenden gesorgt
werden mußte. Selbstverständlich paßte man die Gebäude einestheils den Bedürfnissen
und Gewohnheiten der Ansiedler an, andererseits hatte man aber bezüglich der Ausführung
derselben dem Klima, dem Baumaterial und allen sonstigen örtlichen Verhältnissen
Rechnung zu tragen. So war es denn naheliegend, die Häuser der Kolonisten, zu welch
letzteren die Deutschen das Hauptcontingent stellten, nach dem sogenannten fränkischen
Bauernhaus-Typus zu errichten, welche Hausform inÖsterreich, zum Theile noch im Lande
unter der Enns, vornehmlich aber im Böhmerwalde, Erzgebirge und dergleichen ihr altes
Bild zeigt, beispielsweise auch bei den Polowzen in Ungarn, bei den Wenden im Spree -
walde u. s. w. zu finden ist. Noch existirt ein von Johann Budinszky gezeichneter Plan
eines kleinen Bukowiner Colonistenhauses.
Die älteren Wohnstätten der deutschen Ansiedler erscheinen im Blockbau errichtet;
erst in neuester Zeit werden die Häuser hie und da gemauert, zumeist aber im Riegelbau
mit eingeschobenen Staken hergestellt und verputzt. Das hiesige deutsche Bauernhaus,
zu welchem gewöhnlich 10 bis 15 Hektar Grundstücke gehören, kehrt dem Dorfwege seine
Schmalseite zu und ist von demselben durch ein Zier- und Gemüsegärtchen getrennt. Der
Eingang befindet sich an der mehr oder weniger gegen Süden oder Osten gekehrten Lang -
seite und führt in das oft gleichzeitig als Küche dienende Vorhaus, in dessen Hintergründe
der hie und da noch offene Herd mit Räuchervorrichtung unter einem Mantelbaume steht.
Manchmal ist das Vorhaus vom Herde durch eine Wand getrennt. Vom ersteren aus gelangt
man einerseits in die verhältnißmäßig geräumige, der Straße zugekehrte, zumeist stuckirte
Wohnstube, die gassenseitig zwei, gegen den Hof zu aber ein drittes Fenster besitzt.
Gewöhnlich liegt neben der Stube noch eine Kammer mit einem Fenster gegen die Straße;
diesfalls ist hinter dem Vorhause eine besondere Küche angesrdnet, welche hauptsächlich
als Sommerküche dient. Sie besitzt an der Hinterwand des Hauses ein Fenster gegen den
Obstgarten oder Nachbargrund zu und enthalt den Backofen und Waschkessel. Die Stube
wird sammt der straßenseitigen Kammer durch einen gemeinschaftlichen Ofen oder Herd
geheizt. Das Innere der Wohnstube ist an älteren Häusern ganz nach fränkischer Art
eingerichtet, indem sich namentlich zwischen den Eckfenstern, im sogenannten Hergottswinkel
— wie wir dies ähnlich schon beim einheimischen Bauernhause kennen lernten — der Tisch
mit Bänken und das Crucisix befinden. In neueren Häusern steht aber in der Regel der Tisch
zwischen den zwei Hauptfenstern, während die anschließenden Zimmerecken durch zwei Bett -
stellen mit dem ziemlich hoch aufgethürmten Bettzeug eingenommen werden. Vom Vorhause
oder der Sommerküche aus gelangt man auf den Boden, sowie in den sich unter einer der
Kammern hinziehenden, durch
eineFallthüre abgeschlossenen
Keller. Eine zweite Stube
oder Kammer oder deren zwei
befinden sich hofseitig neben dem Vorhause, welche als Ausgedingwohnung, Vorraths- oder
Futterkammer dienen; in der Fortsetzung folgt weiters der Pferdestall. Parallel mit dem
Wohnhause zieht sich längs der entgegengesetzten Hofgrenze das eigentliche Stallgebäude mit
einer Futterkammer oder dergleichen hin; daneben sind freistehend oder angebaut der
Schweinestall, der Abort und die Hundehütte errichtet, während der rückwärtige Abschluß des
Hofes durch die quergestellte, früher geflochtene, jetzt gewöhnlich mit Brettern verschalte
Scheuer erfolgt. Der Raum zwischen Wohnhaus und Scheuer dient als Viehauslauf, wohl
auch zur Aufstellung eines offenen Schupfens, wenn ein solcher nicht etwa dem Stallgebäude
angesügt erscheint. An passender Stelle des Hofes befindet sich noch ein Kukurutzkorb, den
der Colonist Wohl erst hier kennen lernte, ihn aber nicht mehr aus Flechtwerk, sondern mit
LiPpowaner Bauernhaus in LipPoweny.
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Lattenwänden errichtet. Die Eindeckung der Dächer, früher aus Stroh, erfolgt nun fast
ausschließlich mit Schindeln. Straßenseitig besaß wenigstens das Wohngebäude einen
Giebel, der nun wohl überall einer Abwalmung gewichen ist. Einen ziemlich beträchtlichen
Theil des Hofes nimmt die Düngerstätte, anschließend an die Schweinestallungen, ein.
Zwischen Straße und Wohnhaus oder Straße und Ätall liegt meist ein Blumengärtchen,
sowie der Brunnen, aus welchem das Wasser mittelst Hackenstange, Welle und Rad oder
mit Hilfe eines langen Hebelbaumes emporgeschafft wird; vor dem Brunnen befindet
sich der Tränketrog. Jedes deutsche Bauernhaus besitzt, gleich dem magyarischen, einen
gemauerten, kreuzgewölbartig überdeckten Rauchfang; auf diesem ist zumeist die Jahreszahl
der Erbauung des Hauses, oder dessen Umbaues ersichtlich. Vor der straßenseitigen
Einplankung neben dem Thore fehlt fast nie eine Sitzbank.
Das Haus des magyarischen Ansiedlers in der Bukowina weist äußerlich keine
bedeutenden Unterschiede gegenüber dem deutschen Bauernhause auf. Charakteristisch an
demselben erscheinen neben dem bereits erwähnten Rauchfange die kleinen Kreuzchen,
welche jedes Firstende der Dächer sowie jedes Dachfensterchen zieren. In der Anlage des
Wohngebäudes, das gewöhnlich nur aus Vorhaus, zugleich Küche, einem geräumigen
Zimmer und einer auf der entgegengesetzten Seite des Vorhauses liegenden Stube besteht,
zeigt es als besondere Eigenthümlichkeit eine schmale gangartige Vorrathskammer, welche sich
gewissermaßen unter der Dachtraufe an der Nachbargrenze der ganzen Länge des Gebäudes
nach hinzieht, vom Vorhause aus zugänglich ist und gegen die Straße zu ein Fensterchen
besitzt. Der Stall liegt gewöhnlich in der rückwärts den Hof quer abschließenden Scheuer.
Bescheidener im Umfang und baulicher Ausstattung kann die Behausung des
Lippowaners, deren wir schließlich noch gedenken müssen, als ein Mittelglied zwischen
dem einheimischen und dem deutschen Bauernhause gelten. Mit Stroh oder Dranitzen
eingedeckt besteht dieselbe aus einer kleinen Stube, einem Vorhause mit weitem nach oben zu
sich verengendem, hölzernem Rauchfange, einer oder mehreren Vorrathskammern für Obst
und dergleichen, einem an das Haus sich anschließenden offenen Schöpfen und einem Stall.
In der Stube fallen das große mit zwei horizontalen und einem schrägen Querbalken
versehene und mit Metalleinlagen verzierte Kreuz, die zahlreichen russischen, triptychon -
ähnlich verschließbaren, in Metall gepreßten Heiligenbilder, die Leuchter und dergleichen
aus, welche Gegenstände mit Bändern und bunten Tücheln drapirt erscheinen. Den iLtall
theilt das Pferd, welches der Lippowaner stets nach russischer Art anschirrt und zwischen
eine Gabeldeichsel in den Wagen spannt, mit einer Kuh oder ein Paar Schafen.
Der in unserer Zeit erleichterte und erhöhte Verkehr, die Fortschritte in der Land-
wirthschaft und Technik, wohl auch die in Kraft stehende Feuerlöschordnung, alles dies trägt
dazu bei, daß das Typische an den einzelnen Bauernhäusern überall langsam verschwindet.
353
In der Bukowina tritt noch als besonderer Umstand das nahe Beisammenwohnen der
verschiedenen Völker hinzu, welche gegenseitig von einander lernen. So findet man
beispielsweise in den völlig zusammenhängenden Orten Fratautz und Andräsfalva
deutsche, rumänische und ungarische Gehöfte, in nächster Nähe dieser Dörfer aber, in
Klimoutz und tNmtana albä, Lippowaner Bauernhäuser; ähnlich ist es bei den nahe neben -
einander liegenden Orten Deutsch- und Rumünisch-Badeutz und der ältesten hiesigen
Szekler Ansiedlung, Jstensegits, der Fall, während das mit Badeutz verbundene Ober-
Milleszoutz zum größten Theile von Ruthenen bewohnt wird. Gewisse, aus alter Zeit
stammende, bei Errichtung einer neuen Wohnstätte geübte Gebräuche haben sich bis heute,
sowohl bei den einheimischen, als bei den eingewanderten Völkern erhalten; hie und da
gründen sie sich, wie z. B. bei den Huzulen, auf Aberglauben.
Das Wohnhaus des hiesigen Großgrundbesitzers, selten stockhoch, ist im Allgemeinen
klein und oft noch aus Holz erbaut; nur wenige Herrensitze, wie z. B. jener in Budenitz,
zeigen schlößchenartigen Charakter. Stall- und Wirtschaftsgebäude sind auf Privat-,
sowie auch auf Staatsdomänen fast immer auf's einfachste ausgeflihrt; in jeder Beziehung
mustergiltig sind diesfalls die Bauten auf den Gütern des griechisch-orientalischen
Religionsfonds. Einfach sind auch die Wohnhäuser der Ortspfarreien und die Gebäude
der gewöhnlich mit ihnen verbundenen Ökonomien.
Zur Zeit der Occupation der Bukowina befanden sich die einzelnen, an den Straßen
liegenden Gasthäuser in demselben elenden Zustande, wie die Straßen selbst; oft waren es
bloße Erdhütten, in denen kaum etwas anderes als Branntwein verabreicht wurde. Bald
entstanden Kunststraßen im Lande, die wesentlich zur Hebung des Verkehrs beitrugen, und
in der Folge auch große entsprechende Einkehrhäuser. Im Grundriß rechteckig, besitzen die
meisten dieser letzteren den Schmalseiten vorgebaute, kräftige Säulenstellungen und Giebel.
Der Länge nach führt durch das Gebäude eine breite Einfahrt, an welcher sich vorne beider -
seitig Fremden- und Wirthszimmer mit den Nebenräumen, rückwärts aber Pserdestände
und dergleichen anschließen. Nach Eröffnung der Bahnlinie Lemberg-Jassy haben die
Reichsstraßen und mit ihnen auch die imposanten Einkehrhäuser an denselben an Bedeutung
wesentlich eingebüßt.
Die Hausindustrie.
Wohl in keiner der Provinzen unseres weiten Vaterlandes ist die Hausindustrie so
sehr Gemeingut der gesammten Bevölkerung wie in der östlichsten derselben, der Bukowina.
Wohin auch immer man seine Schritte lenken mag, ob nach dem äußersten Norden, da
wo der Dniestr seine trägen Fluten dahinwülzt, oder nach dem tiefsten Süden des Landes,
wo der goldenen Bistritza und Dorna herrlich grüne Wasser munter zu Thale laufen, ob
Bukowina. 2.8
354
man die einsame Hütte des Huznlen betritt, an den Hängen des Tomnatik, oder die
blühenden, riesigen Gärten gleichenden Dörfer des Snczawer Bezirkes im Osten, an der
rumänischen Grenze: überall und immer, mögen es nun Ruthenen oder Rumänen sein,
Huzulen, Magyaren, Deutsche, Lippowaner oder Slovaken und wie sie alle heißen, die
Volksstümme, die in diesem kleinen Lande sich zusammengefunden, überall findet man
ein Bindeglied, das ihnen allen gemeinsam, ein vermittelndes Element, das sie mit gleicher
Liebe, mit gleicher Hingebung hegen und pflegen, ihre Hausindustrie — ihren Hausfleiß.
Je nach Lebensgewohnheiten, Tracht, Sitte und Kulturstufe ist allerdings in der
Bethütigung dieses Hausfleißes und in der Anwendung der gefertigten Gegenstände
mancher Unterschied zu bemerken.
Während die sogenannte einheimische Bevölkerung, Rumänen und Ruthenen z. B.
ihre gesummte Kleidung vollständig im Hause erzeugt, ihre Hemden, Kopftücher w. mit
bunten Stickereien der originellsten Art reichlich verziert, zum Hausgebrauch und als
Paradestücke aus Hanf oder Wolle Kotzen und Teppiche mannigfacher Art herstellt,
beschränkt sich die Hausindustrie der eingewanderten Deutschen nur auf die Anfertigung
von Hausleinwand, erstreckt sich jene der Ungarn auf eine reich gestickte Ausstattung ihrer
selbstgemachten Tischtücher, Betten-, Polsterüberzüge rc.
Auch Bodenbeschasfenheit und Anbau-Verhältnisse üben hiebei naturgemäß einen
wesentlichen Einfluß aus. Während im ebenen Theile des Landes den Hanf und Flachs,
zum eigenen Bedarf und darüber, jeder Bauer selbst baut und die Wolle vom Gebirgs -
bewohner zumeist kaufen muß, ist dieser wiederum gezwungen, seinen Bedarf an Flachs und
Hanfgespinnst bei dem Thalbewohner zu holen, ihm dagegen die Erzeugnisse seines Haus -
fleißes, hauptsächlich Holz- und Lederwaaren, überlassend. Die Vermittlung hiebei fällt
fast ausschließlich den periodisch abgehaltenen Jahr- und Wochenmärkten in Czernowitz,
Sereth, Suczawa, Radautz, Kimpolung, Wiznitz und den sonstigen größeren Orten des
Landes zu und speciell die drei letztgenannten sind hauptsächlich die Sammelpunkte der
Gebirgsbewohner. Ein interessantes Bild bietet der Morgen eines solchen Wochenmarkt -
tages in Czernowitz. In Hellen Haufen strömen auf allen Straßen die Landleute zur Stadt;
die Weiber zumeist im Gürtel den Spinnstock, mit der Rechten emsig den Faden drehend
und dabei die großen und kleinen Ereignisse des Tages, die Begebenheiten ihres Dorfes
besprechend. Das Verkaufsobject, einige Ellen selbstgesponnener Leinwand, zwei oder drei
Handtücher, wenn die Noth zum Verkaufe zwingt, ein Teppich oder Wollgürtel, manchmal
selbst nur eine Henne oder ein paar Eier werden in einer Umhängtasche mitgeschleppt. Es
wäre vergebliches Bemühen, der Bäuerin diese Sachen etwa zu Hause abkaufen zu wollen
und sei es selbst um höheren Preis, als sie in der Stadt dafür zu lösen hofft; ist doch dieser
Tag in der Stadt nebenbei auch ihre hauptsächlichste Unterhaltung und Zerstreuung;
355
23*
-»
*
dort trifft sie mit Bekannten zusammen, die Schaubude am Marktplatz ist ihr Theater, die
Drehorgel ihr Concert. Um keinen Preis würde sie diesen Gang, der seit altersher Sitte
und Brauch, missen, wüßte sie doch kaum, was an diesem Tage, wo das halbe Dorf fast
leer ist, zu Hause anzufangen. Noch origineller gestaltet sich das Leben und Treiben an
einem solchen Tage in Radautz, wo sich hauptsächlich der Handel mit Wolle, Pelzwerk der
verschiedensten Art und Holzwaaren einerseits, Flachs-, Hanfgespinnsten und Töpferwaaren
anderseits, abspielt. Meilenweit kommen vom Gebirge her die Huzulen, entweder mit
Wagen, vollgepackt mit Wolle, Fässern, Kannen, Schüsseln und dergleichen mehr, oder auch
Hauswebestuhl (stutivs, krosna).
reitend, und es ist wohl eines der anziehendsten Bilder, wenn man solch einer Karawane
begegnet, im Paßschritt hintereinander daherkommend, die Weiber und Mädchen gleichfalls,
nach Münnerart sitzend, hoch zu Rosse, in Phantastisch grell rother Tracht, vor sich die
doppelte Packtasche, die kurze Holzpfeife im Munde und — emsig spinnend. — Fürwahr
ein malerischer Anblick, der ob seiner Kontraste unvergeßlich bleibt. Auf dem Markte stehen
zu Tausenden die verschiedenen Fuhrwerke aller Art, dazwischen ein buntes Gewühl von
Huzulen, Rumänen, Lippowanern, Ungarn und Deutschen, denen sich auch der Zigeuner
zugesellt, um seine selbstgeschnitzten Löffel an den Mann zu bringen; ein Feilschen
und Handeln in allen Zungen und Tonarten, ein farbenprächtiges Durcheinander der
356
verschiedensten Trachten und Typen. — Ist nun derart der Handel mit den hausindustriellen
Erzeugnissen und Natnrproducten ein sehr reger und der zu Markte gebrachten Maaren eine
große Menge, so muß man doch im Allgemeinen sagen, daß dieselben eigentlich, was speciell
die hausindustriellen Gegenstände anbelangt, durchaus nicht für den Verkauf erzeugt,sondern
im Gegentheil fast ausschließlich zu eigenem Gebrauche verwendet werden, oder, falls nicht
verwendet, in der Stube auf hölzernen Gestellen aufgestapelt zur Schau dienen und von
der Wohlhabenheit des Besitzers Zeugniß ablegen sollen. Übrigens bilden diese Vorräthe
gleichzeitig auch einen wesentlichen Theil der Mitgift für die zu verheiratenden Töchter,
wobei wie überall so auch hier, das Mehr oder Minder zumeist eine ziemlich bedeutende
Rolle spielt.
Der Neu- oder Umbau eines Hauses, Vergrößerung der Stallung, der Ankauf eines
Viehstückes, wohl auch eine schlechte Ernte, der Mangel an Saatkorn oder der näher
rückende Steuertermin sind es allenfalls, welche zu einer theilweisen Veräußerung dieser
im Hause befindlichen Schätze zwingen können. Nur wenige und zwar zumeist die Ärmsten,
denen das kleine Fleckchen Erde, das sie ihr Eigen nennen, nicht den nöthigen Lebens -
unterhalt bieten kann, arbeiten direct für den Verkauf oder Wohl auch derart, daß ihnen
von der wohlhabenden Nachbarin Flachs, Wolle oder Hanf zum Weben geliefert wird,
der sie dann das fertige Product gegen ein gewisses Entgelt für die Arbeit zu übergeben
haben. Wie wenig übrigens bei Herstellung dieser Objecte und speciell der Teppiche an
einen Verkauf derselben gedacht wird, mag aus der Thatsache erhellen, daß die Bäuerin
selbst in den seltensten Fällen im Stande ist, den Werth derselben richtig zu schätzen und
für ihre dabei angewendete Miihe und Arbeit ihr absolut jeder Maßstab fehlt; im Falle
der Noth gibt sie dieselben um einen Spottpreis her, der kaum das Rohmaterial deckt,
während zu anderer Zeit wieder ihr kein Preis hoch genug dünkt.
Der weitaus verbreitetste Zweig der hausindustriellen Beschäftigung ist die Weberei;
sie wird, allerdings in mehr oder minder ausgedehntem Maße, von allen Volksstämmen
des Landes betrieben, und welches Dorf auch immer man besuchen mag, fast in jeder
Hütte findet sich der Webstuhl (rumänisch stativa, ruthenisch krosna). Wenn der Kukurutz
eingeheimst, die Kürbisse eingekellert und Haus und Hof für die lange Winterszeit versorgt
sind, dann wird der Webstuhl, der den Sommer über zumeist in einer Kammer zur Linken
des Hausflures oder Wohl auch in einem hölzernen Schuppen sich befindet, in die warme
Stube hineingeschafft und nun unverdrossen und je nach Zeit und Muße von Mutter oder
Tochter emsig Faden an Faden gereiht, bis die wärmende Frühlingssonne wieder zu
anderer Thätigkeit, zur neuerlichen Bestellung von Garten und Feld ins Freie ruft. Dann
wandert wohl der Webstuhl wieder in die Kammer, wird jedoch auch im Sommer, wenn
die Aussaat bestellt ist oder bei der Feldbearbeitung eine Stunde erübrigt werden kann,
357
immerhin fleißig gehandhabt. Dieser Webstnhl selbst ist von Primitivster Art und seit
nltersher immer derselbe geblieben; der urconservative Bauer ist eben auch in dieser
Beziehung äußerst unzugänglich und nur sehr schwer zu einer Neuerung zu bewegen; wie
Eltern und Ureltern es gehalten, davon will auch er nicht abgehen, mag auch der Vortheil
des Neueren ein noch so augenfälliger sein. Es ist staunenswerth, welche vorzügliche Arbeit
trotz alledem in den Erzeugnissen der Leinen- und Wollweberei und speciell den Hand -
tüchern zu finden ist und welche geradezu klassisch schöne Musterung die Bäuerin denselben
zu geben weiß.
Die auf dem Webstuhl gefertigten Gegenstände sind folgende: gröbere und feinere
Leinwand (pürmü, polotno), Hand- und Kopftücher (stsr^ar, ruemrM, Taschentücher
(imlininü, S26i-6nka), grobe Kotzen (tot, vroi-ola), Teppiche (lüieor, llorveroo), Umhäng -
taschen (traistä, tamtra), schmälere und breitere Gürtel (li-ünglne, brau; oüraM, pojach,
ferner ein rechteckiges, zumeist braunes, Wohl auch schwarzes, mit rother Einfassung
versehenes Stück Tuch, mitunter auch mit Goldfäden durchwirkt, welches bei dem
weiblichen Theile die Stelle des Rockes vertritt (eütrirllü, llorbolüa) und schließlich ein
grobes braunes oder weißes Tuch (poslav clo sumans, sriüno), woraus für Männer und
Weiber die Mäntel, Röcke und Beinkleider (inantü, suinan, ilari; mairta, sercknü, llaem)
verfertigt werden. Dieses letztere wird, wenn es den Webstuhl verläßt, vorerst noch in
einer der zerstreut im Lande befindlichen Stampfmühlen (pinü, slnpa) durch 24 Stunden
mittelst hölzerner Hämmer bearbeitet, wodurch es dicker wird und ein vollständig haariges
Aussehen erhält. Besonders hervorzuheben ist die Erzeugung der Teppiche, wenn auch von
vornherein zugestanden werden muß, daß mit der fortschreitenden Erschließung des Landes,
mit der leichteren Einfuhr gefärbter Garne und Wollen die einstige Solidität der Erzeugung,
die Güte des Materiales, die stimmungsvolle Harmonie der Farben wesentlich gelitten hat
und wenn nicht von berufener Seite dafür eingetreten wird, das gänzliche Verschwinden
dieses schönen Zweiges der heimischen Hausindustrie wohl nur mehr eine Frage nicht
allzuferner Zeit sein kann.
Die gegenwärtig erzeugten Teppiche sind, den zumeist schmalen Webstühlen zufolge,
fast ausschließlich Lauser, welche eine Breite von 60 Centimetern bis 1 Meter aufweisen.
Aus früherer Zeit, wo insbesondere auch bei Pfarrer und Gutsbesitzer noch vielfach in:
Hause gewebt wurde, finden sich allerdings auch breitere Teppiche, wie auch noch heutigen
Tages bei manchem wohlhabenden Bauer des Radautzer und Kimpolunger Bezirkes sich der
breitere Webstuhl vorfindet; doch gehört dies bereits zu den Ausnahmen, ja Seltenheiten.
In jetziger Zeit befassen sich mit der Erzeugung breiterer Teppiche fast nur mehr
die im ganzen Lande bekannten sogenannten Teppich-Juden (ein Hanptsitz derselben ist
Waszkoutz am Czeremosz), welche, gewöhnlich in landesüblicher Weise unter Lieferung des
358
Rohmateriales, für die verschiedenen Gutsbesitzer auf Bestellung arbeitend, auf ihren
Stühlen bis 4 Meter breite Gewebe Herstellen können.
Wohl nicht zu den Geweben gehörig, doch gleichen Zwecken wie die Teppiche
dienend, möge hier noch eine Art von Filzdecken (paslü) erwähnt werden, welche ans
Wolle in etwa 1 Meter Breite und 2 bis 2 5 Meter Länge und darüber hergestellt werden.
Auf einem ausgebreiteten Leintuch von der erforderlichen Größe wird die lose Wolle
circa 20 Centimeter hoch aufgeschüttet und nunmehr, unter stetem Besprengen mit Wasser
immer fester und fester eingerollt, bis die fertige Decke schließlich eine Dicke von 2stz bis 3
Centimetern erhält. Auf dem dunkelbraunen Grunde hebt sich, durch Auflegen weißer
Wolle erzielt, irgend ein einfaches Ornament ab.
Jedoch nicht auf die Verarbeitung des fertigen Gespinnstes am Webstuhl allein
erstreckt sich die häusliche Beschäftigung, vielmehr wird auch dieses selbst allerorts eigen -
händig erzeugt. Von dem zumeist mit Kukurutz bebauten Grundstücke wird ein kleiner Theil
im Ausmaße von mehreren Quadratmetern mit Flachs (in, Isn) oder Hans (eünsxm,
üouoxli) bebaut. Zur geeigneten Zeit, das heißt, nachdem der Hanf abgeblüht, der Flachs
nahezu zur Reife gekommen, wird derselbe gezogen, beziehungsweise gerauft und in Bündeln
Pyramidenförmig auf dem Felde zum Trocknen aufgestellt. Nunmehr erfolgt das Rösten,
und zwar wird hiebei fast ausschließlich die Wasserröste entweder in dem nächsten Bache
oder in eigens hiefür gegrabenen seichten Gruben angewendet. Nach Beendigung dieses
Processes, das ist in fünf bis acht Tagen, wird das so präparirte Product in Reihen auf
dem Felde ausgebreitet, um von der Sonne gut durchgetrocknet zu werden, worauf es
eingeheimst und nunmehr dem Brechen und Hecheln unterzogen wird. Das Brechen wird
ausschließlich mit Handbrechen vorgenommen und sind deren größere (umlitoi, katalia)
und kleinere (irielita, tsrlxca) in Verwendung. Auch das nachfolgende Hecheln wird vorerst
auf einer gröberen (railü, ciorllirvka) und sodann auf einer feineren Hechel (poptoiro,
vorgenommen. Die Gespinnstfaser wird hiebei stets sorgfältig nach Länge und
Feinheit gesichtet, um sodann zu feinerem oder gröberem Garn, der Abfall, das Werg, zu
dickeren Schnüren versponnen zu werden. Das Spinnen erfolgt durchwegs mittelst Spinn-
stock (kurea, ürmicvka) und Handspindel (kus, rvaretsno). Das Spinnrad ist in der
Bukowina noch etwas fast gänzlich Unbekanntes. Mittelst der hiezu dienenden Geräthe wird
das gesponnene Garn nunmehr entweder in lange Strähne oder Spulen aufgewickelt, je
nachdem es als Kette auf den Webstuhl gespannt oder als Schußfaden verwendet werden
soll. Nachdem sie den Webstuhl verlassen, wird die fertige Leinwand beim nächsten Bache
auf dem Rasen gebleicht, um sodann in Rollen gewickelt den anderen in der Truhe
befindlichen Vorräthen zugesellt oder gleich, je nach Bedarf, zu Kleidungsstücken verar -
beitet zu werden.
Trotz des bunten Durcheinanders ver -
schiedenster Volksstämme verleiht doch gerade dieser
im Vorstehenden geschilderte Zweig der häuslichen
Beschäftigung, der Anbau und die Verarbeitung von
Flachs und Hanf, der Bukowina ein derart einheit -
liches Gepräge, wie es wohl selten anders wo zu
finden ist. Aus jedem Hofraume tönt uns der Schlag
der Breche entgegen, da wird gehechelt und gesponnen,
in der Hiitte surrt das Schifflein am Webstuhl emsig
hin und her; auf Hutweide und Bachesrain tummeln
sich geschäftig hochgeschürzte Weiber und Mädchen, ihrer
Hände Fleiß, das gefertigte Linnen zu begießen und den
bleichenden Strahlen der Sonne auszusetzen.
Vielfach verbreitet ist bei dem weiblichen
Theile der bäuerlichen Bevölkerung die Kunst
des Stickens, vornehmlich wird sie aber bei
den beiden Hauptstämmen des Landes, den
Rumänen und Ruthenen, gepflegt, deren
Tracht hiesiir eine reichlicheBethütigung bietet.
An und für sich ist diese Tracht die
denkbar einfachste: ein langes, bis über die
Kniec reichendes Hemd und darüber ein um
die Hüften geschlagenes, viereckiges Tuch, die
bereits erwähnte cmtrnitn oder
liorbotün, welche mit zwei
mehrfach umschlungenen Gür -
teln aus Wolle festgehalten
Erzeugnisse der häuslichen Textil-Jndustrie.
360
wird. Speciell das Hemd aber zeigt eine ganz eigenartige reiche Stickerei. Der oberste
Theil des Ärmels wird in drei oder vier Reihen übereinander mit einem fortlaufenden oder
aufrecht stehenden Einzelornament ausgestattet und heißt ultitä, darunter zumeist
in gelber Farbe, doch findet sich auch blau, grün oder schwarz, ein fast ausschließlich
geometrisches Linienmuster, die lirerstsulü, iuoi-8^iiku, an welches sich nach unten hin
bis zum Ärmelrand ein vertical oder in mehreren schrägen Reihen untereinander gestelltes
Streifenornament hinzieht. Desgleichen laufen über Brust und Rücken mehrere Reihen
kleinerer oder größerer, zumeist rosettenartiger Einzelmnster. In manchen Gegenden des
Flachlandes, sowie bei den Huzulen ist es Sitte, auch die Männerhemden theilweise mit
derartigem Schmucke zu versehen.
Welch eine Fülle der verschiedenartigsten und schönsten Motive sich in diesen
Stickereien vorfindet, ist erstaunlich und gibt beredtes Zeugniß von dem natürlichen
Kunstsinn dieses Volkes; zumeist durch Tradition von Mutter aus Tochter überliefert,
vielfach aber auch der freien Phantasie entsprungen, tritt uns hier ein Reichthum von
Formen, eine Harmonie der Farben entgegen, die uns an das Beste morgenländischer
Kunst erinnert, und ebenso wie dort, alles mit den primitivsten Mitteln, ohne Anleitung,
ohne Vorbild ausgeführt. Das junge Mädchen, kaum flügge geworden, greift schon nach
Nadel und Faden und macht, während Gänse und Schafe auf der Hutweide seiner Obsorge
anvertraut sind, die ersten schüchternen Versuche in der heimischen Kunst.
Jedes Dorf fast hat seine speciellen Muster, seine besonderen Eigenheiten und
Kennzeichen, an denen festgehalten wird und an welchen allein schon fast mit Sicherheit
zu bestimmen, aus welcher Gegend die Betreffende sei. Hochinteressant ist die Thatsache,
daß die meisten ihrer Ornamente, sowohl die bei den Stickereien als Webereien verwendeten,
mit Namen benannte Nachbildungen der sie umgebenden Gegenstände, sowohl des Thier-
als Pflanzenreiches, wie auch der ihnen Nächstliegenden Geräthschaften bilden, z. B. Peter -
silie, Rose, Hühnchen, Krebs, Pferd, Rechen, Egge rc. rc.
Die sowohl beim Sticken als Weben vorwiegend verwendeten Farben sind: schwarz,
roth, citronen- und orangegelb, blau und grün und werden, zwar nicht überall mehr,
da eben auch hierzulande die mit Anilin gefärbten Wollen leider immer mehr Eingang
finden, doch noch vielen Ortes und namentlich von den älteren Weibern, die an ihren
alten Recepten festhalten, mit Zuhilfenahme von Pflanzen hergestellt. Zur Herstellung der
gelben Farbe werden Blätter und Rinde des Holzapfels oder Ginster, zu jener der rvthen
Farbe Wasserdosten verwendet; Braun und Schwarz werden ans Rinde der Birke, Erle,
Eiche, Zwetschke, Wallnußblättern rc. erzeugt. Auch schwarzer Hollunder, Safran, Wolfs -
milch, Butterblume, Kamille, Seidelbast und noch manche andere finden sich in ihren,
durch mündliche Überlieferung erhaltenen Recepten.
- .' ^ -I...
Hausindustrie: Holzarbeiten. Flechtwerke, Thonarbeiten rc.
Besondere Kunstfertigkeit und
Geschmack zeigt sich auch in der Her -
stellung von Perlenstickereien der ver -
schiedensten Art und insbesondere sind die
LFarckits, Morckauo genannten, aus Perlen
geflochtene schmälere oder breitere Bänder ^
hervorzuheben, welche von den Mädchen als j
Halsschmuck oder zur Verzierung ihres Kopf -
putzes (Allitü, eoäa), verwendet werden,
wenn sie des Sonntags zur Kirche oder zum
Tanze gehen. Derartige Bänder zieren als
Angebinde ihrer Herzallerliebsten zumeist
auch die Hüte der Burschen.
Auch die verschiedenen Pelze (eojoe
pisptar bouclitä, LoLuoll L^ptar) hier -
zulande zeigen vielfach reiche Stickerei; diese
jedoch wird nur von Männern ausgeführt und
es sind hierin besonders einige Künstler, die
das ganze Jahr hindurch, von Dorf zu Dorf
ziehend, in den ein -
zelnen Hütten ihr
Können verwerthen.
Anknüpfend an
die Herstellung und
Verwendung der
Farben mag hier auch
362
des gleichfalls im ganzen Lande verbreiteten Brauches des Färbens und Bemalens
der Ostereier gedacht werden, welche sowohl durch die Mannigfaltigkeit der Zeichnung
als insbesondere auch durch deren exacte Ausführung unsere volle Bewunderung
erregen.
Hauptsächlich im Süden und Südwesten, den gebirgigen und waldreichen Thcilen
der Bukowina, finden wir die hausindustrielle Verarbeitung des Holzes vertreten. So wie
er Hütte und Stall mit eigener Hand erbaut, fertigt der in jenen Gegenden wohnende
Rumäne oder Huzule auch zumeist alle zu seiner Wirtschaft nöthigen Gegenstände und
Geräthschaften selbst an. Von einem mehr, vom anderen weniger, werden im Gebirge
Fässer, Kübel, Kannen, Tröge, Schüsseln und Teller, kleine Dosen sür Brändza und Butter,
Schnapsfäßchen, Ofenkrücken, Schubkarren, Rechen und Heugabeln, Pfeifen und
Schalmeien, Spindeln, Stöcke und dergleichen mehr erzeugt, welche dann auf den Wochen -
märkten ihren Absatz finden. Auch hier macht sich ein gewisses Verlangen nach äußerem
Schmucke geltend und zeigen die meisten der genannten Gegenstände, allerdings in ziemlich
primitiver Anwendung der Brandtechnik, verschiedene lineare einfache Ornamente. Die
erwähnten Stöcke, lo^orus, loporae genannt, kleine Fäßchen und Dosen, Pulverhörner
ans Holz oder Horn, Waffen und dergleichen weisen Verzierungen in Drahtgeflecht,
eingeschlagenen Metallösen, Gravirungen, Kerbschnitt und anderem auf. Auch die aus
Leder von ihnen angefertigten Gürtel, Umhängtaschen, Geldbeutel, Reitpeitschen u. a. sind
reichlich mit Metallplättchen, breiten Spangen, Knöpfen re. versehen.
Theilweise noch hausindustriell, mitunter aber schon in das Gewerbsmäßige hinüber -
greifend, ist die in einigen Orten betriebene Erzeugung der verschiedenen landläufigen
Thonwaren, die Herstellung vvn Steinmetzarbeiten, speeiell von Grabkreuzen in den stein -
reichen Gegenden des Dniestr und bei Suczawitza, sowie die Anfertigung der vom Land -
volke getragenen Pelze, Hüte, Stiefel und Schuhe in Radautz, Suczawa, Gnrahumora,
Kimpolung und Wiznitz.
In den weidenreichen Niederungen des Czeremosz, Prnth und Sereth ist die
Korbflechterei vielfach zu finden; die Bewohner des nördlichen und nordwestlichen Theiles,
der Kornkammer des Landes, tragen selbstgemachte flache oder cylinderförmige Stroh -
hüte, erzeugen Strohmatten, Bienen- und Fruchtkörbe; das selbstgefertigte Fischnetz in
der Hand, sitzt stundenlang der Bauer am Flußufer, sich die Ingredienzien zu seinem
Leibgericht, dem bürste? zu erhaschen; kurz, überall, und je nachdem Mutter Natur ihn
dabei reicher oder minder reich unterstützt, sehen wir den Bnkowiner Bauer seine Hände
regen und die verschiedenen Gaben derselben verwenden, zur Fristung seines Lebens,
zur Ausschmückung seines Heims, zur Begründung, Förderung und Erhaltung seines
Wohlstandes.
363
Die D'lusik.
Kirchenmusik. — In der heutigen Völkermusterkarte des schönen, grünenBuchenlandes
bilden die Rumänen und die Ruthenen den Urstock der Bewohner. Beide Völker bekennen
sich zur griechisch-orthodoxen Kirche, der die Instrumentalmusik fremd ist, während der
Gesang einen integrirenden Theil ihres Gottesdienstes bildet. So windet sich die kirchliche
Vocalmusik wie ein duftender Blumenkranz durch die orientalische Liturgie und alle gottes -
dienstlichen Handlungen und ist eine treue Begleiterin des griechisch-orientalischen Christen
von der Wiege bis zum Grabe. Der kirchliche Gesang ist hier dreifach: 1. der Einzelsang;
2. der unisone Antiphonensang und 3. der harmonische, mehrstimmige Chorgesang.
Das Christenthum, welches jederzeit Wort und Ton zum Ausdruck seiner religiösen
Gefühle wählte, brachte zahllose poetische und musikalische Erzeugnisse hervor: Hymnen,
Lob- und Preisgesänge, Sonntags- und Festtagslieder, die sich trotz aller Vernichtnngswuth
der römischen Imperatoren erhielten und ein unerschütterliches Bollwerk des Glaubens
bildeten. So häuften sich durch mehr als sieben Jahrhunderte in der morgenlündischen
Kirche Texte und Sangweisen ins Unglaubliche. Johannes, Minister des Kalifen von
Damaskus, später Mönch im Kloster des heiligen Sawa (gestorben 776), brachte die Texte
und Melodien in ein geordnetes System, theilte das gesammte Material in acht Haupt -
sangordnungen und benannte sein Werk „Oktoichos". Für den kirchlichen Unisonosang
bildet der Oktoichvs bis auf den heutigen Tag eine unwandelbare Norm. Nach, welcher
Hauptmelodie, nach welchem euutrm lirmus die Texte an Sonn- und Festtagen gesungen
werden, zeigt das „Tipikonbuch" an. Die Melodien fixirte er mittelst verschiedener
Stellung der Buchstaben des griechischen Alphabets, die er über den Text schrieb.
Gegen das Ende des XU. Jahrhunderts erfand der Domestikos Didaskalos, das ist
der Regenschori der kaiserlichen Sänger der Aja-Sophia zu Constantinopel, Johannes
Knkuzelos, später Mönch aus dem Athos, für den griechisch-kirchlichen Unisonogesang eine
eigene Schnörkelnotenschrift, die griechischen Nenmen, die bis zum heutigen Tage in
der Patriarchalkirche von Constantinopel, auch theilweise in den Kirchen Rumäniens im
Gebrauche steht, obgleich diese Notirungsweise der Psaltikia zum Verfalle des griechischen
kirchlichen Einzelgesanges beitrug, weil sie selbst gebildeten Musikern durchaus unverständlich
ist. Die Gesanglehrer oder Protopsalten besitzen gegenwärtig fünf ganz besondere Arten
derartiger Noten griechischer Semiotik, welche nach Forkel 990 Zeichen erreichen. Dieses
unklare und verworrene, linienlose Notirungssystem ist so schwer zu handhaben, daß die
Sangweise blos durch oftmaliges Vorsingen mechanisch dem Ohre eingeprügt wird, welche
mit der Zeit durch willkürliche Änderungen und Zugaben der Sänger viel von ihrer
alten ursprünglichen Melodik und Originalität verliert.
364
Der Fürst der Moldau Alexander Lapusznean gründete (1558) nach dem
Vorbilde des Patriarchen von Constantinopel in seinem Lande Sangerschulen, in welchen
der kirchliche Unisonogesang nach griechischer und bulgaro-slavischer Melodie und Sprache
gelehrt wurde. Später übersetzte man die griechischen und slavischen Texte der Kirchen -
gesänge ins Rumänische und sang sie nach der griechischen Melodie.
Zur Zeit als die Bukowina an Österreich kam, erklang in allen Klöstern und
Pfarrkirchen, in welchen der Gottesdienst in rumänischer Sprache abgehalten wurde, der
kirchliche Unisonogesang nach der alten griechischen Melodie. Diese psalmodirende näselnde
Singart erhielt sich bis heute. Viele dieser Melodien haben einen mächtigen, erhebenden
Charakter; der eantus lninns derselben stützt sich wohl auf einen bestimmten Grundton,
durchläuft aber gewöhnlich modulatorisch fremde Tongebiete und läßt sich in keine geregelte
Harmonie zwängen. Der sogenannte Json, die einzig zulässige harmonische Begleitung
dieser Melodien, besteht aus dem Grundtone und dessen Quinte, welche ununterbrochen
während des Gesanges, unbekümmert um die melodische Fortschreitung, mit sehr geringer
Abwechslung mitklingt. In Klöstern und Kirchen, in welchen der Gottesdienst in der kirchen-
slavischen Sprache abgehalten wurde, erklang zu jener Zeit der Gesang nach der altrussischen
und bulgarischen Melodie. Diesen, wie jenen kirchlichen Einzelsang lernten Weltpriester,
Mönche und Kirchensänger, theils nach Büchern mit den unverständlichen griechischen
Schnörkelzeichen, theils nach alten russischen Büchern mit Mensuralnoten oder durch mnemo -
technische Schulung. Dieser schwierigen Lehrmethode setzte der Erzbischof und Metropolit
der Bukowina Doetor Silvestru Morariu-Andrievici ein Ziel. Sein Sangbuch:
,?saltikia disorieaaseä" wurde 1879 in moderner Notenschrift gedruckt und enthält die in
Tacte gebrachte, mit rumänischem Texte versehenen griechischen Melodien des Oktoichos und
andere kirchliche Gesänge. Die Eigenartigkeit dieser Melodien widerstrebt aber vielen
Gesetzen der heutigen Notation. Ähnliche Sammlungen kirchen-slavischer Gesänge existirten
bisher nicht, und war zu befürchten, daß mit dem Ableben der wenigen Kirchensänger
dieselben in Vergessenheit gerathen. Eine gedruckte Sammlung erschien 1897 von Eugen
Emanuel Worobkiewicz.
Erst um das Jahr 1840 kommen im hiesigen Seminarium die Anfänge des kirchlichen
Chorgesanges bemerkbarer zum Vorschein. Ein eingewanderter Cantor Namens Patraszewski
unterwies den Seminarchor blos durch oftmaliges Vorsingen im sehr einfachen Choral -
gesange, da für Lehrer und Sänger die heutige Notenschrift unverständliche Zeichen
waren. Allein die Resultate dieses Unterrichtes entsprachen nicht den Erwartungen des
damaligen Bischofs Eugen Hakman und er berief Fachmusiker, wie Prohaska, Zwoniczyk,
König, Konopassek, Pauer, denen die Hebung und Förderung des griechisch-orthodoxen
Kirchenchoralgesanges anvertraut wurde. Damit war ein bedeutender Schritt nach vorwärts
365
gethan; denn Notenkenntniß und ein Singen nach Noten wurde theilwcise erzielt, ein etwas
geregelter Gesang zu Gehör gebracht. Da aber diese Gesanglehrer weder der rumänischen
noch der kirchenslavischen Sprache mächtig waren, ihnen daher der griechisch-orthodoxe
Gottesdienst fremd war, überdies einschlägige kirchliche Compositionen im Lande nicht
vorhanden waren, so konnte der Choralgesang sich nicht gedeihlich fortentwickeln. Erst
nachdem im Jahre 1868 der griechisch-orientalische Pfarrer Isidor Worobkiewicz, der
bereits früher durch gedruckte liturgische Compositionen die erforderliche musikalische
Eignung erwiesen hatte, an das Wiener Conservatorium zur Ausbildung geschickt und nach
bestandener Prüfung zum Gesanglehrer für die griechisch-orientalische Jugend an allen
Lehranstalten zu Czernowitz ernannt wurde, wurde der Choralgesang in ein besseres
Der Kolomyjkatanz der Huzulen.
366
Fahrwasser gelenkt. Der musikalische Standpunkt, den der Seminarchor heute einnimmt,
ist ein hervorragender; nicht nur homophone, sondern auch schwierige polyphone kirchliche
Tondichtungen gehören ins Programm seiner Aufführungen, über welche selbst Seine
Majestät, unser geliebter Herr und Kaiser, bei seinem Besuche der Bukowina im Jahre
1880 und weiland der Durchlauchtigste Kronprinz Rudolf im Jahre 1887 sich lobend
auszusprechen geruhten. Einheimische Musiker, welche den Geist des Chorgesanges
der griechisch-orientalischen Kirche erfaßten und sich durch Kompositionen liturgischer
Chöre, Psalmen, Hymnen u. a. hervorgethan haben, sind Carl von Miculi, Eusebius
Mandyczewski, Isidor Worobkiewicz und Cyprian Porumbesku. Auch der Verein für
geistliche Rhetorik und Musik „^enäsrmn orloäoxaZ der rumänische Gesangverein
„Armonia", der gemischte Chor des Staats-Ober-Gymnasiums und der Verein „Lumina"
tragen redlich das ihrige bei, um den Herrn der Welten in erhebenden Harmonien zu
lobpreisen und zu verherrlichen. Im Jahre 1882 wurde der Verein zur Pflege und Förderung
der römisch-katholischen Kirchenmusik in Czernowitz gegründet. Derselbe verfolgt als Zweck
die Förderung echter Kirchenmusik im Allgemeinen und die möglichst gelungene Aufführung
einzelner gediegener Tonwerke an kirchlichen Feiertagen.
Die Pflege des evangelischen Kirchenchorals hat sich der in jüngster Zeit gegründete
„Czernowitzer evangelische Kirchengesangverein" zur Aufgabe gesetzt und erfüllt dieselbe
in erfreulicher Weise. In der Kirche der griechisch-katholischen Russinen erklingt bei
gottesdienstlichen Handlungen ein erhebender Chorgesang, welcher durch das Zusammen -
wirken von Männer- und Frauenstimmen zum wahren Kirchenvolksgesange geworden ist.
Auch der Gesang für gemischten Chor im Czernowitzer jüdischen Tempel ist erwähnens-
werth. An jedem Sabath gelangen hier die gewöhnlichen rituellen Gesänge zur Aufführung,
während an hohen Festtagen beachtenswerthe Compositionen tadellos gesungen werden.
Musik der Rumänen. — Die Liebe zur Musik und Poesie hat im Herzen eines
jeden Rumänen tiefe Wurzel geschlagen. Ohne Lied, ohne Sang wäre sein Leben wie das
der Blume ohne Licht, ohne erwärmenden Sonnenschein. Die Melodik der rumänischen Volks -
lieder und Tanzweisen, dieser ungeschminkten Ergüsse der träumenden Volksseele, ist durchzuckt
von ruheloser Melancholie, von einem tief in die Seele einschneidenden Klagelaut. Die über -
mäßige Secunde der sechsten zur siebenten Tonstufe zum Leitton und die erhöhte Quarte
der Molltonleiter bilden den musikalischen Ausdruck für dieses charakteristische Merkmal.
Den ersten Platz unter den Volksliedern der Rumänen nimmt die elegische,
meditirende, balladenartige äoirm ein. Hieher gehören die äolna äs jals (Trauer-Doina),
die äoma Iraiäuosnsea, äoinn voinwsaseü (Hajduken- und Helden-Doina), die äoina
eiobansu8cch äuirra äs lu irmnts (Hirten-Doina), die äoina äs amor (Liebes-Doina) u. a.
Daran reihen sich Lieder an, die auf die Assentirung der Burschen, den Jammer der Mutter
beim Scheiden des Sohnes, den Militärdienst, den Heldentod des Kriegers und dergleichen
Bezug haben, wie auch Wiegen-, Schlummer- und jene Klagelieder (booiluri), welche bei
Beerdigungen die Klageweiber, die Beweinerinyen (boeitours) jammernd anstimmen. Stirbt
im Gebirge ein angesehener Mann, ein Hirt, so wird er sowohl bei den Rumänen, als auch
bei den Huzulen mit den melancholischen, in Berg und Thal weithinschallenden Tönen
des lmeium (russisch lrembitu), eines 3 bis 3Vs Meter langen Alpenhorns (Schalmei)
und jenen der langen landesüblichen Rohrflöte (lluor) zur letzten Ruhestätte geleitet.
Die gehobene Seelenstimmung, die überschäumende Lebenslust und Freude äußert der
Rumäne nicht blos durch Gesang, sondern auch in rhythmischen Bewegungen des Körpers.
Er besitzt seine höchst originelle Tanzmusik. Der wichtigste und beliebteste Nationaltanz
ist die Hora. Während Zigeuner, die seripeurl und lurlluri, die Tanzweise aufspielen,
singen dazu die Bursche tanzend, zumeist improvisirte, überaus lustige Vierzeiler. Die
llloru, musikalisch gewöhnlich aus drei Theileu bestehend, ist ein Kreisreigentanz (Horn
mure), der sich später in Paare auslöst. Die Perioden sind acht- bis sechzehntactige eigen -
artige Melodien; sechsachtel und dreiachtel Tactarten sind vorherrschend, seltener ist die
zweiviertel Tactart. Hier die Melodien einer lloinu und einer llloru:
Doma.
368
Zu den Tänzen der Rumänen zählt man noch die sogenannte Nolckovonauseä
(moldauischen Tanz), den ^reanul, den Lräul, den 8orda-Tanz, die Oorabiaseü (Schisser -
tanz), I.ususeü (russischer Tanz), den OLIrmerril u. a. Bei eigenartiger Melodik ist der
Rhythmus dieser Tänze ein recht bewegter. In manchen Ortschaften, besonders in der
Nähe deutscher Ansiedlungen haben es die prickelnden Melodien des Walzerkönigs Johann
Strauß dem Rumänen angethan; recht tadellos bringt er auch den Drehtanz im Dreiviertel -
tact „an der schönen blauen Donau" zu Stande. Das mehrstimmige Trinklied, wie
überhaupt Lieder mit harmonischer Vocalbegleitung kommen beim rumänischen Landvolke
erst in neuester Zeit zu einiger Geltung.
Die dritte Hauptgruppe der rumänischen Volkslieder bilden jene, welche zur
Weihnachtszeit coiincka, cLnlecm cke stau, eolincka cu Villiemul, zur Zeit des Jahres-
309
Wechsels — eoiincko clo uurck non, und der Erscheinung Christi (Jordansfest) — ooiincko
äe bote/. gesungen werden. Auch gibt es Kinderspiellieder, die zur Osterzeit erklingen —
eolincko cke pusti. Die Melodien und der Inhalt dieser Lieder variiren nach den ver -
schiedenen Ortschaften, ihr charakteristisches Merkmal ist Ernst und Frömmigkeit.
Innige, sinn-, auch humorvolle Volksdichtungen werden bei den Hauptmomenten der
rumänischen Hochzeitsfeier von den Brautführern halb singend deelamirt.
Zu den gebräuchlichsten Musikinstrumenten der Rumänen in der Bukowina zählt
man außer der Geige, dem Cymbal und dein Basse noch den lluor, eine einfache Rohrflöte,
den rmierrck, eine Art Panflöte,
mit chromatisch gestimmten
Rohrpfeifen, die eob?g, oder
luntu, ein lautenartiges Saiten -
instrument, dem man die
Töne mittelst eines Federkieles
(ploetroir) entlockt, den nun -
mehr selten gewordenen Dudel -
sack — cimpoi und den
oiurrch eine Art Tamburin mit
Schellen und Glöckchen.
Viele Lautars, das sind
Naturmusikanten, die von Musik -
noten keine Idee hatten und
Zigeuner-Musikbanden Vor -
ständen, erfreuten sich durch
ihr geübtes Violinspiel einer
gewissen Berühmtheit. Mosz
Nikulai von Suczawa ist
durch sein seelenvolles Spiel
der Bedeutendste. Neben ihm verdienen auch Angel und Grigvri von Suezawa erwähnt
zu werden. Diese braunen, fahrenden Leute belebten durch ihr Spiel die Feste des Adels,
der Geistlichkeit und des Volkes; ihr Ruf ging weit über die Grenzen des Landes, und oft
erklang ihre wchmüthige ckoiim oder ihre zündende Tanzmusik in der benachbarten Moldau,
in Siebenbürgen, Galizien und Bessarabien, wo sie auf ihren Kreuz- und Querfahrten
reichlich goldene Ernte hielten. Ihre zum Herzen sprechenden Hochzeitslieder, ihre elegischen
volksthümlichcn Domas, ihre schwermüthigen und doch feurigen Horas hört man nur noch
fragmentarisch und von ihrem alten Schwung und Zauber ist nun jede Spur verschwunden.
Bukowina. 24
Lautar Mosz Nikulai aus Suczawa.
370
Die Epigonen dieser Musikanten haben mehr Sinn für moderne Gassenhauer, als für
die schönen schwermüthigen Nationalweisen. In neuerer Zeit haben Judenmusikbanden
(zu Sereth, Sadagöra, Wiznitz u. a.) die Leistungen der braunen Musikanten in den
Schatten gestellt. Die Holzharmonika, nur bei jüdischen Musikbauden in Anwendung,
ist ein Holzschlaginstrument mit chromatisch gestimmten, lose verbundenen Fichten -
hölzchen, ruht auf einem Tischchen auf Strohhalmen und wird mit zwei Holzhämmerchen
geschlagen.
Die bedeutendsten heimatlichen Componisten rumänischer Lieder, Salon-
compositionen und der Tanzmusik sind außer den an anderer Stelle bereits erwähnten noch:
Aleko von Petrino, Professor Stefan Nosiewitz, Tudor Ritter von Flondor, Konstantin
Ritter von Buchenthal, Adalbert Hrimaly u. a. Die Vereine: ^rinoniu, ^.eucioiriiu
ortockoxu und llumirm machen sich um die Pflege des älteren rumänischen Volksliedes
und der neueren Vocalcompositionen für Solo und Chor verdient. Die Volksschule bildet
in neuerer Zeit ein bescheidenes, trauliches Heim für das bukowiner Volkslied.
Musik der Ruthenen. — Poesie und Musik liegen dem Ruthenen im Blut; für
alle Phasen des Lebens, für Freud und Leid besitzt er seine eigenen Lieder. Der Rhythmus
derselben isttheils ein getragener, theils wieder ein rascher, voll sorgenloserLebensfreudigkeit.
Die Melodien sind einfach und lassen sich leicht harmonisch begleiten.
Den vornehmsten Platz unter den Volksliedern der Ruthenen nimmt die äumu
und äurnlru ein. Die äumu ist ein episches Männerlied, dessen Wendung und Diction
lebhaft an die schottische Volksballade erinnert. Der melodische Ausdruck derselben ist ein
klagendes Echo erlittener Schmach, ein schmerzlicher Wiederhall erduldeten Elends und
Erniedrigung, ein wimmerndes Ächzen, ein Todesseufzer. Hieher gehören alle Liebes-,
wie auch Witwen- und Waisenklagen. Die nächste größere Abtheilung der ruthenischen
Volkslieder bilden die Tanzlieder der Huzulen, der Tiroler des österreichischen Ostens,
und die Scherzgesänge. Der eigentliche Huzulentanz ist die kotom^jku. Die stürmische
Tanzweise bewegt sich im Zweiviertel-Takt, die musikalische Periode besteht gewöhnlich
aus acht bis sechzehn Takten und ist in melodischer Hinsicht recht eigenartig. Über die
kolonialen, auch Huculka genannt, schreibt Haquet in seinen Reiseberichten durch die
nördlichen Karpathen (Nürnberg 1794). „Das Allermerkwürdigste bei diesem Tanz ist,
daß der Tänzer beinahe auf der Erde hockt und wie ein Frosch mit der Tänzerin herum -
hupft, daß er auch alsdann seine Axt (toporsc), die er am Ende des Stils hält, klafterhoch
in die Höhe wirft und sie doch wieder fängt." Im innigen Zusammenhänge mit diesem
Tanze steht das Lied, welches gewöhnlich aus vier bis acht Zeilen besteht. Lieder solcher
Art zählt man nach Tausenden. Die s^uirrku ist ein fröhliches Lied humoristisch-satyrischen
Inhaltes. Hier je ein Beispiel einer ckumku und koiornxjku.
372
Flachländers am Pruth und Dniestr ist nicht so temperamentvoll als jener des Karpathen -
bewohners, es fehlt demselben die leichte Beweglichkeit, der nöthige Schwung, die
übersprudelnde, sorgenvergessende Lebenslust. Außer diesen Liedern und Tänzen besitzt
der Ruthene Bukowinas seine Feiertagsgesänge: die kolsaä^ (Weihnachtslieder), die
S2626ärirvk^ (Jordanslieder), pisiri QU iQulaiiku (Lieder für den Abend vor dem neuen
Jahr), llujivvü^ (Ostern-, Frühlingslieder), (Pfingstlieder). Ferner gibt es noch
Wiegen-, Tauf-, Freier-, Hochzeitsgesänge, Todtenklage-, Ernte-, Spinnabend- und
Spiellieder.
Die Spielleute des ruthenischen Volksstammes gebrauchen dieselben musikalischen
Instrumente wie jene der Rumänen, die kolmu und das rmir ausgenommen. Im Volke
ist die äromba, die Maultrommel, sehr verbreitet, auch versteht der Bauernbursche Melodien,
auch Liedchen momentaner Inspiration auf einem Weiden- oder Weichselblatte wie auf
der Clarinette zu spielen, indem er dasselbe zwischen die Lippen steckt und durch Blasen
in Vibration versetzt. Die das Instrument der blinden Bettler, der sogenannten
I^rvvuü's hat im länglichen Schallkörper zwei Saiten, welche durch ein eingeharztes,
mit einer Kurbel gedrehtes Rädchen gestrichen werden. Die dickere Saite behält immer
ihre Grundstimmung, die zweite dünnere hingegen erzeugt mittelst einer primitiven Tastatur
die nothwendigen grellen Melodietöne. Die Lieder dieser blinden Volksbarden sind zumeist
recitative Declamationen, deren Text der Sage, der Tradition, der Legende und dem
Heidenthume angehört. An Kreuzwegen, an Wallfahrtsorten, ans Jahrmärkten und an
Kirchweihfesten hört man diesen eintönigen Klagegesang.
Die Ausübung der Tanzmusik besorgten bisher ausschließlich die Zigeuner; seit
einiger Zeit tauchen auch Musikanten aus dem Volke auf. Der Dudetsack und das
Tambourin kommen auch hier vereinzelt vor.
Gesellschafts-, Trink- und Erntelieder, sowie auch andere Gesänge singt das
ruthenische Volk oft mehrstimmig, und man muß staunen, wie es instinctiv die richtige
Harmonie herausfindet. Ein solches Volkschorlied, welches im ganzen Lande (auch in
Galizien) gesungen wird, sei zum Schlüße in vollem Umfange mitgetheilt.
373
Ilonas SS sor^rs ss^ffsss,
ilso Hk»« Paso gö^MKS,
Nsoias sünsa saus,
kiizess es ss Lsissssa.
Ilpnnsns Los:« sonn
8a »oii sopnil oss,
8psnsss ^
8s «ess »oso^w.
Lasasa »ssib «am
Zsnsss siiiio »isiii,
^ s sriiis ns «asa
8s öopogAsnsnl: ssmana.
8sssss «SS'b «am
6s XSSSMAII sorMsm,
8or^nsn soöb Msm,
8 io6ck> ss öoxosw.
^ s so61; rz'.ssio,
8ns psiäsa so jsz'sa»,
8ss psiöna es osossqs«!,
3 «SN0ffL es XMSIIMS.
Die akademischen Vereine 8ofu?, önkorvMn und der ruthenische Bürgerverein
Orilulniu mis^e^uuslcu pflegen mit Eifer und Erfolg den ruthenischen weltlichen Chorgesang.
Im Jahre 1862 wurde dank der rastlosen und unverdrossenen Thatigkeit des k. k.
Notars Dr. Carl Wexler der Verein zur Förderung der Tonkunst in der Bukowina gegründet,
der fünfzehn Jahre später sein eigenes Heim in der Landeshauptstadt (Rudolfsplatz) bezog.
Der große Aufschwung musikalischen Strebens datirt aber erst vom Jahre 1874, als der
Musikdirektor Adalbert Hrimaly die artistische Leitung des Vereines übernahm, welcher
die Pforten dieses Kunsttempels der ernsten, klassischen Musik, den Tonschöpfungen
berühmter Meister eröffnete und noch heute mit unermüdlichem Eifer auf die Pflege und
Daß sich der Hahn doch möcht' zn Tode krähen,
Der mich so zeitlich aus dem Schlummer weckt!
Es ist die Nacht so kurz, so kurz,
Noch Hab' ich mich nicht ausgeruht!
Oh, gäbe Gott der Nacht doch etwas zu
Für meine schwarzen Augen,
Gäb' er nur noch ein Stündchen zu
Für mich, die ich so jung noch bin.
Es hieß die Mutter mich
Das grüne Futter mähen,
Ich mähte aber nicht,
Ich ruhte in der Furche.
Es hieß die Mutter mich
Zum Tanz geh'n mit den Burschen,
„Tanz', tanz', mein Töchterlein,
Ich will es dir nicht wehr'n".
Da tanzt' ich frisch drauf los,
Wie's Fischlein tanzt im Flnßc,
Wie's Fischlein tanzt mit Freunden:
So mit den Burschen tanzt' ich, junge Maid!
374
Entwicklung der höheren Kunstrichtung befruchtend einwirkt. Der im Jahre 1859 gegründete
Czernowitzer Gesangverein amalgamirte sich 1862 mit dem Musikverein. Später, im
Jahre 1872, constituirte sich ein eigener Gesangverein neuerdings als „Czernowitzer
Männergesangverein", der nicht nur mit Eifer die Compositionen für den Männerchor -
gesang Pflegt, sondern auch erfolgreich bei den großen Vocalconcerten des Musikvereines
wirkt. Der Musik- und Gesangverein in Suczawa, der Gesangelub „Buchenland", der
polnische Singverein ,8okol° in Czernowitz, der Gesangverein in Radautz und Suczawa
zeigen das wachsende Interesse für die Musik.
Heimische Komponisten gibt es unter den Ruthenen recht wenige; zu denjenigen,
deren Lieder bereits Eigenthum des Volkes geworden sind, gehört Professor Isidor
Worobkiewicz.
Möge die Wunderkraft der Harmonie alle hier lebenden Völker verschiedener Zunge
zu einer großen einheitlichen Völkerfamilie verbinden, und der Leitsprnch des Czernowitzer
Gesangvereines dem ganzen Lande zur Wahrheit werden: „Des freien Liedes festes Band
vereine uns im Buchenland!"
376
Die rumänische Literatur und Sprache.
Literatur. — Wie in ihrem gesammten Kulturleben, so theilten auch in literarischer
Beziehung die Rumänen der Bukowina vor einem Jahrhunderte das Schicksal ihrer
Brüder in der Moldau. Die Residenzorte der Fürsten und der Bischöfe, sowie einige
der bedeutendsten Klöster waren die einzigen Pflegestätten geistiger Arbeit. In diesen
allein unterhielt man mit qualvoller Angst vor der fortwährenden Unbeständigkeit der
socialen und politischen Verhältnisse im Lande die heilige und belebende Fackel des
Geistes, auf daß sie den Bürgern aufleuchte in den unaufhörlichen Wirrnissen ihres
kümmerlichen Daseins. Deshalb war auch das geistige Leben der Rumänen mehr auf
Aneignung fremder Geistesproducte als auf eigenes Schaffen hingewiesen.
Von den erwähnten Pflegestätten der geistigen Bildung waren in der Bukowina, als
dieselbe den österreichischen Staaten einverleibt wurde, blos die Stadt Suczawa, die
ehemalige Residenz der Fürsten, dann der Bischofssitz Radautz und das Kloster Putna
von einiger Bedeutung. Von den übrigen Städten und Klöstern des Landes scheint nur
das Kloster Woronetz im XV. und XVI. Jahrhunderte eine größere Rolle gespielt zu
haben, wohl infolge der großen Verehrung, welche der dortige Einsiedler Daniil, auf
dessen Veranlassung der Fürst Stefan der Große (1457 bis 1504) das Kloster gründete,
in der Volkssage genießt. So wurde denn auch dort das älteste bisher bekannte Manuskript
in rumänischer Sprache, der sogenannte Woronetzer Codex, etwa aus dem Ende des
XV. oder Anfang des XVI. Jahrhunderts, im Jahre 1871 entdeckt. Dieser sehr mangelhaft
erhaltene Codex in Kleinoctav enthält mehrere Verse aus dem 18. und 19. Capitel und
die Capitel 20 bis 28 der Apostelgeschichte vollständig, dann den katholischen Brief Jakobi
und den ersten Petri ebenfalls ganz, und endlich noch einige Verse aus dem ersten und
zweiten Capitel des zweiten Briefes Petri. Der Inhalt des Manuscriptes wurde auf
Kosten der rumänischen Akademie der Wissenschaften in Bukarest von dem Mitgliede
derselben, I. G. Sbiera, im Jahre 1885 zu Czernowitz herausgegeben. Im Jahre 1892
wurde von dem Gymnasialkatecheten in Suczawa S. Fl. Marian ein Fragment des
Psalteriums in rumänischer Übersetzung aus derselben Zeit wie der Woronetzer Codex
und einst dem nämlichen Kloster angehörig, bei einem Lippowaner gefunden und gelangte
zuletzt käuflich in den Besitz des Herrn D. A. Sturdza, Secretärs der rumänischen
Akademie. Diese Funde deuten darauf hin, daß man im Woronetzer Kloster Kirchen -
bücher auch in rumänischer Sprache anfertigte und gebrauchte, zu einer Zeit, wo bei den
Rumänen fast überall in den Kirchen die kirchenslavische Sprache vorherrschend war; sie
sind somit ein Beweis für die ehemalige kulturelle Bedeutung dieses Klosters in nationaler
Richtung.
377
Zur Zeit der Vereinigung der Bukowina mit Österreich gab es im ganzen Lande
nur zwei öffentliche, unter die Oberaufsicht des Bischofs gestellte Schulen, die eine
am bischöflichen Sitze in Radautz, die andere im Kloster Putna. Beide wurden durch
eine eigene Steuer, die von den Priestern und Diaconen im Betrage von je einem Ducaten
jährlich entrichtet wurde, erhalten. Die erstere war auf Grund des Schulerlasses des
moldauischen Fürsten Grigori Ghika vom 25. December 1747 neu dotirt, die letztere
ans Bitten des Jassyer Metropoliten Jakob von dem Fürsten Jon Toader Kalimach mit
einem im Jahre 1759 gegen die überhandnehmenden Privatschulen gerichteten Erlasse in
ihrem Bestände und ihrer Wirksamkeit anerkannt und belassen worden. Diese letztere hatte
sich bald durch ihren ausgezeichneten, auch literarisch thätigen Lehrer, den späteren
Archimandriten Bartolomei Mazareanul, zu einer Art höheren Schule nicht bloß für
Priester, sondern auch für Laien emporgeschwungen. Während in den übrigen Schulen
jener Zeit, mit Ausnahme der Jassyer Akademie, der Unterricht für die Laien sich zumeist
nur auf Lesen und Schreiben, das Horologium, Psalterium und das neue Testament
beschränkte und für die Priestercandidaten noch auf Katechismus, Kirchengesang und
Kirchenrituale ausgedehnt wurde, wurden in der Klosterschule zu Putna überdies
folgende Gegenstände behandelt: die dogmatische Theologie und die Differenzpunkte
zwischen der orientalischen und occidentalischen Kirche (Ulatra soanäelsi), die Kirchen -
geschichte bis zum Florentiner Concil, die Geographie von Bouffier, ins Rumänische vom
Bischof Amfilochiu übersetzt, die Rhetorik, die Grammatik und die Aufsatzlehre. Doch
stellte diese Schule, die einzige im Lande, aus der möglicherweise Schriftsteller hervorgehen
konnten, gleich nach der Auswanderung ihres berühmten Lehrers in die Moldau um das
Jahr 1780 ihre segensreiche Thätigkeit gänzlich ein.
Außer diesen zwei Schulen gab es im Lande zur Zeit der Einverleibung der
Bukowina, neben wenigen Privatschulen in den größeren Städten und Marktflecken, wie in
Suczawa, Sereth, Czernowitz und Kimpolung, sowie in einigen der zahlreichen Klöster des
Landes auch noch Wanderlehrer, welche hie und da in den Dörfern die Kinder wohl -
habenderer Leute gegen sehr mäßiges Honorar unterrichteten, und die sich auch späterhin,
trotz vorhandener systematischer Schulen, bis in die Fünfziger-Jahre erhielten.
Unter solchen Verhältnissen konnte zu jener Zeit bei den Rumänen der Bukowina
von einem regeren geistigen Schaffen und von dem Aufblühen einer Literatur keine Rede
sein. Hat ja doch jede geistige Thätigkeit ihre Vorbedingungen, die erst vorhanden sein
müssen, wenn jene sich entwickeln und gedeihen soll. Und eben diese Vorbedingungen
fehlten dainals fast gänzlich. Erst die neue Verwaltung des Landes unter der glorreichen
Regierung Maria Theresias und ihres Sohnes Josef U. zeigte sich ernstlich bestrebt, den
neuen Unterthanen jene Bedingungen zu schaffen, deren diese bedurften, um zu intensiverem
278
geistigen Leben angeregt und zur Bildung in ihrer Eigenart angespornt, ihren weit fort -
geschrittenen deutschen Mitbürgern aus demWesten ebenbürtig an die Seite treten zu können.
Die Militärverwaltung des Landes (1774—1786), hinterließ unvergeßliche
Erinnerungen an ihre gedeihliche organisatorische und kulturelle Wirksamkeit. Von dem
freisinnigen, alle Völker des Reiches mit gleicher Liebe und Fürsorge umfassenden Geiste des
unsterblichen Kaisers Josef II. durchdrungen, war dieselbe unablässig für die Hebung des
Wohlstandes und der geistigen Bildung thätig. Sie zog deshalb aus Siebenbürgen und
Ungarn rumänische Lehrer für mehrere neuerrichtete Schulen heran. Im Jahre 1780
fungirten schon acht Schulen, sechs rumänische, eine lateinische, eine griechische und im Jahre
1781 auch eine deutsche. Im Jahre 1783 wurden zwei Normalschulen für die rumänische
und die deutsche Sprache in Czernowitz und in Suczawa, etwas später eine solche nur für
rumänische Sprache in Sereth und 1786 das Clerisei-Seminarium als Clericalschule in
Suczawa eröffnet, aber im Jahre 1789 nach Czernowitz übertragen. Im Jahre 1786
wurde die Errichtung noch dreier anderer Normal-Hauptschulen für die rumänische Sprache
in Zastawna, Kimpolung und in Waszkoutz und mehrerer Trivialschulen in den größeren
Pfarreien anbefohlen. Die letzteren vermehrten sich bis zum Jahre 1792 auf 32. Dieser
erfreuliche Aufschwung im Schulwesen wurde von der Militärverwaltung des Landes nur
dadurch erzielt, daß dieselbe auf Grund des Rescriptes vom 10. Januar 1784 „alle
Dispositionen in Schulangelegenheiten unter der Aufsicht und respective Vorwissen des
Bischofs und des Konsistoriums" traf, und daß auch die griechisch-orientalische Diöcesan-
behörde ihrerseits unaufhörlich bemüht war, das Mißtrauen der Bevölkerung in die lauteren
Absichten der Regierung zu bekämpfen und zu zerstreuen.
Allein diese der Entwicklung des nationalen Wesens so förderliche Richtung wurde
durch die im Jahre 1786 erfolgte Vereinigung des Landes mit Galizien, als eines Kreises
dieser Provinz, unterbrochen. Das Schulwesen kam jetzt unter die Oberaufsicht der
Lemberger Schuloberbehörde, welche ganz andere Ziele im Auge hatte, als es jene
waren, welche die frühere, vom Josefinischen Geiste getragene Militäradministration des
Landes verfolgt hatte. Die Zweckwidrigkeit dieses Schrittes wurde zwar bereits vom Kaiser
Leopold II. in dem Patente vom 29. September 1790 ausdrücklich anerkannt; allein man
begnügte sich mit halben Maßregeln, welche nicht den von der einheimischen Bevölkerung
erwarteten Erfolg erzielten, weil das Schulwesen in den Händen der Lemberger
Schuloberbehörde verblieb, welche den früheren Schulzwang im Jahre 1793 aufhob,
die nicht katholischen Lehrer zum Übertritte zum Katholicismus veranlaßte, diejenigen
von ihnen, die sich nicht fügen wollten, sofort aus dem Dienste entließ und mit
anderen aus Galizien entsendeten, der rumänischen Sprache unkundigen, dem katholischen
Glauben zngethanen Lehrern ersetzte. Diese kirchlich convertirende Tendenz schreckte
Das Woronetzer Kloster.
380
die orthodox-orientalischen Einwohner so sehr von dem Besuche der Schule ab, daß die .
32 im Jahre 1792 bestandenen Schulen des Landes bis znm Jahre 1804 sich auf
14 reducirten. Bald entspann sich ein Kampf um die Emancipirung der griechisch -
orientalischen Schulen von der Lemberger Oberaufsicht und Leitung, der infolge des
Berichtes des Bnkowiner Consistoriums vom 3. bis 7. September 1837 ans Grund
Allerhöchster Entschließung vom 18. Mai 1844 und durch die Gnbernialverordnung vom
7. Juli 1844, in dem Sinne beigelegt wurde, daß fernerhin alle nationalen Volksschulen
der Bukowina der Oberaufsicht des Lemberger römisch-katholischen Consistoriums entrückt
und dem griechisch-orientalischen Consistorium in Czernowitz untergeordnet wurden. Zur
Ausführung gelangte die in jener Allerhöchsten Entschließung ausgesprochene Absicht
jedoch erst nach langwierigem Federkampfe auf Grund der Ministerialverordnung vom
23. Februar 1850, wodurch dem griechisch-orientalischen Consistorium in Czernowitz
die Aufsicht und Leitung über die nationalen Volksschulen endgiltig anvertraut und eine
gründliche Reorganisation des Volksschulunterrichtes angeordnet wurde. Die factische
Übernahme der Leitung durch das griechisch-orientalische Consistorium geschah erst fünf
Jahre später. Zn dieser Zeit gab es im ganzen Lande nur 50 Schulen für alle Coufessionen
und Nationalitäten. Von da an entwickelte sich das Schulwesen für die griechisch-orientalische
Bevölkerung der Bukowina in erfreulicherer Weise; denn als auf Grund des Landes-
schulgesetzes vom 14. Mai 1869 die Volksschulaufsicht von dem griechisch-orientalischen
Consistorium im Jahre 1870 auf den neu errichteten Landesschulrath überging, übergab
dasselbe dieser neuen Schulbehörde 108 activirte und 104 im Entstehen begriffene
Volksschulen. Unter der Leitung des k. k. Landesschulrathes stieg die Zahl der
Volksschulen in der Bukowina bis zum Jahre 1891 auf 299, in welchem Jahre 219
einclassige, 45 zwei-, 11 drei-, 16 vier-, 2 fünf- und 6 sechsclassige Volksschulen
bestanden. Unter diesen Volksschulen waren nur 96, in denen die rumänische Sprache allein,
und 54, in denen sie mit anderen landesüblichen Sprachen Unterrichtssprache war.
Einen günstigen Einfluß aus die Bildung der Bukowiner Rumänen in nationaler
Richtung übten die mit Allerhöchster Entschließung vom 20. December 1848 an der
damaligen philosophischen Lehranstalt zu Czernowitz errichtete und am 28. Februar 1849
von dem Siebenbürger Rumänen, Professor Aron Pumnul, inaugurirte Lehrkanzel der
rumänischen Sprache und Literatur, welche an das Czernowitzer Obergymnasium überging, ;
sowie die an den später errichteten Mittelschulen und an der Universität eingeführten
Lehrkanzeln gleicher Kategorie. Mit der Einführung dieser Lehrkanzeln und insbesondere ^
mit der Creiruug der alrua irialsr Uraueisoo-Iosopluiia, Oeruaulioirsis wurden auch den
Rumänen der Bukowina die Bedingungen für die geistige Entwicklung ihrer Eigenart, und
somit auch für die Entfaltung literarischer Thätigkeit zu Theil.
381
Mit dem Jahre 1848 beginnt ein fortschreitender Aufschwung auf allen Gebieten
der rumänischen Literatur, so daß dieses Jahr einen Wendepunkt in der national -
literarischen Entwicklung der Rumänen in der Bukowina bildet. In der Periode vor dem
Jahre 1848 können wir nur sehr wenige geistige Erzeugnisse in rumänischer Sprache
verzeichnen. Von der Staatsverwaltung veranlaßt, waren dieselben theils didaktischer,
theils gesetzgeberischer Natur. Zur Anbahnung einer geordneten und allgemeinen Schul -
bildung ließ die Regierung neben der bestandenen, im Jahre 1757 zu Jassy in zweiter
Auflage erschienenen Fibel: ,8uevnr, snn lrwspsrs äs invstntrirn eslor es vor sn
iirvsts enrts ou slovs slovsirsstl" noch mehrere Schulbücher in rumänischer Sprache
verfassen oder in dieselbe übersetzen und drucken. Auch wurden zur Verallgemeinerung
der Gesetzkenntniß die Gesetzbücher rumänisch publicirt. Als Schriftsteller während dieser
ersten Periode erlangte eine gewisse Bedeutung nur der in Siebenbürgen geborene
Rumäne Jvn Budai Deleanul, der zu Anfang dieses Jahrhunderts als k. k. Landrath
zu Lemberg und Translator für die Bukowina bedienstet war. Er trachtete der rumänischen
Literatur im Allgemeinen und der in der Bukowina insbesondere eine sichere und
feste Grundlage dadurch zu geben, daß er mehrere sprachwissenschaftliche, geschichtliche
und belletristische Werke in rumänischer, lateinischer und deutscher Sprache schrieb. Unter
diesen Werken verdienen insbesondere genannt zu werden: ein rumänisch-deutsches und ein
deutsch-rumänisches Wörterbuch aus dem Jahre 1805, ein rumänisch-lateinisch-dentsch-
französisches Wörterbuch, eine Grammatik der rumänischen Sprache in rumänischer und
eine solche in lateinischer Sprache aus dem Jahre 1812, dann zwei rumänische Abhand -
lungen über die Einführung der lateinischen Buchstaben in die rumänische Schrift und
über die Art und Weise, wie mit denselben die rumänische Sprache zu schreiben wäre, und
überdies seine in deutscher Sprache „knrzgefaßten Bemerkungen über die Bukowina", weil
sie nicht nur von dem lebhaften Interesse, das er für die Hebung der Bildung seiner
Stammgenossen in der Bukowina hegte, sondern auch von der Richtung, in die er diese
Bildung geleitet wissen wollte, ein beredtes Zengniß abgeben. Allein nicht nur diese Werke,
sondern auch alle seine übrigen geistigen Erzeugnisse, so bedeutend für ihre Zeit sie auch
waren, konnten unter dem Drucke der damaligen Verhältnisse wohl zumeist drucksertig
gestellt, nicht aber veröffentlicht werden. Die Manuskripte derselben wurden erst im
Jahre 1868 durch den Jassyer Gelehrten George Asaki in Leinberg entdeckt, vom
rumänischen Unterrichtsministerium käuflich erworben und in der Bukarester Staats -
bibliothek aufbewahrt. Nur zwei von den Werken des Jon Budai Deleanul, das
komisch-satirische Heldengedicht „Pi^nninän" in zwölf Gesängen, worin viele Auswüchse
im politischen und Volksleben der Rumänen scharf gegeißelt werden, und das Theaterstück
^Isnsgmii snü Urntil Zsmsnl" (die Zwillinge) wurden in neuester Zeit veröffentlicht.
382
Nicht viel glücklicher in seinen literarischen Bestrebungen war Toader Raeocea, der als
rumänischer Translator beim Lemberger Gubernium um das Jahr 1816 fungirte. Er
hatte im Jahre 1817 im Vereine mit Jon Budai Deleanul einen Aufruf veröffentlicht, in
welchem er zur Pränumeration und Mitarbeiterschaft für eine herauszugebende literarische
Zeitschrift einlud. Von dieser Zeitschrift konnte jedoch erst im Jahre 1820 ein einziges Heft
von 195 Seiten unter dem Titel: , Lkrsslorimlierä romLnsssü" in Czernowitz erscheinen.
Sonst finden wir im Lande in den ersten siebzig Jahren nach der Vereinigung der
Bukowina gar keine Anregung zu nationaler geistiger Arbeit. Es versuchte sich zwar Vassile
Tzintila noch als Zögling der damaligen Clericalschule in Czernowitz im Jahre 1802
in einigen burschikosen Gedichten („Ltitiuii äs Aluras truiaoass äiir laiirts sloboäs.
sooase, einiges äs rmnri äats, innits lslinri Läurmts") und veröffentlichte als Priester
im Jahre 1814 zu Czernowitz einen hundertjährigen Kalender (»Tadslarnie vsemie
ealinäarin x>s o snta äs aal"), mußte aber seine fernere literarische Thätigkeit einstellen, da
sie keine Aneiferung und Unterstützung fand. Ebenso arbeitete auch der Mönch Petru Porfir
Dimitrovici nur aus innerem Antriebe an einem rumänischen etymologischen Wörterbuche,
das unveröffentlicht blieb. Er versuchte um das Jahr 1826 die lateinischen statt der
sogenannten cyrillischen Lettern im Rumänischen zu gebrauchen, und im Jahre 1837 wurde
er vom griechisch-orientalischen Konsistorium in Gemeinschaft mit Jon Jlarion Hakman
mit der Abfassung eines rumänischen Hauskalenders betraut, der unter dem Titel:
, Oalsnäarlü äs sasa psrckru Lueovirm ps maul 1839" fertiggestellt wurde, aber wegen
der Revisionen und Censuren, die er Yassiren mußte, erst für das Jahr 1841 veröffentlicht
werden konnte und seitdem unter wechselnder Redaction (Consistorium; Sotiskaksg. psrckru
ealkura si litsratura roiniaL; ^saäsraisa ortoäoesa) regelmäßig erscheint.
In lateinischer, beziehungsweise deutscher Sprache veröffentlichten in derselben
Periode Aristides Bendella im Jahre 1838 und Johannes Schessan im Jahre 1845
Dissertationen zur Erlangung des Doctorgrades in der Medicin, der Seminarspiritual
und spätere Metropolit Teoktist Blajevici eine „Theoretisch-praktische Grammatik der
dacoromanischen Sprache, Lemberg und Czernowitz 1844", und der Seminarrector und
spätere Metropolit Teophil Bendella eine geographische Schrift: „Die Bukowina im
Königreiche Galizien, Wien, 1845". Auch die Professoren an der 1826 errichteten theo -
logischen Lehranstalt, wie Jon Tomiuc, Konstantin Popovici senior, Nikulai Hakman,
Jon Calinciuc, Vassile Janovici und Jon Jlarion Hakman hatten für ihre Fächer in
lateinischer Sprache Leitfäden, welche dann nach dem Jahre 1848 rumänisch überarbeitet
wurden, verfaßt, dieselben aber nicht gedruckt, sondern nur in Abschriften verbreitet.
Einen erfreulicheren Aufschwung nahm die literarische Thätigkeit der Bukowiner
Rumänen erst in der Periode seit 1848, insbesondere nach der 1862 erfolgten Errichtung
383
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eines literarischen Vereines und noch mehr nach der Eröffnung der k. k. Franz Josephs-
Universität im Jahre 1875.
Diese Periode wurde mit der Herausgabe einer Zeitung inaugurirt, die, von den
Brüdern George (1817 bis 1882) und Alexandru Hnrmuzaki (1823 bis 1871)
redigirt, am 4./16.October 1848 unter dem Titel: „Uuoovina, AkMlü roinünaaseü xontru
politieü, rali^ia si lilsraturäV ^
' «
rumänisch und deutsch zu erscheinen
begann, jedoch im September 1850
einging. Zn ihren ständigen Mit -
arbeitern zählten auch der auf
geschichtlichem und politischem Ge -
biete rühmlich bekannte Eudoxiu
Hnrmuzaki (1812 bis 1874) und
der Gymnasiallehrer Aron Pumnul.
Die genannten Brüder Hnrmuzaki
waren Sprößlinge einer zu Ende
des XVI. Jahrhunderts aus Chios
nach der Moldau eingewanderten
Familie, die sich mit der fürst -
lichen Familie der Movilesti ver -
schwägerte. Sie haben sich ein
unsterbliches Verdienst um die
Bukowina erworben, indem sie die
Anregung zu allen literarischen und
politischen Bewegungen gaben und
an der Spitze derselben standen.
Von nun an beginnt es sich
auf allen Gebieten der Literatur zu
regen: galt es doch, Versäumtes Faksimile aus dem Worvnetzor Codex (XV. bi- XVI. Jahrhundert).
nachzuholen. Man trachtete vor
Allem, die für den nationalen Unterricht fehlenden Lehrbücher herzustellen, und so
entstand eine kleine didaktische Literatur. Unter den Männern, die durch Abfassung oder
Übersetzung von Lehrbüchern für den Volksunterricht ersprießlich wirkten, verdienen der
Theologieprvfessor Vassile Janovici (1806 bis 1866) und der Czahorer Pfarrer Samuil
Andrievici, nachheriger Consistorialrath und späterer Erzbischof und Metropolit unter dem
veränderten Namen Dr. Silvestru Morariü-Andrieviei (1818 bis 1895) in erster
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384
Linie genannt zu werden. Zu gleicher Zeit mit ihnen wirkten in dieser Richtung der Katechet
Stefan Tarnovietzki und der Seminarspiritual und spätere Erzbischof und Metropolit
Teoktist Blajevici. Ihnen folgten dann die Lehrer Jon Drogli und Crisant Matiasievici
und die Professoren Dumitru Jsopeskul, I. G. Sbiera und Jllie Lutza. In jüngster
Zeit hat sich insbesondere der Übungsschullehrer Nikulai Jeremievici-Dubau durch Ver -
öffentlichung einer Reihe gediegener Volksschulbücher einen guten Ruf erworben.
Für den Unterricht in der rumänischen Sprache an Mittelschulen war es der
Gymnasialprofessor Aron Pumnul, der das erste rumänische Lesebuch in sechs Bänden
und eine rumänische Grammatik in deutscher Sprache nebst anderen kleineren Schriften
veröffentlichte. Pumnul war zu Kuczulata in Siebenbürgen geboren, studirte die Theologie
in Wien und wurde im Jahre 1847 Professor der Philosophie zu Blasendorf (UInj).
Im Jahre 1848 gehörte er zu den maßgebenden Persönlichkeiten unter den Rumänen,
die treu zu Kaiser und Reich hielten; deßhalb von den Magyaren zum Tode bestimmt,
entkam er ihren Verfolgungen auf abenteuerliche Weise und gelangte durch die Walachei
und Moldau nach der Bukowina gerade zur Zeit, als die Hurmuzaki'sche Zeitung
»Lrmoviiia? zu erscheinen begann und die erste Lehrkanzel für rumänische Sprache und
Literatur in Österreich an der philosophischen Lehranstalt zu Czernowitz errichtet wurde.
Aron Pumnul verwaltete dieses Lehramt durch volle zwölf Jahre ununterbrochen, erkrankte
aber im Jahre 1861 schwer und wurde von nun an von seinem Schüler und Nachfolger
I. G. Sbiera bis zu seinem am 24. Januar 1866 erfolgten Tode supplirt.
A. Pumnul verstand es, bei seinen Zöglingen Liebe zur Pflege der Muttersprache
zu erwecken und zu festigen und hat sich dadurch bei den Bnkowiner Rumänen ein
bleibendes Andenken erworben. Zu dieser Zeit entbrannte ein heißer literarischer Streit
um die Art, in der die rumänische Sprache mit lateinischen Buchstaben zu schreiben sei.
Die Siebenbürger Rumänen, mit Timotei Cipariu an der Spitze, waren eifrige Verfechter
des etymologischen Princips. Wiewohl A. Pumnul anfangs ebenfalls diesem Principe
huldigte, so überzeugte er sich doch bald von der Unzweckmäßigkeit desselben und so trachtete
er ein rein phonetisches Alphabet festzustellen, indem er auch für jene Laute der rumänischen
Sprache, für welche im lateinischen Alphabete keine besonderen Zeichen vorhanden waren,
eigene Buchstaben in Vorschlag brachte. So wurde er der Begründer der rein phonetischen
Richtung, die jetzt überall bei den Rumänen zur Geltung gekommen ist, wenn auch
nicht in der Weise und in dem Sinne, wie es von A. Pumnul angestrebt wurde. Seinem
Einflüsse ist es zuzuschreiben, daß die Bnkowiner Rumänen sich so leicht entschlossen, die
lateinischen Buchstaben in ihre Schrift einzuführen. Inländische Stimmen über die Bedeutung
Aron Pumnuls sind von seinem Schüler I. G. Sbiera in dem Werke: ,Jron Uuirmul,
Vom a8nprn vlotii si insürrmZILkii Irn" 1889 publicirt worden.
, ^
385
Nach A. Pumnul publicirten rumc rische Lesebücher für Mittelschulen nur noch die
Gymnasialprofessoren Stefan Stefureac (1845 bis 1893) und Jon I. Bumbac. Für die
übrigen Lehrgegenstände an Mittelschulen begann man erst seit der Einführung von
rumänischen Parallelklassen am Suczawer griechisch-orientalischen Gymnasium im Jahre
1881 rumänische Lehrbücher zu übersetzen oder umzuarbeiten. In dieser Beziehung zeigten
sich die Professoren Samuil V. Jsopeskul, Konstantin Cosovici, Konstantin Procopovici
und Dr. Animpodist Daschievici thätig. Lehrbücher für den rumänischen Religionsunter -
richt an Mittelschulen veröffentlichten Samuil Andrievici-Morariu, Konstantin Andrie-
Vici-Morariu (1835 bis 1875), Juvenal I. Stefanelli und Kalistrat Coca. Auch für die
Hebammenschule in Czernowitz hat der Leiter derselben, Professor Dr. I. Ritter von
Volcinski, ein rumänisches Lehrbuch veröffentlicht. Durch die Thätigkeit der genannten
Professoren wurde der Unterricht in der rumänischen Sprache in allen Lehrgegenständen,
auch an den Mittelschulen der Bukowina ermöglicht.
Als eine Ergänzung der national-culturellen Bestrebungen der Bukowiner Rumänen
ist auch ihre literarische Thätigkeit auf dem Gebiete des Zeitungswesens anzusehen. Wie -
wohl hiezu noch sehr wenige geeignete Kräfte vorhanden waren, so versuchte dennoch der im
Jahre 1862 von I. G. Sbiera und anderen Schülern Pumnuls gegründete und von
Alexandru Hurmuzaki inaugurirte Verein «Usmrirme da IsxllurL", der bald darauf den
Namen „ Zotiatutou xairtrrr eultura si litsratnra roirnirü In Uneovina" annahm, als
eigenes Organ eine literarische Zeitschrift unter dem Titel: „Uomsa Lotietütn" im
Jahre 1865 herauszugeben, die anfangs (18 Monate lang) von Dr. Ambrosiu
Dimitrovitza (gestorben 1866), dann aber bis Ende 1869 von I. G. Sbiera redigirt
wurde. Nach einer Unterbrechung von zwölf Jahren erschien sie wieder in den Jahren
1881 bis 1884 unter dem Namen »Aurora, Uorrnim, ravistü InimrL, stiintitiLÜ si
literara" und unter der Redaction des Gymnasialprofessors Jon I. Bumbac. Ein viel
gelesenes Volksblatt war die von dem Pfarrer in Coroviea bei Czernowitz, Simion
Cobilanski, in den Jahren 1883 und 1884 vortrefflich redigirte ,8t6lutL«, die zweimal
im Monate erschien; nicht minder die »vostoxllarog.", die unter der Verantwortlichen
Redaction des Jllie Dimitrovici vom Buchdrucker Dumitru Bucevski seit 1893 zweimal
im Monate herausgegeben wird. An diese reihte sich die rein kirchliche Zeitschrift
»Oairäola«, die seit dem Jahre 1882 regelmäßig einmal im Monate erscheint und
anfangs von dem Universitütsprofessor Dr. Vassile Mitrofanovici, später von dem
Czahorer Pfarrer Artemiu Verarm und zuletzt von dem Universitätsprofessor Dr. Emilian
Voiutzki für den rumänischen, und von dem Gesangsprofessor Isidor Worobkiewicz für den
ruthenischen Text derselben redigirt wurde. Schließlich erwähnen wir hier noch die als
Organ des politischen Vereines „Ooireoräiu" herausgegebene Zeitung »Usvista xolitieL-,
25
386
die im Jahre 1886 unter der Redaetion des Advocaten Dr. Matei Lupul zweimal des
Monats zu erscheinen begann und im Jahre 1891 aufhörte, um nach einigen Monaten
unter dem Namen „Oarmta Unoovmel" zuerst unter der Redaetion des im Jahre 1893
verstorbenen Pvmpiliu Piposz, dann des G. Bogdan-Duica, hierauf des Eusebiu
Stefanelli und zuletzt des Mihai Teliman und Dumitru Bncevski bis heute (1896) bei
zweimal wöchentlichem Erscheinen fortgesetzt zu werden.
Wenn wir nun zur Betrachtung der literarischen Erzeugnisse der Bukowiner
Rumänen auf den übrigen Gebieten übergehen, so finden wir auf dem theologischen
Gebiete eine literarische Bewegung, die erst nach der im Jahre 1848 erfolgten Einführung
der rumänischen Sprache als Unterrichtssprache an der bestandenen theologischen Lehr -
anstalt in die Öffentlichkeit trat. Den ersten Schritt in dieser Richtung that der talentvolle
Theologieprofessor Vassile Janovici (1806 bis 1866), der an jener Anstalt vom
Jahre 1836 bis zu seinem Tode ununterbrochen und unermüdlich wirkte. Sein
früherer Familienname war Arnautul, da seine Vorfahren, gleich denen einiger anderer
Familien, wie z. B. der Bendellas, eingewanderte Macedonier-Rumänen, auch Arnauten
genannt, waren. Er hat mehrere werthvolle theologische Werke verfaßt, von denen nur der
Commentar zum neuen Testamente unter dem Titel: Zslorio-Iitorarü Ulouira a eärtilor
noulrn Testament", Czernowitz 1856 bis 1861, in fünf Bänden, während seiner Lebenszeit
erschienen ist, während von den übrigen von ihm drnckfertig gestellten Werken, wie
,Urmeneütiea biklioa Aenerala", ,6ritioa testnlm eärtilor testamentnlm noü" und
,Oestomatiea iimbei ^reeestl a stmtilor pärintl" bloß die beiden elfteren nach seinem
Tode von seinem Neffen und Nachfolger, dem Universitütsprofessor Isidor Ritter von
Onciul, zum Drucke befördert wurden.
Nach diesem herzhaften und glücklichen ersten Schritte haben die jüngeren Lehrkräfte
der bestandenen theologischen Lehranstalt und die Professoren der derzeitigen theologischen
Facultät der k. k. Franz Josephs-Universität eine lobenswerthe literarische Thätigkeit
entfaltet, indem sie nicht nur wissenschaftliche Artikel für die oberwühnte theologische Zeit -
schrift zdairckala" schrieben, sondern auch größere und kleinere Werke ihres Faches
veröffentlichten, wie der 1888 verstorbene Dr. V. Mitrofanovici eine Homiletik (1878,
eine Liturgik von ihm liegt im Manuscripte druckfertig vor) und Isidor Ritter von
Onciul (gestorben 2. März 1897) eine biblische Archäologie (1884) und eine Einleitung in
das Bibelstudium des alten Testaments, die noch lebenden Professoren Juvenal I. Stefanelli
eine Katechetik (1879) und Katechesen (1879 bis 1881), und Eusebius Popovici ein
Studium für den ersten Bukowiner Kirchencongreß (1880), Dr. Ein. Voiutzki über den
Propheten Joel (1882), Konstantin Popovici über die Quellen des Kirchenrechtes (1886)
und die apostolischen Canones Oanoanete apostoliee, 1896), Vladimir V. de Repta
über die Bedeutung der Psychologie zur Förderung des religiösen Lebens (1888), und
Dr. Toader Tarnavski über den traditionellen griechisch-orientalischen Kirchenbau und
die innere Einrichtung der Kirche (1894) und über den Ritus bei der heiligen Taufe
und Firmung (1895). Eine Dogmatik von dem im Jahre 1881 verstorbenen Professor
Alexiu Comoroszan wurde von seinem Nachfolger und Schwiegersöhne Dr. Em. Vointzki
(1887 bis 1889) gedruckt. Andere Werke, wie eine hebräische Grammatik von Professor
Isidor Ritter von Ouciul; eine allgemeine Kirchengeschichte, eine Kirchenstatistik, die vier
ersten Capitel der Fundamentaltheologie und eine Geschichte und Literatur des Systems
der Dogmatik von Professor E. Popovici; eine Einleitung in die heiligen Bücher des
neuen Testamentes und eine Geschichte des Canons des neuen Testamentes von Professor
Vladimir V. de Repta; eine allgemeine und specielle Moraltheologie von Professor
Dr. E. Vointzki; eine Pastoral-Hodegetik und eine Liturgik von dem Supplenten Dr.
Toader Tarnavski; ein griechisch-orientalisches Kirchenrecht von Professor Konstantin
Popovici junior und ein Ritualienbuch in zwei Abtheilungen (HitualuI; voesoto^iile
si smtii'lla) von dem Seminarrector Mihai Dracinski wurden zwar druckfertig gestellt,
konnten aber bisher wegen des beschränkten Absatzgebietes im Lande keinen Verleger finden,
und sind blos als lithographirte Manuscripte unter den Studierenden der theologischen
Facultät verbreitet.
Auch andere Priester haben die literarische Arena mit Erfolg betreten. Unter diesen
verdient der gewesene Erzbischof und Metropolit Dr. Silvestru Morariu-Andrievici
(1818 bis 1895) an erster Stelle genannt zu werden. Derselbe hat sich nämlich nicht nur,
wie schon oben gezeigt wurde, um die Hebung der Volksschulbildung durch die Veröffent -
lichung einer langen Reihe von Schulbüchern sehr verdient gemacht, sondern sich auch auf
theologischem Gebiete durch seine „Predigten" (1860), seine „Usnltiellw" (1879), sein
„D^xillon" (1883) und mehrere Gelegenheitsschriften einen ehrenvollen Namen erworben.
Auch die literarische Thätigkeit der Priester Jon Berariu (gestorben 1895), Mihai
Bendevski, Kalistrat Coca, Konstantin Morariu, Dr. Stefan Saghin, Dr. Orest Popeskul,
Dumitru Dan, Eugeniu Vorobkievici und Dr. I. V. Paszcan, die, mit Ausnahme des
ersteren, alle Jünger der nlnrn nrntsr i'rnneiseo-lossptnnn Oernautiensis sind, verdient
lobend hervorgehoben zu werden.
Ans den übrigen Gebieten der prosaischen Literatur zeigt sich während dieser Periode
eine rege und ersprießliche Thätigkeit, die jedoch bisher mehr die Verbreitung nützlicher
Kenntnisse unter den Stammgenossen, als die Förderung der Wissenschaft zum Ziele
hatte. Die erstere Richtung verfolgten insbesondere die von dem Vereine »Lotistatsn
psntru oulturn m literatura ronnnL" veranlaßt»: Publicatiouen und veranstalteten
öffentlichen Vorträge. Dasselbe Ziel hatten auch die Schriften des Lehrers Gr. Halip
388
über die Obstbaumzucht (1883) und über die Weinbereitung aus Obst (1891) im Auge,
sowie auch die von Dr. A. Ritter von Onciul und Dr. Fl. Lupul veröffentlichten Werke:
«klspertorlü pentru socrsturü coiuuiurll" und ,victioiurriü suriäic poiilie" (1894).
Wissenschaftliche Zwecke jedoch verfolgten einerseits die in den Programmen der Mittel -
schulen von den Herren I. G. Sbiera, D. Jsopeskul, C. Stefanoviciu, St. de Repta,
D. A. V. Jsopeskul, S. V. Jsopeskul, I. Nimigean, I. Muutean, L. Jlnitzki, St. Stefureac,
C. Cosovici, C. Mandicevski, V. I. Bumbac, Dr. D. Onciul und I. Carausz in den Jahren
1867 bis 1887 in deutscher Sprache veröffentlichten Aufsätze, andererseits selbständige,
größere und kleinere rumänisch oder deutsch geschriebene Publicationen literarhistorischen
Inhaltes, wie die von I. G. Sbiera über den Chronisten Gr. Nrechie (1884), den
Woronetzer Codex (1885) und Niscürl eulturulo m litoraro lu Uoirckml ckin sllugu
vunürii in röstlmMl cksiu 1504—1714 (1897), von I. I. Bumbac über rumänische
Literaturgeschichte (1889) und von C. Morariu über die Cultur und Literatur bei den
Rumänen in der Bukowina (1893 bis 1894); theils national- und landesgeschichtliche
Arbeiten, wie die verdienstvollen Untersuchungen des Dr. Onciul über rumänische Geschichte,
des Pfarrers D. Dan über die Lippowaner, Armenier und Zigeuner in der Bukowina, des
Professors I. Prelici über die Stadt Sereth, und des Professors Dr. D. Verenca über die
Geschichte und die Topographie der Bukowina; theils juridische, wie die von Dr. George
E. Popovici publicirten Aufsätze über die älteren Einrichtungen bei den Rumänen, über die
Freibauern unter Mihai Viteazul, über die Bedeutung des Wortes „Hüne" und über das
österreichische Landrecht im XIl. Jahrhunderte; theils sprachwissenschaftliche, wie die Aufsätze
von St. Stefureac über die Suffixe im Rumänischen; oder naturhistorische, wie die Aufsätze
von Konstantin Baron Hurmuzaki über die Lepidopterenfauna der Bukowina und von
A. Procopean-Procopovici über die Flora von Suczawa.
Hochverdient als Nationalhistoriker ist Baron Eudoxiu Hurmuzaki (1812
bis 1874), der durch eine lange Reihe von Jahren im Wiener Staatsarchive gearbeitet und
ein reichhaltiges Quellenmaterial zur Geschichte der Rumänen gesammelt hat. Er hat auf
Grund desselben auch eine Geschichte der Rumänen von ihrer ersten größeren Manifestation
als neu differenzirtes Volk, nämlich vom Jahre 1185 an, für das große Publikum in
deutscher Sprache zu schreiben begonnen, aber dieselbe nicht bis in die Gegenwart, wie er
es beabsichtigte, geführt. Nach seinem Tode wurde der literarische Nachlaß von dessen
Erben der rumänischen Akademie der Wissenschaften in Bukarest geschenkt, welche
sowohl die von ihm gesammelten Urkunden nebst sehr vielen anderen in einem monumental
angelegten Werke unter dem Titel: »Oocurusrcke privitoure In mtoriou Horuluilor", von
dem bis jetzt 25 Bünde erschienen sind, als auch die von ihm in deutscher Sprache gelieferte
Bearbeitung einiger Theile der rumänischen Geschichte unter dem Titel: „Fragmente zur
389
Geschichte der Rumänen, 1. bis 5. Band, Bukarest, 1878 bis 1886", und in rumänischer
Übertragung unter dem Titel: MuKinsnte diu istorieu klonüniloi-, 1. Band, Bukarest,
1879", herausgegeben hat.
Auf belletristischem Gebiete eröffnete den Reigen der begabte Theologiehörer,
Jraklie Porumbesku (geboren 1823, gestorben 1896), der seit dem Jahre 1849 in
verschiedenen Zeitschriften Gedichte veröffentlichte, von denen einige, wie: Mi sink kata do
konun", Mutrul 8. MM", Mditl colo un buolum i-Mnu" volksthümlich geworden
sind und noch heute gesungen werden. Er schrieb auch mehrere Episoden in Prosa. Ihn
übertrifst an Fruchtbarkeit der Suczawer Gymnasialprofessor Vassile I. Bumbac, der
schon als Gymnasialschüler seit dein Jahre 1861 in Flug- und Zeitschriften sich durch
verschiedene Gedichte, meist national-patriotischen Inhaltes, bekannt machte, von denen wir
hier insbesondere die Epopöen: MuKomdu" in zwölf Gesängen (unvollendet), worin er die
Gründung des moldauischen Staates durch Dragosz besingen wollte, dann die Mutru
6M1si" in achtGesüngen, Mrsl trat!" in zwanzig Gesängen und Mioura" in vierGesängen
erwähnen. Auch Virgils Aeneide und einige Oden des Horatius hat er im Originalmetrum
ins Rumänische übersetzt. Sein Bruder, der Czernowitzer Gymnasialprofessor Jon
I. Bumbac, hat sich ebenfalls als Dichter einen Namen in der Bukowina gemacht; von
seinen vielen Publicirten Gedichten seien hier in erster Linie das epische Gedicht Moriutu" in
fünf Gesängen und die Ode Mrdorsle Hub3burMr", welch letzterein der von J.G.Sbiera
verfaßten biographischen Skizze: Mudolk, MnMslo nostru oroditurlü, Oorirüut
1881" publicirt wurde, erwähnt. Eine außergewöhnliche Dichtergabe besaß der allzufrüh
verstorbene Dumitru Petrino (1846 bis 1878). Der Tod seiner innigstgeliebten
Gattin, den er in seinen Morl de mornnirt" (1867), beweint, trieb ihn zu einer
pessimistischen Weltanschauung, die ihren Ausdruck in dem Werke: Muiuiru m uinbro"
(1870) fand; lesenswerth sind auch seine epischen Gedichte Maul" (1875) und Mu Aura
sodol" (1876). Seine Gedichte gehören durch Schwung, Gedankentiefe und Schönheit
des Ausdruckes zu den schönsten Blüten der rumänischen Lyrik in der Bukowina. Auch des
Pfarrers I. Berariu (1846 bis 1895) poetische Natur gab sich in Gedichten, wie: ,0 uoaM
pö ruiriils Lueovel", ,8t!1pu1 lul VodL", Muptu do 1a 8mlrdun" und in Novellen und
Episoden, wie: Moellioa", Melllul boulul", rc. kund. In anziehenden Erzählungen hat
sich der Gerichtsrath Toader Stefanelli vortheilhaft hervorgethan; so in den Novellen und
humoristischen Skizzen: »OoorM li'Morul", ,vu8 eülul Plutilü", , dornoura lul küutsu",
Mu8uu eüluMul", Mouru draculul", rc. Auch die Frauen Sofiea C. Stefanovici und
Jleana Z. Voronca lieferten kleine Beiträge zu diesem Literaturzweige.
Auch von Jüngern der alrua inatsr l^ruuoi8Lo-1o36plriuu Lwruuutisrmm haben
sich bereits einige auf demselben Gebiete einen geachteten Namen erworben; so zuerst der
390
leider allzufrüh verstorbene Cyprian Porumbesku (1854bis 1883), der sich als Dichter
von studentischen Liedern, ebenso wie als Componist hervorthat; ferner der auch auf
anderen Literaturgebieten wohlbekannte Pfarradministrator Konstantin Morariu,
der unter anderm „Hermann und Dorothea" ins Rumänische übersetzte (1884);
dann Temistokle Bocancea und der Pseudonymus T. Robean, von denen der
erstere ein Poem: »vilo nsgro" (1892), der letztere eine kunstvoll versificirte Erzählung
„blovslü ciö enZtoU (1894) veröffentlichte und endlich Konstantin Berarin und
Konstantin Jsopeskul (Pseudonym Verde), die ihre dichterischen Produkte in verschiedenen
Zeitschriften erscheinen ließen.
Die rumänische Volkspoesie ist, wie überall, so auch in der Bukowina eine reich -
haltige. Schon in der Hurmuzaki'schen Zeitung „UueovineO wurden einige Artikel über
dieselbe und mehrere Balladen und Horalieder veröffentlicht. Auch in den späteren
Journalen, sowie in einigen Kalendern haben derlei Erzeugnisse Eingang gefunden. Eine
Sammlung von Volksmärchen (1886) und von Weihnachtsliedern (1888) veranstaltete
der Universitätsprofessor I. G. Sbiera. Besonders aber hat sich in dieser Beziehung
der Suczawer Gymnasialkatechet Simion Fl. Marian verdient gemacht, indem er
Sammlungen von Balladen (1873), von Doinas und Horas (1875), von Volks -
überlieferungen (1878 und 1895), von Entzanberungsformeln (1886), von Gebräuchen
bei der Hochzeit (1890), bei der Geburt (1892) und bei der Beerdigung (1892), von
Zauber- oder Hexenformeln (1893) und von Volkssatiren (1893) publicirte und außerdem
über die Chromatik bei den Rumänen (1882) als Antrittsrede nach seiner Ernennung
zum Mitgliede der rumänischen Akademie der Wissenschaften in Bukarest, und über die
rumänische Volksornithologie (1883) vorzügliche Abhandlungen schrieb.
Auf dem Gebiete der Tonkunst publicirte der verdienstvolle Musikprofessor Erz -
priester Isidor Worobkiewicz — anbelangend die rumänische Stilisirung unter Mitwirkung
des I. G. Sbiera — ein Handbuch für die Harmonielehre (1869).
Sprache. — Die Bukowiner Rumänen sprechen die gleiche Sprache wie jene
Ungarns, Siebenbürgens, Rumäniens und Bessarabiens, und insbesondere ist ihre
Schriftsprache dieselbe, wiewohl die literarischen Erzeugnisse in stilistischer Beziehung
von der fremden Sprache, in der die Schriftsteller ihre Studien gemacht haben, stark
beeinflußt erscheinen; namentlich gilt dies von den frühesten literarischen Produkten
in der eigenen Sprache. Beim Landvolke jedoch trifft man hie und da in den Dörfern,
aber auch in diesen nicht bei jedem Individuum, eine abweichende Aussprache einiger
Wörter an. Es herrscht nämlich seit uralter Zeit bei den Rumänen eine Neigung, gewisse
Consonanten vor i und le (oft 6 geschrieben) erweichter auszusprechen oder gar in andere
zu verwandeln. Dies trifft in der Regel bei den Consonanten p, k, 1, v und in ein.
391
So wird im Volksmunde 1. p zu peU, olr (oU ^ L) oder zu xe, e (o wie im italienischen
co, ei); man spricht z. B., statt a oaxia (toll werden) a oapeliio, a oäelrio oder u eapoiö;
statt Inxi (Wölfe) luxelu, luelii oder lupol; statt so toxosto (es schmilzt) so topeluosto,
so toolrlosko oder so koxoosko rc.; 2. k wird zu glr (gli — deutschesss) oder bss, ^
(N wie im italienischen ^o, Fi); man hört z. B. oft statt aldiuä (Biene) albFluua, alglnua
oder alksslua, alFwa; statt sorbosko (er schlürft) sorbFluosIo, sorZklosto, sorbssosto
rc. rc. aussprechen; 3. k geht in U (deutsch olr) oder in s (deutsch soll) über, und so werden
z. B. a ll (sein) wie a In oder a si, klor (Eisen) wie luor oder sior, koro und lioro (Galle)
wie Inoi-6 oder sloro rc. rc. ausgesprochen; 4. V geht in j (französisch s) oder in li, oder
in Ir über, und so spricht man z. B. statt avicloiua (ganz gleich) ajickorua und
aucloiua; statt vavick vajicl und vaiicl; statt vloriuo (Wurm) sornao und lerino; statt
so boluävosto (er wird krank) so boluajosko und so boluLlosto; statt vulxo Ilulxo;
statt ulöcluvä luoclullä; 5. in wird zu iuü, n (ii — italienisch und französisch gu); so
luiuina (Licht) luuliliua, luuiuü; mioro (Honig) innoro, iioro; sruourä (Himbeere)
smueura, süoura, u. s. W.
Ein Seitenstück zu den noch heute vernehmbaren Durchgaugsstufen luxki, lupoi,
niiloro kann man in dem nr finden, welches neben r in den ältesten schriftlichen Denk -
mälern lateinischem intervoealischen n entspricht. Man findet z. B. in dem Woronetzer
Codex regelmäßig buuru und kuru (gut), oinro (wer), lumiurä iind luinira (Licht) rc.,
statt kuuu, oiuo, luiniuä.
Auch die palatalen Laute o (italienisch eo, oi) und F (italienisch Fo, gi) werden hie
und da von Vielen gelinder ausgesprochen, und zwar das oo, oi wie ein sehr gelindes s
(deutsches soll) und das Fo, Fi wie das französische j in justioo; z. B. statt oiuo (wer)
sine; statt ooaeo (er bäckt) eoaso; statt 1oF6 lojo; statt IllUFluro (Länge) luiljlius rc.
Auch beim o-Laute finden wir einen kleinen Unterschied zwischen der Aussprache der
Gebildeten und jener der Ungebildeten. Beim Landvolke wird der tonlose o-Laut am Ende
der Wörter, manchmal auch in der Mitte derselben, fast immer wie i ausgesprochen; man sagt
z. B. earli statt ourko (Buch), kuFl statt kuFo (er flieht), soarici statt soaroeo (Maus),
lulunorie statt tntunoroo (Dunkelheit) rc.
In der Sprache des Landvolkes wird ferner sehr oft der männliche Suffixartikel (I)
ausgelassen, dafür aber das vor ihm stehende u stets volltönend ausgesprochen; man
sagt z. B. cloinuu für ckoiuuul (der Herr), ursu für ursul (der Bür) rc. Auch in der
Anwendung der enklitischen persönlichen Fürwörter trifft man hie und da beim Landvolke
einen Unterschied an; einige sagen z. B. 'I-aiu vockutu'I für '1-aru vockut (ich habe ihn
gesehen). Das Hilfszeitwort a und au wird vom Landvolke in der Regel wie o aus -
gesprochen; z. B. o seris statt a oder au soris (er hat oder sie haben geschrieben).
392
Überdies gibt es im Rumänischen zwei 2-Laute; der eine wird wie das deutsche s
in „Lesen" und „Sagen", der andere etwa wie dieses s in Verbindung mit 6, also äs aus -
gesprochen. Diese Laute wurden im früheren sogenannten cyrillischen Alphabete durch eigene
Buchstaben bezeichnet; der erstere durch n, der letztere durch 3. Im XVIII. und insbesondere
im XIX. Jahrhundert, so lange man sich dieses Alphabetes noch bediente, beachtete man in
der Schrift den Unterschied gar nicht; beide Laute wurden blos durch n repräsentirt und
demgemäß auch von vielen Gebildeten unterschiedslos ausgesprochen. In der gegenwärtigen
rumänischen Graphie, die lateinischer Schriftzeichen sich bedient, hat man statt dessen die
Buchstaben ? und ä eingeführt, sie werden aber nicht verwendet, um die in der Sprache
bestehenden Nuancirungen des ^-Lautes zu kennzeichnen, sondern nur, um gewissen etymo -
logischen Rücksichten zu genügen. Empfehlenswerth wäre der Sprache des Volkes genau
zu folgen und für den ersten Laut (s im deutschen „Lesen") stets 2, für den zweiten (äs)
stets ä zu gebrauchen; in den meisten Fällen würde dies mit dem Etymon übereinstimmen,
da s meist auf lateinisch s, äs meist auf lateinisch äi oder äe zurückgeht (^obon -- sadauuru;
2ur — sern; äi ----- dies; prauä — prariäium).
Das Rumänische kennt ferner zwei Aspiraten, die wie deutsches Ir und all lauten.
Die Schrift hat aber dafür stets nur ein Zeichen verwendet: früher x', jetzt Ir. In der
Sprache der Gebildeten verwischt sich daher vielfach der Unterschied, man spricht oft Ir aus,
wo das Volk elr sagt, und umgekehrt. Es ist daher leicht zu verstehen, daß in der unter
Einfluß der Schrift stehenden Sprache der Gebildeten der Gebrauch immer mehr schwankend
wird. Es thäte auch hier Noth, den im Munde des Volkes deutlich vernehmbaren Unter -
schied durch zweierlei Zeichen zu fixiren. Der Versuch ir durch Ii, all durch elr darzustellen,
ist wenig glücklich, da elr als Zeichen des lr-Lautes vor e, 1 dient.
Auch in lexikalischer Beziehung findet man geringe Unterschiede in der Sprache der
Bukowiner Rumänen je nach ihrer Beschäftigung oder nach den Gegenden, die sie
bewohnen. Die geistige Bildung ist bisher noch kein Gemeingut aller Volksschichten
geworden. Durch den Fortschritt in der Cultnr und durch das Streben, die Sprache stets
rein von jedwedem Einflüsse zu bewahren, hat sich naturgemäß, wie bei anderen Völkern,
so auch bei den Rumänen ein Unterschied in der Menge und Qualität des Wortschatzes
der Gebildeten und der Ungebildeten herausgebildet, der aber in dem Maße sich verringert,
als die geistige Bildung auch auf die untersten Schichten der Bevölkerung sich ausdehnt.
Überdies haben auch die fremden Ansiedelungen zwischen den Rumänen auf den Wortschatz
der Ungebildeten einen Einfluß dadurch ausgeübt, daß hie und da fremde Wörter in
die Sprache des Volkes Eingang gefunden haben, wie z. B. Inrtu (Glashütte) für
steelürie, surt (Schürze) für oxren^a, turne (zurück) für riruxoi, eoirrirrrie (Inwohner)
für elririus oder eonloeuitor rc. Namentlich ist dies der Fall bei den niederen Schichten
393
der rumänischen Städter und bei den Handwerkern und Gewerbetreibenden, die zur
Bezeichnung ihrer Werkzeuge und mancher Handlungen oft fremde Wörter gebrauchen.
Im Allgemeinen sprechen die Gebirgsbewohner viel reiner rumänisch als die Bewohner
des flachen Landes, und von diesen wieder jene, welche von den Städten und Märkten
weiter entfernt sind oder kein bei Fremden erlerntes Handwerk betreiben.
Ruthenische Sprache und Literatur.
In der Sprache der Bukowiner Ruthenen lassen sich deutlich zwei Dialeete
unterscheiden: ein nördlicher und ein südlicher. Als die Grenzscheide zwischen den
beiden Dialecten ist speciell die Linie anzusehen, die man sich von Nepokokoutz aus über
Czartoria, Woloka am Czeremosz, Ober- und Unter-Stanestie bis Sadowa und von da
ostwärts über Korrzestie, Milleszoutz und St. Jlie bis Jpotestie gezogen denkt.
Nordöstlich von dieser Linie ist das Gebiet des nördlichen, südwestlich das Gebiet des
südlichen Dialeetes, und gehören die soeben erwähnten Ortschaften selbst noch zum Gebiete
des nördlichen Dialeetes. Sowie aber die Bukowiner Ruthenen, strenge genommen, nur
eine östliche Abzweigung der angrenzenden galizischen, präciser pokutischen Ruthenen
sind, so ist es auch mit ihren Dialecten der Fall. Der nördliche Dialect ist thatsächlich die
bloße Fortsetzung der Mundart, die in der nördlichen Hälfte des benachbarten pokutischen
Gebietes, der südliche Dialect hingegen die bloße Fortsetzung der Mundart, die in der
südlichen Hälfte desselben Gebietes gesprochen wird. Von diesem Gesichtspunkte aus könnte
man daher den im Nordosten der Bukowina gesprochenen Dialect mit gutem Rechte auch
als den nordpokutischen, den im Südwesten der Bukowina gesprochenen Dialect als den
südpokutischen oder mit Rücksicht darauf, daß die Bewohner des südlichen Pokutiens
ebenso, wie jene des correspondirenden Theiles der Bukowina ihrer überwiegenden Mehrzahl
nach Huzulen sind, schlechtweg als den huzulischen bezeichnen.
Mit der Feststellung dieser Thatsachen ist aber die in Rede stehende Angelegenheit
keineswegs als erledigt zu betrachten. Es frägt sich jetzt, ob die bukowinischen Fortsetzungen
des pokutischen Dialeetes mit ihren galizischen Typen identisch sind, oder ob sie vielleicht
auch Eigeuthümlichkeiten enthalten, worin sie mit ihren galizischen Typen nicht ganz
übereinstimmen. In Beantwortung dieser Frage muß nun zunächst berichtet werden, daß
mindestens zwischen der bukowinischen Fortsetzung des südpokutischen Dialeetes und ihrem
galizischen Typus ein Unterschied nicht besteht. Genau, wie die Ruthenen Südpokutiens,
sprechen auch die Ruthenen des in Betracht kommenden Theiles der Bukowina, und
erstreckt sich diese Übereinstimmung nicht blos auf die lexicalischen, sondern in vollem
Maße auch auf die grammatischen Eigenthümlichkeiten. Etwas anders stellt sich dagegen
394
das Verhältnis das zwischen der bnkowinischen Fortsetzung des nordpokutischen Dialectes
und ihrem galizischeu Typus besteht, dar. Wohl sind auch hier in dem Landstriche, der
unmittelbar an Galizien grenzt, zwischen der bnkowinischen Fortsetzung des nordpokutischen
Dialectes und ihrem galizischen Typus irgend welche Unterschiede nicht wahrnehmbar,
allein sie treten in demselben Maße zum Vorschein, je weiter wir in der Richtung gegen
Südosten fortschreiten. Die wichtigsten dieser Unterschiede sind: 1. Der Wechsel zwischen
i und e; 2. die überaus Weiche Aussprache der Palatalen: e, 8 und L; 3. der Ausfall der
Endung l in der dritten Person der Einzahl der gegenwärtigen Zeit der mittelst des
Suffixes i gebildeten Verbalthemen, wodurch Formen, wie: rob^, Isrib^, elmä^ (unter
deni Einflüsse der unter 1. erwähnten Eigenthümlichkeit sehr häufig auch, wie: rode, Isude,
edocle gesprochen) statt der üblichen: robxt, lsub^t, eliockzck entstehen; 4. der Ausfall des
schließenden l auch in der dritten Person der Mehrzahl der gegenwärtigen Zeit der
Verbalthemen der nämlichen Elaste, wodurch wieder Formen, wie: robsa, lsudsa, edocha
statt der üblichen: robsat, Isudsal, edoch'at zum Vorschein kommen.
Zur Literatur der Bnkowiner Ruthenen übergehend, müssen wir vor Allem
constatiren, daß dieselbe in der älteren Periode nichts, in der neueren nur wenig
specifisch Bnkowinisches bietet, sowie, daß sie in der älteren Periode überhaupt nur
im Zusammenhänge mit der gesammtrnssischen und der südslavischen, in der neueren nur im
Zusammenhänge mit der kleinrnssischen Literatur behandelt und verstanden werden kann.
Was zunächst die ältere, von der Einführung des Christenthums in der Bukowina,
also von beiläufig dem Anfänge des XI. Jahrhunderts, bis in die ersten Decennien dieses
Jahrhunderts sich erstreckende Periode anbetrifft, so ist als das charakteristische Merkmal
derselben in sprachlicher Beziehung der Gebrauch des Kirchenslavischen, in inhaltlicher
das Überwiegen kirchlicher Interessen und Anschauungen zu bezeichnen. Zwar ist es
theoretisch nicht ganz ausgeschlossen, daß in dem Gebiete, das auf Grund einer alten,
urkundlich schon im XIV. Jahrhunderte nachweisbaren Nomenklatur nunmehr die Bukowina
heißt, das aber bis zur Errichtung eines besonderen moldauischen Reiches (also bis
ungefähr zum Jahre 1350) einen Bestandtheil zunächst der altrussischen Collectivmonarchie,
dann speciell des Halicz-Wladimir'schen Territoriums bildete, außer den streng gottes -
dienstlichen oder liturgischen Büchern auch noch Abschriften von Literaturdenkmälern
weltlichen Inhaltes, wie beispielsweise das Lied vom Heereszuge Igors u. a., vorhanden
waren, allein erweisen läßt sich dies keineswegs. Ja, selbst von den Denkmälern, die, weil
für den vorgeschriebenen Gottesdienst unumgänglich nothwendig, seinerzeit gewiß vorhanden
waren, hat sich so gut wie nichts erhalten. Als eine vereinzelte Ausnahme könnte in
dieser Beziehung höchstens der Evangeliencodex gelten, der sich gegenwärtig im Kloster
Putna (erwähnt seit 1459) befindet und darum schlechtweg Lvan^eliai-iririr ?utiruirmm
genannt wird. Wohl
läßt sich auch für
dieses Denkmal die
Bukowiner Prove -
nienz nicht mit voller
Zuverlässigkeit Nach -
weisen, aber dieWahr-
scheinlichkeit spricht
eher für, als gegen
eine solche Annahme.
Jedenfalls ist aber
das LvanAölinrlum
Untnannm als ein
altes, der Schrift
und der Rechtschrei -
bung nach noch dem
XIII. Jahrhundertzn-
zuweisendes Denkmal
anzusehen, und hat
für die Wissenschaft
auch noch dadurch
Bedeutung, daß es
der nicht besonders
zahlreichen Familie
der kirchenslavischen,
präciser der altslove-
nischen Handschriften
angehört,indenen sich
Spuren der süd- oder
der kleinrnssischen
Mundart finden.
Um die Mitte des
XIV. Jahrhunderts
trat in den Politischen
Verhältnissen der
heutigen Bukowina
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Schriftprobe aus dem Lvanböliariulu kutnanum (XIII. Jahrhundert).
396
insoferne eine Änderung ein, als dieses Gebiet ans dein Verbände der allrussischen
Territorien definitiv heraustrat, um mit den ostwärts angrenzenden Ländereien ein
Bestandtheil des neuentstandenen moldauischen Reiches zu werden. So wichtig aber dieses
Ereigniß in politischer und auch in anderen Beziehungen gewesen ist, auf die literarischen
Verhältnisse des Landes hatte es vorläufig keinen Einfluß. Die Literatur bewegte sich, da
auch die neuen Herren des Landes in Amt und Kirche, vorzugsweise aber in der letzteren,
sich zunächst noch des Kirchenslavischen bedienten und auch ihrer ganzen Weltanschauung
nach dem griechisch-slavischen Osten viel inniger, als dem römisch-germanischen Westen
verbunden waren, nach wie vor in den hergebrachten Geleisen. Wenn irgend eine Änderung
eintrat, so war es höchstens die, daß in Folge der numerischen Zunahme sowohl der
Bevölkerung als auch der Klöster, die in jener Zeit noch die hauptsächlichsten Pflegestätten
der Bildung und der literarischen Bethätigung waren, das Interesse für Schrift und Wissen
sich seitdem viel intensiver gestaltete als früher. Und in der That, sehen wir uns in den
noch erhaltenen Klosterbibliotheken etwas genauer um und gehen wir überdies den Resten
anderer Bukowiner Klosterbibliotheken, denen wir theils in der Bukowina selbst, theils aber
in Lemberg, Przemyäl und Wien, auch an anderen Orten begegnen, nach, so werden wir
finden, daß obige Behauptung durchaus begründet ist. Auch heute noch sind unter diesen
zerstreuten und nunmehr stark zusammengeschrumpften Resten eines einst sehr beträchtlichen
Bücherschatzes außer zahlreichen liturgischenBüchern dieSchriften fast allerhervorragenderen
orientalischen Kirchenväter zu finden; ferner die in jener Zeit gangbaren kirchenrechtlichen
Compilationen, Erzählungen aller Art, und zwar sowohl die kirchlich zulässigen, als auch
die apokryphen, Erzeugnisse der älteren Polemischen Literatur, historische, geographische und
naturwissenschaftliche Artikel,Fragen und Antworten,Wahrsagebücher und dergleichen mehr.
Mit einem Worte, wie in den übrigen Ländern des griechisch-slavischen Ostens, so waren
auch hier die hauptsächlichsten Erzeugnisse der damaligen byzantinischen Literatur wohl
bekannt und in zahlreichen kirchenslavischen oder auch griechischen Abschriften verbreitet.
Doch nicht allein das, was die ältere byzantinische Literatur erzeugte und südslavische
Übersetzer ins Kirchenslavische übertrugen, fand Aufnahme und Verbreitung in der heutigen
Bukowina, es gilt dies in gleicher Weise auch von den selbständigen Werken der
bedeutenderen südslavischen Schriftsteller. So sind beispielsweise selbst noch unter den
soeben erwähnten Bücherresten sowohl einzelne Schriften des bulgarischen Patriarchen
Euthymius (1375 bis 1393) als auch solche des Gregorius Tzamblak (starb als Erz -
bischof von Rußland 1419) vorhanden, und wird die vom Letzteren verfaßte Lebens -
geschichte des heiligen Johannes Novi, dessen Gebeine nunmehr endgiltig in Suczawa
ruhen, in der Bukowina auch gegenwärtig vervielfältigt und gelesen. Übrigens ist auch das
in der Lemberger Universitätsbibliothek vorhandene Exemplar der Lebensgeschichten
397
serbischer Könige und Erzbischöfe von dem serbischen Panegyriker Daniel (gestorben 1338)
und seinen Fortsetzern, wie vorhandene Inschriften bezeugen, auf dem Umwege über die
Bukowina dorthin gekommen, und trifft dies auch bei der, in der Ausgabe des 6oäex
ZloveiUeus rsi-um Araririnatioarurii vom Akademiker V. Jagic verwertheten Abschrift
eines grammatischen Tractats, worin ein Auszug aus dem großen Werke des bekannten
südslavischen Gelehrten ans der ersten Hälfte des XV. Jahrhunderts, Konstantin aus
Kostenetz vorliegt, zu.
Schon im XIII. Jahrhundert wurde der erste und im XV. der weitere, etwas ernster
gemeinte Versuch einer Einigung zwischen der griechisch-orientalischen und der römisch-
katholischen Kirche gemacht, zunächst aber, wie bekannt ist, ohne Erfolg. Der Gedanke
selbst wurde jedoch nicht mehr aufgegeben und begann im XVI. Jahrhundert unter ungleich
günstigeren Voraussetzungen auf dem enger begrenzten Gebiete der westrnssischen Kirche
greifbare Gestalt anzunehmen. Ganz glatt und ohne einen sehr erheblichen Widerstand
seitens der hiezu berufenen Factoren verlief indeß die Angelegenheit auch jetzt nicht. Es
entbrannte zuvor noch eine heftige, von beiden Seiten mit vieler Leidenschaft geführte
kirchliche Fehde, die, so beklagenswerth sie auch von einem anderen Gesichtspunkte aus sein
mag, in literar-historischer Beziehung immerhin den Vvrtheil hatte, daß sie die Gemüther
aufrüttelte und der älteren russischen Literatur wenigstens theilweise einen actuellen, ans
der unmittelbaren Gegenwart und den factisch vorhandenen kirchlichen und nationalen
Gegensätzen geschöpften Inhalt verlieh. Bei dem regen geschäftlichen, Politischen und
geistigen Verkehre, der zwischen der damaligen Moldau und den westrussischen Antheilen
des gewesenen polnisch-lithauischen Reiches bestand, konnte es nun nicht ansbleiben, daß,
gleichwie jene kirchliche Fehde, so auch die sie begleitende Literatur auch hierzulande einen
lebhaften Wiederhall weckte. Man las und commentirte in den schriftkundigen Gesellschafts -
kreisen der damaligen Moldau eifrigst sowohl die für als namentlich auch die gegen die
Union gerichteten Tractate und Bücherund stellte sich aus leichtbegreiflichen Beweggründen,
zumal Fürst und Bewohner sich zum griechischen Glauben bekannten, auf die Seite
derjenigen, die die Union bekämpften. Und während die moldauischen Hospodare und ihre
Großen ihren Glaubensgenossen in Polen zum Zwecke der Erhaltung ihrer Kirchen,
Brüderschaften und Druckereien mit bedeutenden Geldspenden, die Hospodare überdies
durch Bitten und Vorstellungen bei den polnischen Königen und Senatoren zu Hilfe eilten,
gewährten ihnen die moldauischen Klöster ihrerseits ausgiebige moralische Unterstützung.
In den moldauischen und insbesondere in den in der heutigen Bukowina gelegenen
Klöstern suchten und fanden die Verfechter des orthodoxen Standpunktes nicht selten auch
die ihnen nothwendigen literarischen Behelfe. So ist es beispielsweise Thatsache, daß einer
der hervorragendsten, jedenfalls aber der gelehrtesten und sachlichsten Verfechter dieses
398
Standpunktes, der bekannte Zacharias Kopystenski, für sein literarisches Hauptwerk,
das er ?aiino6ia nannte und zwischen 1621 und 1622 zum Abschlüsse brachte, einen
Theil der Materialien im Kloster Putna in der heutigen Bukowina sammelte. Er bezeugt
dies selber, indem er bei Gelegenheit der Erwähnung der bekannten Fabel von der Päpstin
Johanna ganz ausdrücklich bemerkt, daß er die Nachricht hievon unter anderen auch in dem
im Kloster Putna in kirchenslavischer Übersetzung vorhanden gewesenen Exemplare des
Dialogs des Archimandriten von Calabrien, Warlaam, vorfand. „Als ich" — so lauten
die eigenen Worte Kopystenskis — „in dem überaus berühmten moldauischen Kloster,
genannt Putna, weilte, habe ich dort das erwähnte Buch und in diesem Buche die
Geschichte von der Päpstin Johanna selbst gelesen."
Im Übrigen bewahrte aber die Literatur in der heutigen Bukowina den hergebrachten
Charakter, und bestand die Hauptthätigkeit der hiesigen Schriftgelehrten fast ausschließlich
im Copiren fertiger bulgarisch-, serbisch- und russisch-slovenischer Vorlagen. Diese
Thätigkeit steigerte sich noch, als ihr der Bischof von Radautz und nachmalige Metropolit
von Suczawa, Anastasius Krimkowicz, genannt Krimka, seine Unterstützung lieh
und die reichen Einkünfte seiner hohen kirchlichen Stellungen, die er mit einigen Unter -
brechungen von ungefähr 1589 bis 1631 inne hatte, theils zum Ausbau des Klosters
Dragomirna bei Suczawa, theils zur Anschaffung von Handschriften verwendete. Metropolit
Anastasius Krimkowicz war aber nicht blos Freund und Förderer des Bücherwesens als
solchen, sondern er war auch auf splendide äußere Ausstattung und auf Ausschmückung der
von ihm bestellten Handschriften mit Miniaturen bedacht, zu deren Herstellung er sich vor -
zugsweise eines gewissen Stefan ans Suczawa bediente. Beweis dessen unter anderen
der gegenwärtig in derLemberger Universitätsbibliothek aufbewahrte Evangeliencodex, sowie
das Apostolar vom Jahre l610, das die Wiener Hofbibliothek bewahrt.
Doch gerade zu der Zeit, als die Vorherrschaft des Kirchenslavischen in der Literatur
und im Praktischen Leben der heutigen Bukowina im gewissen Sinne ihren Kulminations -
punkt erreichte, waren auch schon Momente vorhanden, welche dieser Vorherrschaft ein
unvermeidliches Ende bereiteten. Als solche Momente können angesehen werden: 1. Das
Versiegen neuer südslavischer Zuflüsse in Folge des in den Ländern bulgarischer und
serbischer Zunge seit der Unterjochung durch die Türken eingetretenen literarischen Still -
standes; 2. das Zurückdrängen kirchenslavischer Sprache und Literatur auch iu den an
die heutige Bukowina angrenzenden West- und südrussischen Gebieten in Folge des in
jenen Gebieten immer mächtiger gewordenen polnischen Einflusses; 3. das Entstehen einer
besonderen rumänischen Literatur und die damit Hand in Hand gehende Einführung der
rumänischen Sprache in den amtlichen und kirchlichen Verkehr der heutigen Bukowina.
Von ailsschlaggebender Bedeutung war aber zweifellos das an dritter Stelle erwähnte
Miniatur aus dem Apostolar des SuczawerMetropoliten Anastasius Kriinkowicz (1610).
Moment. Denn, da die überwiegende Mehrheit der damaligen Bewohner der heutigen
Bukowina inzwischen ohnehin rumänisch geworden war, so ging die Einführung der
rumänischen Sprache in Amt und Kirche, worin namentlich der Wvjwode Lupul Basilius
(1634 bis 1654) einen ganz besonderen Eifer entwickelte, leicht und ohne wesentliche
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Hindernisse von statten. Nur in den Klöstern und den Kirchen des nordwestlichen Theiles
der heutigen Bukowina fristete die kirchenslavische Sprache und Literatur auch fernerhin
ihr Dasein, ohne jedoch mit der aufstrebenden rumänischen Sprache und Literatur unter
den obwaltenden Verhältnissen erfolgreich wetteifern zu können. Zum richtigen Verständnisse
dieser Beziehungen muß aber andererseits allerdings hervorgehoben werden, daß auch die
neu entstandene rumänische Literatur sich von der verdrängten kirchenslavischen eben nur
durch die Sprache, keineswegs aber durch Richtung und Inhalt unterschied. Bestand sie doch,
wenn wir von einigen wenigen Erzeugnissen, die offenbar auf polnischen Einflüssen beruhen,
absehen, in jener Zeit aus bloßen Übersetzungen einschlägiger griechischer oder, was eigentlich
die Regel war, aus bloßen Übersetzungen vorhandener kirchenslavischer Vorlagen.
So beschaffen also waren die literarischen Verhältnisse der heutigen Bukowina, als
dieses Gebiet im Jahre 1775 an Österreich kam und hiedurch in eine gewisse Abhängigkeit
auch von deutschen Cultureinflüssen gerieth. Freilich machten sich diese Einflüsse
nur sehr allmälig und in den ersten Decennien aus nahe liegenden Beweggründen in
wenig intensiver Weise geltend. Man lernte zwar deutsch, las auch deutsche Bücher, aber
in den beiden einheimischen Literaturen herrschten geraume Zeit noch die alten Über -
lieferungen. Der beste Beleg hiefür sind aus dem Gebiete der rnthenischen Literatur speciell
die geistlichen Lieder, welche Wasil Ferlejewicz (geboren 1783, gestorben 1851) ver -
faßte und unter dem Titel: ?i8ui, Psalms u. s. w. zum ersten Male zwischen 1844 bis
1845, zum zweiten Male in vermehrter Ausgabe 1849 in der Eckhardt'schen Druckerei in
Czernowitz veröffentlichte. In diesen Liedern ist Sprache, Reim und Strophenbau genau
wie in den älteren, aus dem XVII. und XVIII. Jahrhunderte stammenden westrussischen
Kirchenliedern, nur daß die Ferlejewicz'schen Lieder in allen diesen Beziehungen womöglich
noch ungeschickter und unbeholfener sind als diese. Ein weiterer Beleg für die obige
Behauptung sind ferner auch die von den Brüdern Gabriel (1816 bis 1844) und Wasil
Prodan (1809 bis 1880) verfaßten Oden. Auch diese Gedichte stellen sich, was Sprache
und schriftstellerische Manier anbetrifft, als offenbare Nachklänge der alten panegyrischen
Dichtung dar und haben mit der Ode im besseren Sinne des Wortes höchstens den
Namen gemein. Wenn aber den Brüdern Prodan in der Geschichte der bukowinisch-ruthe-
nischen Literatur trotzdem eine gewisse Bedeutung zukommt, so verdanken sie dieselbe
vorzugsweise dem regen nationalen Bewußtsein, das sie früher als die übrigen Bukowiner
Ruthenen beseelte, und dem Eifer, mit dem namentlich der ältere von ihnen, als der
Überlebende, diesem Bewußtsein praktische Geltung zu verschaffen wußte. Wasil Prodan
war viele Jahre hindurch der anerkannte Führer der Bukowiner Ruthenen, und es
ist unter anderen sein Verdienst, wenn die Bukowiner Ruthenen, deren Zahl unter öster -
reichischer Herrschaft wieder zu steigen begann, so daß sie gegenwärtig die relative Majorität
im Lande besitzen, im Jahre 1868 endlich einen literarischen Verein, die noch heute
bestehende Husku Lesicla, gründen konnten.
Während aber die schriftstellerische Thätigkeit der Bukowiner Ruthenen noch in den
alten Traditionen befangen war, hatte sich in der Literatur der galizischen Ruthenen unter
dem Einflüsse vornehmlich der polnischen und der südrussischen oder ukrainischen Reflexe
der im Westen Europas auftauchenden nationalen, Politischen und socialen Bewegungen
bereits zu Beginn der Dreißiger-Jahre eine Wendung vollzogen, als deren hervor -
stechendstes Merkmal die Bevorzugung des Volksthümlichen in Sprache und Inhalt
angesehen werden darf. Durch Vermittlung einzelner galizischer Ruthenen, die in der
Bukowina theils als Lehrer, theils als Beamte wirkten, wurde diese neue, mehr dem Volks -
thümlichen zugekehrte und seit den Ereignissen des Jahres 1848 bedeutend erstarkte Literatur
nach und nach auch bei den Bukowiner Ruthenen eingebürgert. Die alte Tradition Pflanzte
sich zwar gewohnheitsmäßig noch eine Zeitlang fort, aber sie war für die Dauer nicht zu
halten und verschwand schließlich ganz. Und mögen die bukowinisch-ruthenischen Schrift -
steller, ähnlich wie ihre galizischen Genossen, in gewissen Einzelheiten, wie beispielsweise in
der orthographischen Frage oder in der Frage nach dem Verhältnisse des Kleinrussischen
zu den übrigen Varietäten des russischen Sprachstammes, noch so sehr auseinandergehen,
in dem einen Punkte sind sie gegenwärtig alle einig, daß die Aufgabe der Literatur nicht
in der Recapitulation alter, durch die kulturellen Fortschritte längst abgethaner Motive
besteht, sondern daß es ihre Aufgabe ist, den Interessen und Bedürfnissen des wirklichen
Lebens künstlerischen Ausdruck zu leihen.
Zu den bukowinisch-ruthenischen Schriftstellern, die sich in den Dienst dieser
neuen, mehr dem Volksthümlichen zugekehrten Richtung stellten, gehört in erster Reihe
OsiP Fedkowicz (1834 bis 1888). Obschon ihm in seiner Jugend nur eine sehr mangel -
hafte, über die elementaren Kenntnisse kaum hinausgehende Bildung zu Theil wurde,
hatte er sich im Verkehre mit dem Maler Rudolph Rothkähl, mit dem er zu Beginn der
Fünfziger-Jahre im Städtchen Neamtz in der Moldau zusammentraf, sowie im Verkehre
mit seinem militärischen Vorgesetzten, dem gebildeten und humanen Hauptmann Appel,
die deutsche Sprache sowohl als auch die neuere deutsche Literatur in einer Weise ange -
eignet, daß er im Stande war, auch selbst ganz nette deutsche Gedichte zu verfassen. Doch
nicht auf dem Gebiete der deutschen Literatur war er berufen, zu Namen und Bedeutung
zu gelangen. Als er im Jahre 1859 nach Beendigung des italienischen Feldzuges nach
Czernowitz kam und gerade daran war, in Folge einer ihm von E. R. Neubauer gewordenen
Aufforderung sich an eine deutsche Übersetzung der ruthenischen Volkslieder zu machen,
wurde er mit zweien hier zufällig weilenden jungen galizischen Schriftstellern, Anton
Kobylanski und Constantin Horbal, bekannt, die ihn bestimmten, seine Fähigkeiten
Bukowina. 26
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lieber in den Dienst der ruthenischen Literatur zu stellen. Der Erfolg, den er mit seinen
ersten ruthenischen Gedichten bei seinen Connationalen in Galizien weit mehr, als bei denen
in der Bukowina erzielte, bewirkte, daß er nunmehr mit verdoppeltem Eifer an die Aus -
führung weiterer literarischer Aufgaben schritt und sich bald zu dem Range eines der
bekannteren und beliebteren ruthenischen Schriftsteller emporschwang. Allerdings ist nicht
Alles, was Fedkowicz in dem langen Zeiträume von 1859—1888 schrieb, von gleichen:
poetischen Wertste gewesen, und lassen sich in seiner literarischen Wirksamkeit ganz deutlich
zwei Phasen unterscheiden. In der ersten Phase, die mit 1859 beginnt und mit 1867 endet,
steht Fedkowicz auf der Höhe seines Könnens und Schaffens, und sind die in dieser Zeit
entstandenen Gedichte und Erzählungen, insbesondere aber die letzteren, als eine wirkliche
Zierde der ruthenischen Literatur zu bezeichnen. Wohl ist der Jdeenkreis, der in diesen
größtentheils ganz knappen Schilderungen aus dem Leben der Soldaten und des lebhaften,
in Haß und Liebe gleich leidenschaftlichen Bergvölkchens der Huzulen zum Ausdruck gelangt,
weder groß noch bedeutend genug, aber der Dichter entschädigt uns für diesen Mangel durch
die ihm eigene künstlerische Gestaltungsgabe, sowie durch die überraschend frische Unmittel -
barkeit der Auffassung und Empfindung. In dieser Beziehung stehen die Produete der ersten
Periode seiner schriftstellerischen Wirksamkeit auf den, Gebiete der ruthenischen Literatur
unübertroffen da, und werden sie die ihnen innewohnende Poetische Actualität, noch erhöht
durch das liebliche, mundartliche Colorit der Sprache und die lebenswahre Treue der äußeren
Scenerie, auch in der Folgezeit nicht so leicht einbüßen. Wesentlich anders verhält es
sich dagegen mit den Producteu Fedkowicz'scher Muse aus der zweiten, von 1867—1888
reichenden Periode. Im ersten Augenblicke zwar machen diese Produete in Bezug auf
Gedankenfülle und Mannigfaltigkeit der Formen einen fast noch günstigeren Eindruck, als
jene aus der ersten Periode; sieht man aber näher zu, so wird man finden, daß es keine aus
der eigenen Erfahrung und Empfindung des Dichters geschöpften Werke sind, sondern Nach -
empfindungen und Nachbildungen fremder Werke, vornehmlich aber derer von Szewczenkv.
Doch auch in den Erzeugnissen, die von Szewczenkv und anderen hier in Betracht
kommenden südrussischen und fremden Schriftstellern nicht beeinflußt sind, vermag
Fedkowicz nicht mehr zu der früheren Höhe sich hinaufzuschwingen. Sein Flügelschlag
war in Folge von Umständen, die wir lieber unerörtert lassen, offenbar schon gelähmt und
er förderte nunmehr entweder ganz verfehlte Werke zu Tage, wie beispielsweise den
„Dowbusz", oder bloße Paraphrasen eigener älterer Gedichte und Erzählungen, wie dies
beispielsweise in den „Dniestrwirbeln", dem „Grabhügel der Lelija" und anderen der
Fall ist. Nur in den geistlichen Liedern, deren er in dieser Periode eine größere Zahl ver -
faßte, bewährte sich Fedkowicz noch als der frühere Meister, obschon allerdings in einer-
ganz anderen Richtung, als früher. Der subjectivste ruthenische Dichter entpuppte sich in
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diesen Liedern als der vbjeetivsten einer und zeigte zugleich, wie solche Lieder geschrieben
werden müssen, wenn sie nicht versificirte Prosastücke, sondern Gedichte im eigentlichen
Sinne sein sollen. Von seltener Intimität der Form und des Inhaltes ist ferner auch die
Mehrzahl der Gedichte, die Fed'kvwicz im Jahre 1887 für kleine Kinder herausgab, und
um so verdienstlicher, je schwieriger es in Wirklichkeit ist, gerade hier den richtigen Ton
und die richtige Ausdrncksweise zu finden. Auch dürfte es übrigens nicht zu oft Vorkommen,
daß ein alternder, mit sich und der Welt zerfallener und auch sonst auf Abwege gerathener
Dichter noch vermocht hätte, die reine Kinderseele in einer so innigen und liebevollen
Weise zu belauschen, wie
es in diesen kleinen
Gedichten der Fall ist.
Ein anderer bukv-
winisch-ruthenischer
Schriftsteller, der es zu
einiger Bedeutung ge -
bracht, ist ferner Isidor
Worobkiewicz. Im
Jahre 1836 geboren,
fühlte auch er sich unter
dem Einflüsse der von ihm
genossenen Schulbildung,
wie seinerzeit Fed'kowicz,
zunächst zur deutschen Li -
teratur hingezogen, und
ging erst später, als er mit
einigen Erzeugnissen der
ruthenischenLiteratur be -
kannt wurde, zu der letzteren über. Als seine Erstlingsarbeit auf diesem Gebiete sind
die dreizehn Gedichte anzusehen, die er in dem von Bohdan Didyckij als Almanach
für das Jahr 1863 herausgegebenen Hat^air^ir unter dem Pseudonym Danylo Miaka
veröffentlichte. Dann folgten als Frucht unermüdlichen Fleißes zahlreiche lyrische und
erzählende Gedichte (darunter auch historische Gesänge und förmliche Epen), Erzählungen
in Prosa, Dramen, Operettentexte, Predigten und populär-wissenschaftliche Artikel. So
hübsch aber auch die Mehrzahl seiner lyrischen Gedichte ist, so liegt die eigentliche Stärke
Worobkiewicz's nicht in diesen, sondern in den von ihm verfaßten erzählenden Gedichten.
Mit einem überwiegend formalen Talente ausgestattet, für dasäußereVorgängeundBegeben-
2L«
Osip Feökowicz.
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heiten mehr Interesse haben als seelische Conflicte und Complicationen, ist Worobkiewicz
auf dem Gebiete der poetischen Bearbeitung epischer Stoffe legendären und historischen
Inhaltes besser als anderswo zu Hause, deren künstlerische Wirkung höchstens durch seine
Vorliebe für wortreiche und pathetische Reflexionen beeinträchtigend. Nicht so günstig, wie
über die erzählenden Gedichte im engeren Sinne (Balladen, historische Gesänge u. s. w.),
kann unser Urtheil über Dichtungen lauten, die, wie beispielsweise Kleopatra, Kaiser Nero
und Iwan der Schreckliche, einen ungleich größeren Umfang haben und von Worobkiewicz
mit der Absicht verfaßt wurden, der ruthenischen Literatur förmliche Epen zu schenken.
Denn, so löblich auch die Absicht ist, so sind doch Anlage und Durchführung trotz hübscher
Einzelheiten, unter denen die ruhige Bildkraft des Wortes und die plastische Anschaulichkeit
der Beschreibungen nicht den letzten Platz einnehmen, nicht von solcher Art, daß man
diesen Dichtungen einen höheren literarischen Werth zusprechen könnte. Unter den Erzäh -
lungen in Prosa ragen nur die „Makowejka" und allenfalls noch die „Nonne Ksenia"
als solche hervor, die den besseren Fed'kowicz'schen Erzählungen ebenbürtig an die Seite
gestellt werden können; die übrigen sind von nur mäßigem Belange. Dramen, die bis jetzt
nicht gedruckt vorliegen, sind ans den Aufführungen im Theater bekannt. Zu ihren Gunsten
spricht vor Allem, daß sie früher sehr oft gespielt wurden und auch heute noch vom Reper -
toire der ruthenischen Nationalbühne nicht ganz abgesetzt erscheinen. Mit anderen Worten
bedeutet dies, daß sie zu der Zeit, da sie geschrieben wurden, eine vorhandene Lücke
ausfüllten, eine solche zum Theile auch gegenwärtig ausfüllen und schon aus dem Grunde
verdienen, daß ihnen in der Geschichte des ruthenischen Schauspiels eine gewisse Bedeutung
zuerkannt werde. Auch ist die Schilderung der Personen und Situationen in diesen Dramen
gut und vorwurfsfrei und braucht Worobkiewicz nach dieser Seite hin den Vergleich mit
anderen kleinrussischen Dramatikern nicht zu scheuen. Freilich der gedankliche Inhalt ist,
ungeachtet Worobkiewicz in einigen seinerDramen, wie zumBeispiel in der „Bidna Marta"
oder im „Hnat Prybtuda", auch das sociale Problem zu streifen versucht, eher arm als
reich zu nennen, und was die Technik betrifft, so muß gesagt werden, daß denselben mindestens
in der Form, in der sie uns augenblicklich vorliegen, das wesentlichste Merkmal eines
wirksamen Bühnenstückes, nämlich eine dramatisch bewegte Handlung und ein bedeutungs -
voller, in seinen Motiven klar erfaßter und folgerichtig durchgeführter dramatischer
Couflict fehlt.
Außer Fed'kowicz und Isidor Worobkiewicz, als den beiden hervorragendsten
Vertretern der ruthenischen Literatur in der Bukowina, haben sich an deren Förderung
auch noch etliche andere Bukowiner Rutheneu betheiligt, leider jedoch ohne erheblicheren
Erfolg. Denn, so achtungswerth ihre Bemühungen von einem anderen Standpunkte aus
sein mögen, vom Standpunkte der Aufgaben, die die schöne Literatur zu lösen hat, sind
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diese Bemühungen nichts weiter als Versuche, in denen der gute Wille durchwegs stärker
ist als das literarische Können. Nur die wenigen Gedichte, welche Gregor Worobkiewicz,
ein Bruder des zuvor Genannten (1838 bis 1884), unter dem Pseudonym des Raum
Szram verfaßte, verdienen noch hervorgehoben zu werden, und gilt dies unter gewissen
Vorbehalten auch von den Erzählungen und Skizzen, die Eugenie Jaroszynski,
geboren 1868, zur Verfasserin haben. Ob aber die genannte Schriftstellerin auch halten
wird, was sie zu versprechen scheint, wird erst die Folge zeigen, sowie sie auch die Frage
zu beantworten haben wird, ob unter den bukowinisch-ruthenischen Schriftstellern, die
erst in jüngster und allerjüngster Zeit zur Feder gegriffen haben, eine bedeutendere
literarische Kraft vorhanden ist.
Deutsche Literatur.
Der geringe Procentsatz, mit dem die Deutschen in dem Völkergemisch der Bukowina
vertreten sind, läßt es begreiflich erscheinen, daß auch ihre Bethätigung an der deutschen
Literatur nur eine mäßige ist. Die eigentlich seßhafte, kaum erst ein Jahrhundert hier
angesiedelte deutsche Bevölkerung, der Bauer, hat natürlicherweise seine Söhne möglichst
dem eigenen Stande zu erhalten gestrebt, im Übrigen aber auch weder das Bedürfniß, noch
die Zeit und Kraft besessen, aus sich heraus einen deutschen Mittelstand zu schaffen, von
dem allein eine größere Antheilnahme an der deutschen Literatur zu erwarten gewesen wäre.
Das aus der alten Heimat übernommene Erbe an Volksliedern, Weihnachts- und Osterspielen
wurde zwar treulich bewahrt, ohne daß es jedoch in der neuen Heimat beträchtlich oder
bedeutsam wäre fortgebildet worden. So war von vornherein literarisches Schaffen kaum
irgendwo anders als in der Hauptstadt des Landes, in Czernowitz, zu erwarten. Hier nimmt
das deutsche Element trotz der thatsächlichen Minderheit der Zahl nach eine tonangebende
Stelle ein, hier ist der natürliche Mittelpunkt für das geistige Leben des ganzen Landes.
Aber gerade hier ist die gebildete deutsche Bevölkerung zum großen Theile eine fluctuirende
und setzt sich vornehmlich aus den Beamten zusammen, die aus den westlichen Provinzen
des Reiches hieher versetzt wurden, oft nur für kurze Zeit, seltener für die Dauer ihres
Lebens. Thatsächlich ist denn auch das Wenige, was die deutsche Literatur hier verzeichnen
kann, fast ausschließlich von deutschen Beamten verfaßt, deren Heimat und Jugendbildung
dem Westen angehört, so daß eigentlich von einer deutschen Literatur, die aus dem Lande
selbst erwachsen wäre, im strengeren Sinne nicht die Rede sein kann, wir müßten denn auf
alles Unreife, was als mißlungener Versuch da und dort in Tagesblättern oder auch
selbständig sich an die Öffentlichkeit gewagt hat, Rücksicht nehmen. Aber auch das Wenige,
was hier der Besprechung werth ist, gehört ausschließlich unserem Jahrhunderte an, genauer
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noch den letzten 50 Jahren. Zwar bestand schon zu Anfang dieses Jahrhundertes in Czernowitz
eine Druckerei, und nicht unmöglich ist es, daß schon damals einheimische literarische
Producte hier entstanden, aber Niemand hat sie beachtet und gesammelt. Erst durch die
Errichtung einer Landesbibliothek wurde auch fiir die heimatlichen schöngeistigen Erzeugnisse
ein Sammelpunkt geschaffen; denn trotz der behördlichen Verfügung, welche vor Errichtung
der Universität das Gymnasium in Czernowitz zur Einhebnng von Pflichtexemplaren der
im Lande gedruckten Werke berechtigte, hat sich hier aus älterer Zeit nichts erhalten. Aber
der Verlust ist wenigstens der Zahl der Werke nach gewiß kein erheblicher gewesen.
Die ältesten, uns erreichbaren lyrischen Erzeugnisse gehören dem Jahre 1850 an;
es sind die „Hymnen" von Ludwig Adolf Staufe-Simiginowicz, der auch in späteren
Jahren noch wiederholt mit Gedichten an die Öffentlichkeit trat, die ein leichtes, gefälliges
Formtalent bekunden, sowie mit Erzählungen, von denen viele auf dem Boden der Bukowina
sich bewegen. Aber sein Hanptverdienst liegt doch weniger in seinen eigenen Poetischen
Schöpfungen, als in den Nachdichtungen, durch welche er dem Westen die Kenntniß
östlicher Dichtungen vermitteln half, in seinen „Rumänischen Poeten" (1865) und den
„Kleinrussischen Volksliedern" (1888). In gewisser Hinsicht berührt sich hier der Tiroler
I. G. Obrist mit ihm; seine „Georginen" (1870), die zum Theil während seines Auf -
enthaltes in der Bukowina entstanden sind, enthalten Übersetzungsproben ruthenischer Lyrik,
denen er im zweiten Bande des Jahrbuches „Buchenblätter" weitere und bessere folgen ließ.
Ganz aus Beziehungen zum Lande erwachsen sind die „Lieder ans der Bukowina" (1855) von
Ernst Rudolf Neubauer, einem vielseitigen, aber zu rasch schaffenden Talente, zu dessen
Verdiensten es auch gehört, dem Lande die erste deutsche Zeitung geschenkt zu haben. Alle
die drei Genannten waren als Professoren an Gymnasien der Bukowina thätig, ihre Bildung
war eine westliche. Auch in der Art und Weise, wie sie für die Hebung der deutschen Literatur
in der Bukowina wirkten, haben sie viel Gemeinsames; nur eine kleine Zahl ihrer Schriften
erschien selbständig, das Meiste, was sie schufen, findet sich zerstreut in den Tagesblättern
jener Zeit, die sie zum Theil mitredigirten, oder in der literarischen Beilage des Bukowiner
Hanskalenders, die sie ins Leben riefen. In dieser Weise suchten sie alle der heimischen
Literatur ein Organ zu schaffen, aber Alle sahen nach kurzen Jahren die Fruchtlosigkeit
ihres Bemühens ein; und so endeten auch alle späteren Versuche anderer, welche das gleiche
Streben beseelte, mit der Erkenntniß, daß der Boden der Bukowina wenig geeignet sei für
literarische Bestrebungen. Freilich läßt sich nicht leugnen, daß die Mittelmäßigkeit der Mehr -
zahl der gebotenen Beiträge an dem raschen Untergange solcher Zeitschriften ebenso große
Schuld trug, als die Teilnahmslosigkeit der Bevölkerung, für die sie geschaffen sein wollten.
Landheimische Dichter kamen erst zum Worte, als Wilhelm Capilleri im Jahre
1864 seine „Buchenblätter", eine Sammlung von Dichtungen ausderBukowina,heransgab.
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Auch Neubauer und Staufe sind hier vertreten, aber es ist bezeichnend, daß das Beste,
was der kleine Band enthält, zwei Rumänen, Janko und Theodor von Lupul,
zu Verfassern hat, von denen namentlich der erste unstreitbar ein hochbegabter Lyriker war,
der Lenaus Einfluß deutlich erkennen läßt; größerem Schaffen hat früher Tod ein
Ende gesetzt. Wenige Jahre später wurde der Versuch Capilleris, die Dichter der Bukowina
in einer Sammlung zu vereinigen, von einem jungen Manne wiederholt, der eben erst das
Czernowitzer Gymnasium verlassen hatte und in welchem nachher der Bukowina ihr
bedeutendster Dichter erwuchs, von Karl Emil Franzos; seine „Buchenblätter" boten
tüchtige Proben junger, aufstrebender Talente, denen nur leider später der Boden fehlte,
auf dem sie voll hätten ansreifen können. Das Gleiche gilt auch von dem 2. Jahrgange
der „Buchenblätter", den I. G. Obrist herausgab und der wohl die besten Lieder enthält,
die Staufe geschrieben. Einen frischen Aufschwung schien die Lyrik in der Bukowina nehmen
zu wollen, als das Jahr 1875 dem Lande seine Universität brachte. Moritz Am st er und
Staufe sammelten die Lyriker um sich und brachten der jungen Hochschule in einem
„Poetischen Gedenkbuche" ihre Huldigungen dar, das manche tüchtige Leistung heimischer
Dichter birgt; von jüngeren Talenten sei nur aus P. Katz, den blinden Joh. Kaufmann,
der auch selbständig mit einem Bändchen „Nachtviolen" aufgetreten ist, aus I. Kunz u. a.
verwiesen, denen sich Hans Jaksch und besonders der talentvolle R. v. Strele
anschließen; die beiden letzten weilten allerdings nur kurze Zeit in der Bukowina.
Aber die Perle der Sammlung sind die Lieder, die Karl Emil Franzos bei-
gestenert hat. Zwar ist auch er nicht in der Bukowina geboren, aber seine geistige Ent -
wicklung gehört dem Lande an und auch sein Herz; singt er doch selbst in seinem „Gruß
aus Ost": „Nicht ist meine Wiege gestanden — In Deiner Thale Raum — Doch hältst
Du mit tausend Banden — Durch Jugendglück und Traum — Durch Schimmern vielsüßer
Sterne — Das wilde Herz im Bann — Daß es in fernster Ferne — Dich nicht vergessen
kann." Seine Bedeutung ruht vor allem in den culturhistorischen Bildern, die er in
den sechs Bänden seines „Halb-Asien" vereinigte, und in denen er zum ersten Male
die Aufmerksamkeit weiterer Kreise aus den Osten des Reiches, auf Galizien und auf die
Bukowina lenkte. Feines Empfinden und treffende Zeichnung vereinigen sich überall, mag
er uns einen schwülen Sommertag auf einsamer Haide oder einen Markttag in Barnow
schildern; was er über das Volkslied der Kleinrussen sagt, ist wohl überhaupt das Beste,
was über den Gegenstand in deutscher Sprache geschrieben wurde. Franzos ist aber auch
ein Meister der Novelle; in seinen Schilderungen des Ghettolebens übertrifft er alle seine
Vorgänger ebenso, wie er sie in der Vertiefung seelischer Kämpfe überragt; sein „Kamps
ums Recht", seine „Judith Trachtenberg" sind glänzende Beweise seines Talentes. Er
hängt mit inniger, vom Vater überlieferter Liebe an seinen jüdischen Glaubensgenossen,
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aber er ist nicht blind gegen die Schattenseiten des Judenthums und kämpft mit ehrlicher
Überzeugung gegen confessionelle Verbohrtheit, die gerade im Osten allem Fortschritt
der Cultur hemmend entgegentritt.
Einem Talente wie Franzos gegenüber treten Obrist, Staufe, Reichell, Kunz
und andere, die gleichfalls dem Gebiete der Novelle sich zugewendet haben, begreiflicherweise
ganz zurück, zumal das, was sie geschrieben, entweder nur flüchtig hingeworfen ist und dem
Interesse des Augenblicks dienen wollte oder, wenn schon weiter ausgeführt, doch inhaltlich
wie formell wenig Bemerkenswerthes bot.
Seit der Begründung der Universität scheint ein Stillstand auf dem Gebiete der
schönen Literatur in der Bukowina eingetreten zu sein, die älteren Talente verstummten
allmälig und haben keinen Nachwuchs heranreifen gesehen, der auch nur formell Annehm -
bares bieten würde. Um so eifriger wandte man sich wissenschaftlicher Thätigkeit zu,
und wir wären ungerecht, wenn wir nicht wenigstens einen Blick auf die Leistungen jener
Männer werfen wollten, die sich der Erforschung des Landes widmeten; hier hat die
Errichtung der Universität unmittelbar und auf das vortheilhafteste gewirkt. Bietet
doch auch kein anderes Kronland des Reiches so eigenartige und anziehende Verhältnisse
wie die Bukowina mit ihrem bunten Völkergemische. Thatsüchlich hat denn auch fast
jedes dieser Völker und Völklein seinen Bearbeiter gefunden. Über die Ruthenen und
Huzulen schrieb Kain dl, die Lippowaner und Juden zeichnete uns Polek, die Zigeuner
schilderte Ficker, sie alle faßte Staufe, der auch die Sagen der Bukowina sammelte, in
ein übersichtliches Bild zusammen. Noch reger war das Interesse für die Geschichte des
Landes, besonders seit seiner Vereinigung mit Österreich. An der Spitze, der Zeit nach,
steht der unermüdliche Wickenhauser, dem sich gleich verdienstvoll Polek, der uns auch
die Anfänge des Schulwesens in der Bukowina geschildert und eine Geschichte des
Protestantismus im Lande geschrieben hat, und v. Zieglauer anschließen; ihnen sucht
Kaindl in den gleichen Bahnen zu folgen. Zu einem Mittelpunkte für historische
Forschungen bildet sich allmälig das Jahrbuch des Bukowiner Landes-Museums heraus,
das seinen Bestand vornehmlich den rastlosen Bemühungen Romstorfers dankt, der selbst
wieder über das Bauwesen des Landes eingehende Studien veröffentlicht hat; gleichfalls
der genaueren Erkenntniß der Bukowina dienen die „Mittheilungen des statistischen
Landesamtes", die Mischler ins Leben gerufen hat.
Altar und Kirchengeräthe.
Bildende Kunst.
Die Culturentwicklung der an der Grenz -
scheide zwischen Orient und Occident ge -
legenen Bukowina und ihrer Nachbarländer
blieb infolge der zahlreichen kriegerischen
Ereignisse in früherer Zeit gegenüber den
westlichen Ländern weit zurück. Wie das
Land in politischer und commercieller, vor -
wiegend aber in religiöser Hinsicht vom
Orient abhing, so bildet es auch in seinem
kunstgeschichtlichen Leben kein selbständiges
Ganzes, sondern blos einen Theil des
großen Gebietes, welches sich von Byzanz
- aus über den Balkan und Griechenland
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einerseits, über Kleinasien, Armenien und Georgien bis an den Kaukasus anderseits
erstreckt und sich später, mit der Ausbreitung des Christenthums, nordwärts über die
Donau bis in das südliche Rußland ausdehnte. Innig, auch national, hängt ferner die
Bukowina mit den ehemaligen Donaufürstenthümern und besonders mit der Moldau
zusammen, mit welcher sie Jahrhunderte lang durch die gleichen Regenten, von denen
viele hier sogar residirten, vereinigt war.
Eine Kunstgeschichte des Landes ist noch nicht geschrieben worden; gerade in diesem
Wissenszweige erweist sich das Studium als verhältnißmäßig schwierig. Abgesehen von
einer Monographie über die Kirchenbauten in der Bukowina ist man hier noch
größtentheils auf Autopsie und auf eigene Aufnahmen angewiesen. Das Arbeitsfeld ist
ein überraschend ergiebiges. Es erstreckt sich ziemlich gleichmäßig vorwiegend über den
südöstlichen Theil des Landes und über die ehemalige Moldau, derart, daß alles, was
sich bis ins vorige Jahrhundert im Allgemeinen über die bildenden Künste in der
Bukowina sagen läßt, gleichzeitig von der Moldau und der Walachei gilt. Daß noch
manche Lücke besteht, welche durch weitere, historische und kunstgeschichtliche, sich gegenseitig
ergänzende Forschungen ausgefüllt werden wird, ändert an dieser Thatsache nichts.
Wir sondern den Stoff in zwei Zeitabschnitte. Hievon reicht die ältere Periode
ungefähr bis zum letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts, das ist bis zur Übernahme
der Provinz in die österreichische Verwaltung, während die neuere die Entwicklung der
Künste im laufenden Jahrhundert in sich begreift.
Die nach der Wende des ersten Jahrhunderts von Trajan geschaffene römische
Provinz Dacien erstreckte sich nördlich bis nahe an die heutige Bukowina. Ob daselbst
einzelne römische Ansiedelungen bestanden und ob seitens der Römer Erdwerke oder sonstige
Bauten aufgeführt wurden, wissen wir nicht; außer einer größeren Zahl römischer Münzen
und zwei, für römisch gehaltenen Ziegelfragmenten hat man bisher dem Boden des Landes
keinerlei Funde entnommen, welche als sichere Beweise für die Richtigkeit einer derartigen
Annahme gelten könnten. Die Wahrscheinlichkeit spricht indeß dafür, wenn man in Betracht
zieht, daß nicht blos eine Anzahl unter dem Namen „Trajanswülle" bekannte, bis hundert
und mehr Kilometer lange, mächtige Erdaufwürfe in der Dobrudscha und in Bessarabien,
sondern ähnliche, ebenfalls Trajan zugeschriebene Wälle auch in Podolien — also südwärts
und nördlich der Bukowina — bestehen; wenn man sich an die großartige, den Übergang
ins Dakerland bewerkstelligende, bei Turn-Severin bestandene Trajansbrücke erinnert und
wenn man bedenkt, daß das Nachbarland Siebenbürgen mit römischen Alterthümern
förmlich übersäet ist.
In der Bukowina selbst finden wir eine mächtige, anscheinend nachrömische
Vertheidigungsanlage auf dem Miserdziw-zamki bei Hlinitza: eine ausgedehnte Wallburg,
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imVolksmunde„Tatarenlager"genannt,dievon den Mongolen vorübergehend benützt worden
sein mag, wohl aber schon vor dem XIII. Jahrhundert im damaligen Kumanien errichtet ist.
Sie liegt auf einem nun vollständig bewaldeten, beiderseits und in seiner Nase steil
abfallenden Kamme, welcher sich mit der Wurzel an den langen, den Cecina bei Czernowitz
und den Pohar bei Hlinitza verbindenden Höhenrücken lehnt. Ihre Länge betrügt ungefähr
300, ihre Breite zwischen 50 und 130 Meter; zwei einfache und drei Doppelwälle, von
Graben begleitet, durchqueren sie, während an einzelnen Stellen auch seitliche Grenzwälle
angeordnet erscheinen. Bemerkenswerth ist, daß die inneren Wälle Steinbettungen und
Verschlackungen zeigen. Der Höhenrücken besitzt ab und zu noch sonstige kleinere Erdwerke
und diente zur gesicherten Verbindung der wichtigen, bei Hlinitza und bei Czernowitz
bestandenen Pruthübergänge und der sich anschließenden Verkehrswege. Noch lebt in der
Volkssage „das versunkene Dorf" in der Nähe der ersterwähnten wichtigen Furt, das mit
der im Jahre 1893 bei Szipenitz aufgedeckten neolithischen Ansiedelung identisch sein dürfte.
Eine ähnliche Wallburg besteht in Ober-Szeroutz auf dem Berdo Horodiszcze,
eine kleinere auf dem Zamczystie in Hliboka, während Reste von Wall- oder Befestigungs -
anlagen in Kalinestie bei Szerboutz, dann bei Lenkoutz, Zwiniacze, in Gurahumora und
anderen Orten, zum Theile vielleicht aus jüngerer Zeit stammend, zu sehen sind. Unweit
Badentz waren Verschanznngen vorhanden, deren Errichtung in die Zeit Stefan des
Großen gesetzt wird. Einer Wallanlage mit Mauerresten begegnet man endlich in dem zu
Neu-Fratautz gehörigen Walde.
Im Anschlüsse hieran wollen wir des ungefähr 380 Meter über dem Pruthflusse
bei Czernowitz gelegenen, wohl nur noch in wenigen Trümmern vorhandenen Bergfrits am
Cecina gedenken, von welchem namentlich ein umgestürzter, mächtiger Mauerkörper den
Steinbrechern glücklicher Weise festen Widerstand geleistet hat. Zahlreiche Sagen knüpfen
sich an dieses Bauwerk, unter welchem sich Gänge und mit Schätzen gefüllte Keller
befinden sollen und das zu Anfang dieses Jahrhunderts angeblich noch Theile der
Bedachung besaß. Nach den Formen der am Cecina aufgefundenen Sporen und Waffen
ist man versucht, den Bau dem Deutschen Ritterorden zuzuschreiben, dem vom ungarischen
Könige Andreas II. schon im Jahre 1211 das Burzenland in Siebenbürgen zur Sicherung
der Grenze gegen die heidnischen Kumanen überlassen wurde, oder den Johannitern,
welchen König Bela IV. im Jahre 1247 das Land Kumanien, allerdings ohne daß der
Orden in den dauernden Besitz desselben gelangt wäre, zu Lehen gab. Nach anderen soll
der Bergfrit in der Mitte des XIV. Jahrhunderts von dem polnischen Könige Kazimir
dem Großen, oder einige Jahrzehnte später, durch den Wojwoden Georg Koriatowicz
errichtet worden sein; möglicherweise nahm der eine oder andere blos Erneuerungen oder
Erweiterungen daran vor.
Die älteste Burganlage unseres Kronlandes scheint verschiedenen Berichten zufolge
in Sereth bestanden zu haben, einem am gleichnamigen Flusse gelegenen, heute ziemlich
unbedeutend gewordenen Städtchen. Sereth wird überhaupt die älteste von den
ursprünglichen, noch besiedelten Colonien in der Bukowina sein, wenigstens war es zur
Zeit der Begründung des moldauischen Fürstenthums in der Mitte des XIV. Jahrhunderts
hier die erste und wichtigste Stadt. Ihre Lage an dem gegen den Fluß steil abfallenden,
durch Bachschluchten zerklüfteten Nordrande des zwischen der Suczawa und dem Sereth
befindlichen Hochplateaus gewährt an und für sich bedeutende Sicherheit gegen feindliche
Angriffe; erhöht wird diese noch durch die östlich neben der Stadt gelegene Kuppe, die
sagenumwobene „Uuina". Unzweifelhaft trug diese früher ein befestigtes Schloß; der
Name rührt von Gemäuer her, dessen Reste im vorigen Jahrhundert sichtbar waren,
dann als Baumaterial verschleppt wurden; Fundamente sind noch heute nachzuweisen.
Wie besäet erscheint hier der Boden mit ausgeackerten Scherben.
Der im Süden Sereths gelegene Burghügel ,8asüa° soll ebenfalls ein Schloß
getragen haben, das mit der Burg Neamtz in Rumänien Ähnlichkeit besaß. Die Errichtung
wird dem Deutschen Ritterorden, der nachfolgende Umbau dem Wojwoden Sas, Sohn
des Dragosz, - der im fünften Decennium des XIV. Jahrhunderts in Sereth residirte,
zugeschrieben. Im Jahre 1819 waren auf Saska noch Mauerreste vorhanden. Die eingangs
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erwähnten römischen Ziegelfragmente stammen aus einem, am Fuße des Hügels bloß -
gelegten Gemäuer. Bemerkenswerth ist auch der in Sereth befindliche bedeutende Wall,
von dessen acht bis neun Meter betragender Höhe mindestens zwei Meter künstlich
aufgeschüttet erscheinen und welcher bis nun die wichtigste Fundstätte für prähistorische
und einzelne für römisch gehaltene Objecte in der Bukowina bildet.
In der Folgezeit wurde Sereth bald von dem geographisch besonders günstig
gelegenen Suczawa überflügelt. Für den orientalischen Handel, der sich auch gegen
Siebenbürgen und Ungarn hin entwickelte, war letzteres ein wichtiger Stapelplatz
geworden. Die Terrainbildung von Suczawa hat große Ähnlichkeit mit jener von Sereth.
Auch hier ist es ein theilweise zerklüftetes Hochplateau, an dessen steil gegen den Suczawa-
fluß abfallendem Nordrande die Stadt liegt. Sowohl westlich als östlich von der Stadt
trägt dieser Steilhang Ruinen; die im Westen gelegenen bestehen lediglich aus einem, unter
der Bezeichnung „Letateu cks 1a apus Stskan eol mare" bekannten, ungefähr acht Meter
breiten quadratischen Thurme, von dessen massigen Bruchsteinmauern die vordere bereits
abgestürzt ist oder abgebrochen wurde, während die im Osten befindlichen Ruinen vom
alten Berg- oder Fürstenschlosse stammen. Innerhalb der dasselbe von drei Seiten
umgrenzenden, bis zu 30 Meter breiten Gräben bedeckt dieses eine Fläche von 125 Meter
Länge und 90 Meter größter Breite; die grabenlose Seite bildet den jähen Absturz
gegen den tief eingeschnittenen Kakainerbach, der, sowie dessen Seitenschlucht, der Szipot,
die Fundstätte zahlreicher Münzen, Pfeilspitzen, Sporen und dergleichen ist. Auf dem
entgegengesetzten Ufer dieses Baches liegt die alte Metropolitan- oder Mirautzerkirche,
die der Sage nach mit dem Schlosse durch eine allerdings fabelhafte Brücke in Verbindung
gestanden sein soll. Diese mit verschiedenen Verschanzungen umgebene mächtigste Burg
der Bukowina, spielte in der Geschichte des Landes eine bedeutende Rolle, namentlich
als vom vorletzten Decennium des XIV. oder doch vom XV. Jahrhundert an bis nach der
Mitte des XVI. Jahrhunderts die moldauischen Wojwoden in Suczawa residirten. In
seiner „Denkschrift" vom Jahre 1779 berichtet der General Karl Freiherr von Enzenberg,
das sich in Suczawa siebenzehn große demolirte Kirchen und zahlreiche, kunstgerecht
hergestellte, sehr tiefe Keller befinden, endlich daß diese Stadt „eine sehr weitläufige, nun
zusammengefallene Residenz und eine große, auch zusammengefallene Bergfestung" besitzt.
Unter der hier erwähnten Residenz dürfte, neueren Nachforschungen und Aussagen älterer
Leute zufolge, ein in der Stadt selbst, und zwar in der Nähe der Mirautzer- und
Demetriuskirche gelegener, größerer fürstlicher Bau verstanden gewesen sein, von welchem
heute allerdings nur mehr die sich unter den Straßen herumziehenden Keller und altes,
stellenweise als Fundamente wiederbenütztes Gemäuer nachgewiesen werden können; unter
der „Bergfestung", welche, wie besonders Gabriel Freiherr von Splenyi 1775 berichtet,
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„über die ganze Stadt dominirt", ist unstreitig das Fürstenschloß, jetzt kurz »dvtntoa/
genannt, gemeint.
Gegenwärtig bestehen vom Fürstenschlosse nur geringe Manerreste; sie zeugen indeß
noch von der einstigen Größe und Stärke der Festung. Imposant ist die südliche, von
Kirche in Waira-Moldawitza.
zwei runden Bastionen slankirte Wehrmauer, deren hohes, an fünf Meter breites Thor,
wohl mittelst Fallbrücke, den Hauptzugang gebildet haben mochte. Letzterer führte in einen,
das höher gelegene Schloß von drei Seiten umgebenden Vorhof. Die Mauerreste und
Fundamente lassen auf zahlreiche, ehedem bestandene Thürme und sonstige Gebäude von
verschiedener Art und Lage schließen. Die Mitte der Nordseite nahm die Schloßkapelle ein,
deren Hauptapsis zum Theile noch vorhanden ist, wie auch Überreste der typischen,
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figürlichen Bemalung an derselben. Ein breiter Zugang zu dem Schlosse war auch hinter
der Kapelle angeordnet; ein Nebenausgang führte an der Westseite in die Bachschlucht
herab. Im Jahre 1895 wurde die wissenschaftliche Durchforschung des Schlosses
eingeleitet, die bereits sehr interessante Ergebnisse lieferte.
Sowohl über die Begründung des nun ruinenhaften Fürstenschlosses, als auch
über dessen Untergang fehlen vorderhand sichere Nachrichten. Vielleicht bestand hier schon
früher eine vom Deutschen Ritterorden, möglicherweise von den Johannitern errichtete
Befestigung, oder doch wohl eine Wallburg. Der Wojwode Peter Muszat, der die
Residenz von Sereth nach Suczawa verlegte, ließ gewiß bedeutende Veränderungen
und Erweiterungen an dem etwa vorhandenen Bau vornehmen. Unter Alexander dem
Guten, der dem Fürstenthume Moldau die erste staatliche Form gab, wird das Schloß
der Hauptsache nach vollendet gewesen sein. Die Sage erzählt nämlich von ungeheueren
Schätzen, welche der Fürst in den unterirdischen, weitverzweigten Gewölben des Schlosses
verbarg. Zu seiner Zeit, das ist am Beginne des XV. Jahrhunderts, stand Snczawa
bereits in hoher Blüte und die Stadt erweiterte sich fortwährend infolge neuer An -
siedelungen. Fürst Alexander brachte auch die Gebeine des heiligen Johannes Novi
in die alte Metropolitankirche und machte hiedurch Suczawa zu einem noch heute berühmten
Wallfahrtsorte.
Auch in späterer Zeit wurden noch Bauveränderungen am Fürstenschlosse vor -
genommen, so namentlich durch Stephan den Großen, der unter anderen auch gefangene
Tataren für die Arbeiten verwendete, während er in der Urkunde vom 31. August 1458,
mittelst welcher er dem Dorfe Burginestie gewisse Freiheiten ertheilte, die Einwohner
gleichzeitig von der „Frohnde bei der Burg Suczawa" loszählte. Auch Peter Raresz ließ im
zweiten Viertel des XVI. Jahrhunderts das Schloß verstärken, der Wojwode Johann oder
Heraklides aber dasselbe einige Decennien später „nach Art der deutschen Ritterburgen"
umbauen und einen Thurm errichten, der auf einer Steintafel seinen Namen trug.
Weitere Anhaltspunkte zur Bestimmung der Bauphasen am Fürstenschlosse lassen
sich durch den Vergleich der Constructionen und des Baumaterials mit der Ausführungsart
der Mirautzerkirche gewinnen, der es wahrscheinlich macht, daß der Baubeginn für beiln
Denkmale zusammenfällt. Die genannte Kirche soll aber von Dragosz selbst, oder bald
nach ihm von Inga, dem Vorgänger Alexanders, im letzten Decennium des XIV. Jahr -
hunderts errichtet worden sein.
Durch seine Stärke hielt man das Schloß für uneinnehmbar und es wurde deshalb
fort und fort von den Wojwoden als sichere, namentlich unter Peter Raresz und
Basil Lupul bestgefüllte Schatzkammer benützt. Es verlor seine Bedeutung auch dann
nicht, als nach der Mitte des XVI. Jahrhunderts der Wojwode Alexander Lapusznean
417
Jassy zur Residenzstadt wählte. Suczawa litt allerdings darunter, mehr aber noch
durch die unter Miron Barnowski im Jahre 1630 erfolgte Verlegung der Metropolie
nach Jassy; Suczawa, welches nach einer Aufzeichnung aus dem XVII. Jahrhundert
17 Kirchen hatte und in dem man zu eben dieser Zeit noch 20.000 Einwohner zählte,
beherbergte nach der Denkschrift des Generals Enzenberg im Jahre 1779 nur 417 Familien.
Im letzten Viertel des XVII. Jahrhunderts stürzte infolge eines Erdbebens ein
Schloßthurm ein. Nach F. A. Wickenhauser hätte 1677 der Wojwode Demeter Kantakuzino
Kloster Suczawitza.
das ehemalige Fürstenschloß devastirt, als er mit den verbündeten Türken das von den
Polen besetzte Schloß nach mehr als einjähriger Belagerung einnahm, ein Datum,
das W. Schmidt als verfrüht bezeichnet. Weit nachhaltigere Zerstörung erfuhr das
Fürstenschloß unstreitig infolge der Verschleppung der Steine als Baumaterial. Beispiels -
weise erbaute der Armenier Iwan Kapri sein umfangreiches Wohnhaus, jetzt Hotel
Langer, mit Steinen von der Residenz und vom Bergschlosse.
Mit den wenigen, bis jetzt besprochenen Bauwerken ist auch die Reihe der aus der
älteren Periode stammenden Profanbauten abgeschlossen. Alle übrigen Baudenkmale der
Bukowina aus der in Betracht stehenden Periode sind klösterliche und Kirchenbauten.
Bukowina. 27
418
Die Klöster, welche wir an erster Stelle behandeln, stellen gleichzeitig auch das beste
Verbindungsglied zwischen Schloß- und Kirchenbauten her, denn auch die Klöster waren
im Allgemeinen befestigte Plätze.
Gleichwie man im Alterthume die geheiligten Stätten und Tempel an möglichst
gesicherten Orten anlegte, sie wohl auch mit starken Mauern und Vertheidigungsthürmen
umgab, so schützte auch das Christenthum sein Gotteshaus — im Occident namentlich
in den unruhigen Zeiten des Mittelalters — gegen feindliche Überfälle. Im Orient hatte
das Christenthnm von jeher die erbittertsten Verfolgungen zu leiden; aber nur um so
härter im Kampfe und widerstandsfähiger wurde es. Um der Beschaulichkeit ungestört
nachhängen zu können und den Verfolgungen aufs beste zu entgehen, suchten die Anhänger
der neuen Lehre die unwirthlichsten Gegenden als sichere Verstecke auf. Derart entwickelte
sich mehr und mehr das Einsiedler- und Mönchsleben. Die ältesten Klöster und
Kirchen erscheinen in Serbien, Griechenland, am Balkan, in Kleinasien, namentlich
auch in Armenien und Georgien auf felsigen, schwer zugänglichen Höhen oder in engen
Schluchten errichtet.
Ganz auf dieselbe Weise entwickelte sich das Christenthum in den Donaufürsten-
thümern, einschließlich der Bukowina, in welch' letzterem Gebiete es wohl erst zu Beginn
des XIII. Jahrhunderts Eingang fand. Auch hier gelangte das Klosterleben überall
zu hoher Blüte, dann allerdings zu einer gewissen Verwilderung; es entstanden so
viele Klöster, sowohl für Mönche, als für Nonnen, daß die weitaus größere Zahl
dieser Anstalten, und zwar in der Bukowina im Jahre 1785 36 von 40, in Rumänien
aber seit dem Jahre 1864 ungefähr die Hülste der sich auf rund 300 belaufenden
Klöster und klösterlichen Einsiedeleien (sellltnri) aufgehoben wurde.
Bei vielen Klostergründungen knüpft die Sage an fromme Einsiedler an. Als
Beispiel sei das im oberen Thale der Woronetz gelegene ehemalige Kloster gleichen
Namens erwähnt, das der Fürst der Moldau, Stefan der Große, im Jahre 1488 auf
die Bitte des Eremiten Daniel gegründet haben soll. Dieser Einsiedler, der erste Jgumen
oder Klostervorsteher in Woronetz, an einer Außenwand der Klosterkirche abgebildet
und noch jetzt beim Volke sehr verehrt, soll ehedem in einer aus dem Felsen gehauenen
Zelle am Abhange des nahen Falkensteins gelebt haben. Eine ähnliche Felsenwohnung,
die sogenannte Lllülio ln peutrü, welche vollständig die Form der griechisch-orientalischen
Kirchen mit Pronaos, Naos und Sanctuarium, sowie einige der nie fehlenden Wand -
nischen und, ein Stockwerk unter dieser Anlage, eine Zelle besitzt, liegt im Pntnathale
unweit des heutigen Klosters Putna. Es gibt ferner eine Anzahl entlegener Gegenden im
Gebirge, welche noch jetzt den Namen „Einsiedelei" (2nllu8lria) führen: so die kleine
Erweiterung im oberen engen Pntnathale, etwa drei Kilometer vom Dorfe Putna entfernt,
419
woselbst das jetzt ruinenhafte, im Jahre 1758 vom Radautzer Bischof Dositheu nach einem
Umbau neu eingeweihte Kirchlein mit daranstoßendem größeren Wohnraume sichtbar
ist; in gleicher Weise im Dragoszathale, oberhalb des Dörfchens gleichen Namens,
wo noch altes Gemäuer besteht. Mauerreste aus längst vergangener Zeit, unter denen
man einen langen Gang entdeckte, finden sich ferner in der Nähe der zuletzt genannten
Gegend, an der schon ziemlich hoch gelegenen Waldstelle , Lüiilia«.
Außer den verhältnißmäßig wenigen, in den Wojwvdensitzen oder Metropolen
gelegenen Kirchen und Klostervereinen gewannen in Rumänien und in der Bukowina auch
,4-5 iL
Das gewesene Armenierkloster „Zainka" bei Snczawa.
diejenigen Klöster Bedeutung, löelche auf kuppenförmigen, leicht zu vertheidigenden
Anhöhen und vorwiegend jene, welche im Oberläufe von Gebirgsbächen, rings eingeschlvssen
von mit dichtem Urwald bedeckten Hängen, gegründet worden waren. Nicht blvs, daß
der Einfluß der frommen Einsiedler und Mönche oder Kaluger fortwährend im gläubigen
Volke wuchs, auch die Hospodare zollten ihnen Verehrung und unterstützten sie auf
jede Weise. Häufig gründeten die Fürsten neue Klöster, und zwar hauptsächlich wieder
in Thalschluchten; vielfach erweiterten sie die Baulichkeiten eines bereits bestehenden
kleineren Mönchvereins, wohl auch unter gleichzeitiger Verlegung des Klosters an einen
27*
420
passenderen nahen Ort. Sie errichteten sowohl die Klosterkirche, die sie mit den kostbarsten
Geräthen beschenkten, als auch die übrigen, allerdings oft sehr Primitiven Baulichkeiten,
und bedachten das Kloster mit reichen Stiftungen. Bei passenden Gelegenheiten kamen neue
Schenkungen zu den alten hinzu. So kam es, daß sich der Besitz mancher Klöster über
zahlreiche unterthane Ortschaften, über Mühlen, Felder, Waldungen, Teiche und oft
über eine namhafte Zahl leibeigener Zigeunerfamilien ausdehnte und daß sich ihre
Rechte ans die Ausübung der Gerichtsbarkeit, die Einhebung gewisser Steuern, Zölle
und Manthgebühren, dann einzelne Naturalabgaben — Honig, Wachs, Öl, Fische rc. —
erstreckten. Der Grundbesitz des Klosters Putna, der allerdings unter den herrschaftlichen
Besitzungen in der Bukowina der umfangreichste war, reichte beispielsweise von der
Siebenbürger Grenze bis nach Czernowitz.
Die Kirche mit den Grabstätten und dem werthvollen Geräthe, sowie die Habe des
Klosters und dieses als solches zu sichern, darauf legten die Gründer von Vorneherein ihr
Hauptaugenmerk. Sie gestalteten das Kloster deßhalb nicht selten zu einem festen
Platze mit Mauern, Gräben und Thürmen um. Der Klosterhof hat im Allgemeinen
die Form eines Rechteckes. Die Ost- und Westseite sind kürzer gehalten, derart, daß der
Raum um die inmitten des Hofes gelegene langgestreckte Kirche herum annähernd gleiche
Breite erhält. Die Lage des Eingangsthurmes richtet sich hauptsächlich nach örtlichen
Verhältnissen; in Putna befindet sich dieser an der Ostseite, ebenso in Woronetz, Watra-
Moldawitza und Solka; in Suczawa und Suczawitza liegt er an der Nordseite, in
Dragomirna an der Südseite. Vor- und Wirthschaftshöfe stammen häufig aus späterer Zeit.
Die älteste noch bestehende Klosteranlage ist Putna. An seinem jetzigen Orte wurde
das Kloster vom Wojwoden Stefan dem Großen als Begräbnißort um das Jahr 1466
gegründet. Obwohl seither an den Wohnungen und an der Kirche bedeutende bauliche
Veränderungen vorgenommen wurden, ja ein vollständiger Umbau der Kirche stattfand,
bestehen noch die Umfassungen des Klosters zum größeren Theile in ihrer ursprünglichen
Gestalt. Von dem früheren Zustande desselben erhält man eine ziemlich gute Vorstellung
aus einem Gemälde, das aus der zweiten Hälfte des XVIII. Jahrhunderts stammt und das
Kloster nach der vom Metropoliten Jakob, 1757, durchgeführten vollständigen Restanrirung
zeigt. Der allerdings klein dargestellte Wassergraben wird Wohl lediglich Vertheidigungs-
zwecken gedient haben und, seinerzeit wenigstens, dementsprechend groß gewesen sein, wie ja
auch die Putna, die in diesem Bilde sehr schmal gezeichnet erscheint, thatsächlich ein breites,
wasserreiches Flüßchen ist. An ihrem rechten Ufer bemerkt man die dlrilio ln psutru
mit der Stiege ins obere Geschoß. Als Ersatz des an der Westseite sichtbaren, baufällig
gewordenen Glockenthurmes errichtete man rechts vom Eingänge einen neuen Thurm, der
1885 eingeweiht wurde.
421
Von dem ebenfalls von Stefan dem Großen im Jahre 1488 begründeten Kloster
Woronetz besteht außer der Kirche noch der jetzt lediglich zur Aufnahme der Glocken
benützte Eingangsthurm, während man von den verhältnißmäßig dünn gehaltenen
Umfangsmauern nur einzelne unter der Rasendecke verborgene Fundamente Nachweisen
kann. Die südlich der Kirche befindlichen Ruinen eines größeren Gebäudes rühren von
einer zu Ende des vorigen Jahrhunderts durch ein englisches Geschäftshaus errichteten
Porzellanfabrik her, die wohl mit Benützung einzelner Theile der Klosterfnndamente
erbaut worden ist.
Das jetzige Kloster Suczawa, dessen Kirche im Jahre 1514 als neue Metropolitan -
kirche vom Wojwoden Bogdan III. begründet und 1522 von seinem Sohne Stefan VI.
vollendet wurde, besaß keine besonderen Befestigungsanlagen; den Glocken- und Eingangs -
thurm erbaute der Wojwode Peter VI. (der Lahme) im Jahre 1589.
Minder befestigt war das Kloster Humora, dessen Kirche im Jahre 1530 von dem
lo^okst-murs (Kanzler) Theodor Bubujog als Grabeskirche errichtet wurde und von dem
nur noch ein hoher Thurm besteht. Dagegen wurde das Kloster Watra-Mold awitza von
dem Wojwoden Peter Raresz im Jahre 1531 vollkommen nach fortificatorischen Grund -
sätzen erbaut. Die 14/? Meter starken, an sechs Meter hohen, aus Bruchsteinen bestehenden
Ringmauern umschließen den ungefähr 65 Meter breiten und 72 Bieter langen Klvsterhvf.
An der Südseite fehlt dermalen die Mauer, an deren Stelle in jüngerer Zeit das jetzige
Pfarr- und Wirthschaftsgebäude kam. An dem Südende der nach Osten gerichteten Seite
befindet sich der starke quadratische Glockenthurm, ungefähr in der Mitte der dreigeschoßige
Eingangsthurm und an dem Nordende ein runder Vertheidigungsthurm. In der Mitte der
Westseite ist ein im Äußeren einem starken Strebepfeiler gleichendes Kämmerchen mit
Schießscharten ausgebaut, um die Mauer zu enfiliren. Die innere Ecke zwischen der
Nord- und Westseite wird von den Ruinen des zweigeschoßigen Wohnhauses eingenommen,
das sich der Radautzer Bischof Ephrem in den Jahren 1610 bis 1612 erbauen ließ. Die
Klöster Humora und Watra-Moldawitza waren übrigens schon früher gegründet worden
und bestanden an anderen Stellen. Das letztere hatte im Jahre 1401 Alexander der
Gute, Humora aber, vielleicht um weniges später, der Richter Johann errichtet. Wenige
Ruinen der ursprünglichen Klöster, größere Reste indeß von der alten, durch einen
Wolkenbruch zu Grunde gegangenen Klosterkirche Watra-Moldawitza sind noch vorhanden.
Suez awitza, das von der fürstlichen Familie Mogila begründet wurde und für
welches Kloster Georg Mogila, Bischof von Radautz und nachmaliger Metropolit der
Moldau, zuerst eine hölzerne Kirche aufführen ließ, wurde in seinem jetzigen Zustande,
abgesehen von den mittlerweile adaptirten Wohn- und Wirtschaftsgebäuden und von
minder wesentlichen Veränderungen an Kirche und Umwalluug, von dem Bruder des
422
Bischofs, dem Landesverweser und nachmaligen Wojwoden Jeremia Mogilas in den
Jahren 1578 bis 1581 erbaut. Es ist das imposanteste und, mit Dragomirna, das best-
erhaltcne der Bukowincr Klöster. Die Ecken der den Klosterhof umschließenden, mehr als
sechs Meter hohen gewaltigen Ringmauern werden von vier Thürmen eingenommen,
deren nordwestlicher, gestützt durch besondere Strebepfeiler, quadratisch erscheint, während
die drei anderen polygonalen Grundriß besitzen. Der quadratische Eingangsthurm hat sein
schmales, sehr niedriges Thor zwischen zwei ungeheuer massigen, an ihren Vorderseiten
wohl je sechs Meter breiten, ans riesigen Quadern hergestellten Strebepfeilern.
Während die bisher vorgeführten Bukowiner Klöster, ebenso wie das weiter unten
beschriebene ehemalige Kloster Solka, mit Ausnahme des Klosters Suczawa, in Gebirgs-
thälern liegen, befindet sich das Kloster Dragomirna im Hügellande, allerdings
eingeschlossen zwischen ausgedehnten Waldungen. Es wurde im Jahre 1602 von dem
Metropoliten der Moldau, Anastasius Krimka, gegründet, der auch die prachtvolle Kirche
errichtete. Erst nachträglich, und zwar durch den Wojwoden Miron Mogila (Barnowski)
gegen 1630, erhielt dieses Kloster, ähnlich dem Kloster Suczawitza, eine festungsartige,
starke Umwallung; insbesondere wurden hier sehr bequeme, noch heute bestehende gedeckte
Umgänge vor den schmalen Schießscharten der Ringmauern angeordnet. Dragomirna bildet
die jüngste größere Befestigungsanlage in der Bukowina.
Nahezu gleich gut umwallt ist auch das ehemalige Kloster Solka, das von dem
Wojwoden Stefan X. Tomsza im Jahre 1612 begründet, und, als der vertriebene Fürst
neuerdings auf den Thron gelangte, im Jahre 1623 durch ihn vollendet wurde. Mit Aus -
nahme der schönen Kirche und des Glockenthurmes befinden sich die Baulichkeiten, welche
jenen von Watra-Moldawitza ziemlich gleichen, bereits in Halb ruincnhaftcm Zustande.
Mit einer allerdings kaum meterdicken, durch Strebepfeiler verstärkten Mauer ist
endlich auch noch das armenische Kloster zum heiligen Axenti umwallt, das, westlich der
Stadt Suczawa und etwa einen Kilometer von dieser entfernt, am nördlichen Steilrande
des höchsten Punktes der Umgebung der Stadt liegt und im Jahre 1551 von dem Armenier
Agopsza gestiftet wurde. An der Südseite, nahe der Südostecke, befindet sich der heute
unbenützte Eingang unter einem mehrgeschoßigen, eine Kapelle enthaltenden Glockenthurm,
in dessen Thorhalle man, und zwar auf dem Schlußstein des Thorbogens, die Jahreszahl
1606 bemerkt. Das stockhohe, interessante, eine zierliche Hauskapelle einschließende Haupt -
gebäude, das wohl schon vor der Klostergründung bestand, liegt an der Nordseite und hat
hier seinen Zugang durch einen niederen, schmalen Thorweg. An der westlichen, südlichen
und östlichen Klostermauer ließ Johann Sobieski, als er im Jahre 1686 aus Jassy nach
Polen zurückkehrte, den sich an den Ecken bastionenartig erweiternden Wall mit Graben
neu anlegen oder einen etwa schon bestandenen bedeutend vergrößern, so daß die Graben-
sohle nun circa acht Meter unter der Wallkrone liegt. Aus dieser Zeit stammt die jetzige
Benennung des bereits aufgelösten Klosters „Zamka".
Die architektonische Durchbildung der Klosterbaulichkeiten beschränkt sich lediglich
auf einzelne Constructionen und Detailformen, welche von der Kirche, und zwar vornehmlich
auf den Eingangsthnrm, übertragen erscheinen. Das Gotteshaus selbst bildet das
interessanteste Object, mit welchem wir uns daher eingehender zu beschäftigen haben.
424
Die massiven Kirchen, welche zumeist ehemaligen Klöstern angehörten, stammen fast
alle aus der Zeit vom XIV. bis zum XVII. Jahrhundert; von den wichtigsten derselben
mögen vorläufig die Erbauer, sowie die Bauzeit angeführt werden. Abgesehen von der
Radautzer Kirche, welche auch in Bezug auf ihren Baustil eine exceptionelle Stelle
einnimmt, dürften die Serether Dreifaltigkeitskirche, sowie die Serether Johanneskirche,
deren Errichtung die Sage den Wojwoden Sas, beziehungsweise Peter II. um die Mitte,
respective aus der zweiten Hälfte des XIV. Jahrhunderts zuschreibt, die ältesten sein; in
ungefähr gleichem Alter steht die bereits erwähnte alte Metropolitan- oder Mirantzer Kirche
in Suczawa, welche Fürst Inga erbaut haben soll. Stefan der Große gründete eine
bedeutende Anzahl von Gotteshäusern, darunter in der Bukowina die Kirchen in Badeutz
(1481), Petroutz bei Suczawa (1487), Woronetz (1488), Wollowetz (1502), Reusseny
(1502, von seinem Sohne Bogdan vollendet 1504) und, wie die Sage erzählt, auch
St. Jllie. Die Klosterkirche Putna, welche Stefan, wie schon bekannt, als seine Begräbniß-
stätte gründete, begann der Wojwode Basil Lupul im zweiten Viertel des XVII. Jahr -
hunderts vollständig umzubauen. Sein Nachfolger Stefan XI. Georg vollendete sie;
die Einweihung erfolgte indeß erst im Jahre 1662 unter dem Fürsten Eustratie Dabija.
Außer diesen Gotteshäusern und den schon früher erwähnten Klosterkirchen sind noch
hervorzuheben: die Kirche in Luzan, im XV. Jahrhundert von dem Gutsherrn Th. Vitolt;
die in Arbora, als Begräbnißkirche, 1500, von dem Gutsherrn Luka Arbure; die von
Parhoutz, 1502, von dem Bojaren Gabriel Trotuszan; die Demetriuskirche in Suczawa,
angeblich 1534 von Fürst Johann Peter (Raresz); die Kirche in Zaharestie, 1542 von
dem Bojaren Nikoara Chrowicz erbaut; die 1550 von Helena, Gemalin des Peter Raresz,
in Suczawa gegründete, nun von der griechisch-katholischen Pfarrgemeinde benützte
Kirche; die Nikolauskirche in Suczawa, 1611 von Nikolaus Braieskul; die Kirche in
Alt-Jtzkany, 1639 von der Nonne Nazaria mit ihrer Tochter Angelina; die von
Toporoutz, von Fürst Miron Mogila; die Kirche zum heiligen Johann dem Täufer
in Suczawa, 1643 von Fürst Basil Lupul; die ehemalige Klosterkirche in St. Onufri
endlich, 1672 bis 1673 von Fürst Stefan XIII. Petriczeiku erbaut. Aus dem XVIII. Jahr -
hundert schließt sich noch vereinzelt das von dem Klostervorsteher Artemon im Jahre 1767
an Stelle einer bereits bestandenen hölzernen Klosterkirche errichtete Gotteshaus in
Horecza an. Von den armenischen Kirchen, welche im Stile mit den griechisch -
orientalischen fast identisch sind, haben wir noch die im Jahre 1521 errichtete Krenzkirche,
sowie die des drei Kilometer südwestlich von Suczawa gelegenen, 1593 von Bogdan
Donawakowicz gegründeten Frauenklosters in Haczkadar, schließlich die von Dzeron
Simeon 1600 gestiftete heilige Simonskirche in Suczawa zu nennen. Alle diese Kirchen,
sowie die Kirchen in Rumänien, liegen mit der Hauptapsis, in der sich der steinerne
425
Altartisch befindet, nach Osten und besitzen durchwegs verhältnißmäßig sehr dicke Mauern,
aber nur winzige, stark vergitterte Fenster und blos eine einzige ganz kleine, rechteckige
Eingangsthür, welche in der Regel — sowie die etwaige Thüre zwischen Vor- und Haupt -
schiff — von innen durch in Mauerlöcher eingesteckte Querbalken verrammelt werden
konnte. Dies, ebenso die noch gebräuchliche Bezeichnung „Schatzkammer" für den durch
Untertheilen des etwa vorhandenen schmalen Zwischenschiffes gewonnenen, mittels einer
engen massiven Wendeltreppe zugänglichen, gewöhnlich fensterlosen Raum (z. B. in
Humora, Solka, Watra-Moldawitza, ähnlich auch in Radautz) beweist zur Genüge, daß
das Gotteshaus als letzte Zuflucht gegen herannahende Feinde diente.
Mit wenigen Ausnahmen zeigen alle diese Kirchen in Anlage und Durchbildung
dieselben Grundsätze und die gleichen charakteristischen Einzelheiten, so daß man in
Anbetracht ihres ursprünglichen Verbreitungsgebietes berechtigt ist, den typischen Baustil
derselben als „moldauisch-byzantinisch" oder kurzweg als „moldauisch" zu
bezeichnen. Er entwickelte sich mittelbar aus der Kunst des oströmischen Reiches, beeinflußt
von romanischen und gothischen Formen. Gleich den älteren, ihm nahe verwandten
Stilgattungen in den kleinasiatischen, namentlich den am Schwarzen Meere gelegenen
Ländern, am Balkan und hauptsächlich in Griechenland, gerieth er bald in einen
theilweisen Stillstand und fiel mehr oder weniger der Vergessenheit anheim, während
der jüngere, derselben Familie angehörige südrussische Stil bis in die Gegenwart fort
lebt, allerdings manch mißgestalte Blüte treibend.
Die byzantinische Kunst fand ihr Hauptelement in der römischen, auf vier Trag -
gurten ruhenden Kuppel. Durch Anfügen von Halb- und Nebenkuppeln an die mittlere
Kuppel, beziehungsweise Ausgestaltung der Grundrißform zum griechischen Kreuz mit vier-
gleich langen Schenkeln, entwickelt sich in der Folge das System des Centralbaues, das
in der St. Markuskirche zu Venedig sein glänzendstes Beispiel besitzt.
Im Allgemeinen baute man die Gotteshäuser minder umfangreich, ja verhältniß -
mäßig klein. So besitzt die Kathedrale von Am kaum mehr als 32 Meter Länge bei
ungefähr 20 Meter Breite und einer relativ bedeutenden Höhe; die größten der in Betracht
stehenden Kirchen in der Bukowina: die zum heiligen Georg in Suczawa, dann die Kloster -
kirchen in Putna und Dragomirna, sind sammt der Vorhalle blos rund 43, beziehungsweise
38 und 351/2 Meter lang und im Querschiff an 12, respective 114/s und 11 Meter breit.
Man verringerte insbesonders auch, um die Construction zu vereinfachen, die Spannweite
der Kuppel, verlieh ihr dagegen, damit sie trotzdem äußerlich zu wirksamer Erscheinung
gelangt und den von ihr bedeckten Naos als den Mittelpunkt der Anlage kennzeichnet,
durch Aussetzen eines Tambours eine größere Höhe. Den durch den Wegfall der Emporen
verloren gegangenen Raum, der in altbyzantinischen Kirchen, der üblichen strengen Trennung
426
der Geschlechter wegen, namentlich für die weiblichen Kirchenbesucher bestimmt war, mußte
man nun durch Erweiterung des Pronaos zu einem besonderen Kirchenschiffe (dem
sogenannten Weiberstande) ersetzen und auf diese Weise kam man, und zwar in den
ehemaligen Donanfürstenthümern fast ausschließlich, wieder auf den Langbau zurück, der
gleichwohl mit der altchristlichen Basilika nichts anderes gemein hat, als die halbrunde
Hauptapsis, welche der byzantinische Kirchenbau als — vom Naos oder Männerstand
durch die Bilderwand (Jkonostasis) getrenntes — Sanctuarium fortwährend beibehielt.
Die Grundform ging derart in die des lateinischen kleeblattartig gestalteten Kreuzes über,
wobei der Abschluß des Querschiffes durch halbkreisförmige, im Verbreitungsgebiete des
Stiles völlig typisch gewordene Seitenapsiden erfolgt. Manchmal sind die letzteren blos
segmentförmig, oft ganz flach gestaltet und dann wohl gar nur ans der Mauerdicke
herausgeschnitten, ganz ausnahmsweise auch rechteckig gehalten.
Die Hauptapsis öffnet sich gegen den Naos mit dem vollen Gurtbogen, dem
Triumphbogen der Basilika, besitzt aber trotzdem einen geringeren Durchmesser als dieser.
Den Übergang vermitteln eingeschaltete breite Gurten mit successive abnehmender Weite,
wobei nicht selten gleichzeitig auch die Mittelpunkte, wohl der perspektivischen Wirkung
wegen, allmälig etwas tiefer gewählt werden. Der Durchmesser der Seitenapsiden ist
geringer, als jener der Hauptapside; der Anlauf ihrer Halbkuppeln liegt nicht selten in
einer anderen Horizontalebene, als jener der Traggurten für die Hauptkuppel. Nach außen
zeigen die Apsiden oft eine polygonale Form, welcher sehr häufig ein unregelmäßiges Zehn-
bis Vierzehneck zu Grunde gelegt ist, oder sie sind Halbkreis- oder segmentförmig, wohl
auch rechteckig gestaltet. Zwischen Naos und Pronaos besteht in der Regel eine massive, blos
von einer kleinen Thüre durchbrochene Wand; manchmal erscheint sie durch zwei mächtige,
mit Gurten unter sich verbundene Pfeiler oder Säulen ersetzt. In etlichen Kirchen wurde
vor wenigen Jahren erst an Stelle der Wand eine weite hohe Öffnung angeordnet.
Wie bereits erwähnt, besitzen manche Kirchen zwischen Naos und Pronaos
ein schmales Mittelschiff, das dann gewöhnlich der Höhe nach untertheilt erscheint. Die
selten fehlende Vorhalle ist entweder offen und von Säulen oder Pfeilern getragen oder
geschlossen und rechteckig, ausnahmsweise polygonal. In vielen Füllen wurde die Vorhalle
dem Gotteshause erst in späterer Zeit angefügt; an der Johanneskirche in Sereth umschloß
man nachträglich die offene, von Säulen umgebene Vorhalle; an der Kirche in Suczawitza
erscheinen vor den zwei Eingängen zur Vorhalle kleine offene Vorbauten angeordnet.
Nicht zu häufig ist der Naos blos mit einer, sogenannten blinden Kuppel überdeckt,
sonst trägt er auf seinen vier Gurten, von denen die zwei seitlichen nur wenig über die
innere Mauerflucht vortreten, eine Tambourkuppel; in der Bukowina besitzen nur einige
Kirchen mehr als eine Laternenkuppel.
WLM
Holzkirche in Stobodzia-Komarestie (früher in Rewna).
Besonders charakteristisch und für den moldauisch-byzantinischen Kirchenbaustil
typisch, aus ihm selbst hervorgegangen, erscheint die Construction der Hauptkuppel. Es ver -
mitteln vorerst Pcndentifs, in welchen gewöhnlich, behufs Schallverstärkung, Thonflaschen
WWMWWMW
428
eingewölbt werben, den Übergang von der Vierung der Traggurten zum unteren oder
ersten Kuppelringe. Der aus demselben aufgesetzte Tambour besitzt indeß eine viel zu
große Breite, als daß er, als Laterne benützt und über das Dach geführt, sowohl innen
mit der Lichtweite des Naos, als außen mit den Dimensionen der Kirche überhaupt in
proportionalem Einklänge stehen würde. Es wird deshalb die Weite der Laterne verringert
und der Übergang vom unteren, niedrig gehaltenen Tambour zur Laterue in einfachster
Weise dadurch vermittelt, daß inan in den Tambour zwei Gurtenpaare derart einbaut,
daß sich deren Anläufe nahezu in einer Spitze verschneiden und sie in der Darauf- oder
Daruutersicht ein Quadrat, gewissermaßen eine zweite Vierung bilden. Während aber die
Hauptvierung dem ersten Kuppelringe, beziehungsweise der unteren Trommel umschrieben
ist, erscheint das erwähnte Gurtenquadrat demselben eingeschrieben, befindet sich aber mit
der Hauptvierung nicht in paralleler Lage, sondern ist gegen dieselbe um einen halben
rechten Winkel verdreht. Von dem Gurtenquadrate wird ebenfalls mittels Pendentifs der
Übergang zu dem oberen oder zweiten Kuppelringe gebildet, der die Laterne direct oder
unter Einfügung eines den Durchmesser nach oben um etlvas verringernden Gesimses trügt.
Der Laternenunterbau wird in seiner Wirkung noch wesentlich dadurch bereichert,
daß gleichzeitig mit dem in dem unteren Tambour eingebauten, gegen die Hauptvierung
diagonal verstellten Gurtenquadrate ein zweites gleich hvch gelegenes Gurtenquadrat zur
Verwendung gelangt, dessen Gurten aber mit denen der Hauptvierung wechselweise
parallel gelagert sind, während sie sich mit den Gurten des schrägliegenden Quadrates
direct verschneiden. Es sind diesfalls anstatt vier größerer nun acht ganz kleine Pendentifs
zur Bildung des Überganges, hier aus dem regelmäßigen Achteck in den oberen Kuppel -
ring nöthig. In reichster Ausführung kann sich endlich das Gurtensystem voin unteren
Tambour in der darüberliegenden Trommel noch einmal wiederholen.
Die übrigen Räume der moldauisch-walachischen Kirchen sind im Allgemeinen in
gleicher Art überwölbt, nur entfällt die Laterne und es sitzt die gewöhnlich etwas gedrückt
gehaltene Blindkuppel anstatt auf dem Laternencylinder, direct auf dem oberen Kuppelringe.
Dabei werden längliche Räume, um einestheils für die Kuppeln die sie unterstützenden
Gurtenquadrate zu erhalten, anderntheils, um eine größere Deckenhöhe zu erreichen,
durch eine Mittelgurte in zwei Felder getheilt, oder es werden Gurten verschiedener
Breite zweckentsprechend eingeschaltet. Die Blindkuppeln selbst bringt man auf die Weise
manchmal mit den sich kreuzenden Gurtenquadraten in Einklang, daß man in die Kuppel -
wölbung das erwähnte Motiv wiederholende gurtenförmige Rippen einsetzt.
Kappengewölbe finden sich nur sehr selten, ebenso selten wird die einfache Tonne
verwendet. Eigenthümlich decorativ ist die Wölbung in der halbpolygonalen Vorhalle der
Kirche zu Dragomirna durch uetzförmig ungeordnete Rippen behandelt.
Besonders originell wird die Laternenkuppel an den Bukowiner und rumänischen
Kirchen — und für den moldauisch-byzantinischen Stil vollkommen typisch — im Äußeren,
hauptsächlich im Unterbau der Laternen, gestaltet. Derselbe besteht nämlich aus einem
quadratischen, meist nur niedrigen Sockel, welcher der äußeren Weite der Hauptgurten
entspricht und dem manchmal noch ein zweiter quadratischer Sockel von etwas geringeren
Dimensionen aufgesetzt erscheint. Darüber liegt ein verhältnißmäßig stark Ungezogener
Sockel, merkwürdigerweise von sternförmiger Anlage. Die Theilung des Sternes hängt
aber mit der Theilung der Laterne im Allgemeinen nicht zusammen, welch' letztere äußerlich
fast immer regelmäßig achtkantig, oder vierkantig mit stark abgestumpften Ecken, selten
rund erscheint; der gewöhnlich zwölf, selten acht oder sechzehn Spitzen zählende Stern
ist auch nicht immer ganz regulär gestaltet, sondern einzelne Spitzen treten mehr, andere
weniger weit vom Mittelpunkte desselben vor, und zwar sind diesfalls die gegen
die Seitenwände zu gerichteten Spitzen die längeren. Nicht selten liegt über diesem
sternförmigen Sockel noch ein zweiter kleinerer Sternsockel, der in seiner Theilung mit
der Theilung des unteren Sternes ebenfalls nicht immer übereinstimmt, und gewöhnlich
regelmäßig gestaltet erscheint. Vom oberen Sterne wird dann durch kleine Dachflächen
in passender Weise der Übergang zur Laterne erzielt, wie dies auch beim Übergang vom
quadratischen zum sternförmig gestalteten Sockel der Fall ist.
Es ist nicht zu leugnen, daß die Laterne mit dem eben beschriebenen vielgegliederten
Sockel auf den Beschauer eine prächtige Wirkung ausübt, aber diese zu erreichen, scheint
bei den äußerlich im Allgemeinen sehr wenig gegliederten Kirchen wohl kaum Hauptzweck
gewesen zu sein; vielmehr wollte man durch die Sternform eine möglichst große Basis
gewinnen und das Übertragen des größeren Theiles der Kuppellast auf die durch die
vorgebauten Seitenapsiden an dieser Stelle verstärkten Seitenwände der Kirche erzielen,
bei gleichzeitiger, thunlichster Einschränkung der Last. Durch ausgiebige Verwendung des
oft aus sehr großer Entfernung herbeigeschafften leichten Tuffsteines hat man ebenfalls
das Gewicht zu verringern, sowie durch Einziehen von Holzbalken die Last entsprechend
zu vertheilen gesucht.
Sobald in der spätbyzantinischen Kunst die monolithe Kuppel durch die Laternen -
kuppel ersetzt wurde, mußte sich selbstverständlich das Gotteshaus, um den Einklang
desselben mit der verhältnißmäßig erhöhten Kuppel zu gewinnen, im Vergleich zu seiner
Breitenausdehnung der Höhe nach entwickeln. Jnsbesonders war dies bei den kleineren
Langbauten der Fall, bei denen man hauptsächlich nur durch eine mächtige Höhe imponiren
konnte. Die Richtigkeit dieser Ansicht erscheint schon durch den Umstand erwiesen, daß die
älteren Kirchen niedriger, die späteren, und namentlich solche mit vielem Aufwands
errichteten aber höher gehalten wurden. So sind die Hauptmauern in Woronetz, bei einer
Breite des Pronaos einschließlich der Mauerdicke von 7'7 Meter kaum über 8 Meter; an
der jüngeren Solker Kirche von 10 Meter Breite rund 11 Meter; an der prachtvollen
Klosterkirche Dragomirna von kaum 10 Meter Breite aber mehr als 17 Meter hoch. Die
Ursache der verhältnißmäßig bedeutenden Kirchenhöhe mag theilweise auch in den selten
fehlenden hohen, meist festungsartigen Ringmauern und Thürmen zu suchen sein, über
welche das Gotteshaus wohl entsprechend dominiren mußte, sollte es auch für den außer -
halb des Klosterhofes befindlichen Beobachter entsprechend zur Geltung kommen; einiger -
maßen mag schließlich auch das Klima hiezu beigetragen haben, welches steile, hohe
Dächer verlangt, und derart zur möglichsten Hochführung der Kuppel über dieselben und
indirect auch der Mauern beitrug, obzwar man, wie wir bald sehen werden, durch eine
besondere Gliederung des Daches die Kuppel fast in ihrer Gänze äußerlich sichtbar ließ.
Die wachsende Höhe der Kirchenmanern hatte eine Verringerung der Stabilität zur
Folge, was sich in vielen Fällen dadurch unangenehm bemerkbar machte, daß namentlich
die Seitenwände, dem Schube der Vierungsgurten nicht genügend Widerstand leistend,
sowie einzelne Wölbungen rissig wurden. Man half sich nun durch nachträglich hergestellte
starke Strebepfeiler, welches Mittel ja bekanntlich bereits an der Sophienkirche in
Konstantinopel zur Anwendung gelangte. An den späteren moldauischen Bauten ordnete
man aber Strebepfeiler schon von vornherein an, und zwar gewöhnlich je ein Paar neben
den Seitenapsiden, häufig noch ein Paar diagonal gestellte an den Ecken der Westwand
und einen niedrigen Pfeiler vor dem in der Mitte der Hauptapsis befindlichen Fensterchen.
Im Allgemeinen einfach gehalten, erhielten sie, da zu jener Zeit der Einfluß der Gothik
bereits ein nachhaltiger war, genau die Form der zwei- oder dreifach abgesetzten Strebe -
pfeiler gvthischer Kirchen; bald fanden sie, entsprechend verkleinert, in reizvoller Weise
auch an den vier Diagonalseiten der Laterne, auf dem Sternsockel ruhend, Anwendung.
Eine erhöhte Stabilität erzielte man übrigens auch durch Verbreiterung der Mauern nach
außen, das ist durch Anordnung eines weit vorspringenden, und diesfalls häufig als
steinerne Sitzbank construirten Sockels.
Die Kuppel war hier im Charakter des byzantinischen Stiles und Ist in südlichen
Lagen auch jetzt noch rund abgedeckt; an den Bukowiner Kirchen namentlich mußte sie
aber ein steiles Zeltdach erhalten und in gleicher Weise wurde das ursprünglich flache
Dach, im Conflict mit den klimatischen Verhältnissen, durch ein steileres ersetzt. Damit
aber letzteres den Kuppelfuß nicht verdecke, die Kuppel vielmehr entsprechend zur Geltung
gelange, löste man die Bedachung in einzelne Theile auf, derart, daß zunächst der Laterne
minder geneigte Dachflächen eingeschaltet wurden. Im Naos der Kirchen, an der rechts
vom Eingänge gelegenen Mauerfläche, der sogenannten Widmungswand, finden wir das
Gotteshaus ausschließlich nur mit der beschriebenen malerischen Dachform abgebildet,
432
so in Badeutz, Woronetz, Watra-Moldawitza, Suczawitza rc.; auch das bereits erwähnte
Bild des Klosters Pntna aus der Mitte des XVIII. Jahrhunderts, sowie das aus den
Fünfziger-Jahren von Professor Knapp stammende Aquarell dieser Klosterkirche zeigen das
Gotteshaus mit einem gegliederten, in der Nähe der Kuppel tiefer gehaltenen Dache;
ebenso erscheint auf einem älteren, im Bukowiner Landesmuseum befindlichen Aquarell
die Klosterkirche Dragomirna noch mit dieser Dachform dargestellt. Seither hat man
bedauerlicherweise die Bedachungen meist durch plumpe, weit vorspringende, abgewalmte
Satteldächer ersetzt. An vielen Kirchen, so in Badeutz, Watra-Moldawitza und Solka,
bemerkt man noch deutlich innerhalb des jetzigen Dachbodens, am Laternenfuß, die
ehemaligen, niedrig gelegenen Anschlußlinien der alten Dachflächen, sowie darüber
Reste früherer Bemalung. Typisch sind für alle diese Kirchen die Kuppel und Dach -
spitzen besetzenden, hohen, eisernen Kreuze, welche in ihrer Lage mittelst Ketten fixirt
werden; berühmt waren von jeher die reich vergoldeten Kreuze von Solka.
Vom Naos ist die Hauptapsis (Altarraum oder Sanctuarium) durch die mit drei,
mehr oder weniger gitterförmig gestalteten Thüren versehene Bilderwand (Bildtrüger,
Jkonostasis oder Templon) abgeschlossen, deren mittlere oder Königsthüre nur vom
liturgisirenden Priester benützt werden darf und durch welche dem Volke der gemauerte,
mit einer Steinplatte abgedeckte und mit Stoff überzogene Altar (der heilige Tisch) sichtbar
bleibt. Zu beiden Seiten desselben befinden sich in den Seitenmauern ausgesparte, offene,
winzige Kämmerchen (Prothesis oder Proskvmidie und Diakonikon oder Typikarion) mit
dem Rüsttische und einem Waschbecken, beziehungsweise einem Glutherde. Im Sanctuarium,
sowie häufig auch im Naos und Pronaos sind eine Anzahl kleiner Wandnischen zum
Einlegen von Büchern und Gerüchen angeordnet; hie und da zieht sich im Innern der
Hauptapside eine halbkreisförmige, gemauerte Stufe mit einem mittleren, erhöhten, nischen -
artig gestalteten Sitze herum, eine Reminiscenz an die im Presbyterium des altchristlichen
Basilikenbaues angeordneten Sitze für die Geistlichkeit, beziehungsweise den Bischof. An
dieser Stelle ist gewöhnlich auch der Grundstein des Bauwerkes zu suchen.
Wie das Sanctuarium, so erscheint zumeist auch der Raum der Seitenapsiden um
eine Stufe über den Naos erhöht und es dient derselbe mit den kreisförmig angeordneten
Chorstühlen oder Stehlehnen (Strani) und dem in der Nähe der Widmungswand
aufgestellten Bischofsstuhle für die Sängerchöre und die Mönche oder für angesehene
Laienspersonen. Hier finden wir ferner Drehpulte (Analogia) zum Auflegen der Meßbücher,
das Pult zur Aufnahme des Festtagsbildes (Proskynitarivn), Stand- und Kronleuchter,
Fahnen und dergleichen.
Architektonische Detailformen sind an diesen Kirchen oft nur an den Steingewänden
des Haupteinganges mit dem im Allgemeinen spitzbogig gestalteten Tympanon, an den
433
Gewänden der rechteckigen, meist mit flachem Kleeblattsturze überdeckten Nebenthüren,
endlich an den Gewänden der rechteckigen, seltener spitzbogig oder rund überdeckten kleinen
Fenster wahrzunehmen. Merkwürdigerweise bestehen die Schmuckformen fast ausschließlich
aus gothischem, sich meistenteils durchkreuzenden Stabwerk; etwaige Zwickelfelder sind mit
kleinen Rosetten oder Schildchen ausgefüllt. An manchen der später hinzugekommenen
Vorhallen, hie und da auch im Pronaos, erscheinen die Fenster größer gehalten und oft
ziemlich reich mit Maßwerk versehen.
Wurden an diesen Constructionstheilen und an den Strebepfeilern rein gothische
Formen angewendet, so behielten etwaige sonstige architektonische, theilweise dem
romanischen Stile entnommene Gliederungen ihren wesentlich byzantinischen Charakter
bei. Es sind dies ein oder mehrere kleine Gurtgesimse an der Kuppelwölbung, welche, wie
häufig auch äußere Cordougesimse, den keilförmigen, ziegelrohbauartigen Zahnschnitt
zeigen, Wohl auch ähnlich gebildete Sockelformen; ferner mäßig vertieft angeordnete glatte
Archivolten, schlanke, flache Blindarkaden, Rundbogen- und rundbogige Nischenfrieße,
letztere namentlich an den Außenseiten der Apsiden und an der Laterne. Es tritt sodann
sehr häufig der Rundstab auf und zwar als schlanke Säulchen, welche die Laterne im
Innern in vertikale Felder gliedern, sowie zu dreien gekuppelt als Dienste. Der Rnnd-
stab markirt manchmal die Ecken der Laterne im Äußeren und die Contour der Blind -
arkaden; theilt auch das Cordvngesims horizontal in gleiche Hälften. Selten kommt der
einfach seilförmig zusammengewnndene Stab als Säule vor; dagegen begegnet uns hier
eine ähnliche, völlig typisch gewordene Detailform, entstanden aus drei Stäbchen, welche
je eine kurze Strecke zu einander parallel laufen und dann, gewöhnlich abwechselnd, eine
einfache Windung nach rechts, beziehungsweise nach links zeigen, ein hochbeliebtes Motiv,
das als Cordvngesims, wie als Gurtbogen, als Dienst und Pfeiler, selbst als Kämpfer
angewendet erscheint und das wir als „verknüpften Wulst" bezeichnen können. Angedeutet
findet sich dieses byzantinische Motiv in Miniaturen, sowie auf Analogin vom Berge
Athos, ferner an einem Initial im Reisebrevier Johanns von Neumarkt aus der Mitte
des XIV. Jahrhunderts skizzirt. Minder häufig kommen an antike Vorbilder erinnernde
Gesimse, Consolgesimse, balusterartig entwickelte Säulchen, Rosetten, korinthisirende
Capitäle und dergleichen vor; vielfach werden jedoch kleine Schildchen, und zwar auf
Gewölbrippen, als Consolen u. s. w. angewendet.
Die weitere Entwicklung der Detailformen erstreckt sich lediglich auf die Verwendung
von vorwiegend byzantinischem Ornamentenwerk als Flachreliefs an verschiedenen Stellen,
wie dies die Laternenkuppel in Dragomirna und in geradezu verschwenderischer oder
überladener Weise die Bisserika Trei-Jerarhi zu Jassy an sämmtlichen äußeren Wand -
flächen zeigt. Hervorzuheben ist das hübsche Cordvngesims am ehemaligen armenischen
Bukowina. 28
434
§
Kloster Zamka bei Suczawa, welches aus einem aus Stein gemeißelten verknüpften Wulst
besteht, der ober- und unterhalb von verschiedenfarbigen, glasirten Ziegeln begleitet wird.
Eine große Zahl der Kirchen besitzt, in der Regel zunächst der Eingangsthüre, eine
wohl auch mit einfachem gothischem Stabwerk umrahmte oder wappenartig gestaltete
Steintafel, die in kirchenslavischen Lettern Daten über die Errichtung des Gebäudes enthält.
Glockenthürme, ehedem in den Klöstern — in welchen noch heute das Zeichen zum
Beginne des Gottesdienstes mittelst Schläge auf eine lange, schmale Holzlatte (tonon)
oder auf ein großes, hufeisenförmig gebogenes Eisen (tonen äs 6er) gegeben wird —
seltener vorkommend, werden aus Holz oder einfachem Mauerwerk ganz freistehend errichtet;
an befestigten Kirchen erscheint in der Regel ein Thurm der Umfassung zur Unterbringung
der Glocken benützt. Ausnahmsweise steht der Glockenthurm über der Vorhalle oder als
besonderer Bau mit der Kirche in enger oder näherer Verbindung; auch die offene Vorhalle
diente früher und dient ausnahmsweise noch jetzt zum Aufhängen der Glocken. In jüngerer
Zeit tritt vielfach an die Stelle eines Thurmes eine gemauerte Glockenwand.
Wir haben nur noch kurz zweier Kirchen in der Bukowina zu gedenken, welche
beide namhafte Abweichungen von dem geschilderten moldauisch-byzantinischen Baustile
zeigen und die Reihe der Bnkowiner Kirchen aus der älteren Periode gewissermaßen nach
unten und oben begrenzen. Die eine derselben ist die ehemalige bischöfliche Kathedral-
kirche in Radautz, welche bereits vor der im Jahre 1402 durch den Fürsten Alexander
den Guten erfolgten Errichtung des Bisthums als Klosterkirche bestand und die Grabmäler
des in der zweiten Hälfte des XIV. Jahrhunderts verstorbenen Wojewoden Bogdan I. und
einiger Nachfolger enthält. Naos und Pronaos sind hier durch massige, vierkantige Pfeiler
in je drei Schiffe getheilt, die mit Tonnen überwölbt erscheinen. Über den niedrig gehaltenen
Seitenschiffen bestehen gangartige, überwölbte Kämmerchen, die vom Pronaos, beziehungs -
weise vom Dachboden ans, mittels einer kleinen steinernen Wendeltreppe zugänglich find;
die Apsis ist mit einer Halbkuppel überdeckt. Diese Kirche ist Wohl, nach der basilikaartigen
Anlage und den alten Grabstätten zu schließen, das älteste der Bnkowiner Gotteshäuser
und wurde vielleicht durch Bogdan selbst errichtet. Die Vorhalle stammt aus dem Jahre
1559 und trägt eine Blindknppel im moldauisch-byzantinischen Stile, deren oberer Theil
merkwürdigerweise blos in verputztem Flechtwerk hergestellt war.
Das im Jahre 1767 von Jgumen Artemon an Stelle eines hölzernen Kloster -
kirchleins errichtete, von der Kaiserin Katharina II., wie übrigens auch andere Kirchen,
reich beschenkte Gotteshaus in Horecza bei Czernowitz zeigt allerdings im Wesen den
alten typischen Grundriß, aber keinerlei gothische Detailfyrmen. Die römisch erscheinenden
Renaissancecapitäle stehen theilweise in unmittelbarer Verbindung mit dem in eine Spitze
auslaufenden Kleeblattbogen. Mit ihren drei, Naos, Altarraum und die über der Vorhalle
436
befindliche Kapelle überdeckenden, geschweiften Laternenkuppeln und sonstigen kleinen
Thürmchen erinnert sie äußerlich an die Kirche des Theodosius-Klosters in Kiew.
Es drängt sich uns nun die Frage auf: Welchen Umständen ist die erörterte
eigenartige Verquickung vollständig heterogener Cvnstructions- und Formenelemente zu
verdanken und welche sind die Baumeister und Werkleute, die an der Herstellung dieser
Bauten betheiligt waren? Zur Beantwortung dieser Doppelfrage stehen uns nur
verschwindend wenige directe Daten zur Verfügung. In der Vorhalle der Klosterkirche
Dragomirna liegt ein alter, schwer entzifferbarer griechischer Jnschriftstein, aus welchem
man den Namen des Architekten Dima ans Nicomedien herausfinden wollte. Von der
im Jahre 1584 errichteten Christi-Himmelfahrtskirche zu Jassy wird Peter oder Mirczan
Skop als Baumeister genannt, während uns über den Baukünstler, der zu Beginn des
XVI. Jahrhunderts von Neagu-Wvda gestifteten, eigenartig veranlagten und mit maurisch -
byzantinischen Schmnckformen aufs reichste ausgestatteten Kurtea de Ardzesz — den
Spanier Emanuel Gomez oder Manoli — nur die durch die königliche Dichterin Carmen
Sylva so herrlich dramatisirte Legende erzählt. Wir wissen im Übrigen noch, daß, wie
schon Rom hauptsächlich nur griechische Künstler beschäftigte, namentlich auch Kaiser
Justinian zur Bewältigung der zahlreichen Bauten in Byzanz und im ganzen oströmischen
Reiche in der Kunst geübte und in allen technischen Wissenszweigen bewanderte Construc-
tenre, sowie Werkleute aus Griechenland und Kleinasien berief. So erbauten insbesonders
das kühnste und reichste byzantinische Denkmal, die Sophienkirche, Anthemios von
Dralles und Jsidoros von Milet. Auch die georgischen Bauten werden vielfach griechischen
Künstlern zugeschrieben, wie von jeher auch die in Griechenland und auf der Balkan -
halbinsel zerstreut wohnenden Zinzaren als tüchtige, in der Fremde sich verdingende
Bauleute des byzantinischen Stils bekannt waren. So werden es also auch in der Moldau
und Bukowina wohl nicht einheimische, sondern aus südlichen Gegenden berufene Bau -
künstler gewesen sein, welche die Kirchen, wenigstens die älteren derselben, errichteten oder
planten. Nun zeigt das moldauisch-byzantinische Gotteshaus in seiner Grundgestalt die
größte Übereinstimmung mit den auf der lediglich mit Klöstern und Skiten besetzten
Athosinsel befindlichen Kirchen, welche, ebenfalls nur klein, blos den Unterschied zeigen,
daß die Kuppel auf vier Säulen oder Pfeilern ruht und Prothesis und Diaconicon
verhältnißmüßig größer und apsidenartig gegen Osten ausgebaut wurden. In der Kirchen -
malerei aber, sowie in den Kleinkünsten, herrscht, wie wir später sehen werden, sogar voll -
ständige Gleichheit mit der bezüglichen Kunst des Athos. Die moldauisch-byzantinischen
Kirchen verdanken demnach unstreitig ihre typische und streng liturgische Anlage der alten,
seit dem X. Jahrhundert bestehenden Kunststätte auf dem „heiligen Berge Athos", mit welcher
die hiesigen Klöster in innigem Contacte standen, wenn nicht sogar, wie wahrscheinlich,
baukundige Athosmönche die Ausführung der Klosterbauten, und zwar mit Beihilfe der
bereits hier colonisirten deutschen Handwerker und namentlich der Steiumetze besorgten.
Das Letztere geht aus der allgemeinen Anwendung der in der Moldau infolge der
vielfachen Beziehungen des Landes mit Siebenbürgen, Polen und Deutschland bekannt
gewordenen gothischen Detailformen hervor; auch gehören die in den Kirchen des Klosters
Humora, in Suczawa rc. aufgefundenen Steinmetzzeichen ihrem Schriftcharakter nach
unzweifelhaft der deutschen Steinmetzbruderschaft aus der bezüglichen Bauzeit, das ist der
ersten Hälfte des XVI. Jahrhunderts an.
Ein großer Theil der Bukowiner Kirchen sind Holzbauten. Zumeist nur ganz
klein, oft kaum über 10 bis 12 Meter lang, sind sie fast allgemein aus Blockwänden
hergestellt. Ihre Grundform gleicht im Wesentlichen jener der steinernen Kirchen, nur sind
die Ausbauten polygonal gestaltet, manchmal fehlen die Seitenapsiden. Die Vierung ist
oft mit einer ins Achteck übergehenden, ebenfalls im Blockbau construirteu Kuppel überdeckt,
welche in manchen Fällen eine Laterne trägt. Die in der Pfarrgemeinde Putna stehende
Holzkirche ist wohl die älteste ihrer Gattung und, der Sage nach, überhaupt die älteste Kirche
in der Bukowina. Der Fürst Dragosz soll sie nämlich im Jahre 1346 in Wollowetz
errichtet haben, von wo aus sie Stefan der Große, 1468, nach ihrem jetzigen Standplatz
übertragen ließ. Naos und Apsiden sind aus Eichenholz hergestellt, der Pronaos besteht
aus weichen Balken und stammt aus späterer Zeit. In dem bereits erwähnten Bilde
des Klosters Putna aus der Mitte des XVIII. Jahrhunderts ist diese Kirche rechts neben
dem Kloster ersichtlich. Durch correcte technische Ausführung, Schnitzarbeiten, besonders
Kerbschnittverzierungen unter theilweiser Verwendung von Farben zeichnen sich unter
anderen die 1698 vom Fürsten Johann Theodor Kallimach in Kimpolung errichtete, seit
1887 in Czumurna befindliche Nikolauskirche; die aus dem Jahre 1783 stammende Christi-
Himmelfahrtskirche in Wama; namentlich aber die mit drei Kuppeln überdeckte Kirche in
Zastawna, sowie die im Jahre 1895 in Slobodzia-Komarestie aufgestellte, leider in
Lindenholz hergestellte, 1744von JgumenJsaias gestiftete ehemalige Klosterkirche in Rewna
aus. Die zwei Dachspitzen sowohl als die Kuppel sind hier mit zierlichen laternenartigen
Aufsätzen bekrönt; ihr malerisches Aussehen gewinnt noch durch die gemusterte Schindel -
verkleidung der Wände. Historisches Interesse besitzt die im Jahre 1774 vom Radautzer
Bischof Dositheu Chereskul in Czernowitz erbaute, 1874 nach der Vorstadt Klokuczka über -
tragene einfache Holzkirche, in welcher im Jahre 1777 die Huldigung der Bukowina vor
dem kaiserlichen Abgeordneten, Feldwachtmeister Gabriel Freiherrn von Splönyi stattfand.
Kein einziges Standbild schmückt das orientalische Gotteshaus. Der Plastik wurde
überhaupt nur in architektonischen Detailformen und Ornamenten, sowie in den Kleinkünsten
die nöthige Pflege zu Theil.
438
Von profanen Werken der älteren Steinscnlptur existirt in der Bukowina blos
das, überdies ganz roh und in verwitterbarem Material ausgeführte, sogenannte
Tatarendenkmal bei Wama, ein auf seinen vier Seiten mit kirchenslavischen
Inschriften bedeckter, parallelopipedischer Monolith von drei Meter Höhe, welchen der
Wojewode Michael Rakowitza nach einem im Jahre 1716 gegen die Tataren unter -
nommenen glücklichen Feldzuge anfertigen und aufstellen ließ.
Größere Sorgfalt wurde den Grabstätten gewidmet, welche allerdings gewöhnlich
nur durch eine einfache, nach orientalischem Vorbilde trapezförmig gestaltete, liegende
Sandstein-, ausnahmsweise Marmorplatte bezeichnet erscheinen. Das Mittelfeld ist mit
einem auf gestocktem Grunde liegenden, einfach edlen Flachornament in romanisch -
byzantinischem Charakter geschmückt, während rund um die Kanten nebst einem linear
verzierten Bande die Grabinschrift in kirchenslavischen, ebenfalls erhaben gemeißelten
Lettern läuft. Zahlreiche fürstliche Grabsteine dieser Art besitzt die Radautzer griechisch -
orientalische Pfarrkirche, und zwar aus dem XIV. und XV. Jahrhundert; aus dem
letztgenannten und späteren Jahrhunderten aber bestehen fürstliche und bischöfliche Gräber
in den meisten Kloster- und in einigen anderen Kirchen. Im XVI. Jahrhundert werden
oft gothische Maßwerkornamente für die Grabsteine benützt; später weichen diese einer
Verzierungsweise, welche hauptsächlich das Rankenwerk mit der Traube verwendet. In
der Vorhalle der Begräbnißkirche Stefans des Großen zu Putna finden wir beispielsweise
die Grabplatte der Eltern des Metropoliten Jakob einfach stilistisch verziert und hinter
derselben, an die Wand gelehnt, den sarkophagähnlichen Grabstein des Metropoliten
Jakob aus dem Jahre 1778 mit dem Traubenornamente. Letzteres hat sich in fast gleicher
Form bis heute, sowohl auf den Grabplatten, als auf den jetzt häufig vorkommenden
Grabkreuzen der griechisch-orientalischen Friedhöfe erhalten. Hübsch ornamentirte armenische
Grabsteine aus dem XVII. Jahrhundert besitzt Sereth.
Einzelne, in Kirchen befindliche Grabstätten, wie unter anderen auch in Putna,
erhielten eine baldachinartige Überwölbung. Das schönste Beispiel dieser Art besitzen wir
in der aus dem Jahre 1503 herrührenden Grabnische Luka Arbures in Arbora. Sie
besteht aus zwei in der Form gothischer Strebepfeiler gehaltenen, auf gekuppelten runden
Diensten ruhenden Seitenwänden, zwischen welche sich ein gewölbförmiger Stein spannt,
dessen Vorderseite in elegantem gothischen Maßwerk einen gedrückten Kielbogen zeigt. Über
demselben ist in kirchenslavischen Lettern die Inschrift angebracht, während die Ecken mit
zwei hübsch gemeißelten Schildchen ausgefüllt erscheinen. In Watra-Moldawitza finden wir
eine ähnliche Grabnische, und zwar die des Radautzer Bischofs Ephrem aus dem Jahre 1619.
Unbekümmert um die Wandmalerei wurde sie in dem kleinen, neben der Wendeltreppe im
Zwischenschiff verbliebenen rechteckigen Raum angeordnet. Ihr kuppelähnliches Gewölbe
440
ruht auf vier Säulchen, welche die uns bereits bekannte Form des verknüpften Wulstes
zeigen, während der Kielbogen der Stirnwand die gleiche Gliederung besitzt. Einzelne
Rundstäbe des Wulstes sind schuppenartig mit verschiedenen Blättern sculpirt, was denselben
ein ungemein reiches Ansehen verleiht.
Im Übrigen hat die Steinplastik, auch im Ornamente, eine nur geringe Anwendung
erfahren. Sie begnügt sich zumeist mit den bereits erwähnten, kerbschnittartig hergestellten
Rosetten an Bogensteinen, Fenstern und dergleichen, mit Schildchen und Ähnlichem. Eine
Ausnahme macht die reich verzierte Kuppellaterne zu Dragomirna. Die an zahlreichen
Eingangsthürmen, manchmal auch an Gotteshäusern angebrachten moldauischen Wappen -
schilder, den Auerkopf, Halbmond und einen Stern zeigend, sowie sonstige ähnliche Arbeiten
sind zumeist einfach, zum Theile roh behandelt. Außer den obenerwähnten Steinmetzzeichen
besitzen wir bis jetzt nur noch auf einer Grabsteinplatte, und zwar jener Bogdans I.,
welche Stefan der Große Herstellen ließ, einen Nachweis über den Verfertiger, welcher
in kirchenslavischcr Schrift sagt: „Den Grabstein hat gemacht Meister Jan".
Auch von der Erzplastik kann nur wenig berichtet werden. Wohl widmeten die
Fürsten ihren Klosterkirchen Glocken, worunter namentlich die zwei von Stefan dem
Großen nach Woronetz gespendeten, ob ihres herrlichen Zusammenklanges noch heute
berühmt sind. Die Plastische Ausschmückung der Glocken beschränkt sich indeß immer
nur auf Inschriften und einzelne ziemlich roh modellirte Ornamente. Die Glocken in
Horecza wurden in der ehemaligen russischen Münzstätte Sadagöra (1773 und 1774)
gegossen. Reicher sind mitunter die großen, durch zierliche Ketten gehaltenen KuPPel-
und Dachkreuze ausgestattet. Gewöhnlich zeigen dieselben über einer großen Kugel mond-
sichelförmige Ornamente, welche, vielleicht mit Unrecht, als Zeichen der früheren
Abhängigkeit der moldauisch-walachischen Fürstenthümer von der Türkei gelten.
Bedeutende Fortschritte erzielte die Plastik in den Kleinkünsten, namentlich aber
in den Holz- und Elfenbeinarbeiten, welche gerade im Oriente, dem eigentlichen Vaterlande
dieser uralten Technik blühten, und bekanntlich später dem Abendlande als Muster dienten.
In erster Linie sind es die in reicher Bemalung und Vergoldung gehaltenen Ikonostasen,
wovon die älteren vielfach das halb naturalistisch gehaltene Rankenornament mit der Traube
zeigen; nur einzelne besitzen in ihrer mehrgeschoßigen Gliederung einfache Renaissance -
formen. Als Beispiele möchten wir u. a. die Jkonostasis der ehemaligen Kirche von
Revna, jetzt in Stobodzia-Komarestie, hervorheben, wovon ein Theil sichtlich einer
früheren Bilderwand entnommen scheint; ferner die Jkonostasis aus der uach Czumnrna
übertragenen, früher in Kimpolung gestandenen Nikolauskirche; endlich jene von der
Johanneskirche in Sereth, von den Kirchen in Woronetz, Watra-Mvldawitza und
Suczawitza, von der Klosterkirche Dragomirna, deren Bilderwand angeblich aus der
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ehemaligen Klosterkirche Solka stammt und von der Kirche in St. Onufri. Viele
Bilderwünde wurden in jüngerer Zeit verfertigt und sind mit barocken, ä jour geschnitzten
Ornamenten, sowie in Decor und Vergoldung oft überladen ausgeführt; einzelne stammen
aus Rußland. Steinerne Ikonostasen, wie sie in Georgien manchmal Vorkommen und auch
an einzelnen alten Athoskirchen nachgewiesen wurden, findet man in der Bukowina nicht.
Von sonstigen Kircheneinrichtungsgegenstünden sind die ans älterer Zeit herrührenden
Thronsessel und die Chorstühle oder strarü, letztere mit schmalem, gewöhnlich aufklappbarem
Sitzbrett versehen, hervorzuheben. Einfach in der Form, oft roh und manchmal mit
in verschiedenen Farben und Vergoldung gehaltenem Anstrich versehen, zeigen sie hübsch
dnrchgeführte, abwechslungsreiche band- und rosettenartige Kerbschnittverzierungen mit
vorwiegend romanischen und gvthischen Formen, in orientalischer Manier ausgeführtes
Gitterwerk mit gedrehten Säulchen, ausnahmsweise auch Wappen, kleine Jagdscenen
und ä form gearbeitetes gothisches Maßwerk. Die schönsten Beispiele finden sich in
Woronetz und Watra-Moldawitza. Die letztgenannte Kirche besitzt auch ein in byzantinischen
Formen gehaltenes Triptychon, dessen Schlagleiste den verknüpften Wulst zeigt, ferner
zwei achteckige Sängerpulte, reich geschnitzt, bemalt und vergoldet, an welchen ebenfalls
der' verknüpfte Wulst wiederholt vorkommt. Ähnliche Sängerpulte sieht man auch in
Woronetz, hier überdies noch ein zusammenklappbares, mit Drechslerarbeit verziertes
Lesepult. Ein einfaches, mit kleinen hübschen Malereien versehenes Triptychon aus
Stefan Georgs Zeit besitzt sodann die Pfarrkirche in Pntna, während in der Klosterkirche
daselbst eine Truhe aus Eibenholz mit eingravirten religiösen Darstellungen bemerkens-
werth ist, die aber unstreitig aus einem westlichen Lande stammt.
Unser besonderes Interesse erregen die fast ausschließlich kirchlichen Zwecken dienenden
Gegenstände der Kleinkunst, Geschenke der moldauischen Fürsten und ihrer Familien -
angehörigen, der Bischöfe und Bojaren, hie und da auch russischer Fürsten. Wohl gingen
zahlreiche Gegenstände theils durch Raub und Plünderung, theils durch Einschmelzen,
vielleicht auch gelegentlich der Aufhebung der Klöster durch ansgewanderte Mönche oder
auf andere Weise verloren; doch reicht das jetzt noch in der Bukowina Vorfindliche
hin, um ein Bild von der bedeutenden Sorgfalt zu gewinnen, die man auf die
Herstellung derartiger Gegenstände aufwendete und von der Geschicklichkeit der Künstler
in mikrotechnischer Schnitzerei, wohl auch in der Herstellung getriebener Metall-Reliefs
und Silber-Filigranarbeiten.
Zahlreich sind die in Buchs-, Sandel- oder Cedernholz äußerst zierlich scnlpirten
dreiarmigen, in der Regel mit Silber beschlagenen Handkreuze, in welchen oft Reliquien
aufbewahrt werden und deren Vorder- und Rückseite mit Heiligenfiguren, Scenen ans
der Bibel oder ritualen Handlungen geschmückt sind. Pntna besitzt u. a. ein solches
442
von Stefan dem Großen aus dem Jahre 1513, dann ein 1566 datirtes, mit 27 Rubinen
besetztes Kreuz; aus Suczawitza sind ein hübsches Handkreuz von Jeremias Mogila
vom Jahre 1606, ein sehr reich geschnitztes vom russischen Kaiser vom Jahre 1680,
dann ein ohne Griff blos 12 Centimeter hohes, in Silber eingefaßtes, reich vergoldetes
Kreuz mit einer Reliquie vom Kreuze Christi hervorzuheben, welch' letzteres an der
Vorderseite den gekreuzigten Heiland, das heilige Abendmahl, die Fußwaschung und
Auferstehung Christi, an der Rückseite Geburt und Taufe Christi, Maria Verkündigung,
Gott Vater und die Verklärung Christi zeigt. Hie und da findet man auch kreisrunde
Kapseln zur Aufbewahrung der Hostie oder von Reliquien, welche mit scenischen Dar-
Von der Außenmalerei der griechischen Kirche in Watra-Moldawitza (Belagerung von Konstantinopel).
stellungen geschmückt sind, Wohl auch Bilder in gleicher Art, oft auch durchbrochen und
Imut relisk geschnitzt, so daß sich einzelne Figürchen vom Grunde vollständig abheben.
Weniger häufig erscheint Elfenbein in gleicher Durchführung für ähnliche Zwecke verwendet.
So besitzt Suczawitza zwei kleine, mit Silber eingefaßte Elfenbeinbildchen.
Zu den Metallarbeiten übergehend, müssen wir der oft sehr mächtigen, aus
Messing gearbeiteten Kronleuchter gedenken, welche nicht selten mit Seraphinen geschmückt,
nach orientalischer Sitte häufig mit Straußeneiern behängen sind. Von Altarleuchtern
seien die aus Silber hergestellten, seitens des Metropoliten Jakob 1768 dem Kloster
Putna gewidmeten erwähnt. Es ist ferner der oft sehr zierlichen Rauchfässer zu
gedenken, von denen Putna ein silbernes, mit acht Edelsteinen und fünf Seraphinen
geschmücktes aus dem Jahre 1470 von Stefan dem Großen besitzt; dann der Kelche,
Patenen und Ciborien, letztere häufig in Form einer ein- oder mehrkuppeligen Kirche gehalten.
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Suczawitza besitzt ein silbernes Ciborium vom Metropoliten Georg aus dem Jahre 1591,
Putna ein vom Jgumen Josef, 1745 gespendetes. Dieses Kloster hat ferner zwei, von
Stefan dem Großen 1497 gewidmete Raepiden. Eine Art von Luftwedel, in zierlichem,
reichem Silberfiligran gearbeitet und stark vergoldet, zeigen sie annähernd die Form eines
Sternes, beiderseits mit je fünf ungemein zarten, figürlichen Reliefs geziert. Ein kostbares,
mit dicken getriebenen Silberplatten verkleidetes Kunstwerk aus dem Jahre 1627 ist der
Reliquienschrein mit dem Körper des heiligen Johannes Novi in der Klosterkirche zu
Suczawa. Im byzantinischen Charakter componirt zeigen die mannigfaltigen Figuren der
zahlreichen, wohldurchdachten Scenen eine gewisse Steifheit in der Haltung und, wie die
Von der Aubenmalerei der griechischen Kirche in Watra Moldawitza. Belagerung von Konstankinopel).
vorkommenden Gebäude, Unbehilflichkeit in der Behandlung. Gleicherart sind die zahlreichen
silbernen Buchbeschläge ausgeführt, von welchen in den bestehenden Klöstern noch eine
größere Zahl vorhanden ist, während die aus aufgehobenen Klöstern stammenden mit son -
stigen Kunstschätzen vom griechisch-orientalischen erzbischöflichen Consistorium in Czernowitz
aufbewahrt werden. Die Darstellungen auf den Buchdeckeln find dem Leben oder Leiden
Christi, dem Leben Mariens oder dergleichen entnommen; häufig betreffen sie die
Bildnisse oder die speciell im Oriente entstandenen Symbole der Evangelisten. Die
zahlreichen Inschriften sind kirchenslavisch. Die Buchrücken erscheinen gewöhnlich mit
Silberdraht panzerartig geflochten. Aus Humora stammt ein Vier-Evangelienbuch, welches
auf der Vorderseite die Auferstehung Christi, auf der Rückseite die Entschlafung Mariens zur
Darstellung bringt und wahrscheinlich im Jahre 1486 gebunden wurde; Putna besitzt u. a.
ein 1506 vom Wojewoden Bogdan gestiftetes Buch mit ganz gleichem Einbande; das
444
Stauropigianische Institut in Lemberg einen dem XVI. Jahrhundert angehörigen Buch -
einband eines Evangeliums aus Suczawa; Suczawitza mehrere Evangelien aus den
Jahren 1605 bis 1607 von Jeremias Mogila. In diesem Kloster wird auch ein jüngeres,
sehr kostbares, großes Evangeliumbuch vom Jahre 1781 ausbewahrt, dessen figürliche, in
ovale Felder vertheilte und mit Ornamenten umgebene Reliefs eine vorzügliche Meister -
hand bekunden. Au den aus dem ersten Viertel des XVII. Jahrhunderts stammenden
silbernen Einbanddecken des Klosters Dragomirna erscheint bei den Umrahmungen der
verknüpfte Wulst augewendet. Reiche Beschläge zeigen ferner einzelne Bilder. Entweder ist
blos der Rahmen, der Heiligenschein oder der Hintergrund — wie an einem kleinen
Muttergottesbilde in Suczawitza — oder es ist in byzantinischer, heute namentlich in
Rußland üblicher Art, alles mit Ausnahme des Kopfes, der Hände, beziehungsweise der
Füße Plastisch in Metall gestaltet, wie an einem alten Bildchen in Pntna. Unter den Schützen
des letztgenannten Klosters wird übrigens noch ein von Kaiser Emanuel Palüologos
herstammendes Muttergottesbild, das mit Gold und Edelsteinen reich geschmückt ist,
angeführt.
Von den Objecten der Kleinkunst in Edelmetall muß des wahrscheinlich die Hälfte
einer Mantelschließe darstellenden, im Jahre 1892 zu Meretzei aufgefundenen, mit
Almandinplättchen besetzten massiven Goldschmuckes gedacht werden, der, wie ein bohnen-
sörmiger, im Übrigen gleich behandelter Goldknopf an den bekannten Schatz von Petroassa
in Rumänien erinnert; beide Gegenstände befinden sich im Bukvwiner Landesmuseum.
Der Vollständigkeit halber ist noch bezüglich der Kleinplastik anzuführen, daß
schon Bogdau I. moldauische Münzen Prägen ließ, daß aber die erste Münzstätte hier,
und zwar in Suczawa, erst unter Heraklides nach der Mitte des XVI. Jahrhunderts
ins Leben trat. Ende des vorigen Jahrhunderts errichtete ferner Rußland in Sadagöra
eine Münze, in welcher allerdings nur Kupferstücke geprägt wurden. Hohen Werth legten
die Wojewoden auf eine reiche Ausstattung ihrer mit dem moldauischen Wappen geschmückten
Siegel, deren Abdrücken wir zahlreich in den alten Urkunden begegnen.
Die Meister der besprochenen Werke der Kleinkunst werden wir in den seltensten
Füllen in der Bukowina, überhaupt in den ehemaligen Donausürstenthümern selbst zu
suchen haben, mit Ausnahme etwa der Holz- und insbesonders der Miniatnrschnitzereien.
Diese mögen wohl von einzelnen kunstgeübten Mönchen herrühren, welche direct oder
indirect zum byzantinischen Kunstcentrum der damaligen Zeit, der wiederholt erwähnten
Athosinsel, in Beziehungen standen; in späterer Zeit nahmen sich dieser Arbeiten auch eigene
Dorfkünstler an. Die Gegenstände in edlen Metallen werden fast ausschließlich auswärts
hergestellt worden sein, wie dies besonders bezüglich der von Stefan dem Großen dem
Kloster Pntna gewidmeten im Allgemeinen bemerkt wird. Im Besonderen wissen wir,
445
St. Georg aus einem Frescobild in der ehemaligen Klosterkirche von Horecza bei Czernowitz.
480 Mark Silber in natura beistellte. Der Verkehr Stefans des Großen und
seiner Nachfolger mit Venedig, ferner die kirchlichen nnd politischen Beziehungen zu
Constantinopel machen es wahrscheinlich, daß auch aus diesen beiden, jedenfalls aber
ans letzterem Orte so manches Werk der Kleinplastik bezogen wurde.
Wir können, bevor wir zur Malerei übergehen, eine Kunsttechnik nicht unberührt
lassen, welche hier, theilweise durch einzelne Fürstinnen oder Bojarenfrauen oder in Nonnen-
daß der Wojewode Alexander IV. Lapusznean im Jahre 1561 Gold, Diamanten,
Rubinen und Perlen an die Goldschmiedezunft in Hermannstadt mit dem Aufträge
sandte, ihm hievon ein kostbares Kreuz anzufertigen, und daß der walachische Wojewode
Jankul 1582 in Lemberg ein silbernes Tafelgeschirr anfertigen ließ, für welches er
446
klöstern ausgeübt, unter Entfaltung großen Reichthums zu bedeutender Vollkommenheit
gedieh: wir meinen die in echt byzantinischen Traditionen, wohl hauptsächlich mit orien -
talischen Materialien ausgeführten Seiden- und Goldstickereien auf färbigem Atlas
an Meßgewändern und dergleichen, insbesonders aber als Decken mit der Grablegung
Christi oder dem Tode Mariens und als Grabdecken für fürstliche Persönlichkeiten. Die
nackten Theile und Haarmassen der oft nahezu lebensgroßen Figuren Christi, der Engel rc.,
beziehungsweise der Fürsten, sowie einzelne Ornamente und die meist umfangreichen
Inschriften sind in entsprechend farbiger Seide, oft abschattirt, im Flachstich gearbeitet,
während die Flügel der Engel und die Gewänder meist mit Silber- und Goldfäden gestickt,
die Heiligenscheine und Haupt-, nicht selten auch die Faltencontouren, aber vielfach mit
Perlen eingefaßt erscheinen. Auch diesfalls besitzt Putna im Allgemeinen die interessantesten,
Suczawitza aber die kostbarsten Werke. Eine ungemein zarte und vollendete Stickerei zeigt
neben dem gestickten, 1490 von Stefan dem Großen gewidmeten, 247 Centimeter langen
und 157 Centimeter hohen Bilde der Grablegung Christi die Decke mit Maria-Entschlafung
aus dem Jahre 1510 in Putna, an deren oberer Seite die Inschrift angebracht ist,
während an den drei übrigen Seiten, von Rankenornament umschlungen, zwölf Burgvesten
gestickt sind; eine äußerst sorgfältig gestickte „Grablegung Christi" ist in Dragomirna,
vom Czar Fedor Jwanowicz aus dem Jahre 1598 stammend, während Suczawitza unter
anderen eine von Jeremias und seiner Mutter Maria 1592 gestickte Grablegung von
135 Centimeter Länge und 110 Centimeter Höhe sein eigen nennt, an welcher nebst einem
goldenen Sterne und sechs Diamanten, nach dem Inventar nicht weniger als 10.929
größere und kleinere Perlen angebracht sind.
Von Profanen Werken dieser Art ist eine von Johann Jeremias Mogila aus
1601 stammende Fahne mit dem in Gold gestickten moldauischen Landeswappen zu
erwähnen.
Wie einzelne Werke der eben beschriebenen sogenannten Nadelmalerei sind Wohl
auch viele der vorhandenen Miniaturmalereien auf einheimischem Boden, und zwar zumeist
durch kunstgeübte, zum Theile vielleicht ans Griechenland oder Byzanz stammende Mönche
oder deren Schüler in den Klöstern selbst entstanden. Die kostbaren Einbände der
kirchlichen Bücher, der Mehrzahl nach in Silber, manchmal unter Verwendung edler
Steine ausgeführt, läßt aus den großen Werth schließen, den man in die Bücher selbst
setzte. Die älteren derselben sind auf Pergament mit kirchenslavischen Lettern höchst
sorgfältig geschrieben und, einer antiken Übung folgend, mit in Farbe und Gold gehaltenen
oft sehr reichen Ornamenten, sowie vielfach auch figural verziert. Das älteste Werk ist,
abgesehen vom sogenannten Woronetzer Codex, das bereits angeführte Humorer Tetra-
Evangelium Stefans des Großen, in welchem dieser Fürst selbst, in knieender Stellung,
447
»-
das Buch dem Christuskinde am Arme der Gottesmutter überreichend, abgebildet ist.
Jedem Evangelium geht eine illuminirte Randleiste und das Bild des betreffenden
Evangelisten voran. Geschrieben wurde das Buch von dem Jeromonachen Nikvdin im
Jahre 1473. Wir heben u. a. noch das 1607 von Jeremias Mogila dem Kloster
Suczawitza, ferner zwei große, 1610 von Anastasius Krimka dem Kloster Dragomirna
geschenkte Evangelienbücher hervor, welche reiche und hübsche Miniaturmalereien enthalten
und erwähnen, daß Watra-Moldawitza ein zu Beginn des XVII. Jahrhunderts von dem
Radautzer Bischof Ephrem eigenhändig geschriebenes Psalmbuch besitzt.
Gedruckte Kirchenbücher mit Initialen und Abbildungen finden wir bereits im
XVII. Jahrhundert, z. B. ein Evangelium aus dem Jahre 1697, in Kiew hergestellt, zu
Suczawitza; ein solches, ebenfalls aus Kiew, 1746, mit fünf großen Kupferstichen; ein von
der Kaiserin Anna gespendetes, aus dem Jahre 1735, gedruckt in Moskau, zu Watra-
Moldawitza u. s. w. Auch Lemberg (1665 rc.), Neamtz und Jassy (1702) rc. kommen als
Druckorte vor. In Suczawa bestand eineDruckerei schon in der ersten Hälfte des XVII. Jahr -
hunderts, in Radautz eine solche unter Bischof Warlaam in der Mitte des XVIII. Jahr -
hunderts. Der Kupferstich war in der in Rede stehenden Epoche — und ist in der Bukowina
selbst heute noch — nicht vertreten; an älteren Lithographien findet man u. a. zwei franzö -
sische, Stefan den Großen, beziehungsweise den Wojewoden Basil Lupul darstellend, im
Kloster Suczawitza und eine aus dem Anfänge dieses Jahrhunderts stammende, in Lemberg
gedruckte, mit der damaligen Ansicht von Czernowitz.
In der orientalischen Kirche, welche die figürliche Plastik vollständig verpönte,
während sie auf der Synode vom Jahre 842 nach den Bilderstreitigkeiten die Malerei
wieder gestattete, mußte sich naturgemäß die letztere, hier fast Alleinherrscherin im Reiche
der decorativen Künste, in hervorragender Weise, wenn auch nicht immer bis zur höchsten
Kunstentfaltung entwickeln. Gehemmt war sie in dieser Beziehung theils durch den
pädagogischen Zweck, theils durch ihre, sich über einen bedeutenden Umfang erstreckende
ornamentale Natur. Sie ließ ferner die Individualität des Künstlers nur in beschränktem
Maße zur Geltung gelangen, da die orthodoxe Kirche ziemlich strenge, noch heute bestehende
Vorschriften in Bezug auf Inhalt und Vertheilung der einzelnen Bilder erließ. Durch
ihren erziehlichen Charakter ist die Malerei vorwiegend eine Dienerin des Cultus geworden.
Analphabetikern sollte sie — und diese waren nicht blos im gesammten Volke, sondern
auch in der überwiegenden Zahl der Mönche zu suchen — die Legenden aus dem alten
und neuen Testamente, in einzelne Cyklen gruppirt, vermitteln; den frommen Gläubigen
hatte sie die guten Thaten und die Leiden der Märtyrer, die Sünden und Greuel der
Ketzer und Bösen vorzuführcn; dem hingebenden Gemüthe sollte sie von den Freuden
des Himmels und den Qualen der Hölle erzählen. Vielfach schematisch, wie die Lettern
448
der Bibel, erscheinen die Figuren der zahlreichen Heiligen und die Bilder aus der
religiösen Geschichte nebeneinander gereiht, oft nur durch einen Strich oder ein schmales,
ornamentirtes Band von einander getrennt. Die kleinste Fläche der Wand sowohl, als der
Wölbungen, ja auch alle Fenster- und Thürlaibungen treten in den Dienst dieser Kunst,
welche die Gesimsungen mehr und mehr verdrängt. In moldauisch-byzantinischen Kirchen
werden bald auch die Außenflächen in die Malerei mit einbezogen, um für weitere Dar -
stellungen Raum zu gewinnen. Derart erscheint auch noch der Klosterhof, beziehungsweise
die Umgebung der Kirche als geheiligter Ort gekennzeichnet und der Blick, den der Mönch
aus feiner einsamen Zelle durchs Fenster wirft, entrückt ihn nicht seinen beschaulichen
Betrachtungen. Die Aneinanderreihung der passend gewählten Felder erfolgt hier, wie im
Innern, ohne besondere Rücksichtnahme auf architektonische Gliederungen, selbst nicht auf
Strebepfeiler oder Fensteröffnungen.
Die Tafelmalerei beschränkt sich, mit Ausnahme einer Anzahl kleinerer, auf dem
Proskynitarion abwechselnd aufzulcgender Festtagsbilder, etlicher Gemälde in Speisesälen,
sowie Porträts und dergleichen, auf die Ikonostasen, an welchen neben der Schnitzkunst
vorwiegend die Malerei — diese allerdings auch hier ziemlich in Masse — vertreten ist.
Die meist auf Holzplatten hergestellten, oft mit Goldgrund versehenen Bilder, werden hier,
der Vorschrift gemäß, in zwei Haupt- und drei Nebenreihen, welche durch einen passenden
architektonischen Aufbau gebildet werden, übereinander angeordnet. Den Sockel zieren
gewöhnlich vier Darstellungen aus dem alten Testamente; über demselben, in der ersten
Hauptreihe von unten nach oben gerechnet, sind die vier sogenannten Hauptbilder,
Christus, Maria und die Kirchenpatrone darstellend, zu sehen, während in gleicher Höhe
die Felder der zwei Seiten- oder Diakonsthüren Engelgestalten, jene der mittleren oder
Königsthüre aber die Verkündigung Mariens enthalten. Über dieser letzteren Thür bemerkt
man das sogenannte Schweißtnch der Veronika (das heilige Mandilion) und darüber, in
der zweiten Nebcnreihe, das heilige Abendmahl. Im Übrigen enthält diese Reihe die zwölf
wichtigsten Jahresfeste, über denen, in der zweiten Hauptreihe, die Gestalten der zwölf
Apostel und, in der obersten Nebenreihe, Brustbilder der zwölf Propheten angebracht sind.
Über dem Abendmahl befindet sich das große Gemälde Christus ans dem Throne, darüber
der heilige Geist, ferner Gott Vater und darüber, als Bekrönung der Jkonostasis, ein
verziertes Kreuz mit dem Bilde des sterbenden Heilandes, zu dessen beiden Seiten endlich
die Heiligen Maria und Johannes. Die Wandmalereien treten als eine nothwendige
Ergänzung hinzu, so daß die gesammte malerische Ausschmückung als eine harmonische
Verkörperung der kirchlichen Gedankenkreise gelten kann. Hoch oben, im Fond der Kuppel,
thront Jesus Christus, der Pantokrator oder Allmächtige, umgeben von den Chören der
Engel, Propheten und den in den vier Gewölbezwickeln dargestellten Evangelisten,
449
mild herabblickend auf die andächtige Gemeinde. Bilder aus der Lebens- und Leidens -
geschichte des Heilands, sowie aus dem Leben der Gottesmutter nehmen in der Regel die
oberen zwei Reihen, Gestalten von Heiligen, sowie das bereits erwähnte Widmungsbild,
Domkirche in Czernowitz.
die unterste Reihe im Naos ein. Das Ganze gleicht einem Riesenteppich, welcher alle
Flächen überdeckt und gegen unten zu in regelmäßig gelegten Falten abschließt. Die Sockel -
theile indeß sind, eine Reminiscenz an die Marmorvertäfelung, mit mehreren Reihen,
farbige, rautenartige Steine darstellend, bemalt. Im Altarraume finden wir häufig die
Bukowina. 29
Himmelfahrt Christi, Bilder aus der göttlichen Liturgie, die Muttergottes als Allheilige
oder Pauagia, die heiligen Bischöfe u. s. w., während die Darstellungen im Pronaos u. a.
den Lebens-, beziehungsweise Leidensgang des Kirchenpatrons schildern. Die gegen Westen
gerichtete Wandfläche der Vorhalle oder des Kirchenäußeren enthält in der Regel das große
Bild der Wiederkunft Christi, das jüngste Gericht. Die Außenmalerei entnimmt ihren
Inhalt vielfach dem alten Testamente und bringt auch mehr oder weniger profane Dar -
stellungen, wie die der Belagerung Konstantinopels durch die Türken, die Über -
bringung des Leibes des heiligen Johannes Novi nach Suczawa, die Gestalt des
Metropoliten Gregor Roszka neben der des Einsiedlers Daniel in Woronetz u. s. w. und
zeigt hie und da wohl auch Imitationen von Stein- oder mehrfarbigem Ziegelrohbau.
Wie die alten Tafelgemälde, welche sich in zartester Weise auch über einzelne
Flächen der Einrichtungsstücke (^noloMu, Driptzmlm, Thüren rc.) erstrecken, in der
Regel auf mit Gyps überzogenen Holztafeln hergestellt wurden, so erscheinen auch die
Wandmalereien auf einer sorgfältig geglätteten, im Ganzen jedoch den Unebenheiten der
rohen Bruchsteinwand folgenden Mörtelschichte aufgetragen. Dem eine verhältnißmäßig
dünne Schichte bildenden fetten Mörtel wurden langfaserige, zähe Gräser oder Kälberhaare
beigemengt, um neben genügender Festigkeit den nöthigen Haft an den Wänden zu erzielen
und das Rissigwerden zu verhüten. Die Farben sind kräftig, satt und gut deckend. In
der Technik der Malereien ist ebensowenig, wie im Stil und ihrer Detailbehandlung ein
merkbarer Unterschied zwischen den aus verschiedenen Zeiten stammenden Werken nach -
weisbar, ja es scheinen die Mehrzahl der Darstellungen gegenseitige Copien zu sein.
Trotz des gewaltigen Umfanges der Malereien wurden die Kirchen häufig binnen einem
Jahre ausgemalt, was die Thätigkeit einer größeren Anzahl von Künstlern und Arbeitern
voraussetzt. Man ersieht dies deutlich an den Gemälden selbst, von welchen weder alle
gleichwerthig sind, noch auch die einzelnen derselben in allem dieselbe Hand zeigen. Die
Köpfe sind zumeist sehr ausdrucksvoll und rühren, sowie die Hauptconception der
Darstellung vom Meister her, während alles übrige durch Hilfskräfte besorgt wurde;
die Staffage namentlich erscheint immer recht handwerksmäßig durchgeführt. Das Ganze
wirkt aber trotzdem infolge der ziemlich gleichmäßigen Vertheilung der gesättigten Farben
im Halbdunkel der Jnnenräume und auch im Äußern harmonisch und ruhig.
In der Bukowina stand die Wandmalerei schon sehr frühzeitig in Übung. So
stammen die noch sichtbaren Reste an der 1401 erbauten älteren Klosterkirche zu Watra-
Moldawitz a, wenn nicht schon aus dieser Zeit, so doch spätestens aus dem Jahre 1531,
in welchem die Kirche zu Grunde ging. Es zeigen ferner die Ruinen der bezüglich ihrer
Bauzeit allerdings noch nicht bestimmten Kapelle am alten Fürstenschlosse zu Suczawa,
sowie an der alten, 1513 verfallenen Mirautzer Kirche ebendaselbst Reste figuraler und
Hl-.i'.
«MS
451
ornamentaler Bemalung. Die Fresken der Radautzer Kirche stellen letztere auf der
Widmungswand ohne Vorhalle dar, ein Beweis, daß die Ausmalung vor Errichtung
der Vorhalle, das ist vor 1559 erfolgte. An der 1488 erbauten ehemaligen Klosterkirche
Woronetz ließ die Malerei inschriftlich der Metropolit Gregor Roszka, 1546, mit dem
Bau der Vorhalle Herstellen oder vielleicht nur erneuern, wie beispielsweise ja auch die
Kuppel zu Watra-Moldawitza zwei Schichten von Malereien trägt. Dermalen erscheinen
mehr oder weniger vollständig die Kirchen zu Woronetz, St. Jllie, Arbora, Klosterhumora,
Watra-Moldawitza, Suczawitza und die St. Georgskirche in Suczawa bemalt; nur innen
die Dcmetriuskirche in Suczawa, sowie die Kirchen in Radautz, Badeutz, Petroutz
Parhoutz, Dragomirna, Horecza. An einigen dieser Kirchen wurde die bestandene Außen -
malerei übertüncht oder völlig abgeschlagen. Die außen nicht bemalte Klosterkirche
Dragomirna, deren Vorhalle — des Ablebens des Stifters wegen — in ihrer Bemalung
unvollendet blieb, war jedenfalls auch für Außenbcmalung projectirt. An vielen Kirchen,
wie Putna, Solka rc. ist die Malerei infolge späterer Renovirungen vollständig
verschwunden. Wie an manchen georgischen Kirchen zerstörten oder schädigten auch in
der Bukowina Tataren einzelne Malereien, z. B. in Watra-Moldawitza.
Über die künstlerischen Urheber der Wandmalereien selbst besitzen wir keinerlei
bestimmte Nachrichten und es ließen sich auch bis jetzt keine Namen auf den Bildern
selbst finden. Blos vereinzelte Sagen beschäftigen sich mit den Freskomalern; so eine mit dem
der Klosterkirche Suczawitza: Erst nach langem Suchen konnte ein tüchtiger Künstler
gefunden werden; inmitten der Arbeit aber, und zwar gelegentlich der Herstellung der
Außenmalerei, stürzte er vom Gerüste und blieb auf der Stelle todt, weshalb die äußere
Bemalung auch nicht zu Ende geführt werden konnte. Eine andere Sage erzählt von dem
unglücklichen Ende des Malers der Kirche Watra-Moldawitza, den Fürst Peter Raresz
köpfen ließ. Vergleichen wir indeß die hiesigen Malereien, sowohl was den Inhalt derselben,
als die Vertheilung, Detailbehandlung und technische Durchführung anbelangt, mit jenen
der Klöster vom Berge Athos, so finden wir, fast bis ins kleinste Detail, eine völlige
Übereinstimmung. Über die Kirchenmalereien des Athos unterrichtet uns das bekannte
„Handbuch der Malerei vom Berge Athos", das aus dem XVI. Jahrhundert stammen
dürste und den Maler Priestermönch Dionysios zum Verfasser hat. Für seine eigene
Thätigkeit diente ihm ein Meister des XII. Jahrhunderts, Manuel Panselinos — wie er
bescheiden sagt — als unerreichbares Vorbild. Die in dem Handbuche niedergelegten
ikonographischen Beschreibungen Passen nun in jeder Beziehung auf die moldauisch -
byzantinischen Kirchenmalereien, wie man dies aus ihrer Vergleichung mit den einzelnen
Darstellungen leicht ersieht, z. B. der Darstellung des jüngsten Gerichtes, der Jacobs -
leiter, der Gastfreundschaft Abrahams u. s. w. Aber auch die technische Ausführung
29*
452
stimmt völlig mit dem überein, was hierüber das Handbuch enthält. Wir können
deshalb mit Sicherheit annehmen, daß sich entweder die Künstler der hiesigen Malereien
in der Kunstschule am Athos ausbildeten oder, was wahrscheinlicher ist, daß Mönche vom
Athos selbst die Durchführung der Ausmalung hiesiger Kirchen übernahmen und bei dieser
Gelegenheit vielleicht einheimische als Hilfskräfte verwendete Mönche in der Malerei
unterrichteten. Inschriften auf Fresken im griechisch-orientalischen ehemaligen Kloster Skit-
mare in Pokutien enthalten wiederholt Hinweise auf den heiligen Athosberg.
Ähnliches gilt wohl auch in Bezug auf die Tafelbilder, welche, weil selten signirt,
oft schwieriger als die Wandmalereien zu datiren sind. Die Kirche zum heiligen Johann
dem Täufer in Suczawa besitzt ein kleines Tafelbild mit griechischen Inschriften,
das wohl unstreitig von einem griechischen Maler stammt; in Radautz befindet sich ein
aus dem Kloster Skit-mare herrührendes Bild, auf dessen Rückseite zu lesen ist: „Dieses
Bildniß des heiligen Vaters Nikolai gehört der Kirche in Skit-mare, wo es durch
den Priestermönch Job, den Maler, erneuert wurde im Jahre Christi Geburt 1698, im
Monat August, in den Tagen des Jgumens, des Vaters Sofronie". Auf der Vorderseite
trägt es die kirchenslavische Inschrift: „Dieses Bild ward in der Metropolis Radautz
unter Bischof Hr. Pachomie im Jahre 1504 im Monate November 18 mit Silber
beschlagen". Ein hübsches Bild, der thronende Christus in der Kirche zu Petroutz, trägt
in kirchenslavischen Lettern folgende rumänische Inschrift: „Radul, Maler, hat's
überarbeitet, 1802". Von den Ikonostasen, von denen beispielsweise jene in Mamajestie
auf einem Bilde die Jahreszahl 1760 und „Mathei Dunajewski, Maler aus Lemberg"
trägt, stammen viele aus jüngerer Zeit; ihre Bilder, manchmal wohl älter als die Bilder -
wand, besitzen im Allgemeinen keinen großen Kunstwerth. Daß die alte Kunst überhaupt
im XVIII. Jahrhundert hier vollständig zurückging, ist zweifellos; gleichwohl findet man
auch recht bemerkenswerthe, allerdings wohl fremde Leistungen. Von solchen sind die
Bilder der Haupt-Jkonostasis aus Suczawitza hervorzuheben, sowie jene der allerdings erst
aus dem Jahre 1805 stammenden, im Pronaos befindlichen Neben-Bilderwand. Von
älteren Bildern erwähnen wir einzelne in noch bestehenden Ikonostasen befindliche oder von
früheren Bilderwänden herrührende, und zwar: in der Kirche zu Czumorna (früher zu
Kimpolung); in der Kirche zu Slobodzia-Komarestie (früher zu Rewna), beziehungsweise
aus der Pfarrkirche zu Putna; aus der alten Kirche zu Zastavna u. s. w.; ein großes Bild
in der Vorhalle zu Dragomirna, Christus auf dem Throne mit der drastischen Darstellung
des Himmels und der Hölle; ein dermalen auf dem Corridor des Klosters Dragomirna
befindliches großes Bild; zahlreiche Porträts von einzelnen Fürsten, Bischöfen oder Kloster -
vorstehern, welche wohl vielfach spätere Copien sind rc. Die werthvollsten Gemälde dürften
indeß die im Refectorium des Klosters Suczawitza deponirten, angeblich von der alten
454
Jkonostasis herrührenden sein, darunter die Mnttergvttes aus dem Throne und die heilige
Dreifaltigkeit; ferner wohl auch noch drei auf Leinwand gemalte alte Bilder, und zwar
Christus am Kreuze, Maria als Trösterin der Leidenden und das große Bild mit dem
heiligen Abendmahle. An dem oft erwähnten Gemälde mit der Darstellung des Klosters
Putna aus dem XVIII. Jahrhundert ist so recht deutlich zu erkennen, daß die Maler in
der Wiedergabe von Gebäuden und Landschaften, überhaupt von nicht figürlichen Objecten
nur wenig Schulung bekunden. Eine ganz abweichende Behandlung der Wandmalerei zeigt
die Kirche in Horecza, welche, wie schon früher bemerkt, auch in den architektonischen
Details fremdartigen Charakter besitzt und welche, wie als Baudenkmal, so auch bezüglich
der Wandmalereien gewissermaßen den Übergang von dem alten moldauisch-byzantinischen
Stile zur modernen Kunst in der Bukowina bezeichnet. Die völlig im Geiste des Barock -
stils gehaltenen Malereien an derselben, sowie in der über der Vorhalle gelegenen
St. Georgskapelle, leider vielfach durch Restaurationen beschädigt, bekunden, wie beispiels -
weise das jüngste Gericht, der heilige Georg und dergleichen, einen gewiegten wohl
fremden Künstler, dessen Name bis jetzt nicht eruirt werden konnte.
Nachdem im XVIII. Jahrhundert das gesammte künstlerische Leben in der Bukowina
stagnirt hatte, empfing die Kunst neuen Impuls, als das Land der österreichischen
Monarchie einverleibt wurde. Czernowitz, das bisher an der Kunstentwicklung keinerlei
Antheil nahm, wird als neue Landeshauptstadt der Mittelpunkt einer, wenn auch vorerst
ganz bescheidenen Kunstbewcgung, welche zunächst durch die Errichtung zahlreicher Gebäude
für die Verwaltungs-, militärischen und kirchlichen Oberbehörden, die hier ihren Sitz
erhalten, für Bildungsanstalten, sowie für die rasch zunehmende Bevölkerung inaugurirt
wird. Es entstanden das alte griechisch-orientalische Residenzgebüude (1782), ferner das
Militär-Stationscommando, im Jahre 1843 das Rathhaus mit seinem 45 Meter hohen
Thurme; es wird eine Reihe von Amts-, Wohn- und Geschäftshäusern am sogenannten
Ringplatze und in den anschließenden Hauptstraßen, alle schlicht und einfach, zumeist aber
in sehr solider Bauart, errichtet. Gleich einfach erscheint die verhältnißmäßig kleine, im
Jahre 1826 geweihte katholische Kirche zur heiligen Kreuzerhöhung, ein Renaissancebau
mit einem Thurme über der Vorhalle, gehalten.
Als erstes, in architektonischer Beziehung hervorragendes Bauwerk in Czernowitz,
überhaupt in der Bukowina, ist die griechisch-orientalische erzbischöfliche Kathe-
dralkirche zum heiligen Geiste (Domkirche) zu bezeichnen, welche in der kleeblatt -
förmigen Grundrißdisposition dem Stil der moldauisch-byzantinischen Gotteshäuser folgt,
im Übrigen aber die reinen Formen der italienischen Renaissance zeigt. Der Bau ist relativ
sehr groß: Haupt- und Querschiff messen im Lichten über 11 Meter an Breite; die Gesammt-
länge beträgt rund 56 Meter, die größte Breitenausdehnung an 30 Meter; er besitzt an den
455
Seiten der Vorhalle zwei niedrige Uhr- und Glockenthürme und ist mit einer mit Laterne
versehenen, bis zu 46 Meter aufsteigenden Tambourkuppel und zwei kleineren Laternen -
kuppeln überdeckt. Die Pläne fertigte der k. k. Hofbaurath (jetzt Baudepartement des
Innern benannt) in Wien
an. Die Ausführung,
unter Leitung des In -
genieurs Roll, fällt in die
Jahre 1844 bis 1846.
Gleichzeitig mit der
Kathedralkirche wurde
der Bau der griechisch-
orientalischen Kirche zur
heiligen Paraskewa be -
gonnen, und zwar durch
den PfarrerA. Vasilovici
nach einem in romani -
schen Formen gehaltenen,
von A. Pawlowski
angefertigten Entwürfe.
Mangels des nöthigen
Baucapitals verzögerte
sich die Ausführung,
bis die Vollendung auf
Rechnung des griechisch -
orientalischen Religions-
fondes übernommen
wurde; die Einweihung
erfolgte im Jahre 1862.
Das bischöfliche
Residenzgebüude erwies
sich bald als zu klein,
und da es zudem bau -
fällig geworden und die
Erhebung des Bisthums zum Erzbisthum und zur Metropolie in Aussicht stand, faßte
man die Errichtung eines umfangreichen, zweckentsprechenden und würdigen Baues ins
Auge. Im Jahre 1860 ertheilte Seine Majestät Kaiser Franz Joseph t. die Einwilligung
Die armenische Kirche in Czernowitz.
456
hiezu und genehmigte im Jahre 1863 die von dem Architekten Josef Hlävka verfaßten
Pläne. Mit dem erzbischöflichen Residenzgebäude stehen das griechisch-orientalische
Seminarium und das sogenannte Priesterhaus derart in Verbindung, daß diese Gebäude
den großen, mit einem mächtigen Portal abgeschlossenen Vorhof umgeben. Rückwärts
reihen sich an die Gebäude der Seminargarten, der prächtige Residenzpark und der Wirth-
schaftshof. Im zweifarbigen Ziegelrohbau gehalten und mit glasirten Ziegeln eingedeckt,
wurde der monumentale Bau, namentlich in seinen Detailformen, mit freier Benützung
der moldauisch-byzantinischen Motive an den Bukowiner Klosterkirchen errichtet und zeigt
an sich eine seltene Stilreinheit, die sich bis auf das geringste Einrichtungsstück erstreckt.
Geradezu ein Kleinod der Baukunst bildet die kleine, im Hauptgebäude befindliche Haus -
kapelle znm heiligen Johannes Novi; hervorragend in ihrer Durchführung ist ferner
die prächtige, mit dem Seminargebäude in Verbindung stehende Seminarkirche. Von
impvnirender Wirkung ist der 22 Meter lange und 16 Meter breite Synodalsaal, der
mit seinen Säulengalerien, seinen Wandverkleidungen aus Bukowiner Alabaster, seiner
hochgelegenen, farbenreichen Holzdecke, seinen religiösen und historischen Fresken, seinen
massigen Kronleuchtern und seinem sonstigen Meublement einen fascinirenden Eindruck
macht. Reiche und edle Pracht entfaltet sich auch im Speise- sowie im großen Empfangs -
saale. Der Bau begann im Jahre 1864 und wurde, besonderer Hindernisse wegen, erst im
Jahre 1882 vollendet. Der Bauaufwand betrug rund 1^/4 Millionen Gulden.
In Ziegelrohbau und mit Benützung romanischer und byzantinischer Formen aus -
geführt ist die armenisch-katholische Kirche in Czernowitz. Zu beiden Seiten der
offenen Vorhalle besitzt sie niedrige, mit Zeltdächern versehene Thürme, während sich über
der Vierung eine zeltförmig abgedeckte Laternenkuppel erhebt. Der Plan rührt ebenfalls
vom Architekten Josef Hlavka her; die Ausführung füllt in die Jahre 1869 bis 1875.
Edel in Anlage und Durchführung ist der in maurischem Stile von Julian Ritter von
Zachariewicz in Lemberg geplante, 1873 bis 1878 errichtete israelitische Tempel.
Die neuere Architektur in der Bukowina verdankt ihre Förderung dem Baudepartement
der Landesregierung, dem städtischen Bauamte und ganz besonders der im Jahre 1873
errichteten Staatsgewerbeschule in Czernowitz, aus welcher bereits eine Anzahl tüchtiger
Baumeister hervorgangen ist. Außer den einfachen Bauten des kürzlich bedeutend erweiterten
Gymnasiums, der Realschule, der Lehrerbildungsanstalt, verschiedener Kasernen und
zahlreichen Gerichts- und Verwaltungsgebäuden in den Provinzstädten wurden durch
das Regierungs-Baudepartement die imposanten Gebäude der Landesregierung und der
Kaiser Franz-Josephs-Universität in Czernowitz, sowie im Jahre 1894 die elegant
dnrchgeführte Priorswohnung im Kloster Suczawa, endlich die 1898 vollendete griechisch -
orientalische Kirche in Rosch, letztere nach den Plänen des k. k. Baurathes G. Sachs in
' - - -'
457
Wien; seitens des städtischen Bauamtes außer Volksschulen und verschiedenen communalen
Bauten die große Albrechtskaserne errichtet, während durch Gewerbeschul-Fachlehrer zahl -
reiche Kirchen, öffentliche und Privatgebäude und dergleichen, sowie die Bauten der im
Jahre 1886 abgehaltenen Landesausstellung in Czernowitz; durch den Gewerbeschuldirector
I. Laizner insbesonders das Gewerbeschul-Gebäude, das allgemeine Landeskrankenhaus,
das Gewerbemuseum, sämmtlich im Stile der Renaissance gehalten, ferner 1893 bis 1894
die gothische Hallenkirche zum heiligen Herzen Jesu mit dem 60 Meter hohen Thurme
entworfen wurden. Eine größere Zahl von Gebäuden (Kirchen, Wohlthätigkeitsanstalten re.)
ist im ganzen Lande anläßlich des 1898 eintretenden fünfzigjährigen Regierungsjubiläums
unseres Kaisers im Entstehen begriffen.
Aus Suczawa mag eines alten, typischen Bojarenhauses gedacht werden, das der
Tradition geniäß im Jahre 1783 Kaiser Josef H. als Hoflager diente, ferner der großen,
1842 eingeweihten römisch-katholischen Kirche. Kleinere römisch-katholische Gotteshäuser
wurden in Sadagöra, Sereth, Kotzman, Kaczika, Gurahumora und Kimpolung (1826), in
Hadikfalva und Andräsfalva (1857), evangelische Kirchen unter anderen Orten in Nadautz
(1826) und Czernowitz (1847 bis 1849, nach Plänen I. Engels) errichtet; eine große
Lippowaner Kirche besteht in Fäntäna alba, während man in jüngerer Zeit zahlreiche
größere und kleinere griechisch-orientalische Gotteshäuser erbaute, von welchen wir die in
Russisch-Banilla, Storozynetz, Kaczika und Pozoritta, sowie das in Kimpolung hervorheben
wollen, zu welch' letzterem weiland Kronprinz Rudolf im Jahre 1887 den Grundstein legte.
Der Vollständigkeit halber muß noch der Wohnhäuser auf einzelnen Guts -
besitzungen gedacht werden, unter welchen die in Waszkoutz am Sereth, Czerepkoutz,
Strojestie, Jakobestie, Kostina, Sadagöra, Stefaniwka und insbesonders das reizende,
im normännischen Stile errichtete, mehr oder weniger dem Schlosse Miramar nachgebildete
Gutshaus in Budenitz zu nennen sind.
Die jüngere Plastik in der Bukowina beschränkt sich im Allgemeinen auf die
Herstellung der decorativen Details für Architekturwerke. Als Arbeit von künstlerischem
Werth ist in dieser Beziehung die Gruppe des Giebelfeldes am jonischen Porticns des
sogenannten Cursalons zu Czernowitz, Diana im Bade vorstellend, zu erwähnen. Ein edles
Werk der freien Plastik ist das 1875 zur Feier der hundertjährigen Vereinigung der
Bukowina mit Österreich errichtete Austria-Denkmal. Es ist über acht Meter hoch; die
Hauptfigur aus Carrara-Marmor, die Reliefs aus Bronze. Der Entwurf rührt vom
Bildhauer Professor Carl Peckary her; als Mitarbeiter betheiligten sich an der Ausführung
Architekt C. Hofer, Bildhauer C. Morak und Bronzegießer C. Turbain. 1897 wurde im
städtischen Volksgarten die Büste des Dr. Const. Tomaszczuk, der sich als Mitbegründer
der hiesigen Universität und Politiker viele Verdienste erwarb, aufgestellt. Die figurale
458
Tatarendenkmal bei Wama.
Arbeit rührt von Professor A. Brenek in Wien, der architektonische Entwurf vom Verfasser
dieser Darstellung her. Noch sei einer hübschen, die Kaiserkrone tragenden Denkfaule gedacht,
welche die Gemeinde Fürstenthal zur Erinnerung an die Anwesenheit weiland des Kron -
prinzen Rudolf (9. Juli 1887) aus ihrer Gemarkung errichtete.
Wenig ist über die Malerei in der Bukowina aus unserem Jahrhundert zu berichten.
In der ersten Hälfte desselben wird als Jkonostasenmaler Folakvwski genannt, während
das Porträt in Primitiver Weise von I. C. Hruzik und L. Fialkowski, besser von A. Spulac,
hervorragend aber durch C. Arends, F. L. Knapp und M. Godlewski gepflegt wurde. Von
Knapp rühren auch hübsche, im Druck erschienene Aquarelle, Bukowiner Ansichten, her.
Besondere Verdienste erwarben sich Carl Svoboda, dann Johann Klein und Carl Jobst
durch ihre historischen Fresken, beziehungsweise durch die der typologischen Darstellungs -
weise der Bukowiner Klosterkirchen gemäß erfolgte rituale und decorative Ausmalung des
erzbischöflichen Residenzgebäudes, der Letztgenannte überdies durch die in den Jahren 1894
und 1895 ausgeführte stilgerechte Ausmalung der griechisch-orientalischen Kathedralkirche
in Czernowitz. Von jüngeren Künstlern ist in erster Linie der 1891 gestorbene Diöcesan-
maler Epaminondas Buczewski zu nennen, welcher zahlreiche Ikonostasen in der Bukowina
mit Bildern schmückte, für die Agramer Kathedrale und die Nicolauskirche zu Jassy thätig
war und 1880 die Fresken der alten griechisch-orientalischen Kirche zu Radautz restaurirte.
Als Porträtmaler that sich Justin Pihuleak hervor. Gegenwärtig wirken, vornehmlich als
Diöcesanmaler, Eugen Maximovicz und Friedrich von Schiller.
Volkswirthschastliches Leben.
Landwirtschaft und Viehzucht.
ie Entwicklung der Landwirtschaft seit der Vereinigung mit
Österreich. — Die Bukowina darf ungeachtet ihres sehr beträchtlichen
Reichthums an Waldungen als ein vorwiegend agricoles Land
angesehen werden. Von dem Gesammtflächeninhalte des Landes:
1,045.161 Hektar, sind 533.600 Hektar oder 51 05 Procent landwirt -
schaftlich benützter oder benützbarer Boden und zwar: 288.844 Hektar --- 27 63 Procent
Ackerland, 132.500 Hektar — 12'67 Prvcent Wiesen, 105.500 Hektar -- 10 09 Procent
Weiden und 8160 Hektar -- 0 7 Procent Gärten; der Ackerboden beträgt 54'13 Procent
des Kulturlandes. Noch deutlicher tritt der agricole Charakter des Landes hervor, wenn
dessen Bevölkerung nach ihrem Berufe und ihrer Beschäftigung ins Auge gefaßt wird;
von den 646.591 Einwohnern, die in der Bukowina am 31. December 1890 gezählt
wurden, gehören 483'082 oder 74 71 Procent ihrem Berufe nach der landbautrcibenden
Bevölkerung an, und von den in der Bukowina überhaupt Berufstätigen (350.906) sind
288.749 ^ 82'3 Procent in der Landwirtschaft berufstätig.
Diesen vorwiegend agricolen Charakter hat das Land erst seit seiner im Jahre 1775
erfolgten Vereinigung mit dem österreichischen Kaiserstaate gewonnen. Zur Zeit der
Abtretung dieses Landes seitens der Pforte an Österreich war die Bukowina meist
zusammenhängendes Waldland. Neben den Städten Czernowitz, Sereth und Suczawa
gab es im Lande 244 Dörfer, die zumeist in den von Waldungen umgebenen Lichtungen
460
gelegen waren. Grundherren, Mönche und Bauern bestellten die in der unmittelbaren
Nähe der Häuser befindlichen Gärten (Levaden) und die Felder fast ausschließlich mit
Mais (Kukuruz), dem Hauptnahrungsmittel der Bevölkerung, und zwar eben nur in dem
Maße, als sie dessen zum eigenen Bedarf benöthigten; auch Hanf und Flachs ward zur
Verwendung für den Eigenbedarf in allerprimitivster Weise gebaut. Hauptsächlich wurde
Rinder- und Schafzucht, vielfach noch von nomadisirenden Hirten, betrieben.
Nach der Katastralaufnahme des Jahres 1820 betrug das Ackerland blos
180.293 Hektar oder 17'25 Procent, das Wiesenland 176.435 Hektar — 16'88 Procent,
das Weideland 143.120 Hektar — 13'69 Procent der Gesammtbodenflüche; der Abschluß
der Katastralrevision im Jahre 1872 wies das Ackerland mit 259.939, das Wiesenland
mit 159.788, das Weideland mit 114.334, die Gärten mit 7.822 Hektaren aus. Im
Vergleiche mit den neuesten Grundsteuer-Regulirungsausnahmen zeigt sich in der Periode
von 75 Jahren (1820 bis 1895) eine Zunahme des Ackerlandes um 108.551 Hektar,
hingegen eine Abnahme des Wiesenlandes um 43.935 Hektar, des Weidelandes um
37.620 Hektar, zusammen um 81.555 Hektar. Gleichzeitig mit dieser Umwandlung der
Culturen erfolgten beträchtliche Waldrodungen, so daß sich die Waldungen von
476.220 Hektar nach der Katastralanfnahme vom Jahre 1820 auf 450.150 Hektar,
daher um 26.070 Hektar vermindert haben.
Bei der Übernahme der Bukowina durch Österreich war der Grundbesitz mit
Ausnahme des südlichen Landestheiles, des sogenannten Moldauisch-Kimpolunger Okols,
Ivo seit jeher Freibauern waren, vorwiegend in den Händen der Bojaren, der Klöster und des
Bischofs von Radautz, zum Theil in denen kleiner adeliger Grundbesitzer, der Reseschen
und Ruptaschen. Der Bauer war eigentlich nur Pächter des herrschaftlichen Bodens und
entrichtete statt eines Pachtschillings in baarem Gelde, bei der damaligen Natural-
wirthschaft, einen bestimmten Theil seiner Heu- und Obsternte, dann einige Kleingaben:
Garn, Gespinnst, Geflügel; endlich mußte er eine gewisse Anzahl von Arbeitstagen im
Jahre leisten. Der grundhcrrlichen Gerichtsbarkeit unterstand der Bauer, der freizügig
war, nicht; dagegen konnte ihn der Grundherr von Grund und Boden jederzeit abstiften,
dem Bauer den durch Waldrodungen urbar gemachten Waldboden abnehmen und in
eigene Benützung ziehen oder denselben anderweitig vergeben. Bei Entscheidungen von
Streitigkeiten zwischen Grundherrn und Bauer war, wenn kein besonderes Übereinkommen
Platz griff, das Ghika'sche Urbarium, der sogenannte Chrisow des Fürsten der Moldau
Georg III. Ghika vom Jahre 1766, beziehungsweise in seiner verbesserten Redaction vom
1/13. September 1776, maßgebend.
Diese Verhältnisse wurden auch durch das Commissions-Protokoll vom 4. April 1780
von der k. k. Militär-Administration, welche die Verwaltung des Landes nach der
461
V
Occupation übernahm, als 81utus cxuo aufrecht erhalten. Erst durch das kaiserliche Patent
vom 1. November 1786 wurde der Unterthünigkeitsverband geschaffen und das Unter-
thansverhältniß des Bauern zum Grundherrn ins Leben gerufen. Es war dies in mancher
Hinsicht, insbesondere in Bezug auf die Sicherung des bäuerlichen Grundbesitzes ein Fort -
schritt, da alle Grundstücke, die sich damals in bäuerlichem Besitze befanden, nunmehr als
Rusticalgründe der Unterthanen, deren Abstiftnng untersagt wurde, erklärt wurden. Auch
wurden die vom Unterthan an den Grundherrn zn prästirenden Leistungen (Frohne,
bestehend in Hand- und Zugarbeit und Giebigkeiten) geregelt. Ein weiterer Schritt zur
Sicherung des bäuerlichen Besitzstandes erfolgte erst im Jahre 1835 durch das Patent
vom 24. October, durch welches die Wandelbarkeit des Rusticalbesitzes aufgehoben und
dem einzelnen Bauer das Eigenthumsrecht an Grund und Boden zugesprochen wurde.
Einen maßgebenden und nachhaltigen Einfluß auf die Hebung der Landwirthschaft
in der Bukowina übten drei Momente aus: die Ansiedlnng fremder Kolonisten in einigen
Landestheilen, die Übernahme der Güter des durch den geistlichen Regulirungsplan
Kaiser Josefs II. vom 29. April 1786 aus dem Besitzthume der griechisch-orientalischen
Klöster und des Radautzer, nachmals Czernowitzer Bisthums gebildeten Bukowiner
griechisch-orientalischen Religionsfondes, sowie der Cameralgüter in die eigene Verwaltung
des Staates, endlich die Errichtung des k. k. Staatsgestütes in Radautz, zu welchem
Zwecke die ausgedehnten Güter des Radautzer Bisthums vom Militärärar gepachtet wurden.
Von der Einwanderung der deutschen Colonisten, zu welcher Kaiser Josef II. durch
Allerhöchstes Handschreiben ääo. Czernowitz 1-9. Juni 1783 den ersten Anstoß gab, war
bereits in dem Abschnitte über das Volksleben der Deutschen in der Bukowina die Rede.
Wenn auch die ursprüngliche Absicht Kaiser Josefs II., die deutschen Colonisten in
größeren Komplexen, die gewissermaßen als Musterdörfer hätten dienen sollen, anznsiedeln,
nicht ganz zur Verwirklichung gelangte, die meisten Ansiedlungen von Beginn an keine
selbständigen Ortschaften bildeten, sondern sich blos als Erweiterungen schon vorhandener
Dörfer, die erst viel später die Gemeindeselbständigkeit erlangten, darstellten, so
wurden von den Ansiedlern doch Wirthschaften gegründet, die für die damaligen Verhältnisse
als Musterwirthschaften gelten und den Einheimischen als Vorbild eines rationelleren
landwirthschaftlichen Betriebes dienen konnten.
Da der Bukowiner griechisch-orientalische Religivnsfond und nächst ihm der
Cameralfond die größten Grundbesitzer im Lande waren, so war die Errichtung von sechs
Cameral-Wirthschaftsümtern und die Verpachtung zweier großer Religionsfondsdomänen
an Freiherrn von, Kriegshaber für die Dauer von dreißig Jahren für die Entwicklung
der Landwirthschaft von ganz außerordentlichem Belange. Tausende von Hektaren, ganze
Gemeindefluren, lagen dazumal brach. Die Düngung der Felder war unbekannt und zur
462
Instandhaltung des frisch gerodeten Bodens auch nicht erforderlich; ein plumper Pflug
mit hölzernem Streichbrett, eine hölzerne Egge, eine nothdürftig mit Eisenblech
beschlagene Holzschaufel, ein hölzerner Wagen ohne jedweden Eisenbestandtheil, das
waren die damals gebräuchlichen Wirthschaftsgeräthe. Mit Ausnahme des Maisanbaues
für den Hausbedarf war die Cerealienproduction eine so geringe, daß zur Erzeugung des
Branntweines Körnerfrucht aus dem benachbarten Galizien importirt werden mußte. Auf
den von staatlichen Organen in eigener Regie und von den Domänenpächtern bewirth-
schafteten Staats- und Religionsfondsgütern sowie auf den von den Ansiedlern bewirth-
schafteten Gründen wurde der Anbau des Weizens und des Roggens, des Hafers und der
Gerste eingeführt, auch die Kartoffel wurde bekannt, doch gewann sie erst in den Nothjahren
1812 bis 1816 volle Werthschätzung und allgemeinere Verbreitung. Die Dreifelderwirth-
schaft mit ausgedehnter Brache trat vielfach an Stelle der ganz ungeregelten extensiven
Wirtschaft. Da die Bauern bei dem bestehenden Unterthänigkeitsverhältnifse auf den
Fonds- und Cameralgütern die herrschaftlichen Felder von der Saat bis zur Fechsung
bearbeiten und auch den Ausdrusch bewerkstelligen mußten, so hatten sie genugsam
Gelegenheit, eine wenn auch Primitive, so doch im Vergleiche mit der von ihnen betriebenen
Bewirthschaftung fortschrittliche Bearbeitung des Ackerbodens kennen zu lernen und wurden
durch die hier gemachten Wahrnehmungen und erzielten Erfolge sowie durch den rasch auf -
blühenden Wohlstand der Ansiedlerwirthschasten zur Nachahmung angeregt.
Ein großes, nicht hoch genug anzuschlagendes Stück Culturarbeit auf landwirth-
schaftlichem Gebiete leistete für die Bukowina die k. k. Staatsgestüts-Wirthschafts-
Direction in Radautz. Die Religionsfonds-Herrschaft Radautz, ein zusammenhängender
Komplex von 29Quadratmeilen, war ursprünglich eine von Privaten, größtentheils
aber von den Fürsten der Moldau, für das Bisthum Radautz und für die griechisch -
orientalischen Klöster Putna, Suczawitza und St. Jllie gestiftete Dotation, die im Jahre
1786 in Folge des geistlichen Regulirungsplanes dem Bukowiner griechisch-orientalischen
Religionsfonde incorporirt und in Staatsverwaltung übernommen wurde. Bis zum
Jahre 1792 wurde diese Herrschaft für den eben genannten Fond durch die von der
k. k. Staatsgüter-Administration im Dorfe Fratautz aufgestellte Cameral-Wirthschafts-
Verwaltung in eigener Regie bewirthschaftet.
DerSchöpfer des österreichischen Remontirungswesens, der nachmaligeFeldmarschall-
Lieutenant, damals Major Cavallar, bewirkte die Wahl der Herrschaft Radautz zur
Errichtung eines k. k. Staatsgestütes. Dieselbe wurde vom 1. Mai 1792 dem k. k. Hof-
kriegsrathe gegen einen an den Bukowiner griechisch-orientalischen Religionsfond zu
leistenden jährlichen Pachtschilling zur Beförderung der k. k. Staatsgestütsanstalt in
unbeschränkte Benützung übergeben. Der General-Gestüts- und Remontirungs-Jnspector
463
Feldmarschall-Lieutenant Graf Heinrich Hardegg, ein kenntnißreicher, von den besten Inten -
tionen für den Culturfortschritt der Bukowina beseelter Mann, stellte sowohl in Beziehung
auf die Pferdezucht als auf die ökonomische Verwaltung der Herrschaft Radautz rationelle
Grundsätze auf, zu deren Durchführung er im Jahre 1819 den Wirthschaftsdirector
Gottfried von Asböth aus Ungarn berief. Asböth gab die Dreifelderwirtschaft auf und
ging zu einer geregelten Fruchtfolge über; unter seiner Leitung wurden durch mehrere
Jahre ganze Bataillone Militär zu Waldrodungen verwendet, ausgedehnte Sümpfe trocken
gelegt, und die so gewonnenen Bodenstrecken für den Acker- und Wiesenbau benützt. Der
Fortschritt der Landwirtschaft auf der Radautzcr Gestütsherrschaft unter Asböth trug
dem ganzen Land gute Früchte, denn viele Privateigenthümer von Grund und Boden nahmen
sich an der Radautzer Wirtschaft ein Vorbild, indem sie sich nicht nur auf die Verbesserung
der Agricultur, die Trockenlegung ausgedehnter Sümpfe und die Düngung der Felder,
sondern auch auf die Errichtung von Gestüten verlegten.
Nach Asböth's Tode im Jahre 1838 wirkte, in dessen Fußstapfen tretend, Hermann
Ambrosius als Wirthschaftsdirector. Der Gestütscommandant Oberst Herrmann brachte
auf die Radautzer Herrschaft mit dem rothen (Tiroler) Rinderschlag die Ansätze zur Zucht
eines besseren Rindes, als das in der Bukowina bis dahin meist verbreitete graue, der
Podolischen Steppenrace ungehörige, war. Große Verdienste erwarben sich Oberst Herrmann
und Director Ambrosius auch um die Pflege des Obstbaues.
Einen völligen Umschwung aller agrarischen Verhältnisse brachte die am 7. September
1848 erfolgte Aufhebung des Unterthansverhättnisses mit sich; derselbe äußerte sich
vorerst in empfindlichen Wirthschaftsstörungen bei den Latifundienbesitzern, da der von
der Robot befreite Bauer fast überall dem Grundherrn jede Arbeitsleistung, selbst zum
höchsten Taglohne, versagte. Noch schlimmer aber war es, daß der Bauer die gewonnene
Freiheit nicht zur intensiveren Bearbeitung des nunmehr in seinem unumschränkten Eigen-
thume befindlichen Bodens verwendete, sondern sich damit begnügte, nur so viel zu erzeugen,
als er bei seiner Bedürfnißlosigkeit unumgänglich zum Leben brauchte. Dem Mangel an
Arbeitskräften suchten die Großgrundbesitzer vorerst durch Herbeiziehung fremder Arbeiter,
besonders aus dem westlichen Galizien, abzuhelfen; sie sahen sich aber bei den geringen
disponiblen Capitalien nach und nach genöthigt, den Feld-, namentlich den Körnerbau
einzuschränken und in der Erweiterung der Viehmästung und Branntweinbrennerei Ersatz
zu suchen. Dem Feldbau kam die Ausdehnung der Viehhaltung und der Mästung des
vorwiegend aus Rußland und der Moldau importirten Viehes insoferne zu gute, als
der gewonnene Dünger auf die Felder gelangte und der im Laufe der Jahre durch den
ununterbrochenen Körner- namentlich Kukuruzbau erschöpfte und unproductiv gewordene
Boden in besseren Stand gesetzt wurde.
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Zu Beginn der Fünfziger-Jahre des Jahrhunderts machte sich in den landwirthschaft-
lichen Kreisen, vornehmlich bei dem Großgrundbesitze, ein regeres Streben nach Fortschritt
und bei richtigerer Erkenntniß der Interessengemeinschaft ein stärkeres Solidaritätsgefühl
geltend. Diesen Umständen verdankte der im Jahre 1854 von Doctor Christoph Ritter
von Petrowicz gemeinsam mit mehreren gleichgesinnten Großgrundbesitzern und anderen
Persönlichkeiten gegründete, heute noch wirkende Verein für Landescultur sein Entstehen;
diesen Bestrebungen schlossen sich zum Theile auch die griechisch-orientalische Geistlichkeit
und die Pächter der Religionsfonds- und Domänengüter an.
Der Bauer blieb von dieser Bewegung anfangs unberührt; er begegnete jedem
Versuche einer Neuerung und Besserung mit Mißtrauen und zwar um so mehr, als die
obigen Versuche von dem ehemaligen Grundherrn ausgingen. Eins wurde aber dem Bauer,
nachdem der erste Taumel der Freiheit vorüber war, dennoch klar, nämlich daß er wieder
arbeiten müsse. Dadurch daß der Staat, das Land und die Gemeinde an ihn mit immer
steigenden Anforderungen, die erfüllt werden mußten, herantrat, war er zu größerer
Arbeitsleistung auf eigenem Grund und Boden und zum Verdienste durch Arbeit beim
ehemaligen Grundherrn gezwungen.
Harte Lehrjahre waren für den Bauernstand die Nothjahre 1866, 1867 und theil-
weise 1868. War der Bauer zuvor gewohnt gewesen, in Nothjahren vom Grundherrn mit
Brod und Früchten unterstützt zu werden, so war dieser hiezu nun nicht mehr verpflichtet,
und wenn auch das Land zur Linderung des Nothstandes eingriff, so mußten doch die
Kleingrundbesitzer solidarisch für die ratenweise Rückzahlung des Nothstandsdarlehens
haften und dieses Darlehen in einer Reihe von Jahren zurückzahlen. Die unmittel -
baren Folgen der Nothjahre waren eine übermäßige Verschuldung des Bauernstandes, der
den Bodenwncherern in die Hände fiel, die Parcellirung und Zersplitterung des bäuerlichen
Grundbesitzes, welche durch die im Jahre 1868 im Landesgesetzgebungswege erfolgte
Aufhebung der den freien Verkehr mit Grund und Boden und das Zerschlagen der
Bauernwirthschaften theils untersagenden, theils einschränkenden Vorschriften, sowie durch
den Mangel an Capital und an Credit gefördert wurde, ferner zahlreiche Noth- und
Zwangsverkäufe. Tausende von Existenzen gingen unter dem Drucke dieser Verhält -
nisse zu Grunde. Dieser Druck wirkte aber gleichzeitig insofern wohlthätig, als die Bauern
einzusehen anfingen, daß es mit der bisherigen Art des Wirthschaftsbetriebes nicht weiter
gehe, daß sie mehr als bisher arbeiten, ihre Arbeit besser verwerthen und Grund und
Boden rationeller und intensiver ausnützen müßten.
In dieser Periode entstanden aus den in den Nothjahren und unmittelbar nach
denselben aufgekauften Bauerngründen zahlreiche Wirthschaften mittlerer Größe als
Zwischenstufe zwischen den Latifundien und dem Kleingrundbesitze. Der Bauer griff nach
465
und nach zum besseren Pfluge und sonstigen vollkommeneren landwirthschaftlichen Gerüchen;
er begann die Bedeutung und den Werth des Düngers und einer sorgfältigeren Bearbeitung
der Ackerkrume zu würdigen. Dies und das Eingreifen des Staates und des Landes durch
Gesetze zum Schutze der Bodencultur, durch landwirthschaftlichen Wanderunterricht, durch
die Errichtung einer landwirthschaftlichen Mittelschule und zweier Ackerbauschulen, durch
die Hebung der Intelligenz überhaupt, durch directe, die Landwirthschaft fördernde
Bukowina.
Maisfeld in der Gegend bei SucZawa.
Maßregeln, wie: Subventionen für einzelne Landesculturzweige, so namentlich fiir die
Hebung der Viehzucht, für Abgabe von Sämereien an Kleingrundbesitzer, führten zur
allmähligen Kräftigung des Bauernstandes, zur Besserung des landwirthschaftlichen
Betriebes und zur Gesundung der wirtschaftlichen Verhältnisse, ein Proceß, in dem sich
die Landwirthschaft der Bukowina noch heute befindet. An Rückschlägen fehlte es wohl in
den letzten fünfundzwanzig Jahren nicht. Teilweise Mißernten, die allgemeine agrarische
Krise, die namentlich auf dem großen Grundbesitz lastet, der Mangel an Industrie zur
Verwerthung landwirthschaftlicher Rohproducte, ungünstige Absatzverhältnisse für das
Vieh, vor Allem aber der Mangel an Schulbildung und Intelligenz bei dem noch immer
ziemlich indolenten Bauernstände und an billigem Credit für die Landwirthschaft, sind
die zu überwindenden Hindernisse einer rascheren Entwicklung der Landwirthschaft in der
Bukowina, für die in dem einen Jahrhundert der Zugehörigkeit des Landes zu Österreich
erst die Grundlagen gelegt worden sind.
Der Boden. Die Bukowina läßt drei nach Lage, Boden und klimatischen
Verhältnissen unterschiedene natürliche Gebietsgruppen erkennen: das Flach- und
Hügelland im Norden des Landes und in den Wasserscheiden und Flußthälern des
istruth und Czeremosz, des Sereth und der Suczawa, das Vorgebirge im Westen und
Lüdwesten des Landes und das südwestliche, westliche und südliche Gebirgsland.
Mir die Landwirthschaft ist das Flach- und Hügelland, auf welches 40 Procent der
Gesammtbodenfläche der Bukowina entfallen und welches 84'2 Procent des gesummten
Ackerlandes, nämlich 242'844 Hektar umfaßt, am wichtigsten. Es beginnt im Norden des
Landes als Fortsetzung der sogenannten sarmatischen Ebene an der galizischen Grenze mit
dem 4 niestrplatean und umfaßt das Pruththal, das Thal des unteren Czeremosz,
die Wasserscheide zwischen Pruth und Sereth, endlich das Sereth- und Suczawathal.
In den einzelnen natürlichen Gebieten des Flach- und Hügellandes nimmt das
Ackerland über 50 Proccnt der Gesammtbodenfläche ein und erreicht im Dniestrplateau
mit über 78 Procent seine größte Ausdehnung. Das Wiesenland nimmt eine Fläche von
über 40.000 Hektar ein; doch schwankt seine Vertheilung in den einzelnen natürlichen
Gebieten von 2 7 Procent bis 173 Procent. Ungefähr neun Procent der Gesammtarea
des Flach- und Hügellandes liegen, obwohl meist culturfähiger Boden, als Gemeinde-
Hutweiden landwirthschaftlich ganz unbenützt.
Das Vorgebirge, das aus dem Quellengebiete des Sereth- und Suczawaflusses,
der Hochebene des Sereth und dem oberen Solonetzthale besteht, hat ein Gesammtareale
von 290.000 Hektar, wovon jedoch blos 37.500 Hektar -- 12 9 Procent Ackerland sind.
Das Wiesenland hat in diesem Landestheile eine Ausdehnung von 30.160 Hektar
oder 11 Procent der Gesammtfläche; auch die Hutweiden sind in diesem Landestheile
467
80*
ausgedehnter als im Flach- und Hügellande, da sie 11 Procent der Gesammtfläche aus -
machen, und der Wald, der im oberen Solonetzthale bereits 66 Procent des Gesammt-
areales erreicht, beginnt in diesem Landestheile zu dominiren. Der Getreidebau spielt hier
eine untergeordnete Rolle.
Das Gebirgsland hat ein Areale von 338.000 Hektar gleich 32 31 Procent
der Gesammtfläche des Landes und gliedert sich in das im Nordwesten gelegene
Ober-Czeremoszthal, das im Südwesten gelegene Moldawa- und Suchathal und das
südliche Gebirgsland. Das Ackerland nimmt 7.978 Hektar oder 2'36 Procent der
Gesammtbodenfläche des Gebirgslandes ein, während die Waldungen sich aus einer
Fläche von rund 200.000 Hektar oder 60 Procent derselben ausdehnen. Der Feldbau
ist auf die schmalen Thäler beschränkt, von den Berglehnen sind nur wenige bei nördlicher
und westlicher Exposition culturfähig. Aus den Wiesen und Weiden ziehen die Bewohner
dieses Landestheiles ihren Hauptnutzen, indem sie dieselben an Vieheigenthümer aus
dem Flachlande für die Sommerweide verpachten; vielfach nehmen die Bewohner des
südwestlichen und südlichen Gebirges Ackergründe in der Ebene, besonders im Suczawathale,
in Pacht, um daselbst die für sie nothwcndigen Brodfrüchte, namentlich Mais, zu gewinnen.
Die Benützung des Bodens. — Die im Lande hauptsächlich gebaute Frucht ist
der Mais, hier Kukuruz genannt, dem nahezu ein Vierttheil (24'5 Procent) der Gesammt-
ackerfläche gewidmet ist. Das Anbauverhältniß des Maises steigt in manchen Gegenden,
wie am unteren Laufe des Suczawaflusses und iin unteren Czeremoszthale, bis zu
33 Procent der Gesammtackerfläche. Obwohl der Mais in der Bukowina, wo er nahezu
seine nördlichste Vegetationsgrenze erreicht, durchaus nicht so ertragreich ist, um bei
den bedeutenden Culturkosten gut zu rentiren, wird er doch in so bedeutender Ausdehnung
gebaut, weil er das allgemeinste, beliebteste, oft ausschließliche Nahrungsmittel der
rumänischen und der ruthenischen Landbevölkerung bildet und weil dessen Einheimsung
beliebig vier bis sechs Wochen verschoben werden kann, ohne daß der Quantität und
Qualität der Ernte Abbruch geschähe.
Die Maisfelder, auf denen die schlanken Stauden mit ihren saftiggrünen langen
und schmalen Blättern, mit den Blütenrispen und spinnenden Maiskolben in Reihen
stehen, dazwischen dunkle Hanfstauden und weißblühende Bohnen, am Boden rankend die
breitblättrigen Kürbisse mit den orangegelben Blütenkelchen im Sommer und den großen
gelben und grünen Kürbisköpfen im Herbste, an den Feldrainen und an den Grenzen der
einzelnen Parcellen die Helianthusstauden mit ihren großen goldigen Blumen, verleihen
dem Flach- undHügellande der Bukowina einen ganz eigenartigen landschaftlichen Charakter.
Solch ein Maisfeld liefert dem Bukowiner Bauer nahezu Alles, dessen er zu seinem
Haus- und Lebensunterhalt benöthigt, das Maismehl zu seiner vornehmsten Nahrung,
468
der der italienischen Polenta ähnlichen „Mainaliga", nnd znm Brvde, die Bohnen (Fisolen),
das Öl aus den Körnern der Sonnenblume, den Hanf zum Gewebe für seine Kleidung,
Kürbisse, Maisstroh und die entrebelten Maiskolben zum Viehfutter, die beiden letzteren
in holzarmen Gegenden auch znm Brennmaterial.
Vorwiegend wird, mit Ausnahme der Gegend ain unteren Laufe des Snczawa-
slusscs, wo in Folge günstigerer klimatischer Verhältnisse der großkolbige rumänische Mais
gedeiht, von den Bauern ein klcinkolbiger gelber Mais, der sich als besondere Bnkowiner
Maisspecies herausgebildet hat, von den Großgrundbesitzern aber ein ganz kleinkolbiger
Man,', sogenannter Cinguantin, gebaut. Diese beiden Sorten reifen früher und sicherer als
der gropkolbige rumänische Mais, geben aber viel geringere Erträge als dieser.
Der Mais wird überall breitwürfig gebaut, schon aus dem Grunde, weil die Felder
nie ausschließlich mit Mais, sondern wie bereits erwähnt, auch mit Bohnen, Hans,
Kürbissen, welche meistens reichliche Nebenernten liefern, bestellt werden. Die Gewinnung
von Grünmais als Futter ist in der Bukowina nahezu gar nicht üblich.
Wegen der vielen Handarbeit, welche die Maiscultur, bei zweimaligem Behacken,
-schneiden und schälen erfordert, nnd weil in den Sommermonaten gewöhnlich starker
Mangel an Arbeitskräften in Folge des Zuges der einheimischen Arbeiter nach Rumänien
und Rußland, wo dieselben besser gezahlt werden, herrscht, wird die Maiscultur und
Fechsung von den Besitzern und Pächtern der Latifundien, die große Flüchen mit Mais
bebauen, an Kleinwirthe und Häusler gegen ein Drittheil der Ernte vergeben, oder es
werden auf diese im Frühjahre, Sommer und Herbste zu verrichtenden Arbeiten in den
Wintermonaten, in denen beim Bauer das Bargeld knapp ist, Vorschüsse auf Accordarbeit
fiir bestimmte Flüchen geleistet. Die erstere Art der Arbeitsvergebung ist in den nördlichen
Landestheilen, dem Dniesterplateau, im Pruththale, die letztere in den übrigen Landes-
theilen die übliche.
Da bei diesen Aceordarbeiten, welche auch häufig bei der Fechsung der Gerste und
des Hafers stattfinden, die betreffenden Feldstücke alljährlich im Detail vermessen werden
müssen, um jedem Arbeiter die von demselben zu bearbeitende Fläche znweisen zu können,
so dürfte es nicht ohne Interesse sein, die Art nnd Weise dieser seit unvordenklichen Zeiten
in der Bukowina, wie in Rumänien, üblichen Vermessung und das Feldmaß kennen zu
lernen, das es dem selbst ans der allerprimitivsten Cnltnrstufe stehenden Feldarbeiter, der
vom Addiren und Multiplieiren keine Ahnung hat, ermöglicht, auch unregelmäßig abge -
grenzte Feldstücke mit ziemlich großer Genauigkeit zu vermessen. Das erwähnte übliche
Flächenmaß ist die sogenannte „Faltsche", das nicht, wie sonst jedes Flächenmaß, als
Quadratmaß, sondern als ein Riemenmaß gedacht ist. Die „Faltsche" stellt einen Grund-
Itreifen von vier „Praschinen" (eine „Praschine" gleich Z Wiener Klafter) Breite und
4M
8» Praschinen Länge dar. So ein achtzigster Theil der Länge bei vier Praschinen Breite
wird eine „Feldpraschine" genannt, welche demnach eigentlich eine Flüche von vier Qnadrat-
praschinen ist, also 36 Quadratklafter, wornach sich die „Faltsche" als eine Flüche von
2.880 Qnadratklafter darstellt. Jedes größere Grundstück wird nun in solche Streifen von
je vier Praschinen Breite getheilt und werden von der fortlaufend gemessenen mittleren
Länge dieser Streifen je 80 „Praschinen" als eine „Faltsche" durch Einkerbungen auf
einem Holzstücke verzeichnet und so die Gesammtzahl der „Faltschen" und der etwaige
Ilberschuß an Feldpraschinen, die das ganze Grundstück enthält, ermittelt. Bei kleineren,
in der Regel schmalen langen Grundstücken wird aber auf jede Länge von vier Praschinen die
entsprechende mittlere Breite gemessen, jede Breite an die vorherige anschließend gezählt
und so die Gesammtzahl der Feldpraschinen, die das Grundstück enthält, gefunden. Als
Maß wird eine drei Wiener Klafter lange Stange benützt, wobei der Endpunkt der auf
den Boden gelegten Stange jedesmal durch einen Gehilfen mit dem Grabscheit oder einem
Stocke bezeichnet wird.
Die Maisernte erfolgt im Monat October; sind die Maisfelder abgeränmt und
Stengel sammt Kolben eingebracht, dann geht es an das Brechen und Entschälen der
letzteren. Der Gutsbesitzer und Pächter ladet die Leute aus dem Dorfe, der Bauer
Nachbarn und Befreundete ein; sie werden bewirthet und verrichten gemeinsam die Arbeit
(Klaka) ohne besondere Entlohnung. Die entschälten Kolben werden in den zumeist ans
Weidenruthengeflecht, in größeren Wirtschaften aus Holzlatten hergestellten Maiskörben,
die der Luft freien Durchzug lassen, aufbewahrt. Der Dnrchschnittsertrag des Maises
betrügt 12 bis 15 Metercentner per Hektar an Körnern und 10 bis 13 Metercentner
Stroh; die durchschnittliche jährliche Gesammtproduction der Bukowina an Mais betrügt
eine Million Hektoliter.
Nächst dem Mais ist in der Bukowina der Hafer die meist gebaute Körnerfrucht,
mit der nahezu 15 Procent der Gesammtackerfläche bestellt sind.
Die Gerste, und zwar ausschließlich Sommergerste wird auf 11 4 Procent der
Gesammtackerfläche des Landes gebaut. Vorwiegend werden die zweizeiligen Malz-Gersten-
sorten, die in neuerer Zeit die früher allgemein verbreitete sechszeilige Gerste verdrängt
haben, gebaut; doch ist die Bukowina mit ihren excessiven, dem Steppenklima sich nähernden
klimatischen Verhältnissen für den Anbau feinerer Gerstensorten minder geeignet, weshalb
auch feinere Braugerste nur selten erzielt wird.
Für den Noggenbau werden im Lande 8 bis 10 Procent der Gesammtbodenflüche
verwendet; im Flach- und Hügellande wird vorwiegend Winter-, im Vorgebirge vorwiegend
Sommerroggen, im Gebirge ausschließlich letzterer gebaut. Früher wurde hauptsächlich
eine kleinkörnige russische Sorte des Winterroggens, welche selten auswinterte und meist
»»«»»»
470
recht gute Erträge gab, cultivirt. Später wurde viel großkörniger Champagnerroggen als
Saatgut importirt, der sich auch schnell iin Lande verbreitete; da derselbe aber häufig
auswinterte, auch die Roggenernten ausfallend zurückgingen, sv kehrte man nach und nach
wieder zu den russischen und deutschen Roggensorten zurück.
Am geringsten ist die dem Weizenbau gewidmete Fläche, die etwas über 17.000
Hektar oder 6 Procent der Gesammtackerarea des Landes beträgt; 3 7 Procent werden mit
Winter-, 2'3 Procent mit Sommerweizen bebaut. Im Flachlande ist das Verhältniß des
Winters- zum Sommerweizen 79 2 : 20'8 Procent der Weizenanbauflüche, im Vorgebirge
50 : 50 Procent; im Gebirge wird nur Sommerweizen gebaut. Die für die Weizen-
Production wichtigsten Landestheile sind das Dniestrplateau, das Pruththal und die
südöstlichen Ecken des Landes am unteren Laufe des Suczawaflusses. Am häufigsten wird
der rothkörnige Banaterweizen, seltener der rothbärtige Victoriaweizen und in den minder
günstigen Lagen gelber Kolbenweizen gebaut. Ziemlich viel wird ein rothbärtiger Wechsel-
weizen, der abwechselnd einmal im Herbste und das andere Mal im Frühjahre angebaut
wird, cultivirt.
Das Halmgetreide wird meistens gegen einen Schnitterantheil, der zehnten bis
zwölften Garbe, gefechst und im Kreuze von je 15 Garben aufgestellt, von denen je zwei
eine sogenannte „Klania", also 30 Stück ergeben; Klania ist überhaupt die Bezeichnung für
30 Stück, wie im Deutschen „Schock" für 60 Stück.
Der Körnerbau ist in der Bukowina in Folge des Sinkens der Getreidepreise, des
Steigens der Arbeitslöhne und theilweise des Mißrathens bald der einen, bald der
anderen Frucht in den letzten Jahren im Rückgänge begriffen. Die dem Körnerbau
entzogenen Flächen sind vorwiegend dem Anbau der Futterpflanzen, dem Klee und der
Luzerne, sowie dem Futterrübenbau zugewendet worden. Eine nicht unbeträchtliche
Steigerung hat auch der Bau der Hülsenfrüchte erfahren.
Der Rapsbau kommt in größerer Ausdehnung in einem Theile des Pruththales und
auf dem Dniestrplateau vor, wo auch Fenchel cultivirt wird, Buchweizen in den zum
Vorgebirge gehörenden Gebieten und im Gebirge, Hirse im Moldawathale, im Qnellen-
gebiete der Suczawa, im Oberlauf des Sereth. In neuester Zeit hat man sich vielfach dem
Anbau des blauen Mohns mit sehr gutem Erfolge zugewendet.
Die Kartoffel ist im ganzen Lande verbreitet; 22.000 Hektar, 7'6 Procent der
Gesammtackerarea, sind dem Kartoffelbau gewidmet. Von dem durchschnittlichen Jahres -
ertrag gelangen 47 Procent zum Konsum, 37 Procent zur Viehfütterung und Branntwein -
erzeugung und 16 Procent als Saatgut zur Verwendung. Die Brachfelder betragen durch -
schnittlich bis 5 Procent der Gesammtackerfläche im Lande, jedoch ist das Verhältniß der
Brache zum Ackerlande je nach den einzelnen Gebieten sehr verschieden.
471
Eine Cultnr der Wiesen ist nahezu unbekannt. Künstliche Wiesen gibt es nur auf
der Radautzer Staatsgestütswirthschaft; die natürlichen Wiesen sind in manchen Landes-
theilen von großer Üppigkeit. Durch Ent- und Bewässerungsanlagen und durch eine
rationelle Behandlung der Wiesen könnten die Ertrüge an Wiesenheu quantitativ und
qualitativ zum Nutze» der Viehzucht beträchtlich gehoben werden.
Die ein noch immer sehr beträchtliches Areale einnehmenden Hutweiden sind, obwohl
vielfach guter und cultursühiger Boden, zumeist ganz unbenützt; sie befinden sich im Eigen-
Weizenfeld in der Gegend bei Suczawa.
thume der Gemeinden, denen sie als Grundlasten-Ablösungsäquivalent zugefallen sind.
Nicht nur Horn-, sondern auch Borstenvieh, Schafe, Gänse u. s. w. werden vom Frühjahre
bis zum Spätherbste von den Gemeindemitgliedern auf die mageren mit kärglicher kurzer
Grasnarbe versehenen Weiden getrieben. In der jüngsten Zeit wird seitens des Bukowiner
Landesausschusses Einfluß genommen, daß die Gemeinden diese Vermögensobjecte in
rationellerer Weise bewirthschaften und verwalten; auch ist es thatsüchlich gelungen,
mehrere Gemeinden dazu zu bewegen, daß sie die Hutweiden pareellirten und die einzelnen
Parcellen an Gemeindemitglieder als Äcker verpachteten.
Besitzverhältnisse und Bewirthschaftung des Ackerlandes. — Der
Agriculturboden der Bukowina ist zwischen dem Groß- und Kleingrundbesitze derart
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vertheilt, daß ungefähr 40 Procent desselben auf den Ersteren, 60 Procent auf den
Letzteren entfallen. Von den 180 Landgütern, die privaten Großgrundbesitzern gehören,
haben die meisten eine Ackerarea von 400 bis 500 Hektar, wenige erreichen ein Ackerarealc
von 1000 bis 1200 Hektar, nur eines, Bossancze im unteren Suczawathale, hat eine
Ackerarca von 1500 Hektar, während es nicht wenige Landgüter mit einer Ackerarea von
blos 120 bis 200 Hektar gibt.
Der größte Grundbesitzer des Landes ist, abgesehen von seinem Forstbesitze, der
Bnkowiner griechisch-orientalische Religionsfond, dessen Güter von einer eigenen, dem
Ackerbau-Ministerium unterstehenden Güterdirection mit dem Sitze in Czernowitz
verwaltet werden. Der gesammte Grundbesitz des Bnkowiner griechisch-orientalischen
Religionsfondes beträgt 255.365'85 Hektar, wovon 231.37078 Hektar Waldungen,
23.154-11 Hektar Äcker, Gürten, Wiesen, Weiden, Alpen und sonstige Productive Gründe
sind. Die Landgüter sind sümmtlich verpachtet, und zwar 9810 Hektar an das k. k. Staats -
gestüt in Radautz, der Rest, bestehend aus 28 Meierhöfen mit einer Gesammtflüche von
9488 Hektar und 85 größeren und kleineren zerstreut gelegenen, daher den Meierhöfen
nicht zugewiesenen sonstigen landwirtschaftlichen Grundstücken im Gesammtflüchenmaße
von 2011 Hektar, an Private.
Die Verpachtung erfolgt bei den Meierhöfen in der Regel auf die Dauer von zwölf,
bei den kleineren Grundbesitzungen von drei bis sechs Jahren. Die Ackerböden der meisten
Fondsmeierhöfe stehen in gutem Cnlturzustande, denn wenn auch den Pächtern keine
bestimmten Wirthschaftsplüne vorgeschrieben sind und von ihnen auch kein bestimmtes
Wirtschaftssystem eingehalten wird, so wird seitens der staatlichen Verwaltung auf die
Erhaltung der Bodenkraft, Erzeugung des erforderlichen Düngers und eine entsprechende
Viehhaltung gesehen. Vielfach sind die Ackerböden mittelst kostspieliger Drainagen und
offener Grüben entwässert und meliorirt worden.
Noch ungleichmäßiger als beim Großgrundbesitze ist der Agricultnrboden des Klein -
grundbesitzes vertheilt. Während es in jeder Ortschaft eine große Zahl sogenannter
Händler gibt, die nur ^ bis ^4 Hektar eigenen Grund und Boden besitzen, ist der
mittlere Besitzstand durchschnittlich 2 bis 6 Hektar, und nur einzelne strebsame Landwirthe
in jeder Gemeinde haben durch Grundzuküufe ihren Besitzstand auf 20 Hektar und darüber
gebracht. Viel günstiger liegen die Verhältnisse bei den deutschen Ansiedlern im Lande, von
denen fast Jeder eine größere geschlossene Bauernwirthschaft besitzt. Fleißig und sparsam
suchen die deutschen Colonisten ihren Grundbesitz so viel als möglich durch Grnndzukäufe,
so weit solche innerhalb der angrenzenden Gemeinden möglich sind, oft auch in entfernteren
Gemeinden, zu vermehren. Außer durch die sehr weit gehende Parcellirung des bäuerlichen
Grundbesitzes wird die Bcwirthschaftung desselben auch durch die zersprengte Lage der den
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einzelnen Grundwirthen gehörigen Grundstücke nachtheilig beeinflußt. Nichtsdestoweniger
sträubt sich der Bukowiner Bauer gegen jeden Versuch einer Cvmmassirung; die Zeit hat
für ihn noch wenig Werth und so bringt er denn auch den Zeitverlust, den er bei dem
Hin- und Herfahren vom Hause auf die einzelnen Parcellen erleidet, gar nicht in Anschlag.
Zum Theil ist es das in der Anschauung, daß bei Hagelschlägen nicht alle Parcellen
emes Besitzers, da sie in verschiedenen Rieden liegen, heimgesncht und beschädigt
werden, wurzelnde Vorurtheil, das der ablehnenden Haltung des Bauers gegenüber der
Commassation zu Grunde liegt; zum Theil hängt diese ungünstige Vertheilung des Gesammt-
besitzes der einzelnen Gemeindemitglieder mit der ehemals üblichen Gcmeinwirthschaft und
mit der Anschauung zusammen, daß bei eintretender Commassirnng, da der Boden und
die Lage nicht in allen Rieden gleich gut und gleichwerthig sind, die einen Gemeinde -
mitglieder nur gute, die anderen nur minder gute, ein Theil aber ganz schlechte Grundstücke
erhalten würden.
Die Großgrundbesitzer bewirthschaften ihre Güter in den seltensten Fällen selbst;
von den 180 privaten Landgütern in der Bukowina werden etwa 40 in eigener Regie
bewirthschaftet, die übrigen sind verpachtet, häufig leider nicht an sachlich gebildete
Landwirthe, sondern an unternehmungslustige Speculanten, die während der Pachtzeit
ohne Rücksicht auf die Substanz und Zukunft des Pachtobjcctes den größtmöglichen
Nutzen bei geringstem Kostenauswande aus demselben zu ziehen und sich zu bereichern
suchen. Es gibt wohl auch, und zwar vornehmlich unter den Pächtern des griechisch -
orientalischen Religionsfondes, strebsame Landwirthe, die der Entwicklung der Landwirth-
schaft ein reges Interesse entgegenbringen und für dieselbe wirken; ihre Zahl ist indeß
keine große. An tüchtigen Wirthschastsbeamten herrscht im Lande empfindlicher Mangel.
Die gewöhnliche Pachtdauer bei Privatgütern währt sechs Jahre. Daß solche Wirthschaften
an den Fortschritten der Landwirthschaft nicht theilnehmcn, daß ans ihnen für die Hebung der
Agricultur nichts geleistet wird, daß für die Verbesserung dieser Güter nichts geschieht, ist
ebenso erklärlich wie bedauerlich. Noch bedauerlicher ist aber das in allerjüngster Zeit an
Ausdehnung gewinnende System der parcellenweisen Verpachtung des Ackerbodens ganzer
Güter an Kleinwirthe und Häusler, welches zwar dem Eigenthümer die allergrößte Rente
abwirft, die Güter aber suceessive ganz herunterbringen muß.
Ei» allgemein verbreitetes Wirthschaftssystem besteht in der Bukowina weder beim
Groß-, noch beim Kleingrundbesitze; die Systemlosigkeit im Wirthschaftsbetriebe ist im
Großen und Ganzen beiden eigenthttmlich. Ans den meist verpachteten Latifundienwirth-
schaften wird nur der Grundsatz beobachtet, die zum Anbau gewühlten Getreidegattungen
und sonstigen Feldfrüchte alljährlich in denselben Anbauflächenverhältnissen zu einander
zu erhalten, ohne sich jedoch an eine bestimmte den localen Verhältnissen entsprechende
474
Fruchtfolge zu binden. Dabei ist der Großgrundbesitzer, beziehungsweise der Pächter bestrebt,
die in einer bestimmten Gegend besonders beliebte, weil daselbst besser gedeihende Frucht,
so im Dniestrplatean den Weizen, im Pruth- und unteren Czeremoszthale den Mais, in
den mittleren fruchtbaren Gebieten den Hafer in thunlichst großer Ausdehnung zu bauen.
Ta Weizen und Mais unter den allgemein gebauten Körnerfrüchten die anspruchsvollsten
sind, so erfolgt wenigstens ein Theil des Anbaues dieser beiden Früchte in die frisch
gedüngte Brache oder mindestens in das zweite Feld, der andere oft größere Theil des
Anbaues erfolgt nach dieser oder jener Frucht, wo man eben den Boden noch für kräftig
genug hält. Beim Kleinwirth geht das ganze Streben überhaupt dahin, möglichst viel
Mais zu bauen.
Die regelmäßige Düngung der Felder hat in den meisten Gegenden noch lange nicht
die erforderliche Ausdehnung erlangt. Obwohl die Groß- und Kleinwirthe in letzter Zeit
sich fürsorglicher auf die Erhaltung der Bodenkraft durch Stalldünger verlegen, so läßt
doch im Großen und Ganzen sowohl die Düngerproduction, als auch die Behandlung des
Düngers noch viel zu wünschen übrig, da die Sommerstallfütterung des Rindes weder
beim Groß- noch Kleinwirth üblich ist. Nur auf jenen Gütern des Großgrundbesitzes,
auf denen Branntweinbrennerei mit Ochsenmast oder trockene Ochsenmast betrieben wird,
erreicht die jährliche Düngerproduction nahezu das thatsächliche Erforderniß. In manchen
besser geleiteten landwirthschaftlichen Betrieben des Großgrundbesitzes ist in neuester Zeit
die Verwendung von Kunstdünger, insbesondere von Knochenmehl und Phosphaten, in
Aufnahme gekommen.
Die mechanische Bodenbearbeitung befindet sich, wiewohl in den letzten 25 bis
30 Jahren manches besser geworden ist, noch immer auf einer recht rückständigen
Entwicklungsstufe. Eine nahezu abergläubische Scheu hält die bäuerliche» Kleingrund-
besitzer durchwegs, indeß auch den Großgrundwirth noch häufig genug, von jeder
Vertiefung der Ackerkrume, ja überhaupt von jeder etwas tieferen Ackerung zurück, so
daß dieselbe gewöhnlich nur auf 10 bis 12 Centimeter Tiefe vorgenommen wird und
Ackerungen auf 16 bis 18 Centimeter Tiefe nur selten Vorkommen. Untergrundwühler
oder Untergrundpflüge werden nirgends angewendet.
Zur Ackerung bedient man sich in neuester Zeit am häufigsten eines einfachen
leichten eisernen Pfluges mit Holzgrindel und einfachem Vordergestell; die Großwirthe
bevorzugen den Sackischen Universalpflug mit vorderer Schülschar. Zum Pflügen, wie
zu den wirthschaftlichen Arbeiten überhaupt, werden auf den großen Güterwirthschaften
sowohl Ochsen als auch Pferde gehalten. Gewöhnlich wird von den elfteren die doppelt
so große Anzahl verwendet und die Ackerung mit einem Ochsenviergespann vorgenommen.
Der Bedarf an Zugthieren auf diesen großen Wirtschaften wird mit je acht Ochsen
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und vier Pferden Per 100 Joch Ackerland angenommen. Der Kleinwirth behilft sich bei
den Zugarbeiten mit Pferden oder Ochsen, je nachdem er sich diese oder jene leichter
zu beschaffen im Stande ist. Der reichere rumänische und ruthenische Bauer verwendet
zur Arbeit lieber Ochsen, hält auch sehr viel auf die Anzucht schöner großer Thiere, die
er bei den Feldarbeiten sehr schonend behandelt. Die deutschen Kolonisten arbeiten zumeist
mit den von ihnen selbst gezogenen Pferden von stattlicher Größe und bedeutender
Leistungsfähigkeit. Geeggt wird mit einer recht irrationell construirten Egge mit vier bis
fünf kurzen und einem längeren Holzbalken, an welchen das Ortscheit angebracht ist, und
hölzernen, selten eisernen beweglichen Querleisten, so daß sich eine solche Egge im Gange nach
den natürlichen mechanischen Gesetzen in ihren Balken insolang verschiebt, bis dieselben
sich ans den geringsten Widerstand, das ist, einzelne Gruppen der Eggenzacken sich
in Reihen hintereinander stellen; in Folge dessen bleiben recht breite Streifen des Ackers
unbearbeitet.
Zweimaliges Ackern als Vorbereitung für die Saat findet nur bei Weizen und
Raps, bei Kartoffeln und Rüben statt; die übrigen Früchte werden stets nur nach
einmaliger Ackerung angebaut. Ist der Boden zu schollig, so wird in der Regel nur mit
dem Handschlegel nachgeholfen, da Riegel und Stachelwalzen nur in den nördlichen
landwirthschastlich fortgeschrittenen Landestheilen beim Großgrundbesitze im Gebrauche
sind. Beim Eggen werden meistens nur zwei Striche, einer der Länge, einer der Quere
nach, vorgenommen; das Anwalzen der Saat mit der platten Walze ist auch nur in den
eben erwähnten Landestheilen, in denen auch die breitwürfigen und Drillsäemaschinen
häufiger verwendet Mrden, üblich. In den Wirthschaften des Großgrundbesitzes sind selbst -
verständlich ansgebildetere Bodenbearbeitungsgeräthe im Gebrauche.
Zur Fertigstellung der Marktwaare dienen Getreideputzmühlen und sind solche
einfacherer Construction auch bei den Kleingrundbesitzern in Verwendung; da die
Anschaffung einer solchen Putzmühle für jeden einzelnen Kleingrnndbesitzer zu kostspielig
ist, so ist es gebräuchlich, daß die reicheren Grundwirthe Putzmühlen kaufen und selbe
dann an die minder Bemittelten gegen ein gewisses Entgelt verleihen. Beim Großgrund -
besitze werden auch Trieurs und Sortircylinder für das Reinigen und Herrichten des
Getreides gebraucht. Häcksel- und Rübenschneidmaschinen sind, insbesondere die ersteren,
auch beim Kleingrundbesitzer stark verbreitet. Nicht unerwähnt darf die in der Bukowina
gebräuchliche Handmühle (Lorirn) gelassen werden, deren sich der Bauer, ob reich ob arm,
zur Erzeugung seines täglichen Bedarfes an Maismehl und Maisgraupen bedient. Diese
Handmühle besteht aus zwei in ein Holzgestell eingefaßten kleinen Mühlsteinen von
40 bis 45 Centimeter Durchmesser; in dem oberen Stein ist nahe der Peripherie
eine kleine runde Vertiefung angebracht, in welche ein mit dem oberen Ende in das
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Gestell eingefügter Stock hineingestellt wird, mittelst welchem der Oberstein (Läufer) mit
der Hand in eine kreisförmige Bewegung versetzt wird, was bei der erforderlichen
raschen Drehung eine sehr anstrengende Arbeit ist, die ausschließlich von den Weibern
besorgt wird.
Die einzige landwirthschaftlich e Industrie der Bukowina ist die Branntwein -
brennerei. Die Bukowina besitzt 37 Branntweinbrennereien, hievon vier Hefefabriken;
die durchschnittliche Erzeugung von Spiritus beträgt 45.000 Hektoliter, die zum größten
Theile im Lande selbst consumirt werden; der Rest wird nach Böhmen, Schlesien und
nach Wieliczka in Galizien zur Fabrication versüßter geistiger Getränke exportirt. Der
Bedarf an Rohproduct zur Erzeugung des Spiritus betrügt ungefähr 400.000 Meter-
centner Kartoffel und 25.000 Metercentner Mais und Gerste, welcher Bedarf ausschließlich
von der landwirthschaftlichen Production im Lande selbst gedeckt wird. Die in den
Brennereien gewonnene Schlempe wird zur Ochsenmast verwendet und werden in den mit
Brennereien verbundenen Maststallungen 9000 bis 10.000 Stück Ochsen jährlich
gemästet, wozu 70.000 bis 80.000 Metercentner Mais, Gerste und Kleie erforderlich sind;
dieses Erforderniß wird bis ans 20 Procent, zu deren Deckung Getreide aus Rußland und
Rumänien importirt werden muß, aus der eigenen Getreideerzeugung beschafft. Außer der
Lchlempenmastnng wird aber auch die Trockenmast mit Kartoffeln, ohne Brennerei, und
zwar in 36 Maststallungen mit dem Bedürfe von 120.000 Metercentncrn Kartoffeln und
12.000 Metercentnern Mais und Gerste betrieben, und werden in diesen Stallungen
jährlich ungefähr 4000 Stück Ochsen gemästet.
Die Gesammtproduction der Bukowina an Mastochsen beträgt jährlich 13.000 bis
14.000 ^tück. -vie zur Mästung bestimmten Ochsen werden bis aus ungefähr 5 Procent,
die aus Ungarn gebracht werden, im Lande selbst erzeugt; es sind diese Ochsen jetzt meist
schon ziemlich hoch im Blute, Halbblut und darüber, Kreuzungsproducte des Landschlages
mit Bernern und Pinzgauern. Das Mastvieh wird zu einem Drittheil nach Deutschland,
der Rest nach Wien, teilweise auch nach Böhmen exportirt. Außer den Mastochsen werden
ans der Bukowina jährlich noch ungefähr 2000 Stück ungemüstetes Vieh, theils Jungvieh,
theils ältere Kühe und Stiere, nach Deutschland und nach Wien gesendet.
Die Pferdezucht. Die Bukowina hatte nach der Zählung vom Jahre 1890
einen Gesammtpferdestand von 50.923 Stück; es entfallen ans den Quadratkilometer
4'87 und auf je 100 Bewohner 7'88 Pferde. In Bezug auf die Verbreitung der Pferde -
haltung steht das Kronland an erster Stelle mit 3'69 Procent der Bewohner, die Pferde
besitzen, und es entfallen 2 13 Stück Pferde auf einen Besitzer. Der Stutenstand betrug
nach der Zählung vom Jahre 1890 20.291 Stück, wovon 4983 belegte oder mit
Saugfohlen, und entfallen auf je 100 Stuten 40 Fohlen; Wallachen ohne Unterschied
dev Alterv gab es 21.523 stück, Hengste 853, Jungpferde bis zum Gebrauche für die
Arbeit 8251.
Das Pferdematerial, das bei der Übernahme des Landes durch Österreich angetroffen
wurde, war von leichterem Schlage, hochedel, mit strammer Textur und großer Ausdauer;
der orientalische Typus war sehr ausgeprägt. Die im Jahre 1819 vorgenommene erste
Zählung ergab einen Stand von 16.437 Stück. In einem großen Theile des Landes
wird durch die vorhandenen Weiden und die mit kurzen nahrhaften Gräsern bewachsenen
Wiesen die Zucht eines edlen, strammen, flüchtigen und abgehärteten Pserdeschlages
begünstigt. In diesen Landestheilen wird ein edler leichter Reit- und Wagen-
pserdeschlag, und zwar, wo englische Hengste stehen, von etwas größerer Form, bei
A-erwendung orientalischer Hengste etwas kleiner, aber sehr flüchtig und von großer
Ausdauer, gezüchtet; das beste Stutenmaterial befindet sich bei den deutschen Colonisten,
die seit der Auflösung der ehemaligen, meist sehr renommirten Privatgestüte als die
einzigen privaten Pferdezüchter bezeichnet werden können. Die Colonisten von Altfratautz,
^atulmare, Radautz, Tereblestie, Jliszestie, Neu-Jtzkany besitzen meist einen großen Stuten -
schlag von guter Form und gutein Gang. Die Zuchtausbreitung im Lande läßt im Ganzen
viel zu wünschen übrig; der bei der bäuerlichen Bevölkerung verbreitete Landschlag ist
klein und unansehnlich; mangelhafte Ernährung und frühzeitige Verwendung drücken
demselben den Stempel kümmerlicher Existenz auf.
Eine Specialität der Bukowina ist das Huzulenpserd, das in dem gebirgigen
Westen des Landes vorkommt. Das Huzulenpferd, offenbar orientalischer Abstammung,
aber durch die eigenthümlichen Boden- und Anfzuchtverhältniffe zu charakteristischer Form
gelangt, besitzt eine Größe von 136 bis 146 Centimeter, zeigt viel Adel in Kopf und Hals,
der Körper ist lang gestreckt, tief und breit gebaut, die Gliedmassen sind kurz und stämmig,
die Nase ist tadellos, der Gang flüssig und mit viel Kniebug, das Temperament ruhig und
unerschrocken, die Haarfarbe oft bizarr. Dabei ist die Genügsamkeit und Ausdauer der
Huzulenpserde geradezu erstaunlich. Meist werden sie das ganze Jahr hindurch nur unter
einem Flngdach gehalten und selbst bei wohlhabenden Bauern kommen sie nur in einen
stets offenen Stall. Die Ernährungsbedingnngen im Verbrcitungsbezirke des Huznlen-
pferdes, das die politischen Bezirke Kimpolnng, die Gerichtsbezirke Seletin, theilweise
svlka, Useze-Putilla und einen Theil von Wiznitz umfaßt, stehen auf einem sehr niedrigen
Niveau; von Hartfutter ist keine Rede, etwas Rauhfutter und Weidegang im Sommer,
im Winter etwas Heu und Stroh, das ihnen vorgelegt wird, sind die einzigen Ressoureen
des Hnzulenpferdes. Sowohl als Gebirgspferd unter dem schwersten Gewichte, wie auch
als Tragthier findet das Huzulenpferd ausgebreitete Verwendung und beansprucht mit
Recht den Ruf eines für die Karpathengegenden unentbehrlichen Pferdes. Die Zucht
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in dem Huzulengebiete ist eine erstaunlich geringe, was umso mehr Befremden erregt,
als die Nachfrage nach Huzulenpferden eine sehr rege ist; dabei ist das Gebiet ein durch
zwei Umstände von selbst eng begrenztes; erstens verwendet der eingeborene Huzule, sich
des Werthes dieser Race bewußt, keinen anderen Beschäler als Huzulenhengste — es decken
daselbst nur in Privatpflege stehende Staatshengste, theils aus dem Staatsgestüt Radautz,
theils aus diesen Gegenden angekaufte Thiere — anderseits beruht die Existenzbedingung
derselben in der Beibehaltung jener Verhältnisse, in welchen diese Race aufgezogen ist. Ins
Flachland gebracht und zur Zucht verwendet, zeigt sich schon in der ersten Generation
ein Verlust der Raceneigenthümlichkeiten, welche im Gebirge so scharf hervortreten.
Im engsten Zusammenhänge mit der Pferdezucht im Lande steht das k. k. Staats -
gestüt in Radautz. Schon im Jahre 1774 wurde über Antrag des Oberlieutenauts Josef
Cavallar, dem der Ankauf von Remonten für die Armee übertragen wurde, im Orte
Kotzman ein „Remontenankanfs-Commando" errichtet, welches im Jahre 1783 nach
Waszkoutz am Czeremosz, wo Cavallar Grundstücke gepachtet hatte, übersiedelte. Ver -
schiedene Umstände geboten es, in der Bukowina größere Remontensammelplätze zu errichten,
deren Etablirums sich umsoleichter bewerkstelligen ließ, als die Kosten des Rauhfutters
und der Weide ihrer Geringfügigkeit wegen kaum in Betracht kamen. Die große Anzahl
der mit den Remonten übernommenen und der in den Depots zugewachsenen Fohlen, die
den edelsten Pferderacen angehörten, gab mit Rücksicht darauf, daß eine zweckentsprechende
Unterbringung des ebenso zahlreichen als kostbaren Pferdematerials in Waszkoutz nicht
thunlich war, Veranlassung, daß im Jahre 1788 Theile der Religionsfonds-Domäne
Radautz seitens des Remontenankauf-Commandos in Bestand genommen wurden. Die
zunehmende Ausdehnung des Remontengeschäftes veranlaßte den Hofkriegsrath 1792, zur
Unterbringung der Remontirungs-Anstalt die ganze Domäne Radautz in Pacht zu nehmen
und das Remontenankaufs-Commando zu einem selbständigen Körper als „Landgestüts -
und Remontirungs-Departement in Radautz" zu erheben.
An der äußersten Ostgrenze des Reiches, 60 Kilometer südlich von der Landes -
hauptstadt Czernowitz, liegt auf einer dem griechisch-orientalischen Religionsfonde gehörigen
Domäne das k. k. Staatsgestüt Radautz. Die Domäne liegt größtentheils in der Thal -
niederung der Suczawa, besitzt die größte Lüngenausdehnung von circa 120 Kilometer
von Ost nach West und erreicht auf der Alpenweide Luczina die Maximalhöhe von bei -
läufig 1600 Meter über dem Meeresspiegel. Noch bis zum Jahre 1868 gehörte das
Gestüt dem Ressort der Militärverwaltung an, vom Jahre 1869 an wurde es der Leitung
des Ackerbau-Ministeriums unterstellt.
Der Hauptzweck des Staatsgestütes ist die Production von Landesbeschälern, welche
je nach ihrer Eignung in die k. k. Hengsten-Depots der einzelnen Provinzen eingetheilt
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werden. Die Eintheilung erfolgt gewöhnlich, wenn die Hengste das vierte Lebensjahr
überschritten haben. Die militärisch-organisirte Gestütsbranche untersteht in administrativer
Beziehung dem Ackerbau-Ministerium, in militärischer dem Militär-Jnspectorate der
k. k. Pferdezucht-Anstalten, beziehungsweise dem Reichs-Kriegs-Ministerium. Als Gestüts-
Commandant, welcher gleichzeitig Director und Vorstand der Anstalt ist, fungirt ein
istabsofficier, welchem sämmtliche militärische und civile Organe derselben untergeordnet
sind. Die Leitung der Wirtschaft obliegt unter der mitverantwortlichen Oberleitung des
Gestütsdirectors einem Wirthschafts-Jnspector.
In Radautz ist der Sitz der Gestüts-Directivn. Der Betrieb der Wirtschaft erstreckt
sich auf fünf sehr ausgedehnte Wirthschaftsbezirke, jener des Gestütes ans ebensoviele
Gestütsposten, beziehungsweise im Ganzen auf 16 Gestütshöfe, von welchen einzelne das
ganze Jahr, andere aber nur während der Sommermonate in Benützung sind. Bei dem
in Radautz befindlichen Gestütsposten sind außer der Beschülperiode die Pcpiniere-Hengste,
dann die im vierten Lebensjahre stehenden jungen Hengste vor deren Eintheilung in die
Depots, ferner die zum An- und Zureiten, wie zum Einfahren bestimmten Pferde und ein
Theil der Gebranchspferde in zweckmäßig eingerichteten Stallungen untergebracht.
Nach erfolgter dualistischer Gestaltung des Kaiserstaates fielen dem Staatsgestüte
Radautz andere Aufgaben zu, als es bis zu diesem Zeitpunkte der Fall war. Die aus
dieser Anstalt bis zum Jahre 1869 nach Galizien, der Bukowina, Ungarn und Sieben -
bürgen eingetheilten Landesbeschäler gehörten zumeist dem leichteren arabischen und anglo-
arabischen Schlage an, während die westlichen Provinzen mit den schwereren Halbblut -
schlägen ans dem jetzigen königlich ungarischen Staatsgestüt Mezöhegyes versehen wurden.
Diesen Umständen entsprechend ist die gegenwärtige Zuchtrichtung keine einheitliche.
Radautz betreibt nunmehr die Zucht des edlen mittelschweren und leichteren englischen und
arabischen Reit- und Wagenschlages, ebenso auch die Reinzucht mit einem kleineren
Stamme der Lippizaner- und Huzulen-Race.
Der am 1. November eines jeden Jahres einzuhaltende Maximal-Pferdebestand
des Gestütes beträgt einschließlich der Wirthschafts- und Gestütsgebrauchspferde 1258 Stück.
Sowohl die Muttergestüte, wie auch die nach dem Geschlechteund dem Alter geordneten
Fohlenjahrgänge sind während der Wintcrmonate in gemauerten, langen, entsprechend
breiten Laufstallungen untergebracht, in welchen sie sich zumeist frei bewegen können. Vor
jedem Stalle befindet sich ein geräumiger Auslauf-Tummelplatz, auch Okol genannt.
In den Frühlingsmonaten werden nach Maßgabe der Heuvorräthe die alteren
Fohlenjahrgänge in die im Gebirge befindlichen Gestütshöfe verlegt. Sobald eine
ausreichende Weide in den Gebirgsstationen vorhanden ist, rücken die sohlenlosen Mutter -
stuten, dann das dreijährige Stuten-, das dreijährige und zweijährige Hengstengcstüt bis
480
Luczina vor. Der Gestütspvsten Luczina liegt in den Karpathen 101 Kilometer von
Radautz entfernt.
Bei anhaltend regnerischem und kaltem Wetter werden die Pferde in die ihnen
zugewiesenen Stallungen eingctrieben, während dieselben bei günstigem Wetter Tag und
Nacht im Freien verbleiben; überwacht werden die Gestüte durch berittene Csikos. Ein
annäherndes Bild, wie die Gestütpferde im Rudel durch die berittenen, mit langen schweren
Peitschenschnüren auf einem kurzen Stile (dem sogenannten Harapnik) versehenen, von den
Gestütshunden begleiteten Csikosen geleitet, geführt und in Ordnung erhalten werden, bot
die Exposition des Radautzer Gestütes vom 9. bis 13. August 1890 bei der land- und
forstwirthschaftlichen Ausstellung in Wien.
Ein fesselndes Bild bieten die einzelnen Gestütsabtheilnngen, wenn dieselben von ihren
entlegenen Weideplätzen zu dem in der Nähe des Gestütspostens gelegenen sogenannten Salz -
platze zu- und abgetrieben werden. Ein Gestüt ist kaum im Walde verschwunden, so erscheint
ein zweites auf der Bildfläche, entweder in gemächlicher ruhiger Gangart, oder aber im wilden
xwgen, Treiben und Spielen, was namentlich bei den Hengstenjahrgüngen der Fall ist.
Wird ein Gestüt durch irgend eine Veranlassung, ein heftiges Gewitter oder ein
Raubthier, Bär oder Wolf, erschreckt, so ist es für den Csikos keine leichte und gefahrlose
Aufgabe, den ihm anvertrauten Rudel von 100 und mehr Pferden zusammenznhalten.
Das Huzulengestüt ist das ganze Jahr in Luczina. Die Nachkommen der Hnznlen-
race müssen zur Erhaltung des Typus, ihrer Raceeigenschaften, unter den gewohnten
Verhältnissen anfwachsen, da sie sonst bald degeneriren. In Frassin, 44 5 Kilometer von
Radautz, ist währeud des Sommers das sogenannte einjährige Hengstengestüt, in Tabora,
49 Kilometer von Radautz, das einjährige Stutengestüt, in Jswor, 83 Kilometer von
Radautz und 18 Kilometer von Luczina, das zweijährige Stutengestüt untergebracht.
Bei den Nachts im Freien lagernden Pferden wird ein großes Lagerfeuer errichtet,
wodurch sich dieselben besser beisammenhalten und auch leichter von den Csikosen überwacht
werden können. In kühlen Nächten benützen die Pferde das Lagerfeuer auch zu ihrer
Erwärmung und es ist nicht uninteressant zu sehen, mit welcher Vorsicht sie dabei Vorgehen.
Die klimatischen und Aufzuchts-Verhältnisse bringen es mit sich, daß die Entwicklung
des Radautzer Gestütspferdes, trotz der guten Fütterung, Wartung und Pflege, eine
langsame ist. Nach erreichter Volljährigkeit dürfen aber auch Anforderungen an die Wider -
stands- und Leistungsfähigkeit dieser Pferde in nicht gewöhnlichem Maße gestellt werden.
Demnach erfreut sich das Radautzer Gestütspferd auch in der Armee eines sehr guten
Rufes. Die alljährlich in beschränkter Zahl zur Erprobung an das k. und k. Militär-Reit-
lehrer-^nstitut in Wien abgehenden jungen Hengste und Stuten erweisen sich in den
meisten Fällen als gute Springer und als sehr geschickt und ausdauernd im Terrain.
481
Nordwestlich und 24 Kilometer von Radautz entfernt, liegt der für die Landes -
pferdezucht der Bukowina errichtete Hengstenposten Ober-Wikow. Die bei diesem Posten
eingetheilten Hengste entstammen der Mehrzahl nach der Radantzer Zucht. Es sind hier der
englische Halbbluthengst und der Halbblutaraber größeren Schlages für die deutschen
Kolonisten, der leichte Araber und Lippizaner für die kleinen Landschläge des rumänischen
und ruthenischen Landmannes, der Huzule für die als Saumthiere ausgezeichneten
Gebirgsponnies des ruthenischen Gebirgsbewohners in entsprechender Anzahl vertreten.
Der Gesammtstand der in Ober-Wikow eingetheilten Hengste beträgt 86 Stück, wovon
15 Stück der Huzulenrace sich in Privatpflege befinden.
Rind Viehzucht. — Die Bukowina besitzt in ausgedehntem Maße die für die
Rindviehzucht günstigen natürlichen Bedingungen und war die Rinderhaltung stets eine
beträchtliche. Nach der Zählung vom Jahre 1890 besaß die Bukowina 242.400 Stück
Hornvieh, darunter 120.254 Kühe und 75.844 Ochsen, 41.046 Stück Jungvieh. Ans
je 100 Hektar Ackerlandes kommen in der Bukowina 43 3 Rinder; mehr als die Hälfte
sämmtlicher Viehbesitzer haben nur bis zwei Stück Hornvieh, ungefähr 3 Procent
mehr als zehn Stück, der Rest von ungefähr 40 Procent der Viehbesitzer hat drei
bis zehn Stück. Bis in die jüngste Zeit war in der Bukowina das langhornige graue
Rind der podolischen Steppenrace das am meisten verbreitete; in den Gebirgsgegenden
hat sich bis heute das kurzhornige Braun- oder Grauvieh, wie man es in den westlichen
Alpengegenden in Vorarlberg, Nord- und Westtirol findet, erhalten, doch ist es Hierlands
infolge kümmerlicher Haltung, mangelnder Pflege und infolge der Ungunst des Klimas
in der Entwicklung zurückgeblieben. Farbiges und zwar rothes Vieh, nach den noch
vorhandenen spärlichen Resten zu urtheilen, Zillerthaler, wurde in den Dreißiger-Jahren
dieses Jahrhunderts ans die Staatsgestüts-Wirthschaft in Radautz importirt und fand von
hier aus Verbreitung in der Umgebung von Radautz und bei den deutschen Ansiedlern.
Von Großgrundbesitzern wurde namentlich in Kotzman und im StoroHynetzer Bezirke
Holländer Vieh importirt und gehalten, wovon geringe Überbleibsel noch heute vorhanden
sind. Größtentheils wurde das graue Vieh aus Südrußland und der Moldau bezogen,
darunter viel Jungvieh zur Aufzucht und Vieh zur Mästung. Ungeachtet der gegen beide
Länder an den Grenzen errichteten Contumazanstalten wurde der Viehstand der Bukowina
alljährlich mehr oder minder von der Rinderpest heimgesucht; die verhültnißmäßig
billigen Beschaffungskosten des Rindviehes in Bessarabien und der Moldau, die stete
Gefährdung des hierländigen Hornviehstandes durch die Rinderpest, ließen nun die
eigentliche Zucht des Rindes im Lande selbst nicht lohnend genug erscheinen und waren
die Hauptursachen, warum man sich mehr mit der Aufzucht importirten Viehes und mit
der Viehmastung als mit der Zucht selbst beschäftigte.
Bukowina. 31
482
Nach und nach begann man jedoch einzusehen, daß das graue Steppenvieh, ungeachtet
seiner Genügsamkeit, seiner Widerstandsfähigkeit gegen die Ungunst der klimatischen Ver -
hältnisse und seiner Ausdauer als Arbeitsvieh, wegen des späten Eintrittes der Reife in die
wirthschaftlichen Verhältnisse nicht Passe. Zu Beginn der Siebziger-Jahre ging man auch
daran, die Zucht im Lande selbst zu heben und zwar die eines besseren und edleren Vieh -
schlages. Die erstenVersuche gingen vomVereine fürLandescultur aus, der mitZuhilfenahme
der ihm von Ackerbau-Ministerium zur Verfügung gestellten Staatssubventionen in einzelnen
Gemeinden Zuchtstiere — theils Mürzthaler, theils Berner und Pinzgauer — aufstellte.
Die Erfolge waren meist sehr günstige, die Kreuzungsproducte des grauen einheimischen
Viehes mit Mürzthaler, später mit Berner und Pinzgauer, bewährten sich und in jenen
Gegenden, wo durch eine längere Reihe von Jahren solche Stationsstiere aufgestellt waren,
wurde das graue Steppenvieh nach und nach verdrängt und fand selbst die bäuerliche
Bevölkerung, die anfänglich von dem Aufgeben des grauen Viehes nichts wissen wollte,
an dem farbigen und Fleckvieh Gefallen und Lust zur Zucht desselben.
Ein gänzlicher Umschwung der Verhältnisse trat im Jahre 1882 in Folge der gegen
Rußland und Rumänien eingeführten Grenzsperre ein.
Um den Ausfall an dem aus diesen Ländern bisher importirten Vieh wenigstens
theilweise auszugleichen und um im Lande selbst die Zucht eines besseren Viehschlages zu
begründen, wurden 200.000 Gulden als Staatsvorschuß zur Beschaffung von Hornvieh
bewilligt und es erfolgte ein Massenimport von Vieh westländischer Schläge: Berner,
Pinzgauer, Pufterthaler, Kuhländer u. s. w. Die ziemlich planlose Durchführung des
Importes und der Zutheilnng des importirten Viehes einerseits, anderseits aber der
Umstand, daß die Maßregel der Grenzsperre und die Einführung neuer Viehschläge, die,
was Haltung, Pflege, Stallungen und Fütterung und auch Klima betrifft, an günstigere
als die hiesigen Verhältnisse gewöhnt waren, die Bevölkerung, insbesondere die Klein -
grundbesitzer ganz unvorbereitet trafen, brachten es mit sich, daß ein Gemisch aller möglichen
Kreuzungen hervorgerufen wurde und ein großer Theil des importirten Viehes einging.
Eine weitere Folge der Grenzsperre und der Fehlernten an Heu in den Jahren
1889 und 1890 war der Rückgang in der Gesammtzahl der Hornviehstücke, der bei der
Zählung vom 31. December 1890 gegenüber den Ergebnissen früherer Zählungen zu Tage
trat; freilich darf nicht vergessen werden, daß dem quantitativen Rückgänge ganz beträchtliche
qualitative Fortschritte in der Zucht gegenüber stehen. Denn wenn auch die mit dem
Importe westländischen Hornviehes erzielten Erfolge nicht ganz dem hierauf verwendeten
Kostenauswande entsprachen, so blieb noch einiges gutes Zuchtmaterial im Lande, es ent -
standen mehrere Reinblutzuchten von Bernern bei den Großgrundbesitzern und die Pinzgauer
Zucht auf der Gestütsherrschaft Radautz, welche Reproductoren lieferten, die vom Vereine
483
fürLandescultnr angekauft und alsZuchtstiere in den Gemeinden aufgestellt wurden. Solcher
Zuchtstierstationen gibt es jährlich durchschnittlich 80 bis 100. In dem freilich weitmaschigen
Netze dieser Stationen begann sich nach und nach eine gewisse Konstanz in den Kreuzungs-
producten herauszubilden und mit Rücksicht auf dieselbe wurde in jüngster Zeit das Land
gelegentlich der im Jahre 1895 erfolgten Erlassung des Landesgesetzes zur Hebung der
Rinderzucht in der Bukowina in drei große Zuchtgebiete: das des Berner Viehes im Flach-
und Hügellande, des Pinzgauer Rindes im Vorgebirge und des Grau- und Braunviehes
im Gebirge, das durch Ober-Jnnthaler Vieh eine Blutauffrischung und Veredlung erfährt,
eingetheilt.
Wie in allen Zweigen der Landwirthschaft muß auch bei der Viehzucht der Unterschied
zwischen den Zuchten der Großgrundbesitzer und der Kleinlandwirthe festgehalten werden.
Bei den Ersteren hat die Erkenntniß des Werthes vervollkvmmneter Viehzucht schon seit
geraumer Zeit Wurzel gefaßt, bei den Kleinwirthen hingegen, mit Ausnahme der deutschen
Ansiedler, beginnt diese Erkenntniß erst seit dem letzten Decennium Eingang zu finden.
Hiezu trägt einerseits die eigene Erfahrung des Kleinwirthes, daß der Feldbau allein bei
den heutigen Getreidepreisen absolut unrentabel ist, anderseits die auf die Hebung der
Rinderzucht gerichtete Gesetzgebung mit ihren Anordnungen über die Licenzirung der
Stiere und deren Verwendung, über den Zwang zur Haltung der nöthigen Anzahl von
Stieren durch die Gemeinden, über die Errichtung von Stammherden-Zuchtanstalten und
Zuchtstationen, sowie Subventionirung derselben wesentlich bei.
Das hauptsächliche Interesse bei der Viehzucht des Kleinwirthes ist auf die Schnitt -
ochsen gerichtet, denn er zieht es in den meisten Fällen vor, männliche Kälber, die eine
gute Entwicklung zu Stieren versprechen, zu verschneiden, anstatt sie aufzuziehen. Die
Stallungen, die Wartung, Pflege und Fütterung des Rindes lassen bei der Mehrzahl
der Kleinwirthe noch sehr viel zu wünschen übrig. Der Bauer im Gebirge hält sein Vieh
auch den Winter über im Freien; die Haltung und Fütterung im Stalle während des
Sommers ist im Lande bei den Kleinwirthen gar nicht üblich, und ein beträchtlicher
Theil des Viehstandes wird im Sommer aus dem Flachlande auf die Gebirgsalpen
getrieben; zumeist befindet sich das Vieh vom Frühjahr bis zum Spätherbste tagsüber
auf den Gemeindehutweiden, wo es seine kärgliche Nahrung sucht. Dieser trotz aller
gesetzlichen Verbote noch immer bestehende freie Weidegang, wobei Viehstücke aller Art,
beiderlei Geschlechtes und verschiedenen Alters, Kühe, Kalbinnen, Stierkälber sich unter der
unzulänglichen Beaufsichtigung von Kindern herumtummeln, ist somit eines der Hindernisse
einer rascheren Entwicklung der Viehzucht. Auch legt der Bauer einen verhältnißmüßig
geringen Werth auf gute Mutterthiere, denen er nicht jene Aufmerksamkeit zuwendet, die
sie verdienen, und wenn schon auf etwas geachtet wird, so ist es der Stier.
484
Die Milchwirtschaft spielt nur in der unmittelbarsten Nähe der Städte und bei
den deutschen Ansiedlern, die Butter für den Handel erzeugen, eine Rolle; bei der länd -
lichen Bevölkerung wird die gewonnene Milch zumeist in der Familie cvnsumirt.
Die Haltung und Zucht der Schweine ist in der Bukowina eine sehr beträchtliche
und allgemein verbreitete. In den Bezirken Czernowitz, Kotzman, Sereth, Suczawa und
Radautz wird die Schweinezucht von den Kleinwirthen sehr schwungvoll betrieben; über
92 Procent der Schweinebesitzer halten nur zwei bis fünf Stück. Da von Händlern viel
Schweine für den Export nach den westlichen Ländern aufgekauft werden, die Händler
im Lande herumreisen, die Producenten aufsuchen und bei ihnen die Thiere aufkaufen, so
ist die Aufzucht der Schweine für die Kleinwirthschaft lohnend und bildet für sie eine
nicht unbedeutende Einnahmsquelle. Der Stand der Schweine ist im steten Zunehmcn
begriffen und betrug im Jahre 1890 131.783 Stück. Die früher allgemein verbreitete
große ungarische und die kraushaarige moldauische Schweinerace, die sich wegen ihrer
allzulangsamen Entwicklung für die geänderten wirtschaftlichen Verhältnisse nicht mehr
eignete, wurde namentlich im Flachlande und in jenen Bezirken, wo die Schweinezucht
intensiv betrieben wird, durch Kreuzungsproducte mit englischen Schweineracen, Aorkshire
und Lincolnshire, die importirt werden, bedeutend verbessert. Der Verein für Landes -
kultur und die landwirthschaftliche Mittelschule in Czernowitz besitzen reinblütige englische
Schweinezuchtherden, aus denen Eberferkel und Züchtinnen abgegeben werden.
Tie in der Bukowina gezüchteten und gehaltenen Schafe gehören einer grvbwvlligen
Race an; vorwiegend sind es die Kleinwirthe, die sich mit der Zucht und Haltung der
Schafe abgeben. Größere Herden von über 50 Stück kommen selten vor. Am stärksten ist
die Schafzucht in den Gebirgsgegenden und von den 176.000 Stück, die im Jahre 1890
gezählt wurden, entfällt die Hälfte auf die dem Gebirgslande zugehörenden Gerichtsbezirke
Dorna, Kimpolung, Seletin, Putilla. Im Flachlande werden auf dem Dniestrplateau
im Bezirke Zastawna und am unteren Laufe des Suczawaflusses im Gerichtsbezirke
Suczawa ziemlich viel Schafe gehalten. Vielfach ist dem Bukowiner Bauer das Schaf
unter den Produkten des Thierreiches das, was der Mais unter den Producten aus dem
Pflanzenreiche ist. Die Wolle wird von den Bäuerinnen versponnen und zur Erzeugung
des groben Tuches, aus dem die Überkleider der Männer, Weiber und Kinder angefertigt
werden, verwendet; ans den Lammfellen werden die allgemein getragenen schwarzen
Lammfellmützen gemacht, die Milch dient zur Erzeugung des auch im Handel stark
verbreiteten Schafkäses (bräu^u), aus dem Fleische der im Herbste geschlachteten älteren
Thicren wird ein zähes Rauchfleisch erzeugt.
Srhr allgemein verbreitet ist die Geflügel- insbesondere die Hühnerzucht, die,
da Hühnereier viel gesucht und nach Deutschland exportirt werden, immer mehr zunimmt;
485
dieser wirtschaftliche Nebenzweig wird von größeren, kleineren und kleinsten Grundbesitzern,
vornehmlich von den Frauen gepflegt, die auf schöne, fleißig Eier legende Hühner viel
halten. Am allgemeinsten ist das Polnische Huhn, es kommen aber auch Cochin und andere
Racen theils rein, theils bastardirt vielfach vor. Da die Hühner vorwiegend mit Mais
gefüttert werden, so haben sie ein zartes schmackhaftes Fleisch und ist der Consum an
Hühnern, da sie nie hoch im Preise stehen, in den Städten ein sehr beträchtlicher; außer
den Hühnern werden auf größeren Wirthschaften auch in größerer Menge und zum
Handel Truthühner gezüchtet, während die israelitische Bevölkerung sich mit der Zucht
von Gänsen, für deren Fleisch und Fett sie ein Hauptconsument ist, befaßt.
Die Production an Fischen ist, obgleich das Land 25.000 Hektar Wasserfläche an
Flüssen, Bächen, Teichen und Sümpfen besitzt, eine so minimale, daß durch sie nicht
einmal der Localbedars gedeckt werden kann und Fische vielfach aus Galizien und aus
Rumänien (Donau-Karpfen) importirt werden. In allerjüngster Zeit wurde eine Anstalt
für künstliche Fischzucht und Musterteichwirthschaft auf der Religionsfoudsdomäne Kotzmau
errichtet und ist die Errichtung von Brut- und Aufzuchtanstalten für Forellen und
Salmoniden in den demselben Fonde gehörigen Gebirgswässern im Zuge.
Forstwirthschast.
Zur Zeit der Erwerbung der Bukowina durch Österreich (im Jahre 1774) bildeten
daselbst die Wälder einen fast zusammenhängenden Complex und wurde derselbe blos durch
die in den Thalsohlen und in dem Flachlande befindlichen Äcker und Wiesengründe und
durch die ausgedehnten Sümpfe unterbrochen. Eine genaue Angabe über das Waldflächen -
ausmaß jener Zeit fehlt. Erst die Katastralvermessung vom Jahre 1820 constatirte, daß
sich das Waldland mit 487.770 Hektar bezifferte. Die im Jahre 1854 durchgeführte
Katastralvermessung ermittelte damals eine Waldfläche von 451.195 Hektar. Daraus ist
ersichtlich, daß die ursprüngliche Waldfläche im Laufe der Jahre mit zunehmender
Bevölkerung und dem Bedürfnisse, Agriculturland zu gewinnen, allmälig eine Verminderung
um 36.542 Hektar erfahren hat.
Da die Bevölkerung in früheren Zeiten sich hauptsächlich mit der Viehzucht
beschäftigte, war deren Bestreben dahin gerichtet, ausgedehnte Weiden zu schaffen und ist
es diesem Umstande zuzuschreiben, daß durch das Niederbrennen der Waldungen in den
Gebirgsgegenden des gegenwärtigen Kimpolunger, Radautzer und Wiznitzer Bezirkes
umfangreiche Weideflächen (poloiriiü) geschaffen wurden. An der Vernichtung der
Waldungen zu jener Zeit haben nicht nur die Grundherren selbst, sondern auch die
486
Unterthanen lebhaften Antheil genommen, letztere umsomehr, als dazumal Eigenthums -
und Besitzt»erhältnisse noch ungeregelt waren.
Durch die im Jahre 1854 durchgeführte Katastralvermessung wurden die Grundbesitz-
und Eigenthumsverhältnisse in der Bukowina erhoben nnd sichergestellt, und erfolgte bei
dieser Gelegenheit die ordnungsmäßige Abgrenzung und Fixirung des Waldareals.
Bei der in den Jahren 1859 bis 1874 stattgefundenen Ablösung der Grundlasten
und Servituten wurden vom Bukowiner griechisch-orientalischen Religionsfonde nebst
barem Gelde eine bedeutende Anzahl von Wald- und anderen Culturgründen an die
berechtigten Rusticalgemeinden abgetreten und damit Gemeinde- und Genossenschafts -
waldungen ins Leben gerufen. Ebenso gingen im Kimpolunger Bezirke von Seite des
Religionsfondes und im Wiznitzer Bezirke von Seite der Grundherren bedeutende Wald -
flächen und Hutweiden im Wege der Grundlastenablösnng in das Eigenthnm der ehemaligen
Unterthanen über und wurde dadurch der Rusticalwaldbesitz geschaffen. Gegenwärtig
befinden sich somit in der Bukowina keine Wälder, welche mit Servituten belastet sind.
Nach dem gegenwärtigen Stande des Flächenausmaßes der Waldungen (447.867
Hektar) entfallen 227.422 Hektar auf den Besitz des Bukowiner griechisch-orientalischen
Religionsfondes, 1.493 Hektar auf den Besitz des Staates, 57.665 Hektar auf den Besitz
der Gemeinden und der Genossenschaften, 23.022 Hektar ans den Besitz der Fideicommisse,
138.265 Hektar auf den Landtasel- und Rusticalbesitz und umfaßt der Wald 42'7 Procent
der Gesammtfläche des Landes.
Obwohl die Bukowina zwischen dem 48. und 47. Breite- und 42. und 44. Längen -
grade, somit in gemäßigter Zone liegt, weicht das Physische Klima von dem auf Grund
der geographischen Lage zu erwartenden mathematischen Klima doch bedeutend ab. Dasselbe
ist sehr rauh und der Temperaturwechsel ein überaus rascher. Die Ursache dieser Erscheinung
ist in erster Linie in den bis 1859 Meter ansteigenden Gebirgszügen und in der hohen Lage
und der Enge der Thäler, in zweiter Linie in der gegen Osten hinausgeschobenen und gegen
Norden vollkommen geöffneten Lage des Landes zu suchen. Dazu kommen noch die
zahlreichen Niederschläge, sowie die herrschenden Nord-, Nordwest- und Nordostwinde.
Der Einfluß des Klimas auf die Productionskraft des Bodens ist von größter
Bedeutung und lassen sich in dieser Beziehung vier scharf von einander abgegrenzte
Vegetationsgürtel wahrnehmen.
Der erste Vegetationsgürtel umfaßt die nördliche, vorwiegend ebene Seite des
Landes bis an die Ausläufer der Vorberge; der zweite die Vorberge von Wistntz,
Berhomet, Storozynetz, Kupka, Petroutz, Wikow, Straza, Putna, Snczawitza, Mardzina,
Solka, Gnrahumora, Jlliszestie, Kaczika, Wama, Stupka; der dritte Vegetationsgürtel
schließt das eigentliche Gebirge von Kimpolung, Dorna, Szipot kamerale, Seletin,
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Szipot priwat und Putilla in sich, wahrend in den vierten die Höhen des dritten Gürtels
von 1.200 Meter aufwärts fallen.
In Bezug auf seine Bodenbeschaffenheit kann das Land in der Richtung von
Nordwesten gegen Südosten in zwei nahezu gleich große Hauptbodengruppen eingetheilt
werden. Die nördliche Hälfte des Landes nehmen vorzugsweise Löß, Berglehm und
Schotter mit eingelagerten Neogenschichten ein, die südliche Hälfte dagegen wird vor -
wiegend von Karpathensandstein und Glimmerschiefer beherrscht, zwischen welchen
Gebirgsartcn Trachyte, krystallinische Kalke, Kieselschiefer, Thonschiefer, Eocen w.
eingeschoben sind.
Den besten, dem Wüchse und Gedeihen der Holzpflanzen am meisten zusagenden
Boden bilden das Verwitterungsproduct der kalk- und der eisenhältigen Sandsteinlagen
und die sedimentären Böden der Niederungen.
Das Waldland in den Bezirken Kimpolung, Radautz und Wiznitz gehört in den
Gebirgspartien größtentheils dem absoluten Waldboden an und zum Theile selbst
jenen Waldböden, für welche nach den forstgesetzlichen Bestimmungen eine besondere
Behandlung vorgeschrieben ist. Von diesen an den schroffen Hängen der Bergkuppen
und an den Thaleinschnitten stockenden Waldungen wurden bis jetzt von Seite der
k. k. Forstaufsichtsbehörden 5.762 Hektar als Schutzwälder erklärt.
Zur Zeit der Erwerbung der Bukowina durch Österreich waren auf den Ebenen
und Plateaux längs des Sereth- und Pruthflusses ausgedehnte Eichenbestände vorhanden.
Gegenwärtig kommt die Eiche blos untermischt mit der Roth- und Weißbuche in den
Bezirken Czernowitz, Kotzman, Sereth und Suczawa und in einem Theile des
Storozynetzer und Wiznitzer Bezirkes vor.
In den Forsten der Ebene prädominirt im wesentlichen die Buche und bildet
daselbst reine Bestände; in den Vorbergen jedoch tritt allmälig der reine Bucheubestand
gegenüber den Mischbeständen von Rothbuche und Tanne in den Hintergrund, bis
endlich im Gebirge die ausschließliche Herrschaft des Nadelholzes, vorerst in Mischbeständen
von Tanne und Fichte, in den höheren Regionen in reinen Fichtenbeständen beginnt.
Horstweise und einzeln kommt wohl die Rothbuche in allen Nadelholzbeständen des
Gebirges vor und steigt dieselbe über 1.400 Meter absoluter Höhe hinaus.
Gleichen Schritt mit der Rothbuche hält die Tanne, und wenn letztere auch
vereinzelt in den höheren Lagen der Fichtenregion zu finden ist, so ist ihr eigentlicher
Standort doch nur in dem Vorgebirge zu suchen, welches sie in der Hauptsache mit
Buche und Fichte gemischt bis jetzt behauptet.
Nebst den vorgenannten Holzarten ist noch besonders der Weißbuche Erwähnung
zu thun, die sich in Untermengung mit der Rothbuche und Eiche in fast allen diesen
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Holzarten angehörigen Beständen vorfindet, ja an vielen Orten, wo vor Jahrzehnten die
Eiche dominirte, gegenwärtig überwiegt. Auch die Esche war noch bis vor kurzer Zeit, theils
bestandbildend, theils mit Eiche gemengt, in größerer Menge vorhanden; ebenso ist Ahorn
und Ulme als Begleiterin der Buche auf frischen und humosen Böden häufig zu finden.
Die Weißkiefer kommt im Kimpolunger, Radautzer und Wiznitzer Bezirke theils
bestandbildend, theils eingesprengt vor; die Lärche ist einzeln und horstweise in den
meisten Bezirken zu finden, verdankt jedoch ihr Vorkommen ausschließlich der künstlichen
Anzucht in früheren Decennien.
Außer den angeführten Holzarten kommen noch vor: die Birke, zumeist ans Wald-
brandflächcn und in Verjüngungsschlägen natürlich angeflogen; die Erle und Weide an
den Bach- und Flnßrändern bestandbildend, sonst einzeln und horstweise auftretend; die
Espe, Saalweide und Hasel meist in den Verjüngungsarten; die Krummholzkiefer und
Grünerle an der Baumvegetationsgrenze. Selten findet sich noch die Rotheibe, welche,
wie die vorfindlichen Stöcke beweisen, in früheren Zeiten ziemlich zahlreich und in starken
Dimensionen (bis 45 Centimeter) vorgekommen ist. Ihre Ausrottung ist nicht so sehr
der Eignung als Nutz- und Gewerbeholz, als vielmehr dem Umstande zuzuschreiben, daß
ihre Benadelung, vom Weidevieh aus Naschsucht angenommen, ans dieses verderblich
wirkt, und deshalb seitens der Viehzucht treibenden Bevölkerung dieser Holzart der
Vernichtungskrieg erklärt wurde.
Der Wuchs der Holzbestände ist im allgemeinen ein ungemein üppiger, und zeichnen
sich die im Schlüsse gehaltenen Stämme durch ihre Länge, Vollholzigkeit und Gerad -
schäftigkeit aus. Die stärksten und längsten Nadelholzstämme finden sich in den Forsten
des Kimpolunger Bezirkes, woselbst noch gegenwärtig Stämme von 40 bis 60 Meter
Länge und 10 bis 1'80 Meter unterer Stärke nicht zu den Seltenheiten gehören.
Ebenso zeichnet sich die Rothbuche durch ihre Langschäftigkeit (16 bis 24 Meter) und
Spaltbarkeit aus.
Bei dem Umstande, als erst vor circa fünf Jahrzehnten die Exploitirnng der Forste
in der Bukowina begonnen hat, befindet sich der weitaus größte Theil der Waldstächen
gegenwärtig im Stadium der Haubarkeit und erschwert diese Thatsache bei einer nach -
haltigen Wirthschaft die Regelung der Alters- und Bestandesverhältnisse.
Die Bestandesverhältnisse lassen hauptsächlich in den Forsten der Privaten und der
Gemeinden und in den Urwäldern der Gebirgsregion mitunter viel zu wünschen übrig.
Selbst die bis jetzt noch intact erhaltenen Bestände der Gebirgsforste können auf eine
Massenmehrung keinen Anspruch machen, weil diese, zumeist Urwälder, eigentlich keinen
Zuwachs anfweisen. Besser gestalten sich dagegen die Verhältnisse in den Laubwäldern
der Ebene und des Hügellandes, wo bereits seit Decennien systematisch gewirthschaftet wird.
490
In den übrigen Waldungen der Vorberge und des Gebirges, welche seit längerer
Heit genügt wurden, sind durch die ursprüngliche Äschengewinnung, die Spaltholzerzeugung
und durch weitere Fällungen zur Fütterung der Ziegen und Schafe und zur Gewinnung
von enormen Mengen von Zaunspältlingen die Bestandverhültnisse ungünstig gestaltet
worden, und kann daher von einer Massenzunahme in diesen Beständen überhaupt nicht
die Rede sein, insbesondere wenn in Rechnung gezogen wird, daß diesen Nutzungsflächen
durch Branden, Roden und durch intensiven Viehaustrieb die Bedingungen eines weiteren
Zuwachses entzogen werden.
Ungeachtet der günstigen Standortsverhältnisse und der bedeutenden Holzmassen-
vorräthe stellt sich für die vorhandene Waldfläche der Zuwachs per Hektar nur auf
3-6 Kubikmeter, oder, in Masse ausgedrückt, auf 1,612.321 Kubikmeter pro Jahr.
In früheren Zeiten waren die Waldungen infolge der unklaren Eigenthums -
verhältnisse sozusagen freies Gut und jedermann deckte seinen Holzbedarf, wo und wie es
ihm beliebte. Am 7. Januar 1776 wurde die erste Waldordnung für den Bukowiner
District erlassen. Die ersten Anfänge einer Forstaufnahme fallen in das Jahr 1792. Als
Wirtschaftssystem wurde die Schlageintheilung ausgestellt und in einzelnen Forsten,
welche einer Nutzung zugeführt werden konnten, auch durchgeführt. In den Privatwaldungen
war es dagegen seit allem Anfänge mit dem Schutze und der Pflege derselben schlecht
bestellt und ergingen deshalb schon in den Jahren 1818 und 1838 Verordnungen der
politischen Behörden, welche die Anstellung geschulter Förster und Waldvermessungen
anordneten. Trotzdem griff in den meisten Forsten eine ungeregelte Plünterwirthschafl
Platz. Diese wurde zuerst in den Religionsfondssorsten abgestellt und begann im Jahre
18,6 die Einrichtung dieses Waldbesitzes nach den modernen Principien durch die Aufstellung
provisorischer, später definitiver Betriebspläne. Mit der Activirung des politischen Forst -
aufsichtsdienstes im Jahre 1871 wurde dann, theils auf belehrendem, theils auf imperativem
Wege, bei dem Gemeinde-Landtafel- und Rustical-Waldbesitz auf die Aufstellung von
Betriebsplänen hingewirkt und sind infolge dieser Maßnahmen gegenwärtig nachstehende
Waldflächen systematisch eingerichtet, und zwar für den nachhaltigen Betrieb: bei dem
griechisch-orientalischen Religionsfonde 229.288 Hektar, bei dem Gemeinde- und Genossen -
schaftswaldbesitze 28.579 Hektar, bei dem Privatwaldbesitze 76.931 Hektar, also zusammen
334.798 Hektar oder 74 Procent des Gesammtwaldstandes.
Die vorherrschende Betriebsart ist der Hochwald im Kahlschlag- oder im Samen-
schlagbetriebe. Geringere Verbreitung findet noch der Femelschlagbetrieb und der Nieder -
waldbetrieb. Nach dem gegenwärtigen Stande werden 436.882 Hektar im Hochwald-
und 10.985 Hektar im Niederwald-Betriebe genützt. Die Umtriebszeit wird beim Hochwalde
in den Religionsforsten mit 100 bis 120 Jahren, bei dem Gemeinde- und Privatwaldbesitze
491
in der Regel mit 60 bis 80 Jahren festgesetzt. Beim Niederwald ist die niedrigste
Umtriebszeit mit 3 Jahren, die höchste mit 40 Jahren bemessen.
Die Wiederverjüngung der Bestände wurde früher fast durchaus der Natur über -
lassen. Erst mit dem Zeitpunkte als eine intensivere Ausnützung der Forste in der Ebene
erfolgte, wurde zu künstlichen Aufforstungen geschritten.
Die ersten Culturen größeren Umfanges fallen in die Mitte der Siebziger-Jahre
unseres Jahrhunderts, wo der Bukowiner griechisch-orientalische Religionsfond künstliche
Dampfbrettsäge im Kloster Putna.
Aufforstungen in den Waldungen der Ebene in größerem Maßstabe vornahm. Durch dies
Beispiel angeregt und von den politischen Forstorganen angeeifert und unterstützt, fanden
die Culturen allmälig immer weitere Verbreitung auch bei dem Privatwaldbesitze.
Durch die Vermehrung der Forstorgane der Politischen Verwaltung wurde der letzteren
die Handhabe geboten, auf Grund der forstgesetzlichen Bestimmungen die Gemeinden und
die Privatwaldbesitzer zur Ausführung umfangreicher Aufforstungen zu bestimmen, und
sind innerhalb der letzten zwei Decennien aufgeforstet worden in den Forsten:
I. des Bukowiner gr.-or. Religionsfondes 22.905 Hektar mit einem Kostenaufwande von 211.384 fl. 39 kr.
II. der Gemeinden und Genossenschaften 438 „ „ „ „ „ 5.029 „ 79 „
III. der Privaten 2.281 „ „ „ „ „ 18.331 „ 48 „
zusammen . 25.624 Hektar mit einem Kostenaufwande von 234.745 fl. 66 kr.
492
nach welchem Betrage sich die durchschnittlichen Cultnrkosten pro Hektar ans 9 Gulden
16 Kreuzer stellen.
Bei den künstlichen Aufforstungen wird in den Forsten der Ebene die Eiche, in
Mischbeständen die Rothbuche herangezogen. In den Gebirgsforsten hingegen wird der
Fichte und Tanne der Vorzug gegeben, die Rothbuche hingegen nach Thunlichkeit verdrängt.
Außer den vorgenannten herrschenden Holzarten werden Kiefern, Lärchen, Eschen, Ulmen
und Ahorn in entsprechenden Orten und Lagen nachgezogen.
Was die Ausnützung der Forste in der Bukowina anbelangt, so wurde der
Anfang hiezu seitens des Religionsfonds (1786) durch den Abschluß sogenannter Wald -
conventionen gemacht, durch welche den Unterthanen um den Preis von 24 Kreuzern
chemisch das Recht znm Bezüge von Nutz- und Brennholz aus den Religionssondsforsten
zugestanden wurde. Eine weitere Ausnützung der Waldungen hat 1803 durch die
Errichtung von Glashütten in Krasna-Jlski und Krasna-Putna, später in Karlsberg
und Fürstenthal, beziehungsweise in Neuhütte und Czudyn stattgesnnden. Gleichzeitig
wurde auch die Pottaschesiederei in allen Religionsfonds- und Privatwäldern eingeführt
und hat diese umfangreich betriebene Nutzung wesentlich dazu beigetragen, den Bestand
und die Ertragfähigkeit der Forste zu gefährden und zu schmälern. Sonst beschränkte sich
der Absatz aus den Forsten auf die Abgabe von Bau-, Zeug-, Werk-, Schnitt- und Brenn -
holz für den inländischen Bedarf und wurde die erste Säge im Jahre 1816 errichtet.
In den Jahren 1816 und 1820 wurden Versuche gemacht, aus den Forsten des
Tornaer und ^akobenyer Bezirkes Holz nach dem Oriente zu Verstößen, welcher Versuch
jedoch infolge der damals noch ungeordneten Rechtsverhältnisse in Rumänien mißlang.
Der erste Versuch einer intensiveren Holzansbente fällt in die Zeit der Fünfziger-Jahre, wo
es nach wiederholten Versuchen gelang, ans den Forsten des Dorna- und Bistritzthales
bedeutendere Onantitäten Schiffbauholz nach dem Oriente abzusetzen.
Beiläufig um diese Zeit nahm auch der Holzhandel im Wiznitzer Bezirke auf dem
Czeiemoszslnsse einen Aufschwung und wurden ans den weit verzweigten Thälern
dieses Flusses bedeutende Quantitäten Lang- und Klotz-, Schnitt- und Spaltwaare nach
Czeinowitz und von hier weiter nach Rußland und Rumänien verstößt. Der Ausbau der
Lemberg-Czernowitz-Jassy-Eisenbahn im Jahre 1866 ermöglichte sodann den Transport
der feineren -Lchnittwaare in das Ausland und begann eigentlich von dieser Zeit an
ein regerer Holzhandel im Lande sich zu entwickeln. Brennholz wurde theils zum Betriebe
der Bahn selbst, theils zum Consum für Czernowitz und die benachbarten Städte Ost -
galiziens längs der Bahnstrecke in größeren Mengen geliefert; Eichenhölzer, Resonanzholz,
Dranitzen, Schindeln, Siebreifen, überhaupt alles exportfähige Schnittmateriale fand nun
lebhaften Absatz.
493
Nächst der Firma Horst, beziehungsweise der Wald- und Bodenproducten-Gesellschaft,
welche im Jahre 1867 die intensivere Ausbeute der Forste im Radantzer Bezirke versuchte,
jedoch bereits im Jahre 1876 wegen Kapitalmangels den Betrieb wieder einstellcn
mußte, war es hauptsächlich die jetzige Actiengesellschaft für Holzgewinnung und Dampf -
sägebetrieb (vormals Philipp und Charles Götz L Comp.), welche im Jahre 1874 in
Czernowitz eine zehngattrige Dampfsäge errichtete und mit diesem Unternehmen die
Grundlage zu einem ausgebreiteten Holzhandel eröffnete.
Durch den im Laufe der Achtziger-Jahre erfolgten theilweisen Ausbau der
Bukowiuer Localbahnen wurden auch die abseits von den zwei Hauptfloßstraßen gelegenen
Religionsfonds- und Privatforste im Kimpolunger und Radautzer Bezirke aufgeschlossen
und eine größere Anzahl von Holzhandel-Unternehmungen geschaffen.
Mit dem Jnslebentreten neuer Holzunternehmungen und dem Aufschwünge des
Holzhandels hielt die Anlage der verschiedenen holzverarbeitenden Werke gleichen Schritt.
Nachdem im Jahre 1816 die erste Wassersäge auf dem Czeremoszflusse hergestellt
wurde, sind im Laufe der Jahre daselbst, sowie auf dem Bistritz- und Doruaflusse weitere
Holzriese und Koliba mit Huzuleuarbeireru.
494
Wassersägen errichtet worden. Selbstverständlich waren diese Sägen dnrchwegs von der
Primitivsten Art, sogenannte wallachische Sägen; erst mit dem Exporte des Schnitt -
materiales machte sich das Bedürfnis geltend, behufs Erzeugung feinerer Waare Wasser -
kunstsägen und später Dampfsägen herzustellen.
Gegenwärtig befinden sich im Lande im Betriebe 31 Dampfsägen und 123 Wasser -
sägen mit 146 Bnndgattern und mit 146 einfachen Gattern, mit 2.284 Sägeblättern,
144 Circularsügen, 6 Kopssägen, 9 Hobelmaschinen, 1 Lattensäge, 2 Pendelsägen,
5 Bandsägen. Sie verarbeiten zusammen circa 900.000 Kubikmeter Klotzholz zu circa
500.000 Kubikmeter Schnittmateriale. In den Dampf- und Wasserkunstsägen wird der
Hauptsache nach Lchnittwaare fiir den Export nach dem Oriente und Deutschland erzeugt,
während das aus den gewöhnlichen Sägen gewonnene Schnittmateriale zur Deckung des
localen Consums dient.
Die Forste in der Bukowina werden hauptsächlich auf Klotz-, Bau-, Werkholz,
auf Spaltholz (Resonanzholz, Dranitzen, Schindeln), Brennholz und Kohlholz aus -
genützt. Aus deu minderwerthigen Brennholzmassen wird Holzkohle für den inländischen
Consum erzeugt. Aus den Abfällen bei der Klotz- und Bauholzerzeugung werden, soweit
selbe sich hiezu eignen, Schindeln, Dranitzen und Binderholz gewonnen; das übrige harte
und weiche Brennholz bleibt als Abraumholz auf den Schlagflächen unverwerthet zurück.
Wenn gegenwärtig bei den ausreichenden Communicationsmitteln nicht mehr zu
besorgen ist, daß die Nadelhölzer keine entsprechende Verwerthung finden, da die Nachfrage
um dieselben sich alljährlich mehrt, ist dagegen eine lucrative Verwerthung der massenhaften
Buchenholzvorräthe derzeit nicht möglich, weil der Brennholzconsum viel zu gering ist, uni
die aufgespeicherten Holzvorräthe der meist überständigen Buchenforste in absehbarer Zeit
einer Verwerthung zuführen zu können.
den früheren fahren hat von der hierländigen Bevölkerung nur die ruthenische
Geknrgsbevölkerung, die sogenannten Huzulen, sich ausschließlich der Holzschlägeruug
und Flößerei gewidmet. Mit Ausnahme der geringen Feldarbeit im Frühjahre und zur
Zeit der Ernte ist der Huzule das ganze Jahr hindurch bei der Fällung, Ausformung,
Abrückung und dem Transporte des Klotz- und Langholzes beschäftigt. Die Bevölkerung
der Ebene liefert blos Arbeiter zur Schlägerung des Klasterholzes.
Der Huzule ist ein flinker und tüchtiger, dabei genügsamer und gegen alle Witterungs -
einflüsse abgehärteter Holzschläger; er findet im Walde in einer aus Spältlingen primitiv
hergerichteten Holzhauerhütte (Koliba) sein Unterkommen und begnügt sich jahraus, jahr -
ein mit der landesüblichen Speise, dem Maisbrei (Mamaliga). Dann und wann ein
L-tück Fleisch und öfter noch ein Gläschen Branntwein und während der Arbeit eine Pfeife
Tabak befriedigen die Bedürfnisse, die ein hiesiger Holzarbeiter hat.
495
Die forstlichen Nebennutzungen bestehen hauptsächlich in der Ausübung der Wald -
weide, in der Gewinnung von Lohrinde, in der Mastnutzung, der Steingewinnung und der
Jagdnutzung. Harznutzung wurde zwar versucht, wegen der ungünstigen Resultate jedoch
wieder eingestellt.
Von den vorerwähnten Nebennutzungen ist die Waldweide diejenige, welche
nennenswerthe Erträgnisse abwirft; ihr jährlicher Durchschnittsertrag beläuft sich ans 6 bis
15 Kreuzer per Hektar. Die Gewinnung von Fichtenlohrinde erfolgte in früheren Zeiten in
Floßlaudungsplatz uud Fangrechen am Czerenioszffusse bei Uiczeryki.
einer den Bestand der jüngeren Forste bedrohlichen
Weise, indem jüngere, 40- bis 60jährige Bestände
gefällt, die Stämme abgerundet und das Holz hierauf einfach verbrannt oder auf
den Hiebesflächen liegen gelassen wurde. Diese Art von Rindennutzung wurde jedoch
abgestellt; gegenwärtig erfolgt die Lohrindengewinnung nur aus den currenten Holz -
schlügen. Auch die Rinde der Erle wird zu Lohe verwendet. Die Gewinnung von Asche
zum Zwecke der Erzeugung von Pottasche ist gegenwärtig ganz außer Gebrauch gekommen,
weil sich dieselbe infolge der erhöhten Holzpreise nicht mehr rentirt. Die Mastnutzung
liefert blos zur Zeit des Eintrittes einer solchen in den Buchenforsten der Ebene und der
Vorberge irgendwelche Erträge. Samen werden nur für den Bedarf der Aufforstungen
gewonnen, und findet mit Ausnahme des vom Religionsfonde in die westlichen Staats -
forste versendeten Fichtensamens ein Absatz nach Außen nicht statt. Größere Bedeutung hat
496
die Gewinnung von Kalk- nnd Bausteinen, weil selbe zur Erzeugung twn Mauerkalk und
Cement, sowie zu Steinmetzarbeiten sich vorzüglich eignen. Die Erträgnisse aus der Jagd -
nutzung haben sich erst seit Kurzem etwas gehoben, indem im Suczawa-Thale, sowie im
oberenMoldawitza-Thale die Hochwildreviere von auswärtigen Jagdliebhabern gegen höhere
Beträge gepachtet worden sind.
Was den Holztransport anbelangt, so erfolgt die Bringung der Holzproducte aus
den Schlagflächen zu den Abfuhrwegen, Waldbahnen und Triftstraßen, entweder mittelst
Erd- und Holzriesen, oder Per Achse zu den Waldlagerplätzen. Von hier werden die
Forstproducte zumeist mit der Trift im ungebundenen Zustande und mittelst der Wald -
bahnen, oder bei geringerer Entfernung auch per Achse zu den Sägewerken und Verbrauchs -
stationen gebracht.
Der Holztransport wird im Inneren des Kronlandes durch die zahlreichen Wasser -
läufe, welche das Land nach allen Richtungen hin in der günstigsten Weise durchqueren,
ungemein gefördert und kommen in dieser Richtung außer dem Dniestrflusse hauptsächlich
der Pruth und Bistritzafluß für den Holztransport nach Rußland nnd Rumänien und für
den localen Holztransport der Czeremosz-, Dorna- und Serethfluß sammt Nebenflüssen in
Betracht.
Schon im Jahre 1816 wurde auf dem Czeremoszflusse der Anfang mit der
Flößung gemacht und Rundholz bis Wiznitz und Czernowitz verstößt. Im Jahre 1816
wurde auf dem Bistritzaflusse die Flößung von Rundholz nach Constantinopel zuerst versucht
und im Jahre 1820 wiederholt, mußte jedoch wegen der ungeregelten Verhältnisse in der
Moldau aufgegeben werden. Erst in den Jahren 1842, beziehungsweise 1843 und 1844,
gelang es den Bemühungen des energischen Mandatars Strohmayer, die Holzflößerei
auf der Bistritza und mit derselben weiter herab nach Rumänien bis Galatz in ein
geregeltes Geleise zu bringen, und wurden zu diesem Behufs der Bistritza- und Dorna-
fluß sammt dem Teszna- und Kosznabache in den Jahren 1847 und 1848 flößbar
gemacht. Als Floßstraße kam auch in den Jahren 1820 bis 1860 fiir den localen Bedarf
der Suczawafluß in Verwendung, welcher nach Beseitigung der Floßhiudernisse die
Flößung von Bauholz und die Trift von Brennholz bis Hadikfalva ermöglichte. Durch die
in der Folge eingetretenen Hochwässer wurde jedoch das Bett des Suczawaflusses derartig
ungünstig gestaltet, daß nur durch eine, große Kosten in Anspruch nehmende Regulirung
dieses Flusses die Hindernisse für die Flößung beseitigt werden konnten, daher die
weitere Trift auf diesem Gewässer eingestellt wurde. Jnsolange die Holzungen in den Forsten
in der unmittelbaren Nähe und in den unteren Partien des Czeremosz-, Bistritza- und
Dornaflusses stattgefnuden hatten, reichten die natürlichen Wassermengen auf diesen Fluß -
strecken aus, um den Holztransport zur Frühjahrszeit bei Schneewässern und später zur
Zeit der Regenwässer zu bewerkstelligen. Mit dem Weiterschreiten der Holzexploitirung
im Quellengebiete der genannten Gewässer stellte sich jedoch die Nothwendigkeit der
Errichtung von Triftbauten heraus.
Die ersten Klausen wurden im Bezirke Wiznitz 1869 auf dem Rippenbache und im
Bezirke Radautz 1868 ans dem Bache Brvdina errichtet. Um die Zeit der Sechziger-Jahre,
wo der Handel mit Schiffbauholz nach dem Oriente auf dem Dorna- und Bistritzaflnsse
einen lebhaften Aufschwung nahm, wurden vorerst aus dem Bistritzaflnsse auf Sieben -
bürger Territorium drei Klausen hergestellt, welchen die Aufgabe zufiel, das ans den
oberhalb Kirlibaba gelegenen Forsten erzeugte Holz bis zu dem genannten Orte herab -
zubringen, von wo die weitere Flößung ohne Zuhilfenahme von Triftbauten möglich war.
Kurze Zeit darauf (1879) wurde auch auf der Bukowiner Seite, und zwar auf dem Teszna-
und Deakabache je eine Klause hergestellt. Im Jahre 1879 und 1880 und in den folgenden
Jahren wurde auf dem Teszna-, Koszna-, Tzibo-, Kirlibaba- und Deakabache, sowie auf
dem Dornaflusse noch je eine Klause errichtet und wurden die genannten Wasserläufe durch
Uferschutz- und Regulirungsbauten für die anstandslose Trift eingerichtet. Ebenso wie im
Kimpolunger Bezirke schritt auch im Bezirke Wiznitz die Einrichtung der Triftstrecken
ihrer Vervollständigung entgegen. Nach der Herstellung der Klause am Rippenbache erfolgte
1875 und 1876 jene auf dem Towarnitza und Klein-Biskeubache, und im Jahre 1879 die
Herstellung der Kronprinz Rudolfs-Klause auf dem Weißen Czeremoszflusse und der
Wasserschwelle auf dem Jhnatessa-Bache.
Im Laufe der Achtziger-Jahre wurden hierauf auf den Bächen Groß-Biskeu,
Dichtinetz, Jalowiczora und Sarata je eine Klause und ans den: Pntillaflusse 2 Klausen
hergestellt und die Bäche für die Trift regulirt und verbaut. Ebenso wurde im oberen
Gebiete des Serethflusses um dieselbe Zeit dieser Theil des Flusses für die Trift
eingerichtet und wurden daselbst noch vier weitere Klausen auf dem Zwarasz-, Zubrynetz-,
Borsukeu- und Lopusznabache hergestellt. Im Jahre 1891 ist auch auf dem Suczawaslusse
eine Klause erbaut und der Fluß auf der Strecke von Szipot bis Frassin für die Trist
regulirt und eingerichtet worden.
Gegenwärtig befinden sich in der Bukowina folgende Triftbauten im Betriebe:
u) auf dem Bistritza- und Dornaflusse sammt Nebenflüssen: 8 Klausen mit einem
Wassergehalte von 620.000 Kubikmeter; b) auf dem Czeremosz- und Putillaflusse
sammt Nebenflüssen: 10 Klausen mit einem Wassergehalte von 900.000 Kubikmeter;
e) auf dem Serethflusse und Nebenflüssen: 5 Klausen mit einem Wassergehalte von
450.000 Kubikmeter; 6) auf dem Suczawaslusse: 1 Klause mit einem Wassergehalte
von 180.000 Kubikmeter; somit zusammen 24 Klausen mit einem Wassergehalte von
2,150.000 Kubikmeter.
500
Außer den Klausen sind noch 2 Wasserriesen, 115 Kilometer lang, im Betriebe. Die
mit den Klausen in Verbindung stehenden regulirten und verbauten, mit 5 Fangrechen
versehenen Triftstrecken haben eine Länge von 328 Kilometern. Die Trift wird theils im
ungebundenen, theils im gebundenen Zustande in der Art ausgeübt, daß die Klötzer
im ungebundenen Zustande ans den Seitenbachen bis zur Hauptfloßstraße zugetriftet
und von hier aus ebenso wie die Langhölzer im gebundenen Zustande weiter verstößt
werden.
Durchschnittlich werden jährlich auf dem Czeremosz- und Pruthflusse circa 10.839
Gestöre Nutzholz mit einem Holzmassengehalte von 216.680 Kubikmetern und auf dem
Bistritza- und Dornaflnsse 9.284 Gestöre mit 185.680 Kubikmetern Massengehalt nebst
circa 90.000 Kubikmetern Schnittmateriale als Oblast verstößt.
In den übrigen Theilen des Landes, wo die Gewässer sich weniger zum Holz -
transporte eignen, erfolgt die Bringung der Forstproducte zu Lande auf Waldwegen und
Waldbahnen. Die erste Holzbahn mit Holzschienen und Pserdebetrieb gelangte in
den Forsten von Berhomet in den 1870er Jahren zur Ausführung. Gegenwärtig sind
20 Waldbahnen im Betriebe, und zwar: 5 Waldbahnen mit Locomotivbetrieb in einer
Länge von 366 Kilometern und 15 Waldbahnen mit Pferdebetrieb in einer Länge
von 81 Kilometern.
Nebst den vorerwähnten Transportmitteln bedient man sich noch der Wasser-, Holz-
und Erdriesen bei der Bringung der Forstproducte aus den Schlagorten und haben die
hierländischen Holzarbeiter sich bereits die zur Anlage dieser Riesen erforderliche Geschick -
lichkeit von den ans der Fremde berufenen Arbeitern angeeignet. Außer den Waldbahnen
unterstützen 2 Schleppkähnen mit Locomotivbetrieb in einer Länge von 36'6 Kilometern
den Holztransport. Je nach der Beschaffenheit des Terrains erfolgt die Bringung der
Forstproducte aus den Schlagorten noch durch Zugthiere mittelst Schleifen und Halb -
schlitten. Ebenso wird in Forsten mit intensivem und nachhaltigem Betriebe die Anlage
stabiler Wegbauten in Angriff genommen, und ist es auch auf diesem Gebiete der
Religionsfond, welcher den übrigen Waldbesitzern mit gutem Beispiele vorangeht.
Da durch den gegenwärtigen Ausbau der Localbahnen die Bukowina mit der
Staatsbahn von Süd nach Nord und von Westen gegen Osten von Schienensträngen
durchquert ist, und zu derselben der Transport der Forstproducte durch Triftstraßen und
Waldbahnen, sowie durch Waldwege allenthalben mit verhältnißmüßig geringen Kosten
bewerkstelligt werden kann, so gibt es keinen Forst mehr im Lande, welcher infolge zu
hoher Bringungskosten nicht exploitirt werden könnte.
Von den schädigenden Einflüssen, denen die hiesigen Forste unterworfen sind,
kommen außer Duft, Rauhreif, Eisanhang und Spätfrösten am meisten die Nordwest- und
Weststürme in Betracht, welche alljährlich in den bereits geplänterten Beständen bedeutende
Würfe veranlassen. Im Jahre 1885 wurden durch einen von Ost kommenden Cyclon
in den Wiznitzer-Storozynetzer und Radautzer Bezirken mehrere Tausende Hektar Wald -
flächen geworfen. Nächst den Windbruchschäden sind alljährlich nicht unbedeutende
Brandschäden zu verzeichnen, deren Ursprung theils der Nachlässigkeit der Waldarbeiter
und Hirten, theils der Rodungssucht der bäuerlichen Bevölkerung zuzuschreiben ist.
Ungeachtet der Fichtenborkenkäfer und seine verwandten Arten in den Forsten
allenthalben und in nicht unbedeutender Menge anzutreffen sind, ist bisher eine Borken-
käfer-Calamität in größerem Umfange nicht vorgekommen. Der rapide Temperaturwechsel
zur Zeit der Flugperioden und die niederen Temperaturen zu Beginn des Frühjahrs
scheinen eine gefahrdrohende Vermehrung des Borkenkäfers zu verhindern. Nächst dem
Fichtenborkenkäfer hat der Tannenborkenkäfer eine ziemliche Verbreitung im Lande erlangt
und ist derselbe in den zu intensiv geplänterten Mischbeständen der Buche und Tanne
häufig anzutreffen. Die Ausbreitung desselben wird jedoch durch rasche Ausnützung der
von ihm angegriffenen Stämme stets verhindert.
Der größte Feind der Wälder hierzulande ist leider der Mensch selbst. Von Fvrst-
freveln haben die Forste nur in jenen Orten des Landes zu leiden, wo kein Gemeinde-
und Rusticalwaldbesitz vorhanden ist. Dagegen wird der Bestand der Privatforste von den
Eigenthümern durch die forstwidrige Ausnützung derselben, durch übermäßige Ausübung
der Viehweide und durch das Roden stark gefährdet und ist, um der Walddevastation
Einhalt zu thun, angeordnet worden, daß 5.841 Hektar devastirte Waldflächen künstlich
aufzuforsten seien, ebenso sind für 56.514 Hektar Waldflüchen behördliche Vorkehrungen
und Anordnungen zur Hintanhaltung ihrer weiteren Verwüstung erlassen worden.
Hinsichtlich der Bewirthschaftung der Waldungen ist noch zu erwähnen, daß bei der
Erwerbung der Bukowina durch Österreich eine Beaufsichtigung der Wälder nicht statt -
gefunden hat. Erst im Jahre 1786 wurde für die Forste der Bukowina und namentlich für
die des Religionsfondes ein eigenes Aufsichtsorgan bestellt. Das Militärärar, welches die
Herrschaft Radautz in Pachtung hielt, folgte 1792 mit der Anstellung eines Oberförsters,
dreier Förster und dreier Forstknechte für die Überwachung der Forste und legte damit den
Grund zur Einführung einer geregelten Wirthschaftsführung im Walde. Allmülig wurde
das Forstpersonale auf den fondsherrschaftlichen und den vom Staatsgestüte gepachteten, zur
Herrschaft Radautz gehörigen Waldungen vermehrt. Bis zum Jahre 1818 fiel es dagegen
keinem Privatwaldbesitzer ein, für die Bewirthschaftung und den Schutz seiner Wälder ein
nur einigermaßen befähigtes Forstpersonale zu bestellen. Die Bestellung von Privatförstern
und Waldhegern erfolgte erst über Anordnung der politischen Behörde in den Jahren 1818
und 1823; auch wurde jetzt auf die Waldvermessung und Schlageintheilung gedrungen,
502
so daß im Jahre 1836 fast alle größeren Privatwälder nach einer Schlageintheilung unter
Leitung und Aufsicht von Förstern bewirthschaftet wurden.
Mit dem Übergange der Administration der Forste des Bukowiner griechisch -
orientalischen Religionsfond es an das k. k. Ackerbauministerium (1872) und mit der
Activirung der staatlichen Forstaufsicht (1871) und den darauf folgenden Organisirungen
der staatlichen Forstverwaltung erfolgte noch eine wesentliche Vermehrung des staatlichen
und auch des freilich noch immer unzureichenden Privaten Forstpersonales.
Bergbau und Hüttenwesen.
Unter der moldauischen Regierung gab es keinen Bergbau in der Bukowina.' Die
zahlreichen am nördlichen und östlichen Abhange der Karpathen aus dem Boden hervor -
sprudelnden Salzquellen waren zwar der damals noch dünn gesäten einheimischen
Bevölkerung bekannt und wurden von ihr auch benützt; im Übrigen jedoch waren die
geologischen Verhältnisse des Landes total unbekannt. Die Einverleibung der Bukowina
in die habsburgische Monarchie schuf auch nach dieser Richtung hin Wandel. Bereits im
Jahre 1777 wurde eine k. k. Schurfcommission eingesetzt, welcher die Aufgabe zufiel, das
Ländcheu in geologischer und bergmännischer Hinsicht zu untersuchen. Die Thätigkeit dieser
Commission war von Erfolg begleitet, denn sie entdeckte in der Nähe der heutigen Ortschaft
Jakobeny ein Lager von Manganeisenstein und später unweit des Dorfes Pozoritta ein
Lager von Kupfererzen. Gleichzeitig begann die Regierung aus den vorhandenen natürlichen
Salzquellen Salz zu gewinnen. Auf diese Weise wurde der Grund zu dem heutigen Berg -
werksbetriebe in der Bukowina gelegt. Die damals geschaffenen Werke sind heute noch in
Thätigkeit; es sind dies: das Salzbergwerk und die Saline in Kaczika und die Montan -
werke des Bukowiner griechisch-orientalischen Religionsfondes in und um Jakobeny.
' Ich verdanke die Daten dem freundlichen Entgegenkommen der beiden Bergwerksverwaltungen in der Bukowina.
Seitens der k. k. Salinenverwaltung in Kaczika wurde mir eine von dem k. k. Salinenadjuncten Herrn Vincenz von Gruszecki
verfaßte handschriftliche Skizze, betitelt: „Statistische Daten über das Steinsalzbergwerk und die Sudsaline in Kaczika" (äo äato
Kaczika im April 1894) in bereitwilligster Weise zur Verfügung gestellt. Ein gleich bereitwilliges Entgegenkommen fand ich bei
der k. k. Direction der Güter des Bukowiner griechisch-orientalischen Religionsfondes in Czernowitz, beziehungsweise bei der
(einen integrirenden Bestandtheil dieser Behörde bildenden) k. k. Bergverwaltung in Jakobeny. Der Vorstand der letzteren, Herr
k. k. Ober-Bergverwalter Fanstin Ritter von Krasuski stellte mir verschiedene Actenstücke zur Verfügung; darunter insbesondere
ein (offenbar von dem verstorbenen Leiter dieser Montanwerke Herrn k. k. Ober-Bergrath Bruno Walter verfaßtes, für die Wiener
Weltausstellung vom Jahre 1873 bestimmtes) handschriftliches Elaborat, betitelt: „Die Eisen- und Kupfer-Berg- und Hüttenwerke
des griechisch-orientalischen Religionsfondes in der Bukowina", ferner ein (mit dem vorgenannten stellenweise wörtlich überein -
stimmendes) ebenso umfangreiches (die Zahl 854 vom Jahre 1878 tragendes) Actenstück, betitelt: „Die Montanwerke des Bukowiner
griechisch-orientalischen Religionsfondes in der Bukowina. Dargestellt von Bruno Walter" (Manuscript des verstorbenen damaligen
Bergrathes Bruno Walter). Die auf die spätere Entwicklung dieser Montanwerke bezugnehmenden Daten wurden mir von dem
dermaligen Leiter der Werke Herrn k. k. Ober-Bergverwalter Faustin Ritter von Krasuski in freundlichster Weise brieflich
mitgetheilt. Beide Werke, sowohl das Bergwerk und die Saline in Kaczika als die Werke in und bei Jakobeny, habe ich
persönlich wiederholt besucht.
504
Das salzwerk in Kaczika. Bald nach der Vereinigung der Bukowina mit
Lsieircich begann wie erwähnt die Staatsverwaltung mit der Salzgewinnung in
der doppelten Absicht: einmal den Salzbedarf der einheimischen Bevölkerung zu decken
und zweitens, um dem Schmuggel von Salz aus der Moldau wirksam zu begegnen. Die
Production beschränkte sich jedoch auf die Gewinnung von Sudsalz aus den natürlichen
Salzquellen. Zur Erzielung ausgiebigerer Zuflüsse dieser Salzwässer wurden seichte,
brunnenartige Schächte abgeteuft, und gelegentlich der Abteufung eines derartigen
Schachtes wurde um das Jahr 1790 das Salzlager zu Kaczika an seiner äußersten
östlichen Grenze angebohrt.
Die Ortschaft Kaczika, gegenwärtig die einzige Productionsstätte von Stein- und
Sudsalz in der Bukowina, liegt im politischen Bezirke Gurahumora an der Localbahn
Hatna-Kimpolung in einem freundlichen kesselartigen Thale, zu welchem nur ein schmaler
Zugang an der Ostseite führt. Zur Zeit der Entdeckung der unterirdischen Schätze
bestand Kaczika, das damals zur Gemeinde Ober-Pertestie gehörte, aus einigen elenden
Hütten der dortigen Hirten. Heute ist es ein ansehnlicher Marktflecken, dessen freundlich
aussehende und solid gebaute Häuser von einer gewissen Wohlhabenheit der Bewohner
Zeugniß ablegen.
Nach der Entdeckung des dortigen Salzlagers wurde seitens der Staatsverwaltung
der regelrechte Bergwerksbetrieb in Angriff genommen. Durch rationelle Bohrungen wurde
die Ausdehnung und Mächtigkeit des Salzlagers, sowie die Beschaffenheit des Salzes
erforscht und, da das Resultat dieser Forschungen ein befriedigendes war, zur Anlage
der Saline geschritten. Zunächst wurde mit der Gewinnung von Steinsalz begonnen,
später schritt man an die Darstellung von Sudsalz, und zwar in ziemlich primitiver
Weise. Es wurden in das Salzflötz in einiger Entfernung von einander zwei ungleich
tiefe Schachte gebohrt, die unten durch einen quer durch das Salzlager geführten
^tollen, die sogenannte Communicationsstrecke, in Verbindung gesetzt wurden. Sodann
wurde in den seichteren Schacht von oben Süßwasser eingeleitet, welches sich unten mit
salz sättigte. Überdies wurde in dem tieferen Schachte in entsprechender Höhe (jedoch
unter dem Wasserspiegel) eine Art von Holzrost angebracht, aus welchen unreine in der
Grube gewonnene Salzstücke — behufs deren Auslaugung — aufgeschüttet wurden. Die
auf diese Weise gewonnene Salzsole wurde sodann mittelst Brunneneimern ausgehaspelt
und durch Röhren in das unmittelbar bei den Schächten befindliche Sudhaus geleitet.
Die Abdampfung des Wassers wurde in hängenden (12 Schuh langen, 8 Schuh breiten
und 1 schuh tiefen) Pfannen bewerkstelligt; das gewonnene reine Salz wurde zu
„stöckeln" im Gewichte von O/s Wiener Pfund geformt, hieraus am offenen Feuer
getrocknet und in dieser Gestalt in den Handel gebracht.
505
vM diesem äußerst primitiven Zustande befand sich die Salzgewinnung ain Anfänge
des laufenden Jahrhundertes. Die Production war eine geringe und litt überdies häufig
unter dein — namentlich in der heißen Jahreszeit wiederholt auftretenden — Mangel an
dem zur Erzeugung der Salzsole erforderlichen Wasser. Dem entsprechend war denn auch
der Absatz des gewonnenen Salzes ein sehr geringfügiger. Die Ursache hievon war (abge -
sehen von den eben erwähnten mangelhaften Werkvorrichtungen) eine doppelte, einmal
der Mangel an Commnnicationsmitteln und sodann, und zwar ganz besonders, das
rücksichtsvolle Auftreten der Regierung, welche der Bevölkerung der Bukowina das neu
eingeführte Salzmonopol möglichst wenig drückend machen wollte und demgemäß mit
kaiserlichem Patent vom Jahre 1803 denjenigen Gemeinden, auf deren Territorium
natürliche Salzquellen vorkamen, das Recht des freien Solenbezuges zugestand. Das
Kaczikaer Salz wurde vorwiegend in der Umgebung abgesetzt, während der größte Theil
des Landes von Galizien aus mit Salz versorgt werden mußte.
Die Salinenverwaltnng, die den damaligen unbefriedigenden Zustand des Kaczikaer
Werkes wohl erkannte, war bestrebt, Verbesserungen in der Salzgewinnung einzuführen
und wandte sich zu diesem Behuse zu wiederholten Malen an ihre Vorgesetzten Behörden.
Da jedoch diese Verbesserungen mit namhafteren Geldopfern verbunden gewesen wären
und die finanzielle Lage des Staates zu jener Zeit solche absolut nicht gestattete, so blieben
die bezüglichen Bemühungen ohne Erfolg. Erst gegen das Ende der Zwanziger-Jahre
wurden einige Neuerungen eingeführt; es wurden verbesserte Sudpfannen angeschafft,
welche bei namhafter Ersparnis) an Brennmaterial eine gesteigerte Salzgewinnung
gestatteten; es wurde ein Salzmagazin gebaut und dergleichen mehr.
Weitergehende Verbesserungen wurden um das Jahr 1848 eingeführt. Es wurde
eine den modernen Anforderungen entsprechende Sndpfanne angeschafft und Versuche
angestellt, um einen rationelleren Dörrproceß des Salzes zu erzielen. Für den Gruben -
betrieb wurde ein neuer Plan entworfen, durch welchen ein niehr systematischer Abbau des
Salzes ermöglicht wurde. Außerdem wurde, um stets über eineu genügenden Wasservvrrath
zur Solenerzeugung zu verfügen, ein Teich angelegt, aus dem das Wasser in das
Bergwerk eingeleitet werden kann. Endlich wurden in der Nähe des Sudhauses (etwas
unter dem Niveau dieses Teiches) sechs große Kästen in der Erde hergerichtet, die mit dem
Wasser des Teiches gefüllt werden, so daß nunmehr die Auslaugung der unreinen Stein-
salzstttcke, die früher — wie erwähnt — in dem Solenschachte erfolgte, in diesen
Wasserkästen auf der Erdoberfläche bewerkstelligt werden kann.
Die gegenwärtigen, ungefähr seit dem Ende der Siebziger-Jahre geschaffenen Werk -
vorrichtungen der Saline Kaczika und der gegenwärtige Betrieb des Bergwerkes entsprechen
durchgehends den Anforderungen der modernen Technik. Die Erzeugung beträgt jährlich
506
im Durchschnitt 12.000 Centner Steinsalz und 20.000 Centner Sudsalz, welch letzteres
zu seiner Darstellung ungefähr 70.000 Hektoliter Sole erfordert. Hiezu kommt gegen -
wärtig noch die Erzeugung von Viehsalz, und zwar wurde von dem in ganz Österreich
herzustellenden jährlichen Quantum von 500.000 Centner Viehsalz der Saline Kaczika
ein Betrag von 53.000 Centnern zugebilligt, welchen die Saline erzeugen darf, wenn die
Nachfrage hiernach vorhanden ist.
Die Gesammtzahl der bei dem Werke beschäftigten Arbeiter beträgt 80 Mann, die
Löhne bewegen sich zwischen 60 Kreuzer bis 1 Gulden 10 Kreuzer pro Schicht, betragen
jedoch für die Accordarbeiten mehr. Im Erkranknngsfalle erhält jeder Arbeiter aus der
Staatscasse sechs Zehntel seines Schichtenlohnes und überdies werden ihm die Medicamente
und die ärztliche Hilfe unentgeltlich gewährt. Jeder Arbeiter wird nach Ablauf einer fünf -
jährigen Dienstzeit provisions- (penfions-) fähig; die demselben nach 40 Dienstjahren
gebührende volle Provision (Pension) beträgt sieben Zehntel des Normallohnes. Außerdem
besteht bei dem Werke eine Bruderlade, der nicht nur die Arbeiter, sondern auch die
sogenannten „Diener" (eine zwischen den Arbeitern und den eigentlichen Beamten stehende
Kategorie von Bediensteten) beitreten können. Dieselbe besitzt dermalen ein Vermögen von
rund 18.000 Gulden; sie gewährt ihren Mitgliedern allerlei Unterstützungen lind zahlt
jedem Provisionisten (Pensionisten) einen Betrag von 60 Gulden jährlich als Zuschuß zu
seiner Provision.
Die Montanwerke des Bukowiner griechisch-orientalischen Religions-
fondes. — Hat das Salzwerk in Kaczika — wie dies in den Händen eines so mächtigen
Besitzers, wie es der Staat ist, Wohl nicht anders möglich ist — einen zwar langsamen,
aber ruhigen und stetigen Entwickelungsgang aufzuweisen, so gilt geradezu das Entgegen -
gesetzte von den gegenwärtig in den Händen des Bukowiner griechisch-orientalischen
Religionsfondes befindlichen Montanwerken in und umJakob eny, die seit ihrer Begründung
bis zur Zeit des Überganges an ihren heutigen Besitzer die wechselvollsten Schicksale zu
verzeichnen hatten. Wie bereits im Eingänge erwähnt wurde, entdeckte die im Jahre 1777
von der Regierung behufs der geologischen Durchforschung der Bukowina eingesetzte
k. k. Schurfcommission gegen das Ende der Siebziger-Jahre in der Nähe der heutigen
Ortschaft Jakobeny am Berge Arszitza ein Lager von Manganeisenstein und bald
darauf in der Nähe des Dorfes Pozoritta ein Lager von Kupfererzen.
Im Jahre 1782 bildete sich eine aus Notablen des Landes bestehende Gewerk -
schaft zur Ausbeutung der mineralischen Schätze des Landes, welche im Jahre 1784
das von der k. k. Schurfcommission entdeckte Lager von Manganeisenstein bei Jakobeny
übernahm. Sie erbaute auf einer Waldblöße im Thale der Goldenen Bistritza das Eisen -
werk Jakvbeny und setzte dasselbe am 1. September 1784 in Betrieb. Das Werk
507
bestand damals aus einem Eisen-Hochofen, zwei Eisen-Frischhämmern und 12 Arbeiter -
wohnungen. Die Gewerkschaft, welche durchgehends ans Laien bestand, erzielte jedoch keine
günstigen Resultate und verkaufte am 20. Juli 1796 ihren gesammten Besitz um die
Der Berg Arszitza bei Jakobeny.
Summe von 24.000 Gulden an Anton Manz von Mariensee. Dieser intelligente und
rastlos thätige Mann war vom Glücke begünstigt. Bereits im Jahre 1797 entdeckten die
von ihm auf Schürfung ansgesandten Bergleute die Silber- und Blei-Lagerstätte bei
508
Kirlibaba, und schon 1801 war daselbst eine Blei-Schmelzhütte sammt Röstöfen und
Pochwerk vollendet. Die Reichthümer Kirlibabas lieferten nun die Mittel zur weiteren
Allsgestaltung des Eisenwerkes von Jakobeny. Manz erbaute in Jakobeny einen zweiten
Hochofen und vier frische Hammerwerke und erwarb überdies durch Kauf das Hammerwerk
zu Boul und jenes zu Eisenau. Das reiche Erträgniß der Kirlibabaer Blei- und Silber -
gruben währte bis zum Jahre 1820. Seit jener Zeit begannen die reichen Erze zu versiegen;
das Werk lieferte bald einige Überschüsse, bald wurde es mit Verlust betrieben, deckte aber
im Ganzen bis 1840 noch seine Kosten. In der Zeit von 1841 bis 1859 verschlang es
die namhafte Summe von 132.992 Gulden und wurde schließlich in dem letzterwähnten
Jahre aufgelassen.
Trotzdem blieb das Glück der Familie Manz noch einige Jahre hindurch treu. Gerade
zu der Zeit, als das Erträgniß Kirlibabas zu sinken begann, und zwar im Jahre 182 l erwarb
Manz vom Ärar das Kupferwerk von Pozoritta. Die Regierung hatte nämlich das dort
erschürfte Kupfererzlager auszubeuten begonnen. Die gewonnenen Erze waren jedoch nicht
edel genug, so daß der Ertrag des Werkes ein geringer war, und die Regierung sich entschloß,
dasselbe zu verkaufen. Manz kaufte das Werk und bereits im Jahre 1823 gelang es ihm,
überaus reichhaltige Adern von Kupfererzen zu erschließen, so daß das Werk in der kürzesten
Zeit nicht nur seinen Kaufpreis deckte, sondern durch dreißig Jahre reine Überschüsse
von 30.000 bis 80.000 Gulden jährlich lieferte. Durch diese reichen Überschüsse der
Kupfergrube wurde Manz in die Lage versetzt, nicht nur die Ausfälle bei dem Blei- und
Silberwerke von Kirlibaba zu decken, sondern auch noch das Eisenwerk von Jakobeny
zu vergrößern, so daß seine sämmtlichen Montanwerke in den Vierziger-Jahren in höchster
Blüte standen. Die Zahl der bei den verschiedenen Werken beschäftigten Arbeiter betrug
zu jener Zeit 1500 bis 2000 Personen.
Um diese Zeit jedoch beginnt das Blatt sich zu wenden. Das Blei- und Silberbergwerk
in Kirlibaba verschlang, wie erwähnt, kolossale Summen. Hiezu kamen diverse verfehlte
Werkanlagen in der Eisenbranche (Hochöfen und Walz- und Hammerwerke), die Tausende
kosteten und nur wenig einbrachten. Als dann im Jahre 1855 die reichen Kupferadern
von Pozoritta ausgebeutet waren, und das Kupferwerk, das noch im Jahre 1854 einen
Reinertrag von 61.044 Gulden abgeworfen hatte, im Jahre 1855 ein Deficit von
21.220 Gulden ergab, da war das Schicksal der Familie Manz besiegelt; die diversen
Werke wurden zwar weitergesührt, aber zuletzt blieb der Familie kein anderer Ausweg
übrig, als 1862 bei Gericht um die Eröffnung des Cvncnrses (des damals in Kraft
stehenden sogenannten „Vergleichsverfahrens") anzusuchen. Das „Vergleichsverfahren"
dauerte von 1862 bis 1870 und endigte damit, daß der Bukowiner griechisch-orientalische
Religionsfond als stärkster Gläubiger und um die Montanwerke, an welche die Existenz
509
von Hunderten von Familien geknüpft war, nicht dem gänzlichen Verfalle preiszugeben,
den gesammten Besitz der Familie Manz übernahm.
Damit waren zwar die gedachten Werke in die Hand eines mächtigen und capital-
starken Besitzers gelangt und war die Voraussetzung für eine gesicherte Existenz dieser
Unternehmungen geschaffen, allein die Leidensgeschichte derselben war noch lange nicht
abgeschlossen. Zur Leitung der Montanwerke wurde ein überaus tüchtiger junger
Hannoveraner, der bereits in Manz'schen Diensten gestanden hatte, der nachmalige
(im Jahre 1890 verstorbene) k. k. Ober-Bergrath Bruno Walter berufen, allein auch
diesem in jeder Beziehung ausgezeichneten Menschen und Fachmanne war es nicht beschieden,
die Werke zu neuer Blüte emporzuheben. Begreiflich ist dies, denn die Manz'schen
Unternehmungen wurden vom griechisch-orientalischen Religionsfonde in dem denkbar
desolatesten Zustande übernommen. Schon in den letzten Jahren der Manz'schen Verwaltung
waren arge Fehler gemacht worden. Verfehlte Anlagen wurden errichtet, der Betrieb,
speciell der Eisenwerke— der einzigen, die zu jener Zeit sozusagen noch aufrecht dastanden
— war ein irrationeller. Die auf Holzkohlenfeuerung basirte Roheisengewinnung producirte
zu theuer; ferner wurden fast ausschließlich und ohne Rücksicht auf den beschränkten Bedarf
grobe Schmiedeisensorten hergestellt, während Walzeisen und Gußwaaren, für welche die
Nachfrage vorhanden war, gar nicht erzeugt wurden. Und als dann das „Vergleichs -
verfahren" eingeleitet wurde und acht volle Jahre währte, wurden begreiflicherweise die
diversen Etablissements erst recht vernachlässigt, so daß es geradezu als eine Riesenleistung
des verstorbenen Ober-Bergrathes Walter bezeichnet werden muß, daß es ihm gelang, die
montanistischen Unternehmungen des Religionsfond es knapp über dem Wasser zu halten und
einige Ansätze zu deren Wiederaufschwung zu schaffen.
Unter der Leitung Walters gestaltete sich der Betrieb der in Rede stehenden Montan -
werke, wie folgt: Der Betrieb der Blei- und Silbergrube in Kirlibaba war, wie bereits
erwähnt, noch in der Manz'schen Zeit, im Jahre 1859 aufgelassen worden; trotzdem hatte
Walter die Hoffnung nicht ganz anfgegeben, daß der dortige Bergbau in besseren Zeiten
dereinst wieder ausgenommen werden könnte. Die Eisenwerke fristeten ein kümmerliches
Dasein. Die Gewinnung von Roheisen mußte nach dem Ausbau der Bahn Krakau-
Lemberg und Lemberg-Czernowitz (letztere 1866 eröffnet) allmälig eingestellt werden, weil
das Jakobenyer Eisen rothbrüchig (phosphorhältig) war und mit dem billigeren Eisen
aus Witkowitz (Mähren) und Teschen nicht concurriren konnte. Ein Hochofen in Jakobeny
verblieb zwar in Thätigkeit, er wurde jedoch nur zum Schmelzen von altem Gußeisen
(Brucheisen) verwendet, aus dem neue Gußwaare (Maschinenbestandtheile, vorwiegend für
den eigenen Bedarf des Werkes, Kochkessel, namentlich für die Landbevölkerung, Gewichte
und dergleichen) angefertigt wurde, beziehungsweise angefertigt wird. In Verbindung
mit diesem Hochofen stand und steht noch eine Maschinenwerkstätte in Jakobeny, welche
(bei sehr schwachem Betriebe) vorwiegend Reparaturarbeitcn (Anfertigung von Maschiuen-
bestandtheilen) in erster Reihe für den eigenen Bedarf des Werkes, mitunter jedoch auch
für Mühlen und Sägewerke der Umgebung besorgt. Einige Eisenhämmer und ein in
Eisenau aus einem ehemaligen Eisenhammer hergestelltes Eisenwalzwerk waren gleichfalls
in Thütigkeit; dieselben verarbeiteten jedoch ausschließlich altes Schmiedeeisen (das
Walzwerk in Eisenau vorwiegend alte Schienen der Lemberg-Czernowitz-Jassyer Bahn).
Die Eisenhämmer erzeugten Pflugscharen, Schaufeln, Erdhaucu (sogenannte Heindeln)
und dergleichen für den Bedarf der umwohnenden Landbevölkerung; das Walzwerk in
Eisenau erzeugt Walzeisensorten und etwas Eisendraht. Trotz dieses überaus beschränkten
Betriebes gelang es den Eisenwerken doch, die Betriebskosten zu decken und einen
bescheidenen Reinertrag abzuwerfen.
Einen verhältnißmäßig bedeutenden Erfolg hatte Ober-Bergrath Walter auf dem
Gebiete der Mangangewinnung zu verzeichnen. Wie bereits erwähnt, war das von der
k. k. Schurfcommission zu Ende der Siebziger-Jahre des vorigen Jahrhundertes am
Berge Arszitza bei Jakobeny erschlossene Lager von Manganeisenerzen die Veranlassung
znm Entstehen der Jakobenyer Eisenwerke. Man verschmolz damals das dort vorkommende
Gemenge von Braunstein und Brauneisenstein auf Spiegeleisen und beutete so haupt -
sächlich den Eisengehalt ans. Walter entdeckte jedoch Anfangs der Siebziger-Jahre
unseres Jahrhunderts und zumeist auf dem Gipfel desselben Berges Arszitza bei
Jakobeny ein mächtiges Lager von reinem Braunstein (Mangan) und es gelang seinen
rastlosen Bemühungen (er unternahm zu diesem Zwecke wiederholt größere Reisen),
bereits im Jahre 1873 ziemlich große Mengen dieses werthvollen Artikels dem Welt -
märkte znzuführen. Das Mangan wird an jener Stelle im Tagbau gewonnen, da
sozusagen der ganze Gipfel des Berges eine einzige große Lagerstätte von Braunstein und
Brauneisenstein bildet. Die Gewinnung erfolgt in der Weise, daß im Winter (und zwar
um die Arbeiter vor Wind und Wetter zu schützen) kurze Stollen in den Berg getrieben
werden und daß sodann im Sommer die zwischen den Stollen stehen gebliebenen Partien
des Gesteins abgetragen werden. Der so gewonnene Braunstein wurde (unter der Leitung
Walters) auf Fuhrwerken vom Gipfel des Berges hinab nach Jakobeny befördert und
dort mit der Hand (von Arbeiterinnen) sortirt. Die weitere Verfrachtung der auf diese
Weise hergestellten diversen Braunsteinsorten erfolgte per Achse, und zwar ging (und
geht heute noch) ein geringer Theil nach Siebenbürgen, während der größere Theil bis
zum Jahre 1888 bis Hatna (Station der Bahn Czernowitz-Suczawa) oder bis Suczawa
geführt werden mußte. Seit der Eröffnung der Bnkowiner Localbahnen, speciell seit der
Eröffnung der Strecke Hatna-Kimpolung (im Jahre 1888) ist der Versandt des Braun-
511
steines wesentlich erleichtert, weil er nur mehr von Jakobeny nach Kimpolung per Achse
geführt werden muß. Der Erschließung dieses Braunsteinlagers ist es ganz besonders zu
danken, daß die erwähnten Montanwerke sich bisher über dem Wasser gehalten haben und
nicht aufgelassen wurden.
Die Kupfergrube in Pozoritta war und ist heute noch vorwiegend Hoffnungsbau.
Wie oben bemerkt wurde, wurden die dortigen reichen Kupferadern bereits im Jahre 1855
erschöpft und wurde die Grube von der Familie Manz nur mit großen Verlusten
Rollbahn zur Thalbesörderung des Mangan in Jakobeny.
weiter betrieben. Ober-Bergrath Walter wollte die Grube nicht eingehen lassen, weil er
der Überzeugung war, daß sich noch andere reichere Kupferadern vorfinden werden. Er
baute in beschränktem Maße weiter und demgemäß war, beziehungsweise ist die Kupser-
ausbeute eine nur unbedeutende. Dagegen entdeckte Walter in der Grube neben dem
Kupfer ausgiebige Lager von Schwefelkiesen, zu deren Verwerthung er die Errichtung
einer großen Schwefelsüurefabrik in Pozoritta plante. Da jedoch das zur Errichtung
der Schwefelsäurefabrik erforderliche Capital mit ungefähr einer Million Gulden
ermittelt wurde, und die Regierung als Verwalterin des griechisch-orientalischen Religions-
fondes eine so bedeutende Summe zu einem immerhin riskanten Geschäfte nicht bewilligen
512
zu dürfen glaubte, mußte die Errichtung der Fabrik auf Rechnung und Kosten des Fondes
unterbleiben. Ober-Bergrath Walter war nun bemüht, eine Actiengesellschaft zu diesem
Behufs ins Leben zu rufen und unternahm noch im Sommer 1890 eine größere Reise,
um die Kreise der Hante-Finance für seinen Plan zu gewinnen. Er kehrte im Herbste 1890
zurück, wurde aber wenige Wochen später vom Tode überrascht, und infolge dessen blieb
sein Project unausgeführt.
-rer gegenwärtig (nach dem Lvde Walters) zur Leitung der Montanwerke berufene
k. k. Ober-Bergverwalter Herr Ritter von Krasuski ist nachdrücklichst und nicht ohne Erfolg
bestrebt, die Werke zu heben; er befindet sich jedoch ebenso wie sein Vorgänger in einer
sehr schwierigen Position. Die Montanwerke sind, wie gesagt, Eigenthum des Bukvwiner
griechisch-orientalischen Religionsfondes, und so reich dieser Fond auch ist, so hat er doch
selbstverständlich in erster Reihe die Aufgabe, für die Bedürfnisse der griechisch-orientalischen
Kirche der Bukowina aufzukommen. Die Regierung als Verwalterin dieses Fondes kann
daher auch beim besten Willen die Mittel des Fondes nicht zur Herstellung von mehr oder
weniger riskanten bergbaulichen oder industriellen Unternehmungen verwenden, und das
Einzige, was die Verwaltung der Montanwerke nach dieser Richtung hin erreichen kann,
ist, daß sie gewissermaßen auf eigene Füße gestellt wird, das heißt, daß man ihr vorläufig
— so lange die Werke sich noch in der geschilderten kritischen Lage befinden — gestattet,
die in ihrem Ressort erzielten bescheidenen Überschüsse ganz oder doch zum größeren Theile
für den eigenen Bedarf (zur Hebung und Ausgestaltung der montanistischen Unter -
nehmungen) zu verwenden. Herrn von Krasuski ist es gelungen, diese schwerwiegende
Begünstigung zu erlangen. Der ausgedehnte Domanialbesitz des Fondes wird durch die
„k. k. Direktion der Güter des Bukvwiner griechisch-orientalischen Religionsfondes" in
Czernowitz verwaltet; und während früher die Montanverwaltung in Jakobeny der Güter-
direction in Czernowitz unterstand, ist sie (obzwar sie noch immer einen integrirenden
Bestandtheil dieser Behörde bildet) gegenwärtig (seit 1894) unmittelbar dem k. k. Acker -
bauministerium in Wien unterstellt. Damit ist der Montanverwaltung in Jakobeny die
«forderliche Selbständigkeit zugestanden und die Voraussetzung einer gedeihlichen Ent -
wickelung der dortigen Montanwerke geschaffen worden.
Herr Ober-Bergver Walter von Krasuski hat sich indessen begreiflicherweise mit diesem
Erfolge nicht zufrieden gestellt und ist unablässig bemüht, die seiner Leitung anvertranten
Unternehmungen weiter auszugestalten. Sein Augenmerk war in erster Reihe dem wichtigsten
Zweige derselben, der Mangangewinnung zugewendet. In der Nähe der Braunstein -
grube ans dem Berge Arszitza wurden zwei neue Arbeiterhäuser errichtet, in welchen die
Arbeiter — 120 an der Zahl — während der Woche (den Sonntag verbringen die
Arbeiter ,n, Kreise der Ihrigen in der eigenen Wohnung im Dorfe) nntergebracht werden.
513
Um den kostspieligen und schwerfälligen Achstransport des Braunsteines vom Gipfel des
Berges Arszitza in die Sortiranstalt in Jakobeny entbehrlich zu machen, ließ Herr von
Krasuski eine rund fünf Kilometer lange Förder-(Roll-)Bahn mit 50 Centimeter Spur -
weite und elektrischen Signalvorrichtnngen erbauen, welche pro Schicht 600 Metercentner
des gewonnenen Materials thalabwarts befördert. Unten im Thale von Jakobeny wurde
das Scheidhaus, in welchem der gewonnene Braunstein gewaschen und sortirt wird, neu
Das Hammerwerk in Eisenau bei Kimpolung.
gebaut und mit den Anforderungen der modernen Technik entsprechenden maschinellen
Einrichtungen ausgerüstet.
Der Braunstein wird zunächst durch eine Walze entsprechend verkleinert und
gelangt dann in cylinderförmige rotirende Siebe, in welchen er gewaschen und gleichzeitig
(je nach der Größe der einzelnen Stückchen) sortirt wird. Die Maschinen werden durch
Wasserkraft getrieben. Die noch ans der Manz'schen Zeit herrührenden Wasserwerks -
anlagen, durch welche das Wasser der Goldenen Bistritza aufgefangen und den
Hüttenwerken nach Bedarf zugeleitet wird, wurden unter der gegenwärtigen Montan -
verwaltung neu hergerichtet und mit den erforderlichen modernen Schleusen und Wasser-
Bukowina. zg
514
rädern rc. versehen. Durch diese neuen Einrichtungen gelang es Herrn von Krasuski
die Leistungsfähigkeit der Braunstein-Anfbereitungsanstalt wesentlich zu steigern. Das
Werk vermag gegenwärtig bei auf die Hälfte reducirtem Bedienungspersonale mehr
als das dreifache Quantum von Braunsteingraupen (gegen früher) zu erzeugen, was
selbstverständlich eine entsprechende Reduction der Gestehungskosten bedeutet. Die jährliche
Braunsteingewinnung beträgt gegenwärtig rund 30.000 Metercentner, von denen ungefähr
zwei Drittheile ins Ausland (Deutschland) abgesetzt werden.
Auf dem Gebiete der Eisenerzeugung ist, so wie die Dinge heute liegen, in Jakobeny
nicht viel zu unternehmen, da an die Gewinnung von Roheisen vorläufig nicht wohl
gedacht werden kann. Die Leitung der Montanwerke mußte sich daher darauf beschränken,
die Hüttenanlagen, die — wie bereits erwähnt — nur altes Material (altes Gußeisen
und altes Schmiede-, beziehungsweise Walzeisen) verarbeiten, den Anforderungen der
modernen Technik, so weit dies eben thunlich ist, anzupassen. Dies ist denn auch in den
letzten Jahren geschehen; es wurden Eisenhämmer mit den entsprechenden Feuerungs -
anlagen in Jakobeny und Eisenan neu hergestellt und ebenso das Walzwerk in Eisenan
restaurirt.
Die Production dieser Anlagen stellt sich zur Zeit, wie folgt: der einzige in
Thätigkeit gebliebene Hochofen in Jakobeny liefert jährlich 600 bis 800 Metercentner
Gnßwaare (Maschinenbestandtheile, Kochkessel und dergleichen); die Maschinenwerkstätte in
Jakobeny Producirt diverse Maaren (Maschinen und Maschinenbestandtheile) im Werthe von
ungefähr 8000 Gulden jährlich; die Eisenhämmer erzeugen jährlich ungefähr 350 Meter -
centner verschiedene sogenannte Zengwaaren (Keilhauen, Bergkratzen, sogenannte Heindeln,
Schaufeln und dergleichen); das Walzwerk in Eisenan liefert ungefähr 1500 Meter -
centner Walzeisen.
Der Hoffnungsbau in der Knpsergrube in Pozoritta wird in beschränktem Maße
weiter betrieben; bisher ohne greifbaren Erfolg. Ob der Silber- und Bleibergban in
Kirlibaba bald wieder in Angriff genommen wird, ist fraglich.
Die Zahl der gegenwärtig in den diversen Werken beschäftigten Arbeiter beträgt
im Durchschnitt 200 Personen.
Eine wesentliche Förderung werden die Montanwerke erfahren, wenn — was jetzt
ernstlich geplant wird — die Localbahn Hatna-Kimpolung von Kimpolung über Jakobeny
nach Dorna-Watra verlängert werden wird. Wenn das Sprichwort wahr ist, daß auf
Regen wieder Sonnenschein folgt, so darf man hoffen, daß wieder bessere Tage für die
Montanwerke des Religionsfondes anbrechen werden; zu wünschen wäre dies, denn die
Periode der Depression währt dermal (seit 1855) schon vierzig Jahre. Und daß sie bald
ihr Ende finden möge, das walte Gott!
515
Gewerbe, Industrie, Handel und Verkehr.
Die ersten Nachrichten über den Verkehr und den Handel in der Bukowina reichen
bis ins XII. Jahrhundert zurück. In dieser Periode scheint sich unter dem Schutze der
slavischen Fürsten des östlichen Galiziens (Halicz), die ihre Oberhoheit zeitweilig auch
über die Thäler des Sereth und des Pruth erstreckt hatten, längs dieser Flüsse und des
Dniestr ein reger Handelsverkehr zwischen Byzanz, Ungarn, dem nördlichen Rußland
und Böhmen entwickelt zu haben. Es geht dies aus einer Urkunde hervor, durch welche der
Verlader Fürst Jwanko Rostislawicz im Jahre 1134 griechischen Kaufleuten von
Mesembria gewisse Begünstigungen hinsichtlich der Entrichtung der Stapelzölle für ein -
heimische, ungarische, russische und böhmische Maaren gewährte. Damals mochten auch
manche Ortschaften als Halteplätze auf diesen Handelswegen entstanden sein, welche durch
die niehr als ein Jahrhundert dauernden Mongolenstürme zwar vernichtet wurden, später
jedoch, unter der Herrschaft der Moldauer Wojwoden, sich aus ihren Trümmern wieder
erhoben und langsam aufblühten, nämlich Sereth, Suczawa und Czernowitz: die ersten
beiden als Haupt- und Residenzstädte der moldauischen Wojwoden, sowie als Sitze von
Kirchenfürsten; letzteres als wichtige Prnthübergangsstelle und Verzollungsstätte.
Die Ursache dieses Aufblühens ist zum großen Theile in der verständnißvollen Pflege
zu suchen, welche die ersten Wojwoden dem Handel angedeihen ließen. Insbesondere war
Alexander der Gute bestrebt, diesen wichtigen Zweig der Volkswirthschaft in jeder Hinsicht
zu fördern. Den Lemberger Kaufleuten gewährte er werthvolle Erleichterungen bezüglich
der Waarenverzollung. Suczawa entwickelte sich unter ihm zu einem Stapelplatz, von wo
der Handel, der zumeist von Armeniern und Sachsen betrieben wurde, nach allen Richtungen
seine Wege nahm: ostwärts über Jassy nach Tigine und Akierman, südlich über das sächsische
Baja und Moldawitza-Wama (Wama soviel wie Zollschranke) nach Bistritz, über Bakau
nach Kronstadt, über Verlad in die Walachei bis Braila, nördlich über Sereth und
Czernowitz nach Lemberg, dann über Dorohoi und Chotin nach Kamieniec in Podolien.
Ein Handelspfad oder Reitsteg führte von dem damaligen Dorfe Radautz durch das
Suczawathal über den Kirlibach nach Sziget, sowie in das Thal der Bistritza und von da
nach Rodna. Ein Heerweg ging endlich von Sereth den Fluß entlang über den Banillabach
in das Czeremoszthal und über Küty nach Munkacs.
Seidene und wollene Gewebe, griechische Weine und Gewürze wurden aus der
Tatarei bezogen, wohin wieder so wie nach Polen und Siebenbürgen Rinder, Schafe,
Schweine und Häute geliefert wurden; aus Ungarn kamen Pferde, aus der Walachei
Wolle, die Sachsen brachten Erzeugnisse ihrer Gewerbe und kauften die Landesproducte.
Ein systematisches Zollgesetz regelte die Verzollung der einzelnen Ein- und Ausfuhrartikel.
33*
516
Der große geschäftliche Verkehr spielte sich zwischen den Sitzen der Wojwoden und
den wenigen größeren Ortschaften ab, woselbst auch bereits einzelne Gewerbe, und zwar
zumeist von deutschen und polnischen Handwerkern betrieben, vertreten waren. Das
Gewerbe der Goldschmiede, ferner jenes der Kesselschmiede wurde von Zigeunern aus -
geübt. Recht verbreitet war die Müllerei und in den alten Urkunden wird oft bestehender
Mahlmühlen, auch einzelner Tuchwalken Erwähnung gethan. Durch die aus dem König -
reiche Polen schon im XIV. Jahrhundert in die Bukowina eingewanderten Juden wurde
auch die Branntweinbrennerei — allerdings nicht zum Heile der Bevölkerung —
eingeführt.
Die Landbewohner standen Wohl durchwegs noch auf recht tiefer Stufe und
erzeugten ihren bescheidenen Bedarf an Kleidung und sonstigen Gebrauchsgegenständen
selbst. Häufige Kriege, von denen die Moldau nach dem Tode des Wojwoden Alexander
heimgesucht wurde, ließen jedoch die mühsam gepflegten Keime der volkswirthschaftlichen
Entwicklung nicht gedeihen. In den dritthalb Jahrhunderten der türkischen Oberherrschaft
gingen die meisten Errungenschaften wirtschaftlicher Cultur bis auf unbedeutende Reste
verloren. Die ehemals blühenden Städte sanken wieder zu elenden Dörfern herab. Die
Bevölkerung, von den Fürsten und deren Starosten durch alle möglichen Steuern aus -
gesogen, vernachlässigte den Ackerbau, beschränkte sich auf die zu ihrem Lebensunterhalte
nöthige, nomadenartig betriebene Viehzucht und verwilderte gänzlich. In den drei oder
vier „Städten" waren alle Spuren ehemaligen Wohlstandes verschwunden. Nur die
Juden und Armenier trieben noch einen ganz unbedeutenden Handel, indem sie Vieh,
rohe Häute, Unschlitt und sonstige thierische Producte nach Breslau, Galizien und
Constantinopel ansführten und dagegen den geringen Bedarf der Bojaren und Edelleute
herbeischafften: Pelzwerk aus Rußland, Leder aus Galizien, Eisenartikel aus der Türkei,
Ungarn und Steiermark, Glas aus Galizien, Waffen und Kupfergeschirr, dessen sich »
die Edelleute und die Geistlichkeit statt des Silbers bedienten, aus der Türkei, Kleidungs -
stoffe aus Frankfurt und Leipzig. Industrien waren bis auf einige elende Getreidemühlen »
keine mehr vorhanden. Auch nicht eine einzige Sägemühle befand sich in dem waldreichen
Lande und die Bretter mußten mit größter Mühe aus den Baumstämmen gehauen werden.
Das städtische Handwerk war verschwunden. Von vielen Dörfern waren nur Trümmer
und verfallene Brandstätten geblieben; die Communicationen wurden vernachlässigt, die
alten Handelsstraßen verfielen. In den Wäldern hausten Räuber und Wölfe und weite
Sümpfe und Moräste machten die Gegenden unwegsam. Als im Jahre 1762 der englische
Gesandte Porter das Land passirte, blieb zwischen Gura-Molnitza und Czernowitz dessen
Kutsche im Gerölle eines stark angeschwollenen Wildbaches stecken und mußten aus den
nächsten Ortschaften Ochsen herbeigeschafft werden, damit er die Reise fortsetzen könne.
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In Czernowitz mußte der Diplomat vierzehntägigen Aufenthalt nehmen, weil die durch
Regengüsse aufgeweichten Wege die Weiterreise unmöglich machten.
In solcher Verwahrlosung wurde die Bukowina im Herbste 1774 in die öster -
reichische Verwaltung übernommen. Der mit der Organisirung des neu gewonnenen
Landes betraute Freiherr Splenyi von Mihaldy erkannte sofort, daß nur eine durchgreifende,
alle Verhältnisse umfassende Culturarbeit die asiatischen Zustände beseitigen und die neue
Provinz europäischer Civilisation zuführen könne.
Als geeignetes Mittel, die Hebung der darniederliegenden gewerblichen und
industriellen Thätigkeit zu beschleunigen, erachtete Splenyi die Kolonisation des Landes
durch Einwanderung aus den westlichen Kulturländern, namentlich die Herbeiziehung guter
Handwerksleute. Die im Jahre 1760 in Philippeny (heute Prelipcze) entstandene Colonie
deutscher Ackersleute und Handwerker war leider schon 1768 gänzlich eingegangen. Indessen
hatte sich kurz vor der österreichischen Occupation ein kleiner Ansatz gewerblicher und
industrieller Thätigkeit an der von Gartenberg geleiteten Münzstätte in Sadagöra
gebildet, an welcher außer den Münzarbeitern noch verschiedene andere Gewerbsleute,
als Wagner, Sattler, Tischler, Schuster, Bäcker, Fleischer, Seifensieder — auch
hier wiederum Deutsche, insgesammt etwa 50 — angesiedelt waren. Nach Aufhebung der
Münzstätte wollten dieselben auswandern; Splönyi jedoch suchte sie znrückzuhalten,
begünstigte die Gartenberg'sche Niederlassung, ertheilte ihr Gewerbefreiheit, Marktgerecht -
same — sogar zu einer königlichen Frei- und Handelsstadt sollte sie ausgestaltet werden —
und wendete ihr noch andere Vortheile zu, die dahin abzielten, neue Gewerbsleute
herbeizuziehen. Mit der Abberufung Splenyis war jedoch die gute Zeit für Sadagöra
vorüber und die einzige Ortschaft des Landes, in der einige bürgerliche Gewerbe vertreten
waren, hatte bald diesen Vorrang wieder eingebüßt.
Auch der Nachfolger Splönyis, General Enzenberg, wendete der Pflege des
Handels und der Einführung gewerblicher Production seine volle Aufmerksamkeit zu.
Es war eine Folge der von den beiden ausgezeichneten Männern im Interesse dieser
Erwerbszweige getroffenen Maßnahmen, daß sich in den Städten ein neues Leben
zu entfalten begann. Insbesondere die alte Handelsstadt Suczawa zeigte bald wieder
eine regere Geschäftsthütigkeit. Ende 1779 erwähnt Enzenberg über 100 große und
kleine Kaufmannsgewölbe der Armenier. Im Jahre 1804 zählte man im ganzen Lande
195 eigentliche Handelsunternehmungen, außerdem 401 Schänken, 220 Tabaktrafikanten
und 2 Überfuhrspächter. Durch Zusicherung mancher Vortheile, speciell vollster Gewerbe -
freiheit, sowie dreißigjähriger Steuerfreiheit aller zum Gewerbsbetriebe erbauten Häuser,
wurde die Einwanderung neuer Handwerker veranlaßt und nach und nach tauchen in
den Städten wieder Schneider, Schuster, Bäcker, Tischler, Schlosser auf. Freilich ging
518
dies recht langsam vor sich und noch zur Zeit der Errichtung des Bukowiner Kreisamtes
(1786) konnte das Schornsteinfegergewerbe nur dadurch eingebürgert werden, daß
ein Schornsteinfegermeister von der Regierung förmlich besoldet, mit Vorspannsanweisung
und Diäten auf Reisen geschickt und so die Feuerpolizei gehandhabt wurde. Im Jahre
1788 sollen indeß in Czernowitz bereits einschließlich der Angehörigen etwa 1000
Gewerbetreibende gelebt haben. Eine Civilapotheke wurde in Czernowitz erst 1785 errichtet.
In demselben Jahre machte sich dort der erste Uhrmacher ansässig. Das erste Brauhaus
wurde auf Kosten des Cameralärars 1786 zu Zuczka bei Czernowitz erbaut, desgleichen
zwei Getreidemühlen nach deutscher Art, die eine in Kotzman, die andere am Serethflusse.
Im Jahre 1804 gab es im Lande insgesammt bereits 641 Jndustrialgewerbsbetriebe.
An Jndustrieunternehmungen waren vorhanden: 1 Zeughammer, 1 Glashütte (in
Krasna), 9 Pottaschesiedereien, 4 Bierbrauereien, 29 Branntweinbrennereien, 215 Getreide -
mühlen und 3 Walkmühlen.
Gewerbliche Erzeugnisse fertigten auch die Zigeuner an. Sie waren Löffel- und
Schindelmacher, Metallgießer, Schlosser, Wannen-, Kannen-, Molter- und Schaffmacher
und erwiesen sich in dieser an Gewerbsleuten noch armen Zeit als recht nützlich.
Die verhältnismäßig ansehnliche Zahl handwerksmäßiger Gewerbe veranlaßte das
Czernowitzer Kreisamt die Einführung des Zunftpatentes vom 9. Mai 1778 bei der
Wiener Regierung zu beantragen. Auf Grundlage des am 28. Juni 1804 erflossenen
Hofdecretes entstanden die ersten Zünfte, und zwar wurde das ganze Land, welches damals
als „Bukowiner Kreis" dem Königreich Galizien angegliedert war, in drei Zunftbezirke
eingetheilt, nämlich Czernowitz, Suczawa und Sereth. Dadurch wurde der Grund zu
einer dauernden Organisation der Handwerker gelegt.
Die gesteigerte Ergiebigkeit der Bodencultur, welche durch zweckmäßige Maßnahmen
erzielt wurde, verlangte dringend die Schaffung geeigneter Communicationen und
entsprechender Verkehrsmittel. Mit diesen wichtigen Factoren der Volkswirthschaft war es
zur Zeit der Occupation sehr schlecht bestellt, so daß General Splenyi, um seine Truppen
fortbringen zu können, nicht weniger als 70 Brücken Herstellen mußte. Trotzdem waren die
Überfuhren am Pruth, am Dniestr und am Sereth bei der Ankunft des Freiherrn von
Enzenberg noch immer lebensgefährlich. Es gab bis 1781 keinen halbwegs fahrbaren Weg.
Die erste ordentliche Landstraße, die 113'4 Kilometer lange, in der Richtung von Norden
nach Süden das Land durchziehende sogenannte Wikower Militärstraße, wurde im Jahre
1786 begonnen und im Jahre 1809 vollendet. Sie führt von der galizischen Grenze über
Storozynetz und Wikow bis in die Nähe der rumänischen Grenze. Von Mardzina zweigt
sich von ihr ein Weg (heute eine wohl erhaltene Concurrenzstraße) nach Radautz ab, welcher
Ort sich als Sitz des k. k. Remontirungs- und Gestütsdepartements und einer Wirthschafts-
519
direction nach und nach zu einem Entrepot für die Lebensbedarfsartikel der gesammten
Gebirgsbevölkerung des südlichen Landestheiles emporgerungen hatte. Von Wikow führte
aufwärts im Suczawathal ein zweiter Weg, gegenwärtig eine Straße, nach Straza, Seletin
Jzwor, und über das hohe Karpathengebirge ein Saumpfad nach Sziget in Ungarn.
Ein anderer wichtiger Straßeuzug von 248'3 Kilometer, die Franzensstraße, wurde
im Jahre 1814 vollendet. Es wurde nämlich die sogenannte Karpathenstraße von der
galizischen Landesgrenze bei Oroszeny über Nepolokoutz, Duboutz (wo die Wikower Straße
abzweigt) bis nach Czernowitz verlängert und hier an die Siebenbürger Straße angeschlossen.
In ihrem Zuge befanden sich mehrere wichtige Jndustriestätten. So das schon 1784 in
Betrieb gesetzte Eisenbergwerk Jakobeny, von wo ein Weg die Goldene Bistritz aufwärts
nach dem Silber- und Bleibergwerk Kirlibaba führte, ferner die Kupferhütte Pozoritta,
dann die Hämmer von Eisenau. Von Wama lenkte ein Weg in das Moldawitzathal ab,
flußaufwärts nach Watra-Moldawitza, wo ebenfalls zwei Frischhämmer betrieben wurden.
In Bukschoia, gleichfalls an dem Straßenzuge gelegen, arbeiteten drei Frischfeuer und ein
Zeughammer und in Stulpikany im Suchathale ein Hochofen.
Eine weitere Maßregel zur Erleichterung des Verkehrs war die Schaffung von
Postverbindungen. Zur Zeit ihrer Einverleibung besaß die Bukowina gar kein geregeltes
Postwesen. Den gewiß sehr spärlichen Verkehr der weltlichen Behörden mochten berittene
Landboten, jenen der Klöster und geistlichen Behörden besondere Kirchenboten besorgt
haben. Als die österreichischen Truppen über lsniatyn in das Land einmarschirten, wurde
zwischen dieser Stadt und Czernowitz eine Feldpost eingerichtet. Diese, nur militärischen
Zwecken dienend, mußte durch eine dauernde Institution ersetzt werden, die nicht allein den
Zwecken der neuen Verwaltungsorgane, sondern auch den Bedürfnissen des Handels und
der industriellen und gewerblichen Production zu entsprechen hatte. Schon Splenyi
empfahl dringendst die Anlage von Poststationen. Jndeß erst unter Enzenberg wurde, und
zwar am 1. Januar 1783, zu Czernowitz eine „ordentliche Poststation" organisirt. Die
Bukowiner Post nahm nunmehr ihren regelmäßigen Curs von Czernowitz nach Aniatyn
einerseits, und von Czernowitz nach Bistritz anderseits. Zur Hebung und Belebung des
Verkehres wurden regelmäßig wiederkehrende Märkte an geeigneten Orten abgehalten. 1783
gab es bereits in Sereth und Suczawa Jahrmärkte, außerdem mehrere Wochenmärkte.
Mit Rücksicht auf die unzulänglichen Communicationsverhältnisse konnte der größte
Reichthum der Bukowina, das Holz, noch keine andere commercielle Verwerthung finden,
als durch Verbrennung zum Zwecke der Pottascheerzeugung. Daher die zahlreichen
Pottaschesiedereien, die zu Anfang dieses Jahrhundertes einen ausgedehnten Industriezweig
des Landes bildeten. Ein Holzexport in größerem Maße brach sich nur mühsam Bahn,
und zwar zunächst auf der Wasserstraße.
1
520
Die österreichische Verwaltung hat gleich im Beginne ihrer Thätigkeit alles auf-
geboten, um in der neuerworbenen, unter der langjährigen türkischen Herrschaft ver -
wahrlosten Provinz westländische Cultur einzubürgern und die reichen natürlichen
Hilfsquellen derselben zu erschließen. Planmäßig, verständnißvoll, mit Anknüpfung an
bestehende Verhältnisse und mit gebotener Schonung der nationalen und confessionellen
Eigenthümlichkeiten der Bevölkerung wurde vorgegangen und die erzielten Erfolge
erweckten die besten Hoffnungen. Allmälig entstanden neue Industrien. In erster Reihe
ist die Branntweinerzeugung zu erwähnen. Im Zusammenhänge mit derselben entwickelte
sich die im Großen betriebene Viehmastung, deren Erzeugnisse auf den Wiener und
Olmützer Markt gebracht wurden. Die Mastochsen wurden in kurzen Stationen dahin
getrieben, was fünf bis sechs Wochen dauerte. Heute brauchen dieselben nicht einmal soviel
Tage, um nach Wien zu gelangen. Auch die Bierbrauerei hatte rasche Fortschritte gemacht,
denn man zählte 1844 bereits 19 Brauhäuser. Sehr rasch vermehrten sich auch die
Getreidemühlen. 26 Walkmühlen richteten in noch sehr primitiver Art das grobe Halinatuch
für die Bekleidung der bäuerlichen Bevölkerung zu.
Eine langsame Entwicklung zeigte die Sägeindustrie. 1814 gab es erst fünf Säge -
mühlen, im Jahre 1834 freilich bereits 29; dieselben waren jedoch so wenig leistungs -
fähig, daß es in dem so holzreichen Lande mitunter an dem erforderlichen Schnittmaterial
mangelte. Noch immer fand das Holz seine wichtigste industrielle Verwerthung in der
Pottaschesiederei. 1814 zählte man 24 solcher Betriebe, welche an die Glashütten zu
Czudyn, Krasna und Fürstenthal (jene in Karlsberg wurde 1827 aufgelassen) einen Theil
ihrer Erzeugnisse abgaben. Ein namhaftes Quantum Pottasche wurde nach Brvdy,
Biala, Prag und Breslau exportirt. Das Kleingewerbe lebte allmälig wieder auf. Zu
Beginn des Jahrhundertes hauptsächlich auf die Städte beschränkt, breitete es sich nach
und nach auch in den Marktorten und größeren Dorfgemeinden aus. Durch die im
Jahre 1804 geschaffenen Zünfte wurden deutsche Sitten und Gebräuche in das Land
verpflanzt, sie hielten gute Zucht unter den Gesellen und Lehrlingen und die Handwerks -
meister erfreuten sich hinsichtlich ihrer Leistungen und ihrer Solidität des besten Rufes.
Der Bergbau, der aus sehr vereinzelten und unbedeutenden Anfängen in den
drei ersten Jahrzehnten unseres Jahrhundertes zu ansehnlicher Entwicklung gelangte,
legte den Grund zu einer Metallindustrie. So entstanden das Hammerwerk in Manzthal,
Zeughämmer in Wama, Bukschoia, Jakobeny und Kimpolung, die, mit Wasserkraft
betrieben, landesübliche Zeugwaaren, speciell Acker- und Gartengeräthe, erzeugten.
Mit der gesteigerten landwirthschaftlichen, montanistischen, industriellen und
gewerblichen Production ging eine stetig fortschreitende Verbesserung und Vermehrung der
Communieationen und eine bedeutendeAusdehnung derHandelsthütigkeitHand inHand.
521
In den Jahren 1824 bis 1855 wurden die bestehenden Reichsstraßen durch Abzweigungen
von Mamajestie überZaieszczyki nach Podolien und von Sereth nach der Moldau ergänzt
und erweitert und mehrere Zollstraßen gegen die bessarabische und moldauische Grenze
Eine moderne Jahrmarktsscene aus Radantz.
angelegt. Auch der Cameral- und Religionsfvnd, die einzelnen Gemeinden, viele Dominien,
endlich auch die Manz'sche Gewerkschaft erbauten zahlreiche gute Straßen. Im Jahre 1860
hatte das Bukowiner Straßennetz eine Gesammtlänge von rund 1683 Kilometer; davon
waren 408 Kilometer Reichsstraßen, 05 Kilometer Salinenstraßen, 703 Kilometer
522
Zollstraßen, der Rest Landes- und Gemeindestraßen. Eine wichtige Stelle unter den
Communicationsmitteln der Bukowina gebürt den Wasserstraßen, als den ersten und anfangs
fast einzigen Wegen, auf denen die Holzprvduete der waldreichen Landestheile in den
Verkehr, auch außer Landes, gelangten.
Bis zur Mitte dieses Jahrhundertes bildete die Holzverflößung auf der Bistritza,
Moldawa und Suczawa einen Hauptgegenstand der Fürsorge der ärarischen Forst -
verwaltung. Anfänglich stellten sich derselben Hindernisse entgegen, welche in dem
gesetzlosen Zustande der Moldau ihren Grund hatten und einen geregelten Verkehr
nicht aufkvmmen ließen, bis in den Jahren 1843 bis 1846 Beziehungen in Galatz und
Constantinopel angeknüpft wurden und 1847 türkische Kaufleute selbst aus Kleinasien zu
Unterhandlungen wegen Übernahme von Schifssbauholz in die Bukowina kamen. Ans dem
Czeremosz, Prnth und Dniestr wurde das Holz aus den russisch Kimpolunger Waldungen
und dem Sereththale bis nach Bessarabien geschwemmt.
Der Bukowiner H and el, der anfänglich größtentheils von den Armeniern betrieben
wurde, hatte, als zufolge der gebesserten Productions- und Verkehrsverhältnisse immer
weitere Kreise der Bevölkerung sich demselben zuwandten, insbesondere als die für die
Juden zeitweilig statuirten Beschränkungen weggefallen waren, eine ungemein rasche
Entwicklung genommen. Der Großhandel zog Getreide, Branntwein, Schlachtvieh,
Holz, Häute, Wolle, Pottasche und sonstige Erzeugnisse des Landbaues in den Bereich
seiner Thätigkeit. Er vermittelte den Außenhandel mit den Nachbarländern und war
zum großen Theile Transithandel.
Von hervorragender Wichtigkeit für die gesammte wirthschaftliche Entwicklung des
Landes, insbesondere für die Förderung der Industrie, des Handels und Verkehres war
die Errichtung der Handels- und Gewerbekammer in derLandeshauptstadtCzernowitz.
Unter dein überaus verdienstvollen Wilhelm Ritter von Alth, der von der Gründung bis
zu seinem 1885 erfolgten Tode deren Präsidium innehatte, und in dem Secretär Andreas
Mikulitsch einen ausgezeichneten Kenner der Verhältnisse und Bedürfnisse des Landes
als Mitarbeiter besaß, entfaltete die Kammer eine alle Zweige der Volkswirthschaft
umfassende rege Thätigkeit. Sie war unermüdlich in Anträgen zur Hebung der Volks -
wirthschaft, zur Förderung der industriellen, kaufmännischen und gewerblichen Bildung,
zur weiteren Ausgestaltung des Verkehrswesens und zur Anbahnung und Erhaltung
geregelter Handelsbeziehungen zu den beiden Nachbarstaaten. Wenn gegenwärtig das
jüngste Kronland der Monarchie auf dem Gebiete der materiellen Cultur anerkennenswerthe
Erfolge zu verzeichnen hat, so ist dies nicht zum geringsten Theile der eifrigen Initiative
der Kammer, die auch gegenwärtig ihre Aufgabe mit Ernst und Gewissenhaftigkeit erfüllt,
zu verdanken.
52ll
Die Thätigkeit der Kammer, die Auflassung der Zolllinie gegen Ungarn, der
Handelsvertrag mit dem deutschen Zollverein, die Beseitigung des Prohibitivsystems,
die Entstehung von Creditinstituten, die Einbeziehung der Stadt Czernowitz in das
europäische Eisenbahnnetz, der Abschluß der Handelsverträge mit Rußland (1860) und
Rumänien (1876), die Errichtung von Realschulen und gewerblichen Lehranstalten wirkten
zusammen, den Zustand der gewerblichen Industrie und des Handels zu heben.
Was zunächst das Gewerbewesen anbelangt, so hatte die anfänglich das Beste
versprechende Entwicklung des Bukowiner Handwerkes während der politischen Wirren
des Jahres 1848 und der darauffolgenden Periode zunächst eine rückläufige Bewegung
genommen. Die Zünfte und Innungen rechtfertigten in der Folge keineswegs die in sie
gesetzten Hoffnungen, sie vegetirten kümmerlich, büßten ihr früheres Ansehen allmälig ein
und wurden sogar für ungesetzlich erklärt. Die Zahl der Gewerbsbetriebe vermehrte sich zwar
infolge zu weit ausgedehnterLiberalität in der Verleihung der Gewerbsbefugnisse, allein diese
Vermehrung geschah auf Kosten der Leistungsfähigkeit und Tüchtigkeit. Die Gewerbeordnung
vom Jahre 1859 vermochte anfänglich keine sonderliche Besserung der traurigen Zustände
herbeizuführen. Die von derselben ausgesprochene Gewerbefreiheit bewirkte, daß viele
ungenügend vorgebildete Gehilfen sich zum selbständigen Gewerbsbetriebe anschickten und
eine starke Zunahme der selbständigen Handwerksunternehmungen erfolgte. Von dem
Jahre 1861 an trat ein Rückschlag ein und es verminderte sich die Anzahl der Gewerbs -
betriebe stetig bis in die Siebziger-Jahre. Der Ausbau der Eisenbahn bis Czernowitz hatte
diesem Verfalle nicht nur nicht Einhalt gethau, sondern denselben zunächst noch beschleunigt,
da die billigeren und geschmackvolleren Gcwerbserzeugnisse des Westens, welche die Eisen -
bahn in das Land brachte, den einheimischen Producenten schwere Concurreuz bereiteten.
Die günstige Lage von Czernowitz jedoch brachte es mit sich, daß diese Stadt noch längere
Zeit, selbst als sie infolge Weiterführung der Eisenbahn aufgehört hatte, Kvpsstatiou zu sein,
der natürliche Verkehrsmittelpuukt für einen Theil Galiziens, daun Bessarabiens und
Rumäniens blieb, welcher Umstand mit der Zeit eine Erholung des Gewerbes herbeiführte.
Als jedoch im Jahre 1886 nach Ablauf des 1876 mit Rumänien abgeschlossenen Handels -
vertrages der sogenannte österreichisch-rumänische Zollkrieg ausbrach, waren die schönen
Tage für das Bukowiner Gewerbe wieder dahin. Der rumänische Zolltarif von 1886 führte
eine Erhöhung der Zollsätze ein, die geradezu einem Einfuhrsverbote gleichkam und dem -
gemäß die gewerbliche Production der Bukowina, von der mindestens die Hälfte, in manchen
Gewerbszweigen sogar 75 Procent, dem rumänischen Consum zugeführt wurden, schwer
schädigte. Dazu kamen noch empfindliche Erhöhungen der russischen Zollsätze, durch welche
die geschäftlichen Beziehungen auch zu diesem Nachbartande eine bedeutende Einbuße
erlitten. Zum Überflüsse traten die Industriellen der westlichen Provinzen, die für den
524
rumänischen Markt gearbeitet hatten, nach Verdrängung von demselben um so mehr als
Mitbewerber im Inlands auf. Die traurige Lage des Kleingewerbes und Kleinhandels, die
plötzliche Stockung des Verkehrs übte aber auch ans andere Classen der Bevölkerung ihre
unheilvolle Wirkung aus. Die Landwirthe sahen sich in der Hoffnung auf eine Preissteigerung
ihrer Erzeugnisse trotz der Grenzsperre enttäuscht und viele geriethen in arge Bedrängniß.
Die Städte Suczawa, Radautz und Sereth, die schon infolge der ungünstigen Trace der
Lemberg—Czernowitz—Jassy-Eisenbahn bcnachtheiligt waren, gingen wirthschaftlich zurück.
Ganzbesonders hatte Sereth gelitten, da der kargeRest des österreichisch-rumänischenTranfit-
verkehres jetzt fast ausschließlich seinen Weg über Jtzkany nahm. Suczawa hatte doch noch
die Vermittelung des Verkehres mit dein südlichen Gebirgstheile des Landes behalten;
freilich nicht lange, da die 1888 eröffnete Localbahnlinie Hatna—Kimpolung den größten
Theil desselben an sich brachte. Durch den nunmehr gänzlich unterbundenen Fremdenverkehr
litt am meisten die Landeshauptstadt Czernowitz, in erster Reihe jener Theil der Gewerbe,
der von dem Fremdenverkehre lebte. Ein ansehnlicher Prvcentsatz der städtischen Handwerker
wanderte aus; die jüdischen größtentheils nach den Vereinigten Staaten und Canada, die
Christen nach Rumänien und nach Rußland.
Um das schwer heimgesuchte und darniederliegende Gewerbe zu kräftigen und seine
Concurrenzfähigkeit zu erhöhen, wurden in den letzten Jahren manche Einrichtungen
getroffen, von denen eine Hebung der allgemeinen Bildung, eine Verbesserung des
Geschmackes und eine Steigerung der technischen Leistungsfähigkeit der Gewerbetreibenden
zu erhoffen ist. Es wurden für die Handwerkslehrlinge gewerbliche Fortbildungsschulen in
Czernowitz, Suczawa, Radautz, Sereth und Kimpolung, dann eine Korbflechtereischule in
Storozynetz und eine Fachschule für Holzbearbeitung in Kimpolung errichtet, und an der
k. k. Staatsgewerbeschule in Czernowitz eine Fachabtheilung für Tischlerei geschaffen. Die
Errichtung einer Fachschule für Thonwaarenindnstrie wird angestrebt. Seit dem Jahre 1887
besteht ein Gewerbemnseum in Czernowitz, das durch Sammlung stilgerechter und muster-
giltiger Erzeugnisse des Handwerkes und des Kunstgewerbes, sowie solcher Objecte, welche
auf die Herstellung, Bearbeitung und Werthprüfung der Erzeugnisse und Materialien Bezug
haben, durch eine Fachbiblivthek, ferner durch Veranstaltung von Vorträgen und Aus -
stellungen aufVervollkommnung und Veredlung der gewerblichen Arbeit abzielt. Im Gewerbe -
museum werden auch an Gewerbetreibende Auskünfte und Rathschläge in gewerbetechnischen
und kunstgewerblichen Angelegenheiten ertheilt und besteht überdies die Absicht, nach und nach
eine Anzahl von Musterwerkstätten einzurichten, die mit den modernsten und zweckmäßigsten
Handwerkzengen und Hilfsmaschinen für das Kleingewerbe ausgestattet werden sollen. Für
Meister und Gesellen verschiedener Gewerbszweige werden von Zeit zu Zeit Fachcurse abge -
halten werden. Mit einem Fachcurs für Schuhmacher wurde bereits der Anfang gemacht.
525
Die Bukowina zählt zur Zeit ungefähr 5700 Jndustrialgewerbe; doch sind viele
Gewerbszweige noch gar nicht, andere nur sehr spärlich vertreten. Gar nicht vertreten sind
bis jetzt viele Zweige der Metallwaarenindustrie, die Erzeugung von Beleuchtungs -
apparaten, von Marmor- und feineren Steinwaaren, Porzellan«aaren, von Papier, Farb-
waaren, Schieß- und Sprengmitteln und Zündwaaren, ätherischen Ölen, Ledersurrogaten,
die Seidenweberei, Juteweberei, Bandmacherei, Fleischconservenerzeugung re. Zumeist nur
vereinzelt vorhanden sind die polygraphischen und Kunstgewerbe, die Maschinenfabrication,
die Erzeugung musikalischer Instrumente, die Gewinnung von Abfällen und Dungstoffen,
die Erzeugung von Ofenkacheln, Schnitzwaaren, von Kautschuk- und Guttaperchawaaren rc.
Auch die Textilindustrie erscheint auffallend schwach vertreten, welcher Umstand jedoch darin
seine Erklärung findet, daß der Bedarf des größten Theiles der ländlichen Bevölkerung in
dieser Richtung fast ausschließlich durch die Erzeugnisse der Hausindustrie gedeckt wird.
Vergleichsweise am zahlreichsten besetzt ist die Bekleidungsindustrie (433 Schneider,
807 Schuhmacher) und die Industrie in Nahrungs- und Gennßmitteln (605 Fleischhauer
und Selcher, 118 Bäcker). Unter den Gewerben, die sich mit Erzeugung von Eisen- und
Stahlwaaren befassen, nehmen die Schmiede eine ansehnliche Stelle ein (487); unter jenen,
welche Transportmittel erzeugen, die Wagner (166).
Im Allgemeinen ist in der Bukowina der industrielle Kleinbetrieb die weitaus vor -
herrschende Betriebsart; denn unter den 5700 Jndustrialgewerben mit einer Gesammt-
steuerleistung an Erwerb- und Einkommensteuer (sammt Staatszuschlägen) von rund
239.000 Gulden gibt es nur 37, welche eine reine Erwerbsteuer von mehr als 50 Gulden
entrichten. Mehr als 100 Gulden zahlen nur 23 Betriebe, mehr als 1000 Gulden nur drei.
Unter den industriellen Großbetrieben steht gegenwärtig an erster Stelle die Holz -
industrie des Landes. Dieselbe hat nach sehr bescheidenen Ansätzen einen großartigen
Aufschwung genommen und ist in steter, fortschreitender Entwicklung begriffen. Von den
hierher gehörigen 149 Brettsägen (1895) werden 27 mit Dampf- und Wasserkraft, 122 nur
niit Wasserkraft betrieben. Das in Anspruch genommene Kraftquantum betrügt insgesammt
3.208 Pferdekräfte. Die meisten Brettsägen befinden sich im Kimpolunger Bezirke (11
Dampf- und 67 Wassersägen).
Unter den Dampfsägewerken sind mehrere, die vermöge ihrer Größe, der Zweck -
mäßigkeit ihrer Anlagen, der maschinellen Einrichtung und sonstigen Hilfsmittel zu
den hervorragendsten und bestgeleiteten Werken Europas gezählt werden können. Es
mögen hier nur die Sägen der Aktiengesellschaft für Holzgewinnung und Dampfsägebetrieb
in Czernowitz (Alt Zuczka), Mezybrody, Dorna, Falkeu und Mardzina; jene der Holz-
industrie-Actiengesellschaft (Leopold v. Popper) in Negrileassa und Mardzina; jene der
Firma Louis Ortlieb in Ruß-Moldawitza und Jakobeny; des Baron Alexander v. Popper
526
in Putna; der Firma H. Schlessiger in Molid (mit Tonholzfabrik; seit kurzem bedeutend
erweitert zur Herstellung von Claviaturtafeln); der Firma M. Fischer mit ihrer Resonanz -
holzfabrik in Stulpikany und der Firma Jacob Hecht in Ruß-pe-boul; endlich noch das
Etablissement der Firma Isidor Werth L Co. in Komarestie, zur Erzeugung von Buchen-
holzbestandtheilen gebogener Möbel (für die Weltfirma Jacob Josef Kohn) und die Holz -
wollefabrik des deutschen Industriellen F. Krusche in Pozoritta besonders erwähnt werden.
Das zum Verschneiden bestimmte Holz wird in die meisten Sägen mittelst Wald -
bahnen, die entweder für Locomotiv- oder Pferdebetrieb eingerichtet sind, gebracht. Es
bestehen gegenwärtig 18 solcher Waldbahnen.
Die Gesammtproduction der Bukowiner Sägeetablissements beträgt mindestens
600.000 Festmeter Schnittmaterial. Hievon werden etwa 18.000 Waggonladungen,
d. i. 360.000 Festmeter, nach allen Richtungen, vornehmlich aber nach Deutschland, Italien,
Frankreich, Rußland, Rumänien und in die Levante ausgeführt. Ein Theil des Bukowiner
Holzexportes benützt die Wasserstraßen und dürften etwa 400.000 Festmeter, größtenteils
Nutzholz, jährlich auf diesem Wege nach Rußland und Rumänien verstößt werden.
Die neben der Sägeindustrie gehende Verwerthung des Holzes durch Erzeugung
von Schindeln und Dranitzen führt dem Verkehr etwa 10 bis 15 Millionen Stück dieses
Spaltmaterials zu. Im engsten Zusammenhang mit der Sägeindustrie entstanden im letzten
Jahre zwei große Fabriks-Etablissements (in Putna und in Ruß-Moldawitza), in
denen aus den Holzabfällen Holzkohle, Holzkohlebriguettes, Methylalkohol, essigsaurer Kalk,
Terpentin, Holztheer und dergleichen Producte der trockenen Holzdestillation erzeugt werden.
Ein nicht unbedeutender Industriezweig ist die Branntweinbrennerei. Die
Bukowina zählte in der Campagne 1893/94 39 Brennereien, von denen fünf zugleich
Preßhefe erzeugen. Diese Brennereien verarbeiten Kartoffel, Kukuruz und andere
Getreidearten. Sie liefern jährlich etwa 42.000 Hektoliter Alkohol, wovon etwa
15.000 Hektoliter, zumeist nach Ungarn, exportirt werden.
Fast alle Brennereien betreiben zur Verwerthung der Schlempe die Viehmastung
und haben zu diesem Zwecke 3000 bis 4000 Stück Ochsen eingestellt, welche auf dem
Wiener Markte einen gesuchten Artikel bilden. Auch nach Deutschland gelangt Bukowiner
Mastvieh. Zu erwähnen ist weiters die Biererzeugung, die gegenwärtig in drei großen,
modern eingerichteten Brauereien in Czernowitz, dann in den Brauereien in Sereth,
Radautz, Suczawa, Solka betrieben wird und sich vielversprechend gestaltet. Die gesammte
Biererzeugung betrügt Pro Jahr 100.000 Hektoliter, wovon 80.000 Hektoliter auf die
Czernowitzer Brauereien entfallen.
Auch die Bukowiner Mühlenindustrie ist bemerkenswertst. Es bestehen zur Zeit
535 Mühlen, von denen die weitaus meisten allerdings kleine Wassermühlen mit sehr
527
Primitiver Messeinrichtung sind und sich nur mit Lohnmüllerei beschäftigen. Auch eine
Anzahl Schiffsmühlen sind darunter, die meist auf dem Pruth, zuweilen gruppen -
weise, in geringer Anzahl auf dem Sereth und auf der Suezawa Vorkommen. Für den
Der Ottobruimen in Dorna-Wntra.
Export in das Ausland kommen nur die beiden großen Czernowitzer Dampfmühlen der
„Ersten Bukowiner Tainpfmühlen-Aetiengesellschaft, vormals A. Schloßmann L Co."
in Betracht. Dieselben verarbeiten circa 180.000 Centner Weizen und 20.000 Centuer
528
Roggen und exportirten rund 30.000 Centner Mehl nach Deutschland, England und
der Schweiz. Sonst bestehen an Industriebetrieben noch eine Rübölfabrik in Zuczka, zwei
Mineralölraffinerien (in Lenkoutz und Mitoka), ferner etwa 6 unbedeutende Essigerzeugungs -
stätten, deren Betrieb kaum als Fabriksbetrieb bezeichnet werden kann. Eine Thon-
waarenfabrik in Czernowitz ist recht leistungsfähig und erzeugt hübsche und preiswürdige
glasirte Kachelöfen, Ziegel ans feuerfestem Thon und Bauornamente in Terracotta.
Endlich mögen noch die 61 im Lande bestehenden Ziegeleien, dann circa zehn bis
fünfzehn Kalkbrennereien genannt werden. Die Glashütten find bis auf eine (Neuhütte bei
Czudyn), die nur Hohl- und ordinäres Tafelglas erzeugt, eingegangen.
Die mit dem Mo nt an wesen in Verbindung stehende Industrie anlangend, ist noch
zu erwähnen, daß Stab- und Walzeisensorten im Eisenauer Walzwerk aus alten Eisenbahn -
schienen und sonstigem Alteisen-Material erzeugt werden. Dieser Hüttenproceß kann
selbstredend gegen die modernen Raffinirwerke von Schlesien und Mähren nicht aufkommen,
weshalb der Verkauf des Eisenauer Walzeisens (etwa 1000 Centner jährlich) sich fast
ausschließlich auf die allernächste Hingebung beschränken muß. Zur Erzeugung von Guß-
waaren besteht in Jakobeny ein Kupolofen, welcher aus angekanftem Gußbrucheisen unter
entsprechender Beimengung von Teschner hochgraphitischem grauem Gießerei-Roheisen
diverse Potterie- und Commerz-Gußwaaren (circa 450 Centner) liefert. Als Brennstoff
wird Karwiner Coaks verwendet. Die Gießerei prosperirt gut. In Eisenan, Jakobeny und
Wama werden Hauen, Krampen, Schaufeln (etwa 700 bis 800 Centner) rc. angefertigt,
zu welcher Production hauptsächlich steirisches angekauftes Kratzeisen, dann Alteisen in
Verwendung kommt. Eine Maschinenwerkstätte in Jakobeny, zumeist auf Herstellung von
Maschinenbestandtheilen für Mühlen und Brettsägen beschränkt, liefert Arbeiten im
Gesammtwerthe von ungefähr 10.000 fl.
Ein wichtiger Factor der Bukowiner Vvlkswirthschaft ist auch heute noch der
Handel. Während im Jahre 1804 nur 596 Handelsbetriebe (inclusive Gast- und Schank -
gewerbe) gezählt wurden, waren im Jahre 1872 bereits an 4000 vorhanden. Infolge
der wirthschaftlichen Krise von 1873 ging auch der Bukowiner Handel zurück und den
schwersten Schlag erlitt derselbe durch den 1886 erfolgten Ablauf des Vertrags -
verhältnisses mit Rumänien. Erst in den letzten Jahren ist wieder eine Erholung und
Zunahme der Handelsbetriebe zu constatiren. Gegenwärtig zählt das Land bereits
ungefähr 7000 selbständige Handelsleute (Gast- und Schankgewerbetreibende mit etwa
1500 Betrieben eingerechnet). Auf die Entwicklung des Handels hat besonders die Aus -
gestaltung der Communicationsmittel, dann die Verbesserung der Creditverhältnisse
förderlich eingewirkt. Während noch anfangs der Siebziger-Jahre ein Zinsfuß von
30 Procent und mehr Hierlands nichts Seltenes war, wurde einerseits durch Errichtung
von Kreditinstituten, insbesondere der Czernowitzer Sparcasse, dann der Filiale der öster -
reichisch-ungarischen Bank (damals Nationalbank) und jener der galizischen Hypothekenbank,
anderseits durch das Wuchergesetz vom 19. Juli 1877 eine bedeutende Besserung herbei -
geführt. Dennoch bleibt in dieser Hinsicht noch vieles zu wünschen übrig und muß bemerkt
werden, daß der kleine Mann nur schwer Geld bekommt und immer noch zu theueren Zinsen.
Daß der Holzhandel bedeutende Dimensionen angenommen, ergibt sich schon aus
der großen Holzproduction. Sehr bemerkenswerth ist auch der Viehhandel, welcher jährlich
10.000 bis 12.000 Stück Hornvieh, darunter 3000 bis 4000 Mastochsen, dann 55.000
bis 60.000 Stück Borstenvieh Bukowiner Provenienz den westlichen Märkten zuführt.
Dazu kommen, wenn die rumänische Grenze nicht gerade wegen Schweinepest gesperrt
ist, noch 30.000 bis 40.000 Stück von hiesigen Händlern in Rumänien gekaufte Schweine.
Die geographische Lage des Landes hat die Geschäftswelt der Bukowina ganz
besonders ans die Pflege des Zwischenhandels gewiesen. Dieser bildet auch die Haupt-
dvmäne der commerciellen Bethütignng des eigentlichen Großhandels. Mehr als
22 Millionen Gulden jährlich werden durch Vermittlung unserer einheimischen Geschäfts -
welt umgesetzt. Der gesummte Zwischenhandel in Fntterartikeln beläuft sich auf 2000 bis
3000 Waggons Pro Saison; derselbe spielt sich zwischen Rumänien und Rußland einerseits
und dem Westen anderseits ab und liegt in den Händen der Bukowiner Kaufleute.
Der Import an Getreide für unsere Mühlen und für die Bukowiner Gebirgsgegenden
beträgt jährlich circa 1500 Waggons aus Rußland und circa 2000 Waggons aus
Rumänien; der gesammte Getreidetransit via Nowosielitza und Jtzkany circa 15.000
Waggons, wovon 8000 auf Rußland, 7000 auf Rumänien entfallen. Vor dem Zollkriege
mit Rumänien waren diese Mengen allerdings bei weitem größer; das rumänische
Getreide hat eben seither andere Verkehrswege, zum Theile per innre gesucht und
gefunden und ist unserem Transit verloren gegangen.
Etwa 120 Waggons Hülsenfrüchte für den Orient und die Mittelmeerhüfen,
100 bis 150 Waggons Obst, dann circa 40 Waggons Kleesaat nach Deutschland,
etwa 500 Waggons Eier nach Deutschland und England, ferner 150 Waggons Spiritus
für Deutschland und Ungarn werden jährlich durch Bukowiner Geschäftshäuser gekauft
und expedirt. Auch der Commissionshandel in allen Bedarfsartikeln des täglichen Lebens,
in Textilwaaren und Luxusgcgenständen, und zwar sowohl für die Bukowina, als auch
für einen Theil Rußlands und Rumäniens, ist ein erheblicher.
Eine fortschreitende und ungemein günstige Entwicklung nahmen die Verkehrs -
wege und Verkehrsmittel in der zweiten Hälfte des Jahrhundertes. Hatte die Lemberg—
Czernowitz—Jassy-Eisenbahn, welche in einer Länge von 114 Kilometer von Nepotokoutz
bis Jtzkany unser Kronland durchschneidet, dasselbe in den Bereich des internationalen
Bukowina.
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Verkehrs gebracht, so mußten nun auch die reichen, noch größtentheils unbehobenen Schätze
der Bukowiner Wälder, dann die Producte der Landwirthschaft und Viehzucht diesem
Verkehr gewonnen werden. Die auf dem Wege der Verflößung gemachten Anfänge
waren im Verhältniß zu den riesigen Holzvorräthen zu geringfügig und so entstand
ein Netz von Localbahnlinien, die, den Hauptlinien angeschlossen, die Möglichkeit
lohnender Verwerthung der Holzproducte eröffneten, die großartige Säge-Industrie
ins Leben riefen, den Holzhandel belebten und damit zugleich die Vorbedingung
für eine rationelle Forstcultur im Lande schufen. Im Jahre 1884 wurde die 31 Kilo -
meter lange Linie Czernowitz—Nowosielitza dem Verkehr übergeben, die eine der
fruchtbarsten und am dichtesten bevölkerten Gegenden der Bukowina durchzieht und an
die russische Grenze führt. Sie dient vornehmlich dem Holz- und Getreideverkehr, indem
sie das Schnittmaterial der Bukowiner Dampfsägen nach Rußland, russisches Getreide
dagegen für die Czernowitzer Dampfmühlen, meist jedoch Transitgetreide, verfrachtet. Im
December 1886 wurde die Localbahn Hliboka—Berhomet (53 Kilometer) und deren
Abzweigung von Karapcziu nach Czudyn (19 Kilometer) eröffnet. Bau-, Werk- und Brenn -
holz, Hornvieh, Steine, Kalk, Spiritus sind thalabwärts, Mahlproducte, Eisenwaaren,
Bier rc. thalaufwärts die wichtigsten Gegenstände ihres Verkehrs. Die im Jahre 1888
eröffnete 67 Kilometer lange Linie Hatna—Kimpolung befördert in der Richtung gegen
Hatna Bau-, Werk- und Brennholz, Cement, Salz, Manganerze, Eisen und Eisenwaaren;
in der entgegengesetzten Richtung Getreide und Hülsenfrüchte, Mahlproducte, Bier, Wein
und Industrie- und sonstige Artikel. Seit 1889 besteht die rund neun Kilometer lange Linie
Hadikfalva—Radautz, welche Schnittholz aus den Sägen des Suczawathales, Hornvieh
und Hülsenfrüchte der Hanptbahnlinie zuführt, dagegen Mahlproducte, Mais, Jndnstrie-
erzeugnisse, Colonialwaaren für den Bedarf von Radautz und dessen Hinterland beschafft.
Ende des Jahres 1896 wurde die 15 Kilometer lange Strecke Hliboka—Sereth
fertiggestellt, welche für Brennholz, Jndustrieartikel und Mahlproducte nach Sereth,
beziehungsweise transito nach Rumänien und für Transitgetreide von dort bestimmt ist.
Durch diese Bahn ist nunmehr die älteste Stadt des Landes in das Eisenbahnnetz eingefügt.
Im Jahre 1896 wurde auch die Stadt Suczawa mit Jtzkany durch eine fünf Kilometer
lange Bahnlinie verbunden und so an die Hauptlinie angeschlossen.
Im Baue begriffen sind noch die Landesbahuen Nepolokoutz—Wiznitz (45 Kilo
meter), Lnzan—Zateszczyki (43 Kilometer) und endlich Radautz—Frassin (42 5 Kilometer)
mit der Abzweigung Karlsberg—Putna (7 Kilometer). Die erstere derselben soll das für
den Wiznitzer Bezirk und den benachbarten galizischen Bezirk von Küty nöthige Getreide
und Mahlproducte bringen und die dortigen Brennereiproducte, dann die in Wiznitz im
Floßwege anlangenden Holzproducte des Czeremoszthales durch Umschlag von Wasser zur
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Bahn dem Markte zuführen. Die zweite wurde im Interesse der Zufuhr galizischen
Getreides für die Czernvwitzer Dampfmühlen und für die Versorgung des von ihr durch -
zogenen holzarmen Landestheiles mit Brennholz angelegt; eventuell soll dieselbe auch Holz
für Rußland zu einem in Zakeszczyki zu errichtenden Umschlagsplätze an den Dniestr
schaffen. Die Linie Radautz—Frassin sammt Abzweigung soll den Sägen des Suczawa-
und Putnathales als Frachtweg dienen und das Suczawa- und Putillathal mit Nahrungs -
und Verbranchsartikeln versorgen. Endlich besteht noch das Project, Kimpolnng mit Dorna
durch eine 49 Kilometer lange Eisenbahn zu verbinden, mit einer Abzweigung von Pvzoritta
nach Lnisenthal in der Länge von sieben Kilometer. Diese Bahn wird zur Hebung des
Curortes Dorna, dann zur Exploitation der Waldungen des Bistritza- und Valeputnathales
wesentlich beitragen und auch den Abbau der Erzlager in Jakobeny, beziehungsweise
Lnisenthal, fördern. Sämmtliche Localbahnen sind normalspurig.
Die Bukowina besitzt dermalen ein Eisenbahnnetz von rund 114 Kilometer Haupt -
bahn, 337 Kilometer Localbahnen (einschließlich der im Bau begriffenen) 32 Kilometer
Schleppkähnen, fünf Kilometer Jndustriegeleise; zusammen sonach ein Schienennetz von
rund 488 Kilometer, die Projectirte Strecke Kimpolung—Dorna nicht mitgerechnet. Die
gestimmte Frachtenbewegung auf dem bereits im Betriebe stehenden Schienennetz von
325 Kilometer umfaßt ein Güterquantum von mehr als sechs Millionen Tonnen. Personen
wurden auf den Bnkowiner Eisenbahnen im Jahre 1895 rund 1,350.000 befördert.
Die in der Bukowina bestehenden Straßen zerfallen seit dein Landesgesetze vom
11. December 1884 in Ärarialstraßen, Bezirksstraßen und Gemeindestraßen und betrug
die Länge derselben im Jahre 1895 beziehungsweise 430 Kilometer, 862 Kilometer und
2.766 Kilometer, zusammen demnach 4.058 Kilometer. Unter den Wasserstraßen sind
55 Kilometer (ans dem Dniestr) schiffbar, und fast 600 Kilometer floßbar.
Der Postverkehr, der anfänglich nur mittels Reitpost besorgt wurde und noch im
Jahre 1851 sich um die Ziffern von 200.000 Briefen und 30.000 Palleten bewegte,
wird gegenwärtig durch zehn ärarische und 83 nicht ärarische Post- beziehungsweise Post-
und Telegraphenämter, 7 Poststallämter und 6 Postablagen, im Ganzen durch 106 Post -
anstalten besorgt. Zur Postbeförderung werden die Eisenbahnen in einer Länge von 312
Kilometer benützt. Auf gewöhnlichen Straßen bestehen 1.352 Kilometer Postcurse.Befördert
wurden im Jahre 1896 in der Bukowina 7,958.236 Briefpostsendungen, 773.900
Zeitungen (wobei die unmittelbar in Palleten und im Wege des Buchhandels bezogenen
nicht mitgerechnet sind), 544.044 Fahrpostsendungen (darunter Geldbriefe im Gesammt-
werthe von 49,732.632 Gulden). Der Pvstanweisnngs-, Pvstauftrags- und Nachnahme -
verkehr mit dem Jnlande, mit Ungarn und dem Occupationsgebiete umfaßte 631.041 Stück.
Die ans Postanweisungen ein- und ausgezahlte Geldsumme betrug 17,604.508 Gulden.
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657-,7k.
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Das erste Telegraphenamt wurde in Czernowitz im Jahre 1854 errichtet, wodurch
die Bukowina in das europäische Telegraphennetz einbezogen wurde. Ende 1896 hatte
das Telegraphennetz der Bukowina eine Gesammtlänge von 764'34 Kilometer (Draht -
länge 1.643'98 Kilometer) und 45 Stationen. Auf demselben wurden, ohne internationale
Transitcorrespondenz und die Telegramme aus Ungarn, insgesammt 180.334 Depeschen
vermittelt. Im Jahre 1883 wurde in Czernowitz das Telephon eingeführt und hat zur
Zeit bereits etwa 126 Sprechstellen.
Zum Schlüsse sei noch erwähnt, daß die Bukowina einige bemerkenswerthe Curorte
aufzuweisen hat. Es sind dies das Stahlbad Dorna-Watra, die klimatischen Curorte Solka
und Lopuszna und das Schwefelbad Jakobeny. Der erstgenannte Curort ist jedenfalls der
bedeutendste, da seine kräftigen Eisenquellen und Moorbäder von vorzüglicher Heilwirkung
sind. Die 1896 vom Bukowiner griechisch-orientalischen Religionsfonde daselbst begonnenen
und in großem Stile gedachten Neuherstellungen, eine allen Comfort bietende Badeanstalt
mit Kaltwasserabtheilungen und einer gedeckten Wandelbahn, dann ein Curhaus und ein
von der Marktgemeinde Dorna projectirtes Hotel, welche Bauten im Jahre 1899 vollendet
werden sollen, sowie der Ausbau der Bahnlinie Kimpolung—Dorna werden gewiß dazu
beitragen, dem Bukowiner „Franzensbad" einen weitreichenden Ruf zu verschaffen. Solka
besitzt zwei Sanatorien mit hydropathischen Abtheilungen, Soolbädern und Inhalatorien.
Lopuszna trägt mehr den Charakter einer Sommerfrische. Jakobeny kommt gegenwärtig
wenig in Betracht. Der Bukowiner Landtag hat in seiner letzten Session den Landes -
ausschuß beauftragt, Erhebungen zu pflegen und Vorschläge zum Zwecke der Ausgestaltung
der genannten Curorte zu erstatten.
Schiffmühlen im Pruth.