376 Hier ist nur die Landbevölkerung gemeint, nicht aber die der Kiistenstädte. Zum Schlüsse mag noch eine interessante, allgemein bosnische Erscheinung erwähnt werden; sie besteht in dem Mangel des Verständnisses für den richtigen Gebrauch der Personalpronomina im Gespräche mit einer geachteten Person. Eigentlich national ist für die angesprochene Person nur das singulare Pronomen ,ti, kvoj«; jedoch bedient sich der einfache Bosnier, ohne Unterschied der Confession, weniger Verstandes- als instinctmäßig auch des pluralen ,vi, vus«. Allein er mischt dabei beiderlei Formen, oft in demselben Satze und in einem Athen: kunterbunt durcheinander: ,vi, tvoj, vsL, tebi« u. s. f.; um gekehrt spricht er, mit ,vi" angeredet, auch von sich selbst mit „irch uns" und sagt in Gegenwart einer höheren Person in seiner Verlegenheit auch wohl zu seinem eigenen Sohne, trotzdem dieser zu ihm selbst spricht, „vi". Man könnte nun versucht sein, anzunehmen, daß dieses unpopuläre und so unbequeme ,vi, vs-S- etwa erst mit der österreichisch-ungarischenOccupation importirt und deshalb noch nicht recht verdaut worden sei. Dem ist es aber nicht so; vielmehr ist auch diese Erscheinung schon Jahrhunderte alt. Gesang und 2Nnsik. In volksmusikalischer Beziehung bilden Bosnien und die Hercegovina mit den benachbarten Balkanländern Dalmatien^ und Montenegro ein Ganzes. Diese slavischen Länder haben nicht nur den Charakter ihrer Melodien und Gesänge, sondern auch das mit einander gemein, daß sich das Lied noch heute aus allen Stufen, auf welche es die Entwicklung und die Blüte der Musik überhaupt gestellt hat, in lebendigem Gebrauche erhalten hat. Die Gesänge jener Länder, wie sie noch heute unter dem Volke fortleben, stellen, in entsprechende Folge geordnet, eine Reihe von Formen dar, deren primitivste sich der Darstellung durch unser Notensystem entzieht, und deren höchste als eine kühne und schwungvolle musikalische Linie erscheint, die auf der Grundlage einfacher harmonischer Verbindungen aufgebaut ist. Dalmatien gegenüber sind Bosnien und die Hercegovina um den Chorgesang ärmer. Wiewohl man in den Occupationsländern sehr viel und hauptsächlich gemeinsam singt, ist der Gesang ausschließlich und grundsätzlich daselbst nur einstimmig. Ich sage grundsätzlich, weil die hiesigen Melodien mit wenigen Ausnahmen keine parallele Begleitung in Terzen und Sexten, worauf der volksthümliche Chorgesang hauptsächlich beruhen müßte, zulasten. Die eigenthümlichsten und alterthümlichsten Gesänge müssen wir allerdings in den Dörfern suchen, denn wie in anderen Beziehungen ist auch hier das Dorf der verläßlichste Beschützer und Conservator der Vergangenheit. Das bosnisch- hercegovinische Dorf pflegt und singt am häufigsten zweierlei Melodien. Die erste Art derselben bedient sich eines akustischen Materials, welches sich wegen der eigentümlichen Intervalle und der vorherrschenden Triller durch unser Notensystem nicht correet (und nur