Die
österreichisch ungarische Monarchie
in
Wort und Bild.
Auf Anregung und unter Mitwirkung
weiland Seiner Kaiser!, und König!. Hoheit des durchlauchtigsten Kronprinzen Erzherzog
Nudolf begonnen, fortgesetzt unter dem Protectorate der Nrau Gräfin Stephanie Löngap,
geborenen Prinzessin von Letgien, Herzogin von Sachsen-Coburg.
Bosnien und Herreyornna.
Wien 1901.
Druck und Verlag der kaiserlich-königlichen Hof- und Staatsdruckerei.
Alfred Holder, k. und k. Hof- und Universitätsbuchhändler.
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Inhalt.
Gosnien und Hercegomna.
Seite
Geographische Übersicht:
Lage und Einteilung des Landes; Bevölkerung, von Carl Ritter von Sax
Geologischer Überblick, von Heinrich Freiherrn von Foullon-Norbeeck - -
Äußere Bodenbeschaffenheit, klimatische und hydrographische Verhältnis;
Verkehrslinien, von Philipp Ballif
Fauna und Flora:
Wirbelthiere, von Othmar Reiser
Wirbellose Thiere, von Victor Apfelbeck
Flora, von Franz Fi
Landschaftliche Schilderung, von Milena Preindlsberger-Mrazovic
Ärchäologie:
Vorgeschichtliche Alterthümer, von Moriz Hoernes
Die Zeit der Griechen und Römer, von Karl Patsch
Denkmäler des Mittelalters, von Ciro Truhelka
Geschichte, von Ludwig vonThallöczY
Volkskunde: „ ^
Physische Beschaffenheit der einheimischen Bevölkerung, von -eopold G
Volksleben, von Ciro Truhelka
Sprache, von Davorin Nemanic
Gesang und Musik, von Ludwig Kuba
Literatur, von Constantin H örmann
Baukunst, von Johann Kellner
Volkswirtschaftliches Leben:
Landwirtschaft und Viehzucht, von Jakob Rttter von Mrkulr ....
Obst- und Weinbau, von demselben
Forstwirtschaft, von Carl Petraschek , ' ^
Jagd, von Carl Petraschekund Othmar Reiser; Fixerer, von Othmar Rerse
Berabau und Hüttenwesen, von Franz Poech
Gewerbe und Handel, von Richard Thurnwald; Verkehr, von ^osef Kalmann ^
Haus- und Kunstgcwcrbe, von Theodor Zurunic
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Verzeichnis der Illustrationen.
Save-Landschaft bei Bosnisch-Brod, von Bela Csikos 7
Karstlandschaft im Kupreskopolje, von Zygmunt Ajdukiewicz . 9
Bosnisches Mittelgebirge zwischen Jajce und Travnik, von demselben 13
Popovopolje bei Zavala, von Rudolf von Ottenfeld , 15
Aus dem bewaldeten Hochgebirge der Crnagora, von Ewald Arndt-Ccplin ... 17
Partie am Makljen, von Geza Paur 19
Jnsecten: 8a1urma, Ameisenlöwe, ^.sealapims, 8piIoK0ma plaoiäa, Ollaraxos
lasius 21
Aus dem Gemsen-Gebiete 25
Omorica-Fichte und Bartgeier 27
Sämmtlich von Hugo Charlemont.
Vogelwelt der hercegovinischen Sümpfe, von Rudolf von Ottenfeld 31
Krummholz (piims montana) in 1600 Meter Höhe, von Hugo Charlemont . . . 35
Jnsecten: Trixaiis nasuta, Leiostoma (Riesen-Wasserwanze), von demselben ... 38
Doboj, von Bela Spanyi 41
Vranduk, von demselben 43
Sarajevo in der Gegenwart, von Julius von Hary 47
Mohamedanischer Friedhof in Sarajevo, von Rudolf Bernt 51
Der spaniolische (jüdische) Friedhof in Sarajevo, von demselben 53
Bosnische Rasirstube, von Julius Türy 55
Mohamedanischer Gottesdienst in der Stadt, von Paul Joanowits 57
Straßenscene in Sarajevo, von Rudolf Bernt 59
Bosuaquellen, von Julius Türy 61
Bad Jlidze, von Julius von Hary 63
Romanija-planina 65
Glasinac-Landschast (serbischer Friedhof, Bogumilengräber, im Hintergründe Prä-
historische Tumnli) 67
Von der oberen Drina 69
Burg Samobor 71
Cajnica ^ 73
Das Wunderbild in der serbischen Wallfahrtskirche zu Cajnica 75
Sämmtlich von Hugo Charlemont
V
Stadt Zvornik, von Bela Sp anyi
Stadt Dolnja Tuzla, von Zygmunt Ajdukiewicz
Stadt Bjelina: Die postunZiru Man, von demselben
Stadt Livno, von demselben
Stadt Bihac
Burgruine Ostrozac
Stadt Krupa
Bosnisch-Novi - - -
Sämmtlich von Johann Tisov.
Jajce
Der Lukasthurm in Jajce
Der Wasserfall bei Jajce
Die Katarakte bei Jajce
Aus den Katakomben von Jajce
Sämmtlich von Julius von Hary.
Gasse in Dolnji Bakus, von Geza Paur . . .
Travnik, von Julius von Hary
Stadt Pocitelj, von Rudolf von Ottenfeld
Die Bunaquelle bei Mostar, von Rudolf B ernt
Mostar, von demselben
Die alte Brücke in Mostar, von demselben
Das Narentathal bei Jablanica, von Geza Paur
Das Ramathal, von demselben
Der Borke-Sec bei Konjica, von Bela Spänyi
Blick vom Ivan gegen Bosnien, von Julius von Hary - - -
Felsrelief aus der Vjetrenicahöhle bei Zavala, Bezirk Trebinje (nach Photographie) .
Stadt Stolac in der Hercegovina, von Rudolf von Ottenfeld
Mohamedanischer Landsitz in Rataj, von Hugo CHarlemont
Cemerno, von Ewald Arndt-Ceplin
Aus der Sutjeskaschlucht, von demselben
Die Maglicspitze, von demselben
Stadt Gacko, von Rudolf B ernt
Gegend bei Trebinje, von Rudolf von Ottenfeld
Glasinac-Funde: Bronzen
Butmir-Funde: Thongefäße, Thonfiguren und Steingeräthe
Gräberfunde aus Jezerine: Thongefäße, Bronze und Eisen
Römische Funde: Apollo, Gorgonenhaupt
Mithrasrelief aus Konjica (römisch)
Sämmtlich von Hugo Charlemont.
Inschrift Ban Kulms aus dem Beginn des XIll. Jahrhunderts, von Ciro Truhelta -
Bogumilenstein von Dolnja Zgosca, von Zygmunt Ajdukiew icz
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Bogumilengräber in Ladjevina, von Hugo Charlemont .......
Grabstein des Fürsten Radivoj Vlatkovic bei Stolac (nach Photographie) . .
Mittelalterlicher Grabstein bei Rogatica (nach Photographie)
Gerichtsstuhl bei Pavlovici, von Julius von Hary
Römische Bronzen aus Domavia und Travnik, von Hugo Charlemont - -
Siegel Belas II.; nach dem Original in Panonhalma, von Julius Türy . .
Siegel bosnischer Bane und Könige, von demselben
Bosnische Münzen, von demselben . . . .
Felsen von Dreznica mit Inschrift, von Ciro Truhelka . . . -
Felsinschrift von Dreznica mit dem Namen König Ludwigs, von demselben .
Visoko, von Julius von Hary
Festung Dobor, von Zygmunt Ajdukiewicz - - ' ' '
Hervoja Hrvatinic Vukcic, Großvojvode Bosniens (Original im Nissalo
in der Eski Saraj-Bibliothek zu Constantinopel), von Julius Türy . ....
Siegel bosnischer und hcrcegovinischer Großen, von demselben
Bobovac, von Julius von Hary
Stepangrad bei Blagaj, von Zygmunt Ajdukiewicz
Kloster Kresevo, von Julius von Hary
Kloster Sutjeska, von demselben ' ' ' '
Stefan Tomasevic, König von Bosnien, vor dem Heilande kmeend; nach dem
Original in der Galerie zu Agram, von Julius Türy
Sultan Mehmed-el-Fatih; nach dem Original in der k. k. Hofbiblwthek zu Wrcn,
von demselben
Ruine Teocak, von Julius von Hary ' '
Grabmal des Titular-Königs Nikolaus Ujlaky; nach dem Original zu ^llok m
Sirmien, von Julius Türy
Ahdname Mehmed-el-Fatihs, vom Jahre 1463; nach dem Original im Francrscaner-
kloster zu Fojnica, von Ciro Truhelka ' '
Vezir Mehmed Sokolovic; nach dem Original im k. k. kunsthistorischen Hofmuseum
zu Wien, von Julius Türy
Waffen, von Hugo CH arlemont
Waffen und Costüm, von demselben
Festung Kljuc, von Zygmunt Ajdukiewicz ^
Burgruine Sokolac bei Bihac, von Johann Tisov
Janitscharen vom Beginne des XIX. Jahrhunderts; nach einer Zeichnung aus dem
Jahre 1826, von Julius Türy
Das Wappen von Bosnien, von Rudolf Berut
Das Stcinwerfen in Prozor, von Julius Türy
Weiße Zigeuner, von Ladislaus Pataky
Die orthodoxe Krsno-Jme-Feier, von Zygmunt Ajdukiewicz
Bauernhof einer Zadrnga bei Dolnji Bakus in Bosnien, von demselben
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Grenzrcgulirung, von Paul Joanowits
Blutfrieden, von demselben
Amnlete, von Hugo Charlemont
Costüme aus Cajnica, Foca und Visegrad, von demselben
Stadtcostüm aus Sarajevo, von Emerich Nevesz
Hodza (mohamedanischer Geistlicher), von Julius Türy - >
Katholische Hercegovcen mit Tragthier, von Rudolf von Ottenseld
Orthodoxe Hercegovcen, von demselben
Mohamedanische Frauencostüme nebst Details, von I. Kobilca
Türkische Frauen auf der Straße in Sarajevo, von Ladislaus Pataky
Orthodoxe aus dem Sarajevsko polje, von demselben
Mohamedanische Frauen aus Mostar, von Rudolf von Ottenseld
Betende Katholikin aus Jajce, von Julius Türy
Katholiken aus Kresevo, von Ladislaus Pataky
Katholikin aus Mittelbosnien, von Julius Türy
Kopfputz aus Srebrenica, von Hugo Charlem ont . -
Han (Einkehrhaus) in Oborci, von Zygmunt Ajdukiewicz
Hercegovinischer Bauernhof, von Rudolf von Ottenseld -
Besuch bei einer mohamedanischen Wöchnerin, von I. Kobilca
Katholik aus Mittelbosnien, von Julius Türy
Das Tätowiren, von Ewald Arndt-Ceplin
Muster von Tätowirungen, von Ciro Truhelka - . ^ ' ' ' ' ' „14 Ähre
(1 Patrone aus Weidenrinde. 2-6 Kreuz. 7-10 Rad. 11 , 14 Äh -
15-21 Armband. 22, 23 Sterne. 24 Mond. 2° Sonne. 26 Vennsstern. 27 Hotz
28 Ein reiches Ornament. 29-30 Das eorrumprrte Monogramm I»S. 31 Schem
von Tätowirungen auf den Armen.)
Costüme aus Ober- und Mittelbosnien, von Julius Türy - - ... ' , ^ ^ '
ll Türkisches Mädchen. 2. Typus aus Bugo;n°. 3. Chrrstm aus JaM. 4 b. L-erven
6 Mchamedan^in aus Mi.tewosnien. 7. Kopsputz serbischer Mädchen. 8. Bauer aus
Jezero.)
Sijelo im Winter, von Zygmunt Ajdukiewicz - '
Helden-Kolo in der Umgebung von Glamoc, von demselben
Liebeswerben (mohamedanisches Motiv), von I. Kobilca
Der Brautraub, von Paul Joanowits -
Verschleiern der mohamedanischen Braut (das Ringanstecken), von ^.Kobilca . - -
Katholische Messe im Freien (Bosnien), von Julius Türy . ^ ^
(»rsp-i'mgllch -im -»misch- B°g-°b»iMN°>. «»» S«mm,t »id»'-"- -
TM-ch)-' »s?°m S-i-M°I d°. °»°..°,isch.O-q°d°-m M°-,°°» Em.,d
Arndt-Ceplin . - '
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Türkischer Friedhof in Jajce, von Julius von Hary 371
Verzierte Gusla-Köpfe ans Trnovo (Bezirk Sarajevo) und Mostar (Hercegovina), von
Ludwig Kuba 383
Bosnische Musikanten aus Jezero, von Julius Türy 387
Guslar (Costüme aus der Krajina, ehemals Türkisch-Croatien), von Johann Tisov . 389
Farbiges Trachteubild: Bosnier und Hercegovcen, von Paul Joanowits; chromo-
zinkographisch ausgeführt von C. Angerer & Göschl.
Die Trvtko-Urkunde (nach einer Photographie) 395
Volkslied in der Alt-Bosancica-Schrift (nach einer Photographie) 399
Kloster Zavala in Popovo Polje, von Rudolf von Ottenfeld 415
Aus dem Innern der alten orientalisch-orthodoxen Kirche in Sarajevo, von Rudolf
Bcrnt 417
Begova Dzamija in Sarajevo, von demselben 419
Aus dem Innern der Aladza-Moschee in Foca, von Hugo Charlemont 421
Kursumli Medresse (Schule) in Sarajevo, mit einem Detail aus dem Hofe, von
Rudolf Berut 423
Die Sinan Tekija (mohamedanisches Kloster) in Sarajevo, von demselben ..... 425
Das alte türkische Bad in Sarajevo, von demselben 426
Äußeres der katholischen Kathedrale in Sarajevo, von demselben 427
Das mohamedanische Casino in Sarajevo, von Julius von Hary 429
Das Vereinshaus in Sarajevo, von K. Parik 430
Die Scheriat-Richterschule in Sarajevo, von Karl Panek 431
Das neue Rathhans in Sarajevo, von B. Knopfmacher 433
Holzschnitzereien, von Rudolf Bernt 435
Feldarbeit mit dem bosnischen Pflug, von Emerich Revesz 437
Altbosnischer Erntewagen, von demselben 439
Bosnische Rinder, von Hugo Charlemont 443
Das Anfädeln der Tabakblätter in der Hercegovina, von Paul Joanowits - - - - 447
Bosnische Pferde: veredeltes bosnisches Pferd, Original-Araber und ein Tragthier,
von Rudolf von Ottenfeld 449
Landwirtschaftliche Station in Bntmir bei Jlidze, von Rudolf Bernt 453
Beim Rakija-(Slivovitz-)Brenncn, von Bela Csikos (autotypische Reproduktion in
Zink) 459
Weinlese in der Hercegovina, von Paul Joanowits 461
Falkenjagd: das Werfen des Sperbers auf Wachteln, von Ewald Arndt-Ceplin - 473
Harpunenfischerei auf dem Pliva-See, von Ladislaus Pataky 475
Altbosnisches Eisenwerk in Bares, von demselben 481
Motiv ans dem Salzwerk in Dolnja-Tuzla, von Zygmunt Ajdukiewicz 483
Turbinenmühle bei Sarajevo, von Hugo Charlemont 489
Mühlen am Plivaflnsse, von Zygmunt Ajdukiewicz 491
Faßdaubeuerzeugung in Bosnien, von demselben 495
MM
Floßfahrt auf der oberen Drina, von Hugo Charlemont
Von der Zahnradbahn über den Jvansattcl: Lukasschlucht, unterhalb ein Detail des
combinirtcn Gestänges, von Rudolf Bernt
Kunststraße mit Karawane, von demselben
Kupferschmied in Mostar, von Rudolf von Ottenfeld
Keramische Objecte ans Bosnien, von Hugo Charlemont
Teppiche und Stickereien, von Rudolf Bernt
Objecte der Metallindustrie, von Hugo Charlemont
Kunstgewerbliches Atelier der Regierung in Sarajevo, von Emerich von Revesz - -
Aus einem Teppichwebe-Atelier in Sarajevo, von demselben
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——
Gosmer unv Hercegoocen
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Bosnien und Hercegovina.
1*
Geographische Übersicht.
cige und Eiutheilung des Landes; Bevölkerung. — Bosnien und
die Hercegovina bilden den nordwestlichen Winkel der Balkan-Halbinsel
und zugleich den Übergang zwischen dieser und dem Alpengebiete. Bosnien
gehört größtenteils dem Donaugebiete, die Hercegovina gänzlich dem
Gebiete des adriatischen Meeres an. Beide Länder, welche schon vor der Occupation
meist vereint waren, bilden auch jetzt ein einheitliches Verwaltungsgebiet. Dasselbe
ist in die sechs Kreise Sarajevo, Tuzla, Banjalnka, Bihac, Travnik und Mvstar
eingetheilt. Der letztgenannte Kreis repräsentirt jetzt die Hercegovina, obwohl sich dieselbe
früher noch weiter nach Osten, besonders auch über den südöstlichen Theil des jetzigen
Kreises Sarajevo erstreckte. Die Kreise sind in Bezirke eingetheilt, deren es 53 gibt,
worunter 3 Stadtbezirke (Mostar, D. Tuzla und Banjalnka). Auch die nach einem
besonderen Statute organisirte Hauptstadt Sarajevo bildet gewissermaßen einen Stadtbezirk
im gleichnamigen Bezirke. Einige der größeren Bezirke haben auch politische Expositnren
nach Bedarf. Die judicielle und finanzielle Eiutheilung des Landes fällt mit der politischen
zusammen, mit der einzigen Ausnahme, dass dort, wo es ein Stadt- und ein Land -
bezirksamt gibt, nur ein gemeinschaftlicher Gerichts- und ebensolcher Stenerbezirk besteht.
Das Verwaltnngsgebiet von Bosnien und der Hercegovina umfaßt 51.027 Quadrat-
Kilometer und kommt daher an Größe ungefähr seinem östlichen Nachbarlande, dem König -
reiche Serbien (48.600 Kilometer), oder — noch näher — dem Königreiche Böhmen (51.967
Kilometer) gleich.
Die Bevölkerung Bosniens und der Hercegovina beträgt etwas mehr als 1'/- Mil -
lionen Seelen, nach der Volkszählung vom 22. April 1895 1,591.036 Bewohner, welche
der Bodenbeschaffenheit wegen ziemlich ungleich über das Land vertheilt sind.
4
Nach ihrer Nationalität gehören die Einwohner Bosniens und der Hercegovina
zum weitaus größten Theile dem südslavischen Stamme an. Eine Ausnahme machen nur
die vor 400 Jahren aus Spanien eingewanderten Israeliten, welche unter sich noch spanisch
sprechen, jetzt 5729 an der Zahl, dann die seit der Occupation ans Österreich-Ungarn
ins Land gekommenen Einwanderer verschiedener Nationalität, und die ebenfalls erst in
neuester Zeit angesiedelten Colonisten aus Deutschland (über 1600 Köpfe). Aber die siid-
slavische Nationalität der Bosnier und Hercegoviner selbst ist keine ganz reine, denn die -
selben sind nicht nur mit dem Blute der (wahrscheinlich illyrischen) Ureinwohner, sondern
auch mit dem osmanischer Türken vermischt, welche sich, in allerdings nur geringer Zahl,
während der 400jährigen Osmanenherrschaft im Lande niedergelassen und mit jenen
zahlreichen Eingebornen, die zum Islam übergetreten waren, verschmolzen haben.
Der mohammedanische Theil der Bevölkerung beträgt über eine halbe Million Seelen
(im Jahre 1895: 548.632), also ungefähr ein Drittel. Unter den übrigen zwei Dritteln
herrschen die orientalisch-orthodoxen Christen vor (673.246). Nach ihnen kommen die
Katholiken (334.142), dann die Israeliten (8213), worunter auch die obenerwähnten
Spaniolen. Protestanten gibt es hier erst seit wenigen Jahren (nach der neuen Volks -
zählung 3596). Dieselben sind fast ausschließlich eingewanderte Colonisten. Die Konfession
wird häufig noch jetzt als Nationalität betrachtet, wie dies im ganzen Orient üblich ist.
Der Beschäftigung nach gehört der weitaus größte Theil der Bevölkerung
(88 Procent) der Landwirtschaft an. Die letzte Volkszählung weist folgende Zahlen aus:
5833 Grnndherren, 88.970 Kmetenfamilien, 86.867 Freibauern, 22.655 Bauern, die
zugleich Kmeten eines Grundherrn und auf einem anderen Grundstücke freie Eigenthümer
sind. Rechnet man die Familienangehörigen dazu, so ergibt sich eine landwirthschaftliche
Bevölkerung von 1,385.291 Seelen, das sind 88 Procent der Gesammtbevölkerung. Die
übrigen einheimischen Bewohner sind hauptsächlich Handwerker und Kauflente, auch Lehrer
und Priester, beziehungsweise Ulemas, d. h. Personen, welche die theologisch-juridischen
Studien des Islams zurückgelegt haben und nun größtentheils als Richter in mohamme -
danischen Familien- und Erbschaftsangelegenheiten verwendet werden. Sonst sind die
Einheimischen unter den gelehrten Ständen noch wenig vertreten; die Repräsentanten
der gelehrten Stände sind größtentheils Beamte, Ärzte, Advocaten, Lehrer, Ingenieure
aus Österreich-Ungarn; doch erhalten immer mehr bosnisch-hercegovinische Jünglinge auf
Universitäten der Monarchie ihre wissenschaftliche Ausbildung — darunter auch manche
Mohammedaner — und treten dieselben bei Staatsämtern und bei der Advocatur ein.
Die städtische Bevölkerung macht in Bosnien und derHercegovina nur einen geringen
Theil aus; es ist aber die Grenze zwischen Stadt und Land hier schwer zu ziehen, denn
es gibt viele große Dörfer, selbst mit mehr als 2000 Einwohnern, und manche kleine Städte
mit weniger als 1000 Einwohnern. Die größten Städte sind Sarajevo mit 38.000,
Mostar mit 14.400, Banjaluka mit 13.500, Dolnja Tuzla mit 10.200 Einwohnern (ohne
das Militär zn zählen); dann folgen 7 Städte mit 5000 bis 10.000 Seelen. Die Vertheilung
der Bevölkerung, die Dichtigkeit derselben (welche im Durchschnitt 31 per Quadrat-
Kilometer betrügt) ist, wie schon bemerkt, eine sehr ungleiche; im Kreise Tnzla kommen
durchschnittlich 40, im Kreise Travnik und in der Hercegovina nur 24 Bewohner
auf 1 Quadrat-Kilometer. Am größten ist die Bevölkerungsdichtigkeit im Nvrdwesten und
in den nordöstlichen Ebenen (bis über 2500 per Quadrat-Meile), am geringsten in den
mittleren Gebirgsgegenden, wo sie unter 500 per Quadrat-Meile herabsinkt.
Geologischer Überblick. — Die geologischen Verhältnisse Bosniens und der
Hercegovina schließen sich im Allgemeinen enge an jene der Südalpen an, nur in der
sogenannten Flyschzone zeigen sich gewisse Ähnlichkeiten mit den Apenninen.
Wenn man von zwei in ihrer Ausdehnung nicht bedeutenden Granitstöcken nicht
genau bekannten geologischen Alters absieht, so sind die Glieder der paläozoischen
Zeit die geologisch ältesten Ablagerungen dieser Länder. Der paläozoische Complex setzt
sich aus Schiefern, Sandsteinen und Kalk zusammen, von denen die ersten die Hauptmasse
bilden; hiezu kommt eine Reihe von Eruptivgesteinen, die an nicht wenigen Stellen
paläozoische Ablagerungen durchbrechen und entweder ihren Lagerungsverhültnissen oder
dem Habitus nach der gleichen Zeit zuzurechnen sind.
Die paläozoischen Ablagerungen bilden gewissermaßen das Rückgrat des Landes, da
sie sich in diagonaler Richtung von Nordwest gegen Südost durch dasselbe hindurchziehen.
Der größte Theil derselben gehört der Kohlenformation an, ist aber wie in den
südlichen Alpen unproductiv, das heißt er führt keine Steinkohlenflötze. Dagegen treten
an zahlreichen Stellen Erze auf; bisher sind Zinnober-, Fahlerz-, Kupferkies-, silberhältige
Bleiglanz-, Realgar-, Mangan- und Eisenerzvorkommen bekannt geworden, die zum
Theil Objecte bergbaulicher Thätigkeit bilden.
Nahezu im ganzen Gebiete folgt, dem Auge sichtbar, auf die paläozoischen Bildungen
die Triasformation; fast durchaus sind die Werfner Schichten das unmittelbare Han -
gende des Paläozoischen, und zwar sehr stark vvrwaltend die charakteristischen rothen
„Werfner Schiefer", die manchmal sandsteinartigen Habitus aufweisen, während die Kalke
des Werfner Niveaus aus den Westen des Landes beschränkt sind. Allseitig umlagert die
Trias mantelförmig die älteren Formationsglieder, und diese charakterisieren sich zum
größten Theil als anticlinale Aufbrüche; nur in wenigen Fällen werden die Aufschlüsse
durch tief eingeschnittene Flußläufe allein bewirkt. Da die paläozoischen schichten zumeist
in langgezogenen Stücken zu Tage treten, ist die Trias beiderseits angelagert. Die heute
bloßliegenden paläozoischen Bildungen waren einst wohl überall von der Trias überlagert,
6
wie die noch vorhandenen Bedeckungen erweisen, die zum Theil kleine Schollen bilden,
zum Theil aber in größeren Complexen das Paläozoicum ganz zum Verschwinden
bringen.
In einer von der Narenta in der Hercegovina gegen Nordost bis nahe an Zvornik
heranreichenden Zone, die Gegend von Sarajevo einbegreifend und die paläozoischen
Schichten vollständig bedeckend, gewinnt die Triasformation die größte Breite, aus welcher
im Südostcn und Osten des Landes die paläozoische Formation wieder auftaucht. An
nutzbaren Mineralien fanden sich bisher in der Trias Bleiglanz, dem eine technische
Bedeutung kaum zukommt, ferner Zinnober, von dem dasselbe gilt. Wichtig sind hingegen
Manganerze und Eisenerze, welch erstere bei Konjica und Cevljanovic in großen Massen
an der Basis der Trias auftreten und Gegenstand intensiver bergbaulicher Gewinnung
sind. Endlich wären noch solche Quellen zu erwähnen, welche auf das Vorkommen von
Salz Hinweisen.
Jurasische Kalke, bisher meist nur nach ihrem petrographischenHabitus als solche
bestimmt/treten vorwiegend im Westen Bosniens und im nördlichen Theile der Hercegv-
vina, ans der Trias lagernd, selbst mehrfach wieder von Kreide überdeckt, zu Tage.
In großer Mächtigkeit ist die Kreidefvrmation entwickelt, einerseits als Kreide -
kalke, die sich der alpinen Ausbildung anschließen. Sie treten im Westen Bosniens auf,
und weitaus der größte Theil der Hercegovina besteht aus ihnen. Im Nordwesten des
Paläozoischen erscheinen sie nur in einem mächtigen Zuge zwischen Banjaluka und Zepce,
in unbedeutenden Resten an der Ostgrenze bei Visegrad.
Der jüngere „Flysch" streicht von Novi-Kostajnica durch Nordbosnien in südöst -
licher Richtung, erreicht in der Linie Olovo-Majevica Planiua seine größte Breite und
gelangt bedeutend verschmälert zwischen Zvornik und dem serbischen Luznica an die Drina.
Auf der südlichen Seite des Paläozoischen erscheinen Flyschbildungen nur als schmaler
Streifen, in welchen von Cemernica nach Nordwesten hin das Ursprungsgebiet der
Narenta eingeschnitten ist. Der „Flysch" gehört aber nur zum Theile der Kreide an, zum
Theil ist er tertiären Alters, und die Grenze bilden selten, z. B. bei Doboj, austretende
eocäne Nummulitenkalke. Der Flyschcomplex besteht aus Mergeln, Sandsteinen, Kalken,
jaspisführenden, kieseligen Schichten und endlich aus großen Einlagerungen von Serpen -
tinen, die aus Olivingesteinen, Olivingabbro und wohl auch aus Hornblendegesteinen
hervorgegangen sind. Diese Serpentinvorkommen sind es, welche den bosnischen Flysch
zu jenen des Apennin und der Kreideformation Griechenlands in nähere Beziehung bringen.
Während aus dem Jura nutzbare Mineralien nicht bekannt sind, treten im Flysch Mangan -
erze im beschränkten Umfange auf. Zahlreich, aber nicht immer ausgedehnt genug für die
bergmännische Gewinnung sind Chromerzausscheidungen in den Serpentinen.
7
Die Tertiärformation ist mit Eocänbildungen im beschränkten Umfange in den
Nummulitenkalken von Doboj, in solchen bei Mostar, ferner in einem langen schmalen
Zuge in der südwestlichen Hercegovina nachgewiesen.
Weit größere Bedeutung als das Alttertiär erlangen die Neogenbildungcn besonders
in Bosnien, weniger in der Hercegovina, und zwar sowohl durch ihre räumliche Ausdehnung,
als auch in Praktischer Hinsicht. Es sind theils Meeres-, theils Süßwasserablagerungcn,
auch fehlt es nicht an solchen brackischen Ursprungs. Das marine Neogen ist bisher nur im
Save-Landschaft bei Bosnisch-Brod.
nördlichen und nordwestlichen Theile Bosniens nachgewiesen; ein Zug streicht von
Kostajnica bis in die Ebene von Gradiska, ein zweiter tritt westlich von Dcrvent an der Save
zu Tage, er läßt sich als schmaler Streifen gegen Südvst bis ins Sprecathal verfolgen.
Abgesehen von kleineren inselförmigen Vorkommen ist ein größeres solches bei Gradacac
und endlich eines zwischen Dolnja- und Gornja-Tuzla hervorzuheben; das letztere ist
seiner Steinsalzführung wegen sehr wichtig. In dein marinen Neogen konnten bisher das
Mediterran, die sarmatische Stufe, und Congerienschichten nachgewiesen werden.
Eine größere Verbreitung besitzen die neogcnen Süßwasserbildungen; sie sind
von großer Bedeutung, weil sie die enormen Kohlenschätze beider Länder enthalten, -sie
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bilden zum Theil lange und breite Züge, so von Prjedor über Banjalnka bis über Kotor-
Varos hinaus, von der Ebene des unteren Vrbasthales bis Tesanj, östlich von Dervent
gegen die Save, im Norden der Majevica von Srebrenik bis gegen Zvornik. Zahlreich
sind in Bosnien und in der Hercegovina die Beckenansfüllungen durch die genannten
Bildungen; mitunter besitzen diese eine sehr beträchtliche Ausdehnung.
Ablagerungen, die man wohl dem Diluvium zurechnen kann, finden sich bis hoch
in die Gebirge hinauf, namentlich am oberen Vrbas, der mittleren Lasva und im Thale
des Fojnicabaches. Sie sind deshalb erwähnenswert!), weil sie reich an Gold waren, und
zur Zeit der Römer, sowie auch später noch verwaschen wurden und die Quelle einer
großen Goldproduction waren. In den Niederungen gegen die Save, namentlich in der
Posavina, lagern gewaltige Alluvialmassen, die allenthalben auch in den Thalweitungen
der größeren Wasserläufe auftreten. Unter den recenten Bildungen sind die Kalktuffe zu
erwähnen, welche an vielen Stellen des Landes auftreten und unter anderem die herrlichen
und merkwürdigen Flußterrassen in der Pliva, zwischen Jajce und Jezero bilden.
An Eruptivgesteinen verschiedensten Alters ist im Lande kein Mangel. Der
Granite wurde bereits gedacht. An zahlreichen Punkten finden sich im Paläozoischen
Quarzporphyre, Diorite und Porphyrite; aus derselben Formation taucht der große
Eruptivstock von Srebrenica auf, der aber wahrscheinlich tertiären Alters ist. Er enthält
Gänge silberhältigen Bleiglanzes, in denen schon zur Zeit der Römer ein schwunghafter
Bergbau umging. Aus der Trias ragt an der Mündung der Rama in die Narenta, und
von dieser durchbrochen, ein interessanter Dioritstock empor. Der zahlreichen und aus -
gedehnten Vorkommen von Serpentin- und Gabbrogesteinen im Flysch geschah bereits
Erwähnung; dazu kommen noch der Trachytkegel von Maglaj und der Andesitkegel des
Dvbojer Schloßberges als besonders auffallende Bildungen.
Der tektonische Bau beider Länder ist complicirt und noch keineswegs erschöpfend
aufgeklärt. Im Allgemeinen herrscht im Nordwesten Bosniens in allen Formations -
gliedern nordwest-südöstliches Gebirgsstreichen vor; während die Gebirgsrichtung im
südöstlichen Theile nahezu senkrecht darauf verläuft. Der Faltungsproceß und weitaus -
reichende Brüche haben wohl schon in der Bildungsepoche der ältesten Ablagerungen statt -
gefunden und bis in die Zeit des Alttertiär fortgedauert. Während dieser langen Periode
waren Bosnien und die Hercegovina vom Meere bedeckt. Das Alter der neogenen
Süßwasserablagerungen ist noch nicht genau festgestellt, aber jedenfalls waren zur Zeit
ihrer Bildung Bosnien und die Hercegovina, wenigstens zum weitaus größten Theile,
aus dem Meere hervorgetaucht. Der Faltungsproceß hat aber mit der Neogenzeit
seinen Abschluß nicht gefunden, denn auch diese Bildungen sind vielfach ausgerichtet
und gestört.
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Ungemein zahlreich sind die Mineralquellen und Thermen verschiedenster Zusammen -
setzung, von denen die Thermen von Jlidze bei Sarajevo, von Banjaluka und bei Banja
nächst Visegrad, die Säuerlinge von Kiseljak und Maglaj, sowie die Arsenquellen bei
Srebrenica zum Theil von Alters her bekannt und berühmt sind.
Äußere Bodenbeschaffenheit. — In einem Gebirgslande wie Bosnien-
Hercegovina wird die Beschaffenheit der äußeren Bodenhülle wesentlich durch die soeben
geschilderte geologische Formation des Untergrundes bedingt. Diese ist in dem nord- und
Karstlandschaft im Kuprelkopolje.
ostwärts der Hauptwasserscheide gelegenen überwiegend größeren Theile Bosniens der
Bildung einer urbaren Oberflächenschichte sehr günstig. Fast überall ist der Felsboden mit
reichlichem Humus bedeckt, und selbst die mit dem Phänomen des Karstes behafteten,
auf dieser Seite der Wasserscheide gelegenen Trias- und Kreide-Kalkcomplexe sind, dank
ihrer Thon- und Mergelhältigkeit, culturfähig.
Geradezu ausgezeichnetes Ackerland bieten die ausgedehnten Alluvionen in den
Niederungen der Save und des Unterlaufes der in dieselbe mündenden bosnischen Flüsse.
Ein ausgebreitetes, fein verästeltes Netz von Quellen, Bächen und Flüssen, unterstützt durch
die günstige Verthcilung ausgiebiger atmosphärischer Niederschläge, sorgt für die reichliche
Bewässerung des Bodens. In diesem Theile des Landes entfallen 32 Procent der
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Alle Temperaturen in Celsiusgraden.
Bodcnfläche auf Äcker, Wiesen und Gärten, 58 Proceut auf Waldland; 10 Pracent sind
Hutweide und unproductiver Boden.
Wesentlich anders gestaltet sich das Bild jenseits der Wasserscheide: in der Herce-
govina mit Ausnahme des Bezirkes Kvnjica, in den bosnischen Bezirken Livno, Zupanjac,
Glamoc und der Expositur Knpres mit nur 17 Procent Äckern und Wiesen und 37 Procent
Waldland. Diesen Gebieten drückt der Karst sein eigenartiges Gepräge ans. Allerdings ist
dieses Phänomen auch ostwärts der Wasserscheide verbreitet, aber nicht in jenen starren, der
Cultur so feindlichen Formen, wie westlich derselben. Hier sind zunächst die dem Karste eigen-
thümlicheu Oberflüchenbildungen der rings umwallten blinden Thäler: der wannenartigen
Vertiefungen (Poljen), und der trichterförmigen Einsenkungen (Dolmen) überaus stark
vertreten. Die Felslehnen entbehren einer zusammenhängenden Humusdecke umsomehr, je
weiter man vom Norden des Gebirges gegen Süden fortschreitet. Hier vermag die Vege -
tation nur in dem, die zahllosen Risse und Spalten des Karstgesteines ausfüllenden rohen
Lehm Wurzel zu fassen. Fruchtbarer Boden in größerem Umfange, theils durch Sedimen-
tirung, theils durch Abschwemmung zusammengetragen, findet sich daher nur in den Sohlen
der Karstthäler, sowie der oftmals weit ausgedehnten Karstbecken (Poljen).
So groß ist der Werth der Culturflächen, daß selbst die nur wenige Quadratmeter
bedeckenden Ansammlungen des rothcn Lehms in den Sohlen der Karsttrichter als kost -
bares Gut gehütet und mit Steinmauern eingefaßt werden, daß ferner dort, wo in den
Karstlehnen der Lehm reichlicher eingebettet ist, das Gestein oftmals durch Anwendung
von Sprengarbeit beseitigt und der übrig bleibende fruchtbare Boden durch Terrassiruug
geebnet wird. Die außerordentliche Erträgnisfähigkeit dieser Oasen im Karstgebiete
lohnt reichlich die aufgewendete Mühe. Der großen Vegetationskraft, welche dem rothen
Karstlehm eigen ist, verdanken die felsigen Karstlehnen, daß sie nicht gänzlich der Sterilität
verfallen und unter dem Schutze entsprechender Vorkehrungen sogar der, durch einen
barbarischen Weide- und Waldbetrieb in früherer Zeit vernichteten Waldvegetation zurück -
erobert werden können.
Klimatische Verhältnisse. — In dem Gebiete, welches von der Save allmälig
zu den 2000 Meter Meereshöhe überragenden Höhen des Kammes der Wasserscheide
ansteigt und dann gegen Süden zum Gestade des adriatischen Meeres rasch abfüllt, sind
auf dem verhältnismäßig geringen Raum von zwei Breitegraden große klimatische
Contraste zusammengedrängt. Bosniens Winter ist von empfindlicher, dem Innern der
Balkanländer eigenthümlicher Strenge. Sarajevo (540 Meter), welches als Repräsentant
der mittleren Lagen des bosnischen Gebirgslandes gelten kann, hat eine durchschnittliche
Januartemperatur von —19 Grad^ zu verzeichnen. An extremen Tagen sinkt das
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Thermometer bis auf —27 Grade herab, während Wien, um 4 Breitegrade nördlicher,
allerdings in nur 200 Meter Meereshöhe gelegen, nur eine Jannartemperatur von
— 16 Grad und seit dem Jahre 1829 als absolutes Minimum nur —25 5 Grad notirte.
Günstiger und annähernd gleich wie in Wien gestaltet sich das Frühjahr (April
mit 9 6 Grad), der Sommer (Juli mit 19 7 Grad), während sich im Herbste (Oetvber
mit 11'4 Grad), der durch die südliche Lage bedingte Wärmezuwachs merklich geltend
macht, so daß auch in den mittleren Lagen der bosnischen Gebirge dem Ackerbau die zur
Reife der werthvolleren Getreidesorten nöthigc Wärme nicht mangelt. Auch die namhaften
Unterschiede der mittleren Jahresextreme (Sarajevo 54'0, Wien 48'0) und die großen
Tagesschwankungen, letztere besonders im Sommer, erinnern uns an das excessive Klima der
Balkanhalbinsel, welches sich noch in der dem Meere nahen Hercegovina fühlbar macht.
Die tieferen Lagen der letztgenannten Provinz weisen unter dem Einflüsse der
warmen Adriaküste schon subtropische Wärmeverhältnisse auf. Die dieses Gebiet charakte-
risirende Station Mostar (64 Meter) erfreut sich einer Januartemperatur von ->-4'9 Grad;
zu Weihnachten im Freien blühende Rosen sind dort keine Seltenheit, wohl aber die
Schneedecke, welche in den wenigen Tagen mit Schneefall sich selten zu erhalten vermag.
Einem warmen Frühlings (April 13'8 Grad), der mit seinem Blütenschmucke um
3 Wochen früher seinen Einzug hält, als in das in der Luftlinie nur 76 Kilometer nord -
östlich gelegene Sarajevo, folgt ein heißer Sommer (Juli 25'9 Grad) mit Maximal-
Temperaturen bis zu 45'8 Grad, und der Herbst besitzt gegen Sarajevo ein Mehr an
Wärme von 5 4 Grad. Diesen Wärmeverhältnissen entspricht auch das Vegetationsbild;
Feigen-, Oliven- und Mandelbäume mahnen an die südlichen Gefilde Italiens. Tabak
und Wein liefern ihre edelsten Products, und das feurige Roth der Granatblüten bringt
stimmungsvolle Abwechslung in das dunkle Grün der südlichen Flora.
Aber auch die höher gelegenen Becken der Hercegovina sind dank dem Einflüsse der
Küste noch mit Wärmegraden ausgestattet, welche sie gegen die gleich hohen Lagen
Bosniens klimatisch sehr begünstigen. In der Nähe von Gacko (960 Bieter), mit einem
wärmeren Wintermittel als Sarajevo und nur um weniges kühlerem Sommer und Herbst,
findet in den gegen Nordwinde geschützten Lagen (Crnieabecken 850 Meter) sogar der
Mais noch lohnenden Anbau.
Mit dem zweiten wichtigen Factor, den atmosphärischen Niederschlägen, ist
Bosnien in reichlichen Mengen und, was für die Agricultnr von besonderer Bedeutung,
in ziemlich gleichmäßiger Vertheilung über das ganze Jahr bedacht.
Die Jahressumme wächst von der Save gegen das höher gelegene Bergland. Sie
beträgt in Sarajevo 80 Centimeter, erreicht und übersteigt 100 Centimeter auf den Hoch-
plateaux von circa 1000 Meter Erhebung. In Sarajevo entfallen auf den Winter
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22 Procent, das Frühjahr 22 Procent, Sommer und Herbst 24 und 32 Procent der
Niederschlagsmenge in 53, beziehungsweise 43, 30 und 37 Regen- und Schneetagen.
Letztere sind auch im Mai keine Seltenheit.
Bedeutend größer ist die Regenmenge in der Hercegovina. Sie steigt ebenfalls mit
zunehmender Höhenlage und mit der Entfernung von der Küste. An letzterer fallen zwischen
dem 43. und 45. Breitegrade 70—100 Centimeter im Jahre, Mostar hat bereits 112,
die höher gelegenen Theile der Provinz bis 182 Centimeter. Überwiegend sind die Herbst -
regen mit 32 Procent der Jahressumme und die einzelnen Regenfälle von großer Inten -
sität. Nebst der großen Trockenheit des Sommers, welcher nur 13 Procent empfängt,
lassen sie auch in dieser Hinsicht den Zusammenhang mit der Mittelmeerküste erkennen.
Die Jahreszahl der Regentage (106) ist wesentlich geringer als in Bosnien, sie
reducirt sich im Sommer, insbesondere in den niederen Lagen, wenn nur die wirklich
ergiebigen Regen in Betracht gezogen werden, auf ein Minimum (4—6). Hierin liegt vom
wirthschaftlichen Standpunkte aus eine der größten klimatischen Schattenseiten der Herce -
govina. Unter dem Einflüsse der Bora ist der Feuchtigkeitsgehalt der Luft im Sommer
ein geringer (Mostar 56 Procent); hohe Wärmegrade trocknen den Boden aus und
befördern die Verdunstung. Die Vegetation bedarf dringend der Anfeuchtung, die ihr die
Natur versagt. Wie überall an den südlichen Mittelmeerküsten findet daher auch in der
Hercegovina die künstliche Irrigation ein ungemein dankbares Feld, sie vermag eine
Vegetation von ganz außerordentlicher Üppigkeit hervorzurufen.
Über diese spannt sich der heitere tiefblaue Himmel des Südens. Während in den
nördlichen Theilen Österreichs im November und December 70—80 Procent ves Firma -
mentes mit Wolken bedeckt erscheinen, sind es in der Hercegovina nur 48 Procent, und wenn
in den erstgenannten Gegenden in den heitersten Monaten noch 45^50Procent des Himmels
verschleiert sind, reducirt sich die Bewölkung in unserem Gebiete auf 22 Procent. Diese
nimmt allerdings gegen das Innere des Landes zu (Sarajevo im Jahresmittel 55 Procent),
bleibt jedoch gegen den Norden zurück, besonders ganz wesentlich im Sommer (38 Procent).
Der Reisende, dem der Anblick der Alpen durch den Wolkenschleier so oft entzogen
und durch häufige Regentage das Reisevergnügen verleidet wird, kann im Sommer mit
Sicherheit darauf rechnen, die Schönheiten der südlichen Natur und der bosnischen Gebirgs-
welt im hellsten Sonnenlichte zu erblicken.
Hydrographische Verhältnisse. — Der das bosnische Gebiet von Nordwest nach
Südost durchquerende mächtige Gebirgswall bildet eine Hauptwasserscheide, die umso auf -
fallender ist, als die dies- und jenseits zu beobachtenden hydrographischen Verhältnisse
ganz wesentlich gegen einander contrastiren. Die trüben Fluten der Save, welche abwärts
von Jasenovac in mächtiger Breite (von 190 bis 500 Meter) die Nordgrenze Bosniens
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bilden, nehmen alle Flüsse der Nord- und Ostabdachung auf und führen sie der Donau,
beziehungsweise dem Schwarzen Meere zu.
Der erste dieser Flüsse ist die an der westlichen Grenze Bosniens auf kroatischen!
Gebiete aus mächtigen Karstqnellen nächst Suvaja entspringende Una, welche nach Aus -
nahme ihres in gleicher Weise entstehenden größten Nebenflusses, der Sana bei Novi nach
218 Kilometer langem Laufe in einer Breite von 190 Meter bei Jasenovac in die Save
mündet. In den streckenweise vorkommenden, das sonst gleichmäßige Gefälle durch reizvolle
Katarakte unterbrechenden Tuffablagernngen verrathen beide Flüsse ihren Ursprung im
Karste. Der nächste bedeutende Nebenfluß ist derVrbas. Er reicht mit seinen Quellen bis
Bosnisches Mittelgebirge zwischen Jajce und Travnik.
unmittelbar an den Kamm der Hauptwasserscheide oberhalb Gornji Bakus. In fast genau
dem Meridiane folgender Richtung strömt er in 253 Kilometer langem Laufe der Save
zu, dieselbe bei Svinjar in einer Breite von 70 Meter erreichend. Unter seinen Zuflüssen
ragt, durch landschaftliche Reize ausgezeichnet, die bei Jajce links einmündende Pliva
hervor. Auch sie entspringt aus Karstschlünden. Die durch Tuffablagerungen entstandenen
Katarakte bei Jezero und Jajce sind noch mächtiger als jene der Una und Sana und
erreichen bei Jajce die Höhe von circa 30 Metern. Der Fluß hat dieselben durch Erosion
zum Theile durchbrochen und stürzt mit 20 Meter hohem gewaltigem Falle in das Bett des
Vrbas. Als wollte die Natur der Pliva keinen der Reize eines Gebirgsflusses versagen,
verbreiterte sie ihr Bett oberhalb Jajce zu einem von pittoresken Felslehnen eingcrahmten
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zwei Quadrat-Kilometer großen Gebirgssee (Plivsko Jezero), dem einzigen größeren Sce-
spiegel des Occnpationslandes. Nächst Banjaluka verstärkt noch die rechts einmündende
Vrbanja den Vrbas, dessen bis oberhalb der Stadt durch großartige Felsdefileen ein -
geschossenes Bett nunmehr in die Ebene tritt, das Gefälle des Gebirgsstromes verliert und
unterhalb Klasnice träge sich hinschlängelnd seine Wassermenge der Save zuführt.
Anders präsentirt sich seine östliche Nachbarin, die Bosna. Weniger ungestüm
im oberen Theile wahrt sie von ihrer bei Jlidze nächst Sarajevo mächtig aus dem Fuße
des Jgmansgebirges hervorbrechenden Quelle in der weiteren, ebenfalls fast genau meri-
dionalen, 275 Kilometer langen Entwicklung ein gleichmäßiges, gegen die Mündung be:
Samac nur allmälig sich verflachendes Gefalle und wächst nach Aufnahme mehrerer
bedeutender Nebenflüsse zu einem bei Modric schon 180 Meter breiten Flusse an. Jene
Zuflüsse sind: am rechten Ufer die Miljacka im Sarajevskopolje, die Krivaja unterhalb
Zepce, die Spreca bei Doboj; links die Lasva nächst Janjic'i und die Usora oberhalb Doboj.
Als letzten und bedeutendsten Nebenfluß der Save besitzt Bosnien die Drina, welche
nach 464 Kilometer langem Laufe in einer Breite von 300 Metern bei Raca mündet. An
diesem Gewässer hat jedoch nicht nur Bosnien Antheil, sondern auch Montenegro mit den
seinen Bergen entströmenden, an der bosnischen Grenze bei Hum zur Drina sich ver -
einigenden Ursprungsflüssen Piva und Tara, ferner die Türkei mit den aus dem sandzak
Novi-Bazar kommenden Nebenflüssen Cehotina und Lim, endlich Serbien, gegen welche«
die Trina unterhalb Visegrad die Grenze bildet. Die Zuflüsse des linken Ufers liegen
ausschließlich ans bosnischem Gebiete und sind nicht besonders erwühnenvwerth.
Die genannten fünf größten bosnischen Flüsse nebst ihren Verzweigungen besitzen
regelmäßig ansgebildete Flußbetten. In ihrem Ober- und Mittelläufe haben sie meist
enge, nur stellenweise zu kleinen Ebenen sich verbreiternde Thalgründe. Im Durchbruche
durch das bosnische Mittelgebirge liegen die Flußsohlen häufig im Grunde enger Defiles,
von welchen manche an landschaftlicher Schönheit und Großartigkeit den berühmtesten
Engpässen der Alpen gleichzustellen sind. Das letzte Viertel bis Fünftel des Laufes sämmt-
licher fünf Hauptflüsse fällt bereits in das gegen die Save zu allmälig sich verflachende
Hügelland. Mit der Annäherung an die Save erweitern sich die Thäler zu mehr oder
minder ausgedehnten, mit dem Savelaufe zusammenhängenden und durch große Frucht -
barkeit ausgezeichneten Ebenen. Dem in Bosnien noch reichlich erhaltenen Waldbestande
ist das geregelte Verlaufen der Hochfluten der bosnischen Flüsse und somit auch die
Vermeidung schädlicher Überschwemmungen zu danken, von welchen nur einzelne Theile
der Save-Niederung durch die Hochwässer dieses Flusses heimgesucht werden.
Die Süd- und Westseite der Hauptwasserscheide fällt zum adriatischen Meere ab.
Von letzterem gehört ein Küstensaum von 19, beziehungsweise 5 Kilometer Länge in den
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Enclaven von Klek und der Sutorina der Hercegovina an, deren übriger Theil durch das
Vorland Dalmatien vom Meere getrennt ist. Dieser Gebirgsseite drückt der Karst sein
charakteristisches Gepräge auf.
Der wichtige Regulator der Wassercirculation, der Wald, bedeckt hier nur spärlich
den meist kahlen, zerrissenen Boden. Die auf letzteren niederfallenden Meteorwässer ver -
sinken unausgehalten in den Höhlen und Spalten des Gesteins und kommen, wenn sie
nicht unterirdisch ihren Weg zur nahen Meeresküste finden, als mächtige Quellen nächst
den Sohlen der Karstthäler und Posten wieder zu Tage. Sie sind besonders zahl- und
Popovopolje bei Zavala.
wasserreich im Frühjahr und im Herbst, wenn die unterirdischen Magazine gefüllt sind
und die Flut der subtropischen Regen sich über das Land ergießt. Dann werden in
wenig Tagen die Betten der Karstflüsse dem Wasserandrang zu enge und selbst viele der
ausgedehnten Posten überschwemmt. An Stelle blühender Wiesen und Äcker breitet sich
Monate lange ein Seespiegel ans, dessen Verschwinden von der Ausnahmvsähigkeit der
unterirdischen Felsklüste (Ponore) abhängt, durch welche allein das Wasser seinen Ablauf zu
finden vermag. Das westlich von der Wasserscheide gelegene bosnisch-hercegovinische Karst -
gebiet zählt 49 Posten mit einem Gesammtflächenraume von 1.573 Quadratkilometern.
Hievon sind 17 mit 957 Quadratkilometern periodischen Überschwemmungen ausgesetzt.
Die tektonischen Abnormitäten des Karstes üben ihre Wirkung auch auf den Verlauf
der Flüsse. Am Rande der abgeschlossenen Kesselthüler und Becken nehmen große, durch
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Erosion erweiterte Felsspalten und Grotten die Wassermengen ausi um sie, nach mehr oder
weniger langem unterirdischem Laufe, mitunter in ganz bedeutend tieferen Horizonten dem
Tageslichte znrückzugeben. Nicht selten wiederholen sich diese Unterbrechungen und lassen den
hydrographischen Zusammenhang der verschiedenen Gebiete nur vermuthungsweise erkennen.
In der Hercegovina erreicht ein einziger, in seiner Hauptrinne normal ausgebildeter
Hauptfluß, die Narenta, in durchwegs offenem 233 Kilometer langem Laufe sein Ziel,
das Meer. In den Flyschcomplexen der Cemernoplanina entspringend, in seiner oberen
Strecke und bis Jablanica aus den Triaskalken und Werfner Schichten, durch normal aus -
gebildete Seitenzuflüsse gespeist, von welchen als wichtigste die auf seiner rechten Seite
mündenden Büche Neretvica und Rama zu nennen sind, tritt er unterhalb Jablanica in
das Gebiet des reinen Karstes. Hier wird sein Wasserreichthum theils durch mächtige
Quellen, welche meist nur periodisch fließend nahe der Flußsohle aus den Thallehnen
hervortreten, theils durch Seitenznflüsse vermehrt, die in ihrem Ursprünge und Verlaufe
bereits die Eigenthümlichkeiten der Karstflüsse besitzen. Von den letzteren sind besonders
zu erwähnen: Am rechten Ufer: Der Trebizat, so benannt in seinem Unterlaufe, während
er im Mittelläufe die Namen Mlade und Tihaljina trägt. Die Tihaljina entspringt
als mächtige Karstquelle 100 Meter tiefer als der nur 2 Kilometer nördlicher gelegene
Rand des 92 Quadratkilometer großen Beckens von Jmotski. Sie ist der durch Ponore
vermittelte Abfluß des im genannten Becken zur Zeit der Regenperiode sich stauenden
Sees von circa 60 Quadratkilometern, im Sommer hingegen nur die Fortsetzung des
dieses Becken durchfließenden Vrlikabaches, im Oberlaufe Suhaja und in seiner im Posusje-
Polje gelegenen Ursprungsflrecke Nicina genannt. Die Längenentwicklnng des ganzen
Flusses beträgt von den Quellen der Nicina bis zu seiner Mündung in die Narenta
115 Kilometer, seine Breite bei Ljubuski 55 Meter. Am linken Ufer tritt die Buna bei
Blagaj nächst Mostar aus einer pittoresken Felsenhöhle und mündet nach nur achteinhalb
Kilometer langem obertägigem Laufe in einer Breite von 110 Meter beim Orte Buna in die
Narenta. Neben der Narenta bildet die Trebinjcica in der Hercegovina das zweite abge -
schlossene hydrographische Gebiet, und zwar mit überwiegend subterrancm, von Nord gegen
Süd gerichtetem Verlaufe. Von den Kämmen und Hochthälern der Hauptwasserscheide
empfängt das nahe der montenegrinischen Grenze gelegene Gackopolje die Wassermenge
mehrerer größerer Bäche und Quellen, die sich zur Musica vereinigend, nach 38 Kilometer
langem oberirdischen Laufe in am Südrandc des Polje gelegenen Ponoren verschwinden.
Bis zu ihrem Wiedererscheinen an der 28 Kilometer südlicher und 600 Meter tiefer
gelegenen Trebinjcicaquelle treten die durch Seitenznflüsse verstärkten Hochfluten nur in
zwei kurzen Intervallen im Crnica- und Fatnica-Becken zu Tage, beide damit unter Wasser
setzend, das letztere sogar bis zu einer Höhe von 29 Metern.
Die von ihrer Quelle aus bereits 40 — 60 Meter breite Trebinjcica verläßt bei
Niederwasser nach 45 Kilometer langem Laufe ihr oberirdisches Flußbett und verschwindet
in den unterhalb Drazindo am Flußrande vorkommcnden Ponoren, um wahrscheinlich als
Omblaquelle nächst Ragusa das Meer zu erreichen. Bei Hochwässern füllt sich jedoch auch
die weitere Fortsetzung des Kesselthales, in welchem die Wassermengen den im Durchschnitt
2—3 Kilometer breiten Thalboden bis zu 27 Metern Höhe überschwemmen und einen See-
Bosnien und Hercegovina. 2
Aus dem bewaldeten Hochgebirge der Crnagora.
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spiegcl von 50 Quadratkilometern bilden, der allmälig durch unterirdische Abzugscanäle
in das Meer sich entleert, möglicherweise aber auch zum Theile in das Narentathal nächst
Metkovic Abfluß findet. Nordwärts des Narentagebietes, in Bosnien, gelangen die
Abflüsse der bosnisch-hercegovinischen Wasserscheide nicht mehr direct, sondern durch
Vermittlung des bereits in Dalmatien.gelegenen Cctinathales ins Meer. Ein Theil der
Hochebene von Kupres speist durch den bei Malovan oberhalb Suica von Ponoren auf-
genvmmenen Miljac-Bach die zwei Kilometer westlich um 150 Meter tiefer bei der Ruine
Strzanj aus dem Felsschlund hervortretcnde Suica, welche wieder durch subterrane Canäle
in das 140 Meter tiefere, 53 Quadratkilometer umfassende Buskoblato gelangt, dasselbe
vom November bis Juli inundirt und dann auf ebensolchen Wegen der Cetina zufließt.
Den folgenden hydrographisch zusammenhängenden Gebieten, dem Glamocer- und
Livnopolje fehlt überhaupt ein einheitlicher Abzugscanal. Diese Poljen liegen in einer
Längenausdehnung von je 45 Kilometern parallel dem Streichen der Gebirgsketten und
zwischen denselben eingebettet. Senkrecht auf ihre Längsrichtung, und zwar von Nordost
gegen Südwest vollzieht sich die Wasserbewcgung, die zur Regenperiode derart zunimmt,
daß während dieser Zeit und vor Inangriffnahme der Entwässerungsarbeiten das ganze
Livanjskopolje in einen See von 295 Quadratkilometer Ausdehnung sich verwandelte.
An drei Hauptpunkten (den Pvnorgruppcn bei Caic, Caprazlije und Kazanci) dringen
die Wässer ins Gebirge und treten in der Furche des Cetinathales wieder zu Tage.
Die hydrographischen Erscheinungen im Karste sind geheimnißvoll und von großem
Interesse, verderblich aber der Culturarbeit des Menschen, der im Sommer mit großem
Wassermangel, im Herbste und Frühjahr mit den nur zu oft den Anbau erschwerenden,
die Saaten vernichtenden Überflutungen der Poljen zu kämpfen hat.
Verkehrslinien. — Den wichtigen Dienst von Wasserstraßen können die Flüsse
Bosniens und der Hercegovina der Eultur nur in sehr beschränktem Maße leisten. Nur
die Drina konnte nach Bewältigung bedeutender technischer Schwierigkeiten von Raca auf
würts bis Zvoruik für kleinere Dampfer schiffbar gemacht werden und dürfte den Verkehr
solcher Fahrzeuge sogar bis unterhalb Visegrad gestatten.
In den Thälern der Flüsse öffnet sich jedoch für trockene Straßen das Herz des
Landes gegen die Grenzen der Monarchie. Von Brod an der Save führt über eine kleine
Wasserscheide, dann von Kvtvrskv an im Hauptthal der Bosna, die von Bahn und Straße
gleichzeitig benützte Hanptrvute nach Sarajevo. Hier endet die Bahn. Die Straße verläßt
das Bosnathal und zieht über Praca, Gvrazda »nd Eajnica znm äußersten vorgeschobenen
Militärpvsten nach Plevlje im Sandzak Novi-Bazar (eigentlich Plevlje).
Vrbasaufwärts durchzieht eine Straße von Gradiska bis Banjalnka die Vrbas
Ebene, durchbricht oberhalb der letztgenannten Stadt bis Jajce das au Naturschönheiten
20
und Bauschwierigkeiten überreiche, 60 Kilometer lauge Vrbas-DeM, gelangt dann den
Ufern des Flusses folgend bis Gornji-Vakuf an den Fuß der Wasserscheide, übersetzt diese
im Makljensattel (1148 Meter) und führt durch das Rama- in das Narentathal.
Entlang der Drina zieht ein Weg über Zvornik nach Fakovic und harrt hier seiner
Fortsetzung durch die Defileen dieses Flusses nach den Städten Visegrad und Gorazda.
Vorläufig zweigt eine Verbindung bei Drinaca ab, verfolgt den gleichnamigen Fluß,
ersteigt bei Vlasenica das Hochplateau der Romanja Planina (1250 Meter) und gabelt
sich bei Pod-Romanja, um einerseits Sarajevo, anderseits über Rogatica und die
Semecplanina (1285 Meter) Visegrad zu erreichen.
Auch der westliche Theil Bosniens birgt seine Hauptverkehrslinien in den Fluß-
thälern: im Thal der Una jene über Dubica, Kostajnica, Novi und Krupa nach Bihac,
im Thal der Sana jene von Novi über Prijedor nach KljuL. Dem Unterlauf der Una und
Sana folgt auch die bei Doberlin auf bosnisches Gebiet übertretende Bahnverbindung
von Agram nach Banjaluka.
Im einzigen normal ausgebildeten Hauptthale der Hercegovina, jenem der Narenta,
öffnet sich für Sarajevo nach Übersetzung der Hauptwasserscheide am Jvansattel (961 Meter)
über Mostar der Weg zum Meere. Der großen Wichtigkeit dieser Verbindungslinie
entsprechend, zieht parallel der Straße auch der Schienenweg.
Die zweite dem Meere zustrebende Verbindung führt über Travnik-Bugojno, das
Hochplateau von Knpres (Velika Vrata 1374 Meter) und Livno an die Küste. Sie findet
in dem von ihr durchquerten Karstterrain keine ihre Trace erleichternden Thalsohlen und
muß die Parallelketten des bosnischen Hochgebirges und der dalmatinischen Küstenberge
(Prolog 1173 Meter) übersteigen. Auch auf dieser Route ist die Bahnverbindung bis
Bngojno bereits ausgebaut, und im Vrbasthale zweigt ein Flügel nach Jajce ab. Dieselben
Hindernisse stellen sich der von Mostar über Nevesinje (Grebaksattel 1091 Meter), Gaeko
(960 Meter), Bilek, Trebinje nach Ragusa führenden Straße, und der nördlichsten Ver -
bindung Bosniens mit Dalmatien, jener von Petrovac über die Crljevica (1042 Meter),
Dolnji Unac, Grahovo und den Stozistesattel (954 Meter) nach Knin entgegen.
830 Kilometer Bahnen, wovon 721 Kilometer der Schmalspur mit 76 Centimeter
Geleisweite angehören, und 3857 Kilometer Straßen durchziehen in den angegebenen
Haupt- und Seitenrichtnngen das Land. Mit Ausnahme der normalspurigen Bahn
Banjaluka—Dobrlin sind sie alle erst unter dem Regime der österreichisch-ungarischen
Verwaltung entstanden.
Fauna und Flora.
Wirbelthiere. — Dem reisenden
Naturfreund, welcher von Mitteleuropa
kommend nicht allein Land und Leute
von Bosnien und der Hercegovina,
sondern auch Flora und Fauna dieses
Gebietes kennen lernen will, ist einer
jener Reisewege anzuempfehlen, welche
das Land von Norden nach Süden,
den Flußthälern folgend, durchschneiden.
Hiebei treten die Gegensätze, wie sie
etwa die Hochgebirge des südlichen
Bosnien oder gar der hercegovinische
Karst bieten, nicht so unvermittelt auf,
und der Reisende folgt unbewußt jener
von der Natur vorgezeichneten Route,
welche Jahr für Jahr von vielen Tausen -
den unserer Wandervogel im Frühjahr
Jnsecten: Saturnia, Ameisenlöwe, ^.scaiapdus, Sxilosoma
xlrreiän, Otiaraxss ^asius.
und Herbst haargenau eingehalten wird. Überschreitet man also, diesen gefiederten Weg -
weisern folgend, an irgend einem Punkte die grenzebildende Save, so findet man anfangs
wenig Unterschied in Thier- und Pflanzenleben von jenem des nördlichen Nachbarlandes.
Überdies haben die energischen Culturbestrebungen der beiden letzten Decennien so mancher
charakteristischen Thierart ihre Existenzbedingungen geraubt, so daß z. B. gerade hier in
der Save-Niederung die Reiher-Siedelungen mit ihren reizenden Bewohnern nahezu
gänzlich verschwunden sind und nur noch im östlichen Winkel nahe der Drina-Mündung
ein bemerkenswertheres Asyl gesunden haben.
Auch das dem Jagdfreund so begehrenswerthe Birkwild ist durch die Ausrodung der
dichten Gestrüppwälder (vukruve) von dort so gut wie verschwunden. Doch sorgen dafür
Storch und brauner Milan allenthalben, der Landschaft ihr Gepräge des Tieflandes
zu wahren, während die Vorberge der Majevica, des Vucjak, der Motajca und der Kozara
mit ihren wogenden Laubwäldern bereits an das weiter südwärts beginnende Mittelgebirge
gemahnen. Ein reicher Reh- und ziemlich guter Hasenstand ist diesen Waldungen anzu -
rühmen, und ganze Rudel halbwilder Schweine durchwühlen den tiefgründigen Boden.
Aber auch Meister Jsegrimm haust hier in nicht zu unterschätzender Anzahl und fordert
seinen Antheil am Heerdenvieh, während er hierzulande niemals dem Menschen gefährlich
wird. Dies sind viel eher manche bösartige Hirtenhunde, deren Stärke und Stattlichkeit
andrerseits wieder bewunderungswürdig ist.
Zur Zeit der Überschwemmung fehlt es in der gesammten Save-Niederung natürlich
nicht an zahlreichem manchmal geradezu massenhaftem Wassergeflügel; dadurch ist für den
Seeadler und anderes geflügeltes und vierbeiniges Raubzeug der Tisch reichlich gedeckt.
Treten später die Überschwemmungswässer zurück, und beginnen die Zweige der Auwälder
zu grünen, so stellen sich nach und nach in großer Zahl die lieben Zug- und Sommervögel
ein. Dann schmettert die Nachtigall allenthalben in den Büschen, schwirrt der Nachtigall -
rohrsänger in den Brüchen, girren unzählige Turteltauben in den Gehölzen, und gegen
Abend hört man das Quarren der unweit brütenden Waldschnepfe.
Je weiter nun der Wanderer nach Süden kommt, desto weniger Ebene findet er.
Die Thierwelt des waldigen Mittelgebirges tritt immer mehr in den Vordergrund. Von
den bewaldeten Hängen streicht der schwarze Waldstorch zur Thalsohle, um nach seiner
Lieblingsnahrung, der hurtigen Forelle, zu fischen, während der Wanderfalke pfeilschnell
den massenhaft vorhandenen Wildtauben nachjagt.
Schon hier begegnen wir an den sonnigen Berglehnen der gefährlichen Sandviper
mit ihrer aufgebogenen Schnauze und auf den höheren Waldgipfeln einer Bosnien eigen-
thümlichen, einfärbig schwarzen Abart der Kreuzotter. Die nun folgende Zone der Eichen -
wälder bietet nicht viel des Eigenthümlichen, doch versteht es sich von selbst, daß die
23
dortigen Schluchten namentlich zur Winterszeit eine Menge Schwarzwild beherbergen.
Untertags tummelt sich hier in den Baumkronen das Eichhörnchen, im ganzen Lande blos
in schwarzer Färbung vorkommend, des Nachts dagegen der gefräßige Siebenschläfer. Die
höheren Lagen krönt schon Nadelholz und dadurch ist dann weiter die Erklärung eines
viel abwechslungsreicheren Thierlebens gegeben. Hier balzt der stolze Auerhahn am
zeitlichsten im ganzen Lande, und zur selben Zeit verrüth das „Trommeln" zahlreicher
Spechte den nahenden Lenz. Unter den letzteren finden wir außer dem Schwarzspecht, der
zum Glück noch ungezählte Jahre keinen Wohnungsmangel empfinden wird, auch eine
charakteristische Balkan-Form: den Lilford- oder Hellenenspecht, und zwar recht häufig.
An den klaren Bergwässern treibt die Bachamsel ihr munteres Spiel und im Gezweige
erfreut uns das ewig bewegliche Meisenvolk.
Ein ganz anderes Bild zeigt das Thierleben in der Nähe menschlicher Ansiedelungen.
Gerade hier macht sich am meisten die Nähe des Orientes geltend und bemerkbar. Es herrscht
nämlich ein inniges Zusammenleben zwischen Mensch und Thier, und Dank dem mohamme -
danischen Glauben ist die Thierwelt seit den ältesten Zeiten bis auf den heutigen Tag
nahezu unverändert geblieben — der Koran wirkte in dieser Hinsicht weit ausgiebiger
als alle Vogelschutzgesetze der modernen Staaten zusammengenommen.
Erst dieCulturarbeit der letzten Jahre hat merklich verändernd indiesespatriarchalische
Bild eingegriffen; aber dennoch haben selbst die größten Städte Bosniens ihre hin- und
herwogenden Dohlenschwärme nicht verloren; es baut die geschwätzige Elster ihr Korbnest
noch ruhig in den Gärten von Sarajevo, und es macht sich's der zudringliche Feldspatz
selbst in den Neubauten bequem. Nur die verwilderten Hunde und der hochintelligente,
scheue Kolkrabe sind aus dem Gebiete der größeren Städte endgiltig verschwunden. Freilich
haben ihre Lieblingsplätze, die früheren türkischen Schlachthäuser, nunmehr modernen
Einrichtungen Platz gemacht.
Die begonnene Wanderung gegen Süden fortsetzend sieht man immer hoher und
höher die Bergmassen sich aufthürinen, während die Wälder sich immer mehr verdichten und
immer größere Landstrecken imZusammenhange bedecken— es sind die eigentlichen Urwälder
Central-und Süd-Bosniens. Fast hat es den Anschein, als ob da wenig Thierleben zu finden
wäre, und doch lebt gerade hier der mächtigste Vertreter der Landesfauna m ungeahnter
Zahl — wenngleich auf großem Flächenausmaße vertheilt — der Bär. Von Natur aus gut-
müthig und größtenteils Vegetarianer, wird er doch ab und zu zum Schrecken der Hirten, die
dann im Verein mit den Behörden und allen verfügbaren Waidgenossen aus der Monarchie
Alles aufbieten, um des armen Petz sammt der officiellen Taglia habhaft zu werden.
Aber auch viele andere Thiergestalten birgt der geheimnisvolle bosnische Urwald.
In seinem düsteren Schatten zeigt sich auch unter Tags die sonst so seltene Habichtseule
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recht oft, und den gimpelartigen Ruf des Sperlingskäutzchens — der kleinsten Eule
Europas — bekommt man hie und da zu hören. Des Abends meldet sich dagegen der
Rauhfußkauz in diesen Regionen; und wenn der einförmige Ruf eines Spechtes mit
eifrigem Hämmern an den verdorrenden Baumleichen die Stille unterbricht, und der
Wanderer dem Geräusche nachspürt, so ist es zumeist der gelbköpfige Dreizehenspecht, der
hier seinen Wohnsitz aufgeschlagen hat.
Aber auch Auer- und Haselwild bevölkern in nicht zu unterschätzender Anzahl alle
hochgelegenen Waldungen des Landes, und als geradezu ständige Staffage finden wir den
zutraulichen Tannenheher, welcher nicht allein im Vereine mit dem Fichten-Krenzschnabel die
Nadelholzzapfen, besonders jene der vier heimischen Kiefcrnartcn, plündert, sondern in schier
endlosen Ketten im Herbste zur Haselnußernte auszieht. Weniger auffallend sind die Klein -
vögel dieser Altbestünde; Hauben- und Tannenmeise, Rothkehlchen und Goldhähnchen, dann
Mistel- und Singdrossel, höher droben die Alpenringamsel sind die wichtigsten Vertreter.
Tritt man dann aus dem immer lichter werdenden Waldgürtel hinaus in die eigent -
liche Hochgebirgsregion, in Bosnien etwa von 1600 Meter, in der Hercegovina von
1700 Meter aufwärts, so finden wir hier wieder ganz neue Thiergestalten. Während von
Säugethieren außer der diesen höchsten Erhebungen eigenthümlichen Gemse, dann einigen
alpinen Mäusen und Fledermäusen wenig zu bemerken ist, beleben mehrere charakteristische
Vogelarten die bosnischen Hochgebirge. Ausdrücklich sei an dieser Stelle hervorgehoben,
daß es im erwähnten Gebiete nicht die geringste Spur weder für das gegenwärtige noch
einstige Vorkommen von Steinbock, Murmelthier, Schneehase und Schneehuhn gibt; eben -
sowenig bevölkert heutzutage irgend ein Gewässer des Landes der Biber.
Doch ist hiefür reichlicher Ersatz vorhanden! Vor Allem ist hier der majestätischesten
Vogelgestalt Europas, des Bartgeiers zu gedenken, welchen man ziemlich regelmäßig
zu Gesicht bekommt, obgleich er in anderen Ländern theils ausgestorben, theils ungemein
selten geworden ist. Den Zinnen der bosnisch-hercegovinischen Grenzgebirge ist er noch
heute eine unvergleichliche Zierde. Aber auch der Charaktervogel der sümmtlichen Balkan -
länder, der Weißkopfgeier, und hie und da auch sein dunklerer nächster Verwandter, der
Kuttengeier, berühren recht häufig die alpine Region. Dennoch ist und bleibt auch hier
der ureigenthümlichste Raubvogel derselben der Steinadler, dessen ausgesprochene Vor -
liebe für junge Lämmer sümmtlichen Hirten so viel Kummer und Sorge bereitet.
Gelbschnäbelige Alpendohlen schwimmen pfeifend und schnalzend in den Lüften,
der Wasserpieper ruft allenthalben, und zwischen den duftigen Alpengräsern huscht die
zierliche Balkan-Ohrenlerche dahin. Auch der Prächtig gefärbte Alpenmauerläufer fehlt
nicht den lothrechten Wänden und zwischen dem Krummholz ertönt früh morgens von allen
Seiten das „Geschepper" des Steinhuhnes und der angenehme Gesang der Alpenbraunelle.
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Wenn sich inmitten des erhabenen Gebirgspanoramas ausgedehnte Grasflächen,
Hochebenen, Hutweiden eingebettet finden, dann bewvhnt dieselben gewiß massenhaft der
geheimnißtwlle Blindmoll, welcher ähnlich dem Maulwurf, Erdhügel an Erdhiigel reiht,
so weit das Auge nur reicht. Er ersetzt hier gewissermaßen das Ziesel, welches unserem
Gebiete vollkommen fehlt.
Während die Sandviper auf die Niederungen und die Hercegovina beschränkt ist,
findet man hier im Gebirge recht häufig die Kreuzotter in mannigfachen Farben -
abänderungen. Von anderen Schlangen seien als die häufigsten ÄsculaP- und Wiirfelnatter,
beide oft in riesigen Exemplaren, hervorgehoben. Als weit nach Norden vorgeschobener
Posten bewvhnt einzelne Gebirgsthäler sogar der griechische Frosch.
Wenn bis jetzt hauptsächlich Formen der mitteleuropäischen Fauna berührt wurden,
so ändert sich das Bild vollständig, wenn man den noch nicht besprochenen Landestheil
— die Hercegovina — betritt. Klima, Thier- und Pflanzenwelt haben hier mediterranen
Charakter, und zwar einen umso strengeren, je näher die betreffenden Gegenden der Küste
zu liegen.
Der Unterschied sowohl in landschaftlicher als auch in thiergeographischer Hinsicht
ist ein so gewaltiger, daß er wohl jedem Reisenden sich aufdrängt, auch wenn demselben
bloß der gedrängte Überblick aus dem Fenster des Eisenbahnwaggons zur Verfügung steht,
und zwar gilt das für alle Jahreszeiten.
Selbst die Gewässer beherbergen fremde, diesen Regionen eigenthümliche Fische,
namentlich zwei köstliche Forellenarten, dann aber auch, sobald wir das Gebiet der
Schlundflüsse und periodischen Karstgewässer berühren, eine ganze Reihe interessanter
kleiner Höhlenfische, die von den Bewohnern in engmaschigen Seidennetzen gefangen, ein
leckeres Gericht abgeben. Der wichtigste Fisch der unteren Narenta-Gegend sammt dem
Utovo blato ist aber für die Bevölkerung unstreitig der Aal, von dem häufig wahre
Prachtexemplare gefangen werden. Unter den Schildkröten fällt hier durch ihre Menge
in den wärmeren Gegenden die griechische Landschildkröte ans, während die gewöhnliche
Wasserschildkröte auch in den Sümpfen ganz Bosniens vorkommt, die caspische dagegen
bloß auf den Sutorina-Bach beschränkt ist. An zwei Stellen (bei Metkovic und bei
Ljubuski) wurde nunmehr auch der Grottenolm festgestellt.
Als sehr bemerkenswerth muss die Ordnung der Echsen bezeichnet werden, und nicht
minder jene der Schlangen. Besonders auffallend in dieser Beziehung ist die große fuß -
lose Eidechse, auch Scheltopusik, in der Landessprache ,blavor« genannt. Obwohl gänzlich
harmlos, erschreckt sie stets den Unkundigen durch ihre bedeutende Größe. Noch größeres
Interesse erweckt bei deni Forscher eine der hurtigen Spitzkopfeidechse nahestehende Art,
welche bisher bloß an einigen Punkten der Bezirke Gacko und Bilek, dann auf dem Berge
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Mosor in Dalmatien, nach welchem sie auch benannt wurde, zu finden ist. Die Zahl der
Schlangen ist eine enorme, und am meisten fallen unter denselben die schöngefärbte
Leoparden-Natter und die zierliche Dahli'sche Natter auf. Alle Schlangen aber, gleichviel
ob giftig oder nicht giftig, bilden für die gesammte Bevölkerung einen Gegenstand
höchsten Entsetzens und Abscheues.
Etwas weniger scharf in den Vordergrund tretend und weniger auffallend sind die
Säugethiere, doch ist in der neuesten Zeit eine unerwartete Meldung über das Erscheinen
des Schakals im hercegovinisch-dalmatinischen Grenzgebiete bemerkenswerth, welches wohl
durch das verhältnißmäßig häufige Auftreten desselben auf der dalmatinischen Halbinsel
Sabioncello zu erklären sein wird.
Ein außerordentlich farbenprächtiges buntbewegtes Bild gewährt das Vogelleben
der Hercegovina.
Man kann stets neue Eindrücke gewinnen, wenn man in dieser Beziehung entweder
den Bewohnern der großen Sumpfgebiete, oder jenen der dürren, steppenartigen Ebenen,
oder der in tropischer Üppigkeit grünenden Culturen, oder denen des eigentlichen Karstes
oder schließlich denen der steilen Felsabstürze sein Augenmerk zuwendet. Den meisten
der letzteren begegnet man schon beim Passiren des großartigen Narenta-DesMs oder
beim allgemein üblichen Besuche des Radobolja- und Buna-Ursprunges. Hier zieht der
ägyptische Schmutzgeier seine Kreise, läßt der Uhu des Abends seinen dumpfen Ruf hören,
und ertönt der melodische Flötengesang des hochgeschätzten „einsamen Spatzen" der
Blaumerle. Hin und her flatternde Felsentauben, ein krächzendes Kolkrabenpaar, dahin -
sausende Alpcnsegler und die Felskanten beständig umschwebende Felsenschwalben, sowie
endlich der ewig lachende, schreiende Felsenkleiber vervollständigen die Scenerie.
Weit weniger, ja oft geradezu spärlich bevölkert finden wir das eigentliche Karst -
terrain mit seiner Trostlosigkeit und Unwegsamkeit. Hier ist es vor allem das schöngefärbte
Steinhuhn, welches allgemeine Beachtung verdient, dann die beiden südlichen, schwarz -
weiß leuchtenden, stets beweglichen Steinschmätzerarten, die Zaunammer und die weiß -
bärtige Grasmücke, deren zarter Gesang aus all dem immergrünen Buschwerk zu hören ist.
Dort wo der Karst von den Fluten der blauen Adria bespült wird, in der Sutorina,
treten dann noch zwei liebliche Sänger auf, deren eigentliche Heimat viel weiter südlich
liegt: das Sammtköpfchen und die Buschnachtigall.
Wenden wir uns hierauf nach den öden, steppenartigen Ebenen des Landes, so finden
wir hier wieder ganz andere Formen, und zwar vor allem die kurzzehige Lerche und den
Brachpieper, während des Nachts der geisterhafte Ruf des Triels (Dickkopf) dessen An -
wesenheit verräth. Tritt infolge besserer Bewässerung etwas mehr Vegetation und namentlich
Baumwuchs auf, so kommen sogleich neue Vogelarten hinzu, so der herrlich singende
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Orpheus-Sänger, der Cetti-Sänger mit seiner kurzen, kräftigen Strophe und namentlich
in den Weingärten die goldige Kappenammer, die jedem Reisenden gerade so unbedingt
auffällt, wie an den Rändern der Gewässer die buntschillernden, pfeifenden Bienenfresser.
So liegt eben auch ein großer Theil des Reizes der lauschigen Gärten von Mostar
in ihren gefiederten Bewohnern: den flötenden Nachtigallen, den geschwätzigen Ölbaum -
spöttern und den girrenden Lachtauben, die von den Türken geradezu heilig gehalten werden.
Gänzlich verschieden von den bisher beschriebenen Regionen nebst deren Bewohnern
und gleichsam eine kleine Welt für sich bildend, erscheinen die hercegovinischen Blato-
(Sumpfsee-) Gebiete.
Fast jedes solche Blato trägt ein eigenes Gepräge; während einige, z. B. das
Mostarsko blato, einen vollkommen freien Wasserspiegel aufweisen, sind andere, wie das
große Utovo, blato größtentheils von einer üppigen Vegetation durchwachsen und bieten so
dem mannigfachsten Wasserwilde willkommene Brutplätze und Deckungen.
Ihren Hauptzweck erfüllen sie im Winter, indem sie einer Unzahl von Sumpf- und
Wasservögeln angenehme Winterquartiere bieten. So kommt es, dass man zur Winterszeit
am anssichtsfreien Mostarsko blato fast alljährlich Hunderte von nordischen Singschwänen
antrifft, während wieder der Fischreichthum des Utovo blato zu bestimmten Zeiten sogar
den krausköpfigen Pelikan vom Skutarisee — seinem nächsten Wohnsitze — zu einem
Besuche veranlaßt. Aber neben diesem Riesen der europäischen Vogelwelt tummelt sich
eine buntgemischte Schaar von Wildenten und Wildgänsen der verschiedensten Arten, als
deren seltenste, wenngleich fast allwinterlich erscheinende Vertreter die korallenrothschnäbelige
Kolben- und die dickschnäbelige Ruderente hier genannt seien.
Den schönsten lebendigen Schmuck erhalten diese Gebiete erst iin Frühjahr mit dem
Einzug der Reiher. Zum Glück besitzt das Utovo blato noch jetzt seine Siedelungen vom
reizenden kleinen Silber-, Rallen-, Purpur- und grauen Reiher, nicht zu vergessen der
Zwergscharbe, welche in großer Zahl sich den Reihern beim Brutgeschäft anschließt und
jeder Landschaft stets ein bestimmtes Gepräge verleiht. Die freie Wasserfläche wird von
Tausenden der schwarzen Wasserhühner und vielen große» Haubentauchern belebt; die
ersteren sind es, welche den See- und namentlich den Schreiadler anlocken. Ihnen und
anderem geflügelten und vierbeinigen Raubzeugs füllt hier reiche Beute anheim. Da wo
das im Wasser stehende Weidengebüsch dicht von dem scharfen Seggengras durchwachsen
ist, ertönt das ganze Jahr hindurch der laute Ruf des Cetti-Sängers, und im Winter gesellt
sich ein selten gesehener Gast hinzu: der zartbefiederte Mariskenrohrsänger. An den Ufer-
ründern und auf den Abhängen überwintern zur Freude der Jäger, zahlreiche Wachteln
und Waldschnepfen und die Nähe des Meeres künden blendend weiße Silbermöwcn an,
welche hier oft ihren Bedarf an Fischen decken.
30
So bietet das Utovo blato ein stets abwechselungsvolles Bild südlicher Vegetation
und südlichen Thierlebens, anziehend für Jedermann, der diese Landschaft besucht.
Die Fauna der wirbellosen Thiere in Bosnien und der Hercegovina ist im
Allgemeinen mitteleuropäisch, nur in der südlichen und westlichen Hercegovina (etwa von
der Dreznica abwärts) finden sich mediterrane Formen.
Die westliche Hercegovina hat nahezu die Fauna des angrenzenden Dalmatien;
littorale Formen finden sich in den hercegovinischen Küstengebieten bei Nenm und
Castelnuovo. Für Südbosnicn sind viele Arten von wirbellosen Thieren, besonders von
Jnsecten, Diplopoden, Chilopoden und Jsopoden, endemisch, das heißt sie gehören
ausschließlich diesem Gebiete an.
Besonders die alpine Region Südbosniensund der Hercegovina ist ungemein reich
an endemischen Arten, die von der Fauna der Alpen sehr abweichen. Die Subterran-
Fanna schließt sich mit ihren Formen im Nordwesten von Bosnien an die croatische
Karstfanna an, während sie in Südbosnien eine ganz eigenthnmliche ist und durch eine
große Anzahl neuentdeckter augenloser Arten, darunter mehrere neue Gattungen,
charakterisirt ist. Die Höhlenfauna der südlichen und westlichen Hercegovina ist ebenfalls
eine ganz eigentümliche, für sich abgeschlossen und besonders durch den Arten-Reich-
thum an augcnlosen Myriopoden (Tausendfüßern) und Jsopoden (Asseln) sehr auffällig
abgegrenzt.
Es lassen sich in Bosnien-Hercegovina vier Faunen-Zonen unterscheiden: 1. Die
nördliche Zone (Nord- und Centralbosnien). 2. Die südbosnische Zone (Südbosnien und
die nördliche und östliche Hercegovina). 3. Die Karstzone (der westliche Theil Bosniens
und Theile der nordwestlichen Hercegovina). 4. Die mediterran-littorale Zone (der
südliche und westliche Theil der Hercegovina).
Es charakterisiren zum Beispiel die abgebildete Heuschrecke (Trixalis irasuta)
die Karstfauna, — (Olraraxes Castus), die Riesenwasserwanze (Leiostoma) und der
große Ameisenlöwe (Laipares iikeUuloiäos) die mediterran-littorale Fauna, während
Satui'ma Laeeigema und 8pilosoma plaeicka, als ausgesprochene Balkan-Formen, Über -
gänge zur Balkan-Fauna darstellgn.
Flora. —Soweit es der heutigeStand der botanischen Durchforschung Bosniens und
der Hercegovina gestattet, soll hier ein allgemeines Bild der Vegetationsverhältnisse dieser
Länder gegeben werden.
Ein Blick auf die orographischen Verhältnisse des Gebietes genügt, um zur
Erkenntnis; zu kommen, daß hier sehr günstige Bedingungen für das Zusammentreffen
verschiedener Floren und dadurch auch zur Entfaltung eines großen Formenreichthums
vorhanden sind. Die dinarischen Alpen, welche einen großen Theil des Landes füllen,
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vermitteln einerseits eine Verbindung mit der centralenropäischen Alpenkette, andrerseitv
mit dem Balkan und den griechischen Hochgebirgen. Dadurch gesellen sich zu den zahlreichen
mitteleuropäischen alpinen Typen auch solche des Balkans und der griechischen Gebirge.
Der gegen das slavonische Tiefland terrassenförmig abfallende Norden und Nordosten des
Landes, sowie die in ihrem Unterlaufe verbreiterten Flnßthälcr der Una, des Vrbas,
der Bosna und Drina bieten für das Eindringen der baltisch-mitteleuropäischen und
pannonifch-pontischcn Flora hinlänglich Raum. Die am Meere gelegenen Gebiete von
Neum-Klek und der Sutorina, der untere Lauf der Narenta, sowie einige an Dalmatien
grenzende Gebiete gehören der mediterranen Flora an. Außerdem tritt in diesen Ländern
vornehmlich in der alpinen Region ein besonderes endemisches Element auf.
Vertreter der baltisch-mitteleuropäischen Flora kommen im ganzen
Gebiete, mit Ausnahme ber verkarsteten Theile der Hercegovina vor. Sie bewohnen
vorzugsweise feuchtere Stellen; Hochwald, schattiges Gebüsche, feuchte Wiesen und die
Nähe des fließenden Wassers überhaupt werden von ihnen bevorzugt; sie steigen über die
subalpine bis in die alpine Region aus. Größere geschlossene Areale in denen sie vorherrschen
bieten die Schiefergebiete Bosniens, so beispielsweise die Bezirke von Fojnica und Kupres.
Auch wo im geschlossenen Kalkgebiete kleinere Schieferschollen auftreten, zeigen sich
dieselben vornehmlich von Vertretern der baltischen Flora besiedelt. Drollius europaeus,
Laltkm palustris, ^.etaea spiaata, Laruassia palustris, iVlalva boroalis, Impations null
tanZars, Oxalis aoetosolla, Lpilolnurn palustra, Lln^sopleniuin altaruikolium,
Sueeisa pratensis, (lirsiuin palustre, 6alluna vulgaris, Vaeeiniurn Vitis läaea,
N^rtillus uliAinosuin, Uirola unillora, kentiana pnounronantlre, Uaris quaärikolia,
luneus lllikormis, Seirpus aeienlaris, Oarex eaneseens, Xaialus strieta, Onorlea
strutlriopteris, Uleelrnum spieant, Uzmopolliuin elavakum und U^eopocliurn sela^o
mögen als Repräsentanten Erwähnung finden.
Die pannonisch-pontische Flora ist es, welche dem Vegetationsbilde von
Bosnien und der Hercegovina sein hauptsächlichstes Colorit verleiht. Lichtes Gestrüppe,
kahle steinige Abhänge, trockene Wiesen und Wälder, sowie die trockenen Hochebenen hält
sie dicht besiedelt. Ihre Waldformation, wie sie am typischesten in der Nordwestecke
Bosniens im Caziner Bezirke entwickelt ist, zeigt in einem grnndbildenden Bestände von
sommergrünen Eichen Horste von Edelkastanien, Wallnußbänmen, Silberlinden und
weiter südlich von Mannaeschen und östlichen Hainbuchen (Oarpirms äuirmnsis). Auch
zusammenhängende Bestände von Wallnuß, Edelkastanien oder östlichen Hainbuchen
kommen in Nord- und Nordost-Bosnien sowie in der Hercegovina vor (Srebrenica,
Konjica, Podhum rc.). Die Formation des Schwarzkieferwaldes ist in der Hercegovina
vor der Jahrhunderte währenden Verkarstung in höhere Lagen zurückgewichen; in Bosnien
33
ist sie hie und da anzutreffen. Von charakteristischen Typen seien folgende erwähnt:
lllolleborus oclorus, biasturtiuru austriaeuiu, Oerastiuru silvalicum, Tilia tcuuoutosa,
Titln ar^sutoa, Ol^o^rrlri^a eolriuata, Trifolium pannouieum, TlWorioum barbat um,
rVeor tatarieum, UorulaFo silvatioa, Suecisa australis, Artemisia auuua, Tel ekln
Zpeoiosn, Ucbium altissimum, Vsrouioa koliosa, OiAitalis lerruAiuaa, Oleoboma
birsuta, Oalamiulba buuFarioa, Scutollaria altissima, 6or^1us colurua, Urilillaria
toualla.
Das Verbreitungsareale der mediterranen Flora bilden der Küstenstrich
von Neum und Sutorina, das Narentathal bis zu den Thalengen nördlich von Mostar,
die Thäler der Bregava und Trebezat bis Stolac und Ljubnski, sowie einige an der
hercegovinisch-dalmatinischen Grenze gelegenen Landstriche und Theile des Trebinjer- und
Ljubuskier Bezirkes.
Äußerst charakteristisch sind die immergrünen Buschwälder, die Macchien; hier
bilden die Steinlinde, der Erdbeerbaum, die Pistazie, die Terebinthe, die baumartige
Haide, die Steineiche und der rothbeerige Wachholder, hie und da auch Lorbeer ein
schier undurchdringliches Dickicht.
Der in unserem Gebiete vorkommende mediterrane Wald wird in der Grundlage
durch sommergrüne flaumhaarige Eichen, worunter als balkanisches Element auch die
macedonische Eiche erscheint, gebildet; die Steineiche, Steinlinde und der Erdbeerbaum
kommen darin nur zerstreut vor.
Einen schonen Anblick im Frühlings gewähren die an lehmigen Abhängen so
ziemlich allgemein im Gebiete verbreiteten Asphodill-Fluren (^spboclolus albus, ramosus
und ^.spboäoliuo liburuiea), und zahlreiche andere Zwiebel- und Knollengewächse
entfalten eine reizende Blütenpracht.
Die Formation der Wiesen fehlt fast ganz. Unter den Cultnrgewüchsen
verdienen der Ölbaum, Feigenbaum, die Granate, die Rebe und der Tabak besondere
Erwähnung.
Neuerer Zeit hat sich speciell im Trebinjer Bezirke die Cultur des Tzuctbrum
oiuorariaokolium, welches zur Bereitung von Insektenpulver verwendet wird, zu entwickeln
begonnen.
Zur Probe der Zusammensetzung der mediterranen Flora sollen hier folgende
Arten angeführt sein: Olsmatis vitieella, Iberis umbellata, Oiantbus ciliatus,
Lerastium oampauulatum, ^.lsiue couterta, Inuum noclillorum, Inuum gallieum,
Nalva nicaeonsis, Taliurus australis. Tistaeia terebiutbus, Trifolium uigresoeus,
Trifolium supiuum, ^rlbrolobium seorpioickes, blippoerepis ciliata, Uuuiea
grauatum, 6arliua eorz-mbosa, Tbill^roa latisolia, Vitex aZuus eastus, Salvia selarea,
Bosnien und Hercegovina. ^
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Ziclsritm roiuana, ^3paraFU3 aeutikolin8, ^.spkoäslinö lutaa, Milium irrarAaritaeaum,
Bblenm tsrnra, ^.agilops 1riari8tata und 1uirip6rn8 ox^eeärrw.
Die alpine Flora. — Die Verbreitung dieser Flora beschränkt sich inselartig auf
die höheren Gebirge des Gebietes.
In Nord-Bosnien erhebt sich kein einziges Gebirge über die Baumgrenze.
In Mittel-Bosnien wären die Klekovaca und Osjecenica des Petrovacer Bezirkes,
die Gebirge der Livnoer Gegend mit dem Cincar, dem Troglav und der Kamesnica, die
Plazenica bei Kupres und der Vlasic bei Travnik zu erwähnen.
In Süd-Bosnien und der Hercegovina ist die Anzahl der höheren Gipfelkämme und
Plateaux eine viel größere. In Bosnien liegen die Vranica, der Zec, die Bjelasnica,
Treskavica, Gola Jahorina, der Klek, Maglic (2388 Meter), und der Volnjak, in der
Hercegovina die Visocica, der Prenj (2102 Meter), die Borosnica (1900 Meter), der
Velez (1968 Meter), die Cvrstnica (2227 Meter), die Plasa (1900 Meter), der Crvanj,
die Bjelaßica rc.
Während sich die alpine Flora Mittel-Bosniens mehr der mitteleuropäischen, speciell
der illyrischen Alpenflora nähert, treten in den Hochgebirgen Süd-Bosniens und der
Hercegovina mit Ausnahme des Zec und der Vranica noch ein balkanisch-griechisches, ein
apenninisches und ein der Flora ein besonderes Localcolorit verleihendes endemisches
Element hiezu. Von mitteleuropäischen alpinen Formen seien hier folgende beispielsweise
angeführt: Gnomons naroissitlora, Bapavar alpiirunr, Oraba alongata, Bolz^ala
alps8tri8, Lorbrm Nou^aoti, Botentilla anrsa, Botairtilla eln3iana, Viola 2o^8Ü,
L.ntliMi8 lac^niirii, Drikoliunr noriaunr, Laxikraga c.rn8tata, Laxikra^a air:oill68,
^.ebillaa Olavanae, Knapbaliuirr Iropxoairrun, bikoiitopoäiirirr alximrnr, BalliclEtrurn
Niebslii, Lriea esriraa, Bboäoäernlron bir8ntum, 1plnu8 viri(li8, InniparuZ 8ibiriea
^8pi6iuni ilAiciniri und ^.8pl6niunr ti88ura.
Von den balkanisch-griechischen Formen, von denen einige auch subalpin Vorkommen,
seien folgende genannt: Barmncnlrm 8arloriairri8, Va-iearia ^raeea, l4lx88um rniero-
carpum, Oiantbrm eruantn8, LilenL elavala, Lilaira Larnltirori, 0<!rsLtiunr grancli-
tloruirr, <4era8tiuirr rnoamaeuna, 66ra8tinirr raotnin, Botairtilla 8xa<:io8a, Bnxborbia
eapitulata, ZaxikraFL oorioxbz'IIa, LaxikraAL baueberit'olia, Nrikoliuirr patulnm,
V6i'ba8ennr Borirmülleri, Innaria p6loiioirira8iaea, Lalurosa illz'rica, Bbairriru3 kallax,
lVeer Uslclreielrii.
Das apenninische Element, obzwar nur schwach vertreten, ist doch genügend in
folgenden Species erkennbar: Oarclanriire Klanaa, Barbaras, brael608a, Br^M
8pmo8a, Botoritilla apanniira, Laclura nraA6ll6ii86, Laxikraga Alaballa und I1ibo8
mnltitloruirr.
35
Das endemische Element, obzwar auch subalpin und mvntan vorkvmmend, wie
z. B.: Larbarea bosniaea, ^.l^ssuin inoellsnckorliannni, Viola boelriana, Ltollaria
gloebickisporma, Viantbns llnappii, Votenlilla inontenoFilna, Lueeisa Votteri,
Leneeio bosniaea, 6enliana s^mpb^anclra, Ltaeb^s Lsncllneri, Oreliis bosniaea,
^eeras oalearata und Oroens vilinae, tritt erst in der alpinen Region charakter-
öerleihend ans.
^.cznilo^ia clinariea, ^eonilnnrbosniaeum, Voronieaprsnsa, Vnpbrasia ckinariea,
lckbinanibus clinarieus, Leropbnlaria bosniaea, Oianlbus lroxnii, kolx^ala prsnsa,
I
!
Krummholz (pjuus uioutunu) IN 1600 Meter Höhe.
Viola prensa, Oenliana clinariea, Laxitraga pronza, Saxikraxa blavii, Vecliaularis
bosniaea, Vsäienlaris searäiea, Oainpannla bereeZoviniea, 6naxbaliunr Vieblsri,
(lrepis clinariea, beueantbernnin eblorolieuin, Ox^lropis prensa, Ox^lropis clinariea,
VlankaAo renikormis und namentlich Vinns leueoclerinis und Vieea omoriea bilden
den schönsten Schmuck der alpinen Region unserer Hochgebirge.
Die bosnisch-hercegovinischen Hochgebirge bestehen meistens aus Kreidekalken oder
aus Triaskalken, welch' letztere in ihren höchsten Kämmen dolomitischer Natur sind.
Andesit (Vvlujakgebirge) und Schiefer (Zec, Vranica) bilden nur selten das geologische
' Substrat.
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Der Vegetationsgürtel unter der Baumgrenze ist gewöhnlich aus Buchen oder
Fichten zusammengesetzt; seltener schiebt sich, insbesondere in Süd-Bosnien und in der
Hercegovina, an der Vegetationsgrenze ein schmaler Gürtel von Schwarzföhren (?inus
ni^ra) oder von weißrindigen Kiefern (kiriris lorwockormis) ein.
Die weißrindige Kiefer, auch Panzerkiefer genannt, ist für die Kreidegebirge der
Hercegovina ungemein charakteristisch. Sie bildet auf der Presliea, am Prenj, auf der
Plasa, Cvrstnica, aus dem Porim und Prislab einen ausgesprochenen Vegetationsgürtel
zwischen 1400 und 1650 Metern Seehöhe; die tiefsten Lagen erreicht sie bei 1200 Metern
auf der Nordseite der Plasa, die höchste bei 1800 Metern oberhalb des Tisovicabodens
in der Prenjplanina. In Süd-Bosnien kommt sie nur auf der Bjelasnica bei Opancac
im Sarajevoer Kreise vor.
Die Bestände aus dieser Coniferenart sind sehr licht und ohne Unterholz; der
Pflanzenwuchs darin besteht aus hartblättrigen Gräsern wie Sestoria illlicta und
Festucaarten; nur in Ritzen der Felsblöcke sowie an feuchteren Stellen des Gesteinschuttes
wuchern üppig Hollo sperina pusillum, Uotsirtilla oarllescons, ^.ellillea abrotairoickos,
^ntllxllis suLHillill, Uckraaantllus serpMikollus u. a.
Einer zweiten wenig verbreiteten Conifere wäre hier der Vollständigkeit halber
Erwähnung zu thun; es ist die auch von serbischen Standorten bekannte Uieaa omoiiea.
Sie bewohnt fast ausschließlich steile Felsabstürze in der subalpinen Region Mittel- und
Süd-Bosniens; Jelec im Focaer Bezirke, Sirovica und Mednaluka im Rogaticaer Bezirke,
einige Stellen an der bosnisch-serbischen Grenze, sowie im Srebrenicas Bezirke sind die
bekannten Standorte unseres Gebietes.
Der Übergang vom subalpinen Waldgürtel zur Alpeuregion ist oft eiu plötzlicher
(in den Triaskalken); andrerseits schieben sich strauchartige Vertreter der Waldregion wie
Buchen und Fichten, sowie jene der Krummholzregion wie Ullamuus lütlax, Irullporus
Sibirien, Uoniearn alpiAona, Uiirus puraillo, kinus nauxllus, Sorbris ekalnaamsspitus
und 8nllx niZrienirs in die Alpenregion hinein.
Kreidekalk und dolomitischer Triaskalk, die vornehmlich unsere Gebirge aufbanen, sind
eher auflösliche als zersetzbare Gesteinsarten; es fehlen daher die feineren Verwitterungs-
producte, die eine leichtere Kolonisation ermöglichen. Auch Wasser ist in der Vegetationszeit
spärlich vorhanden; die Meteorwässer werden rasch aufgesaugt und durch die unterirdischen
Spalten und Risse thalabwärts geführt; hiemit fällt auch ein wenigstens local üppigeres
Wachsthum, welches Quellen und Bäche erzeugen könnten, weg.
Die alpine Region zeigt daher ein Vorwiegen von Felsenpflanze», die in den
Ritzen und Spalten des Gesteines mit wenig Humus vorlieb nehmen. Solche Arten
sind z. B. die weißfilzigcn Cerastien, wie Lorastium lanigorum, iomorckosum, die
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Oamparmla lioroo^oviiriea, mit ihren blaßblauen Blütenglocken, welche beschattete
Felswände teppichartig bekleidet, die Polster der rVi-ormriu A-rg^Hm, lilckraoarcklrrm
Lerp^IIilolius und üitaibelii, deren blaue Blütenglocken fast aus jeder Felsritze hervor -
hängen, Vororüea satursioickos, ^leliLmiila nl^inn, Trikolium norioum, Oalaiuintlra
oroatioa, ^ntli^IIis saeguini, Ltneti^s Zoncitireri, Valsrlaua moirtaua, Lsiroeio
vmiarüaium, ^.sporrckn capitata, Viola prsnsa, 8axitra^a eoriopli^lla, Lsllickiastrunr
Mclrolii, 8eabiosa mlonikolia, kloliairlimmurn alp68tro rc. Die feuchteren Felsritzen
bewohnen mit Vorliebe Helicwpsrma pumllum, Noolrririgia muscosa, 8aroplrularia
bcmuiaca und laeiuiata, ^splsnium tissrim und r^pickiuru rigiäum. In den höchsten
Lagen Prangen kotoirtilla axoiruiira und spseiosa, krimula lritaideliaua, kiraplialium
8upiuurir und pielrlori, Tprtsmmia Villarsii, Oxzckropm prouja und äinariea, liluplrorbia
capitulata, ^.l^ssuirr oviroirso, 8alix rotu3a u. a. Im Felsenschutte wurzeln Oarclamine
flauen, Luniuin alpiuuru, ^.uoruouo balckousm, l^inaria alpina, lckumex 8eutatu3,
Orz-pm 8piirosu, kapavsr alpiuuiu und zahllose Herden Von cklanrmeuirm 8cutatu8
und Ai'ueilm.
Die südbosnischen und hercegovinischen Hochgebirge sind sehr schneereich. In den
Karsttrichtern und Gruben bleiben Schneemassen bis zum Neuschnee liegen. Die Ränder
der Schneefelder werden, abgesehen von den dort spät zur Blüte kommenden Frühlings -
pflanzen wie (!roeu8 lrsutkoliairrm, 8eilla. bilolia, Nuseari toiruikolium, 6or^äali8
tubvro8u rc., von der zierlichen gelbblütigen Viola ?ozmii, den Polstern der 8axikraZm
prorsia, Zlabolla uuck ai2oicks3, der Prächtigen Nelkenart viantlrrm kro^nii, sowie
von Trabis alpina, 8oIckar>6lla alpina, lNautago montana und Vtila3pi alpiuum
umsäumt.
Wo alpine Triften und Matten zur Ausbildung gelangen, insbesondere in Mulden auf
Terrarossaboden, da kommen ^.usmoiro rmreissiklora, Onobr^olim luoutaua, Ox^tropm
uroirtana, Vr^a8 oetopotala, kol^^oiurin viviparuin, diiAritollu auKU8tilolia, ?riiuula
lougillora, ^rirmria cano3e6U8, Koutiaua erispata, 6ontiana ckiirariaa, 6eutiaua
angulo8a, ?ockieulari8 voitieillata, bo8uiaea und 86arckiea, ^.eliilloa liu^ulata, abrota-
nolcl68, 5u8iono orbieulata, l^inum alpürum, eapilaluiu, l^68tuca puri^oirs rc. in
üppiger Entwicklung vor.
In feuchteren gegen die Baumgrenze gelegenen Triften und Matten sind karmieia
86i'bleu, kckairtaAO rsiukormm, ?riirurla intrieata, Viola ckooliuata, 8iIou6 8öucktirori,
l^iiium earuiolieum, lck^psrieum Kieliori, 8axikra»a lrouelrorikolia, 8eoiMU6rL ro8oa,
Orepis ckiirarioa und Orspm moutana die prägnanten Formelemente. Zu den Voralpen -
kräutern gehören ^.eoiütum bo8iriaLUiu, lVlul^ockiuur paneieü und alpiirum, ^utüri8eu8
a1p68tris, Ilumex alpinu8, ^ckeno8t^lo8 albiäa, 86irseio eapitatu3, Ooronieum
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Nslostom» (Riescn-Wasserwanze).
eolnrnrms und nnslriaeuin, Nzurliis oäorntn, Lirsium paneiüorum, ^nnaeelnrn
maeropdMum u. a.
Die verticalen Grenzen zwischen den einzelnen Pflanzenregionen sind in Bosnien
andere als in der Hercegovina, weil in dem letztgenannten Lande eine höhere Jahres -
temperatur herrscht und eine mediterrane Region auftritt.
In Bosnien reicht die alpine Region von 1650 Metern bis circa 2100 Meter,
in der Hercegovina von 1600—1700 Metern bis eirea 2390; die subalpine in
Bosnien von 600—800 Metern bis 1650 Metern, in der Hercegovina von 800 bis
1000 Bietern bis 1600—1700 Metern; die montane in Bosnien von 100 Metern bis
gOO—800 Metern, in der Hercegovina von 200 — 300 Metern bis 800—1000 Metern;
die mediterrane Region in der Hercegovina von 0 bis 200 oder 300 Metern; in
Bosnien ist eine solche nicht vorhanden.
Landschaftliche Schilderung.
on Brod nach Sarajevo. — Dem Vorlande des sich gegen
Norden abflachenden bosnischen Berggebietes setzt die Save eine Grenze.
Sie ist hier die Scheidelinie zwischen der Balkanhalbinsel und dem
übrigen Europa, und damit auch zwischen dem Morgenlande und dem
Westen. Wohl nirgends sonst treffen diese beiden großen Contraste so
unvermittelt, so greifbar aufeinander, wie eben an dieser Schwelle des Orientes. Wenn
noch vor zwei Jahrzehnten die beiden Ufer der Save durch einen Ocean getrennt worden
wären, Bosnien, dieser am weitesten nach dem europäischen Westen vorgeschobene Theil
des islamitischen Machtbereiches, Hütte dem Kaiserstaate an der Donau kaum fremder
bleiben können, als es tatsächlich der Fall war. Damals gaben der flachen Grenz-
Landschaft die Tschardaks ihr Gepräge, die militärischen Posten hüben und drüben. Von
hohen Piloten aus über den Fluß spähend, erzählten sie immerdar von Krieg und Pestilenz,
und bis in unsere Tage hinein lag über diesem Grenzlande noch die ganze Prinz Engen'sche
wilde Kriegs- und Wachtfeuerpoesie gebreitet.
Die Ufer der Save verbindet heute eine moderne Eisenbahnbrücke, und das große
Verkehrsmittel des Westens rasselt bei Brod gleichmüthig über die Bannlinie des Orients
und hält erst inmitten eines großen, geräuschvollen Bahnhoflebens, das sich schon auf
bosnischem Boden abspielt.
Ein kleines Örtchen, das dem ansehnlichen Slavonisch-Brod gegenüberliegende
Bosnisch-Brod, bezeichnet die alte Übcrfuhrstelle. Straßen und Häuser sind renovirt, und die
bescheidenen hölzernen Moscheen ducken sich schier in dem Kreise der neuen, hohen Bauten,
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deren dieser rasch aufstrebende Stapel- und Verladeplatz bedarf. Eindrucksvoll wirkt das
Denkmal am Save-Ufer, an jener Stelle, auf der Franz Josef I. die Huldigung seiner
neuen Unterthanen entgegengenommen: von hohem Steinobelisk hält mit schützend aus -
gebreiteten Schwingen der Doppelaar Auslug in das bosnische Land.
Vereinzelte Baumgruppen, die Reste jener Wälder, die sich einst bis an die Save-Ufer
erstreckten, schmücken diese Einförmigkeit. Auf den mächtigen Pappelbänmen horsten weiße
Störche und Seeadler. Durch den schwarzen, bei nassem Wetter unergründlichen Boden
schleppt sich die Ukrina mühselig durch Moräste und Tümpel, gleich den übrigen kleinen
Wasserläufen. Es ist echtes Überschwemmungsterrain, auf dem die Hälfte des Jahres
über das Wasser stagnirt. Nicht nur die Lebenden erdulden von der Save viel Drangsal,
selbst die Todten verfolgt sie, indem sie ihre Leichname ausschwemmt, wenn diese nicht
weitab gegen die Berge zu geborgen werden können.
Die strohgedeckten Bauernhäuser trachten sich durch hohe Stelzen vor der immer
drohenden Wassergefahr zu schützen, und als Stall benützt man den Raum unter dem
Hause, wo das Vieh an die Pfähle angebunden wird. Was diesen Landstrich aber der
Cultur wiedergibt, das sind die sorgsam bestellten Rübenfelder, zwischen denen das Bahn -
geleise stundenlang dahingleitet.
Wo man der Überschwemmungsgefahr bereits entronnen ist, zeigt sich am Beginn
eines fruchtbaren Wellenlandes das gleichfalls stark modernisirte Dero ent, das sich rühmt,
die billigste Stadt des Landes zu sein. Viele Straßen treffen hier zusammen, einst Neit-
stege, jetzt Chausseen. In der Richtung der „SarchevsLa äLaäa", der einstigen türkischen
Poststraße, beginnt die Bahn allmälig ihren Kampf mit dem Berglande. Vielfach sich
wendend, keucht sie einen breiten Bergrücken hinan, der, aus dem Waldlande der Zupa
daherstreichend, sich zwischen Ukrina und Bosna schiebt, um in der Vucjak-Planina bis
zur Save vorzustoßen. Von der Höhe aus, die bei Han Marica Straße wie Schienen -
geleise erklommen haben, sieht man einerseits die von der Save durchzogenen Niederungen
sich im Norden in der großen ungarischen Tiefebene verlieren, während man im Süden
zum ersten Male die grünen Thäler des Bosna-Flusses erschaut, in welche die Wege nun
rasch hinabeilen. An den als reiche Fundstätte einer ausgestorbenen, submarinen Fauna
geschätztenSandsteinbrüchenvon Velika vorbei, erreicht die Bahn eben dort den historischen
Fluß, der dem Lande den Namen gegeben, wo er, den Engen knapp entronnen, zum ersten
Male eine Neigung zur Armbildung zeigt und kleine, Auen tragende Sümpfe umschlingend,
von nun ab in gemäßigtem Tempo seiner Mündung zuzieht. Aber auch flußaufwärts
bleibt die Gegend noch immer offen: Rüben- und Maisfelder, dazwischen die weiden-
umsüumte Bosna und weiterhin, durch Hügelketten und sanfte Abdachungen angedeutet,
die Romantik des Berglandes.
41
Ein burgbewehrter Felskegel steigt endlich auf: D ob oj. Er war es gewohnt, trotzig
nm sich zu blicken, umschmiegt von den kleinen Quartieren, die seinen starken Schutz gesucht,
umstritten von Feinden, denen er den Weg gesperrt. Und das that er bis in die jüngste
Zeit, wie das eiserne Denkmal der Gefallenen aus dem Occupationsfeldzuge berichtet.
Heute sonnt er sich einzig in der Bedeutung einer schönen Staffage und eines
guten Aussichtspunktes, greisenhaft friedlich zwischen Aufstapelungen von Kohle, Rüben,
Faßdauben und anderen nützlichen Dingen, welche die Bahnlinien diesem Knoten-
Doboj.
punkte zuführen. Über die lange Bosnabrücke kommt von Osten her längs des zwischen
Höhen gebetteten Spreca-Flüßchens, das hier in der Bosna sein Ende nimmt, eines dieser
Geleise aus dem bosnischen Industrieviertel von Tuzla, und etwas weiter mündet die
Waldbahn des Usorathales bei der Station Usora ein. Dieser Name, das einzige, was an
das alte Banat Usora der ungarisch-kroatischen Könige gemahnt, ist zugleich der einer
großen Zuckerfabrik, die sich nicht nur ganz Doboj und dessen Umkreis, sondern auch alle
anbaufähigen Flächen der Posavina botmäßig gemacht hat.
Der direct in das Herz des Landes führende Weg längs des Bosna-Flusses hatte
zu allen Zeiten eine hohe strategische Wichtigkeit und galt auch in der türkischen Epoche
als Hauptroute. Doch die Neigung der Orientalen, die Wege lieber über weitausblickende
Höhen als in den mancherlei Gefahren ausgesetzten Thälern zu führen, andererseits auch
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ihre Hilflosigkeit den Terrainschwierigkeiten gegenüber ließ früher die Straße bei Usora
gegen Westen abbiegen, um erst nach einer längeren Umgehung über Tesanj wieder die
Bosna aufzusnchen.
Bei Trbuk fallen bereits einige Höhen bis zur Bosna vor, ein Felsenthor bildend,
das große Dohlenschaaren kreischend umschwärmen. Auf den Felsengesimsen des Sahin-
kamen, des Falkensteines, dessen Falken vor der Locomotive längst geflohen, blockt jetzt
der mächtige Aasgeier, dieser Charaktervogel des Balkans, auf. So in Stimmung
gebracht, sieht man nun drüben über der kühlen, schnellen Flut der Bosna auf dem
dunklen Grunde schön gegliederter steiler Hänge das wundervolle Reliefbild Maglajs.
Am Flußrande steigt der graziöse Kuppelbau der hochangesehenen und oft von Mekka -
pilgern ausgesuchten Knrsumli-Moschee aus einem melancholischen Mezarlnk (Friedhof)
ans, und die malerische Regellosigkeit orientalischer Häusergruppen verliert sich in dem
Grün der Lehnen. Das Gewirre alter Holzbauten abstreifend, erhebt sich am Flußrand
ein dichtbelaubter Vorberg, ans dem sich eine alte Burg ausbreitet. Schlingpflanzen
nmranken sie; Baum und Busch wächst hoch und höher. Wer sie erbaut, erkämpft, besessen
und verloren — all die Namen hat im gedächtnißlosen Orient der Wind verweht, der
leise zerstörend das Gemäuer umspielt.
Die Thalsohle der Bosna mit ihren raschen Wendungen und immer wechselnden
Scenerien, ihren Städten und der Zier der Schlösser und Burgen, ist nichts als eine
bequeme, hübsche alltägliche Straße im Vergleiche zu den Erscheinungen des lieferen
Innern. Der erste Fluß des Waldlandcs Bosniens, hat auch keinen Wald. Daß jede
Stadt, jede Ortschaft von einer Zone von Holzlosigkeit umgeben wird, ist im Orient
natürlich; die langen Kriegszeiten ließen aber auch an den Straßenzügen allgemach den
Wald ansrotten, und den Nachwuchs fraß das Weidevieh.
Oben allerdings, ans dem Kamme der Begleithöhen, da ändert sich das Aussehen
der Landschaft mit einem Schlage: Wald und Wald, unabsehbar, grenzenlos. Was unten
im Bosnathale förmlich absurd erscheint: daß Bosnien mit einnndfünfzig Procent Wald -
stäche nächst Finnland das waldreichste Gebiet Europas ist, das begreift man hier oben
rasch. Ist das stark coupirte Terrain westlich der Bosna bis zum Vrbas, wie schon
erwähnt, der Waldbereich der Zupa, so braucht man nur die Hänge über Maglaj zu
ersteigen, um auch gegen Osten die Waldeswogen dahinflnten zu sehen. Zuerst Laubholz,
dann die dunkle Kiefer. Doch auch die schönsten Eichen werden aus den schmalen, zur
Bosna führenden Seitenthälern herausbefördert. Aus diesen holen sich die mohamme -
danischen Edelleute von Maglaj, Tesanj und Zepce die Falken zu der heute noch wie im
Mittelalter geübten Jagd, namentlich aus den etwa vierzig Meter hohen Felswänden
nächst Globariea.
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Ein im östlichen Urwaldgebiete weit herum gekommener Fluß, die Krivaja, bricht
sich nun durch die Berge Bahn, an seiner Mündung das große Sägewerk vonZavidovic
mit seinen Holzschätzen beschäftigend. Ganz unvermuthet eröffnet sich dann die Ebene von
Zepce, durch deren saure Wiesen die Bosna sich schlangenförmig durchwindet. Der ver -
sumpfte Boden erzeugt einen an Torfmoor erinnernden heilkräftigen Schlamm, und ihm
entquillt auch ein bei der Bevölkerung in hohem Ansehen stehender Säuerling. Das über -
wiegend mohammedanische Zepce selbst lagert sich um die Ufer der Bosna in geregelten,
Vranduk.
breiten Gassen hin. Seine weißen Häuser lugen wie „Tauben ans dem Hag" aus den
dichten Gärten, die den seltenen „Grünen Fürstenapfel", die köstliche „Srcika" liefern.
Wieder nähern sich die Höhen dem Flusse. Die Bahnescarpen sind den ganzen Sommer
über mit einer nur in Bosnien und auch hier bloß auf dieser Strecke, beobachteten ende -
mischen Pflanze, einer gelben Glockenblume, bedeckt, die namentlich der im Ganzen spär -
licheren Vegetation des linken Ufers zugute kommt. Das Thal wird zu einem Defile; hart
bedrängt krümmt sich die Bosna durch tiefe Buchten. Oben, auf den Firsten beginnt der
krause Wald in das Nadelholz der beiderseits herandrängenden Gebirgsstöcke überzugehen.
In den dämmerigen Schluchten schrillt fortwährend die Pfeife der Maschine. Denn unauf -
hörlich wendet und dreht sich das Geleise. Es dunkelt im Coupe, und wenn der Zug
endlich hält, ist inan in einem engen, tiefen Kessel, dessen Sohle von der Bosna und dem
Bahnkörper vollständig ansgefüllt ist. Das Erdreich der steilen Hänge wird von wahren
Nußbaumwäldern festgehalten. Der geschlossene Ring der Berge, über deren Scheitel die
Sonne selten bis auf den Grund des Kesselthales dringt, umfaßt eine kleine Rückfalls -
kuppe, die mit flußbespültem Felssockel die enge Veste von Vrandnk stützt. Gelbe Lehm -
hütten umklammern sie, sich bis hinaus an die äußersten Abstürze wagend. Unwirsch
starrt der alte Burgberg um sich. Als vollkommenste Thalsperre, als Schlüssel zum oberen
Bosnien, ward er stets viel genannt und sorgsam behütet. Alle Heerführer, von den
bosnischen Königen angefangen bis auf die der Neuzeit rechneten mit Vrandnk; und
trotzdem ließ die Ironie des Schicksals es hier niemals zu einem ernsteren Kampfe kommen.
So hat die dräuendste Veste zugleich die harmloseste Vergangenheit. Verurtheilte Kadis
wurden früher in dieses Waldidyll verbannt, und in dem tiefen Brunnen im Schloßhose
verschmachtete dereinst Osman, nach einem mißglückten Versuche, die schöne Leila, des
Burg-Kapetans Töchterlein, zu entführen — eine bei Burgen gewiß alltägliche Geschichte.
Auch heute bedeutet Vranduk noch immer nichts anderes als ein Dorf, trotz Bahn und
Chausste, welch letztere sich mittelst eines Tunnels durch den Schloßberg bohrt.
Zwischen Steillehnen, an denen zur Zeit der Schneeschmelze Gießbäche in Eascaden
Herunterstürzen, findet man bald einen Ausweg aus den Vranduker Engen, und nun
umziehen die Berge mit einem weiten Kreis das sonnige Becken von Z enica, in dem das
Städtchen wie „die Pupille im Auge" ruht, was schon der Name besagen will. Ein kleiner,
von jeher gewerbsfleißiger, teppicherzeugender Ort, von typisch bosnischem Aussehen:
das Marktviertel, die CarÄja, mit ihren hölzernen Verkaufsbuden, überragt von der
Moschee, und umher die in Pflaumengärten versteckten, regellos gebauten Häuser der
Wohnungsviertel, das wäre Alles. Aber auf dem weiten Plan ringsum ist Neu-Zenica
erstanden, eine Heimstätte der jungen bosnischen Industrie. Dazu prädestinirten diesen
Ort die Lage, der Holzreichthum, die Nähe der großen Eisendistricte und schließlich die
gewaltigen Braunkohlenflötze, die die Humusschicht des Beckens deckt. So entstand das
Kohlenwerk, das große Eisenwalzwerk, dessen Einrichtung sich die modernste Hütten -
technik dienstbar machte, und eine Papierfabrik. Im Westen der Stadt dominirt eine
mustergiltig eingerichtete, ausgedehnte Anstalt, welche neben ihrer Hauptbestimmung
zugleich Industrie- und Gewerbeschule und landwirthschaftliche Station ist, und in diesem
Sinne schon unberechenbar viel Gutes gewirkt hat: es ist die auf dem Principe des
irischen Progressivsystems beruhende Landes-Strafanstalt.
Von Zenica trennt sich die große Heeresstraße endgiltig von Bahn und Fluß, was
sie zwischen Maglaj und Zepce nur vorübergehend gethan, und folgt der alten Richtung.
Sie übersetzt auf langen Serpentinen die im Westen hochansteigende schwierige Vjetrenica,
überschreitet bei Han Kompanija — so nach dem Konsortium Sarajevver Kaufleute
benannt, die in türkischer Zeit den Verkehr über die Vjetrenica leiteten — die Lasva,
sowie die längs derselben nach Travnik führende Flügelbahn und Straße, und läuft dann
geradeaus in einer an vielen Stellen gut cultivirten Mittelgebirgslandschaft über den
Flecken Busovaca und das Bad Kiseljak nach Sarajevo.
Die Bahn aber bleibt der Bosna getreu, was ihr mit dem Anblicke einer ganz
eigenartigen Scenerie gelohnt wird. Gegenüber den schiefrigen senkrechten Wänden des
linken Users, an das sich das Geleise schmiegt, zeigt das rechte Ufer ein sonderbares
Ergebniß des Jahrtausende langen Spieles der Wasserfluten mit dem Mergel und
Sandstein. Bald ist dieses Gestein wie durchsägt, bald gestaltet es sich zwischen dem
Buschwerk zu Thürmen und Spitzsäulen, Mauern und Wällen, zu Riesenpilzen, auf deren
dünnem Strunk eine gewaltige Platte schwebt, zu amphitheatralischeu Auswaschungen
und anderen bizarren Gebilden. Die Felsschichtungen setzen sich auch in dem Flußbette
fort, und über treppenartig gelagerte Steinplatten stürmt das Wasser in schäumenden
Cascaden. Stellenweise schießt es in tiefen Rinnen, die es sich in die felsige Sohle
gegraben, dahin. Diese Kraft wird dann stets für die kleinen, bosnischen Löffelradmühlen
ausgenützt, die sich in dem Busch der schmalen Uferränder verbergen, und von denen steile
Pfade an den Felsen und Grashalden hinauf in die Gebirge führen. Die bedeutende
Hitze zwischen diesen felsigen Hängen erzeugt eine ganz eigenartige Thier- und Pflanzen -
welt, vor allem ungemein viel Schlangen, als deren Begleiter auch der Schlangenadler
hier horstet.
Die Verengungen machten an der Einmündung der Lasva große Felssprengungen
nöthig, um für das hier in völliger Einsamkeit liegende Stationsgebäude Raum zu
schaffen, und die Einleitung des Geleises in das gleichfalls schmale Waldthal der Lasva
zu ermöglichen. Auch weiterhin mußte die Bahn manche Schwierigkeit überwinden.
Kurze, stille Wald- und Felsenthäler zerschneiden häufig die Uferberge. Tie ganze
Gegend macht den Eindruck eines wohlgepflegten Gartens, wird von der Frühlings-
svnne bald wachgeküßt und behält bis spät in den Herbst ihre Frische. Klar und in
ziemlicher Breite fließt die Bosna zwischen schönen, hohen Uferrändern. Wir sind schon
tief in der Zupa Vrhbosna, dem Herzen des Landes. Alles ist vornehm still, wie ein
Privatbesitz. Die rebenumsponnenen Stativnshäuser gleichen kleinen Villen, und das bunte
Volk davor ist gelassen und ruhig, gar nicht wie die Eisenbahn-Passagiere anderwärts.
Die Bahn ist ja auch anders. Die früher so viel belächelte Schmalspur hat nunmehr für-
alle Länder, die seitab vom großen Zuge des Weltverkehres liegen, Schule gemacht.
Millionen an Bau- und Erhaltungskostcn, die anderen Cnlturwerken gewidmet werden
konnten, wurden durch sie dem Lande erspart. Und welcher Reisende fühlte sich nicht
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sofort heimisch in den kleinen, technisch tadellos eingerichteten Waggons, von denen aus
er alle Launen der Bosna so schnell, ruhig und sicher überwinden sieht!
Ein breites Thal, das der Trstivnica, führt von Catici aus in das altbosnische,
königliche Residenzgebiet von Sutjeska und Bobovac. Die Begleithöhen der Bosna
haben sich zurückgezogen; aber dafür steigt hinter diesen ringsum ein gewaltiges Hochland
ausi Es ist historisches Königsland. Anschließend an den das Waldschnepfenlager von
Kolimbare, das beste von ganz Bosnien, beherbergenden Vorhöhenzug, liegt der Kraljevac-
Brdo, der „königliche Berg", als Hintergrund des sehr hohen, weithin blickenden spitzen
Kegels, dessen Buschwerk die Grundmauern der alten Königsburg Visoki verdeckt. Die
Historie spricht von einem Ständetag in Visoki, der Stefan Tvrtko ll. zum Könige aus -
rief. Den Fuß des Schloßberges umgab damals als Hauptstadt des Landes das große,
handelsreiche Podvisoki, wo im Mittelalter der Bosnathalweg endete. Zur Zeit der
türkischen Invasion fand hier eine Massenconversion der Christen statt, und die Bevöl -
kerung erzählt, der türkische Kadi habe schließlich Viele abgewiesen, „da es doch auch
eine Najah geben müsse". Das heutige moscheenreiche Visoko ist ein hübsches moham -
medanisches Städtchen, das seine» Erwerb aus den Lohmühlen und Gerbereien zieht, die
eine höchst malerische Ausstattung des „Königsbaches" bilden, und die ihr gutes Leder
heute noch auf genau dieselbe einfache Weise erzeugen, wie einst im grauen Alterthum.
An großen Lehnenabschnitten läuft die Bahn längs der Bosna weiter. Busch -
bestandene Bodenwellen, soweit das Auge reicht. Diese durchschneidet bei Podlugovi die
in den Eisendistrict Vares führende Flügelbahn, mit dem Stavnja-Flüßchen bald im
Norden entschwindend. Die nächste Station Vogosca entsendet in gleicher Richtung längs
des Ljubina-Wildbaches eine steil ansteigende Moutanbahn nach den Mangangruben von
Cevljanovik. Über dem Buschwalde zeigt sich ein kahler, röthlich grauer Berg, um wieder
zu verschwinden: das Wahrzeichen von Sarajevo, der Trebovic. Jenseits des breiten,
ruhigen Flusses erscheint nun das anmuthige orientalisch-orthodoxe Priester-Seminar
von Hreljevo. Das Thal wird plötzlich weit. Schnell entfernt sich die Bosna von dem
Geleise, sich knapp an die gen Süden streichenden Berge haltend. Eine scharfe Krümmung
der Bahn, nnd da liegt das weite Sarajevsko Polje in seinem Kranze von Bergen, zu
Füßen der ersten Hvchgebirgsbarricre, des Trebovic. Es ist ein herrlicher Rahmen für
die Hauptstadt des Landes, die an den östlichen Höhen gebietend thront.
Sarajevo und seine Umgebung. — Den östlichen Theil des Sarajevsko
Polje umfassen nicht unvermittelt ans den Flüchen aufsteigende Bergmassen, sondern von
diesen sich loslösende Hügelketten. Im Süden liegt die Bergzunge des Mojmilo, in dessen
Mulden die Farne im Herbste brennendroth leuchten; er schließt sich an immer steiler
werdende breite Stufen an, die mit Kuppen und Wände» geschmückt zum grauen Trebovic
WUf
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hinanführen. Im Norden ragen die kahlen, den Beginn der Verkarstung zeigenden Aus -
läufer des Ozren, die sich in großen Wogen herandrängen. Einen Halbkreis beschreibend,
stoßen die Berge nun hart aneinander und gestatten kaum einem bescheidenen Flüßchen,
der Miljacka, einem tiefen, Wuchtigen Einschnitt zu entkommen, um das offene Feld zu
gewinnen. So gestalten die Berge in ihrem Formenreichthum plötzlich einen tiefen Thal -
kessel, der für eine größere Stadt scheinbar keinen Platz bietet. Und eben hier liegt
Sarajevo, die „weiße", die „goldene" Stadt der Bosnier.
Wie groß sie ist, hat noch Niemand auf einen Blick gesehen. Denn sie häuft ihre
Häuser nicht nur auf den Flächen längs des Flusses und klettert die Wandungen des
Kessels hinan, sondern legt sich auch in dessen unzählige Terrainfalten, Vertiefungen und
Wasserrisse. Von welchem Standorte immer man Sarajevo mit einem einzigen Blick
erfassen will, immer bleiben große Theile der Stadt gedeckt, immer zeigt sie sich anders,
immer verbirgt sie etwas von ihrer Ausdehnung.
Bis vor Kurzem war Sarajevo eine Stadt aus einem Gusse, von einem Geist
erzeugt, die erste Stadt der moslemitischen Slaven. Begeisterte Hingabe an den neuen
Glauben drückte der Werdenden ihre Zeichen auf. So ward sie echt türkisch, wie kaum
eine andere, einzig in ihrer Art.
Sarajevo ist ein Monument des türkischen Eroberers, knapp fünfhundert Jahre alt.
Die Jugend der Stadt spricht aus ihren Zügen. Inmitten der Häuserchaos sieht man noch
alte Baumgruppen, die Neste jener Bestände, die dem türkischen Emporium gewichen. Die
morschen Ulmen der Hadschi-Jdris-Mahala und des Bjelava-Viertels, die Edelkastanien
längs der ganzen gen Süd blickenden Bodenwellen sahen noch die frühere Zeit. Die
Quartiere auf den Hängen theilen Felder und Wiesen, und üppige Obstbäume füllen die
Hofräume und die versteckt liegenden Gärten. Die engen, gewundenen Gassen mit den
dicht aneinander gedrängten Häusern durchstreifend, erblickt man außer auf den ungezählten
Friedhöfen selten einen Baum; aber von einer Höhe gesehen ist Sarajevo zur Sommer -
zeit im Grün versunken, während die Steinstanken der Berge gelbgrau und braun in
dem südlich grellen Sonnenlichte brüten. Im Frühlinge, zur Zeit der Pflaumenblüte,
legt der junge Lenz seinen blendendsten Schmuck auf dieses Städtebild, dem auch der graue
Winter nichts anzuhaben vermag. Denn dann zeigt die Stadt unverhüllt ihren graziösen
Bau. Von den hohen Ufern der die Stadt der Länge nach in zwei ungleiche Hälften
theilenden Miljacka steigt sie fast im Kreise auf. Die flachen Dächer mit ihrer schweren
eigenartigen Ziegellage erheben sich etagenförmig übereinander, und unter diesen lugen
die weißgetünchten Häuser mit ihren hölzernen, meist von der Straße abgewendeten Erkern
und Nischen hervor, die sonst von Baumwipfel und Rebengeranke verhüllt werden. Die
kahlen Berglehnen deckt freundlich die glitzernde Schneedecke, und in dem reinen Blau
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Bosnien und Hercegovma.
zieht der weißköpfigc Geier seine Kreise über der europäischen Türkenstadt, aus der die
schlanken Palmenschäfte von fünfunddreißig weißen Minarets mit silbergleißenden Spitz-
dächernanfsteigen. Dieauf dem ganzenBalkangerühmten„hundertMoscheenvonSarajevo"
sind keine Fabel, denn die Stadt besitzt heute deren tatsächlich zweinndneunzig, nachdem
einige Jahre früher vier Moscheen Bränden zum Opfer gefallen oder demolirt werden
mußten. Viele dieser Moscheen sind jedoch mit einem gewöhnlichen Ziegeldache versehen,
und haben bloß ein niedriges von den Witterungseinflüssen graugefärbtes Hvlz-Minaret,
das sich in dem Häusergewirr wenig bemerkbar macht.
Sechs von den sieben Stadtbezirken Sarajevos gruppiren sich enge um den siebenten,
der am rechten Flnßufer das Centrum der Stadt bedeutet: das Handelsviertel, die
Carsija. Den Westeingang der Stadt bildet der Kosevobezirk, der sich um den Fuß des
von den nördlichen Höhen losgetrennteu Hnmberges schlingt und in dem Seitenthal der
Kosevo verliert. Daran schließen sich die Bergviertel Bjelava und Kovaci, die bis zu den
verfallenden Mauern des „Grad" reichen. An der Lehne des Pasinbrdo, unterhalb des
isolirten Felsknopfes „Bakije", wo sich der vornehmste mohammedanische Friedhof aus -
dehnt, hängt die stille Oberstadt. Auf den der düsteren Miljacka-Schlucht zugewendeten
Wänden und Riffen halten zwei Bastionen, die alte „weiße" — Jckala genannt — und
die tiefer liegende neuere „gelbe", die Tekovicka Tabija, ihren Auslug. Gegenüber am
linken Flnßufer hält der Bezirk Hrvatin die Vorstufen zu der mächtigen, ein neues Fort
tragenden Draguljac-Kuppe besetzt, zu der, an dem Aussichtspunkte „Kapa" vorüber, der
„Appelweg" führt; und endlich schließt der bis zu den Felswänden des Trebovic hinan -
klimmende Bezirk Bistrik-Cobanija den Ring. Die sieben Bezirke zerfallen wieder in hun -
dertsechs Ouartiere, sogenannte Mahalas, deren alte amtliche türkische Benennungen
ungebräuchlich sind und fast durchwegs vom Volke durch slavische Namen ersetzt wurden.
Diese Benennungen liefern oft einen Behelf zur Erforschung der Localgeschichte.
Urkunden gibt es nicht; die furchtbaren Brände, welche die Stadt oft heimgesucht, ließen
nichts ans uns kommen; Kriege und die oft die ganze Einwohnerschaft niederwüthenden
Pestepidemien verwischten die Erinnerung an historische Ereignisse bis auf wenige
undeutliche Spuren. So viel scheint sicher zu sein, daß jener exponirte Punkt, auf dem
die weiße Bastion steht, von jeher befestigt war. Er trug wohl jene Burg „Vrhbosna ,
von der in den Urkunden als „Varbossanie" oder „Werchbossania" so häufig die Rede ist.
Die Tradition will wissen, daß Mehmed Fatih 1463 auf seinem das bosnische
Königreich zerschmetternden Siegeszuge diesen Punkt eroberte. Er wurde von einem seiner
Heerführer, dem Tatar-Khan Kiraj erstürmt, und von hier aus soll Hodidjed eine zwei
Stunden aufwärts im Miljacka-Defile liegende, damals schier uneinnehmbare Burg,
deren geringe Reste man von der weißen Bastion aus zu sehen vermag, mit Kanonen
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zusammengeschossen worden sein. Eigentlich fiel sic aber durch Berrath. Bon Kljuc und
Jajce kommend, gelangte Mehmed Fatih selbst in das Gebiet der heutigen Hauptstadt
und die Bosnier mögen sich, obwohl schon der König getödtet worden war, noch immer
tapfer gewehrt haben, denn am Eingänge des Kesselthales wurden von ihnen zwei „Hise"
< Abtheilungen) der Osmancn vernichtet. Der Sultan ließ sein Heer hier lagern und
schlug auf dem überaus günstig situirten Curctt-Hügel im heutigen Kovaei-Viertel seine
Zelte auf, umgeben von seiner Leibwache. Hier verblieb er mehrere Monate, und da
auch im Felde der Selamlik abgehalten wird, so zog jeden Freitag das Heer aus seinem
Lager unter Entfaltung des ganzen militärischen Prunkes nach dem „Seraj" (Serail),
dem Sitze des Großherrn, zur Abhaltung des Mittaggebetes und der Heerschau. Daher
stammt der Name der neuen Stadt Bosna-Seraj, und später „Saraj-vo".
Wo der Türke hinkommt, baut er sofort eine Moschee und ein Bad. So that auch
der große Sultan. Die Fläche unter dem Curcic-Bujeg bezeichnte er als das werdende
Handelsviertel und, über die Miljacka eine Brücke schlagend, errichtete er am jenseitigen
Ufer die Hünkiar-Dschami, die Kaiser-Moschee, und daneben das unter der Bezeichnung
Ghasi-Jsa-Beg bekannte Bad.
Von Mehmed Fatih's Bauten erhielt sich am längsten der Begluk am Atmejdan, dem
„Pferdemarkte" und gegenwärtigen Philippovic-Platze, wo auf Befehl des Sultans für
Kiraj-Khan, den Erstürmer Vrhbosnas, ein „Seraj" erbaut wurde, das allen türkischen
Statthaltern als Sitz diente, so lange diese in den alten Zeiten in Sarajevo residirten.
Die einfachen, weitläufigen Baulichkeiten konnten aber, als mit Omer-Pascha die Balis
von Bosnien wieder ihren Sitz in der Hauptstadt aufschlugen, nicht mehr genügen, und
so erbaute Osman-Topal-Pascha nebenan, hinter der Kaiser-Moschee, den hohen luftigen
Konak, der dem Landeschef auch derzeit als Residenz dient. Der morsche Begluk wurde
demolirt, und Mehmed Ruzdi Pascha ließ die große Kaserne dort erstehen, wieder nur
eines jener leichten türkischen Bauwerke, die immer baufällig sind und trotzdem bisweilen
Jahrhunderte überdauern.
Dies ist auch bei der Karawanserai, dem Han Kolobara der Fall, den Ghazi-Jsa-
Beg zu seinem Gedächtnisse in dem im Entstehen begriffenen Handelsviertel gründete. Er
steht noch heute da mit seinen primitiven Ställen, den ächzenden, steilen Treppen und den
krummgebogenen speicherartigen niedrigen Hallen; er genügte nebst einigen unbedeutenden
anderen zu allen Zeiten den Ansprüchen der reisenden Bevölkerung. Während die zwei
Decennien Abendland in Sarajevo sofort nioderne Hotels und Hunderte von Gasthäusern
hervorzauberten, brauchte die türkische Zeit nichts davon.
Jede Mahala hatte bisher einen kleinen Konak, in dem Reisende auf Kosten der
Bewohner des Viertels bewirthet wurden, wenn sie nicht in das nächstbeste Haus sammt
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Pferden und Dienern als Gast eintreten wollten. Die orientalische Gastfreundschaft bedarf
keiner Wirthshänser.
In den ersten fünfzig Jahren machten die bosnischen Statthalter alle Anstrengungen,
die Hauptstadt zu heben. Die Bosnier waren allezeit gottesfürchtig, welcher Religion
immer sie auch angehörten, und liebten fromme Stiftungen. So entstanden früher Klöster,
Kirchen, Schulen, Straßen, und was sonst an Gemeinnützigem nöthig war. Mit diesem
Charakterzuge rechneten die Osmanen, und indem sie einerseits naturgemäß alles Christliche
niedertraten, boten sie anderseits den neuen bosnischen Mohammedanern Gotteshäuser und
fromme Stiftungen in Hülle und Fülle nicht nur in der Hauptstadt, sondern in dem
Mohammedanischer Friedhof in Sarajevo.
ganzen Lande, und viele derselben dienten dem allgemeinen Wohle und nicht ausschließlich
den Mohammedanern. So versorgte Skender-Beg die Stadt mit gutem Trinkwasser, in -
dem er die nordöstlich in den Bergen ober dem Kastell entspringende Moscanica, die
durch die Festung, und gedeckt durch die Carsija fließend, sich inmitten der Stadt in die
Miljacka ergießt, regulirte. Dieses Werk wurde erst kürzlich durch eine groß angelegte
moderne Wasserleitung ersetzt, die auch von dem „edlen Wasser" der Mvstanica gespeist
wird. Die kleinen jetzt überflüssig gewordenen Wasserleitungen für die linksufrigen, im
Entstehen begriffenen Viertel wurden damals gleichfalls begonnen, indem man den
Megara-Bach und die Quellen des bösen Bistrik sich dienstbar machte. Dieser wälzt
ans einem Spalt des Trebovic unaufhörlich Felsblöcke, die ihn umgebenden Häuser
bedrohend, bis zu seiner Mündung bei der Lateincrbrücke hin. An diese Wasserbauten
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erinnert auch der Name der van der großen Kaserne parallel mit der Miljacka bis zur
Skenderija-Brücke führenden Gasse „Terezija", d. i. Wasserwage, weil hier ein Wasser -
thurm den die hölzernen Leitnngsröhren bedrohenden Druck des Wassers wieder aufhob,
ehe er es weitergab.
Der „ruhmreiche" Ghazi-Husref-Beg, der vierunddreißig Jahre als Vezir über
Bosnien herrschte, war darauf bedacht, auch die in die Wälder geflohenen Christen der
Ebene und der Stadt von Sarajevo als Arbeitskräfte wieder zu gewinnen. Er gestattete
den Katholiken den Bau eines Kirchleins am rechten Miljacka-Ufer gegenüber dem Begluk.
Dort stand es, von hohen Mauern versteckt, bis zu dem die innere Stadt einaschernden
Brand im Jahre 1879. Die Wohnhäuser der Katholiken gruppirten sich um ihr
Gotteshaus, und das Quartier erhielt den Namen „Latinluk", Ort der „Lateiner".
Unzweifelhaft wurde auch die alte Erzengelkirche der Orientalisch-Orthodoxen in jener Zeit
gegründet.
Einer kleinen Festung nicht unähnlich, liegt hinter der Carsija am Berghangc,
von einer starken Mauer quadratisch umschlossen, das alte, oft vom Feuer geschädigte
interessante Kirchlein, umgeben von den der Priesterschaft und der Schule dienenden
Gebäuden. Hier im „Varos" erwuchsen naturgemäß die Häuser der Orientalisch-Ortho -
doxen. Westlich der Carsija dominirten demnach die Christen, sowie auch in der von der
Lateinerbrücke abwärts laufenden Galatagasse, der jetzigen Franz Josefs-Straße. Auch
die beiden anderen parallel mit der Franz Josefs-Straße laufenden bedeutenden Gassen,
die sämmtlich unten in der Nähe des Musalaplatzes bei den Stadtpark-Friedhöfen enden,
die Ferhadija und Cemalusa, wiesen in ihren oberen Theilen immer viel christliche Wohn -
häuser auf. Seit neuerer Zeit sind die spanischen Juden hier vorherrschend. Sie wanderten
vor ungefähr zweihundert Jahren (1685) ein und erhielten eine weitläufige Baulichkeit
hart an der Carsija, zu Beginn der Ferhadija und Cemalusa, das „Siawusch-Pascha-
Daira" als Ghetto angewiesen. Diese „Cifuthana", wo ein alter und ein neuer Tempel
steht, war streng abgesperrt, und erst um die Mitte dieses Jahrhundertes begann eine neue
Ära für die Juden mit Omer-Pascha Lattas, der diesen größere Freiheit und das Expan -
sionsrecht in die Stadt verlieh, von welchem sie ausgiebigen Gebrauch machten. Sehens -
werth ist ihr Friedhof auf dem Borakhügel im Westen der Stadt, der absonderlichen Form
der Grabsteine wegen. Die Christen hatten wohl keine abgegrenzten Quartiere, blieben
jedoch in den wechselvollen, unruhigen Zeiten ganz nahe bei einander, und die neue orien -
talisch-orthodoxe Kirche, ein großer ausfälliger Bau, der in den Fünfziger-Jahren in der
mittleren Franz Josefs-Straße entstand, bezeichnte ungefähr die westliche Grenze des von
Husref-Beg gegründeten Christenviertels, welches von den Mahalas der Muhammedaner
vollständig eingeschlossen war.
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Den Zigeunern, Komödianten, den rumclischen Zaptiehs und dem Bodensatz der
Bevölkerung war draußen vor der Stadt die Hiseta- und Schaich-Magribi-Mahala ein -
geräumt worden.
Von den Christen unterstützt und mit der bäuerlichen Bevölkerung in Verbindung
gebracht, sah Husref-Beg rasch den Handel und das Kleingewerbe erstarken. Die Carsija
belebte sich, die unterschiedlichen Händler und Handwerker errichteten sich eigene, von den
anderen gesonderte Zeilen, immer fester knotete sich das Gewirr der Gassen und Gäßchen,
durch die nun das bunteste Leben des Orientes zu fluten begann. Damals wurden hier
Der spaniolische (jüdische) Friedhof in Sarajevo.
auch die Zünfte (Esnafs) nach Stambuler Muster organisirt, die sich bis auf den heutigen
Tag erhielten; und wenn sie auch ihrer Fahnen und Roßschweife, mit denen sie vor den
Veziren ausrückten, und die sie ihren Ausflügen vorantrugen, durch den letzten Krieg ver -
lustig wurden, und manch alter Brauch allmälig außer Übung kam, so hat doch jede der
Zünfte noch immer ihre eigene, mit allerhand Rechten ausgestattete Obrigkeit, und kein
Zunftgenosse versäumt es, beim Öffnen des Ladens den Namen Gottes und den des Schutz -
heiligen seiner Zunft, des „Pir" anzurufen. Im Wechsel der Zeiten ist manches Handwerk
zurückgegangen, so das der Waffenschmiede, der Kürschner und andere mehr; dagegen
sind in den letzten Jahren die Zünfte der Ekmekdzije und Mehandzije (Garköche und
Wirthe), Kavedzija (Kaffeewirthe) und Bakali (Greißler) sehr erstarkt, und gegenwärtig
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beherbergt die Carsija von Sarajevo neununddreißig Zünfte. Sie hat sich überhaupt m
ihrem Aussehen nur wenig geändert, und wie in uralten Zeiten schmettern noch immer
die Pazvandzijas (Nachtwärter) ihre Knotenstöcke gegen das holperige Pflaster, das
„Kaldrma", die Diebe „verscheuchend", und noch im Jahre 1878 war das Schließen
der Läden das Zeichen zum Aufruhr. Zur Tageszeit aber, und wenn Ruhe im Lande
herrscht, da schwirrt und wimmelt es in der Carsija von Stimmen und Gestalten.
Ausrufer, Tragthiere, Käufer und Verkäufer, Neugierige und Besucher aller Art drangen
sich durcheinander. Buntes und originelles Leben herrscht zumal in der Rasirstube, die
hier, wie in anderen Ländern auch als Plauderecken dienen, wo man alles Neue erfährt
und commentirt.
Inmitten der Carsija setzte sich Ghazi-Husref-Beg ein großartiges Monument m
der nach ihm benannten Moschee, deren architektonische Schönheiten an anderer Ltelle
gewürdigt werden. „Sie hat bis Constantinopel nicht ihres Gleichen", meint das Volk
außer in der prächtigen Snlejmanija in Adrianopel." Eine vielhundertjährige Rwsen-
linde breitet über den sprudelnden Sibil ihr duftendes Gezweige, an dem, Gebete
murmelnd, die Gläubigen mit flinken Bewegungen die vorgeschriebenen Waschungen vor -
nehmen, ehe sie in dem mit Alhambramotiven geschmückten und mit kostbaren Teppichen
belegten myrrhenduftenden Heiligthum verschwinden. In den Rosenbüschen ringsum üest
man aus marmornen Leichensteinen das Loblied Gottes, als des einzigen Quells des
wahren und ewigen Lebens, und die Bitte um ein Fatiha. Dort ruht auch der erste
Bürgermeister von Sarajevo in der neuen Ära, Mustafa Beg Fadil Pasic. In den
Öffnungen der alles einschließenden Mauern kauert ein Derwisch, einem verhüllten scheuen
Mädchen einen Liebes-Zapis schreibend. Aus der in der Hofecke lehnenden, rebenum -
sponnenen Volksschule, dem Mejtef, tönt gedämpftes Cantiren - ein Idyll inmitten
des Marktgewühles, in das vom hohen Minaret der Muezzin die frommen Worte ruft,
das Geschrei der Brot- und Buzaverkäufer, das Klappern der Pferdehnfe. den ohrenbetäu -
benden Lärm der Kesselschmiede und all das geräuschvolle Drängen der eifrigen Menschen
übertönend. Der Hof birgt noch genug des Sehenswerthen: das Uhrzimmer, Muvekit-
hana in der Straßenecke, an dessen vier Wänden zahlreiche Uhren aller Art hängen, so
daß jeder Vorübergehende nach der Zeit sehen kann; dann der Wasserofen, der iin
Winter zehn Anslanfhäfen mit warmem Wasser speist; der Arschinstein, der den Kanf-
leuten das richtige Maß weist, und ein Mausoleum. Dieses umschließt des Gründers
Gebeine, der in einem Zuge gegen die Montenegriner in Drobnjak umkam und
dort bestattet blieb, bis seine Schwiegermutter, die Snltanin Valide, beim Vladika m
Cetinje seine Überführung erwirkte. Hier ruht er nun hochverehrt an der Seite des
Murad Beg Vojvoda, von dem das Gerücht geht, er wäre Husrefs Sohn geweM,
den er aber verheimlichte, um sein Leben, welches als das des Kindes einer Sultanstochter
gefährdet war, zu erhalten. Kostbare Tücher decken die Särge, auf denen Turbans ruhen,
fo gewunden, wie es der Todte liebte; vor niedrigen Pulten kauern Koranleser, und der
Luftzug, der aus dem Todtenhain draußen Vogelgezwitscher hereinbringt, spielt mit den
Ftämmchen der Öllampen.
Bosnische Rasirstube.
Zu Sarajevo im weiteren Sinne ist dessen Polje zu rechnen, auf das es mit
seinen Vororten allmülig hinauszurücken beginnt. Von hier gesehen, breitet sich die
Fläche fächerförmig aus, die Gebirgsketten nach Westen znrückdrängend, die, in einem
vollkommenen Halbkreis wie aus einem See auszusteigen scheinen.
Das Sarajevsko Polje zeigt sich zu jeder Jahreszeit anders. So arm dieBerge
ringsum an Wasser, so reich daran ist das Polje, das von zahlreichen Flußlüufen und
Wasseradern durchzogen wird. Deßhalb zeigt es auch im Frühling und Sommer, wenn der
Bergkranz wie leblos in die heiße Sonne starrt, eine üppige Vegetation. Tie Flußründer
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werden von undurchdringlichen Wällen von Schlingpflanzen, Weiden und Lchilf eingefaßt,
und die Dobrinja verschwindet stellenweise ganz unter dem Gewirre ihrer Sumpfpflanzen.
Zwischen dem Netz der außerordentlich fischreichen Wasserlänfe breiten sich die Felder aus,
auf denen Mais von weit über Manneshöhe gedeiht. Als Bergwüsser schwellen diese
Flüsse oft ganz plötzlich an und verwüsten dann den weichen, tiefen Boden, unaufhörlich
ihren Laus verändernd.
Der reiche Pflanzenwuchs verschwindet im Herbste, besonders nach einem heißen
Sommer, sozusagen über Nacht. Leer, licht und von scharfen Linien kreuz und quer durch -
zogen, liegt dann das Polje da. Zwischen den abgeränmten Feldern zeigen sich jetzt
deutlicher die Weiler und Gehöfte, die Landhäuser der Vornehmen aus Sarajevo, die
Kirchleins und Moscheen. Mit sinkender Sonne, wenn die Ernte auf hochbeladenen
Ochsenwagen heinigeführt wird, sieht man oft malerische Gruppen der stattlichen reichen
Bauersleute. Weithin schallt der Erntegesang der Mädchen und Frauen, in deren braune
Stirnen Goldmünzen hineinhängen. Jetzt ist's Zeit für eine ergiebige Wachteljagd. Gibt
es dann einen schneereichen Winter, so füllen sich zur Freude der Jäger die Wasserläufe
mit ungezählten Tausenden von Wassergeflügel, Raub- und Rabenvögeln. Bei dem
Dörfchen Blazuj, das die Mitte des westlichen Bergkreises hält, und wo der nach der
Hercegovina führende Weg, längs dem Zujevina-Gebirgsbach um den Jgman sich
schlingend, in die Gebirge einzudringen beginnt, ist der Wiesenboden mit Mineralsalzen
durchtränkt; an vielen Stellen steigt brodelndes Wasser auf, das im Winter Dämpfe
aushaucht, von denen unübersehbare Schaaren von Wildenten angelockt werden.
Im südlichsten Punkte des Polje stürzt sich die Zeljeznica bei Krupac-Vojkovici
aus einem wilden Felsdefile, das nur von Wenigen ausgesucht wird, und von hier reihen
sich längs des Fußes der compacten Jgmau-Masse geschlossene Ortschaften aneinander.
Bei Glavo-godina zeigen sich bereits ausfallend viele Ouellbilduugen, die sich rasch
mehren. In der Nähe von Blazuj, in einem von dem Athem der Jgmanwälder durch-
dusteten, ewig schattigen Winkel treten plötzlich Hunderte von Quellen an der gleichen
Stelle unter der Berglehne hervor. So wird die Bosna geboren, ein fertiger Fluß schon
an seinem Beginn. Auf seinen ersten Schritten treibt er Mühlen, und alle Flüsse des Polje
macht er sich unterthan, indem er sie auf seinem Laufe bis Hreljevo, wo er in der nörd -
lichsten Ecke des Polje dieses verläßt, nacheinander in sein breites Bett aufnimmt. Niemals
friert dieses zu. Und starrt das Polje von Schnee und Eis, dann erscheint die klare Bosna
smaragdgrün durch die Wasserpflanzen, die ihren Grund decken. Einer überfluteten Wiese
gleicht ihr Bett, und gerne taucht das Vieh hinein, um sich Pflanzen herauszuziehen.
Das Centrnm des Polje wird ungefähr von der imposanten alten Pappelgruppe
angedeutet, die hart an der Dobrinja bei Doglodi steht. Von hier aus sieht man
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land. Zu all den landschaftlichen Reizen hat die Natur dem Sarajevsko Polje freigebig
nach ein kostbares Geschenk in den Schoß gelegt: die Schwefelthermen von Jlidze.
Nahe den Quellen der Bosna. aber bereits hinausgerückt in die sonndurchtrünkte
Ebene bis an die Zeljeznica, finden wir Jlidze in dem breiten Rahmen eines englischen
ungehindert nach allen Seiten den das Polje abgrenzenden Bergkranz: zuerst den busch -
bedeckten Vorbergewall und knapp hinter diesem die in allen Farbeutönen sich zeichnenden
großen Berge, ein lachender, sonniger Erdenfleck, mitten in dem ernsten bosnischen Berg-
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Parkes. Alles ringsum ist Thermalgebiet, und durch die saure Bodenkrume quillt allwärts
Schwefelwasser hervor. Es ist dies keine neue Entdeckung, denn römische Bautenreste
besagen, daß das heilkräftige Wasser schon im Alterthum seine Schätzer fand, und
bedeutende neolithische Funde lassen auf die Bedeutung dieses Ortes selbst in vorgeschicht -
licher Zeit schließen; daß man sogar die halbmythische mittelalterliche Hauptstadt
Vrhbosna hier suchte, ist bekannt. Aber was da auch jemals war, es ging vollständig zu
Grunde in dem letzten halben Jahrtausend, und das heutige Jlidze steht buchstäblich auf
einer neuen Culturschichte, ist eine neue, einheitliche Schöpfung.
Nahezu fünfzehn Jahre der Occnpation gingen hin, ehe man den eigentlichen
Quell gefunden. Erst 1893,. als man in einer ansehnlichen Tiefe eine starke Sinterdecke
durchstieß, stieg zischend eine enorme Wassermasse auf. In einem steinernen Schachte
kocht und brodelt nun die klare, bläuliche Flut, schwere Schwefeldämpfe aushauchend,
die sich in kühlen Nächten zu Wolken verdichten. Die Mächtigkeit des Sprudels, dessen
Ergiebigkeit täglich für Tausende von Menschen hinreicht, und seine thermischen Eigen -
schaften, durch die er sich sowohl bei äußerem Gebrauch, wie durch interne Anwendung
als Heilmittel erweist, werden Jlidze gewiß über kurz oder lang zu einem Welt-
curorte machen.
Der Therme ist eine ganze Reihe der modernsten und zweckentsprechendsten Ein -
richtungen und Anlagen dienstbar: große, mustergiltige Badeanlagen, komfortable Hotels,
gute Restaurants. Der Europäer braucht hier, wo noch vor zwei Decennien das Röhricht
in den Schwefelwassertümpeln wucherte, auf keine seiner verfeinerten Lebensgewohnheiten
zu verzichten, und der Orientale fühlt sich hier nicht minder wohl in dieser Ressource von
Sarajevo. Während der Saison keuchen unaufhörlich dichtbesetzte Localzüge durch das
Polje, und au Festtagen zeigt Jlidze ein buntes ethnographisches Bild, eine wahre
Völkerkarte des heutigen Balkan. Die Bosnaquellen sind mit ihren reizenden Anlagen
eine Dependenz von Jlidze und locken zahlreiche Ausflügler an, gleich den Ortschaften am
Fuße des Jgman. Und wenn das Polje in seinem reichsten Schmucke prangt, dann erwacht
das jenseits der Zeljeznica zwischen Pflaumengärten schlummernde mohammedanische
Dörfchen Bntmir für eine Weile, um sich das fashionable Getriebe auf dem großen
internationalen Rennplätze, der in seiner Gemarkung liegt, zu besehen. Mit seiner Gekurgs-
Decoration und der malerischen Staffage der Einheimischen ist der Turfplatz bei Jlidze
wohl einer der schönsten und interessantesten der Welt.
Nach dem Blick gegen Westen auf die Hochebene wenden wir uns ostwärts, den
Bergen zu. Den weiten Kreis der Sarajevo umgebenden Hochgebirge schließt im Osten der
Glasinac mit der Romanija. Über die abwechslungsreiche Gebirgslandschaft, in welche
die Miljacka-Schlucht hineinsührt, erhebt sich eine natürliche Burg von überwältigenden
Dimensionen. Auf unzugängliche Felsenmauern stützt sie sich um West und Süd: in dem
breiten Thale von Mokro, wie auf der dem tanndurchdufteten Villenorte Pale zugewen -
deten Seite; machtvolle Terrainabstürze sichern sie gen Ost, Rogatiea zu, und an dem
sanfteren Abfall im Norden hält die kalte, finstere Kopito-Planina strenge Wacht. Es ist
ein mitten in die grünen bosnischen Berge eingesprengter titanischer Karstblock, der die
flachen lichten Mulden eines großen Hochplateaus trügt. Die bewaldeten Kamme der
Randberge schließen dieses nrgeschichtliche Weideland vollkommen gegen die Außenwelt
ab, ein wahrhaftes Bollwerk zwischen dem Osten und Westen des Landes, das als solches
zu allen Zeiten eine wichtige Rolle gespielt hat.
Es ist der Burgbann des altillyrischen Hirtenvolkes, über dessen vorgeschichtliches
Leben uns der Glasinae sichere Kunde gibt. Stunden und Stunden wandert man zwischen
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ihren aus Klaubsteinen hergestellten Hügelgräbern hin, an denen zwei Jahrtausende
spurlos vorübergingen, bis der moderne Forschergeist ihren kostbaren Inhalt zu bergen
begann. Zum Schutze ihres uns nur in nebelhaften Umrissen vorschwebenden Daseins,
das, von seinem eigenen Flitter überdauert, längst in Asche zerfallen, warfen sie auf den
Zugängen und isolirten Kuppen Wallburgen auf, welche die Wehr der natürlichen Boden -
bildung noch verstärkten. Und hier blühten und schwanden jene Namenlosen, und aus dem
Dämmer ihrer Zeit blieben außer dem reichen Leichenschmuck kaum einige altillyrische
Ortsbenennungen und verschwimmende Sagenspuren.
Doch so wie dereinst stampfen edle Rosse die Weidegründe, trippeln ungeheure
Schafheerden über die Kalkschollen der Abdachungen. Aus tiefen Brunnen schöpft man
das Wasser für sie, das die Karstlöcher neidisch verschlingen. Pferdekaravanen, mit dem
süßen Glasinacer Heu beladen, ziehen, von übermüthigen Fohlen nmhüpft, bedächtig
einher. Und trägt die dünne, kühle Lust auch den zittrigen Klang des Glöckleins
von Sokolac weithin über die baumlose Ebene, sprechen die hohen, ernsten Menschen
auch die slavische Zunge, so vermögen diese Laute doch nicht den über dem Glasinac
schwebenden melancholischen Zauber des freien altillyrischen Lebens zu stören, dem
der schweigsame Hirte auf seiner Doppelflöte in urzeitlich schwermüthigen Klangfolgen
Ausdruck verleiht.
Die Zinnen und Thürme der Glasinac-Burg werden von der am Südwestende des
Plateaus fußenden Romanija-Planina gebildet, die, von der Hochebene aus nur als
Randerhebungen erkenntlich, den umliegenden tiefen Thälern die volle Pracht ihres
Anblicks gewährt. Wie von Urgewalten aus einem einzigen Block heransgehauen, springt
sie im spitzen Winkel in die Thalgründe vor, und der obere Rand der glatten, stellenweise
überhängenden Felsenmauern deutet gleichzeitig an zwei Orten die Gipfelhöhen der
Planina an. Knapp unter der Baumgrenze gelegen, rauschen Urwaldtannen in den
ungeheuren Karsttrichtern, ein Wirrniß voll von Höhlen und Schlupfwinkeln, das selbst
den Ortskundigen im Kreise nmherirren läßt, der Schauplatz des großen Sagen- und
Liederkreises vom Starina Novak, in dem die südslavischen Helden der Planina ihr
Vorbild, den Begründer der Hajducina sahen.
Das Drinagebiet.— Auch jenseits des Ranjen-Riesenwalles findet man das
grüne bosnische Faltengebirge mit seinen schlnchtigen, schnellen Wasserläufen, seinen tiefen
Thälern und den hoch sich aufbauenden Bergen; auch die Ansiedlungen des Menschen sind
von den anderen nicht verschieden, und dennoch ist das „Podrinje" — das Land an der
oberen Drina — ein eigenartiges Gebiet. Er hat etwas Weltabgekehrtes, dieser südöst -
liche stille Winkel, den das Amselfeld durch die fließenden Wässer grüßt. Ans den Höhen
stehen verfallene Wachthäuser, in den engen Thälern die Ruinen orthodoxer Kirchen und
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Klöster; hier findet man Gräber mit pietätvollen Inschriften, die der einst Mohammedaner
gewordene Edle seinen christlich gebliebenen Eltern gesetzt, und Höhlen von Einsiedlern,
denen das harte Leben, das alle führten, noch immer zu üppig war. Und hier ist auch die
Heimat des serbischen Nationalhelden Kraljevic Marko, hier lebt er noch in dem Herzen
und der Phantasie des Volkes.
Bosnaquellen.
Das „Podrinje" erschaut man fast vollständig von der Sattelhöhe des Ranjcn
zwischen Praca und Gorazda. Kann irgend ein Ausblick von einem der vielen hohen
Berge des Occnpationsgebietes überwältigend schön genannt werden, so ist es in erster
Reihe der von der Ranjen-Karaula, diesem Höhen und Tiefen beherrschenden Standpunkte.
Bewaldete Kuppen, kahle graue Grate, grüne Thaleinschnitte vereinigen sich zu einem
lebensvollen Bilde, das allmälig ani Horizonte in die blauen formenreichen Linien der
albanesischen Berge ausklingt. Mitten aus diesen zarten, in Wolkenhöhe strebenden
Contouren der fernen waldberaubten Höhen steigt eine gewaltige schwarze Bergeskrone
auf, überragt von einem Doppelhorne. Das sind die mächtigen Stöcke der „Brda", die
„Schwarzen Berge" mit dem finsteren Durmitor. Diese senden uns die Drina. Man sieht
sie auf den spärlich bemessenen Thalböden zwischen den Bergkreisen da und dort blinken,
wie Thautropfen in einem Blütenkelch, bis sie im Osten hinter der Javor planina längs
der serbischen Gelände verschwindet.
Wo an der bosnisch-montenegrinischen Grenze die Tara und die Piva zu einem
Wasserlaufe sich vereinen, dort tritt dieser als „Drina" in die bosnischen Schluchten. Die
beiden montenegrinischen Flußbette sind tiefe Gräben in grauen todten Felswänden,
zwischen denen das bald smaragdgrün, bald blau erscheinende Gebirgswasser dahinschießt.
Wo die 400--600 Meter hohen senkrechten Felswände sich etwas zurückneigen, da klettern
Laubholzbestände an ihnen hinauf, die oben am Rande des Hochplateaus stellenweise in
Nadelholz übergehen.
Das kleine grüne Dreieck zwischen der Tara- und Pivamündung wird von einem
steilen Kegel abgeschlossen, von dem eine Burgruine der jungen Drina entlang ins
Bosnische schaut. „Scepangrad" nennt sie das Volk, weil hier der mächtige Herzog von
St.Sava, Stefan Vukcic, zur Sommerszeit häufig residirte. „Da saß er auf einer steinernen
Kanzel und schaute der jungen Drina entlang hinein in sein Land." Und deßhalb wollen
noch heute die Bewohner der Focaner Gegend zum Lande des Herzogs - der Hercego-
vina — gehören und verschmähen es, sich Bosnier zu nennen.
Trotz des Widerspruches der Bevölkerung ist das ganze Territorium, das die Drina
durcheilt, unverkennbar bosnisches Waldland. An den Grenzen ihres Gebietes macht der
montenegrinische und hercegovinische Karst Halt. Seine Hochplateaux zerfallen plötzlich in
runde, dicke Bergrücken und massige Kegel. Und ist es in den vom Verkehr mehr ausge -
suchten Strecken auch meist nur mißhandelter, zerzauster Wald, der die erdigen Hänge
deckt, so bildet er doch einen überaus freundlichen Gegensatz zu den grauen Karstwüsten.
Was aber oft auf weite Strecken fast ausschließlich die Hänge deckt, ist die Sumachstaude.
Diese und die zahlreichen kleinen Wasserläufe haben von Alters her die Lederindustrie in
dieser Gegend begünstigt, und die hercegovinischen Hochalpen liefern Tausende von Schaf-
und Ziegenfellen. Das im Grün fast versinkende Örtchen Jelec an dem schmalen Gjafer-
Potok, einem nördlichen Zuflusse der Drina, ist der Mittelpunkt der gegenwärtig schon
vielfach nach modernen Principien betriebenen Ledererzeugung. Das Jelecer Leder wird
in den Städten des Landes, zumeist aber in Sarajevo, zu Bundschuhen, Sattelzeugen
und Waffengürteln verarbeitet. Für die Ausrüstung der letzteren sorgte dann vornehmlich
Foca. An den Grenzen dreier kriegslustiger Vilajets gelegen, fand es ehedem eine Quelle
des Wohlstandes in der Waffenfabrication. Die Focaner Messer werden noch heute in
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Serbien vielbegehrt, aber der Feuerstein- und sonstigen Schießwassen bedarf man jetzt
nicht mehr. Foca hat auch aufgehört, der große Wollmarkt und Handelsplatz für Vieh zu
sein, denn der alte Handelsweg zwischen Ragusa und „Altserbien" wie man den
Sandzak Novibazar hier nennt — ist durch die geänderten Verhältnisse unterbrochen
worden. Und so liegt Foca, der „zweitgrößte Ort der Hercegovina", still in sich versunken
zwischen den großen, schollig aussehenden Bergen da, durch Drina und Cehvtina weit
auseinandergerissen. Die Entfernungen im Weichbilde der Stadt rechnet man nach
Bad Jlidze.
Kilometern. Zwischen den häufig von Reben und Schlingbohnen umrankten weißgetünchten
Häusern mit den hohen schwarzen Schindeldächern finden sich Pflaumengärten und Tabak
selber. Hier endet das Bereich des edlen Hercegoviner Krautes, und die Herrschaft der
bosnischen Pflaume an der unteren Drina wird schon hier angedeutet, inmitten solcher
Felder erhebt sich einsam eines der edelsten Bauwerke Bosniens, die „Aladza-Moschee",
die „Bunte", so genannt nach den Resten der meisterhaften Malereien, die ihr Inneres
schmücken. Vor dreihundert und mehr Jahren ging der arme Hassan aus Foca den vielbegan
genen Weg über „Altserbien" nach Constantinopel, um dort sein Glück auf echt orienta -
lische Weise zu finden. Und als er „Nazir" (die erste Vertrauensperson des Sultans),
mächtig und reich gewvrdcn, da kam er heim — eine typische, immer wiederkehrende
Erscheinung von Vaterlandsliebe bei den Bosniern. Auf dem Felde, auf dem er seine arme
Mutter erblickte, die von der Freude des Wiedersehens getödtet wurde, setzte er sich in der
Moschee ein schönes Denkmal. Die Äcker ringsum sind geblieben, wie sie waren.
Fast scheint es ein Traum, daß Foca ein bedeutender Handelsort gewesen. Gegen -
über der Aladza-Moschee, auf dem hohen linken Cehotinaufer steht vor der Kaiser-Moschee
eine einsame, alte Föhre, die letzte des Waldes, den das hier entstandene Marktviertel
verdrängt. Die alten Waffenschmiede und die Erzeuger der silbernen Brustpanzer und
Wehrgehänge verkaufen jetzt Maismehl und Streichhölzer. Alles ist still und schläfrig,
aber gerne spricht man von dem „was war", von dem „was in den Büchern sieht . daß
jeder kleine Ort einmal groß war und jeder große wieder klein wird.
Sanfte Schiefergehänge leiten das klare Drinawasser in einem flachen, breiten Kies -
bette auf Gorazda zu, ein Örtchen von einer selten lieblichen Lage. Unter den Baulich -
keiten dominiren die Militär-Baracken und im öffentlichen Leben die Uniform, wie dies in
den meisten südlichen Städten des Landes der Fall ist. Das ganze Städtchen ist renovirt,
alles neu und sauber. Vom alten Gorazda ist fast nur die Kula der Begs Siercici
übrig; die alte steinerne Bogenbrücke über die Drina sammt der Karawansera ist schon
längst dahin, mitsammt Gorazdas früherer großer Ausdehnung und Bedeutung.
Die „Fürsten der Drina", wie sich die Herzoge von Chlum auch nannten, verweilten
gerne im „Podrinje". Die Burg Zvecaj, in der Nähe des linken Drina-Ufers flußabwärts
von Gorazda, diente den Fürsten gleich dem vielgepriesenen Samobor als zeitweiliger
Aufenthaltsort. Als mittelalterlicher Fürstensitz wurde Samobor wohl von keiner anderen
Burg im Lande verdunkelt. Das mächtige Gemäuer blickt noch heute von den felsigen
Abstürzen des Gostilja-Berges drohend über die fruchtbaren Flächen hin, die sich um die
Mündung des aus den südlichen Hochgebirgen kommenden Janjina-Flüßchens ausbreiten.
Die Thürme und Verließe Samobors bildeten noch vor drei Jahrzehnten das Staats-
gcfängniß des Landes, und erst der unaufhaltsame Verfall zwang zum Verlassen der
Veste. Aber im Volke blieb sie populär, und viele Localgebräuche beleben zeitweilig die
verödete Stätte. Auch hier gedenkt die Tradition vornehmlich Herzog Stefans, dem das
Podrinje so lieb war, daß er sich hier sogar seine letzte Ruhestätte erbauen ließ.
Nur wenige Fahrstunden von Gorazda südlich, längs des Gebirgswassers der
Janjina gelangt man in ein dunkles Kesselthal, das während eines halben Jahres keine
Sonne sieht. Hier liegt Cajniea ewig im Dämmer, wenn auch die die Stadt umklammernde
Kovac-Planina ihre Höhen im goldenen Sonnenlichte badet, und hat sich erst der Winter
in dieser Höhlung eingenistet, dann weicht er nur schwer wieder. Deßhalb will man
auch den Namen des Städtchens von dem alt-slavischen cajati (Abwarten) herleiten.
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Auch das berühmte Gnadenbild wartete hier den Wechsel der Zeiten in einem keller -
artigen, dumpfen Gelaß ab, nnd erst die Neuzeit beute ihm ein dominirend um sich
blickendes, mit achtzehn Kuppeln gedecktes Gotteshaus. Hierher wandern alljährlich
Tausende von denen, „die da mühselig nnd beladen sind", nnd die findet man in allen
Ständen und Confessionen. Zu den beiden hohen Marienfesten, Mala nnd Velika Gospojina,
strömt Heeresmassen gleich das Volk aus allen Theilen des Landes herbei. Christen wie
Mohammedaner suchen Trost und Hilfe bei dem Gnadenbilde, das aus seiner kostbaren
Silberumrahmung groß und ernst herunterblickt. Unzählig sind die Wunder, die es bei den
Gläubigen verrichtet, und droht dem Volke Gefahr durch Krankheit, Noth oder Krieg, so
blinken Thränen in den Augen Marias. So geht die Sage. Und so wird das Bild von
allen Bewohnern Cajnica's sorgsam behütet, und als sich 1868 die falsche Nachricht
verbreitete, das alte Kloster Banja bei Prjepolje, woher auch das Gnadenbild stammt, solle
restaurirt und das Bild dahin übertragen werden, da wollten sich die Mohammedaner
Cajnicas's mit bewaffneter Hand widersetzen. An den Zerstörer Banjas, den Vezir Sinan
Beg Sokolovic, erinnert auch die in der Nähe der Marienkirche am Rande der Janjina-
Schlucht in graziöser Harmonie sich erhebende Moschee, die der Erbauer mit den aus Banja
geraubten Säulen nnd Stufen aus schwarzem Marmor, den Butzenscheibenfenstern und
anderen Kostbarkeiten ausgeschmückt hat.
Aus dem Waldlande des Podrinje führt von Cajnica in raschen Serpentinen die
Straße auf die Paßhöhe des Svietlo-Borje, den Metalka-Sattel, vorbei an dem Konjski-
Grob (Pferdegrab), einem Kegel, der das Leibroß des heiligen Sava decken soll. Türkische
und österreichische Posten halten hier auf der steinigen Kovac-Planina Wacht an dem
Zugänge zum Durchzugslande Rascien. Hier kehren wir um, wenden uns wieder der
Drina zu und folgen ihrem Laufe zu Thal.
An der Mündung der Rzava in die Drina liegt dasStüdchenVisegrad, halb im
Grün versteckt. Als Wächter dieses Ortes kann der rninengekrönte Felskegel „Starigrad"
gelten, der mit der gegenüber starrenden Bntkova-Stijena das Ende der unwegsamen
Felsenge bezeichnet, durch das sich, von Gorazda kommend, die schäumende Flut der
Drina einen Durchlaß erzwingt. Nnd unmittelbar dort, wo sie den Engen entrinnt, um
breit und stolz an Visegrad vorüberzuwallen, spannt sich in eilf gegen die Mitte ansteigen -
den Spitzbogen die hundertvierzig Meter lange steinerne Brücke über den Fluß, mit der
die Vaterlandsliebe des vielgepriesenen Großvezirs Mehmed-Pascha Sokolovic seine
Heimat zierte. Viel weiß das Volk von diesem stolzen Baudenkmal zu singen und zu
sagen, und in ihr concentrirt sich auch die Bedeutung Visegrads vom Mittelalter bis
ans die neuere Zeit, als die einer Etappe auf der großen Heer- und Handelsstraße von
Sarajevo nach Constantinopel. Dem entsprach auch die prächtige, mit orientalischem Luxus
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aus gestattete Karawanserei, an welcher das rechtsufrige Brückenfeld fast unmittelbar
endete, und die gegenwärtig fast ganz vom Boden verschwunden ist.
Die schön geformten Kuppen und Hänge, welche die Gebirgsstöcke unterhalb Vise-
grad an die Drina entsenden, werden flußabwärts bald zu phantastisch zerklüfteten Wänden,
und der zwischen Wiesen und Gehöften dahingleitende grüne Fluß abermals zu einem bösen
Wildwasser, das springend und brausend die schwarzen Schatten der Tiefe sucht. In
Felsentreppen führt der Pfad bald hinab zu der kühlen Flut, bald, ein Gehänge um -
gehend, hinauf auf den schmalen Rand der thurmhohen Felsfaxaden, über denen der
Klageton des Geiers laut wird.
Bei Staribrod, einer uralten Überfuhrsstelle, steigt rechts ein Felsrundthurm
auf, aus dem die Ruine Hrtare liegt. Die Mär von der „Prokleta Jerina" (der
„verfluchten Helena") schwebt den Schiffern hier ständig auf den Lippen. Warum
„proklet" (verflucht)? Weil sie immer alle so nannten. Sie mochte mit ihrem Mann
nicht leben, zog umher und baute Burgen. Jammer für den Bauer! Mancher Vater
wurde so lange bei der Robott behalten, daß er seinen Sohn, den er in der Wiege zurück -
gelassen, und der nun erwachsen auch zur Robott gezwungen wurde, nicht zu erkennen
vermochte. Seht ihr die Felswand von Hrtare, wohl an dreihundert Ellen hoch und
vierhundert breit?! Block auf Block mußte da hinauf. Ochsen konnten dazu nicht dienen,
und so wurden die Steine auf Ziegen gebunden, oder die Menschen bildeten eine Kette.
Und der Mörtel wurde mit Eiweiß angerührt, sonst wäre er nicht so hart. So geschah
es hier, in Dobunj, in Praca und Klotjevac, in Zvornik und überall an all den hundert
Orten, wo diese „Griechin" baute Und wozu sind diese Burgen?! Wozu
mögen sie bestehen?! Jerinas Anstrengungen waren fruchtlos, und deßhalb trifft sie der
Fluch des Volkes, und in der durch kindisches Beiwerk entstellten Überlieferung wird sie
immer mehr zum Scheusal. In Wirklichkeit aber war die aus der Familie der Cantacuzene
stammende serbische Despotin Jerina (in Kirchenschriften auch „Jelena" genannt) die
Frau des Despoten Gjuragj Brankovic-Smederevac, eine sehr kluge und energische Fürstin,
die in Vertretung ihres Gatten oft die Staatsgeschäfte leitete. Das serbische Reich, zu dem
damals auch Ostbosnien mit Zvornik, Vlasenica, Srebrenica, Visegrad, Rogatica und
Cajnica gehörte, war von zwei Seiten schwer bedroht, und so mußte die ganze Volkskraft
in Anspruch genommen werden, um das Land durch starke Befestigungen zu schützen.
Dessen erinnert sich das Volk und weist nun alle Burgen Ostbosniens Jerina zu, obgleich
nicht alle von ihr stammen. Dieselbe Jerina wurde 1456 von ihrem eigenen Sohne Lazar
bei dessen Regierungsantritt vergiftet, und das Epitheton „proklet" wurde ihr damals
gewiß in dem Sinne einer „von Gott verlassenen" und „unglücklichen" Frau beigelegt.
Das Volk aber gedenkt nur fluchend der geforderten Opfer.
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An den linksuferigen Wänden der Starogorske-Stjene.weiter ziehend, sieht man
fern über dem Drina-Defile die Häupter in der Reihe der serbischen Grenzwächter: die
kleine und große Gostilja, den Janjac, die Vlasinita-Glava und dann den zweifach gegipfelten
Großen Stolac. Seine der Drina zugewandten breiten Hänge erheben sich immer wieder
zu neuen Spitzen, bis endlich der Stolofac, den Eckpfeiler bildend, in glatten halbkreis -
förmigen Wänden ganz zur Drina niedersteigt. Diese umklammernd wendet sich nun die
Drina in einem rechten Winkel gegen Ost; die linken llfer drängen sich plötzlich auch in
jähen Formen heran, den Fluß bis zu einer Breite von 10 bis 12 Meter zusammenpressend,
und in tosenden Wirbeln jagen die Wasser durch die Engen. Das ist der berüchtigte
Slap, der grimmigste Feind der Flößer und bei hohem Wasserstande ganz unpassirbar.
Umgekehrt ist der einige Kilometer westlich liegende Pripecki Slap mit seinen haushoch
aus dem Wasserspiegel ragenden Riffen und dem starken Fall bei niedrigem Wasserstande
der Schiffer Verderben- So verlangt eine Floßfahrt auf der Drina zu jeder Jahreszeit
geschickte Schiffer, und doch ist das nicht ungefährliche Floß bisher das einzige Mittel,
um die Drina in all ihren Verstecken aufzusuchen, denn vom Slap abwärts werden ihre
Ufer vollständig ungangbar.
Der Eindruck des Bildes wird noch durch die wilde Zepa verstärkt, die grünglitzernd
in einer finsteren Felsenrinne aus dem Bärengebiete des Podzeplje vom linken Ufer herab -
kommt. Hoch über die wasserfallähnliche Zepamündung schwingt sich der steinerne Spitz -
bogen einer alten türkischen Brücke, die, von Grün umrankt, die auseinandergerissenen
Uferwände abermals verbindet. Man sagt, daß der Gehilfe jenes Meisters, der die Vise-
grader Brücke gebaut, sich erdreistet habe, diesen Bau auszuführen. Als die Brücke dann
sieghaft dastand, hieb der Meister, von eifersüchtigem Neid gepackt, dem Gehilfen die
Arme ab.
Der schmale Felspfad gleitet vom First auf die Brücke nieder und führt dann steil
auswärts, direct hinein in die Javor-Planina, durch die der kürzeste Weg nach Srebrenica
führt. Über Berg und Thal, über Gipfel von mehr als 1500 Meter Höhe, wie der Zep,
dessen Hängen die Zepa entspringt, wogt hier das Waldesmeer. Da ist die kalte, wasser -
reiche Studena Gora mit ihren endlosen Hochplateaux und das zerrissene Zepagebiet, in
denen man Schwarzkiefer bis zu 50 Meter Höhe und 120 Centimeter Durchmesser in
Brusthöhe findet. Ein unermeßliches Jagdrevier mit Bären, Wildschweinen und Auer -
wild. — In der Javor-Planina muß man sich lange Stunden durch das Dickicht
kämpfen, ehe man wieder auf einen armseligen Weiler mohammedanischer Waldbauern
stößt. Es sind steinige, von Wurzeln überwachsene schlüpfrige Fährten, oft durch die
vom Sturm gefällten Stämme verlegt. Auf den seltenen Waldwiesen trifft man noch
seltener weidendes Vieh, aber allerorts die kreuz und quer laufenden Spuren wilder Thiere.
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Die östlichste Grenzmarke des gewaltigen Walddistrictes ist die gemsenreiche Luka -
schlucht. Eine halbe Stunde unterhalb Luka werden die Drina-Nfer zu vertikalen Wänden,
zwischen denen das Wasser wie in einem Kanal dahinschießt. In launischem Spiel zer -
fallen die bosnischen Ufer bald wieder in grüne Kegel und Kuppen; unerschütterlich aber
ziehen die stellenweise an tausend Meter hohen serbischen Wände weiter, deren Höhenrand
den Beginn öder weiter Plateanx bedeutet. In deren Schatten liegen auch die auf Steil -
kegeln nebeneinander postirten Schwesterruinen Kloljevac und Gjurgjevac. Vielleicht weilte
hier doch Jerina, denn man nennt eine köstliche Pflaumenart, welche sie hier gepflanzt
haben soll, nach ihr. Im Herbste ist der ganze Burgfriede von Kloljevac blau, und
zwischen dem vom zerfallenden Kalke weiß schimmernden Gemäuer wird fleißig Mus
gekocht. Diese Pflaumenbäume sind der Fürstin ein dauerhafteres Denkmal als die stolze
Burg, von der bei jedem Fußtritt Steine in die Drina rollen.
Nun hellt sich die Landschaft immer mehr ans. Den flachen Ufersaum decken Wiesen,
Mais- und Tabakfelder. Jnselartig stehen längs des Ufers kleine Gruppen römischer
Grabmale, halb vom Humus überdeckt, vom Weißdorn und der großblütigen Distel
verschleiert, und von duftenden Wipfeln uralter Nußbäume überwölbt. Bei Vranjkovina
werden die Ufer-Culturen durch knapp an die Drina vorspringende Höhen unterbrochen,
aus deren rissigem Schiefergestein sich ein Bach von bedeutender Höhe hinabstürzt. Dann
aber setzen sich längs des breit anschwellenden Flusses bis weit hinaus über die Mündung
der Drinaca die freundlichen Bilder offener Hügellandschafteu fort.
Die „Saska Rijeka", das „Sächsische Flüßchen", zeigt kurz vor dem Austritt in
das Drinabett eine liebliche Weitung, die dereinst Domavia, das Munizipium der
Bergbaucolonie der „Bosna Argentina" umfing. Hier wandert man zwischen den erst
vor wenigen Jahren aufgedeckten Resten einer großen römischen Niederlassung umher,
die offenbar nicht allmälig zu Grunde ging, sondern plötzlich verlassen wurde. Ganz arm -
selig erscheint dagegen das Örtchen Sasa, benannt nach den Berg- und Hüttenmännern
des Mittelalters, den von den ragusäischen Kaufleuten in Srebrenica so arg bedrückten
Sachsen. In dem tiefen Kessel hämmert jetzt ein kleines Pochwerk. Will man von hier
nach Kvarak, einer Schlucht, deren gewaltige Lehnen nach silber- und bleiführenden
Erzen durchwühlt werden, so geht es wieder über Sättel und Grate. Da ist die Crvena
Rijeka, der „rothe Bach", der den großen Ockerlageru sein schlammiges gelbrothes Wasser
verdankt. Seinen Uferböschungen entspringen die arsenhaltigen Quellen, deren Wasser
unter dem Namen „Guber" als Heilmittel von der modern eingerichteten Füllstation
ans rasch seinen Weg in alle Welttheile fanden. In einem engen Waldthalc rauscht die
Mala Kiselica gleichfalls an mächtigen Ockerlagern vorüber, dem Wiesenplane an der
Krizevica unterhalb Srebrenica zu, wo der Schlot einer Ockerfabrik qualmt. Und da ist
Cajnica.
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nun auch Srebrenica selbst, die „Silberstadt". Sie sieht aber nicht darnach aus. Wie
zerwühlt und durcheinandergeworfen kauert sie am Grund eines tiefen Einschnittes, die
ein isolirter Schloßberg vollends verengt. Von den Lehnen reißen Sturzbäche die Häuser
fort, von den Flußrändern nimmt sie das Hochwasser mit — nirgends haben sie recht
Platz. Zwei alte steinerne Bogenbrücken überspannen die Krizevica. An die im Mittelalter
so bedeutende Handels- und Bergwerksstadt erinnern nur zahllose alte Schlackenhalden.
Gegenwärtig gelangt in der Stadt selbst kein Erz zur Verhüttung. In den ärmlich
aussehenden Häusern wird hauptsächlich von den Frauen eine haltbare Teppichsorte,
Leinen, schwarzes Filztuch und noch vieles andere erzeugt, was in den Kleinhandel
kommt. Das große Tabakeinlösamt belehrt uns, daß der Bezirk Srebrenica der größte
der tabakbauenden Bezirke Bosniens ist, und in dem neuen Spitale erfährt man, daß
die überaus gutmüthigen, genügsamen Drina-Anwohner, über die sich vornehmlich die
lebhaften, schlagfertigen Hercegovcen gerne lustig machen, besonders in der Gegend von
Srebrenica ein schwächliches, degenerirtes und mit Kropf behaftetes Volk sind.
Wo das Waldesrauschen erstirbt und zum letzten Male Uferschroffen grau und tief
in die Drina tauchen, da macht diese um einen vorfallenden Block einen Bogen in das
serbische Land hinein. „Diviö" heißt der Ort, wohl von „Divno", wundervoll. Und gleich
darauf klettern Thürme, Mauerwerke und zerbröckeltes Gebäu in wirrem Durcheinander
aus dem Wasserspiegel die hohen, verwitterten Felswände hinan, und gleichsam aus den:
nördlichen Ufer-Burgthore ins Freie eilend, legt sich ein altes Städtchen mit rebenum -
sponnenen Häuschen lang und schmal längs des Flusses hin. Auch drüben ragen aus dem
üppigen Grün der serbischen Ufergelüude Mauerreste auf. Dieses ist „Klein-Zvornik",
das noch vor zwei Decenuien zu Bosnien gehörte, die stolze Burg aber ist das einst von
den Kaiserlichen oft umstrittene alte Zvornik selbst. Ein märchenhaftes Landschaftsbild,
das die Sänger des Rheins zu begeistern vermöchte. — Die griechische Jerina hat nur
die dunkle untere Festung, durch die jetzt, wie immer, die Straße läuft, gebaut. Nach der
alten Kirche, deren Grundmauern man noch jetzt in der Stadt antrifft, hieß die Veste
„Zvonik", Glockeuthurm. Ein türkischer Heerführer wollte sich nun dieses Schlüssels zum
mittleren Drinathale bemächtigen und erklomm mit seinen Mannen die Höhe, auf der die
obere Burg thront, um hinab in die Veste zu spähen. Da es Winter war und er auszugleiten
fürchtete, breitete er seinen Mantel am Rande des Abgrundes aus und beugte sich vorsichtig
hinunter. Trotzdem glitt er aus und sauste über Schnee und Eis in die Tiefe. Sein Gefolge
sah darin ein Signal zum Sturm und folgte auf demselben Wege. So wurde die bis dahin
unbezwingbare Veste eingenommen. Um einen Handstreich ähnlicher Art unmöglich zu
machen, baute später einer der Begs VidaU, die durch lange Zeiten Zvornik als Kapetans
beherrschten, die obere Festung, von der ans jetzt k. und k. Artillerie Auslug hält.
Das Wunderbild in der serbischen Wallfahrtskirche zu Cajnica.
Rasch treten mm die Begleithöhen der Drina auseinander, flach und weit wird die
Gegend. Schwarzes Ackerland und Obstgärten bezeichnen die Gemarken der reichen Posa-
vina. In Schlangenwindungen wühlt sich der Fluß durch das weiche Alluvialland. Das
Wasser staut sich, es scheint stehen zu bleiben, theilt sich in Arme, die dunkle Auen umfassen,
vereint sich dann wieder, um sich von Neuem in uferlose Moräste zu verirreu. Nun sicht
man in dem Tiefland eine lehmgelbe, mächtige Wasserstraße blinken - die Save. Dampfer
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bund ehende Einbäume gleiten über dieselbe. Sie greift mit einer tiefen, engen Schlinge
in den bosnischen Boden hinein. Hier ist Bosnisch-Raca, ein kleines Lagunennest,
dessen Bewohner fast nur in Kähnen leben. Drüben, wo die Schlinge sich beinahe
knüpft, liegt das Raca Slavoniens. Eine stark aussehende Citadelle mit Quadermauern
und Wällen schaut herüber auf die bosnischen Auen. Wo noch vor zwanzig Jahren die
Geschütze des österreichischen Grenzforts drohten, steigt jetzt weißlicher Dampf aus Brau -
kesseln ans.
Der Schlinge sich allmälig nähernd, löst die Drina sich in ein Delta auf, und in
den üppigen Fluren kraftlos geworden, läßt sie ihr klares Gebirgswasser über die letzten
Kiesbänke dahinfließen und verschwinden in den lehmigen Fluten der Save.
Das Sprecathal und die Posavina. — Das Sprecathal legt sich quervor
das große mittelbosnische Waldland, dieses im Norden vollständig abgrenzend, und jen -
seits dieses Flusses hebt sich der Boden nur mehr in den breiten, sanften, von Ackerland
und Feldwiesen reich durchsetzten Wellen der Majevica-Höhenzüge.
Das Thal der Spreca bildet einen Gegensatz zu der Weltverlorenheit des Drina-
gebietes. Von Zvornik aus bedarf es kaum einer Stunde Steigens, um die Wasserscheide
zu überwinden, und schon sieht man die Spreca den Hängen als Bächlein enteilen. In
der Thalsohle wird sie sofort von den sumpfigen Wiesen des breiten Spreca-Uskopolje aus -
genommen und, mit reichlichen Zuflüssen gestärkt, zieht sie als Fluß weiter durch jene
von grünen Hügelketten nmsäumten, cultivirten Gefilde, die als „Soli" („Salzland") die
Wiege des eigentlichen Bosnien sind. Das alte Soli ist heute der Jndustriebezirk des
Landes, seine Wahrzeichen sind der Fabriksschlot und die Locomotive.
So lieblich auch D olnja-Tuzla (Tuz ----- Salz, türkisch), der Hanptort des Gebietes,
in seiner Höhenumrahmung an einem Zuflusse der Spreca, dem Jala-Bache, liegt, so tritt
das Interesse au der äußerlichen Schönheit der Landschaft doch vollständig zurück vor
jenem an den immensen Bodenschätzen. Anfang und Ende der Stadt markiren zwei Bahn -
höfe, und der sie verbindende Schienenstrang läuft zwischen den Häufen der Stadt. Deren
Quartiere gleichen Gruppen, die sich um die Jndustrieetablissement gebildet. Wohl ver -
suchen die neuen Bauten und Anlagen, wie der von stilvollen Gebäuden eingefaßte Appel-
Platz, der die Stelle der nach der Occupation geschleiften Citadelle einnimmt, gleichfalls die
Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, aber die aus dem Innern der Stadt hoch aufstrebenden
Bohrthürme, die die kostbare Soole aus den großen Tiefen der Erde schaffen, sind doch
deren bester Schmuck.
Das kleine Tuzla hat sich überdies, sozusagen fast über Nacht, mit einem breiten
Gürtel von Jndustrieniederlassungen umgeben, die ihr das ausschließliche Gepräge
einer Fabriksstadt im europäischen Sinne geben. Da ist an ihrer östlichen Peripherie
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die Saline und die zweite nicht minder wichtige industrielle Schatzgräberei: das große
Kvhlenwerk Kreka. Durch zahllose Stollen und Schachte werden die schwarzen
Diamanten in kolossalen Massen an den Tag befördert, und eigene Geleise bringen sie
nach der Station „Kohlengrube", Tnzlas östlichem Bahnhof. Die weitläufigen Hoch -
bauten der Gewerkschaft und die Arbeitercolonien bilden einen Stadttheil für sich. Auf
dem weichen Wiesenplan um Tuzla reihen sich nun die Anlagen aneinander: da werden
Spiritus erzeugt, Bier gebraut, Ziegel gebrannt, Getreide vermahlen, Pflaumen gedörrt,
Stadt Zvornik.
alles ans moderne Art; allwärts sehen wir qualmende Schlote, ^ndustriegeleise und
Arbeiterhänser. Von der Endstation Dolnja-Tuzla führt eine Schleppbahn durch mittlere^
Hügelland weiter nach der großen Saline Sinnnhan, und von da bringt eine Fahr -
straße rasch in das gleichfalls noch zu dem Begriffe „Tuzla" gehörendeGornja-Tuzla,
ein hinter hohen Bretterzäunen und Pflaumengärten verstecktes Dorf, das eine wichtige
Salzquelle besitzt.
Dem Bannkreise Tnzlas entrinnt man jedoch auch mit der Bahn gen Westen nicht.
Man erreicht die Jala-Mündung und damit das hier stark versumpfte Sprecathal. Die
kleinen Auwälder bei Lukavac, die alten Erlen- und Steineichenbestände sind aber nicht
mehr ein Dorado für Wildentenjäger, seit eine gewaltige Esse das ehedem so idyllische
Landschaftsbild pfauchend überragt. Die Tuzlaer Soole ließ hier ein Fabriksetablissement
entstehen, das durch die Größe seiner Anlage und seine technisch vollendete Einrichtung
einen Vergleich mit allen ähnlichen westeuropäischen Unternehmungen aushält, und dessen
Products den Weltmarkt beherrschen: die Ammoniaksoda- und Chromfabrik Lukavac.
So gewinnt das Thal der seicht sickernden unansehnlichen Spreca seine Bedeutung.
Unerschöpfliche Salzquellen, unermeßliche Kohlenlager, unendliche Holzmengen sind seine
Signatur. Sie beherrschen das Bild der Landschaft, wie das öffentliche und sociale Leben,
und natürlich nicht minder die Bahnstrecke. Die Stationen bedeuten Sägewerke, Holz -
industrieanlagen, Felltrocknungsanstalten oder Verladestellen für Rüben und andere
Bodenproducte. Nur so ganz nebenbei wirft man auch einen Blick auf die an einen
englischen Park gemahnende Scenerie der mittleren Spreca, auf die prächtigen, mit
Baumgruppen durchsäeten Wiesenflächen, die allmälig hinanfschwellen zu den Laub -
wäldern der Djedinska-Planina und dem Weißkiefergebict des Konjuh, deren blaue Linien
den südlichen Horizont abschließen. Nur der Ozren tritt wieder näher heran, und von der
äckerumgebenen Station Petrovoselo aus ladet ein durch die schatten- und wiesenreiche
Mittelgebirgsgegend führender Reitweg zum Besuch des alten orthodoxen Klosters Ozren.
Dieses hat ein uraltes Kirchlein mit Freskenspuren von der Hand des frommen Popen
Strahinja, der im Mittelalter als Kirchenmaler sich bethätigte. Doch das mönchische Still -
leben im Waldgehege des Ozren fällt schon außerhalb des Rahmens des lauten Realismus
an der Spreca. Gracanica, das freundlich-reinliche Städtchen frommer Medressen-
Schüler, fügt sich schon besser hinein. Es ließ sich durch eine Flügelbahn mit der directen
Strecke verbinden. Die Staffage des kurzen Defile der sogenannten „Magjarska Vrata"
(ungarisches Thor) sind endlose Züge mit hochaufgeschichteten Faßdauben und schwarze
Kohlenwaggons. Und wird es erst Herbst, dann sind es die Zuckerrübenladungen, die in
endloser Reihe aus dem Spreca-Defile daherrollen, um über die lange Bosnabrücke
Doboj, die Abzweigungsstation der nach dem bosnischen Manchester führenden Seiten -
linie, zu erreichen.
Inmitten der unermeßliche Kohlenlager deckenden Majevica erinnert eine alte, gut
erhaltene Ruine an das bestandene Banat Srebrenik, an seine alten, fast sagenhaften
Silberwerke und seine Münzstätte.
Ehedem hatte die Majevica ihre Wälder bis an die Ufer der Save entsendet, wo
sie gewaltige Auen bildeten, wie man sie noch heute an den slavonischen Ufern sieht. Jetzt
sind davon nur mehr Neste vorhanden. Als charakteristisch für den ehemaligen Auwald -
typus kann der zwischen Raca und Velinoselo liegende Gromzelsumpf gelten. Einer runden
Insel vergleichbar, umschließt ihn ein vom Save- und Drinawasser gebildeter Arm, und
man kann von beiden Flüssen aus mittelst Kähnen in das Gräben- und Sumpflabyrinth
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des Gromzel gelangen, auf dem sich die schönste Au der Posavina erhebt, deren Vegetations-
Üppigkeit im ganzen Lande unerreicht ist. Dichtes Unterholz deckt den Sumpfboden, und
Schlinggewächse ranken sich an den herrlichsten Rieseneichen, Pappeln, Rüsten und Aspen
hinauf. Eine wahre Landplage sind hier die Mückenschwärme, sowie die Ameisen, von
denen die Stämme bis hinauf zu der Krone oft ganz roth überzogen sind. Die der ganzen
Saveniederung von Gradiska abwärts eigenthümlichen Seeadler, Fischadler und der
schwarze Milan horsten mit besonderer Vorliebe in dieser Au, die überdies die Brutstätte
von weit über hundert Reiherpaaren ist, denen die Frösche und Fischbrut der Sümpfe
reichliche Nahrung bieten. Eine Reiheransiedlung vermag die Monotonie einer flachen
Landschaft ungemein zu beleben, und man sieht ihre weißen Körper oft weit über
Slavonien und Serbien im blauen Azur schweben. Leider kommen sie spät und ziehen
bereits im August mit ihren Jungen ab. Der Herbst entblättert dann rasch Baum und
Strauch; das Wasser steigt, und endlich schließt ein weiter vereister See die vollständig
verödete Au über den Winter ein.
Die ganze Ecke zwischen Save und Drina ist eigentlich bloß ein großer Sumpf,
dessen Entwässerung aber durch das fast gleiche Niveau der beiden Flüsse unmöglich
gemacht ist. Wo sich der Boden gegen die Berge etwas hebt und eine dicke Humusschichte
zeigt, da liegt, das ganze Gebiet ringsum beherrschend, die bedeutendste und volkreichste
Stadt der Posavina, das handelseifrige Bjelina. Ihre strategisch wie handelsgeographisch
wichtige Position, ihr Volkreichthnm und endlich ihr bedeutender Pflaumen-, Vieh- und
Schweinemarkt lassen von einem Mangel jeglicher Schönheit oder Merkwürdigkeit absehen.
Eine bosnische Stadt auf dem flachen Lande, das bedeutet breit dahinschleichende Straßen
von Zäunen, Gürten und kleinen Häusern flankirt, ein Marktviertel mit den üblichen
niedrigen, hölzernen Läden, Moscheen mit gewöhnlich nur hölzernen niedrigen Minarets
und je nach der Konfession der Bewohner auch mit einer bis zwei Kirchen. Dazu im Sommer
recht viel Staub und im Winter Koth. So ungefähr ist es auch in Bjelina. Und wenn
auch hier in der Carsija die Wohlhabenheit der Kaufmannschaft ihren unverkennbaren
Ausdruck findet, so ändert doch dies, sowie die übrigen modernen baulichen Versuche im
Allgemeinen nicht viel an dem Bilde. Dagegen zeigt die Umgebung Bjelinas sich radical
verändert, seit das Gestrüpp den tiefgehenden Stahlpflügen weichen mußte. Die Colonie
ungarischer „Schwaben", Franz Josephsfeld nahe an Bjelina, nahm auf das Aussehen der
Landschaft hier auch keinen unwesentlichen Einfluß. Das große, quadratisch angelegte
Dorf entsendet Dampfmaschinen und Wirthschaftsgeräthe aller Art in das Land, das
seither seinen „orientalischen" Anstrich vollständig eingebüßt hat.
An der Mündung des Lukavac-Flüßchens in die Save steht, von einer reichen Au-
vegetation deeorirt, ein ruinenhafter Dhnrm, die Nakic-Kula, „der einst so hoch war, daß sein
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Bosnien und Hercegovma.
Schatten am Abend bis Belgrad reichte". Hier beginnen die lehmigen Ränder des Flusses
beiderseits sich langsam über diesen zu erheben, sogenannte Scharufer, natürliche Dämme
gegen Überschwemmungen bildend. Während des Hochwassers zur Winterzeit ist die
Save ein imponirender Strom, der an den Usern unaufhörlich nagt und frißt und an
ungeschützten Stellen sich weit und breit ins Land ergießt, um oft erst nach Wochen, in
unglücklichen Jahren erst nach Monaten, sich wieder znrückznziehen. Die Mitte des Stromes
bezeichnet eine reißende Strömung, alles andere ist eine kolossale Seefläche, auv der
Stadt Bjclina: Die xastanska ulica.
Pappeln und die Firste von Sommerställen herausragen. In einem heißen, trockenen
Sommer dagegen wird der Strom zu einem ganz unbedeutenden Wasserlaufe, der an
vielen Stellen durchwatet werden kann. Sehr erschwerend für die Schiffahrt bei niedrigem
Wasserstande sind die massenhaften Ablagerungen, durch welche nicht nur die tiefen
Stellen fortwährend variiren, sondern auch die Windungen des Flusses, wie bei Raca,
häufig ganz verlegt und unpassirbar gemacht werden.
Wo die Sümpfe trockenem Boden weichen, da herrscht die berühmte Pflaume der
Posavina. Ganze Wälder von Pflaumen-Plantagen nehmen die tieferen Lagen ein,
etwas höher dehnen sich Maisfelder aus, und dann geht die Ebene in Weideland, Jung-
und Buschwald über. Der weite Plan ist durchsäet mit Ortschaften, Weilern und
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stattlichen Gehöften. Eine überaus anmuthige Staffage derselben bildet die mit buntem
Stickwerk und Schmuck belebte weiße Tracht der Frauen. Daß diese ihre Gewänder so
auffallend hoch schürzen, lassen die fast zu jeder Jahreszeit unergründlichen Feldwege
begreifen. Diese Schlammrinnsalen ähnelnden von Schweineheerden aufgewühlten Seiten -
pfade werden, so wie auch die einzelnen Anwesen, von dem hohen bösartigen Gestrüpp
des tatarischen Ahorn (Sestica) eingefaßt, was eine Begegnung mit einer Büffelherde sehr
unangenehm macht. Ein Abweichen von den Hauptwegen hat überhaupt einen unauf -
hörlichen Kampf mit eben diesen Dornzäunen und den nicht minder bösen Hunden zur
Folge. Die bedeutenderen Orte findet man natürlich längs der Wasserstraße der Save,
wo sich auch die im Jahre 1863 aus Serbien ausgewanderten zwanzigtausend Moham -
medaner an mehreren Punkten niederließen.
So entstand auch Brezovopolje (türkisch Azizie), ein auf Kosten des türkischen
Staatssäckels in regelmäßigen, breiten Straßen angelegter Ort, dessen Zier die von einem
Hain umgebene, in der Save sich spiegelnde, knpfergedeckte Moschee ist. Nahe liegt Brcka,
dem alle Straßen der Posavina und eine Eisenbahnlinie aus der Monarchie zustreben.
Ist das Jahr ein gesegnetes, so rauchen im Herbste allwärts die „Pusnicas", die
Dörrhütten, und dann ziehen endlose Reihen aller möglichen Transportmittel schwer mit
Pflaumen beladen dem Städtchen Brcka zu: Wageu und Tragthiere; und selbst die
ochsenbespannte hier schon längst außer Curs gesetzte Arbaba kommt bei solch einer
Gelegenheit noch quickend zum Vorschein. Die so wenig Mühe erfordernde, bescheidene
Pflaume ist das Baargeld der Posavina.
Zur Zeit der großen, wochenlangen Pflanmen-Messe pulsirt in und um Brcka ein
fieberhaftes Leben; fremde Kaufleute aus aller Herren Länder strömen hier zusammen,
das Geld rollt, in allen Cafes und Restaurants spielen Musikkapellen aller Art, und auf
dem weiten Platz um Brcka halten die Landleute ihre großen Markte ab: Vieh-,
Schweine-, Pferde- und Getreidemärkte. In all den bunten mannigfaltigen Gewändern
von dies- und jenseits der Save wogt es lärmend durcheinander, und am Abend ergötzen
nächst der „Mehkarakija", dem milden Pflaumenbranntwein, und den süßen Bratkürbissen
der Posavina noch Panoramen und Schaubuden mit bengalischem Licht, Indianern und
Feuerfressern das unter Wagen und Zelten lagernde Volk.
Brcka ist die einzige Stadt Bosniens, die bis auf die Natioualkleider der Ein -
heimischen schon längst alles Orientalische nahezu abgestreift hat. Als alter Stapelplatz
der unteren Savegegenden mit Slavonien, lernte es schon seit Langem solide bauen; in
neuerer Zeit sind, vornehmlich an Stelle des alten, geschleiften Kastells, das inmitten der
Stadt ans einem Hügel lag, eine Anzahl großer, schöner Baulichkeiten entstanden, und so
bietet denn Brcka, vornehmlich vom slavonischen Ufer aus betrachtet, ein anziehendes
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Städtebild dar. Wird es vvm Sommer-Abendglanz umflossen, dann gleißen die Kirch-
thürme und Minarets und die Kuppeln des arabisch stilisirten Stadthauses; den Häuser-
Complex durchschneidend, kommt die Brcka aus den grünen Flächen einhergezogen, über
dem Ausschnitte erblickt man die Majevica in schattenhafter Zeichnung, und in getreuem
Spiegelbilde gibt der abschließende Rahmen der Save das Gesehene wieder.
In weiterem Sinne gehören zu Brcka noch die alten Edelsitze längs der Majevica
am Rande der Ebene: Koraj, Celic und vor allem Rahic, der Sammelpunkt einer sehr
exclusiven mohammedanischen Aristokratie; die weitläufigen Begluks mit ihren Kula's
geben diesen Ortschaften einen, wenn auch schon etwas verblaßten feudalen Anstrich.
Von Brcka aufwärts wird das fruchtbare Ackerland häufig von Resten der großen
Auwälder unterbrochen, in denen besonders die Pappeln vorherrschen. Üppig wuchernde
wilde Reben, deren Stämme oft Schenkeldicke erreichen, klettern bis in die Wipfel hinauf,
so daß die herrlichen Baumgruppen im Herbste weithin roth über die Ebene leuchten.
Hier befand sich früher der Herd aller Aufstände in der Posavina, und namentlich waren
es die Christen dieser Gegend, die Hussein Kapetans Aufruhr gegen den Sultan als Frei -
schärler unterstützten. Um dem ein Ende zu machen, wurden die Unruhigsten, das waren
die Bewohner von Orasje, expropriirt und an ihre Stelle die mohammedanischen Aus -
wanderer aus Serbien angesiedelt. Da die abziehenden Christen die Häuser vollständig
zerstörten, so erstand 1862 Orasje zu einem neuen freundlichen Orte, dem türkischen „Azizie
i zir", den in neuerer Zeit Uferbauten vor der Unersättlichkeit der Save schützen.
Westlich davon liegt an der Tolisa das neue gleichnamige Franciscaner-Kloster, dessen
zweithürmige Kirche weithin sichtbar ist.
Nun betritt auch die Bosna die Saveniedernng. Bei Dobor bespült sie die letzten
Felsgebilde, und auf diesen thront als äußerster vorgeschobener Posten des ritterlichen
Bosnien die noch im Verfalle stattlich anzusehende Burg des Königs Stefan Thomas,
wo er 1457 durch den apostolischen Legaten Cardinal Carvajal die Taufe empfing. Bei
ihrem Austritte in die Ebene wird die Bosna von der Gartenstadt Modric empfangen,
deren Einwohner durchaus wissen wollen, daß jene einst die größte der grotzen Städte
Bosniens gewesen. Prinz Engen wird beschuldigt, sie vollständig vernichtet zu haben.
Ihre heutige Bedeutung liegt nächst ihrer nahezu zweihundert Meter langen Bosna-Brücke
und ihrem Handelsfleiß in der landesürarischen Muster- und Lehrwirthschaft.
Hier hört die Bosna vollständig auf, ein Gebirgsfluß zu sein. Den aus den oberen
Lagen mitgeführten Schotter hat sie bereits abgelagert, und nun wälzt sie sich, zwischen
niedrigen Lehmufern vielfach sich windend und verästelnd, breit und träge dahin. >;e
näher der.Save, desto größer werden, insbesondere am rechten Ufer die „Bara's", die
größeren Sümpfe, mitdemschwarzenzähen Schlammboden. AufdenWassertümpeln raschelt
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das Schilf, und zwischen den weißen und gelben Seerosen wälzen sich, von Gelsen und
Stechfliegen umschwärmt, die Schweine. Die kleinen mehr abgegrenzten Sümpfe dagegen,
„Ada" (Insel) genannt, tragen edlen Baumschmuck, und die bereits nahe der Bosnamündung
bei Crkvina liegende Kapetanova-Ada ist mit ihren Waldesschatten und ihrer Singvögel-
Colonie ein liebliches Idyll in der Morast-Wüstenei.
Wo die gelben Fluten der Bosna und der Save sich langsam vermischen, liegt ein
sehr regsames kleines Städtchen, Bosnisch-Samac, amtlich früher Azizie i bala genannt.
Zahlreiche Schiffmühlen und ein lebhafter Floßhandel beleben die Save, und der große
Überfluß an köstlichen Fischen in den Gewässern findet in den beiden Hauptstädten der
Monarchie seinen Absatz. Ehedem eine öde, nur von Wasservögeln bevölkerte Flußland -
schaft, sieht jetzt die Gegend der Bosnamündung durch das gleichfalls von den serbischen
Emigranten gegründete Städtchen ein immer lebhafter sich entwickelndes Handelstreiben
um sich.
Die Bosna kann als die westliche Grenze der großen fruchtbaren Ebene an der
unteren Save gelten, denn ihr linkes Ufer beginnt bereits mit einem allmäligen Über -
gang zu den Höhen des Vucjak-Waldes. Diesem ringt die Posavina nur mehr ein
zwischen Bosnamündung und Save hineingeschobenes, kleines, fruchtbares Dreieck ab,
dessen nordwestliches Ende das große Savedorf Svilaj bezeichnet. Die Kreuze auf dem
Friedhofe dieses Ortes bestehen aus Stangen von einigen Metern Höhe, an denen oben ein
ganz kurzer, geschnitzter Querbalken angebracht ist. Der hier übliche Todtengesang ist ein
markerschütterndes, schrilles Geheul des am Boden kauernden Chores der Leidtragenden,
das schon manchen Passagier der Saveschiffe entsetzte.
Das westbosnische Karstland und die Krajina. — Wenn man durch den
Gebirgspaß des Prolog von Dalmatien her Bosnien betritt, so blickt man in das
bleiche Antlitz des westlichen bosnischen Karstgebietes. Das letzte Stückchen Meer versinkt
im Rücken, und durch den massigen Steinleib des Prolog von dem Küstenstriche getrennt,
breitet sich nun ein weites Gebiet aus, das in breiten bergumwallten Stufen gegen Osten
ansteigt, um an der Wasserscheide der Adria, beim Vrbasgebiete, dem Beginne des
waldigen Binnenlandes — der eigentlichen „Bosna" — jäh abznstürzen. Der Prolog
ist nur ein Glied der gewaltigen Kette der Dinarischen Alpen, deren östliche Breitseite
rasch hinabgleitet in das bosnische Stufenland, um fast überall unvermittelt auf den
Hochplateaux zu fußen.
Es sind seltsame Landschaften, immer umhaucht von dem eisigen Gruße der Bora.
Im Sommer grünt es wohl auf den weiten Wiesenflüchen der Poljes, aber die sie um -
gürtenden Steinkränze bleiben fast unberührt von der Freude des Werdens, der Trauer
des Vergehens. Auf ihren Vorsprüngen und Abdachungen drängt sich zwischen dem
Stadt Livno.
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Trümmcrgestein spärlicher Graswuchs hervor, und diesem nach zieht während des kurzen
wasserlosen Sommers der Grenzhirte mit seinen Herden, für die er Schnee und Eis aus
den Felsenspalten hervorholt. Und auch dem wehrt der Karst. Der gleichmäßige, nie auf-
hörcnde Singsang in den Lüften kann plötzlich zu Donnergeheul anschwellen; rauschend
und prasselnd werfen die Windstöße die losen Steinchcn umher, und mit einem Wuth-
gebrülle fegt die Bora über Alles hinweg. Das Leben erstirbt in Grauen und Eiseskälte,
wenngleich' die Sonne durch die krystallhelle, flimmernde Luft ihre glitzernden Pfeile
niedersendet.
Doch die Bora ist noch nicht alle Schreckniß dieser Gebiete. Zu dieser gehört noch
im Sommer Wassernoth, im Winter Überschwemmung. Die fruchtbare Ebene von Lwno,
das von Wassergevögel aller Art umflatterte Röhricht des Buskoblato, das Duvanjsko-Poljc,
und eine Riesenstufe höher, das Glamocer-Feld, alle sind zur Winterszeit Seen, aus denen
die Berglehnen wie Steilküsten aufragen, auf welchen der Einbaum schaukelt, die Fahre >
den Verkehr zwischen den an den Rändern des Polje liegenden Ortschaften vermittelt,
wenn die Bora nicht eben haushohe Wellen aufwühlt. Jeder der großen Terrainabsätze
wird von einem Höhenzug eingeschnürt, der, den freien Abfluß des Wassers hemmend,
dieses zwingt, unter dem Erdboden seinen Lauf weiter zu nehmen. Haben aber die langen
Herbstregcn die unterirdischen Behälter gefüllt, so hören die Abflüsse auf, und das Wasser
staut sich auf den Poljes, um bis zum Frühlinge hier stehen zu bleiben, worauf es rasch
sinkt, dem Menschen die feuchte Scholle zur Bearbeitung überlassend, wo mcht die Höhe
der Lage oder Sümpfe dieser Ausnützung entgegentreten.
Auf keiner der vielen Hochebenen des bosnisch-hercegovinischen Karstgcbictes läßt
sich Anfang und Ende dieses interessanten Naturschauspieles so mit einem Blicke über -
schauen, wie auf dem schönen Livanjsko-Polje, ober dessen weitem Wiesenplan nichtselten
eine Fata Morgana — Luftspiegelung wie im Alföld — zwischen dem Bergkranze schwebt.
In dem am Fuße der östlichen Höhen, der Krug-Planina, gelegenen Städtchen Livno
entströmen einer Felswand aus zwei nebeneinander liegenden Öffnungen, der große und
der kleine Duman genannt, Wasserarme, die je nach der Jahreszeit rauschend und wallend
oder seicht rieselnd durch die Stadt ihren Lauf nach der Ebene nehmen. An anderen
Stellen sickert das Wasser unter dem Berge hervor gleich einer gewöhnlichen Quelle, oder
tritt als ruhiger Wasserspiegel aus einer Höhlung heraus. Als Gegensatz zu diesen Aus -
tritts-Ponors kann man quer über der langgestreckten Ebene am psuße des Prolog, auf
einer Entfernung von kaum drei Kilometern, neben einander vier mächtige Schlünde sehen,
die, typisch in ihrer Art, den größten Theil der Wassermassen des Polje aufnehmen. Der
erste derselben, der sich hart neben der den Prolog hinansteigenden Chaussee befindet, fft
in der trockenen Jahreszeit auf ungefähr 500 Meter zugänglich und gleicht einem etwas
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geneigten Stollen, der sich bald zu Mannesbreite und -Höhe verengt, bald zu förmlichen
Hallen erweitert, und dessen zackiges Gestein an manchen Stellen von den Fluten platt -
geschliffen erscheint. Ein Wassertümpel von ungemessener Tiefe wird auf einem Floß über -
setzt, und schließlich setzt ein kleiner, von steilen Wänden eingefaßter See der Wanderung
ein Ziel.
Dagegen zeigt der Opaki-Ponor einige hundert Schritte weiter nur eine weite
steinige Mulde mit einem Riß am Grunde, durch den der Abfluß des Wassers geschieht.
Daneben sieht man das Ploca-Flüßchen in dem Bristavi-Ponor enden, der das Wasser,
es langsam im Kreise drehend, gemächlich aufsaugt, und selbst im Hochsommer bezeugen
Sumpf und giftgrüne Pfützen ringsum die Langsamkeit seiner Action. Umso gieriger ist
dafür der Veliki-Ponor, ein ausgesprochener Trichter von etwa 50 Meter Durchmesser und
25 Meter Tiefe. Wenn im Herbste das Wasser immer reichlicher aus den gegenüberliegenden
Bergen quillt, wenn all die Wasseradern sich füllen, dann ist plötzlich der Moment da, in
dem die kleinen allwärts im Terrain vorkommenden Ponors nicht mehr genügend
functioniren und die Fluten über die Ebene strömen. Donnernd stürzen sie sich hinein in
den Kameniti-Ponor, die in den Schutthalden vor dem Höhleneingange nistenden Tauben
und Schlangen verscheuchend; die beiden anderen Ponors schlürfen und saugen an dem
Element, aber der Veliki-Ponor wird immer wieder leer. Ist sein Trichter voll, so hört
man ein Gurgeln — ein gewaltiges Schlucken und das Wasser ist verschwunden. So macht
er Schluck auf Schluck, und nur bei hohem Wasserstande im Frühlinge bleibt auch der
Unersättliche zeitweilig gefüllt.
Von den verfallenden Werken, welche den jähen Absturz des Terrains zum
Livanjsko-Polje krönen, und unter denen noch ein „Römerthurm" gezeigt wird, steigt das
Städtchen Livno im wirren Durcheinander hinab, für seine Häuschen eine Stütze an den
Quadern der Festungsmauer suchend. Alles Grau in Grau. Grau sind die unverputzten
Mauern der Häuser mit ihren Steindächern; grau die dicken, hohen, ohne Mörtel aufge -
schlichteten Gartenmauern. Aber da und dort legt sich eine tiefgrüne Rebenranke über das
Grau, und auf den Mauern oben kauern Kinder nebeneinander, wie ein Paar Farbenklexe,
und lugen in die stillen Berggassen hinab.
Über Trümmergestein klimmen die Wege von den tiefer liegenden Poljes in müh -
seligen Windungen hinauf auf das höchst gelegene Plateau des ganzen Occupations-
gebietes, auf das Kupresko-Polje.
Hier ist das Reich schweigsamer Hirten. Die weiten Grasflächen erheben sich am
Horizonte ringsum zu sanften Randerhöhungen, auf welchen die tiefgehenden Wolken
ruhen, und zahllose Herden weidenden Viehes sind über die Wiesen zerstreut, auf welchen
das monotone Klagelied der Bora niemals verstummt. Für Kupres gilt die bosnische
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Bauernregel: „Bis Peter und Paul trag' den Pelz, und zu Peter und Paul zieh' an den
PAz", — denn nie wird es hier Sommer. Kaum eine Spanne hoch wächst das Gras.
Aber dafür ist es süß und duftend, wie der Käse, den man von hier in die Städte bringt.
Und die feisten Hammel vom Kupresko-Polje dienen nicht nur den Reichen Sarajevos als
Opferthiere zum Kurbanbajram, sondern gehen auch über den Prolog hinunter nach
Spalato, und von dort nach Italien und Frankreich. Aus der gleichmäßigen, grünen
Fläche taucht hie und da ein Weiler auf, das Thürmchen eines bescheidenen Kirchleins,
ein Minaret, oder der Landsitz eines mohammedanischen Edlen, der zuweilen nach seinen
Herden sieht, welche seine christlichen Kmeten betreuen, nach dem alten agrarischen Grund -
satz: „Zpadinsko su oveo, aobausko 2vono" (des Grundherrn sind die Schafe, des Hirten
die Glocke).
Im östlichen Zuge der niedrigen Randhöhen sieht man eine kleine Scharte, zu der
die Chaussee hinaufführt: die Kupreska-Vrata, das Pförtchen. Ein langentbehrtes Rauschen
und Flüstern hebt an, und mit einem Mal taucht das Auge tief hinab in ein wundervolles
Waldesmeer, aus dem Tannen und Fichten bis zu der Grenze des unfruchtbaren Karstes
heraufklettern. Im hohen Wipfel ruft die Drossel, und murmelnd eilen zahllose Quellen
zu Thal, wo sie Mühlenräder schäumend umfluten.
Was die Krajina allgemein als die ZjutuZ die „schlimme" bezeichnen ließ,
läßt sich zum Theile auch durch ihre geographische Lage begründen: wie ein Keil treibt sie
sich in fremdes Gebiet hinein, von dem sie keine natürliche Grenze scheidet. Deßhalb
hörten die Grenzstreitigkeiten von beiden Seiten nie auf. Aber auch im Lande selbst
zeitigte die Gesetzlosigkeit Mißbräuche und Gewaltthätigkeiten, und die Agrarverhältnisse
thaten das Übrige. ,Xrajina jo lcrvava Imljirm, drang, vuka i bajckuka" (das
Krajina-Land ist ein blutiges Gewand, immer nährt es Wölfe und Hajduken) hieß es.
In blindem Hasse stand hier der Mensch dem Menschen gegenüber, und wenn die festen
Plätze und Städte dem Mohammedaner Schutz boten, so war es die wilde Planina, die
schützend die Rajah aufnahm. War es bis zum Äußersten gekommen, so raffte der Christ
seinen geringen Hausrath zusammen, schaffte das Vieh sammt Weib und Kind über die
Grenze — oft sah er sie nie wieder! — legte mit eigener Hand Feuer an sein Anwesen,
nahm die ,sutm puslca", das „dürre Gewehr" und floh in die Berge.
Wo die Jlica-Planina ihre bis zu tausend Meter hohen FelsenschroffeU dem Grenz -
bache Butesnica zuwendet, dort stürzen sich in dieselbe, aus einem kurzen, zerklüfteten
Thale von Westen kommend, die „Crni-Potoci" (schwarzen Bäche). Diese bilden gleich -
zeitig die Grenze zwischen Kroatien und Dalmatien, und da sie an ihrer Mündung in die
Butesnica auch bosnisches Gebiet berühren, so treffen an ihnen die Grenzen dreier
Lander aneinander. Es ist dies die sogenannte „Tromedja", die „Dreigrenze". Hier
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konnten die Hajduken in Erdhütten und Felslöchern ruhig ihr trauriges Dasein fristen,
wenn sonst überall Verderben ihrer wartete. Es schützten sie die drei Grenzen und die
Lehnen der Jlica, auf denen der Abstieg mit Lebensgefahr verbunden ist. Viele Jahre
hindurch wagte sich kein türkischer Soldat, kein Zaptieh hieher, wo der Hajduk mit
angeschlagenem Gewehr auf ihn lauerte oder ein Steinregen von den überhängenden
Riffen niederprasselte. Von hier aus wurden die Ausfälle in die benachbarten Gebiete
unternommen, und besonders häufig wurde das Glamocko-Polje heimgesucht, wo die
mohammedanischen Edelsitze geplündert und niedergebrannt wurden. Das an einen Hang
der mit Tannenhochwald bestockten Jlica sich anklammernde elende Dörfchen Tiskovac
Stadt Bihaö.
blieb lange Jahre hindurch ganz ungestört die Metropole der Hasduken-Nepublik an den
„Schwarzen Bächen".
Deren Machtbereich war jedoch hier noch nicht zu Ende. Dazu gehörte außer dem
Butesnica- noch das Unac-Thal, wo jeder Bauer dem Hajduken Unterstand und Unter -
stützung gewährte. Selbst in die größeren Ortschaften daselbst, das berüchtigte Trubar,
Mokronoge, Peöi oder Grab, wagte sich niemals ein Grundherr, um sich sein
Drittel von der Ernte und seine Hälfte vom Heu zu holen, wenn es ihm der Kmet nicht
freiwillig gab. Das sich nach Süden ziehende Defile von Grab war insbesondere die
„Kornkammer" der Hajduken. Es ist ein unseliger Landstrich, und die hier Hausen, sind
wohl die Ärmsten der Armen. Im ganzen Lande gibt es keinen, auch nur annähernd so
schmerzlichen Anblick wie diese Thüler. An den geschützten Stellen scharren und tragen
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die Leute mühsam etwas Erdreich zusammen, führen um den Fleck, und wäre er noch so
klein, eine Trockenmauer aus, und bauen darauf den Hafer für ihr Brot. Dieses ihr
kostbarstes Gut schmeckt, als hätte man Sand und Nadeln im Munde. Im Frühling und
Sommer essen sie häufig gekochtes Gras mit Maismehl gemengt, oft ohne Salz, denn
dieses kostet Baargeld. Das armselige Vieh muß stundenweit ans irgend eine steinübersäete
Weide getrieben werden, und von dort wieder stundenweit zur Tränke. Die Menschen
selbst sind erdfahl, schwach, seit Generationen physisch verkommen. Wie im Halbschlafe
leben sie dahin, säst empfindungslos für Leid und Freud. Und trotz Müh' und Plage
wird das, was sie ihre „Felder" nennen, von Jahr zu Jahr kleiner. Die Berge sind
leicht verwitterbares Schiefergestein, und im Frühling und Herbst wird der spärliche
Culturboden mit dem befeuchtenden Regen zugleich von Geröll bedeckt, das von den
Hängen herunterkommt. So geht das Mracaj-Thal, das sich zwischen der ^zlica und der
Hrsovac-Planina gegen Dalmatien öffnet, unrettbar zu Grunde. Der Mali- und der
Veliki-Mracaj sind Wildbäche schlimmster Art und bringen ganze Blöcke des dünn-
gcplatteten Werfner Schiefers zu Thal, oft meilenweit das Land verwüstend.
Wenn dereinst im Türkenlande die Menschen auseinander schlugen und die Lchreic
erbitterter Kämpfer bis tief hinein in das Herz Europas drangen, so war es zumerst die
„Trockene Grenze", die Krajina, welche die Völker des Abendlandes aushorchen machte.
Aus alten Karten chezeichnct man diesen nördlich von der Una liegenden Theil Bosniens
als „Türkisch-Kroaticn", denn mit dem wechselnden Kriegsglück lief die Grenze bald da,
bald dort. Oft war sie bis zur Una znrückgewichen, dann fraß sie sich wieder umso tiefer
hinein in kroatisches Territorium. Alte Chroniken vermelden getreulich, welch glänzende
Waffenthaten die „Kaiserlichen" hier verrichtet, wie oft sie den frechen, räuberischen
Übermuts, des „Krajisnik" gezüchtigt, wie oft aber auch die kampfgeübten Litauer von den
Heißblütigsten und Fanatisirtesten der Bosnier zurückgeschlagen wurden. Hier stand die
berühmte kroatische Militärgrenze, dieses „Bollwerk der Christenheit", unaufhörlich im
Feuer, lag unausgesetzt auf Vorpaß gegen den „Erbfeind". Zum letzten Male hatte sich das
Land gegen Ende der Siebziger-Jahre selbst zerfleischt. Die Occupation machte dem
Jammer ein Ende, und damit erlosch auch der letzte Funke aufrührerischen Geistes.
Nachdrücklicher hat wohl in keinem anderen Theile des Landes die Neuzeit ihr
Recht verlangt, wie eben in der wilden Krajina. Das bezeugt schon ein flüchtiger Blick
auf ihre Hauptstadt. Wenn man von welcher Seite immer hinabsteigt in das weite schöne
Becken, das der Klokot und die Una bilden, so meint man, das alte graue Bih ac wäre in
den Boden versunken, um dem freundlichen Städtchen Platz zu machen, das seine hübschen
Vororte schon weit hinaus in die wohlbestellten Felder und Wiesen entsendet, ^.av dicke
Mauerwerk, auf welchem Pflaumenbänme und Maisstauden wuchsen, wurde geschleift,
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und damals drang zum ersten Male Luft und Sonne in die von Schmutz starrenden und
von Hunderudeln bevölkerten Gassen der alten Festung. Der die Stadt im Osten
bespülenden Nna entlang wurde ein Quai geschaffen, an den sich eine breite, längs des
ganzen Stadtgrabens sich hinziehende Ringstraße schließt. Nur die „Spahinska-Vrata",
auch Bosna-Thor genannt, und ein hoher Thurm sind unverändert übrig geblieben aus
jener Zeit, in der Bihac noch vier Thore, Wälle, Knlas und „Tabijas" hatte, wie es auf
alten Stichen dargestellt wird. Die St. Antonius-Kirche, das edelste Bauwerk gothischen
Burgruine Ostrozac.
Stils im Lande, wurde längst in eine Moschee verwandelt und dient unter der Bezeich -
nung „Fethija" den Mohammedanern heutigen Tags noch zum Gottesdienste.
Die Geschichte der noch von dem ungarischen Könige Bela IV. erbauten Festung
belehrt uns, daß hier manch deutscher, ungarischer und kroatischer Edelmann sein Blut
vergoß, um sie gegen die Türken zu halten, was auch durch 130 Jahre nach dem Falle
des bosnischen Königreiches gelang. Der Fall von Bihac rief m der ganzen christlichen
Welt große Aufregung hervor, und noch in demselben Jahre erschienen hierüber zahlreiche
Broschüren. Eine derselben trägt den charakteristischen Titel: „Klägliche Zeitung. Was-
masscn der crschröckliche Erbfeind Christl. Namens, der Türk, das Ensserisst Granz Hanfs
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und Vestung Wihitsch in Krabaten gelegen, nach lang beschehener belegerung entlichen
Erobert und eingenommen und hernach im abziehen viel Christenblut jämmerlich vergossen
den 19. Juni 1592. Erstlich gedruckt zu Wien. — Nachgedruckt zu Nürnberg durch
Nikolaum Knorre."
Schlimmer noch, als die zahllosen Kriege hat die friedliche Neuzeit dem alten
trotzigen Bihak mitgespielt: es ist thatsächlich kein Stein auf dem andern geblieben, denn
auch die Häuser haben sich durchwegs verjüngt. Die Baulichkeiten, zumeist ans einem
weichen, porösen, bei dem Dorfe Cekrlija gewonnenen Kalkstein, der sich mühelos bearbeiten
läßt, hergestellt, sehen sehr stattlich aus, und die öffentlichen Anlagen geben dem von einem
Kirchthurm überragten Stadtbilde vollends einen harmlos modernen Anstrich.
Erklettert man den linken Hang der Una, so betritt man damit auch den Rand des
großen, breiten Karstbuckels, der gegen Nord, Ost und West allmälig sinkend, den eigent -
lichen Grenzgau trägt. Wachhäuser und Grenzposten gibt's da genug. Man kann ihrer
soviel als Höhen zählen, alle Kulas ohne Dach, denn das Ende einer jeden war Plün -
derung und Feuer. Man sieht vom Rande dieses Karstbuckels über Bihaö hinweg bis an
den Veliki-Ljutoc, dann flußabwärts die Schluchten der Una entlang und gegen Norden
die „Ljuta Krajina" bis ins Kroatische hinein, wie in eine aufgelegte Landkarte. Da ist west -
lich längs der Randhöhen noch in Sehweite auf einem Berggrat eine Moschee, die an die
„wilden Türken von Turija" gemahnt; weiter inmitten zahlreicher Weiler das einstige
Ranbnest Jzacic, das nebst dem Dorfe Klokot 1810 von dem französischen Marschall
Marmont schwer gezüchtigt und den Kroaten zur Plünderung überlassen wurde. Und trotz -
dem mußte es 1835 von General Waldstätten abermals zur Strafe erstürmt und in Asche
gelegt werden, aus der es sich nicht mehr erhob, da bald darauf die Macht der Kapetans
durch Omer Pascha gebrochen wurde. Auf den gegen Norden strebenden Jrrpfaden begegnet
man oft sonderbaren Karawanen: ganzen Familien mit Hausrath, Schwerkranke mit sich
führend. Diese ruhen gewöhnlich, arg geschaukelt und gerüttelt, auf einer Bahre, der
„Sala", die zwischen zwei Stangen hängend von je einem Pferde vorne und rückwärts
getragen wird. Sie streben den heilwirkenden Schwefeltümpeln von Gata zu, wo sie in
Hütten von Erde und Flechtwerk campiren und ihre Kranken täglich stundenlang in die
Pfützen legen. Daß die Römer diesen Ort geschätzt haben, sagen uns hier zahlreiche
Reste ihrer ehemaligen Baulichkeiten. Die Gegend scheint ganz unbewohnt, doch
verläßt man den Pfad und dringt seitwärts durch den Busch, so stößt man auf Herden
und Gehöfte, alles vereinzelt und den Blicken möglichst entzogen. Weiber und Kinder
verhüllen fliehend ihr Antlitz, auch wenn es nicht Mohammedaner sind. In den Dolinas
wird geackert; dort werden die Heuschober aufgerichtet und das Vieh angepflockt, und nichts
davon ist von den Pfaden aus zu sehen. Hat der unheimliche Busch ein Ende, sei es an
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dem endlosen, mäandrisch dahinschleichenden Mutnica-Flüßchen oder an der blauen
Kor ana, so beginnen mit dem freien Ausblick wieder die Kuppen mit ihren Kulas und
Tschardaks.
Bei Prosiceni-Kamen steht auf dem kroatischen Ufer noch ein großes Rastell-
Gebäude ans der Grenzerzeit; aber es ist ausgebrannt, und über eine Brücke der Korana
Verkehren Likaner und Bosnier frei miteinander. Längs der Korana wächst der Kukuruz auf
Schanzen. Der sich daran schließende Maulwurfhaufen trägt das Fort von Trzac, und
Weiterweg über Wiesen, Felder und Busch, immer längs der Korana, ist Sturlit, alles
Örtlichkeiten, deren Namen in dem Wiener Kriegsarchive blutigroth angestrichen sind. Und
dann, landeinwärts die Kula von Mutnik und die von O sred ak man wird schon
in flüchtiger Rückerinnerung müde all des Kriegsgetümmels, von dem das Land
hier unaufhörlich berichtet. Während der letzten Unruhen war die Caziner Gegend
vornehmlich das Quartier der kleinen Usurpatoren, die sich oft zu Führern größerer
Aufstände, wie der gegen Omar Pascha, aufwarfen. In der Carsija von Cazin wimmelt
es von Namen, die manchmal mehr als eine locale Bedeutung haben. Man begreift es hier,
daß die nach der türkischen Invasion zuerst zwangsweise ausgehobenen Jünglinge aus der
Krajina später das „Rückgrat der Jenitscheri" werden konnten. Und wenn die Krajisnici
die endlosen Geschichten erzählen von ihren Sendboten, die sie so oft zum Sultan schickten,
um diesem einen guten Rath zu ertheilen, und wie der Padischah zu seinen Veziren dann
immer sagte: „Mir scheint, es sind Bosniaken im Hof! Laßt mir doch die Helden herein",
dann verstehen die guten Caziner unter diesen Helden immer nur sich allein.
Eine der schönsten und auch besterhaltenen Burgen der Krajina ist die von Ostrozac,
die zwei Wegstunden südlich von Cazin an dem zur Una abfallenden Terrainrand liegt.
Die glatt und eben daliegende Dorfstraße leitet geradewegs in die Bnrg hinein, und da
findet man noch gute Betten, Casematten und Verließe. In den großen Höfen stehen
Moschee und Haremsgebäude des letzten Kapetans von Ostrozac, Murad Biserovic.
Seine Enkel und sonstigen Nachkommen, die das ganze Dorf bevölkern, beackern die
Burghöfe und weiden Ziegen an den Hängen ihres Stammschlosses.
Cazin hütete früher den Zugang zu Peci, wohin von hier aus ein durch schöne Be -
stände von Edelkastanien steilansteigendcr Weg führte. Jetzt ist dieser an den Radotina-
Bach verlegt worden, dem die mitten im Walde liegende Radotin-Kula, die Ruine eines
echten Räuber-Schlosses, den Namen gegeben. Hat die Straße den breiten Höhenrücken
erreicht, so sieht sie diesen von der Burgruine der ziemlich volkreichen Ortschaft Peci
beherrscht, dem Schlupfwinkel des berüchtigtesten rebellischen Kapetans, Hassan Aga Pecki,
dessen Gestalt heute schon in das Mythisch-Ungeheuerliche verzerrt ist, trotzdem noch
viele leben, die ihn gekannt.
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Die nördliche Krajina, die Spitze des bosnischen Keiles, liegt gleichsam versteckt
hinter dem eine Wasserscheide bildenden Hochlande. Ein höckeriges Ländchen, ein eigen -
artig Detail zu dem ganzen Krajina-Bilde. Stundenweit sieht man oft nichts anderes als
die Blütenrispen des Mais im Winde nicken, und die Ackerfurchen laufen gleichmäßig
hinein in die Dolinen und hinüber über die Hügel. Und noch sonderbarer muthet es an,
mohammedanische Frauen auf den Feldern zu sehen, unverhüllten Angesichtes, in schmuck -
loses Linnen gekleidet. Die Gegend ist übervölkert, der Boden nicht freigiebig, und so muß
also auch das Weib auf den Acker. Die kleinen Buschwälder sind von Nachtigallen bevöl -
kert, und wo eine Kuppe dominirend sich über die anderen erhebt, da steht selbstverständ -
lich eine Ruine. Mag diese nun Todorovo, Mala-Kladusa, Velika-Kladusa, Podzvizd
oder Vrnograc heißen, sie sind in ihrer Art alle einander gleich. Die Burgen liegen in
Trümmern, und die Häuser der dazu gehörigen Orte sind neu; jeder culturfähige Fleck
wird bebaut, und der Busch beginnt allmälig zumWaldezu werden, da diesen Niemand mehr
niederbrennt, um die Räuber daraus zu vertreiben. Velika-Kladusa, dessen Ruine von
einer plateauartigen Höhe in das friedlicheLand herabschaut, war die Heimat eines besonderen
Typus von Krajina-Helden, der muhammedanischen Ritter, die sich zu Beschützern der
Schwachen und Bedrängten gegenüber den christlichen Grenznachbarn aufwarfen. So
feiern die bosnischen Volkslieder das Brüder-Trifolium Hrnjica, an die in Velika-Kla -
dusa die Ruinen ihrer Kula erinnern, und es wird hier auch eine Felsplatte gezeigt, auf der
daS Volk Hufspuren von Mnjo Hrnjicas Leibpferde, dem starken Schimmel, sieht, sowie
kleine Vertiefungen, die von seiner Lanze herrühren sollen. Der größte der Grenzorte ist
Vrnograc, dessen auf einemFelskopf postirte Veste das kleine Defile der Glinica und die
nach dem Rastell-Orte Oblaj führende Straße beherrscht. An dem ehemals stark befestigten
Buzim, dem Stammschlosse der Grafen Jellachich vorüber, verläßt die neue Fahrstraße
durch Überwindung der kleinen Wasserscheide die nördlichste Grenze, um in das Thal der
Una zu gelangen, die sie bei dem lieblichen Jnselorte Otoka erreicht, dessen Zier weniger
die Überbleibsel seiner alten Befestigung, als die kleinen Cascaden bilden, mit welchen die
Una diese grünen Inseln umfängt.
Ungehindert fließt von hier aus die Una den Saveniederungen zu. Bereits vor
Krupa hat sie ihre Engen verlassen, um die gut bebaute Ebene dieses Handelsemporiums
langsam zu durchziehen. Das kleine von einein Hügel getragene Fort, um das sich das
Städtchen gruppirt, ist Wohl ein älteres Mauerwerk, aber der Ort selbst nahm erst in den
letzten Jahrzehnten einen raschen Aufschwung, zu dem Omer Pascha Lattas, der die gün -
stige Lage Krupa's für den Handel erkannte, den ersten Anstoß gab.
Einen ganz aparten Anblick bietet das sonst ziemlich nüchtern aussehende Krupa;
wenn inan, im Kahn das Krusnica-Flüßchen herabkoinmend, die Mündung desselben in
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die Una erreicht, da steigt Krupa mit seinen hügeligen Gassen sammt dem kleinen Schloß -
berge und den Minarets Plötzlich aus dem Wasser auf. Die Krusnica weiß überhaupt von
ihrem Ursprünge bis zu ihrem Ende zu überraschen, eine echte Tochter des Karstes. Ihr
Bett gleicht einer tiefen Rinne, dessen oberes Ende von Felsenwänden abgeschlossen wird.
Diesen entströmt sie in voller Macht durch eine dunkle Felsenpforte und liegt dann
scheinbar regungslos wie eine grüne Glasschlange zwischen den vollkommen Menschen-
Stadt Krupa.
leeren steilen Hängen, die sich hie und da zu einer Tropfsteinhöhle aufthun. In einer
derselben, der Pucenieka-Pecina, steht eine Mühle, deren Rad von einem Bächlein
getrieben wird, das weit droben auf dem Karstplateau bei dem Dorfe Rupa (Rnpa — Loch)
in einem Ponor verschwindet, von wo es seinen Weg in einem immer breiter werdenden
Gang und dann in die bezeichnete Höhle findet.
So zeigt sich der Karst immer wieder als unerschöpflicher Landschaftsbildner. Er ist
der richtige Boden für den bosnisch-kroatischen Grenzgau, dessen reiche Geschehnisse und
Eigenthümlichkciten. Noch stehen auf den ungezählten Höhen all die Burgen und Schlösser;
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mit imponirender Würde geht der kühne Krajisnik einher, nngethan mit dem berüchtigten
„rothen Mantel". Ist sein Waffengürtel auch leer, fiihrt seine Hand jetzt auch den Pflug,
sv umgibt ihm doch noch unverblaßt der romantische Nimbus seiner Vergangenheit.
Von Novi über Banjaluka nach Jaice und Travnik. — In dem Rechteck
zwischen Save, Una, Sana und Vrbas lagert sich das zumeist aus Serpentin und
Sandstein bestehende Massiv der Kozara hin, ein bewaldetes Mittelgebirge, in dessen
wasserreichen Faltungen zahlreiche orientalisch-orthodoxe Dörfer ihre zerstreuten Gehöfte
haben. In einer idyllischen Waldschlucht liegt hier auch das alte Kloster Moscanica, von
wo aus der Saumpfad sehr bald die fruchtbare Saveniederung erreicht. Bei Kostajnica
schmal beginnend, verbreitert sich diese gegen den Vrbas immer mehr und schafft dort so den
Raum für die großen Kolonien Reichsdeutscher, für Unter-, Mittel- und Ober-Windt-
horst, Rudolfsthal und das wälschtirolische Mahovljani. Vor anderthalb Decennien
ungefähr begannen die ersten Ansiedler mit den Rodungen, und seither haben sich die
Fremden durch harte und erfolgreiche Arbeit längst das Heimatrecht erworben. Von
Klasnica bis Dubrave sieht man rechts und links von der Straße, dicht aneinander
gereiht, die das Gepräge der Wohlhabenheit zeigenden Anwesen, mit den weit in das flache
Land hineinlaufenden, musterhaft bestellten Äckern und Wiesen. Drei große katholische
Kirchen und eine Protestantische, Klöster, Schulen und andere gemeinnützige Institute
zeugen gleichfalls für die Tüchtigkeit der Kolonisten. In der Anlage ihrer Wirthschafts-
gebäude ist durchwegs der typische deutsche Tiefbau zur Geltung gekommen. Freundliche
Vorgärten säumen die Fronten der stattlichen Häuserreihen. Das ruhig-sichere Gebaren
der Menschen, die deutsche Tracht, die deutschen Laute, überall die Hilfsmittel einer hoch -
stehenden Agricultur, Dampfmaschinen u. s. w., all' das läßt erkennen, wie gut die fremden
Reiser hier gedeihen.
Die ganze Vrbas-Ebene, von den letzten Ausläufern der Kozara bei Klasnice bis
zu der Vrbas-Mündung bei Svinjar, ist fruchtbares Alluvialland, dessen Humusschichte
oft eine Tiefe von zwei Metern erreicht. Die gering bevölkerten Strecken, von denen noch
Vieles brach liegt, werden jetzt nach und nach von Bosniern aus anderen, weniger glück -
lichen Landstrichen besiedelt. Die Uferortschaften von Bosnisch-GradiskabisDubica
gehören vornehmlich den sogenannten Repatriirten an, Bosniern aus allen Theilen des
Landes, die während der Aufstände und der Occupativn auf österreichisch-ungarisches
Gebiet geflohen waren und dann behördlicherseits hier seßhaft gemacht wurden. Bosnisch-
Gradiska oder „Berbir", wie es noch vielfach genannt wird, hat seine frühere
Bedeutung als Grenzsestung und Stapelplatz für den Aus- und Einfuhrhandel ganz
verloren. General Laudon hat die Veste, als er sie nach zwanzigtügiger Belagerung erobert,
aufbauen lassen; bis auf wenige Reste ist jedoch Alles wieder verschwunden. Die hölzernen
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Wohnhäuser stehen fast durchwegs auf Piloten, da die Save zweimal im Jahre die
ungepflasterten Gassen durchfluthet.
Dagegen hat sich das alte, in den Türkenkriegen so oft genannte Dubiea ganz ver -
jüngt und ist eine hübsche Gartenstadt, die das Gepräge lebhaften Verkehres trägt,
geworden. Von hier aus ändert sich die einförmig flache Uferlandschaft, die Höhen treten
beiderseits an die Una heran, und die sich gegenüberliegenden Städtchen Bosnisch- und
Kroatisch-Kostajniea sind bereits zwischen Berglehnen eingebettet. Die die beiden Orte
verbindende Brücke wird von einer dem bosnischen Ufer ganz nahe liegenden befestigten
Insel unterstützt, die früher den Zrinyis gehörte. Damals war das Fort noch nicht von
Wasser umgeben, sondern lag, mit dem türkischen User zusammenhängend, gleichsam auf
einer Halbinsel.
Bosnisch-Novi.
Diese Städte waren es, welche vor der Oecupation den Handelsverkehr mit Kroatien
vermittelten. Das Sanathal leitete ihn aus dem Innern des Landes an die Grenzen, und
durch dasselbe wurde noch von der ottomanischeu Regierung die erste Eisenbahn gebaut:
ein Vorläufer der kommenden großen wirtschaftlichen Umgestaltung des ganzen Landes.
Heute noch dient die alte Bahnlinie Banjaluka-Novi — später bis Dobrlin-Kostajniea
ausgebaut — dem Verkehre. Längst schon hat sie die schwerfälligen, türkischen Segelbarken,
die ehedem von Prjedor mit Erzen und Cerealien die Sana und Una herabgeschwommen
kamen, überflüssig gemacht. Dobrlin ist in jüngster Zeit durch die Sägewerke, die das
Holz aus den Waldgebieten der Crnagora verarbeiten, aus einem Dorfe fast zu einer Stadt
geworden, und auch das alte Novi mit seinen endlosen gleichförmigen Straßen, seinen
Kähnen und Flößen auf Una und Sana, die hier in die erstere mündet, hat seither
gewonnen.
Banjaluka kann als Typus einer mittleren mohammedanischen Balkanstadt auf
flachem Lande gelten. Jedes Haus ist eigentlich ein Gehöft für sich, das, von nachlässig
Bosnien und Hercegovina.
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aufgerichteten hohen Bretterverschlägen umgeben, soeben von Wiese und Wald hereingeholt
zu sein scheint. Wie der Orientale mit der Zeit nicht rechnet, will er es auch mit dem
Raume nicht thnn, und so hat sich denn Banjaluka, durch die Umstände begünstigt,
lang und breit über Kilometer ergossen. Durch Gärten, weite Plätze und breite Gassen
anseinandergerissene, lose aneinander gereihte Quartiere mit viel Lust und Sonne,
Gartenduft und fließendem Wasser. Banjaluka war in früherer Zeit Sitz des bosnischen
Paschas und eine der reichsten und bedeutendsten Handelsstädte des Landes. Die Altstadt
ist der südliche Vorort Gornji-Seher, der sich in den Beginn des Vrbasdefiles hinein-
drängt, ein entzückendes Chaos von in Gartendickicht verborgenen Häuschen, Mühlen -
rädern, Wassergcbraus und Ufergrotten.
Auf einem eingefriedeten Rasenplatze steht unter freiem Himmel eine steinerne
Kanzel; es ist der Gebctplatz Sulejman des Prächtigen, der hier auf seinem Kriegszuge
nach Wien absaß und betete. An noch ältere Zeiten gemahnt das über eine neutrale Therme
gebaute römischeBad, sowie auch die Tuffsteinhöhlen amVrbas, die den Römern unverkenn -
bar zu Badestellen dienten. In Laktasi und Slatina-Jlidze, nördlich von Banjaluka tritt
nicht nur ähnliches warmes Wasser wie das zu Gornji-Seher zu Tage, sondern wie bei
Thermen überall, deckt man auch da Ruinen römischer Häuser auf. Mit türkischen Grab -
steinen übersäcte Wiesen vermitteln den Übergang von dem schmalufrigen Gornji-Seher in
das Weichbild der Stadt, das der „Weidenfluß", der Vrbas (Vrba--Weide), in zwei
Hälften trennt. Alles ist grün in dieser Gartenstadt, und grün ist auch der Vrbas mit
seinen hohen von Weiden verdeckten Uferböschungen, an dessen linkes Ufer sich eine alte
Citadelle schmiegt.
Der breite, um die Carsija sich legende Ring der Wohnuugsviertel, aus denen sich
noch einuuddreißig Moscheen erheben, schließt mit dem neuen Stadttheile ab, der niit seinen
beiden Bahnhöfen, den Fabriksschloten, Spitals- und Schulgebäuden und den öffentlichen
Anlagen ein Widerspiel zu dem übrigen conservativen Banjaluka bildet. Und als sollte
noch ein Kontrast geschaffen werden, sieht man wenige Kilonieter weiter in der freundlich -
offenen Gegend ans dem Hintergründe sanfter, grüner Höhen eine seltsam fremdartige
Ansiedlung: lange Gebäude, deren Fenster wie Soldaten in Reih und Glied in das Land
auslugen, hohe Umfassungsmauern mit Zinnen, den Thurm einer Kirche, wirtschaftliche
und industrielle Gebäude und allerorts ein Ameiscngewimmel von barhäuptigen Männern
in braun-weißem Habit und Mönchskapuze. Über allem ruht ein schweres Schweigen, das
nur das Geläute des Glöckleins und das mitternächtige Nocturnus in der Klosterkirche
unterbricht. Es ist „Maria Stern", ein Kloster des Ordens von La Trappe, dessen
büßende Anachoreten das Volk mit scheuer Ehrerbietung betrachtet.
Die neue Straße von Banjaluka nach Jajce ist die »Via mala" Bosniens.
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Ein Zauber eigener Art umfließt diese, durch phantastisches Gefels verdunkelten
Wasser, diese schwindelnd hohen Steinbasteien mit ihren Riffen, Hörnern und Graten. Die
Schluchten des Vrbas haben keine Geschichte. Für unwegsam galten sie bis hinein in die
jüngsten Tage, und keine Sage wirft einen erhellenden Strahl in die Nacht der
Vergangenheit. Wohl sieht man an drei der wildesten Punkte, Adlerhorsten gleich,
zerbröckelndes Gebüu auf den' Felsspitzen kleben; aber diese waren nur auf weiten,
mühseligen Umwegen über die breiten Rücken der Berge erreichbar. Sie dünken uns
wie allerletzte Zufluchtsorte, wie Stätten der Verzweiflung oder des Menschcnhasses.
Gornji-Seher, Novoselo und Karanovaczurücklassend, geht die Straße schnur -
gerade auf die graubraunen, jäh abfallendenWände los, aus deren schmalem, finsterem Spalt
der Vrbas brausend hcrvorschießt. Eine Krümmung der Straße, und man meint in einen
schwarzen Schlund hineinzusehen, auf dessen Grund sich eine weiße zischende Schlange
windet. Es ist das „Tjesno", die „Enge", das erste große Vrbas-Defile. Bei hohem
Wasserstande trägt uns die Straße kann- mehr als durchschnittlich zehn Meter über dem
Wasserspiegel dahin. Der Fluß ist zuweilen aus acht biv zwölf Meter Breite zusammen-
gepreßt und versprüht dann seine Gischt in ohnmächtiger Wuth an den glatten Stein-
Wänden. Die Wände steigen an beiden Seiten bis zu 200 Nieter, an einzelnen Punkten
sogar bis 300 Meter relativer Höhe.
Von den Graten wagen sich vereinzelte Buchen hinab in die Schlucht, und küm -
merliches Buschwerk und Moos legt seine Zier um das Gewände. Wie zwischen Kerker -
mauern fährt man dahin, einem mächtigen Thore entgegen. Endlich tritt man ans dem
Defile in ein unfreundliches Thal mit mächtigen Grashängcn. Ein vom Gebirgsstocke los-
gerissener Felskoloß sperrt hier den Weg. und die Straße muß sich beim Umfahren tief in
die überhängenden Wände einschneiden. Der Fels trügt die Überreste der Ruine Zvecaj,
in der im XV. Jahrhundert der bosnische Herzog Hrvoja zeitweilig residirt haben soll.
Immer weiter treten die Lehnen der Osmaca zurück und wieder weitet sich das Thal
zu einer sonnendurchleuchteten An. Jetzt sieht man hie und da ein einsames Gehöft und
vereinzelte Menschen. Manchmal zieht die melancholische Weise einer Hirtenflöte durch
die Stille. Von den Bergen niedersteigende Karawanen übersetzen den Fluß: die Menschen
auf Flößen, die beladenen Pferde kämpfen schwimmend mit der Strömung. Jetzt taucht
ein Ort, Krupa, auf; von der Höhe blickt ein Kirchlein nieder; da sieht man vor sich den
Ring der Berge abermals sich schließen; die Manjaca- von rechts und die Tisovac-Planina
von links stoßen zusammen, nur getrennt durch den Spalt, dem der Vrbas entströmt.
In einige spitze Kegel scharf zugeschnitten fällt der Grat der Manjaca in das neue
Felsenthor des Vrbas ab. Die höchste Spitze trägt noch einen runden, mittelalterlichen
Thurm, und ringsum bis auf die äußersten vorgeschobenen Stützfelsen laufen die ver-
Der Lukasthurm in Jajce.
sallenen Mauerwerke. Unter der Veste, knapp am Eintritt in das Defile, findet man noch
am rechten Ufer den Rest eines Brückenkopfes. Über die Vergangenheit der Burg gibt
kein Bericht, kein Fragment einer Überlieferung Aufschluß.
Uud wieder empfängt uns das Dämmer der Vrbasklamm, der Blick wendet sich
aufwärts zu dem schmalen Firmamcntstreifen. Hoch oben über den Graten erzittern
langgedehnte Rnfe der Hirten auf den Hochplateaux über die Klamm hinweg. Fast ununter -
brochen in der Horizontalen ruht auf Steindämmen die Fahrbahn, beschattet vom Geäste
alter Buchen, die jedes Plätzchen ausfindig machen, um in dem feuchten Gebiete zwischen
dem Gestein Wurzel zu fassen. Lugen auf den Höhen Fichten und Tannen hervor, so
zeigt sich auf den niedrigen Terrainabsätzen die zähe Eiche, und noch tiefer, bis hinab zu
dem Vrbas, bekränzt das helle, zarte Laub der Buche das finstere Gestein und umsüumt
fast ununterbrochen die Fahrstraße. Abermals tritt die Straße unvermittelt hinaus in die
lichtdurchflutete Au von Aginoselo, in welche aus dem Hintergründe die dunkel-
bewaldete Cemernica hereinblickt. Über die Hänge der Manjaca schleift man hier Weichsel -
holz herunter, das dann durch das „Tjesno" geflößt wird. Vor den gefährlichen Stellen
springen die Schiffer ans Land und machten ehedem oft weite Umwege über das Gebirge,
um unterhalb des „Tjesno" an den flachen Ufern das Holz aufzufangen. Aus zerstreuten
Hütten steigt Rauch auf in die klare Gebirgsluft.
Und zum dritten Male wiederholt sich das Schauspiel. Von dem Steinwall vor uns
löst sich ein kühn profilirtes Massiv ab, das von den Ruinen einer Burg gekrönt, hoch in
das Blau hineinragt: Bocac, die vollendetste Thalsperre. Neben den verhältnißmäßig noch
ziemlich gut erhaltenen Thürmcn und Mauern erhebt sich auf dem Bergrücken auch eine
Moschee, deren weißgetünchte Mauern weithin schimmern. Bald ist das kleine, moham -
medanische Dörfchen Bocac, das zwischen duftenden Nußhainen die Gelände herabsteigt,
erreicht. Nun bemerkt man aber auch links neben der Straße, gleichfalls unter einer
Gruppe alter Nußbäume die aufgedeckten Fundamente einer altchristlichen Basilika,
welche wohl jenen zur Andacht gedient haben mag, die dereinst dort oben in dem schlosse
gehaust, und von deren Existenz nun jede Spur ausgelöscht ist.
Weiter sind viele Einzelnheiten von wilder Schönheit, wie sie der ganzen Strecke
eigen ist. Die übereinander gehäuften Steintrümmer erinnern daran, daß auch die Berge
alt werden, verwittern und dann thalabwärts stürzen, lind dann wirbelt das Wasser um
sie herum, hüpft in Cascaden über sie hinweg. Bald erheben sich langgestreckte, weiße,
gezähnte Kalkwände, auf denen die schwarze Balkanföhre thront, bald Lehnen mit
weichem, sammtartigem Grün überwachsen; bald ist der reiche Pflanzen- und Baumwuchs
mit Steingeröll und Erdlawinen überschüttet.
Ihren grünen Schmuck abstreifend, richten sich die Lehnen nochmals auf. Und
plötzlich ist man abermals in einem Engpässe — dem dritten Defile pittoresk, wie die
früheren. Zwischen den glatten grauen Wänden liegt hier im kahlen Bette der glasige
Vrbas, dessen durchsichtige Helle nur hie und da eine weiße Schaumwolke trübt. Gehorsam
legt er sich enge um die Windungen der Wände. Jetzt leuchten die „Bijele-Stijene"
(„Weiße Wände") auf. Die Straße umklammert sie auf einer Felsenböschnng; doch nun
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hemmen die thurmhohcn Riesenobelisken der ..Vlafinjc Sttjene" endgillig den weiteren
Lauf der S kratze. Und so bohn sie sich durch das Gestein. Durch zwei Tunnels laust jetzt
der Weg. und kaum tritt er heraus, so legt sich die überhängende Fclsnase Greben quer
über den Fluß, diesen zwingend, einen spitzen Winkel zu beschreiben, nicht unähnlich der
Labyrinth Psorte einer alten Veste. Auch die Straße windet sich mühselig durch die
Engen, bohrt sich nun nochmals mit einem langen Tunnel durch den Greben, übersetzt
unmittelbar beim Verlassen des finsteren Stollens den an den Wänden brandenden Vrbas,
und gewinnt so gleichzeitig das rechte, gangbare User. Das Felsenthor klafft bald zum
letztenmale auseinander, und frei führt nun der Weg durch ein sonnig verklärtes, fruchtbares
Geffld. Erfreut schweift das Auge über dasselbe hin und bleibt dann auf einem uralten
Franciscancr-Kirchlein, Podmilacje, haften, das mit seinen eingesunkenen Gräbern und
den darüber schwankenden Baumgipseln, nach den Grauen der Schluchten, so recht ein
Hort des Friedens däucht.
Noch ein fteilabfallender Conglomeratstock muß überwunden werden. An einer
scharfen Straßenwendung steht eine alte, schon fast blätterlose Eiche. An diesem Punkte
sieht mau plötzlich ein zauberhaft schönes Bild vor sich aufgerollt: das der alten Königs -
stadt Jajce.
Der kleine Kegel, der das alte Jajce trägt, liegt wie ein sorgfältig behütetes
Schaustück in einer Fassung von dominirenden Höhen in dem Dreiecke, das die Mündung
der Pliva in den Vrbas bildet. Hohe, schmale Stufen nehmend, steigt das Städtchen
innerhalb des Burgfriedens vom Vrbasufer den Berghang hinan, der oben von den
Zinnen der eigentlichen Veste abgeschlossen wird. Ein merkwürdiges Sammelsurium von
Baulichkeiten! In das regellose Netzwerk türkischer Häuser mit den dichtmaschigen Fenster -
gittern hinein verwirkt sind runde und eckige Thürme, Geschützrampen und meterdickes
Mauerwcrk, das, dereinst vielleicht einem Palaste dienend, jetzt zu bescheidenen Hofeinsrie -
dungen herabgesunken ist. Ein schlank aufstrebender romanischer Thurm, der der ehemaligen
Lukaskirche, sieht mit seinen zierlichen Spitzbogenfenstern wie ein Patrieier auf die Ruinen -
stadt herab. Tritt man hinaus vor das mittelalterliche Plivathor, durch das die Straße
gegen Süden weiterläuft, so steht man an einem wirbligen schäumenden Wasser, das ein
stattlicher Fluß ist und die Art eines übermüthigen Gebirgsbächleins hat. Ein schöner
Uferweg lockt flußaufwärts, vorbei an den Kalttuff-Rohbauten der Bahn-Endstation Jajee.
Ter Lchienensttang tritt drüben über dem Flusse aus tiefen Tuffeinschnitten heraus und
setzt mittelst einer Eisenbrücke über die Pliva-Katarakte hinweg. Grün-weitz brodelt es
-wischen den Userrändern. Tausende von Schritten geht man dem Flusse entgegen, und die
Erscheinung bleibt sich immer gleich. Eine Felscnwchr taucht endlich aus, gleichsam die
Quelle der Unruhe: denn über diese kommen die Wasser herabgcbrautt, um toll weiter zu
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wirbeln, während oberhalb des Riegels die Hier sich ausweiten, um einen spiegelblanken,
kleinen Lee zu umfassen. Im Uferröhrichl rascheln Lchwärme von Wildenten und schnee -
glänzend fliegt die Möve auf. Wo die beiderseitigen Bergkupven sich über dem Wasser
vereinigen zu wollen scheinen, da grenzt eine quer durch den Lee lausende Lteinbarriere
in ihm, und hier empfängt er sein Wasser aus gleiche Weise, wie er es eine halbe Weg -
stunde tiefer wieder abgibt. Dieser breite Wall ist ein duftender Blumenrain. Auf den
Tie Katarakte bei Iajcc.
Rissen grünt es, und unter den Riesenbouquets des Nachtschattens, dessen zartrosa Blüthen
wilde Bienen nmschwärmen, schießen die Wasserstrahlen hervor.
Tie Randberge richten sich steil auf, und die Straße muß sich tief einschneiden, um
an den Katarakten vorüber zu kommen. Eine scharfe Wendung, und ein zweiter Lee
weitet sich vor dem Auge aus. Groß und ernst ruht er in dem Lchooße der schön-
geschwungenen Höhen, die ihr Lpiegelbild in der Tiefe ichauen. Kaum merklich kräuselt
die Bewegung des Fließens die Fläche. Feierliche grille lagen über vielem dunkelgrünen
Bcrgfee.
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Viele Kilometer weit schweift der Blick ungehindert über die klare Fläche. Wo sich
diese wieder zn einem Fluß verengt, erschimmert, halb verhüllt von dem Geäste mächtiger
Bäume, das alte Gjölhissar, jetzt gleich den Seen einfach „Jezero" genannt. Früher ein
wichtiger Posten an der nach Norden führenden Straße, hat der Ort jetzt nur die Bedeu -
tung eines Tonristenhauses. Hier ändert sich das Flnßbild der Pliva. Ruhig und tief liegt
sie in den schluchtigen Engen, bei Sipovo die Grundmauern einer lüngstvergessenen römischen
Niederlassung bespülend, und ebenso ruhig entquillt sie dem Sockel eines schroffen Felsens.
Am Plivathor Jajces wallt das Wasser vorüber, und wie ferner Orgelton liegt es
in der Luft. Eine breite Brücke trägt hier die Fahrstraße über die Pliva, an deren rechtem
Ufer ein schmaler Fußsteig zwischen dem Grün verschwindet. Man folgt diesem, und schon
nach wenigen Schritten sieht man sich zwischen steilen Hängen an dem wild dnhintosenden
Wasser. Unzählige, mit morschen Mühlen dccorirte kleine Inseln mit mächtigen Ulmen
und Weiden ragen ans den Wirbeln empor, den Engpaß beschattend. Und plötzlich stürzt
sich der Fluß, von allen Seiten eingeengt, zwischen Felsenriffen durch, über eine dreißig
Meter hohe Felswand in ein schluchtartigcs Thal hinab, wo der Vrbas — wie das Volk
sagt — die Pliva „vernichtet".
Fast däucht es müßig inmitten der Pracht Jajces von Vergangenem zu sprechen.
Dem Historiker, für den es gilt, die gähnende Leere ganzer Jahrhunderte in der bosnischen
Geschichte mit wenigstens schattenhaften Umrissen von Figuren und Ereignissen auszn-
füllen, ist das alte Jajce mit seinem Culturkreise eine Stätte eifrigen Forschens. Aber dem
Gedächtnisse und dem Herzen des Volkes ist alles entschwunden. Längst vergessen ist der
Name des mächtigen Großvojvoden Hrvoja, des Gründers von Jajce, gleich den
Namen der anderen bosnischen Magnaten, die die Zupa Pliva mit Krieg überzogen oder
vertheidigten, —vergessen, wie das große Ereigniß derKrönung des letzten bosnischen Königs
in der Samt Lncaskirche. Gewisse Mauerreste bezeichnet Einer oder der Andere zögernd
als „Kotrvmans"-Palast; die „Sahat-Knla st der Uhrthurm, wird dem christlichen Helden
Vnk Jajcanin, der sich in irgend einem dunklen Jahrhunderte durch Stärke und Grobheit
ausgezeichnet, als Wohnung zngetheilt, und in den Katakomben saß dessen Concurrent,
der Mohammedaner Ali aus Gerzovv gefangen. Nichts weiter von den noch immer rüthsel-
haftcn Felsengewölben, eben diesen Katakomben, durch wen und wozu sie entstanden, nichts
von der Blütezeit der bosnischen Ritterschaft, nichts von den heldcnmüthigen Kümpfen
der Ungarn, die Jajce noch durch ein halbes Jahrhundert nach dem Falle des bosnischen
Königreiches zu einem mächtigen Bollwerk gegen die Osmanen gemacht.
Auf der nördlichen Tabija, wo früher der berühmte „Zelenko" stand, der bei
weitem mehr lärmte als schadete, breitet jetzt ein Ahorn sein Geäst über gemüthliche
Kaffeegesellschaften von Graubärten, die über die ,8tarn vaüta" (alte Zeit) reden.
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Von hier umfaßt das Auge das Carevopolje, das hügelige „Kaiserfeld" nördlich von Jajce,
wo Derjenige mit seiner Heeresmacht gelagert hatte, dessen Name wie ein Denkmal aus
Stein und Erz in das vage Gedächtnißleben des Volkes hineinragt — der große Sultan
Mehmed Fatih. Neben einer rieselnden Quelle, unter einer jungen Eiche, die heute ein
morscher, knorriger Baumgreis ist, leuchtete sein Zelt. Hier wurde, wie man glaubt,
Stefan Tomasevic hingerichtet. Und bestattet wurde der König — dessen Gebeine (wenn
es die rechten sind) jetzt in einem gläsernen Schreine in der Franciscaner-Kirche zu
Aus den Katakomben von Jajce.
Jajce ruhen — jenseits des Vrbas, hinter dem Gipfel der Kuppe, die dem Wasserfalle
oder, wenn man genauer will, dem Touristen-Hotel gegenüber aus dem Flusse aufsteigt.
Dort ist des letzten Königs einsames Grab, umspült von dem Odem des Waldes und
dem Lichte des Himmels. „Kraljevgreb" und die Trümmer der Kula des letzten Kapetans
liegen einander stumm gegenüber: die Schlußpunkte zweier tragischer Capitel. Aber der
Plivafall donnert in voller Majestät, und der Vrbas führt zwischen den stürzenden
Zwingburgen eilend das dunkelnde Wasser dahin, wie in alter Zeit.
108
Die beiden eisernen Striche, die der Bahnbauer durch eine Landschaft zieht, die
Wolkenschleier, mit welchen sie von der Locomotive eingehüllt wird, verändern nicht selten
vollständig den Ausdruck ihrer Physiognomie. Vor Kurzem noch lag Jajce in romantischer
Abgeschiedenheit; der aus dem Bosnathale über Travnik dahin führende Hauptweg konnte
es nur durch die Waldeinsamkeiten der Karaula-Gora erreichen. Die verlassenen Pfade
ringsum sind besäet mit Burgruinen. Fast weiß man nicht mehr, wie sie heißen: Sokol,
Krezluk, Komotin oder Varosluk, ehedem Königs- oder Großvojvoden Schlösser,
heute vereinsamte Trümmerhaufen.
Ungestörter denn je wächst auf der Karaula-Gora der Tann, seit der erste Pfiff
der Locomotive das mittlere Vrbasthal durchschrillte. Dieses grüne weltfremde Gelände
ist dadurch mit einem Male zu einer „schönen Strecke" geworden, die Ruine Vinac sammt
dem Grabe des frommen Kämpen Forlak Alija — der dort im Gebete meuchlings getödtet
wurde und ohne Kopf eine Strecke weiterlief — ist zu einer „Bahnstation" und die
großen stämmigen Gebirgler einfach zu „Passagieren" geworden.
Auf dem Umwege über das Skoplje führt jetzt der Schienenweg von Jajce nach
Travnik. BeiDolnji-Bakuftritt er aus dem freundlichen Vrbas-Defile hinaus, um durch
eine Wendung nach Osten längs des Oborca-Baches den Komar zu erklimmen. Busch
und Wald in allen Schattirungcn; wohin man nur blickt, grüne Berge und Thäler. Der
Komar, das Bindeglied zwischen dem machtvollen Vlasic und den südlich liegenden
Gebirgsmassen des großen Fojnicaer Waldgebietes, wird wohl nur „Mücke" genannt;
trotzdem aber verzichtet die Bahn darauf, den runden Rücken dieser secundären Wasser -
scheide zu erklimmen, und wühlt sich mittelst eines 1362 Meter langen Stollens, dein
längsten Tunnel der bosnisch-hercegovinischen Bahnen, nach der anderen Seite des Berges
durch. Hier beginnt wieder das Bereich der Bosna. Ein vielgliederiges, hügelreiches
Gebiet, südwärts begrenzt von den im duftigen Blau schwimmenden Spitzen der
Vratnica-Planina und nördlich, knapp vor uns, von den zackenreichen Kanten der
von den Vlasic-Hochplateaux abstürzenden Felsenschroffen. Das Lasva-Flüßchen eilt
regsam zu Thal, und dort, wo es direct die Wände des Vlasic benetzt, grnppirt sich um
seine beiden Ufer die alte Vezirstadt Travnik.
Einen überraschenden Anblick bietet die Stadt, wenn man sich ihr von Osten her
durch das kurze Lasva-Defile nähert. Vor diesem liegt in einer Mulde der gewerbefleißige,
katholische Vorort Dolac. Der ganze Boden dieser von Hügeln und Bächen durchzogenen
Auen ist reich an nebelhaften, historischen Erinnerungen. Die sagenhafte Stadt Lasva,
die Residenz der Bogumilen-„Djeds", der Oberhäupter der mittelalterlichen National -
kirche Bosniens, soll hier gestanden haben. Erst die osmanische Ära hat Travnik geschaffen.
Die steile Vlasiclehne des direct in die Stadt führenden pittoresken Defile ist eine einzige,
109
große Nekropole. Nirgends in Bosnien sieht man so viel reichgeschinückte mohammedanische
Grabmale, als in und nm Travnik.
Die ganze Bergstadt mit ihren Kulas, Minarets und Thürmen klettert Plötzlich an
den ausweichenden Hängen empor und gleitet dann wieder zur Lasva nieder, sich lang
neben derselben dehnend. Die Bahn hat einen gewaltigen Schnitt durch das bauliche
Chaos Travniks und sein unentwirrbares Marktviertel gemacht. Parallel mit der Haupt -
straße durchläuft sie die Stadt, knapp vorüber an der mitten im Marktgewühl stehenden
Gasse in Dolnji-Bakus.
größten Moschee, die als Reliquie drei Haare aus dem Barte des Propheten bewahrt. An
die Vezirzeit erinnert nur mehr ein baufälliger Konak.
In Serpentinen durchfließt von Dolac abwärts die Lasva das breite, flache Thal,
über das sich die Bahn schnurgerade auf hohen Aufdämmungen legt. Über mehrere Höhen
herüber schimmert von den Ostabhängen des Vlasic ein lichter Fleck: das alte, wiederholt
rcstaurirte Franciscaner-Klostcr Gueja-Gora: ein weitläufiges zweistöckiges Gebäude
mit einer großen Kirche.
Die Locomotive folgt keinem der Straßenzüge, sondern verschwindet mit der
lustig schäumenden Lasva zwischen hohen, mit alten Buchenbeständen geschmückten Lehnen
bis ihren vielfachen launischen Windungen die daherbrausende Bosna ein Ziel setzt.
110
Von Metkovic nach Mostar und Sarajevo. Das Felsgestade Dalmatiens
klafft nur an einer einzigen Stelle weit auseinander, dort, wo die Narenta, den Zug der
Dinarischen Alpen durchbrechend, sich den Weg zur Adria erzwingt. Sie bildet hier eine
breite Straße, die hinein führt in das schwer zugängliche hercegovinische Land. Gleich
einem schützenden Bollwerke lagert sich die Halbinsel Sabbioncello vor die Narenta-
mündung hin. Aber diese fand schärfere Wächter in ihren eigenen Sümpfen, und leichter
durchquert der Eindringling die Hochgebirge des Balkans als das Delta der Narenta.
Mit der politischen Grenze, die knapp oberhalb Metkovic Dalmatien von der
Hercegovina scheidet, fällt die natürliche Grenze zwischen der Küstenformation und dem
Binnenlande zusammen. Bis hierher reicht das Brackwasser, und landeinwärts beginnt
nun das große hercegovinische Süßwassersumpfgebiet, das, eine Fortsetzung des Delta,
bis Capljina reicht, wo die ersten Narenta-Schluchten beginnen. Ober Metkovit ändert
die Narenta — von den Einheimischen „Neretva" genannt — welche nur noch für Flöße
bis zu dem etwa zwei Stunden entfernten Dorfe Tasovcic schiffbar ist, plötzlich ihr Aus -
sehen; sie wird etwas klarer und lagert breite Kiesbänke ab. Auf diesen, wie aus den durch
die vielen Arme und Zuflüsse gebildeten Landzungen sprossen Tamarisken-Strüucher mit
ihren rosarothen Blüten, und die weidenähnlichen Keuschlammruthen, welche speciell die
untere Narenta schmücken, neigen ihr weiches blaublühendes Gezweige über die
Uferründer.
Metkovic gegenüber, am rechten Ufer, endet auch die durch das Narentathal führende
bosnisch-hercegovinische Staatsbahn, inmitten dunstiger Niederungen, in welche der lang -
gestreckte, zackige, schneebedeckte Kamm des Velez bei Mostar hcreinblickt.
Am Nordrande der Moräste ackert der Pflug des Bauern römische Münzen auf,
welche die Erinnerung an die römische Stadt Narona beleben. Wahrheit und Dichtung
fließen hier in das Schreckniß der Sümpfe zusammen, in welchen das Volk ganze Städte
untergesunken wähnt. *
Ein niedriger Karstrücken macht den rechtsufrigen Morästen bei Gabela ein Ende.
Auf einige armselige Steinhütten schauen die Trümmer des römischen Castrums und der
späteren venetianischen Veste nieder, von deren Thor der Markus-Löwe abgestürzt ist
und nun, vom Gras überwuchert, sich in die Erde eingewühlt hat. Die Festung bewachte einst
die Zollgrenze, gleich den flußaufwärts liegenden einzelnen Wachthürmen, welche dem
ganzen Uferstriche den Namen „Gabela" („Zollstation") gegeben, während der Ort selbst
gegenwärtig „Alt-Gabela" genannt wird und seinen Ruhm in den langen, grünen Zucker -
melonen, den „Bacciri" und den den Festungshügel umgürtenden Baumwollfeldern findet.
Bei dem Orte Dretelj, wo der beste Tabak des ganzen Balkans gedeiht, zeigt sich
die Narenta zum ersten Male als Bergwasser. Stellenweise gewährt sie an ihrem rechten
Travnik.
N
112
Ufer einigen schmalen Streifen Ackerlandes Raum, aber zumeist läßt sie es nur bei den
dichten Granatbüschen bewenden, welche im Juni die Karsthänge mit der Glut ihrer
Blüten bedecken. Unbeweglich und steif zieht sich dagegen drüben das unwegsame linke
Ufer hin, gleich einer Escarpe-Mauer. Aber bald zeigt es eine breite rinncnförmige
Einkerbung, die vom Rande der Dubrava hinab zum Flusse leitet, und nun gaukelt uns
die Felswand einen saracenischen Raubritterhorst, nach einer phantastischen Zeichnung
von Dore vor! So packend wirkt der Anblick der alten türkischen Festung Pocitelj. Die
aus dem grauen Steingrunde herausgearbeiteten zinnenbekrönten Mauern und Thürme
umschließen trotzig die in die Einkerbung versenkte Stadt, deren Häuser man von der
Bahnseite ans rasch übereinander aussteigen sieht. Vom Rande der lichtgebadeten Dubrava
ist aber ihr Anblick noch packender: beturbante Reiter auf tänzelnden Rossen, langsame
Saumthiere in dem Rahmen des die Spuren vieler Sturmangriffe weisenden Thores, und
dann die todtenstille, wie versteinte Stadt um die von einer alten Cypresse überragte
Moschee, und ganz unten in der Schlucht die schäumende Narenta, ans der sich die Über -
fuhrsnachen schaukeln.
Ein kurzes, grünes Seitenthal, in welchem man das alte orientalisch-orthodoxe Kloster
Zitomisljic mit seinem dürftigen Kirchlein liegen sieht, unterbricht die linksufrigen Wände,
die sich hierauf zu noch höheren Fronten aufrichten, in welchen der mächtige Aasgeier die
größte Horstcolonie an der Narenta hat. Plötzlich hält die Flucht der linken Uferwände
inne, und wie bei dem Eintritte in das Quellland der Bosna, sieht man auch hier
unerwartet eine von Bergen umschlossene große Fläche vor sich, das Bisce-Polje, und an
deren oberen Ende, wo die Narenta einer Einschnürung entrinnt, die zweite Stadt des
Landes, Mostar selbst. Ähnlich und doch ganz anders. Kein lieblich bewegter Vorberge -
wall und darüber die schönen lockenden Hochgebirgslinien, sondern ungegliedert aus der
Ebene himmelwärts aufstrebende graue Wände und Steinklumpen, deren Schichtung
überall zu Tage tritt, und die in Aussehen und Structur oft an unabgestreifte Cigarren -
asche gemahnen, majestätisch und kahl, mit kleinen Tupfen schwärzlichen, stachlichen
Unkrautes bestreut. Die Stadt erscheint nicht gleißend und lockend, sondern aus der Ferne
auch Grau in Grau, statt des fruchtbaren Grüns auf dem Polje weiße Kalkschvllen. Es ist
eine dürre Steppe, auf der sich nur selten vor der hier mit unwiderstehlicher Gewalt
dahinfegenden Bora ein strauchartig verkümmerter, mandelbanmblättriger Birnbaum zu
erheben wagt. Auch die hier in ihrem Kalkbette schwermüthig hinziehende Narenta, welche
das ein langes Rechteck bildende Polje in zwei Dreiecke zerschneidet, vermag sie nicht zu
beleben. Aber die Pracht der Sonne, die aus der Reinheit des südlichen Himmels nieder -
strahlt, der ruhige Glanz der großen Sterne, das durch die italienisch milden Nächte
rinnende weiße Mondlicht küssen die todte Wüste wieder lebendig.
114
Bisher gelang es der Bodencultur nur die östlichen vor der Bora geschützten Ränder
des Bisce-Polje für sich zu gewinnen. Auf niedrigen Stöcken zwischen den Kalkschollen reist
der schwerduftende, wie von einem geheimen Feuer dnrchglühte Mostarer Wein am Fuße
des Pod-Velez, der den Ostrand des Bjelo- und Bisce-Polje der ganzen Länge nach
begrenzt. Die mächtige Wirkung dieses Bergzuges liegt darin, daß die unvermittelt aus
der Thalebene aufsteigenden Steilhänge sich zu einer Höhe von 1000 Meter erheben
müssen, ehe sie das schmale sterile Haupt-Plateau erreichen, von dessen Rand oberhalb
Mostar Festungswerke hinablugen. Von diesem Absätze aus steigt nun erst der große
Velez in nochmals 1000 Meter auf, das herrliche Hochgebirgswahrzeichen der
hercegovinischen Hauptstadt. Seine Hänge umkleiden Bnchenhochwälder, in denen die
Gemse ein Versteck findet, dann weiter oben die schönsten Alpentriften, bis endlich der
lange, scharfe, gezähnte Kamm mit den glitzernden Firnstreifen frei daliegt! Der erquickende
Anblick des Velez bleibt aber den heißen, dürstenden Poljes an der Narenta unten immer
entzogen, und nur, was unter dem Velez ist, das „Pod-Velez", starrt sie düster an.
Der Velez wird von dem Dubrava-Plateau nur durch eine Furche, die „Bisina",
geschieden, durch welche eine weit mehr als tausend Meter Höhe erklimmende Straße aus
der Südostecke des Polje in die östlich hinter dem Velez liegende Hochebene von Nevesinje
führt. In dieser Ecke ruht auf einem unersteiglich aussehenden Felsenthrone die Haupt -
burg des alten Zachlumien, des trotzigen Landes „jenseits der Hügel", wie es das Volk
am Meeresstrande nannte. Aus dem „Bona" (Buna) der Römer ward das königliche
„Blagaj", und als „Stjepangrad" fiel sie in Trümmer. Sie diente dem mächtigsten
Herrn, der je über das störrige Land geherrscht, Herzog Stefan, dem Nachfolger des
gewaltthätigen Sandalj Hranic.
Die „Stjepangrad" stützenden Felswände bilden dort, wo sie den ebenen Boden
erreichen, ein stark vertieftes Riesenthor, das im Hintergründe sich rasch zu einem Schlund
verengt. Geräuschlos entquillt diesem die Wassermenge zu einem ansehnlichen Flusse, der,
nachdem er sich zwischen den kolossalen Steinpfeilern gesammelt, als „Buna" hinaus in
das Bisce-Polje wogt. Knapp vor dem Buna-Ursprung liegen bereits in dem schwarzen,
eisigen Schatten der überhängenden Felsthormassen die Ruinen einer Moschee, welche
herabstürzende Felsblöcke entzweigespalten, und ein schwankender, vielerkeriger Holzbau,
der das Grab des frommen Scheichs Sariz-Altuk enthält, der die Höhle auf die
herkömmliche Weise von einem Mädchenopfer heischenden Drachen befreite, eine Prinzessin
von Stjepangrad heiratete und dann starb. Dasselbe bewachen nun schon seit Jahrhunderten
Derwische vom Orden der Kaderi, und man muß ihre Gastfreundschaft in Anspruch
nehmen, wenn man von dem unter dem Anpralle des Wassers erzitternden Balkone der
Theke aus den Anblick des Buna-Ursprunges genießen will.
116
Granatbäume und immergrüne Büsche geleiten die Buna hinaus in das Helle
Sonnenlicht, wo sie zwischen den vereinzelten weißen Häusern von Blagaj, unter den fünf
Bogen einer alten türkischen Steinbrücke dahinwallt. „Stadt Blagaj und Ort Mostar",
sagt hier der Localpatriotismus, der es nicht zu vergessen vermag, daß Blagaj dereinst als
„Bisce" ein Lustschloß der heimischen Herrscher bedeutete, während damals von Mostar
noch kein Stein auf dem andern war. Zweifellos hatte das jetzt verödete Gebiet der Buna
eine Periode des Glanzes, denn alles ringsum ist übersätet von Resten der verschiedensten
Culturstufen: prähistorische Wallbauten, römische Straßen, Brücken und Paläste, Tempel,
Kirchen, Burgen und endlich Gräber und Gräber .... Die Ruinen ziehen sich hinauf an
den Nordhang der Dubrava, um den sich unten die Buna schlängelt, und dringen sogar in
dessen Seitenthäler, wie das der Bunica, das jetzt kaum der Fuß eines Jägers betritt.
Schon nach einem halbstündigen raschen Laufe, den sich zahlreiche Mühlen dienstbar
machen, ist die Buna an der Narenta angelangt. Ali Paschas von seltenen Pflanzen
umwuchertes Landhaus dient jetzt als Kaserne. Und am Eingänge in das Zaton, am
Eckpfeiler der dort beginnenden Felswände, breitet sich die Buna in einer Breite von
mehr als hundert Metern aus und läßt dann über die Felsbarre ihr Wasser schleierartig
in die Narenta sinken.
Die westseitigen Steilabfälle, welche auf ihren Höhen den Kessel des Mostarsko
Blato eingeschlossen halten, lassen den mächtigen Karstblock des „Hum" bis an die
Narenta Vorfällen, durch die jene, das Biscepolje von dem Bjelopolje trennende Abschnü -
rung entsteht, welche Mostar einnimmt.
Es fällt schwer, zu sagen, worin die vielgepriesene Schönheit Mostars besteht, der
selbst metapherreiche Dichter des Orientes vergeblich Ausdruck zu verleihen suchten. Es
ist ja eigentlich nichts als nackter Stein, ein strahlender Saphirhimmel und ein weißlich
grünes Bergwasser, dieses müßig große, von Hum und Podvelez schmalgedrückte
Mostar, mit seinen zweitausend Häuschen. Es war nie etwas anderes als eine kleine
Provinzstadt, sah nie große Ereignisse und hat keine eigentliche Geschichte. Es ist einfach
der „Brückenort" (most—Brücke), eine gute Übersetzungsstelle über die Narenta, und der
Brücke wegen baute sich die Stadt hin. Und dies nicht einmal wegen der heutigen soge -
nannten „Römerbrücke", die erst vor zwei- oder dreihundert Jahren an Stelle der früheren
hölzernen Kettenbrücke entstand, „über welche man", wie der türkische Geschichtsschreiber
Hadschi Chalfa bemerkt, „nur mit Todesfurcht hinüberging".
Die Brücke ist ein Gegenstand des Nationalstolzes. In der Brücke findet der
Hercegovce ein Stück seiner selbst. Wie sie gegen die starren Felsen gestemmt hoch und
kühn über den leidenschaftlichen Fluß setzt, ist sie ein Sinnbild seines besonnenen Muthes,
seines stolzen Gedankenfluges und seiner heroischen Schönheit. Man vermag selten so
118
viel Leichtigkeit mit Kraft vereint zu sehen, wie in den edlen Linien der Mostarer
Brücke. An den Ausgang der beiden Brückenfelder hat die Kampf- und Wehrlust zwei
starke hohe Thürme gesetzt, und so ist die Brücke selbst eine kleine Festung, und man
bezeichnet sie auch als „Grad". Allerdings dürste man früher auch die bestandene
Stadtmauer mit ihren dreizehn Thürmen darunter verstanden haben, welche, anher in
den localen Ereignissen, auch wiederholt zur Vertheidigung gegen die Venetianer gedient
haben. Diese Befestigungen sind jedoch bis auf einen einzigen Thurm, der jetzt als
Pulverdepot dient, verschwunden. Gegenwärtig dient eine größere Anzahl von Werken
auf den Scheiteln der umliegenden Höhen zur Armirung der Stadt. Doch auch die
Narenta verdient das Lob, das ihr von der Höhe der Brücke ans gespendet wird. Sie ist
hier so tief, daß sich Kinder damit zu belustigen wagen, von der Brücke aus hinabzu -
springen, und gefällt sich in den absonderlichsten Uferbildungen. Sie durchwühlt das
horizontal geschichtete Gestein, spaltet es in scheinbar frei übereinander schwebende Platten,
formirt Risse und Höhlen, gräbt sich Gallerien und schleppt große Blöcke in ihr Bett, an
denen sich dann die Wellen rauschend brechen. Manchmal bedeckt sie alles mit wilden
Wogen — bei Herbstregen oft um 12 Meter steigend — und bei Niederwasser liegt sie
ganz glasig zwischen den hohen, wie antike Mauerreste aussehenden Ufern.
Die Brückenviertel der Stadt ergänzen das stimmungsvolle Flußbild mit vielen
malerischen Einzelnheiten und lösen sich dann in lichte, ausgeglühte, mit Kalkstanb
bedeckte Gassen auf, die auch der hartnäckigste Landregen niemals aufzuweichen vermag.
Die steinernen Häuser wenden der Gasse zumeist ihre fensterlose Kehrseite zu, und die
hohen roh gekitteten oder trocken aufgehäuften Gartenmauern verstärken an manchen
Stellen den Eindruck, als wäre man in einen trockenen Festungsgraben gerathen. Aber
das Grün, das endlich wieder zu Recht gelangt, macht Alles wett. Laubkronen und
Cypressenspitzen schauen über die Mauern. Tiefdunkle Friedhosshaine umschatten die
Moscheen, die hier alles Gleißenden entbehren, denn sie sind grauer Stein von den
Bodenplatten bis zu dem Knaus des niedrigen Minaret. Auch die vornehmste, inmitten
der Stadt liegende Karagjöz-Moschee, welche dereinst nebst dem nahegelegenen Uhrthurm
die schöne, unbändige Fatima-Kaduna gebaut, läßt sich von herrlichen Clematis-Arten
umkränzen und die Flämmchen des Granatbaumes züngeln über das Gemäuer. Und
wenn auch ringsum zwischen dem Felsgehänge Schaaren von Raubvögeln mit lautlosen
Schwingenstößen über die Stadt huschen, beherbergen deren Gärten dennoch eine reiche
Menge an jubilirenden Singvögeln, und in den weichen Frühlingsnächten wird inmitten
der Stadt das Schluchzen von Hunderten von Nachtigallen laut. Eine Specialität
Mostars sind die verwilderten Lachtauben, die man nur an sehr wenigen Orten auf dem
Balkan antrifft.
Die alte Brücke in Mostar.
120
Die eigentliche Gartenseite ist das rechte Ufer. Hier quillt das Grün aus dem
kurzen Seitenthale derRadobolja heraus, mitsammt dem köstlichen Wasser, das zu Ende
jenes Thales — nur etwa eine Stunde von Mostar entfernt — unter Gestein hervor -
bricht. Einen Thcil davon sammelt eine moderne Wasserleitung; das übrige klare Naß
enteilt rasch den sie einengenden Lehnen, zerfasert sich dann, bei der Stadt angelangt,
in zahllose Arme, die unter zwanzig kleinen Quaderbrückcn in Wirbeln, in Cascaden
dahintosen, um schließlich bei der alten Brücke, inmitten des Häusergewirres, in einem
kleinen Wasserfall sich zu vereinigen und über die Uferböschung in die Narenta zu fallen.
Die Adern der Radobolja treiben Mühlräder, bewässern Mais- und Tabak-Felder und
schaffen herrliche Gartendickichte, in welchen die Feige und Granate reift, und in denen
die in Mostar überaus dicht verhüllten mohammedanischen Frauen ihr weißes Antlitz ent -
blößen. In diesem Gartenviertel ist auch die im Jahre 1866 geweihte, ansehnliche katho -
lische Basilika eingebettet.
Aber das Grün rückt noch weiter ins Bjelopolje, wohin Mostar sich allmälig
hinaufzieht. Hier findet man den Bahnhof, eine neue Eisenbrücke, welche wieder
hinüberführt in das theils ganz neue, theils sich rasch nmgestaltende Nordende der Stadt
und das in maurischem Stile erbaute landesärarische Hotel.
Auch wenn die Frühlingswonnen entschwinden, die Blüten verdorren und der
Kalkstaub allmälig Baum und Strauch mit seinem weißen Flaum überzieht, bleibt
Mostar schön. Des Fremdlings Urtheil hierüber wird allerdings von den Mosquito-
Schwärmen beeinflußt, sowie von all den Folgeübeln ungewöhnlich hoher Wärmegrade,
wie sie die Sommertemperatur Mostars aufweist. Immer regungsloser wird das
Antlitz der hercegovinischen Hauptstadt, die wie eine versteinte Königin hinaus in die
Poljes starrt, welche der Sommer, statt sie zu bräunen, bleich und bleicher macht. Spur -
los gehen die Borastöße des Winters an ihr vorüber, und während die weiße Felsen -
stirne allabendlich roth erglüht, harrt sie still des neuen Schmuckes, den ihr bereits der
Februar verschwenderisch in den Schoß streut.
Das freundlichere Aussehen des Bjelopolje ist fast durchwegs Heuchelei. Seine
Vegetation ist dorniges Gestrüpp, das einen unfruchtbaren Boden deckt, welcher früher
den türkischen Truppen als Sammelplatz vor ihren blutigen Zügen in die Schwarzen
Berge diente.
Die Wände des Kessels verengen sich gegen Norden rasch zu dem sogenannten
„großenNarenta-Defile",durch das jetzt Straße und Bahn aufwärts streben, hinein in
die Hochgebirgsregion; der alte Saumweg floh die Narenta-Schluchten, bog noch im Bjelo -
polje bei Han Potoci nach Osten ab, um über das Porim-Gebirge und andere Hoch-
gebirgsöden den Prenj im Rücken zu umgehen.
121
Und diesen Weg, auf welchen der Hajduck seinen „Djemadan" hinwarf, den kein
Reisender überschreiten durfte, ohne das Lösegeld darauf zu legen, während der „Herr der
Berge" hinter einer Klippe mit angeschlagenem Gewehr lag, nahmen die Karawanen
durch Jahrhunderte, weil es eben keinen anderen zwischen Mostar und Sarajevo gab.
Die Gebirgsmassen westlich der Durchbruchsengen der Nareuta sind vollständig
ungangbar. Die Steillehne, deren ununterbrochene Flucht die Bahnlinie aus dem Bjelo-
polje in das große Defile geleitet, stützt die menschenleeren Hochflächen der Ra^kagora,
die in breiten Stufen zur verwitterten Cabulja-Planina Hinansteigen. Der Schroffen-
Fa^ade der Cabulja stehen die Stützmauern der Cvrstnica gegenüber, der bedeutendsten
Bodenerhebung der Hercegovina. Die Gipfelhöhen der Cvrstnica werden wohl von dem
südlichen Grenzwüchter, dem Maglik, übertroffen, aber dafür erhebt sich die ganze,
gewaltige, fast quadratisch aufgebaute Masse der Cvrstnica an vielen Stellen über die
Höhe von 2000 Meter.
Die Karstflächen der ganzen Cvrstnica, die außer Krummholz nur die Panzerkiefer
an ihren Rändern trägt, bieten eine ausgezeichnete Alpenweide, und das fehlende Wasser
ersetzt der Schnee. Den Mittelpunkt der zahllosen Sennereien, welche den Sommer über
die Cvrstnica beleben, ist die in einem Kessel am Fuße des Vilenac gelegene Sennerei
„Spasinstan", und die abwechslungsweise aus verschiedenen Theilen des Landes die Alpe
beziehenden Hirten richten in den Detailbenennungen des Cvrstnica-Massives eine ständige
Confusion an.
Wenngleich die Häupter des Prenj nicht die höchste Meterzahl aufweisen, so ist er
doch der königliche Gebirgsstock des ganzen Landes. Auch er schiebt sein imponirendes
Massiv weit hinauf in Wolkenhöhe, läßt es dann aber dort in Zinnen, Thürme, Mauern
und Kegel ausklingen, gleich der himmelwärts strebenden Zier gothischer Kathedralen.
Das stolze Haupt umwallt unvergänglicher Firnschnee, und an der gedrungenen Gestalt
des Bergriesen gleitet es wie ein weiter Mantel in majestätischen Falten herab, deren
Saum unten die gleißende Narenta ist, die ihn nahezu in einem Bogen umklammert.
Über Alpenmatten wachsen die scharfen Schneiden mit ihren Riffen und Kämmen
auf und verknüpfen sich untereinander zu einem dichten Netze, deren Knoten die Gipfel
tragen. Die Vertiefungen sind mit ungeheueren Massen ewigen Schnees ausgefüllt, und
manches Merkmal erzählt von Gletschern, die dereinst hier bestanden.
Zwischen dieser Berge düstrer Felsenbrust zwängt sich der moderne Weg. Von der
kleinen Station Raskagora an schneidet sich ober der dahinlärmenden Bahn nur mehr
ein schmaler Streifen Himmelsblau aus; aber an den Lehnen findet noch so viel Erdreich
Platz, daß die goldenen Blütentrauben des Ginster, dem hier die Granate bereits weichen
mußte, die Wände förmlich verkleiden. Dann reichen wieder von oben Schuttmoränen
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bis zur Narenta herab, die in einem tief eingerissenen schmalen Bett in Cascaden dahin -
schießt. Kurz vor der Einmündung der Dreznica bricht oben auf der linksufrigen Lehne
aus einem tiefen schwarzen Schlund der „Crno vrelo" (Schwarzquell) hervor und rauscht
in einem breiten Schaumstreifen herunter.
Nun wird die Schlucht zu einem finsteren tiefen Spalt, welcher die Narenta auf
vier Meter Breite zusammenpreßt. An der engsten Stelle schwankt, auf zwei Felsspitzen
gestützt, ein Steg über dem tosenden Wasser, das hier binnen vierundzwanzig Stunden
um 15 Meter zu steigen vermag und dann auch die gewaltigsten Blöcke in seinem Bette
vollständig überdeckt. Oberhalb dieses Engpasses, consequent der Bahn gegenüber — da
dasselbe Ufer beiden niemals Raum genug bietet — schlüpft die Straße durch ihr einziges
Tunnel, während die Bahn sich auf der gleichen Strecke fünfzehnmal durch den Fels
bohren muß. Unaufhörlich schrillt die Pfeife der Maschine, und tausendfach wird das
Gerassel des Zuges durch das Echo der Wände verstärkt, die hier groteske Höhlen und
Kanzeln, Nadeln und Gesimse als Reliefschmuck zeigen, unheimliche, oft überhängende
Steingebilde, in welchen bei dem stetig wechselnden Farbenspiel des Gesteins und der
Beleuchtung eine rege Phantasie mannigfaltige Gestalten und Figuren zu sehen geneigt ist.
Beiderseits stürzen aus den Spalten eisige Gießbüche zur Narenta hinab, und plötzlich thut
sich ein ungeheures Felsenthor auf, durch das die „Divlja-Grabvvica" aus einem kurzen
steilen Camin herunterjagt. Diese wilde Schlucht ist das Ideal der Gemsjäger: in der
Mitte eine breite Schotterkarre, rechts und links bewaldete Geröllhalden und dann zu
einem Halbkreis sich schließende Wände.
Straße und Bahn wechseln nun die Ufer und dringen dann in den wildesten Theil
des ganzen Defiles ein, in welchem jeder Fußbreit Raum für sie mühselig von den Hängen
abgesprengt wurde. In compacten Massen wachsen zu beiden Seiten die Steinmauern zu
einer Höhe von 800 bis 1000 Meter von der Flußsohle auf. Hoch über dem Wasser -
spiegel springt die mächtige Proporac-Quelle — jetzt häufiger Komadina-Quelle genannt
— aus dem Gestein und fällt fast senkrecht in Schaumstreifen hinab. Ihre meisten
Zuflüsse empfängt aber die Narenta heimlich unter dem Flußspiegel; und nur wenn sie
durch anhaltendes Regenwetter getrübt ist, verrathen sich diese zahlreichen Quellen durch
grüne, blaue oder weißliche Wasserstreifen. So bleibt sie bis zu ihrem bei Capljina
beginnenden Unterlaufe eigentlich immer Quellwasser, worin wohl die Erklärung für die
Güte und Größe der durch ihr zartrosa Fleisch berühmten „Narenta-Forellen" liegt.
Nach dem Passiren des Viaductes über den Glogosnicabach hellt sich die Pracht
der Narentaklüfte plötzlich auf. Eines der imposantesten Bauwerke dieser Bahnlinie: eine
eiserne Brücke mit einer einzigen Öffnung von 75 Meter Spannweite mit der auf dem
europäischen Continent sonst selten, auf unseren Bergstreckeu aber wiederholt mit Erfolg
12Z
angewendeten abwärts gekehrten Parabel, bringt das Geleise wieder auf das linke User,
und nun empfängt uns der strahlende Glanz des weitgeschwungenen Thalkessels von
Jablanica. Ganze Wälder von Edelkastanien umkleiden seine Wandungen, und in scharfen
schöngeschwungenen Linien leuchtet aus dem Rund der Hochgebirge der „Mali Prenj"
auf, von dessen glitzernden Firnen reine Bergluft herabweht. Der Ort selbst besteht nur
Das Narentathal bei Jablanica.
aus wenigen Häusern; aber ein comfortables Hotel steht gastlich für die Jäger und Hoch -
touristen als Standquartier bereit.
Der wildeste Abschnitt der Narenta ist vorüber. Nun wird es fast ohne Übergang
anders. Noch sehen wir die Doljanka und dann die Rama aus schluchtigen, dem
Sonnenlichte wehrenden Engen hervorstürzen; nun aber macht das Narentathal eine
große Wendung nach Ost, nachdem es den nördlichsten Vorberg des Prenj, den Paprae,
umschlungen, die Felsen treten zurück, und längs der sanfteren Nordhänge des Prenj
zwischen grünen Voralpenzügen rauscht ungezwungen der herrliche Bergfluß. Zahlreiche
Ortschaften mit weißgetünchten Häusern und hohen Holzdächern betonen den Übergang
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aus dem Herrschgebiete des Steines in jenes des Holzes. Und so vollständig bar an
geschichtlichen Erinnerungen das große Defile, so reich an mittelalterlichen Burgruinen
und Gräbern ist die Strecke zwischen Jablanica und Konjica, des berühmten Ramathales
nicht zu gedenken.
Aus einem langgestreckten, von sanften Hügelketten begleiteten Seitenthale fließt
die „kleine Narenta", die „Neretvica" bei Ostrozac in den großen Fluß, in einer aus -
gezeichneten Obstgegend, deren Äpfel und Birnen bis in die Monarchie exportirt werden.
Die Pflaume, die herrschende Fruchtgattung in Bosnien, gedeiht jedoch hier nicht.
Die Haltestelle Lisicici an der Mündung des forellenreichen Jdbarbaches bezeichnet
den Beginn des bequemsten Aufsteiges auf den Prenj. Der Bach verliert sich bergauf in
einem Walde, der eine Mischung sämmtlicher Nadelhölzer des Landes und überdies noch
zahlreiche Laubhölzer aufweist. Die ersten Wände steigen noch im Walde ans und tragen
sehr viel Edelweiß, welches weiter oben sich sonderbarerweise nicht mehr findet. Wie man
die Holzregion, deren letzter Gürtel aus der hercegovinischen Panzerkiefer besteht, verläßt,
ist es, als ob ein Vorhang weggezogen würde, der den schönen Otis mit seinem Anhang
von Felspartien bis dahin verdeckte. Reiche Gemsenstände locken auch Jäger auf diesen
überaus lohnenden Hochgebirgspfad.
Zwischen coulissenartig von allen Seiten sich vorschiebenden Bergwällen und Fels -
kolossen dringt die Bahn in das Kesselthal von Konjica ein. In dem kleinen überwiegend
mohammedanischen Städtchen zeigen sich noch die herecgovinischen Steindächer. Aber die
Bewohner des direct von der Borasnica nach Konjica herablaufenden grünen Bjelathales
beschäftigen sich gerne mit der Anfertigung jener originellen geschnitzten Truhen aus
Nußholz, der „Sandnks", in welchen die Braut ihrem Auserwählten die Kostbarkeiten
ihrer Ausstattung zuführt. Hier endet auch der Mittellauf der Narenta, die eine fünfbogige
türkische Steinbrücke, die vornehmste Zier der Stadt, überspannt. Nächst der Brücke von
Mostar vermittelte diese früher den ganzen Verkehr über die Narenta und leitete auch die
vom Jvansattel herabkommende Straße in der früher erwähnten Richtung weiter nach
Mostar. Man muß diese historische Handels- und Heeresstraße gesehen haben, um sich
einen annähernden Begriff von den enormen Schwierigkeiten zu machen, unter welchen bis
in die Neuzeit hinein der Verkehr zwischen Bosnien und der Hercegovina litt. Der Anblick
des schönen, bergumkränzten Borkesees, den diese Route gewährte, bot dafür keine
genügende Entschädigung.
Die große Erhebungskette, die von dem Fojnicaer Urgebirge an als Bjelasnica,
Treskavica und Zelengora mit allen ihren Nebenstöcken bis zum Cemerno-Sattel an der
Grenze Montenegros die Wässer Bosniens von denen der Hercegovina scheidet, bietet als
besten Übergangspunkt den Sattel der Jvan-Planina dar. Es ist ein reichgegliedertes
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Waldgebirge, dessen Gipfel, der Lisin, bereits in die alpine Region ragt. Kurze steile
Seitenthäler reißen zu beiden Seiten tiefe Qnerrinnen in den Rumpf des Ivan, und eines
derselben — das der TreZcanica — welches bei Konjica endet, benützen nun Bahn wie
Straße, um die große Wasserscheide zu bezwingen. Die Bahn hat natürlich eine ungleich
schwierigere Aufgabe zu bewältigen, denn die Steigung beginnt sofort nach dem Verlassen
der Station Konjica. Auf den weißen Felshängen des Wildbaches zeigen sich die ersten
Nadelhölzer, rauher wird die Luft, während man sich allmälig über das Thal der Narenta
Das Ramathal.
erhebt. Aber nach Podorosac vermag die schwerkeuchende Gebirgslocomotive allein den
Zug nicht mehr weiter zu bringen, ihr Tempo verlangsamt sich, und bald zeigt ein cigen-
thümlich klapperndes Geräusch den Beginn der Zahnradstrecke an, auf der der Zug nun
flink weiter klimmt. Eine Entwicklung der Bahn mit den gewöhnlich bei Gebirgsbahnen
vorkommenden Steigungen wäre nur dann möglich gewesen, wenn, wie am Gotthard, ein
großer Theil derselben in Tunnels gelegt worden wäre, um die zu ersteigende Höhe auf
eine größere Weglänge zu vertheilen. Um dies zu vermeiden, ist das bisher in bedeutender
Ausdehnung nur bei einer Bahn im Harz, einigen überseeischen und einer Reihe von
Touristenbahneu angewendete System der Abt'schen Zahnstange benützt worden, welche
126
es gestattet, die Bahn größtentheils zu Tage zu führen und auf einer Weglänge von
17 Kilometer 600 Meter zu ersteigen.
Was ein pittoresker Scenenwechsel an Effecten hervorzubringen vermag, das Alles
vereinigt sich bei dieser kurzen Fahrt. Auf Steilrampen windet sich der Zug in Zickzack -
linien an den Berglehnen hin, bohrt sich durch Felsrippen und setzt über schwindelnd tiefe
Abgründe. Die Gebirgswogen in der Ferne scheinen immer mehr zu verflachen, vertrau -
licher grüßen ihre trotzigen Gipfel. Nun taucht die steile Preslica aus ihren Wäldern auf,
in denen Bären, Dachse, Füchse und Auerhähne ihre Schlupfwinkel haben; im Norden
das Wildschweinrevier der gänzlich wasserlosen Bitovnja-Planina, deren Wälder durch
furchtbare Brände vor einigen Jahrzehnten zerstört wurden. Und wie in einem Wandel-
Panorama zeigen sich wieder die tief verschneiten Häupter des Prenj, und die durch -
sichtigen Fernen entschleiern nochmals die starre Schönheit der Hercegovina.
Dann erreicht man die Alm von Brdjani. Die schwindelnd tiefe Luka-Schlucht, auf
deren Sohle in ewiger Unruhe ein Schaumstreifen sich windet, wird kühn übersetzt. Das letzte
hercegovinische Dorf, Sunje, dereinst berühmt als Hajduckenhorst, dessen Bewohner noch
die kleidsame südliche Tracht haben, wird von dem Geleise durchschnitten, dann rasch das
Hochthal von Bradina, und nun steht man vor einem plumpen grünen Rücken, dem Ivan.
Die Straße, die sich bald dem Geleise nähert, bald sich wieder entfernt, nimmt noch einen
Anlauf und schwingt sich 100 Meter höher über ihn hinweg; die Bahn aber durchbohrt
seine Flanken und verläßt in einem 650 Meter langen Tunnel in einer Seehöhe von
876 Meter die sonnige Hercegovina.
Der Ivan ist die floristische, saunistische und politische Grenze zwischen den beiden
Provinzen. Aus dem Jvantunnel heraustretend, ist man gleichsam in einer anderen Welt.
Drüben lacht ein glänzend blauer Himmel, wenn Wolken oder Nebel das bosnische Wald -
land in ihre grauen Mäntel hüllen; drüben grünt und blüht es, wenn hier noch Alles in
Winterruhe liegt. Wie die Natur, so sind auch Menschen und Sitten verschieden. Wie viel
auch die Politischen Grenzen hin und her geschwankt haben, Bosnien und die Hercegovina
waren immer verschiedene Länder. Allein was der Türkei in Jahrhunderte langen blutigen
Kümpfen nicht gelang: die frondirende Hercegovina sich völlig zu unterwerfen, das gelang
den modernen Culturmitteln spielend leicht. Es gibt keine Verkehrshindernisse mehr. Die
Bahn ist eine kräftig pnlsirende Ader, die das isolirte Land in den großen Lebenskreislauf
des Westens einbezieht. Aus den halsstarrigen Hajducken sind harmlose Eisenbahn-
Passagiere geworden, aus den scheu gemiedenen hercegovinischen Bergen ein modernes
Touristengebiet. Mit der Herstellung des persönlichen Cvntactes war mit einem Schlage
Alles anders geworden, und damit allein hat die Bahnlinie Sarajevo-Metkovic eine hohe
cnlturelle Mission erfüllt, abgesehen von ihrer commerziellen und strategischen Wichtigkeit.
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Die schwierige technische Seite ihrer Aufgabe hat sie nicht minder glänzend gelöst.
Nirgend sind die großen Vorzüge der Schmalspur so zur vollen Geltung gelangt, wie hier.
Ihre außerordentliche Biegsamkeit ließ sie den großen Schwierigkeiten des Narentathales
sich organisch anpassen,und wenn trotzdem noch eine außergewöhnlich großeZahl interessanter
und kostspieliger Bauten nothwendig geworden, so führt dies zu der Betrachtung, wie schwer
dem Lande erst die Herstellung einer Normalspur gefallen wäre, die in ihrer großen,
vollen Leistungsfähigkeit in absehbarer Zeit doch Hütte nicht ausgenützt werden können.
Von der in einem tiefen Buchenwalde versteckten Station Ivan, von welcher man
ein echt mittelbosnisches Landschaftsbild mit seinen tiefen Waldesthälern und hurtigen
Der Borkesee bei Konjica.
Bächen überschaut, gleitet die Bahn rasch bis an den Fuß des Ivan hinab, wo bei
Rastelica die Zahnstange endet. In Wiesenthälern geht es noch weiter steil bis in das
malerische Tarcin hinunter, wo uns bereits die Schatten der Bjelasniea umfangen. Noch
eine kleine secundäre Wasserscheide wird mit Hilfe der Zahnstange überwunden. Bei
Pazaric ist die Zujevina erreicht. Ringkalköfen zeigen sich als erste Vorläufer der Haupt -
stadt; dann das große Sägewerk in Hadzici, welches die mittelst einer Waldbahn aus den
Jgman-Wäldern gebrachten Stämme zu Schnittholz verarbeitet, das bis Neapel und
Palermo geht. Jetzt noch die Jgman-Ecke, und endlich dampft der Mostarer Zug in das
Sarajevsko Polje ein.
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Das hercegovinische Hochgebirge und die montenegrinische Grenze. —
An zwei Stellen dringt die Hercegovina bis an die Meeresküste vor: in den Bocche di
Cattaro, mit einer schmalen, „Sutorina" genannten Thallandschaft, und an den Canale
di Stagno, mit einem breiten Streifen, der in dem grünen Gehänge des Golfes von Klek
endet. Ein kleines Stück Meer in einer leuchtenden Bucht, Gebirgsstille zwischen tiefen
Thälern; ein winziges Hafenörtchen - Neum — in ungestörter Sabbathruhe und eine
immergrüne, herrliche Strauchvegetation. Dies ist das Gesammtbild des hercegovinischen
Hafens.
Nicht so erfreulich bleibt es, wenn man den landeinwärts führenden Fußsteig ver -
folgt. Zuerst überquert man die „Strada Marmont", jene breite, schöne Küstenstraße des
„Herzogs von Ragusa", Marschall Marmont, ein Andenken an die Zeit der Franzosen -
herrschaft in Dalmatien. Allerdings ist die Straße an vielen Stellen so vernachlässigt,
daß sie nur den Unterbau zeigt und man den Übergang in die pfadlose Wildniß nicht so
schwer empfindet. Denn in diesem Landstriche ist das Reisen ein beschwerliches Vergnügen.
Wo die Tritte mit den Opanken das Gestein gelblich gefärbt, da läuft die Wegspur hin.
Die ärmlichen Grashälmchen verschmachten zwischen sonnendurchglühtem Geröll, das
unter den Hufen wie Glas klirrt, und das Grün flüchtet sich in kraterähnliche Kessel.
Nur eine großblütige Distelpracht nebst dem unvermeidlichen Teufelsdorn und Salbei
ist überall zu finden. Das Schreckniß der „Ulice", der „Gassen", herrscht hier wie in der
ganzen südlichen Hercegovina. In der Nähe der Ortschaften werden in den Anwesen ohne
Unterlaß Steine „gerodet". Man wirft sie über die Mauern und zwischen diesen führt
natürlich der hals- und beinbrecherische Weg hin. Zuweilen führen diese Gassen auch zu
angenehmen Überraschungen, wie eine das reizende Blindthal von Gradac ist, in dem ein
köstlich erfrischender, hellrother Wein reift. Der Süden läßt sich nicht verleugnen, am
wenigsten in den glutäugigen, biegsamen Menschengestalten. Würdevoll einherschreitende
Eseltreiber mit rothsammtenen, goldgestickten Djemadans (Westen) und silbernen Brust -
panzern, katholische Priester, die „Dons" mit Schnallenschuhen und Dreispitz, Mädchen
in weiße Spitzenschleier gehüllt, solchen Figuren begegnet man ans den schmalen Fuß -
pfaden dieser Karstplateaux. Die weitverzweigten, mächtigen Sippen der kühnen Frei -
schärler in allen Befreiungskämpfen leben hier ein eigenthümlich uralt gefärbtes Hirten -
leben, dessen Interessen über die Grastriften und Tränkeplätze ihrer Heimat nicht
hinausreichen.
Bald wird aus den Narenta-Sümpfen die Locomotive heraufkeuchen in die Gaue
von Hrasno. Vorerst hält sie in Dolnji-Hrasno. Die wenigen Steinhütten des Ortes
klemmen sich zwischen die Klippen, welche da und dort Eichenbuschholz umsprießt.
Beständig kämpft der weiche Seehauch mit der scharfen Höhenluft. Die Farbenreflexe des
129
Meeres übermalen am Abend die graue Stille. Kein Quell, kein Bach, weder Berg noch
Thal, sondern zerwühlte, zerfetzte Hochflächen, mit thurmtiefen Gruben und Löchern.
Hier liegt ein Dorf hoch oben auf den Flächen, im Winter von Schnee und Eis
starrend, das andere in einer wohligen, warmen Tiefe, und beide einander so nahe, daß
die Einwohner sich durch Zurufe verständigen können: das ist hercegovinisch. Von Dvlnji-
Hrasno laufen die Pfade in verschiedenen Richtungen auseinander; ein schmaler Stein -
damm. auf dem das Reiten ebenso schwierig, wie das Gehen, führt hinab in den heißen
Kessel von Stolac. Andere Pfade dringen durch die „Ulice" von Gornji-Hrasno an die
Randhöhen des Popovopolje.
Das einzige einen periodischen See aufweisende Polje, das von einer Bahnlinie
berührt wird, ist das „Popovo". Im Sommer ist es ein an 30 Kilometer langes,
gekrümmtes, breites, üppiggrünes Thal, umhegt von ausgehagerten, mit einer grauschwarzen
Zerstörungsschicht überzogenen Bergreihen. Zwischen den rasch reifenden Saaten breite
Wiesenstraßen, und an dem Fuße der Felsen Tabakselder und dichte Gürten, in denen
mehr als zwanzig schöne Ortschaften zumeist von orientalisch-orthodoxen Christen bewohnt
sind. Daß die Popovcaner die besten Handwerker, Steinmetze und Cisternenbauer des
Landes sind, merkt man bereits an ihren besser ansgestatteten heimatlichen Sitzen, von
denen ans sie arbeitsuchend nicht nur im Lande, sondern in der ganzen Welt umherziehen.
Bosnien und Hercegovina. 9
130
Es gibt reizende Winkel in diesen küstenländisch anmuthenden Steilgäßchen mit den
auf Steinsäulen sich stützenden Rebendächern, vornehmlich in dem Hauptorte Ravno, der in
der Fahrordnung der künftigen Bahn auch genannt sein wird. Keine dieser Ortschaften
erreicht man ohne ein bißchen Klettern, denn sie sind alle über dem Niveau des winterlichen
Seespiegels erbaut, der in dem unteren, das ist dem nördlichen Theil des Polje in der
Höhe von nahezu 50 Metern an den Felssockeln seine Merkmale zurückläßt. Während der
langen Wintermonate vermittelt nur das Boot den Verkehr, und wenn die von den
Stürmen gejagten Sturzwellen, hier Konji (Pferde) genannt, an den Felsen branden und
das Boot sich mühsam durch Wind und Wellen zu einem geschützten Standorte durch -
kämpft, so vermeint man ein Stück aus der Inselwelt der Adria vor sich zu haben.
Das Popovo ist reich an Merkwürdigkeiten aller Art. Unter diese sind neben der
„Windhöhle" (Vjetrcniea) bei Zavala mit ihren akustischen Phänomenen auch die Mühlen
zu rechnen, die an den Rändern der Ebene in die Ponors eingebaut sind. Das Hochwasser
geht natürlich sofort über sie hin, aber sobald das Polje trocken geworden, klappern die
Rüder lustig oft in beträchtlicher Tiefe der Schlünde, solange diese Wasser zum Auffangen
finden. Ter Flußlauf des Polje, die Trebiujcica, kommt auf einem Umwege über
Trebinje ins Pvpovopolje, und ehe man sich dessen versieht, ist er verschwunden, wie wcg-
gelöscht. Ein Theil des Wassers scheint in einem Schlammtümpel gleichsam zu ersticken,
der andere Theil fällt lautlos in ein Erdloch. Man nähert sich vorsichtig dem Rande
desselben und sicht von der Erdkante das Wasser Hinunterstürzen, einige Meter weit,
dann ist es unten undurchdringlich finster und todtenstill.
In unwirthlichcn rauhen Massenerhebungen baut sich das Land weiter gegen
Norden auf. Schneelöcher, stagnirende Tümpel und Cisternen müssen das „lebendige
Wasser", wie sich der Hercegovce so treffend ausdrückt, ersetzen, und auf den entlegensten
Steigen begegnet man ständig Tragthieren, die in Schläuchen und Füßchen das Wasser
stundenweit nach den zerstreuten Hütten schleppen Oft besorgen dies auch die Menschen,
zumal die Frauen. In solchen Gebieten sind die Fixpnnkte, nach denen der Fremde
wie der Einheimische sich richten, die Gendarmerie-Kasernen, in der Hercegovina
zumeist kleine, vertheidignngssähig gebaute Objecte, auf vorsichtig gewählten isolirten
Orten, die ihre eigene sehr bedeutende Machtsphäre und ihren eigenen Culturkreis haben.
Aber nicht Alles ist hoffnungsloser Karst. In den vor dem schlimmsten Feinde des
Waldes, den Ziegen, geschützten Einschonungen beginnen sich seit einigen Jahren oft auf
weiten Strecken die Felsblöcke mit jungen Baumtrieben zu begrünen. Diese Wahrnehmung
macht man auch von dem schönen Fahrweg aus, der das Popovo über Ljubinje mit Stolae
verbindet. Dieses Klippengebiet mit seinen großen lockeren Kalkbrocken, die stellenweise
wie riesige Baumwollflocken aussehen, umspielt bereits dichtes dunkelgrünes Laub.
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Das Ljubinsko Polje ist eine kleine Kesselweitung, in deren Mitte eine alte Burg
steht, die vor nicht allzu langer Zeit Osman Pascha Resulbegovic aus Trebinje mit
großen Kosten und wenig strategischem Talent erbaute. Das emsig die Seidenzucht betrei -
bende mohammedanische Städtchen Ljubinje hat sich zum Theile in das alte Gemäuer
eingenistet. Ein Schlundflüßchen bewässert das kleine grüne Nest, ohne es zu überfluten.
Dagegen ist das 200 Meter höher liegende schmale mittelgroße Polje von Dabra wieder
das richtige „Blato" mit seinem winterlichen See. Eine kleine Erhebung, der „Divin-
Sattel", auf dem ein in der Räuberchronik viel genannter Gendarmerieposten dominirt,
trennt das Dabar Polje von seiner südlichen Fortsetzung, dem kleinen Polje von Fatnica.
Auf der Bodenerhebung inmitten des Polje stand das kleine uralte Kirchlein bisher wie
Felsrelief aus der Vjetrenica-Höhle bei Zavala, Bezirk Trebinje.
auf einer Insel, denn das Polje war fast das ganze Jahr über von Wasser bedeckt. Jetzt
haben es moderne Entwässerungsanlagen zum größten Theile in fruchtbares Ackerland ver -
wandelt. Die allen der Überschwemmung ausgesetztenPoljes eigenthümlichen blinden Höhlen -
fische „Gaovice", eine kleine fette Art von Sardellen mit einem intensiven Erdgeschmack, die
den Poljebewohnern als Nahrung dienen, kommen hier in besonders großen Mengen vor.
Eine bequeme Einsattlung sührt aus den: Westende des Dabar Polje über das
Örtchen Predolje hinab in die Brcgavaschlucht. In ihrer heißen stagnirendeu Luft wuchert
das Granatgebüsch, und immergrünes Strauchwerk erfüllt sie mit köstlichem Dufte. Ihrer
schmalen Geröllsohle entquillt die Bregava, die, kaum erstarkt, kleine fast wie Spielzeug
aussehende, aus Steinplatten aufgeschlichtete Mühlen treibt, die vor den bewohnten Ufer -
grotten liegen. Noch hoher wachsen die Felsmaucrn auf, die schäumende Bregava schwillt,
und längs ihrer schmalen Ufer ersteht nun, zum Theil die Hänge erklimmend, das wunderbare
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132
südlich bewegte Stadtbild von Stolac, das schönste der Hercegovina. Als erster
Stadttheil liegt noch tief in der Schlucht die vornehme Begovina, der durch Mauern und
Kulas gesicherte Sitz des Geschlechtes der Rizvanbegovici. Daran schließen sich in pitto -
reskem Scenenwechsel katholische und mohammedanische Stadttheile, steinerne Brücken,
Moscheen mit undurchdringlichen Friedhöfen, in deren einem der Burgherr von Hutovo
zur Ruhe gebettet ward, das belebte Marktviertel und zwischen all dem das schnelle
klare Bregavawasser. Inmitten der Stadt bildet es einen breiten Wasserfall, theilt
sich dann in zwei Arme und umfaßt so eine lange, beinahe die ganze Thalsohle aus -
füllende Insel, welche die Gärten der Stadt trägt, ein reizendes Wirrwarr von
Brückchen, Mauern, Hecken und Lauben, die sich bis zum Ausgange der Schlucht
erstrecken, wo am linken Ufer, von einer großen Kuppe getragen, die starke, wehrhafte
Burg von Stolac aufsteigt.
Stolac ist eine uralte Ortschaft; Burg und Stadt sind aus römischem Ruinenmate -
riale erbaut. Das nahe Dorf Osanic zeigt noch cyclopische Befestigungsmauern und zwei
Thürme aus der Römerzeit, und das Vidovo Polje ist ebenso reich an römischen wie an
jüngeren Denkmälern. Wie oft die im Mittelalter als „Berga" bekannte Festung in den
wildbewegten Zeitläuften umgestaltet wurde, sagt kein Chronist.
Der kleine windstille Kessel von Stolac ist der heißeste Ort nicht nur des Occu-
pationsgebietes, sondern ganz Europas. Seine mittlere Jahrestemperatur kommt der von
Dschedda in Arabien gleich. Tagsüber wird das Gestein oft so erhitzt, daß es mit der
Hand kaum anzufassen ist, und die Wärmeausstrahlung nach Sonnenuntergang verscheucht
jede nächtliche Kühle. Die der Hercegovina eigenthümliche kleine Mosquitoart, Scorpione
und Giftschlangen sind die Begleiter dieser tropischen Wärmegrade.
Dafür ist es jenseits des Hrgut und der Karsthochflächeu der Snieznica im großen,
weiten Nevesinjsko Polje um so kühler. Achthundert Meter Seehöhe mildern selbst die
hercegovinische Sonne und lassen es nur mehr zu einem maigrünen Graswuchs kommen,
welcher die kolossalen Schneemassen des langen Winters ablöst. Es ist ein schönes, trockenes
Polje mit Quelltümpeln an seinen Rändern. Ringsum nicht nur Karstwülle, sondern
bereits wirkliche Gebirge. An der westlichen Längsseite die alpine Region des Velez mit
einem dunkelgrünen Nadelholzgürtel ansetzend, aus dem dann der schneeweiße gezähnte
Steiukamm herausbricht. Der Hercegovce schwört buchstäblich nicht höher als bei den
„siebenundsiebzig Gipfeln des Velez". Dem gegenüber der röthliche düstere Crvanj, wäh -
rend die nördliche Schmalseite die schwarze Crnagora mit ihren Urwäldern, über welche
drei allabendlich tieferglühende Gipfel des Prenj Hereinblicken, einnimmt; im Süden end -
lich die langgestreckte Glog-Planina als Vorstufe zu dem bewaldeten Rücken der Bukvica,
hinter welchem sich das eigentliche Jnsurrections-Hauptquartier in türkischer Zeit,
133
Biograd, ein kleines sandiges höckeriges Plateau verbirgt, und auch die Gackoer Gebirge
zeigen sich bereits in der Ferne am Horizonte.
Das Nevesinjsko Polje ist nicht nur das landschaftlich schönste, sondern auch das
militärisch idealste Manöverfeld. Dies begründet die Rolle, die es in den Kämpfen ,?a
Ki-st eastrü i slodocku ölatrm" („für das ehrwürdige Kreuz und die goldene Freiheit")
gespielt, ohne ein eigentliches Schlachtfeld geworden zu sein. Scheinbar ganz eben, ist es
doch voll sandiger Wellen und Terrainobjecte, Deckungen und Hinterhalte. Besonders der
nördliche verkarstete Theil ist trotz anscheinender Harmlosigkeit so durchwühlt, daß man
bei Dunkelheit quer überhaupt nicht durchkommt. Zu Hunderten schlichen sich am Hellen
Tage die Insurgenten aus dem Crvanj in den Velez durch, und die Montenegriner kamen
aus dem Dngapasse durch das Polje unbemerkt in die Bisina, den Zugang zu Mostar.
Diesen schützt jetzt die Appel-Schanze, und unmittelbar darunter, wo die von Blagaj
kommende Chaussee in dichten Serpentinen ins Polje niedergleitet, liegt das beim letzten
großen Aufstande ganz zerstörteStädtchen Nevesinje, bestehend aus einigen weißgetünchten
Häusern mit rothen Ziegeldächern und sehr vielen, militärischenZwecken dienenden, nüchtern
aussehenden Baulichkeiten. Auch sonst gibt es noch da und dort Schanzen, aber kriegerisch
sieht das Polje deßhalb nicht aus. Eher wie Kaserne und Exercirplatz. Ein glänzendes Bild
gibt es, wenn große Truppenabtheilungen, die zu Ende des Sommers hier concentrirt
werden, auf dem Polje manövriren. Raum ist für mehrere Armeecorps, und das Terrain
ist allen Waffengattungen und Gefechtsarten günstig; gibt es da doch stundenlang Wiesen,
Buschwerk, Remisen, nackten und bewaldeten Karst, Mittelgebirg und Hochgebirg.
Seltsamen Karawanen begegnet man im Mai in der ganzen Hercegovina und
vornehmlich hier, wo ringsum die besten Alpenweiden winken. Keine größere Freude
für den gesammten Hausstand, als wenn es in die Planina geht. Die Thäler werden der
erbarmungslosen Dürre überlassen, und erst gegen November, wenn die Planinas sich in
Schnee und Eis hüllen, kehrt man mit dem fetten Vieh, dem Butter und Käsereichthum
zurück. In heißen Sommern sind die Cisternen nicht ausreichend, und die Älpler von
Ledenice müssen das Vieh über die steilste Seite zur Narenta bringen, über Böschungen
von 30 bis 40 Graden. Acht Stunden braucht das Vieh, bis es weidend und rastend an
den Fluß kommt. Getränkt, kommt es auf einem anderen Wege durstig auf die Alm
zurück. So ist es immer unterwegs, ist entweder hungrig oder durstig. Fürwahr, der
Hercegovce weiß etwas von einem Kampfe ums Dasein!
Hinter dem kahlen Crvanj liegt die grüne Mo rin je. Beide endigen an der Zalomskcw
furche, einem eintönigen Defile, das an dem unbedeutenden Orte Fojnica hinüber in
das Gacko-Polje leitet und von der neuen Fahrstraße benützt wird. Der alte Saumweg
bog früher bei Pluzine ab, um über Zalom-Palanka, das eine türkische Garnison hatte
134
und die Reste ansehnlicher Bauten zeigt, und Sipacno sich der Grenze zu nähern. Von
Pluzine zieht auch gegen Nord der non altersher bedeutsame Weg zwischen Crvanj und
Mvrinje in das obere Narentathal, eine strategisch wichtige Route. Längs des im
Sommer verschwindenden Pluzinebaches kommt man auf die schönen gesuchten Weide -
plätze der breiten Einsattlung. In einer Mulde liegen die „Svakovsko gröbste", die
Gräber jener Teilnehmer an einem Hochzeitszuge, die — wie cs im Liede heißt — eine
Cengic aus Kalinovik einem Mostarer Edlen zuführten und in einem Schneesturin umkamen.
Bald nach dem höchsten Sattelpunkte beginnt der Steilabfall gegen die Narenta.
Hier liegt auch die Dcfensiv-Kaserne Obrnja, von der aus mau einen Überblick über den
ganzen oberen Narentalauf gewinnt. In schluchtigen Engen tollt der junge Fluß dahin,
zwischen den herrlichen Buchenwäldern, welche die Kluftwünde bis zum Rande bekleiden,
während oben die baumlosen Almen hochwogend, unübersehbar in weiten Fernen in
immer schwächer werdende Linien sich auflösen. Der Narenta Wiege sind die tiefschattigen
Thalsenkungen von Borac. Hüben überhöhen sie die Abfälle der Morinje und des
Vucevo, drüben die grandiosen Fortsetzungen der Treskavica: die Lelija und
Zelengora. Schon nahe der Grenze vereinigen sich die Gebirgsmassen in dem Gredelj-
Sattel. Er ist von Osten so steil, daß das Volk den hinaufführenden Steig »Or/.i rop°
nennt, will sagen: „Halt dich am Pferdeschweif". Dem nach innen gekehrten weichen
Waldboden des Sattels entspringen die Quellbüche der Narenta.
Diese von der Außenwelt ganz abgewendete Waldlandschaft war der Sammelplatz
und das Hauptversteck der Junaci. »voll so goru remeleiii" („sobald sich der Wald
begrünt"), war einst das Losungswort all Jener, die sich die ,subu puska" das „dürre
Gewehr", als Schicksal erwählt. Fast alle „vermählten" sich damit auch der schwarzen Erde
und dem grünen Rasen; viele fanden den Weg zum Ruhm, kaum einer zum Glück.
An sie erinnert noch manch Merkmal in den Wäldern, manch Zeichen an den Bäumen,
man gedenkt ihrer bei den guten Hinterhalten und Wechseln. Und daran ist die große
Planina überreich. Jedes Walddorf im stillen Borac rühmt sich, der Welt einen großen
Cetaführer geschenkt zu haben.
Von Obrnja geht es ans steilem Wege hinab an das Narenta-Flüßchen und jenseits
der kleinen Holzbrücke bei dem Orte Ulog drüben ebenso hinauf, zu der Ortschaft O balj,
die oberhalb senkrecht gegen ein Seitenthälchen abstürzender Wände am Rande des
großen Zagorje-Plateau liegt, welches das Bindeglied zwischen der Treskavica und
der Lelija bildet.
„Zagorje", — das Land „hinter den Bergen". Das stimmt von jeglicher Seite.
Es ist milder Karst, weit geschwungene Wellen, regelmäßig geformte Trichter, mit einer
gleichmäßigen Grasbekleiduug und darauf Gruppen dunkler Nadelhölzer. Auch der
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nördlichste Theil der Zagorje, die frostige Krbljina, ist nicht viel schlimmer. Von hier ans
gestattet der Nogoj-Sattel den Übergang in das bereits zum Bosnagebiete gehörende
Zeljeznicathal, während man am Vratlopaß in den Bereich der Drina niedersteigt. Die
Zagorje ist ein sehr vornehmer Gau. Ihre Kuppen schmücken alte, mit Sculpturen über-
Stadt Stolac in der Hercegovina.
deckte Grabsteine, und feste Edelsitze, die ihre massigen, steinernen, viereckigen Kulas in
die dünne Luft erheben, bringen etwas von der alten romantischen Feudalzeit noch in
unsere nüchterne Gegenwart. Hier herum Hausen die Cengiti — denen die Vertheidigung
der Grenzgebiete gegen Montenegro sammt deren Verwaltung und Staatseinkünften von
der Pforte anvertraut gewesen — ein altes Geschlecht, das sich seiner Vielköpfigkeit
wegen in mehrere Zweige getheilt. Hauptsächlich sitzen sie in Kuta (die „Kutalija"), in
Borija und jenseits des Vratloüberganges in Rataj. Dieses zeigt wirklich „von
entschwundener Pracht . . ." Ein ganzes großes Dorf mit lauter Cengici und zwischen den
bescheidenen Häuschen und Flechtzäunen mehrere Kulas, eine davon in vierzehn Stockwerken
einhundertzwanzig Ellen hoch; schloßartige Gebäude, mit weiten verödeten Hallen, in deren
einer noch die drei Stangen mit den Roßschweifen hängen, die einem Ahnen — Ali
Pascha CengU — verliehen wurden. Kunstvolles wurmstichiges Schnitzwerk an den
Decken und Wänden, Reste persischer Fayencen und kostbare bunte Glastafeln in den
Fenstern. Nächst den Ratajer Gärten ragt an einer steinigen Stelle ein einzelner Kalk -
block, in den eine Zelle gehauen ist, aus dem Boden: das ehemalige Grab des heiligen
Vasilije (Basilius), das — wie die Familiensage geht — von dem Ahnen der Cengiki, der
mit Mehmed Fatih ins Land gekommen, hier vorgefunden wurde. Das an die Grabstätte
angebaute Kloster wandelte er in eine Moschee um, die jetzt in Trümmern liegt, und hütete
so die Gebeine des Heiligen. Zweimal raubten sie die Montenegriner, und über Nacht
waren sie wieder da. Als der Ahne aber gestorben war, verkaufte sein Schreiber, ein Sofia,
den Heiligen an die Montenegriner, die ihn in Ostrog beisetzten. Nun kam er nicht mehr.
Die Politische Grenze der Hercegovina läuft am nördlichen Schluchtrande der
Narenta, aber das Volk schiebt sie mit einem richtigen Gefühl für geographische und
ethnographische Zusammengehörigkeit viel weiter hinauf und reclamirt den ganzen Hoch -
zug noch für die Hercegovina. Es sind auch ausschließ'ich Hercegovcen, die guimüthigen
Humnjaci und die stolzen Rudinjani aus der Landschaft von Bilek, welche die großartigen
Sommerweiden der Lelija und Zelengora mit Dumos und Stirine bevölkern. Selten
vermag man eine solche Vereinigung von Lieblichem und Großartigem zu finden wie hier:
zwischen todten Steinhalden blumenreiche Grasfluren; in Höhen, in denen nur noch das
Krummholz ausharrt, glänzende Seespiegel in meerestiefen Steinbehältern. Eine erhaben -
einfache, herb-friedliche Natur, ein ideales Hirtenreich für entbehrungsfreudige Bergvölker.
So möchten wohl auch die Hirtenfürsten empfunden haben, die hier oben auf den licht-
und luftumflossenen freien Almen ihre letzte Ruhestätte sich erwählt. Auf kahlen, trauernden
Kuppen, an den Ufern der schweigenden Seen lasten Sarkophage mit reichem figuralen
und ornamentalen Schmuck auf den Gräbern jener „Herren der Einsamkeit", die noch im
Tode die Reisigzelte der Ihrigen überschauen und bewachen. Am Eliastage — 1. August —
den auch die Mohammedaner als „Ali Dzun" feiern, widerhallt die Planina von Gesängen
und Schalmeitönen. Die Thalbewohner kommen schon am Vorabende in Festtagsgewändern
herauf, die „Boracer Türken" mit ihren Frauen, und an den Quellen, den Seen, an den
die Tiefe der Karsttrichter ausfüllenden eisigen Tümpeln werden all jene uralten Gebräuche
beobachtet, die von den Voreltern auf uns kamen: von den harmlosen Reigentänzen an
bis zu den Gottesurtheilen.
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In der Fortsetzung dieses Hochzuges erreichen die bosnisch-hercegovinischen Alpen an
der Grenze Montenegros ihre mächtigste Entwicklung in den Erhebungen des Volujak und
des Maglic, die aber bereits in das Gebiet des Schwarzen Meeres fallen, von dem der
Adriadurchden Cemerno-Rücken getrennt. Aufdem Cemerno-Piedestal baut sich der einem
versteinten Wolkenzüge gleichende Grat des Lebrsnik auf. Dahinter liegt ein kurzes
Hochthal mit der Poljana, einer Einbruchstelle in die Zupa Piva, und dann kommt die
breite mächtige Wand des Volujak-Massivs, dessen schneidiger stellenweise in wilde
Schneeklüfte abfallender Rücken zu dem Studenci (2298 Meter) und der Vlasulja
(2339 Meter) ansteigt. Die Grenze läuft hier von einem Gipfel zum andern und von dem
Studenci als gerade Luftlinie weiter über das Gebirgsrelief zum Maglic, der als höchster
Punkt (2387 Meter) das ganze Panorama überragt.
Diese machtvolle Gebirgsgruppe verdankt ihre Selbständigkeit nur dem kleinen
unansehnlichen Sutjes k a-Flüßchen, welches dem von dem Gredelj-Sattel, Cemerno-Platcau
und Lebrsnik umfaßten Thalboden von Jzgori entquillt und die der Grenze zustrebenden
Parallelketten spaltet, um sich einen Ablauf zur Drina zu bahnen. Die von der Zelengora
herabkommende Bergmauer der Jabucke-Stjene und Tovarnica, die über den Sedlo in
den Volnjakzug übergeht, reißt sie auseinander, und so wird ihr eben die Tovarnica und
der Sedlo zu einem gigantischen Felsenthor, der „Prvsjecena Vrata", durch das sie sich
weiter durchwühlt in einer stellenweise kaum 30 Meter breiten Klamm. Grellrothe Flecken
bezeichnen die Stellen, wo jüngst Steinblöcke abgestürzt. Einschnitte, wo das Geschiebe sich
sammelt, schmückt die Omorica-Fichte, während auf den nackten Zinken sich die Schwarz -
kiefer mühselig das Dasein erkämpft, vom Winde zu Pyramiden- und schirmförmigen
Pinien zugestutzt. Entgegen ihrer Gewohnheit sieht man hier die Rothbuche bis über
1800 Meter die Hänge hinanklettern, ober der Nadelholzregion einen Gürtel bildend;
dann sinkt sie aber, verkümmert, zum Krummholz herab, ihre schlangenartigcn Wurzel-
knüuel in das Gestein schlagend. Die Geröllhalden am Fuße der Gipfelabstürze hemmen
ihr weiteres Vordringen. Über 1900 Meter tritt die Legföhre in ihre Rechte, die sich
infolge ihrer großen Widerstandsfähigkeit bis nahe zu den Gipfeln selbst durchkämpft.
Die Tiefe der Klamm ist ein duftender Blumengarten, in dem ein fröhlicher Bach
um Gesteintrümmer hüpft, und Quellen aus grünen Verstecken hervorschießen. Die Wildniß
von wilder Rebe, rothem Hollunder, Schneeball, Berberitzen, Pfeifenstrauch und Haselnuß
weicht kaum dem schmalen Steg, der über Brückchen, die sich auf Sturzblöcke stützen, führt,
über zusammcngefügtc Balken, unter überhüngenden Felsen durch oder auf mühsam ver -
breiterten Gesimsen. Es gab hier kein Ausweichen, kein Entrinnen. Im Mittelalter hatte
Herzog Stefan in den Klippen der „Vrata" ein Zollamt, zwei kleine in die Felsen gehauene
Forts „Vratar" und „Vratac", deren Reste noch auffindbar sind.
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Nn den regen ragusäischen Handel gemahnen nur noch die italienischen Zahlworte,
die hier das Volk noch immer gerne gebraucht. Die Lastpferde ließ man allein im Bach -
bette gehen, und die Reisenden schlichen sich oben scheu dem Grate entlang; alles auf gut
Glück, weil eben keine andere Communication diese uralte Karawanenstraße ersetzte, die
schon aus den venetianischen Kolonien an der dalmatinischen Küste über Nis nach Con-
stantinopel geführt hatte. Zudem ist die Grenze hier so nahe, und die Montenegriner der
Piva lebten in altererbter Fehde mit den wehrhaften Mohammedanern der Sutjeska.
Die Kriegsfurie war auch immer losgelassen, und den Räubern und Insurgenten diente
die Schlucht als Wechsel und Versteck. Noch heute wagt sich hier gewohnheitsgemäß
Niemand während der Nacht vor die Thüre.
Die kleine, der „Vrata" bald folgende Thalweitung von Suha bezeichnet den
schönsten Punkt der Schlucht. Hier steigt von der Zelengora der berüchtigte „Gusniput"
nieder, der auf einer Länge von 3 Kilometer über 900 Meter fällt, häufig von Fels -
blöcken und senkrechten Abstürzen unterbrochen. Und trotzdem trieben die Bewohner der
Piva hier das in der Zelengora geraubte Vieh herab und brachten es dann am Magliö
vorbei über die Grenze.
Das Örtchen Suha hatte bis zu der Grenzsperre nach der Occupation einen auch
von den Montenegrinern vielbesuchten Sonntagsmarkt, auf dem die Focaner Waffen und
Munition feilboten. Nach Suha Preßt die Klamm das Flüßchen neuerlich hart
zusammen; aber bald nach der Einmündung des Perucica-Wildbaches, vor der Ortschaft
Tjentiste, gehen die Wände in grüne Hänge über. Die obstreichen, stark conpirten Ost-
auslüufer der Zelengora, welche die Nahija von Curevo einnimmt, zwingen die Sutjeska
zu einem Bogen um die nördlichen, besiedelten Abdachungen des Maglic-Stockes, und
anmuthige Thallandschaften netzend, drängt sie zur Drina, die, ihr entgegenkommend, sie
bei Bastaci aufnimmt.
Aus der Sutjeska-Schlucht führen drei Wege rasch hinauf an den Fuß des Maglic:
die Felstreppe des Zdrijelo, dann der über den aussichtsreichen Dragossattel ober der
rechten Thalwand der Perucica laufende Pfad, die beide in die Grenzkarstmulde Ulobic
dringen, von wo aus der Maglic von der montenegrinischen Seite mühelos bestiegen
werden kann; und schließlich der Weg von Suha, der mit einem steilen Aufstieg durch
einen Fichtenwald beginnt und auf der Hochweide Prievor endet. Schon hier erschließt
sich dem Blick ein schier unermeßlicher, in seinen Verhältnissen wunderschöner Bergkreis,
dessen Anblick allein den Aufstieg lohnt.
Auf dem kleinen grünen Prievor-Plateau fußt in unmittelbarer Nähe der Maglit,
der schönste und höchste Berg des Landes. In imponirender Großartigkeit baut sich hier
seine zu der spitzen Gipfelpyramide sich verjüngende Breitseite in Steilwänden auf, an
Mohammedanischer Landsitz in Rataj.
denen nur wenig Schnee haftet. Die von dem doppeltgehörnten Gipfel gegen Norden
streichenden Kämme mit ihren gezahnten Felsgraten fallen steil in die Tiefe. Gegen das
Volujak-Massiv zieht sich eine Kette der herrlichsten Bergformen, die in glitzernden, breiten
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Bändern ewiger Schnee umschlingt. In einem Einschnitte des Gratabfalles spiegelt ein
von einem dichten Pflanzenteppich umrahmter kleiner See das Berggemälde wieder.
Die Fernsicht von dem Gipfel des nach allen Seiten hin steil abfallenden Maglic
zeigt ein in seiner Mannigfaltigkeit reizvoll bewegtes Bild. Da sind die weiten, grauen
Karsthochflächen der Hercegovina mit ihren kahlen Mauern, ihrem langgezogenen Aufbau,
dem fahlen Grün der sommerlichen Weiden auf dem bleichen Kalk. Dann das grüne
Bosnien mit seinen dunklen Wäldern, welche die hintereinander auftauchenden Gebirgs -
ketten überziehen, und endlich die ruhigen, ernsten Formen des welligen Hochlandes der
Schwarzen Berge mit dem schneebedeckten, dreigipfeligen Durmitor, der „Nebeskasoha", der
„Himmelsgabel", deren schwerfällige Riesenmauer sich im Ost dem Maglic gegenüberstellt.
Von der Wasserscheide Cemerno an zieht sich längs der Grenze eine staffelförmig
gegen das Meer abfallende Reihe größerer und kleinerer Becken mit unterirdisch abfließen -
den Schlundwässern hin. Die einzelnen Glieder dieser Kette sind Gacko, Gorito, Plana,
Bilek und Trebinje; und die zwischen dem Anfang- und dem Schlußgliede waltende
Höhendifferenz von 700 Metern bedingt eine ganze Scala von klimatischen Unterschieden,
die in dem monotonen Karste mannigfaltigen Ausdruck finden.
Gackos Hauptstadt soll vor geraumer Zeit Crnica gewesen sein, in dem verkarsteten
südlichen Theile des Polje in einem etwas tiefer liegenden Kessel, der einiger sparsam
vertheilten Baumgruppen wegen bereits als paradiesisch gepriesen und die „Gartenerde"
(Crnica) genannt wird. Zwischen den ausgedehnten Häuserruinen der ehemaligen
ragusäischen Zollstation und Handelscolonie bauen jetzt einige mohammedanische Dörfler
Mais und Kartoffel. Es war der wichtigste Ort auf der ganzen Linie von Trebinje bis
Foca, und von hier aus versuchten die türkischen Behörden mit den Nahijen von Rndine,
Banjani, Gat, Drobnjak und Piva fertig zu werden. Es endete, wie hier Alles, mit
rauchendem Schutt, und aus der Niederlage Crnicas zogen Metohija (Gacko) und Bilek
Nutzen. Auch die große Landstraße, die von Nevesinje ins Gacko-Polje kommt, läßt
Crnica unbeachtet und zieht geradeaus durch das mit Riffen durchsetzte Pusto-Polje
auf die Schwelle des nächsten Thalkessels, auf den Sattel der Kobila-Glava, wo sie
den alten Pfad wiederfindet.
Mit Crnica ist auch sein Stützpunkt Kljuc zum historischen Trödel geworden, von
dem der Volksmund allerhand Fabeln zu berichten weiß, deren Mittelpunkt der letzte
Großvojvode Sandals Hranic bildet. Westwärts höhlt sich der Kessel tiefer in die Fort -
setzung der das Gacko-Polje überhöhenden, steinigen, schwer zugänglichen Bjelasica, in die
verwitterte „Baba" (Großmutter) ein, und mürrisch schaut der Gipfel „Djed" (Großvater)
nieder auf den von den Wänden losgerissenen Felsbrocken, auf dem sich noch einige Burg -
trümmer mühsam behaupten. Türkische Irreguläre, Baschibozuks, hielten bis zu den letzten
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Kriegen die stürzende Veste besetzt, welche, von den Terrainwellen gedeckt, den ihr gegen -
überliegenden Eingang in den berüchtigten Dnga-Paß — den „Langen Paß" —
beobachtete, die verwundbarste Stelle Montenegros.
Unsäglich traurig, leer und licht ist es hier ringsumher. Die Ebene durchbrechen
niedrige Kalkrücken, unregelmäßige Wellen schlagend, von spärlichem Gras bekleidet.
Selten ein Strauch. Auf verborgenem Wege kommen und gehen kleine Wässerchen. Der
Ringwall der Berge des Gacko-Polje öffnet sich zu einem breiten Thore, und sanfte
Cemerno.
Abdachungen bilden die Furche, welche bis Scutari laufend, die eigentliche Crnagora von
der Brda trennt. Sacht anfsteigend, schlängelt sich der Hvchpaß weiter durch die unweg -
samen Kalkgebirge, um nach Nozdre, der ungefähren Wegmitte, sich wieder langsam zu
senken: Alles ehedem hercegovinisches oder, wenn man will, türkisches Gebiet, die „Duga",
die Hauptoperativnsbasis der Osmanen. Befestigte Plätze sollten sie schützen, und um diese
zu verproviantiren, waren wieder große Feldzüge nothwendig. Die Reste der Wälder
wurden niedergebrannt, und das Volk spricht von dem Pascha, der dies vor den letzten
großen Kriegen hier gethan, nur als „Comigora", dem „Wälderstürzer". Den berühmtesten
Durchzug erzwang sich 1877 Sulejman Pascha, in furchtbaren Kümpfen, die einzig
dastehen in der Kriegsgeschichte, in denen ausgezeichnetes, reguläres Militär und die
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ursprüngliche Kampfesweise eines findigen kriegerischen Volksstammes schwer um die
Palme rangen. -— Jeder Sieg bedeutete einen schrecklichen Verlust, und die „Duga" war
und blieb das Grab der türkischen Soldaten. Der Himmel verfinsterte sich von Geier -
schwärmen, wenn die Truppen mit den endlosen Tragthiercolonnen sich dem gefürchteten
Passe näherten, und in ohnmächtiger Wuth streckten die tapferen Anatolier die Fäuste ihnen
entgegen.... Was nützt Muth in einem Terrain, das voll Deckungen, voll Hinterhalten
ist für solche, die es beherrschen, das durch seine Wasser- und Schattenlvsigkeit
allein Tausende auf den unbarmherzigen Stein hinstreckt! Doch die Anatolier verkauften
ihr Leben theuer, und auch in dem Nest der grauen Falken schwieg niemals die Todten-
klage. Es waren wahrhaft heroische Kämpfe beiderseits, an denen sich die christlichen
Hereegovcen ans Begeisterung und Sympathie für die stammverwandten Montenegriner
jederzeit betheiligten.
Die Ostgrenze der Hercegovina war immer ein vager Begriff. Waren die Garnisonen
von Metohija, Bilek und Trebinje stark, dann reichte ihr Einfluß bis ins Herz des heutigen
Montenegro; waren sie aber durch Unruhen im Innern des Landes beschäftigt, dann
konnte es sich leicht ereignen, daß die rückkehrenden Anatolier ihre alten Garnisonen bereits
„jenseits der Grenze" liegend fanden und dieselben nur mit dem Säbel in der Faust
beziehen konnten. Der Sinn für Recht und Ordnung war arg ins Wanken gekommen,
und als den Reichstrnppen die Aufgabe erwuchs, hier Ordnung zu schaffen, hatten sie es
mit einer den „Fremden" mißtrauisch gegenüberstehenden, unbotmäßigen Bevölkerung
zu thun.
Und deßhalb mußte als erstes, greifbares Zeichen der neuen Rechtsordnung die
Grenze der Wirkungssphäre der österreichisch-ungarischen Verwaltung präcisirt werden.
Bald nach dem Einmarsch der Truppen wurden demnach an militärisch günstig gelegenen
Punkten einzelne Posten von verschiedener Stärke detachirt und die Grenze so gleichsam durch
Soldaten, durch den Cordon, ausgesteckt. Indem der Verkehr nur auf wenige Stellen
verwiesen und an Umständlichkeiten gebunden wurde, lernte die Bevölkerung die Grenze
achten, zwischen dem „Hüben und Drüben", dem „Mein und Dein" scharf unterscheiden
und getroffene Maßnahmen als unantastbar respectiren. Den militärischen Werth des
Cordons wird kaum Jemand ernst nehmen, aber Niemand vermag es zu leugnen, 0aß er
die Entwicklung des jungen Culturlebens in der Hercegovina auf das Mächtigste gefördert
hat. Ein Volk, das so lange für Recht und Gerechtigkeit geblutet, kann auch nur durch
den Grundsatz „lustitia rsAiiornm tniickairiöiitnlii« erobert werden, und wenn auch Jahre
nöthig waren, um den gesunden Sinn des Volkes und damit sein Vertrauen zu wecken, so
hat doch weit weniger als das Viertel eines Menschenalters hingereicht, um die seit Jahr -
hunderten lodernden Flammen des Aufruhrs für immer zu ersticken. Unsere Truppen
Aus der Sutjeska-Schlucht.
haben am Cordon ein hartes Stück Arbeit vollbracht und sich dadurch an dem schweren
Pacificirungs- und Cultnrwerke in diesen Ländern in hohem Maße betheiligt.
Längs der ganzen trockenen Grenze, vom Zusammenflüsse der Tara und Piva bis
zum Ozjen-Sattel zieht sich der Gürtel von befestigten Unterkünften hin. Südlich der
Hochgebirgsmassen häufen sie sich, und wo immer man steht, taucht in dem Gesichtskreise
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ein Fort auf. Aus einiger Entfernung ist es oft recht nett und zierlich anzusehen, aber die,
welche hier einem verlornen Haufen gleich Wochen und Monate lang in völliger
Abgeschiedenheit Hausen, sind nicht immer zu beneiden. Denn das Schlagwort, unter dem
die Cordonstationen entstanden, war „kostenlos". Aus den einfachsten Windschirmen und
Wetterdächern, die im Anfang die längs der Grenze patrouillirenden Abtheilungen vor den
schlimmsten Unbilden der Witterung schützen sollten, wurden Hütten, und erst lange hernach
gestaltete man diese auch für den Aufenthalt in der kalten Jahreszeit nothdürftig aus.
Alles natürlich „kostenlos". Steine gibt es leider Gottes genug in der Hercegovina, und
der österreichisch-ungarische Feldsoldat kann „auf Befehl" Alles. Ans dominirenden
Übersichtspunkten ragen jetzt die Cordonsobjecte und die Grenz-Gendarmeriekaserneu gleich
Herrschaftssitzen in die dünne Karstluft hinaus, oft zum Entzücken der Einheimischen mit
einem rothen Dache versehen, freundlich in Hellen Farben gestrichen und von mehr oder minder
kunstgeübter Hand mit allerhand Zierrat versehen, welcher ausnahmslos die staunende
Bewunderung der Einheimischen erregt. Von den endlos langen Reihen der sich ständig
ablösenden Kommandanten hat Jeder das Seine beigetragen zur Verbesserung und
„Verschönerung" der Bauten, die nun wirklich mit vielerlei Geschmack ausgestattet sind.
Wer aber in trostloser Einöde, im wilden, kaum besiedelten Karst, nach beschwerlichem
Ritt auf den Posten ein gastlich Dach findet, wer eintritt in den Kreis echt feldmüßigen
Lebens, in dein altösterreichische Herzlichkeit und ein gesunder Soldatenhumor herrschen,
dem wird der Spott nicht leicht.
Humor ist hier wohl manchmal unerläßlich. Denn es gibt auch Posten, wo die
Bora durch die Trockenmauern wie durch ein Sieb durchbläst und das Strohdach den
Regen in Strömen durchläßt. In dem Blechofeu, dessen Rohr direct ins Freie führt,
verknistert das Gestrüpp, ohne zu wärmen, und der Proviant muß zum Schutze vor den
Nagethieren auf frei an dem Deckgebälke schwebenden Brettern versorgt werden. Im
Winter gehört noch das Schneeschaufeln, in dem heißen Sommer die Wasserversorgung
zu den häuslichen Sorgen des entsagungsvollen Cordondienstes. Die Freuden sind so
karg: die seltene Post mit veralteten Zeitungen, das typische alte Botenweib, der Besuch
des Nachbars von dem nächsten Berggipfel, Soldatenscherze, Telegraphen- und Telephon-
Nachrichten und — Jnspicirungen. Diese aber werden nicht leicht zu Überraschungen,
wenn der Kommandant populär ist. Denn dann fliegt die Kunde weit voraus über Berg
und Thal von einein Hirten zum andern, in jenen langgedehnten, durchdringenden, nur
den daran Gewöhnten verständlichen Rufen, die man scherzweise das „landesübliche
Telephon" genannt, und die Posten sind lange vor Eintreffen des Gestrengen darauf
gefaßt. In den früheren unruhigen Zeiten waren diese Rufe, mittelst welcher die Truppen -
bewegungen in unglaublich kurzer Zeit über weite Strecken bekannt gemacht wurden,
I-s"
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verboten. Jetzt vergnügen sich auch unsere gutmüthigen Soldaten daran, schallend ins
Montenegrinische hinein zu rufen. Der „Feind" reagirt darauf, indem er bereitwilligst
Eier, Hühner und Käse zu den Grenzpyramiden bringt, wo dann dafür Baargeld lacht.
Dabei wird oft gute Freundschaft geschlossen, die Officiere werden um Rathschläge und
Arzneien gebeten; man läßt den Oheim, die Nichte „drüben" grüßen, frägt, ob die Ahne
lebt u. s. w. Man hat sich lange nicht gesehen und gehörte doch früher zu einer „Bratstva".
Die Grenzregulirung hat die Anwesen häufig mitten durchgeschnitten. Der Hercegovce
wendet nicht den Kopf nach der Grenze, bloß die Mädchen meinen, nur der wäre ein
richtiger Mann, der Waffen trüge, wie die Montenegriner, und die Unseren wären ja
entwaffnet. Da meint er empfindlich: „Besser die Schaufel, als das dürre Gewehr, besser
in der Hütte, als hinter der Klippe schlafen. Wozu brauchen wir Waffen? Wir haben
einen ganzen Cordon, — wozu Wachhunde? Wir haben doch Patrouillen...."
Sind Mühsal und Beschwerden vergessen, dann erglänzen die Augen eines Jeden,
in der Erinnerung an die Poesie des Cordonlebens. Weit weg von dem lähmenden
Einerlei der Garnison, vermag der Soldat sich hier voll zu bethätigen, auf des großen
Reiches äußersten Posten, wo noch zur Nachtzeit von Viertelstunde zu Viertelstunde von
den Wachen der alte Prinz Eugen'sche Feldlagerruf ertönt: „Wer da? Patrouille
vorbei! "
Der Volksmund bemerkt ganz richtig: „Trebinje hat graue Felsen, Bilek grüne,"
denn die flachrandige Mulde wird ganz gleichmäßig von niedrigen Dornbüschen überzogen.
Sonst gleicht sie einer leeren Schüssel. Eine heiße, grüne Schattenlosigkeit, nur für Stra -
tegen und Ethnographen interessant und wichtig. Das am Westhange gelegene Städtchen
Bilek oder Bilek, wie der Einheimische sagt, besteht aus zwei vielfach unterbrochenen
Häuserzeilen, alles ganz neu und nach der Occupation „auf Befehl" des am Cordon
überaus populären Generals Galgöczy gebaut. Auch das einige tausend Schritte weiter
liegende „Neu-Bilek" nennt ihn als Gründer. Wo nämlich früher die lichtgrünen Zelte
des befestigten türkischen Lagers standen, erhebt sich jetzt in einem Stachelgürtel von
Werken eine große Defensiv-Kaserne. Ihr seltener Schmuck: üppige Gürten, mit ertrag -
reichen Gemüsebeeten, verdankt den Soldaten sein Dasein, die den Boden durch Spren -
gungen geebnet und das Erdreich in den Brotsäcken zusammengetragen.
Bilek ist gewissermaßen nur die nüchterne Reversseite des dazu gehörenden Cordon-
streifens. Von diesem trennt es noch die Einsattlung von Baljke, aus welcher dann in
zahlreichen Verschneidungen der von der Postenkette beherrschte Hang zu den Banjani-
Plateaux sich erhebt.
Die Hanptwache besorgt der hohe Vardar, ein isolirter Schuttkegel, der eine
weite Umschau gestattet und auch schon früher befestigt gewesen. Ein weiter steilwandiger
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Kessel ist das Schlachtfeld von Vucji-dö, der Schauplatz des letzten Sieges der
Montenegriner über die Türken (1877), die unter Führung des tapferen Sulejman-
Pascha hier auf einem Umwege die Duga gewinnen wollten. Hitze und Durst quälte die
plötzlich angegriffenen Osmanen, dazu die fürchterlichen Steillehnen, Klippen und Felsen,
die der Gegner mit spielender Leichtigkeit beherrschte. Doch auch die Montenegriner
ermatteten unter der türkischen Übermacht, und nach Stunden blutiger Qual gab der
„unverwundbare" Mirko das Zeichen zum Rückzuge. Es wurde falsch verstanden, und
wie rasend stürzten die Montenegriner brüllend und handscharschwingend nochmals vor
Stadt Gacko.
und fegten die Türken wie Spreu die Hänge hinab bis Bilek. In der großen Dolina am
Vardar lag ein ganzes Bataillon todter Anatolier. Die türkischen Geschützkugeln flogen
„wie Tanbenschwärme" und die Köpfe der Türken „wie gekochte Kartoffeln"
Nach der Schlacht brach ein furchtbares Unwetter los und bedeckte die Tausende von
Leichen mit einer dichten Schicht Hagel, sie so vor Verwesung schützend, bis man sie
bergen konnte. Welch reiche Ernte der Tod gehalten, beweist, daß auch fünfhundert
Montenegrinerinnen auf dem Schlachtfelde geblieben. Diese harten, waffengeübten Frauen
waren die Intendanz und Sanitätstruppe des montenegrinischen Heeres, die Todtengräber
und die — Leichenräuber. Was wollten sie thun? Es gab damals keine Zeit zum Spinnen
und Weben, und bekleidet mußte man gehen.
Gräber häufte man auf Gräber. Unter dem Hohen Barbar zieht sich über ganz
Baljke eine Niesen-Todtenstadt hin. Hier ruhen sie alle beisammen, von der Urzeit bis
jetzt: unter den Rollsteinen prähistorischer Gomilen, monumentalen, mittelalterlichen Grab -
platten und neuen, schmucklosen Erdhügeln. Die Grnher umfassen die Geschichte von Jahr -
tausenden, und ihr Archiv ist die Volkspoesie. Was unsterblich war an diesen nieder -
gemähten Geschlechtern, das schwingt sich im Liede über ihre Gräber hin.
Doch wozu zurückdenken? Nach den Tönen der Trauer kommt wieder der heitere Sinn
zu Recht, und die Rudinjani sind die ersten „Veseljaks" (Spaßvögel) des Landes. So viel
Steine in Rudine, so viel Scherze und Schwänke. Und der Friede, der friiher nie gekannte
Friede, macht sorgenlos. Das Haidekraut im Vucji-dö durchqueren jetzt Patrouillenwege,
und an den gemeinsamen Lokvas (Trünken) trifft sich Feind und Freund. Ein Brunnen,
der die Quelle gefangen, daneben ein quadergefaßtes Tränkbassin, der Platz herum
zertreten von den Tausenden von Hufen, die sich zum Wasser drängen. Weiber und
Mädchen in der malerischen montenegrinischen Tracht, den Spinnrocken im Gürtel,
schöpfen, die Stufen zum Brunnen hinabsteigend, mit winzig kleinen Kübeln das seltene
Naß. Die Luft wiederhallt von dem Gebrülle der Rinder, dem Geblöcke der Schafe. Und
da finden sich unter den einsamen knorrigen Eichenbüumen die alten „Jnnaks" ein, die
Jungen belehrend über die Großthaten, die sie verrichtet, erzählend und fabulirend. Ist
es ein „Veseljak", so verschwimmt Wahrheit und Dichtung zu einem harmonischen
Ganzen. Und zu dem lauschenden Publikum gehören nun auch die k. und k. Soldaten. In
harmlosen Trupps kommen und gehen sie unaufhörlich mit den unentbehrlichen Wassereseln.
Die Wichtigkeit des Bileker Waffenplatzes wird von den ausgiebigen Schlund -
quellen der Trebinjcica unterstützt, die unterhalb Neubileks plötzlich zu Tage tritt. Ganz
unvermittelt schneidet sich in das Terrain ein tiefer Graben ein, den eine vom Plateau
abfallende Felswand schließt. Aus zwei finsteren Löchern schnellt hier das Flüßchen
hervor, von einem Pumpwerk sofort ausgenützt, ehe es als Grenzscheide sich weiterwühlt.
Die Chaussee läßt sich aber von seinem Laufe nicht beeinflussen, sondern folgt den alten
historischen Spuren über die unwirthlichen Karrenfelder von Panik nach dem Weiler
Mosko, wo ein Seitenpfad nordwärts in das kleine Polje von Ljubomir abzweigt, das
ebenso fruchtbar ist, als diese Hochflächen wüst. Alles Leben scheint von ihnen hinweg
getilgt, und die über sie gestreuten Riesengomilen machen die langen Wegstunden noch
trostloser. Nach dem graugelben Dorfe Jasen folgt als leichte Erhebung der Gliva-
Riegel. Da senkt sich jäh der Hang, und weit unten sieht man in entzückender Lebens -
freudigkeit die Landschaft Trebinje sich breiten. Die auftrotzenden Berghöhen treten zu
einem Thalgrunde auseinander, und kaum den steinigen Engen entronnen, umschlingt die
Trebinjcica mit Hilfe eines künstlichen Armes die zinncngekrönte Ringmauer des alten
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Trebinje. Die Neuzeit hat Luft und Licht in das alte Fort gebracht, das ursprünglich
von den Ragusäern zum Schutze des Transitohandels hier erbaut wurde. An Befestigungen
aller Art und aller Zeiten leidet das als militärischer Stützpunkt immer gleich wichtige
Trebinje keinen Mangel, und die bald runden, bald eckigen alten Wartthürme an den
Lehnen und allen exponirten Punkten im Umkreise, gewöhnlich von einer übereinander
aufsteigenden flachdachigen Häusergruppe umzingelt, sind eine höchst malerische Zuthat.
Die moderne Befestigungsknnst hat aus Trebinje eine Lagerfestung gemacht, die aus
einem Noyau und neuen Gürtelwerken auf den höchsten Spitzen des imponirenden
Bergkrcises ringsum besteht. So blickt der Leotar über den die Trebinjcica-Ebene von
Gegend bei Trebinje.
dem Meere trennenden Bergwall hinweg in die blaue Adria, und über die blühende
Thallandschaft und die stahlgrauen wie mit Spinnweben bedeckten Felsstrecken grüßen
die Schneehäupter der albanesischen Proklctija und oben im Nord ein letztes Mal der
Durmitor. Seit die Sicherheit im Lande Trebinje aus seiner strengen Festungshaft
entließ, hat es mit langen, Hellen, an den Baustil italienischer Landstädtchen gemahnenden
Häuserzeilen, mit größeren Bauten, breiten Straßen und mit unter dem südlichen Himmel
üppig gedeihenden Gartenanlagen weit hineingegriffen in den schönen Thalgrund. Der
Orient kommt nur noch im Innern der Festung und in dem Marktviertel zu Wort, sowie
in dem Heimsitze der vormaligen Herren von Trebinje, der Begs Resulbegovic, in
Briegovi, deren weitläufige mittelalterlich rohe Baulichkeiten inmitten dunkler, von
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Cypressm überragter Haine sich in der Trebinjcica spiegeln. Ehemals waren die moham -
medanischen Edlen von Trebinje gleich vielen anderen jetzt in der Hercegovina zerstreut
lebenden Familien in Castelnuovo ansässig, und das Volkslied erzählt von den schönen,
weißgesichtigen Türkenfrauen, die auf goldgeschirrten tänzelnden Rossen von dort nach
Trebinje kamen, um Trauben zu pflücken und sich auf den satten Wiesen zu ergehen ....
In vielfachen Verzweigungen netzt der Fluß den humusreichen Lehmboden. Knarrend
und quickend drehen sich längs der User große Räder, deren mit Zellen versehene Schaufeln
automatisch Wasser schöpfen und es in die Rinnen und Gräben zwischen den Culturen
vertheileu. Hinter einer leichten Bodenwelle tieft sich das vielleicht infolge seiner Perio -
dischen Überschwemmungen überaus fruchtbare Mokropolje ein, in dessen Treibhausluft
die feinsten Sorten des berühmten Trebinjer Tabaks gedeihen.
Immer mehr rücken die Bergreihen auseinander und formen sich zu zwei gegen
Nordwest ziehenden Fronten, die den Raum für ein typisches Polje schaffen. Aber die
Humusflächen von Trebinje hören Plötzlich auf, und die steinige unwegsame „Suma"
nimmt von dem Thalboden Besitz. Lockeres, brüchiges Gestein in unregelmäßigen
Haufen, dazwischen Felsspitzen wie Drachenzähne, Dolmen, Einschnitte und schwarze,
grundlose Löcher. Darauf ein dürftiges Gewand von mißhandeltem, knorrigem Eichen -
gestrüpp, über das sich zuweilen Riesenwachholderstaudeu und verkrüppelte Bäume erheben,
und dazwischen eingesprengt sorgfältig umhegte Tabak-Plantagen. Scheu schleicht sich die
Trebinjcica längs der Nordlehnen hin. Ihr auf dem Felsgrunde klar schäumendes Wasser ist
im Sommer warm und ungenießbar. Es ist ein unbeweglicher, glänzender Streifen, den hie
und da ein kleiner Katarakt unterbricht. Manchmal trocknet er bis auf unzusammenhängende,
Miasmen aushauchende und von Sumpfpflanzen überzogene Tümpel ein. Dichte Hecken
von wilden Granaten, Liguster und dem lichtgrün blühenden, duftenden Teuselsdorn
umsäumen ihn. Der Tanz der Libellen, der silberglänzende Flug der Seemöven sind das
Einzige, was die schwüle Sommerruhe dieses verwunschenen Edens belebt. Zwischen Berg -
hang und Flußrand steht gleich einer Spukerscheinung an der ehemaligen Wegkreuzung
noch Ljubinje, die poetische Burg von Staro-Slano und starrt uns mit erblindeten
Augen an. Die Mauern und Thürme, die terrassenförmigen Schloßgürten, die stürzenden
Hallen, in denen jetzt das Käuzchen schreit, erzählen von der verschwundenen Pracht, die
ein Resulbegovic dereinst hier hervorgelockt.
Unmerklich senkt sich die Suma, um plötzlich wieder von einem schönen tiesgründigen
Culturboden abgelöst zu werden, dem des Popovopolje, das zur Winterzeit seinen Wasser -
schwall bis an die Suma-Grenze sendet.
Die Zupa Zub ci schiebt sich wie ein spitzer Keil zwischen Montenegro, die Krivosije
nnd den dalmatinischen Küstenstrich. Über die Trebinjcica-Eintiefung hinweg wogt der
151
n..,
^ 1 L .1
Karst weiter. Und welch einKarst! Ein morsches Riesengebirge mit hundertverwittertenHoch-
gipfeln, die in Todestraurigkeit ihr Haupt neigen und thalab stürzen. Stück für Stück ihres
mürben Gebeins zerschellt, zersplittert, und nur der Schutt wächst hoch und höher. Es ist ein
Gebiet unglaublicher Unwegsamkeit, vollständig unübersichtlich, voll Löcher und Schlünde,
aber großartig in der Mannigfaltigkeit der Detailformen. Übergänge der beschwerlichsten Art
stellen die Verbindungen her aus einem leeren Blindthal in das andere. Die Vegetation ver -
kümmert hier zu dichten, harten Grasbüscheln, die aus den Steinfugen wachsen, die seltenen
Quellen werden zu dem „Kapljenik", der nur tropfenweise das Gestein feuchtet.
Die einzige Hochfläche ist die von Grab („Hagebuche"), eine mit spärlichem
Eichengestrüpp und Gras bewachsene kleine fächerförmige Ebene, auf welche die einzel -
stehenden Zähnen gleichenden Bergzacken ihre Schuttrnnsen absetzen. Dies ist das Dorado
des kriegerischen Stammes der Zubci, die, wie in den Ragusaer Urkunden zu lesen ist,
„aus Armut von Raub lebten," arme Hirten, die ein Nomadenleben führen müssen,
um ihr Vieh zu ernähren. Eine schmale Felsfurche, die geradeaus nach Arslanagicmost
hinabläuft, bildet den besten Zugang aus dem Konavlje herauf und wird durch eine
Tefensivkaserne gesichert. Von Steinwallen kraterartig umzogene, niedrige, strohgedeckte
Steinhütten zu kleinen Dörfern geschlossen, umsäumen die lichte Fläche. Einem derselben
entstammte der nicht über jedes Bedenken erhabene, aber vielbesungene Führer der
Zubci in den letzten Befreiungskämpfen, der Waffenschmied Luka Vukalovic, der mit
Kanonen aus Kirschholz, die mit Eisenreifen zusammengehalten waren, auf die Türken schoß.
Die seltsamsten Erscheinungen sowie bedeutende Temperaturunterschiede drängen sich
auf einen engen Raum zusammen. In der Nachbarschaft des vermährten Gräber Polje
- liegen in beinahe alpiner Höhe die Flüchen von Konjsko. Hohl klingt der Boden hier unter
den Schritten, so daß das treue Pferd furchtsam zurückweicht. Die concav gewölbten
Flächen sind zum Einsturze bereit in jene furchtbaren Tiefen, die durch schwarze, brunnen -
artige Löcher zu uns heraufgähnen. Und noch etwas weiter umfängt uns plötzlich der lang
entbehrte Ton des Waldesrauschens, wie eine Erlösung in dieser Steinwildniß. Tie hoch -
stämmigen Buchen der montenegrinischen Bjelagora drängen sich über die Grenzwehr,
duftende, lebhaft gefärbte Röschen und tiefblauer Enzian sprossen zwischen den Fugen der
Schuttkegel, welche die höchstgelegenen Posten unseresEvrdons tragen, von denen Borova-
glava in eine Seehöhe von 1336 Meter aussteigt. Ewig von Winden umsanlt, verlinken
sie im Winter nahezu in Schnee. Von den die Patrouillenwege markirenden hohen Srein-
pyramiden sieht man oft kaum die geschwärzten Spitzen, und in der ^.iese von Laslva
in welche der Blick hinabtancht, lacht frisches Grün.
Die starren ungegliederten Felsmauern der Jastrebica, des „Geierzuges', ziehen
nun weiter als Grenzscheide gegen Süden, und wo ihr Grat in dem wie der Fangzahn eines
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Wolfes gekrümmten Vuciji-zub culminirt, da stößt dieHercegovina mit derKrivosije und
der Crnagora zusammen. Nur durch eine tiefe Verschneidung getrennt, steht ihm der Orijen
(1895 Meter) gegenüber, die bedeutendste Erhebung des ganzen Stockes. Wirr ineinander
laufende Schneiden und Kalkrippen verknoten sich zu diesem vielklippigen Gipfel, dessen
Schneeflecke auch der Sommersonne trotzen. Ganz nahe an ihn hinauf rückt das hohe Joch,
auf das sich der Cordonweg, von Grab kommend, heranfwindet, um an der Grenzmarke
dem Tümpel „Orijinska Lokva" vorüber in die Zerklüftungen der Krivosije zu tauchen. Den
Manen des Kronprinzen Rudolf, der 1888 diesen Weg ritt, um den Cordon zu inspiciren,
ist hier ein Denkmal geweiht, das an dieser Stelle zu einem bedeutungsvollen Zeichen wird:
vom hohen Obelisk lugt der kaiserliche Doppelaar hinab auf die heroische Landschaft, die
er gebändigt. Da liegt der düstere Bergkreis, wie eine Reliefkarte ausgebreitet da, mit
uneinnehmbaren Forts auf allen wichtigen Felsenrücken. Aus weiten, verdämmernden Fernen
drängen Bergreihen herbei, alle wild gezackt, alle kahl, und die vorderen Reihen des Kreises
stürzen hinab in eine wunderbare Meeresmuschel, in die nie genug gepriesenen Bocche di
Cattaro, das leuchtendste Juwel in dem Landschaftsschmucke derLänderÖsterreich-Ungarns.
Der Contrast ist überwältigend; da unten umschlingt der Siiden liebkosend das graue,
morsche Geschiebe des alten, niedergebrochenen, von dem Geist einer großen tragischen
Vergangenheit durchbebten Felsendomes, da lacht der farbenreiche, glückliche Süden. Das
um die Scoglien wogende blaue Meer, alte Patrizierstädte mit Glockenthürmen, Loggien und
Palazzi, myrtenbestandene Strandhügel, tiefe Buchten, an deren Ufern Palmen und Agaven
prangen, schimmernde Segel, stolze Dampfer, — das ist das Bouquet seiner Herrlichkeiten.
Da hinab eilt, aus dem Zubci-Abfall brechend, der Sutorina-Bach. Seinen
einstündigen Lauf zum Meere begleitet ein schmaler, oft kaum einen Kilometer breiter .
Streifen hercegovinischen Gebietes, der letzte Rest der bosnischen Zupa Sutorina, die
dereinst der vom König Stefan Tvrtko gebauten Burg von Castelnuovo unterthan war.
Das fließende Wasser, die historische Reichsstraße und jetzt auch das neue Bahngeleise, das
unten am Strande angelangt über Jgalo und Castelnuovo weiterläuft, um in der stillen
Bucht von Meljine zu enden, nehmen den schmalen Thalboden in Anspruch. Terrassen -
förmige ummauerte Anlagen, von schwärzlichen Cypressen-Alleen umzogen, mit Ölpflan -
zungen, Weingärten und Orangenbäumen kommen langsam die schöngeformten Myrten- und
lorbeerumkränzten Lehnen herab, der Bai von Topla entgegen, in deren Umarmung die
heldenmüthige Hercegovina lächelnd vergeht, von sanftem Wellenschläge, von süßem,
ewigem Frühlingshauche eingelullt in tiefen Frieden.
Archäologie.
Drei große Zeiträume der Vergangen -
heit sind es, welche im Antlitz Bosniens und der
Hereegovina zahlreiche und bemerkenswerthe
Spuren zurückgelassen haben. Es sind dies: die
Zeit der unabhängigen Herrschaft illyrischer
Stammeshäupter, die Jahrhunderte
der Römerherrschaft und die Periode
eingeborener slavischer Fürsten. Mit
anderen Worten, es gibt in diesen
Ländern eine große Anzahl prähisto -
rischer, classisch-antiker und mittel -
alterlicher Denkmäler. Sic beleuchten
die Kulturgeschichte unseres Gebietes für
den ersten Zeitraum ausschließlich, für den zweiten vorwiegend, für den dritten ergänzend
neben den geschriebenen historischen Zeugnissen.
Glasinac Funde: Bronzen.
vorgeschichtliche' Alterthüiner.
Die prähistorischen Denkmäler sind nahezu unsere einzige Quelle für den vor-
rvmischen Culturzustand des Landes. Sie stammen aus einer ungemessenen Reihe von
Jahrhunderten, die in der jüngeren Steinzeit ihren Anfang nimmt und bis an den Beginn
unserer Zeitrechnung reicht.
Funde aus der älteren Steinzeit, das heißt aus jenem vergangenen erdgeschicht -
lichen Zeitraum, in welchem der Mensch unter anderen klimatischen Verhältnissen mit
einer Reihe theils ausgestorbener, theils ausgewanderter Thiere zusammenlebte, sind —
wie auf der ganzen Balkanhalbinsel — auch in Bosnien-Hercegovina noch nicht nach -
gewiesen worden. Doch ist die Entdeckung solcher Überreste in Höhlen vielleicht nur
eine Frage der Zeit. Ganz bedeutend ist dagegen die Hinterlassenschaft des neolithischen
Menschen. Abgesehen von Einzelfunden und Ablagerungen gemischten Charakters, in
welchen Steinwerkzeuge neben Metallgegenständen Vorkommen, hat Bosnien mehrere rein
neolithische Fundstellen, darunter eine solche von beispielloser Ergiebigkeit: Butmir bei
dem schönen Badeorte Jlidze im Sarajevskopolje, nahe den Bosnaquellen und nur
13 Kilometer westlich von der Landeshauptstadt.
Eine kaum merkbare Bodenschwellung in der Ebene bezeichnet hier die Lagerstätte
einer schwarzen Culturschichte, welche in der Mitte des ausgedehnten alten Wohnplatzes
mehrere Meter stark ist und gegen die Wände hin allseits an Mächtigkeit abnimmt. Einst
standen hier — Anfangs ans dem Urboden, später beim Anwachsen der Schuttschichte, in
immer höheren Horizonten — zahlreiche Hütten von verschieden gestaltetem Grundriß,
der sich an seichten Vertiefungen im Boden erkennen läßt. Die Wände bestanden aus
Reisiggeflecht das sich um dünne Pfähle herumzog und mit Lehm verschmiert war. Die
Dächer mögen aus Stroh gewesen sein. Diese Hütten bewohnte eine kleine Sippe, wahr -
scheinlich schon illyrischen Stammes, welche mit großem Fleiß der Bearbeitung des Steines
zu Waffen und Werkzeugen oblag. Fertige Fabrikate, Beile, Meißel, Schaber, Pfeilspitzen,
Sägen, Messer, Bohrer, sowie Halbfabrikate, dieselben Gegenstände in unfertigem oder
nur roh angedeutetem Zustande, endlich Rohmaterial und Instrumente zur Herstellung jener
Erzeugnisse — Reibsteinplatten, Polirsteine, Klopfer — füllten in ungeheuren Massen die
Culturschichte. Man entnahm die Rohstoffe: Hornstein, Jaspis, Quarzit u. dergl., dem
Flußgeschiebe oder den nahen Gebirgen. Die kleineren Gegenstände formte man bloß
durch Zurechtschlagen, die größeren, namentlich Beile und Meißel überdies durch Poliren.
Schartige oder sonst untauglich gewordene Stücke reparirte man durch Aufsetzen einer neuen
Schneide oder verwendete sie als stumpfe Schlägel. Kurz, es war da eine Fabrik, welche
man, wenn es sich um eiserne Waffen und Werkzeuge handeln würde, als eine große
Schmiedewerkstätte bezeichnen dürfte. Dabei fand sich aber trotz emsigsten Nachsuchens keine
Spur von Metall, weder Eisen, noch Bronze oder auch nur Kupfer oder Gold.
Die Hinterlassenschaft der fleißigen Männer von Butmir verdient aber auch von einer
anderen Seite unsere Beachtung. Sie besaßen — ungewiß ist, ob sie sie selbst herstellten oder
durch Handel bezogen — merkwürdige Thonwaaren, von welchen zahlreiche, meist zerstückle
Proben auf uns gekommen sind. Diese bilden zwei Gruppen: verzierte Thongefäße und
kleine plastische Figuren. Die ersteren zeigen in ihren Ornamenten einen Reichthum und
eine Mannigfaltigkeit, welche in der jüngeren Steinzeit nicht ganz ohne Beispiel sind.
Doch bezeichnen gewisse Thongefäße von Butmir einen sonst unerreichten Höhepunkt
neolithischer Keramik durch die Schönheit ihrer Spiralverzierungen. In mehreren
untereinander verbundenen Reihen fortlaufende Spiralmotive sind entweder vertieft oder
erhaben ausgeführt und erinnern an die besten decorativen Arbeiten aus der mykenischen
Culturperiode Griechenlands. Dieses schöne Muster ist für das südliche Europa ägyptischen,
für weiter nördlich gelegene Länder griechisch-ägäischen Ursprunges und deutet auf einen
fruchtbaren Verkehr zwischen dem Norden und dem Süden der Balkanhalbinsel hin.
Denselben Beziehungen dankt wohl auch die zweite keramische Gruppe Butmirs, die
der kleinen plastischen Figuren, ihre Entstehung. Noch kein neolithischer Fundplatz der Erde
hat eine solche Menge thönerner Statuetten geliefert. Es sind ausnahmslos weibliche,
entweder nackt oder in langer Bekleidung gedachte Figuren, die wir wohl als Götzenbilder
oder „Idole" ansehen dürfen. Im Schema, sowie in mancher Einzelheit zeigen sie
Verwandtschaft mit mykenischen und ägäischen Figuren aus Thon und Stein, wenngleich
hier, sowie bei den Thongefäßen Bemalung fehlt. Läge Butmir in Griechenland statt in
Bosnien, so würde man über das gänzliche Fehlen von Metall erstaunen müssen; aber
Niemand würde Anstand nehmen, diesen Fundort mit aller Bestimmtheit der mykenischen
Gruppe anzureihen. Die Culturstufe von Butmir wird zweifellos noch öfter im Lande
nachgewiesen werden. Eine noch wenig erforschte Ansiedlungsstelle bei Nowi-Seher hat
ganz gleiche Steinsachen und Topfscherben geliefert. Es gibt aber noch ein zweite, typisch
abweichende Gruppe neolithischer Fundstätten in Bosnien, welche aus einer jüngeren Zeit
herstammen dürften. Der namhafteste Vertreter dieser Gruppe ist die umwallte steile Anhöhe
Debelo brdo, hart am Westrande Sarajevos. Hier zeigen die Steinsachen und Topfscherben
zum Theile ganz andere Formen und die Ornamente der Thongefäße andere, auch mit neuen
technischen Mitteln hergestellte Ornamente. Die Ansiedlung auf dem Debelo brdo ist nicht
rein neolithisch, sondern zieht sich, in der jüngeren Steinzeit begründet, durch alle prä -
historischen Perioden bis in die römische Zeit hinein. Diese lange Dauer dankt sie, wie die
ganze Gruppe prähistorischer Höhenbesiedlungen in Bosnien und der Hercegovina, ihrer
geschützten Lage, durch die sie sich auffallend von dem flachen Butmir unterscheidet. Die Zahl
der in unserem Gebiete bisher nachgewiesenen, mehr oder minder ähnlichen, befestigten Wohn-
plätze beträgt nahezu einhalbes Tausend. JhreBefestigungen bestehen ingeraden, kreisrunden,
elliptischen oder polygonalen Wällen, welche Flächen von oft mehreren Hektaren Ausmaß
umschließen oder abschließen. Das Material der Wälle besteht je nach der Bodenbeschaffenheit
157
aus Erde, Stein oder einem Gemenge dieser beiden. Jetzt unter Winkeln von 20 bis 30 Grad
geböscht, waren sie einst zweifellos steiler und trugen auf dem Wallkranz Verstärkungen
aus Palissaden. Vor den Wällen lagen oft Gräben, vor den Eingängen schützende Vorwälle,
und hie und da ragen auch noch die hügelartigen Substructionen hölzerner Thürme empor.
Wo Felsabstürze den Rand der Höhe bildeten, ersparte man sich den Wallschutz.
Diese Wallbauten sind recht charakteristisch für Bosnien und die Hercegovina. Sie
kennzeichnen die prähistorische Cultur dieses Gebietes, schärfer denn alle anderen Funde, als
die eines Berghirtenlandes. In anderen, flacheren Gegenden hat man bekanntlich zur selben
Zeit Hüttendächer auf ebenem Boden gebaut oder eine Zeitlang und in geeigneten Land -
strichen auch wohl Pfahlroste als Unterlagen solcher Dörfer aufgestellt. Daß man unter
gewissen Bedingungen auch in Bosnien der letzeren Wohnsitte huldigte, lehrt der Pfahlbau
von Ripac bei Bihac im nordwestlichen Winkel des Landes. Aber dieser ist eine rein locale
und relativ späte und kurzlebige Erscheinung, er stammt aus der Bronze- und ersten Eisen -
zeit, über die er nicht hinausreicht. Die umwallten Anhöhen sind dagegen auch in sehr vor -
geschrittener Zeit noch mit Vorliebe bewohnt worden. Viele von ihnen tragen Spuren aus
römischer Zeit oder erhielten in dieser, wie der Debelo brdo, sogar eine neue Ummauerung.
Die ersten Metalle, welche an Stelle des Steines verwendet wurden, waren auch
hier das Kupfer und die Bronze. Eine reine Kupferzeit können wir für unser Gebiet aus
den vereinzelten, wenn auch nicht seltenen Funden kupferner Hämmer, Doppelbeile und
Äxte nicht ableiten. Doch zeigen diese Gegenstände die aus Serbien, Kroatien, Ungarn
und Dalmatien bekannten typischen Formen der ältesteü Metallzeit. Wir sind also
berechtigt, dem reinen Kupfer eine gewisse Priorität vor der als Bronze bekannten Zinn -
kupfermischung zuzugestehen.
Die Bronzezeit hat im ganzen südlichen Europa, ja, wie es scheint, bis zur oberen
Donau hinauf, beträchtlich kürzer gewährt, als im mittleren und nördlichen Theile des
Continentes. So ist sie denn auch in Bosnien weit schwächer vertreten, als die vorhergehende
jüngere Steinzeit und die darauf folgende erste Eisenzeit. Die Ursache davon ist leicht
einzusehen. Man verharrte, wie uns Butmir zeigt, lange Zeit in der tief eingewurzelten
Cultur der jüngeren Steinzeit, und als dann der steigende Verkehr mit dem nahen Süden
Kenntniß und Gebrauch der Metalle verbreitete, ging man verhältnißmäßig rasch,
ungefähr am Beginne des letzten Jahrtausends vor Christi Geburt zum Eisen über,
während im mittleren und nördlichen Europa die Bropzecultur Raum und Zeit fand, sich
tiefer einzuleben und später dem Vordringen des Eisens erfolgreichen Widerstand zu leisten.
Auch das nahe Ungarn bildet in dieser Beziehung Bosnien gegenüber einen Theil des
nördlichen Europa, und seine vorgeschrittene Bronzezeit ist, wie übereinstimmende Formen
lehren, gleichzeitig mit dem ersten Eisenalter Bosniens. Doch ist Bosnien-Hercegovina
darum keineswegs ganz arm an Funden aus der reinen Bronzezeit. Die ältesten Hügel -
gräber auf dem Glasinac reichen in diese Periode, also Wohl noch in das zweite Jahrtausend
vor Christo, zurück. Dann stammen aus dieser Zeit verschiedene Depotfunde, d. h. Nester
in der Erde geborgenen Metalles, und Ansiedlungsreste. Die ansehnlichsten Depotfunde
wurden in Podzwizd bei Cazin und am Debelo brdo bei Sarajevo ausgehoben. Sie
bestehen aus Sicheln, Hohlbeilen, Palstüben und dergleichen gegossenen Werkzeugen, deren
Vorkommen sich hier eng an das entsprechende in den nordwestlichen Nachbarländern
anschließt. Die wandernden Händler und Gießer, welche damals Europa durchzogen,
kamen also auch hieher und hinterließen dieselben Spuren einer äußeren Culturgleichheit.
Eine Glanzperiode mit vielen neuen, für das Land charakteristischen Formen ist
dagegen wieder die erste Eisenzeit. Wie in der jüngeren Steinzeit Butmir, so ragt jetzt,
nur aus einer weit größeren Zahl bekannter Fundstellen, mit einem ausgedehnteren Fund -
terrain und noch viel zahlreicheren Fundstücken der Glasinac dominirend hervor. Unser
Wissen um diese Periode stammt aus tausend und abertausend Grabhügeln aus Stein und
Erde, in welchen anfänglich nur unverbrannte, später verbrannte und noch später, in
römischer Zeit, wieder unverbrannte Leichen beigesetzt wurden. Mit ihrem Beginn reicht
diese Sitte in die Bronzezeit zurück und mit ihrem Ausgang in die römische Kaiserzeit
hinein. Die ungeheure Zahl der auf dem Glasinac erhaltenen Tumult erklärt sich nicht aus
der einstigen hohen Bevölkerungsziffer, sondern aus der langen Dauer jener Begräbniß-
sitte und aus den Bodenverhältnissen. Der Glasinac hat nämlich, neben wenigem sterilem
Ackerboden, fast nur Wald und Weideland. Das melancholische Phänomen der Boden -
bedeckung mit zahllosen Grabhügeln ist anderwärts längst vor dem Pfluge verblaßt und
verschwunden — hier hat es sich in seiner vollen Reinheit, wie nur noch in manchen Theilen
Rußlands und Sibiriens, bis auf die Gegenwart erhalten.
Die allermeisten Glasinac-Gräber stammen aus dem Zeiträume, welcher in Österreich
und anderwärts „Hallstattperiode" genannt wird. Das ist eine durch die Aufnahme des
Eisens, neuer Proceduren der Bronzetechnik und namentlich neuer, aus dem Süden stam -
mender ornamentalen Formen bereicherte Bronzezeit, eine „Bronze-Eisenzeit", wenn man
so sagen darf. Das Eisen findet ausgedehnte und steigende Verwendung zu Waffen und
Werkzeugen, zu Schwertern, Dolchen, Messern, Beilen, Lanzenspitzen. Aber fast aller
Körperschmuck, alle Schutzwaffen, Metallgefäße und Prunkgeräthe bestehen aus Bronze,
die man jetzt nicht nur zu gießen und zu ciseliren, sondern auch kunstvoll zu treiben und
nieten versteht. Gold und Silber sind noch verhältnißmäßig spärlich vorhanden.
Die Bronzen vom Glasinac sind von sehr verschiedener Güte. Leicht unterscheidet
man zwei Gruppen, besser gesagt zwei Extreme in der Ausführung, nach welchen die Fund-
masscn gravitiren. Das eine Extrem ist vertreten durch offenbar importirte Arbeiten von
159
ausgezeichneter technischer und stilistischer Beschaffenheit. Hieher gehören an größeren
stücken: Helme, modellirte Beinschienen, gebuckelte Schalen; an kleineren: viele Zierscheiben,
Fibeln, Nadeln, Hals- und Armringe. Da ist Guß und Schmiedearbeit, getriebenes und
gravirtes Ornament von vollendeter Qualität.
Von geradezu entgegengesetzter Art sind viele kleinere Stücke, namentlich gewisse
Fibeln, Nadeln und Zierscheiben. Sie sind roh im Guß, oft nur mit Benützung einer ein -
seitigen Form hergestellt, flüchtig abgeputzt und gar nicht oder nur mit einigen plumpen
Feilstrichen decorirt. Dergleichen kommt auch anderwärts vor, ist jedoch gegenüber der
meist soliden gewöhnlichen Bronzetechnik prähistorischer Gegenstände stets auffallend. Hier
deutet es auf eine wohl am Rande der Ostalpen anzusetzende Fabrik. Diese kann in Bosnien
oder einem der Nachbarländer gestanden haben; man findet ihre Erzeugnisse noch an
der Grenze des mittleren und des oberen Donaugebietes, z. B. bei Güns iu Ungarn.
Die schönen Bronzen der ersten Classe kamen gewiß von der adriatischen Küste
herein ins Land, denn sie zeigen griechische und hellenisirende Kunstformen. Wenn nun
die Bronzen der zweiten Classe aus dem nördlichen Binnenlande stammen, so kreuzten sich
auf dem Glasinac industrielle Products aus sehr weit von einander entlegenen Gebieten,
ohne daß deshalb hier eine Dnrchzugsgegend für diese verschiedenen Handelsartikel ange -
nommen zu werden braucht. Aber allerdings scheint in dem Besitz dieser beiden Classen hall-
stättischer Bronzen die Mittelstellung Bosniens zwischen dem südlichen und dem mittleren
Europa einen eigenthümlichen Ausdruck zu finden.
Das von mächtigen Felswällen umgürtete, im Mittel 900 Meter hohe Plateau von
Glasinac und die östlich und südlich daran stoßenden Landstriche waren zweifellos einst
das Gebiet eines illyrischen Stammes, wahrscheinlich der Däsitiaten, welche Jahrhunderte
lang in diesem Landestheile hausten und schweiften, ihren eingeborenen Fürsten gehorchten,
mit den Nachbarn manche Fehde ausfochten, aber dabei sich im Großen und Ganzen eines
ruhigen, ungestörten Besitzes ihrer Weidegründe, ihrer Heerden und sonstigen fahrenden
Habe erfreuten. Ihr Besitz an Culturmitteln war, nach dem was die Gräber direct be -
zeugen und worauf sich daraus weiter schließen läßt, kein geringer; er darf aber auch
nicht allzu hoch angeschlagen werden. Gemünztes Geld hatte man nicht, aber reichliche
Zahlungsmittel in Gestalt von Vieh. Die Reicheren besaßen schöne Waffen und Rüstungen,
glitzernden, weitläufigen Leibesschmuck, dann vermuthlich schöne Zierarbeiten in Gewebe,
Filz, Leder, Holz. Die Armen hatten davon wenig oder nichts; auch das bezeugen viele
Gräber. Nicht wenig von dem, was wir heute ausgraben, ist ganz sicher bloß eingehandelt,
entsprechend dem lässigen Wesen aller Hirtenvölker, denn die Viehzucht, von der die alten
Illyrier ausschließlich lebten, ist eine schlechte Erzieherin znm Fleiß. Sie erzeugt eher
Trägheit; denn die Heerden vermehren sich von selbst, und an ihnen allein hängt das
Herz des Hirten, der den Feldbau verachtet und seinen Betrieb, wenn er ihn schon kennt,
den ebenfalls geringgeschätzten Frauen überläßt.
DieUnstätheit des Hirtenlebens gestattet keinen festeren Anschluß an den Boden, keinen
Aufschwung jener Künste, die nur bei strengem Beharren auf der Scholle höhere Pflege
finden können, namentlich der Baukunst, aber auch der Töpferei. Es ist gewiß merkwürdig,
wie wenige und wie unbedeutende Thongefüße auf dem Glasinac gefunden worden sind.
Im Vergleiche zu Butmir oder zu der hallstättischen Keramik Österreichs und Süddeutsch -
land» ist es nur schlechte und geringe Waare, die da oben auf der grasigen Hochebene geformt
und gebrannt wurde. Allerdings findet sich hin und wieder ein kleines griechisches Thon -
gefäß, aber es ist importirt und läßt nur noch deutlicher erkennen, wie weit man in diesem
Zweige zurückgeblieben war. Ferner stehen auf dem Glasinac zahlreiche Steinbauwcrke;
aber es sind nur rohe, mehr oder minder kreisförmige Aufschüttungen von Steinen, womit
Hügelflüchen abgegrenzt sind. Diese Ringwälle waren Fluchtbnrgen, Gerichtsstätten oder
Vnsammlungsplätze der einzelnen Großsamilien, aus welchen sich derStamm zusammensetzte.
Ihre sehr verschiedene Größe deutet auf ungleiche Stärke jener Gruppen, unter denen es arme,
schwache und starke, ansehnliche gegeben haben wird. In unruhigen Zeiten trieb man wohl
zunächst das Vieh auf jene umwallten Anhöhen. Der Boden war zweifellos Gemeindebesitz
aller Angehörigen einer socialen Gruppe; aber die Heerden bildeten den Jndividualbesitz und
das werthvollste Object des Wohlstandes. Eine Quelle ungleicher Verkeilung des letzteren,
wie sie aus der verschiedenen Ausstattung der Gräber sich erkennen läßt, bildeten gewiß auch
die häufigen Stammesfehden, in welchen der kriegstüchtige Mann Vieh und Sklaven
erbeutete, während der Untüchtige solche verlor. Die alten Illyrier waren ein wehrhaftes,
beutelustiges Volk, aber keineswegs ein Räubervolk schlechthin. Zu Eroberungen nach Außen
haben sie es nicht gebracht, denn sie lebten in Politischer Zersplitterung unter zahlreichen
Häuptlingen, wie es in der centrifugalen Neigung des Hirtenlebens begründet ist.
Anders die Kelten, welche nach der Mitte des letzten Jahrtausends vor Christo von
Norden her in Bosnien eingedrungen sind. Die Kelten haben, begünstigt durch die politische
Ohnmacht der Illyrier, eine neue Ordnung begründet. Sie waren Ackerbauer und strebten
nach dem Besitze fruchtbarer Ländereien, welche sie von den unterworfenen Eingeborenen
bebauen lassen konnten. Daher ließen sie die Illyrier im ungestörten Besitze der für den
Feldbau minder geeigneten Hochebenen und Gebirgsgegenden und drückten namentlich dem
Osten des Landes kein neues Gepräge auf. Dagegen entrissen sie einen Theil des Westens
seinen alten Bewohnern, drängten diese nach Süden und ließen sie dort im Kampfe mit
anderen illyrischen Stämmen sich aufreiben. Ihre Ankunft inaugurirt die Ära des Feld -
baues in Bosnien. Doch ist dieses Gebiet, seiner natürlichen Beschaffenheit gemäß, bis auf
den heutigen Tag vorwiegend ein Hirtenland geblieben.
161
Bei kriegerischen Ackerbauern, wie es die Kelten waren, treibt in der Regel nicht das
ganze Volk die Bvdenwirthschaft. Ein Theil derselben besteht aus Kriegshäuptlingen und
einem müssigen Waffenadel, welcher hörige Arbeiter, meist den Rest einer unterworfenen
Bevölkerung, für sich arbeiten läßt. Der Boden gehört den Adelsgeschlechtern. So haben
wahrscheinlich auch hier keltische Eroberer die zurückgebliebenen und verknechteten illhrischen
Urbewohner zum Feldbau erzogen und schon damals jenes System geschaffen, welches dann
durch so viele Jahrhunderte bis auf den heutigen Tag bestand.
Gräberfunde aus Jezeriue: Thongefäße, Bronze und Eisen.
Die hervorragendsten Fundstellen aus der Zeit der Keltenherrschaft im nördlichen
Bosnien sind zwei Flachgräberfelder, das eine bei Sanskimost, das andere bei Jezerine.
Beide lagen im Gau der Japoden, eines „keltisch-illyrischen" Mischvolkes, wie es Strabv
nennt, dessen Kern zweifellos illyrisch war. Die Nekropole von Sanskimost ist die altere
und kleinere, sie stand während eines kürzeren Zeitraumes in Gebrauch. Sie enthielt in
nicht ganz 200 Gräbern zahlreiche Eisenwaffen und namentlich viele Thongefäße; Keramik
und Eisenindustrie wurden an Ort und Stelle'intensiv betrieben. Die Gegend ist reich an
Eisenerzen, welche auch in allen Folgezeiten Primitiv abgebaut und verhüttet wurden.
Bosnien und Hercegovina. 11
Diese metallurgische Thätigkeit geht aus die Keltenzeit zurück; denn in der nahe dem Gräber -
feld gelegenen Ansiedlungsschichte fanden sich zahlreiche Spuren vorrömischer Eisen -
gewinnung und Schmiedekunst in Gestalt von Schmelzöfen. Rohmaterial. Werkzeugen u. s.w.
Die Nekropole von Jezerine war bedeutend umfangreicher, als die von Sanskimost
— sie enthielt nahe an 600 Gräber und stand durch längere Zeit in Gebrauch; denn die
Funde reichen aus dem Ende der ersten Eisenzeit (etwa um 400 v. Ehr.) bis in das erste
Jahrhundert nach Christi Geburt hinein. Sie bestehen in Massen von Thongefäßen und
Bronzen, in Eisenwaffen. Bernstein- und Schmelzperlen, sowie Silbersachen. Das Aller -
meiste ist von ganz anderem Charakter als die Alterthümer vom Glasinac. Sehr merkwürdig
ist eine hier gefundene Steinplatte mit der Zeichnung eines gerüsteten Kriegers, ganz in
dem alterthümlichen Stil gewisser venetischer Bronzerelief-Arbeiten. Das Bruchstuck einer
zweiten solchen Platte wurde in der Nähe des Gräberfeldes gefunden. Solche Stein-
seulpturen sind im Kreise der vorgeschichtlichen Denkmäler von der allergrößten Seltenheit.
Sanskimost und Jezerine, sowie das dem letzteren nahe verwandte Gräberfeld von
Prozor bei Otocac in Kroatien vertreten eine merkwürdige locale Culturstufe. welche sich
ans das nordwestliche Jllyrien beschränkt zu haben scheint. Sie wurzelt in der Hallstatt-
cultur und ist stark beeinflußt von der Dono-Cultur. aber weder mit der einen noch mit
der anderen identisch. Sie ist eine eigenthümliche Fortbildung der elfteren und eben dadurch
verschieden von der typischen I-a Nane-Cnlt'ur. welche die hallstättischen Formen in Mittel-
Europa sprunghaft ablöst. Hier hat das specifisch keltische Wesen jene Wirkung nicht aus -
geübt. Diese nordillyrische Gruppe, von welcher sowohl der Osten Bosniens, als auch die
Länder nördlich der Save durch ganz abweichende Merkmale geschieden sind. fft eme be -
lehrende Erscheinung. Sie zeigt uns. wie dem gemeineuropäischen Culturfortschritt jener
Zeit an den Grenzen unseres Gebietes theilweise Einhalt geboten ward. Hier rang keltische
Cultur mit illyrischer, und das Ergebniß war ein Mischproduct in ethischer, wie in
cultureller Beziehung, in welcher jedoch die illyrische Eigenart die Oberhand behielt.
Dis Zeit der Griechen und Römer.
In den classischen Culturkreis sind die illyrischen und illyrisch-keltischen Stamme
Bosniens und der Hercegovina spät und nur schrittweise eingetreten. Schuld daran sind
die geographischen Verhältnisse der von ihnen besiedelten Gebiete und die Schwierigkeiten,
die sich dem Verkehr der Nordwestecke der Balkanhalbinsel mit den Centren der antiken
Civilisation entgegenstellten. Im Osten und Süden wird die an sich schon genug große
Entfernung von Hellas durch den Gebirgscharakter der dazwischen liegenden Länder noch
vergrößert und im Westen schreckte die Adrm. die diesen Übelstand wettmachen konnte, die
fremden Ansiedler durch ihre Fährlichkeiten lange Zeit ab. so lange nämlich, als ihnen
163
besser gelegene und sicherer erreichbare Küstenregionen zu Gebote standen. Erwerbslustige
phönicische und griechische Kauffahrer legten — letztere sicher schon im VI. und V.
vorchristlichen Jahrhunderte — an dalmatinischen Küstenpunkten und Inseln an, zu -
meist war aber ihr Curs ein nördlicher, da dorthin ein ergiebigerer Handel lockte. Sie
strebten dem innersten Adriawinkel zu, wo eine der Bernsteinstraßen die See erreichte, und
wo sich insbesondere in
dem reichen Veneterlande
ein gutes Absatzgebiet für
die Erzeugnisse der eigenen
Fabriken eröffnete.
Besser wurde es erst
in der ersten Hälfte des
IV. Jahrhunderts, als
griechische Colonisten, die
zum Th eil dem fernen
Parvs und Knidos ent -
stammten, unter der
Patronanz des an der
Adria selbst politisch und
mercantil interessirten Ty -
rannen von Syrakus,
Dionysius des älteren, auf
Lesina, Curzola und Lissa
dauernde Anwesen grün -
deten, und dadurch ein
nachhaltigerer Verkehr mit
dem Süden iuaugurirt Römische Funde: Apollo, Gorgonenhaupt rc.
wurde. Die Vortheile
dieser neuen wirtschaftlichen Cvnstellation kamen naturgemäß in erster Linie den
Stämmen längs der Küste zugute, wohin die neuen Ankömmlinge bald auch politisch
hinübergriffen. Insbesondere war es das schnell erstarkte Lissa, das an seiner und den
umliegenden Inseln nicht Genüge fand, sondern sich auch an dem schönen Gelände, das
den Busen von Spalato umsäumt, festsetzte. Der griechische Einfluß wurde hier so mächtig,
daß er auch die religiösen Vorstellungen der epichorischen Völkerschaften ausgestaltete.
In dieser vollen Stärke tiefer ins Land einzudringen, wehrten ihm die einer
Mauer gleich das gegenwärtige Dalmatien abschließenden dinarischen Alpen. Doch weisen
11*
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die keramischen und metallenen Fundstücke der prähistorischen Nekropolen darauf
hin, daß griechischer Unternehmungsgeist einerseits und die Sucht nach neuem Schmuck
und Geräth anderseits diese Schranken doch überwunden haben.
Bei den südlicheren Fundgebieten ist aber an einen anderen Weg zu denken, den
der Import gegangen ist. In die Hercegovina und nach Mittel- und Südbosnien gewährt
und gewährte zu jeder Zeit ein nach Westen offenes Thor fremder friedlicher und
kriegerischer Eroberung freien Einlaß: das Thal der Narenta, die allein unter den
dalmatinischen Zuflüssen der Adria tiefer ins Binnenland leitet. Durch diese Spalte
erhielten denn auch schon im IV. Jahrhundert die Küstenfahrer nähere Kunde über die
hydrographischen Verhältnisse am Mittelläufe der Narenta und von dem von der oberen
Strecke des Flusses weit nach Südosten zu wohnenden Volke der Autariaten, dessen stete
Kriegssucht es auch mit Alexander dem Großen in Kampf zu verwickeln drohte.
Die steten Gegner der Autariaten waren im Westen die am rechten Narentanfer um
Vrgorac, Ljubuski und Mostar ansässigen Ardiäer, die es allein unter den Völkerschaften
unseres Gebietes zu einer größeren politischen Einheit und Bedeutung brachten. Unter
ihrem Könige Agron und dessen Nachfolgerin Teuta waren sie auch zur L>ee dermaßen
kräftig, daß sie ihre Corsarenfahrten längs der dalmatinischen und epirotischen Küste bis nach
Griechenland ausdehnen, die dalmatinischen Griechenstüdte unablässig befehden, ja zum
Theil in ihre Botmäßigkeit bringen konnten. Viel griechisches Gut mag durch diese Flibuftier-
züge in die heimischen Berge und weiter im Austausch ins Binnenland gekommen sein.
Wie sehr ein dritter in der Nähe des narentanischen Einbruchsthores seßhafter Stamm, die
in der südlichen Hercegovina von Neum bis Stolac wohnenden Daorser, mit dem Griechcn-
thum in Berührung gekommen war, sehen wir daraus, daß er um die Mitte des II. Jahr -
hunderts v. Ehr. Münzen schlug mit griechischer Aufschrift und dem Bilde des Hermes.
Die Bedeutung des Binnenlandverkehrs an der Narenta beweist am deutlichsten
der Umstand, daß unfern der Flußmündung beim heutigen Metkovic bereits im IV. Jahr -
hundert v. Ehr. das Emporium Narona erblühen konnte, das nach dem Zeugnisse des
Pseudoskhlax auch von Seeschiffen angelaufen wurde. Von diesen muß ein beträchtlicher
Theil den Verkehr mit den epirotischen Küstenstädten Apollonia und Dhrrhachium untere
halten haben, denn die Drachmen dieser korinthisch-korkyräischen Colonien finden wir über
ganz Bosnien und die Hercegovina verbreitet. Stellenweise reihen sich ihre Fundstätten
so aneinander an, daß man den Versuch wagen kann, darnach auch die anderen in der
vorrömischen Zeit begangenen Handelswege zu ermitteln. Ein solcher führte von der Narenta
aus durch das Ramathal in die reiche Vrbasebene Skoplje. Nicht wenige Münzfnnde
bezeugen, daß selbst ganz abgeschiedene und hochgelegene Orte, wie das an der Waldgrenze
derBjelasnica gelegeneUmoljani, von demVerkehre damals nicht unberührt gebliebenwaren.
165
Griechische Steinmonumente aus vorrömischer Zeit sind bis jetzt in unseren
Provinzen nirgends zum Vorschein gekommen, so daß nichts darauf schließen läßt, daß
sich Griechen irgendwo stabil bei uns angesiedelt haben. In römischer Zeit bestand eine
griechische Niederlassung in Gradina bei Srebrenica; sie war der westlichste Vorposten der
niedermösisch-thrakischen Griechen. Doch dies führt uns bereits in eine Zeit, in der durch
die Vereinigung aller Mittelmeerländer in einer Hand ein mannigfacher Bevölkerungs -
austausch und eine verschiedenartige Durchdringung und Mischung der Nationalitäten
und Racen leicht stattfinden konnte; ein Proceß, der unseren bereits früher durch die
Mithrasrelief aus Konjica (römisch).
Kelten zum Theil überschichteten Illyriern auch noch spanisches, gallisches, germanisches
und asiatisches Blut zuführen sollte.
Durch die römische Eroberung traten Bosnien-Herccgovina in den Weltverkehr. Die
Verbindungen reichten einerseits nach Siebenbürgen, anderseits bis nach Algier; mit Italien
unterhielt man einen sehr lebhaften Waarenaustausch; Orientalen verschiedener Herkunft
wanderten frühzeitig ein, um aus den gesicherten Zuständen mannigfachen Vortheilzu ziehen.
In der Verwaltung wurden Bosnien etwa von dem Breitegrade Banjalukas an
und die Hereegovina ebenso wie das westliche Serbien, das Sandschak Novi-Pazar und
Montenegro mit dem heutigen Dalmatien zu einer Provinz vereinigt, die erst Ober-
Jllyricum, dann Dalmatia hieß. Die Römer erkannten also die politische und wirthschaftlichc
166
Zusammengehörigkeit dieser Länder. Der flache Streifen längs der Save gehörte zu den
beiden Pannonien.
Der Sitz der obersten Provinzialbchörden (des Statthalters, der Finanzdirection,
der Verwaltung der Goldbergwerke) war Salona; hier befand sich auch der Provinzial -
landtag, den auch bosnische Städte, wie Zenica (damals Biftua), beschickten. Die oberste
Rechtsprechung war nicht so centralisirt; es bestanden drei Gerichtsbezirke, die Convente
von Scardona, Salona und Narona. Der Bihacer Kreis z. B. holte sich Recht in der
erstgenannten Küstenstadt.
Wie alle zu dem großen illyrischen, längs der Donau vom Inn bis zum Schwarzen
Meere reichenden Zollsprengel gehörigen Provinzen war auch Dalmatien von Zollschranken
umgeben. Die beispielsweise in die Krajina zur See eingeführten Waaren hatten die Zoll -
stätte bei Zengg zu passiren, und die an der serbischen Grenze gelegenen Bezirke hatten die
Zolllinie von Guberevce vor sich.
Das Land selbst zerfiel in eine große Anzahl von Gau- und Stadtbezirken, deren
Magistrate innerhalb des oft sehr ausgedehnten zugehörigen Territoriums eigein
Verwaltung und auch Jurisdiction übten. In der ersten Zeit überwogen, den für Stadt-
constitnirungen noch ungeeigneten Verhältnissen entsprechend, bei weitem die Gan-
gemeinden. An der Spitze einzelner solcher Civitates stand, wie wir kürzlich durch
Jnschriftenfunde im Japodengau erfahren haben, in der Regel ein dem betreffenden
Stamme selbst entnommener, von der Regierung ernannter Gauhauptmann (pineposilns),
dem ein Rath, ans eingebornen Adeligen (prineipos) bestehend, zur Leite stand. Anden
Stämme wie die Daesitiaten und Maezaeer unterstanden Officieren der Reichsarmee.
Allmälig wurde es auch bei uns römischer: Die Gaugemeinden wurden in Stadt -
gemeinden nmgewandelt, die fast ausnahmslos aus Einheimischen bestanden, denen man
die Latinität oder das römische Bürgerrecht verlieh.
Die hauptsächlichsten bis jetzt bekannten Munizipien und Titularcolonien sind
Bistua-Zenica, Delminium-Znpanjac, Domavia-Gradina bei Srebenica, Pelva-Sarici bei
Jajce u. s. w. Von zahlreichen anderen kennen wir nur die ausgedehnten Ruinenstütten, ihre
Namen sind uns noch verborgen. Alle waren mit den damals üblichen communalen Anlagen,
Bädern, Basiliken, Curien, Tempeln, Ehrendenkmalen u. s. w. ansgestattet. Dw Urbs Roma
hatte z. B. in Zenica ein Heiligthum. Einzelne Städte wie Jlidze und Stolac wetteifern
in der Pracht der Ausstattung der privaten und öffentlichen Gebäude mit großen, farben -
prächtigen Mosaiken mit den größeren Orten der fortgeschrittensten Provinzen des Reiches.
Neben den Städten gab es eine fast unübersehbare Menge von kleineren Ortschaften,
von Flecken, Dörfern, Weilern und Villen. Nichts würde den Thatsachen mehr wider -
sprechen, als wollte man an der Meinung noch festhalten, Bosnien und die Hercegovina
167
seien in der römischen Kaiserzeit in ähnlichen primitiven Verhältnissen verblieben, wie
später vor dem Jahre 1878. Die Länder blühten selbst im III. Jahrhunderte n. Chr.,
als schon das Reich in politischen und wirtschaftlichen Verfall gerieth.
Gefördert wurde dieser Wohlstand durch die reichen Naturschätze Bosniens, ins -
besondere durch die ausgedehnten Eisen-, Blei-, Silber- und Goldlager. Von den letzt -
genannten haben wir bis jetzt nur literarische Kunde, die elfteren gelang es wieder auf -
zufinden. Die wichtigsten Bergwerksorte waren Brisevv bei Stari Majdan und vor allem
Inschrift Ban Kulins aus dem Beginn des XIII. Jahrhunderts.
Dvmavia bei Srebreniea, wo die Verwaltung sämmtlicher dalmatinischer und pannonischer
Silberbergbaue ihren Sitz hatte. Der Bergbau, seit altersher betrieben, nahm schon im
ersten nachchristlichen Jahrhunderte einen solchen Aufschwung, daß, als der Staat unter
Kaiser Trajan die Exploitirung des dacischen Golddistrictes in die Hand nahm, sehr viele des
Bergbaues kundige Ansiedler ans allen Gegenden der Provinz nach Siebenbürgen verpflanzt
wurden, und dalmatinische Bergwerksbeamte den ganzen dortigen Minenbetrieb einrichteten.
Zu der Romanisirung und Durchsetzung der autochthonen Bevölkerung mit den
Darbietungen der antiken Cnltnr trug nicht wenig bei das tolerante Vorgehen der
168
römischen Verwaltung. Sie schonte die hergebrachten Gewohnheiten. Sitten, Anschauungen
und Empfindungen und überließ es der Macht ihrer höheren Cultur und der nivellirenden
Zeit, aus den Illyriern und Kelten Römer zu machen. Und man kann behaupten, daß
jene sich am Ausgange der Kaiserzeit als solche ebenso fühlten wie etwa die Britannen.
Wie dieser Umwandlungsproceß vor sich ging, sei hier nur an dem Capitel
„Religionsgeschichte" kurz dargethan.
Als die Römer einmarschirten. fanden sie eine große Anzahl localer Gottheiten im
Lande vor. Sie ließen ihren Cult uneingeschränkt fortbestehen; duldeten ihn nicht blos bei
Bauern und Bürgern, sondern hatten auch nichts dagegen, daß diejenigen ihm weiter
anhingen, die als Soldaten und Beamte in die herrschende Nation ausgenommen wurden.
Ja. sie gingen in ihrer polytheistischen Weitherzigkeit so weit, daß sie selbst nicht selten
den Landesgottheiten durch Stiftungen ihre Verehrung bezeigten. Nach und nach lernten
die Einheimischen den griechisch-römischen Olymp kennen; sie fanden in ihm ihren Göttern
wesensühnliche Gestalten, fingen an, sie zu identisiciren und die alten auch mit den
neuen Namen zu benennen. So entstand unter anderem bei Bihac die Gleichung Bindns
Neptunns. In den Fällen, wo keine Verwandtschaft herausgefunden werden konnte,
latinisirte man wenigstens die Namen. Ein solcher den neuen Verhältnissen angepaßter
Gott ist der in Zupanjac verehrte Armatns. Eine schwer entwirrbare Mischung und
Kreuzung der verschiedenen Glaubenssätze. Mythen und Verehrungsformen mußte die Folge
sein. Mit den Menschen assimilirte und romanisirte sich auch der Himmel. Er wurde allgemach
ohne jedwedes offieielles Eingreifen so römisch, daß die ererbten Götternamen zum großen
Theil verschwanden und nur die importirten sich erhielten. Wir wissen, daß so mancher
römisch benannten Gottheit, wie Silvanus. Diana. Liber. Libera, eine epichorische entspricht;
wie diese aber geheißen hat. fragen wir ihre sehr zahlreichen Monumente vergebens.
Wenig Anklang fanden dagegen im alten Bosnien die orientalischen Gottheiten:
Mithras, Jupiter Dolichenus. Isis, Serapis u. s. w.; die Monumente, die ihnen im
Lande gewidmet wurden, rühren von Eingewanderten her. Das wichtigste derselben ist
das Mithräum von Konjica. das mit seiner Darstellung der Communion der Mithras-
gläubigen und der Art der Theilnahme der einzelnen Mystengrade an derselben bis jetzt
kein Analogon im ganzen Imperium Homnimm hat. Von handwerksmäßiger Arbeit, wie
überhaupt die meisten unserer Denkmale, gewährt es tiefere Einblicke in diesen Geheim -
dienst. als viele der künstlerisch am höchsten stehende Monumente dieser Classe.
Denkmäler des Dkittelalters.
Die Völkermassen, welche seit dem IV. Jahrhundert Europa überfluteten und sich
auch über Bosnien verbreiteten, erkennt die Nachwelt hier nur an dem furchtbaren
"ltu,.
170
Zerstörungswerke, das sie vollbrachten. Während im benachbarten Pannonien Gothen,
Avaren und Hunnen wenn auch noch so spärliche Reste einer eigenen Cultur hintei ließen,
wurden bisher in Bosnien keinerlei Denkmäler aus jener Zeit nachgewiesen. Das römische
Dalmatien, wenigstens soweit es sich auf das Binnenland erstreckte, unterlag bereits dem
ersten Anpralle der Gothen, welche alle blühenden römischen Städte und Ansiedlnngen
zerstörten. Stolac, Gradac bei Posusje, Domavia und viele andere wurden dem Erdboden
gleichgemacht, so daß dem Zerstörungstrieb der nachfolgenden Barbaren kaum etwas zu
thun übrig blieb. Die von ihren Bewohnern verlassenen Stätten blieben für ewige Zeiten
verödet. Erst durch die Einwanderung der Slaven kam insoferne ein culturelles Element in
das Land, als diese vom verödeten Boden Besitz nahmen und sich als Ackerbauer und
Viehzüchter ansiedelten. Seit diesem Zeitpunkte fließen der archäologischen Forschung wohl
unzureichende, aber dennoch das Dunkel des Mittelalters theilweise erhellende Quellen zu.
Obwohl in den Küstenstrichen das romanische oder besser das romanisirte Element
weiterlebte, war der römischen Cultur in Bosnien wie mit einem Schlage der Boden
entzogen. Die Ursache dieser Erscheinung wird hauptsächlich in den verschiedenartigen
Besiedlnngsformen zu suchen sein. Während die latinische Colonisation eine centralisirende
war und zu einer ausgedehnten Städtcverfassung führte, zerstreuten sich die stavischen
Ansiedler über das ganze Gebiet in isolirte Gehöfte und verschmähten jenes Band der
Nachbarlichkeit und Geselligkeit, welches zu einer volklichen und culturellen Interessen -
gemeinschaft führt. Derartige Verhältnisse ließen ein gedeihliches Aufkommen künstlerischer
und industrieller Bestrebungen gar nicht zu und erklären auch den nahezu gänzlichen
Mangel von Denkmälern, namentlich aber von Bauwerken des frühen Mittelalters.
Eine rühmliche Ausnahme bildet hier nur die kirchliche Architektur. Das Christcnthum
beschränkte sich ursprünglich ans die einstigen Mittelpunkte der römischen Colonisation und
schuf dort eine Anzahl von Bauwerken, die aus den Ruinen der alten Städte erneuert
wurden und als einziges Zeugniß künstlerischer Thätigkeit im bosnischen Mittelalter gelten
können. Alle frühchristlichen, in Bosnien bisher bekanntgewordenen Kirchenrninen befinden
sich auf römischen Ruinenfeldern, so die Kapellen in Vidostak bei Stolac, in Borasi
am Trebizat und die Basiliken in Gornje Turbe bei Travnik, in Zenica und in
Dabravina bei Visoko.
Ihrer Anlage nach repräsentiren diese Basiliken eine eigenthümliche locale Um -
gestaltung der italischen Basilikenform, indem sich an diese außer der Vorhalle noch eine
Anzahl von Nebenräumlichkeiten anschließt, deren ursprüngliche Bestimmung zum Theile
noch nicht genügend erklärt ist. Die interessanteste unter den drei genannten ist die Basilika
von Zenica, welche die Gestalt einer Doppelbasilika mit parallelen Schiffen und gemeinsamem
Narthex hat und deren beide Apsidcn durch eine dritte Apsis verbunden waren.
172
Das Mauerwerk dieser Bauten ist wohl dürftig; aber um so reicher ist der architekto -
nische Schmuck jener Abtheilungswand zwischen der Kirche und dem Sanctuarium, welche
auch sonst in frühromanischen Kirchen des Abendlandes anzutreffen ist und die Urform des
für die morgenländische Kirche typisch gewordenen Eikonostasions repräsentirt.
In Zenica und Dabravina finden wir als Glieder dieser Zwischenwand abgedrehtc,
gewundene oder auch mit Weinranken verzierte, auf reich ornamentirten Pfeilern stehende
Säulenschäfte mit schönen reich gegliederten Capitälen. Romanisirende Palmetten,
Acanthusse, Tauben, Stier- und Widderkvpfe beleben diese Capitäle, bei welchen der
Übergang von der Rundform zur Plinthe in abwechselnder sinnvoller Weise bewirkt
wird. Sämmtliche Balken, Träger und Stützen sind gleichfalls reich mit geometrischen
oder stilisirten Pflanzenornamenten verziert, während die Füllungen abwechselnd mit
ornamentalen auch fignrale Darstellungen enthalten. Die Motive der letzteren sind
symbolisch-religiösen Inhalts, aber auch abenteuerliche Thiergestaltcn und selbst Turnier-
scenen kommen da vor. Dem Stile nach gehören diese Denkmäler als Ausläufer jener Kunst -
richtung an, welche als die romanisch-longobardische bezeichnet wird und im Gefolge der
Frankenherrschaft zuerst die dalmatinischen Küstenstädte (Zara, Sebenico, Trau), sodann die
Centren des kroatischen Reiches (Salona, Knin) ergriff, um sich von hier aus auch über
das bosnische Binnenland zu erstrecken. Zeitlich gehören sic der Periode vom IX. bis zum
XII. Jahrhundert an.
Andere, allerdings nur fragmentarische Funde, die auch andernorts in Bosnien
entdeckt wurden (Grahovo, Grkovci, Visuc) und derselben Kunstrichtung angehören,
beweisen, daß dieser Stil im Lande eine gewisse Verbreitung gefunden hat. Wir dürfen
aber noch auf zwei andere Denkmäler Hinweisen, welche diese Annahme stützen, da sie als
von einheimischen Künstlern unternommene Versuche, sich dieser Stilrichtnng anzupassen,
betrachtet werden können. Diese beiden Denkmäler sind der Jnschriftstein des Banns
Knlin von Visoko und das Grabmal von Zgosca dolnja.
Das elftere Denkmal ist eine Mergelplatte von mäßigen Dimensionen, welche
schachbrettartig in sechs Felder eingetheilt ist und in jedem Felde innerhalb einer erhabenen
Kreislinie je ein Kreuz enthält. Die Kreuze find in Form und Größe verschiedenartig.
Obwohl die Ausführung eine primitive ist, kann doch eine Beziehung zu der reicheren
Ornamentik von Zenica darin erblickt werden, daß man auch dort das Kreuz in verschieden -
artiger Ausgestaltung als Füllornament für größere Flächen antrifft. Über den Kreuzen
befindet sich eine vierzeilige Inschrift in alten bosnischen Charakteren, deren Sinn
folgender ist: „Diese Kirche baute Banns Knlin (und das) Bergland von
Kueevo, und es fiel darauf der Blitz (als er war) im Gelände von Sljepicic.
Und er stellte sein Bildniß über der Schwelle auf. Gott gebe Gesundheit
173
dem Banus Kulin und der Banin Vojslava." In den einzelnen Kreisen sind die
Namen verschiedener Persönlichkeiten eingeritzt, welche allem Anscheine nach an der Auf -
stellung des Denkmals theilnahmen und ihre Namen eigenhändig in den weichen Stein
einzeichneten. Wir lesen dort die Namen Krile der Zupan, Desivoj, welcher für den
Banns zeichnete, den „Christen" Radohna, ferner Obrad, Ogost und Dejan.
Das Denkmal von Zgosca dolnja ist ein sarkophagförmiger Monolith, dessen
Gewicht auf 14.000 Kilogramm geschätzt wird. Es ist auf allen vier Seiten reich mit
Ornamenten und bildlichen Darstellungen verziert. Die ornamentalen Motive bestehen
ans Ranken und Acanthusblättern, die, zu friesartigen Bändern angeordnet, als Einfassung
einzelner decorativer Felder dienen. Diese romanisirenden Motive finden wir in derselben
Grabstein des Fürsten Radivoj Vlatloviö bei Stolac.
Auffassung und kerbschnittartigen Ausführung in Zenica und Dabravina, und ist deren
Anwendung sicherlich derselben Kunstrichtung zuzuschreiben. Ein großer Theil der Felder,
in welche die Flächen des Denkmals eingetheilt sind, enthält ein Füllornament, das aus
gekerbten, von Kreislinien eingefaßten Rosetten in abwechselnder Ausführung besteht und
ein sehr verbreitetes, bis in die Gegenwart überliefertes nationales Ornament reprüsentirt.
Figural am reichsten geschmückt ist die nördliche Langseite, welche durch ein Acanthusband
in zwei Friese getheilt ist. Im oberen sind fünf gepanzerte, mit Lanzen bewehrte
Reitergestalten dargestellt, während im unteren eine Jagdscene im Walde geschildert wird.
Der Jäger, hoch zu Roß, ist im Begriffe, einen Eber zu erlegen; neben ihm ist ein Bogen -
schütze dargestellt. Unter den Thieren, die den Wald beleben, fällt vor allem der Löwe
auf, welcher Bosnien ebenso fremd ist, wie die vom Abendlande herübergebrachte Kunst -
richtung, der das Denkmal wenigstens theilweise sein Entstehen verdankt. Die anstoßende
Schmalseite enthält im oberen Friese eine weitläufig angelegte Felsenburg, im unteren
174
zwei Reiter, die folgende Langseite fünf Reitergestalten, in Einzelfüllnngen einen Fries
bildend. Obwohl die figurale Darstellung auf diesem Denkmale noch weit von einer höchsten
künstlerischen Vollendung entfernt ist, überragt sie doch in jeder Beziehung alle derartigen
Werke des bosnischen Mittelalters in so hohem Grade, daß ihr Vorhandensein nur durch
die Voraussetzung von außen kommender Einflüsse erklärt wird, die nicht ohne nachhaltige
Wirkung auf das Land blieben. Das Denkmal von Zgosca dolnja ist möglicherweise einer
der ältesten, gewiß aber der schönste Vertreter einer großen für Bosnien charakteristischen
Gruppe von Denkmälern.
In ganz Bosnien und in der Hercegovina trifft man, namentlich auf Hochplateaux,
zahlreiche, oft zu großartigen Nekropolen angeordnete Grabdenkmäler, welche das Volk
„Nrumorovi" (Marmore), „Ltoöei" (von ,,statt" — „stehen") oder „Nasoti" (von arab.
Uescirimäck) nennt. Diese auch theilweise in den südlichen Nebenländern vorkommendcn
Denkmäler werden in den Inschriften Lanai oder Uainsir (— Stein), UiÜF (— Zeichen)
oder auch Larnen bili^ (— Steinzeichen) genannt, während in jüngerer Zeit dafür von
Forschern, die das Land bereisten, die Bezeichnung „Bogumilengräber" aufgebracht
wurde. Letztere Bezeichnung hat insoferne Berechtigung, als sich die Verbreitung dieser
Denkmalform mit dem Verbreitungsgebiete des Bogumilenthums deckt.
Die Grundformen dieser nach Tausenden und Abertausenden zählenden Grab,
denkmäler sind: die Platte, die Tumba oder der längliche Steinwürfel, der Sarkophag
mit giebelförmiger Decke und die Säule (NiSau). Indem diese Grundformen bald von
parallelen, bald von nach oben divcrgirenden Seitenflächen begrenzt, auf bloße Erde oder
auf eine besondere Sockelplatte oder auf Stufen gestellt wurden, entstand eine große Reihe
von Varianten, die noch durch den Wechsel der Größenverhältnisse bedeutend erweitert wird.
In vielen Fällen sind die Denkmäler wohl kaum nothdürftig behauen, oft aber erhalten sie
ornamentalen Schmuck. Die Scala dieser Motive bewegt sich allerdings nur in engen
Grenzen, welche durch traditionelle Überlieferungen gezogen waren. Am häufigsten sind die
Urmotive menschlicher Kunstthätigkeit anzutreffen: Zickzacklinien, Spiralen und Schnur -
ornamente. Daran schließen sich pflanzliche Motive, Rosetten, und als Einfassung größerer
Flächen Ranken mit dem charakteristischen Kleeblatte besetzt.
Im Gegensätze zu den bosnischen charakterisirt die hercegovinischen Nekropolen eine
architektonische Ornamentik, indem hier Tumben oft mit einer in Basrelief ausgeführten
Säulenstellung verziert werden. Die Vorstellungen, welche dieser Ornamentform zu Grunde
liegen, haben ihren Ursprung sicherlich der Betrachtung der Ragusaner Palastbauten zu
verdanken. Ihre Anwendung aus Grabdenkmäler ist aber um so berechtigter, als ja das
Grab als die Wohnung des Verblichenen aufznfassen ist — ein Gedanke, der in Inschriften
ausdrücklich ausgesprochen wird.
175
Sehr häufig findet man auf Grabdenkmälern auch Kriegerembleme dargestellt,
eine länglich viereckige Tartsche und dahinter ein Laugschwert mit kreuzförmigem Griff.
Die Tartsche enthält einzelne ornamentale Zuthaten, welche als heraldische Tincturen
aufgefaßt werden könnten: Rosetten, Schrügbalken, Halbmonde, Sterne, Kreuze und Kreis -
linien. Diese Motive bewegen sich aber in einem derart engen Kreise, ihre Ausführung ist
eine so unausgesprochene, daß sie in den wenigsten Fällen als eigentliche Familienabzeichen
anfgefaßt werden dürfen; umso -
weniger, als Wappenbilder in
Bosnien erst in späterZeit aufkamen,
niemals aber von Königen verliehen
wurden. Es scheint sonach, daß wir
hier Trophäen vor uns haben, aus
welchen sich mit der Zeit feststehende
Wappenbilder hätten heransbilden
können. Hat sich ja auch im Abend -
lands die Heraldik aus ähnlichen
Anfängen entfaltet.
Die figuralen Darstellungen
auf mittelalterlichen bosnischen
Grabdenkmälern beanspruchen in
mancher Hinsicht das größte Inter -
esse. Wir finden darunter in naiver
Weise mit unzureichenden technischen
Hilfsmitteln, oft nur in Umrißlinien
dargestellte Gestalten von Kriegern
in vollem Waffenschmucke mitLanze,
Bogen, Schwert und Schild, üben- Mittelalterlicher Grabstein bei Rogatica.
teuerliche Thiergestalten und endlich
Scenen aus dem Leben: den nationalen Kvlotanz, Jagd und Turnier. Die Darstellungen
sind allerdings sehr primitiv, ja es hat dabei sogar eine gewisse Tendenz, alles in
conventionell-stilistischen Formen wiederzugeben, platzgegriffen, und doch berührt es den
Beschauer eigenthümlich, auf diesen dem Tode geweihten Denkmälern nur das Leben in
seinen frohesten Stunden bei Tanz, Spiel und männlicher Übung dargestellt zu sehen. Es
hat fast den Anschein, als ob das Gefühl der Trauer diesen Denkmälern gänzlich fernstünde.
Den gleichen Eindruck rufen auch die auf diesen Denkmälern nur zu selten ange -
brachten Inschriften hervor. Man trifft in den anderthalbhundert vorhandenen Inschriften
17«
keinerlei Andeutung, daß die Schöpfer der riesigen Monolithen den Tod als ein für das
Menschenleben betrübendes Ereigniß fürchteten, ja einzelnen kurzen Epigrammen liegt
sogar der Gedanke zu Grunde, daß der Tod als Erlösung, als die Pforte zu einem
besseren, lichtvolleren Leben aufzufassen sei.
Ihrem Inhalte nach sind die Bogumilengräber noch nicht systematisch erforscht
worden. Was darüber bekannt wurde, beschränkt sich ans flüchtige Angaben von Schatz -
gräbern, die vor der Occnpation rücksichtslos wühlten und suchten, und auf einige gelegent -
lich vorgenommene Ausgrabungen. Einzelne Schatzgräber fanden in solchen Gräbern
Brocatfragmente, mit Edelsteinen besetzte Ringe und Schmucksachen. Allein diese Funde
gingen theils durch die Habsucht, theils durch den Unverstand der Entdecker verloren.
Unter den Funden, die für das Landesmuseum in Sarajewo acquirirt werden konnten,
sind vor allem Zopfringe in der Form derjenigen aus der ersten Periode der slavischen
Besiedlung, welche in ununterbrochener Kontinuität dieselben Urformen weiter ausbilden.
Außerdem kommen Knöpfe in Filigran- und in getriebener Arbeit vor, endlich Fragmente
von Rüstungen, Pfeil- und Speerdorne und Schwerter. Letztere sind wohl die inter -
essantesten Funde dieser Periode und gleichen in der Gestalt jenen Schwertern, welche
aus den Sculpturen der Denkmäler so häufig dargestellt sind. Es sind lange, zweischneidige
Geradschwerter mit kreuzförmigem Griffe.
Ihrer Zahl nach sind diese Funde im Vergleiche zu denen anderer Perioden gering -
fügig. Beigaben sind in slavischen Gräbern überhaupt selten, und wo sie vorhanden sind,
dürfte ihr Vorkommen mehr dem Zufalle als einer Absicht zu verdanken sein.
So fremdartig uns alles an diesen Denkmälern erscheint, so fremdartig ist auch der
Charakter der Schriftzeichen, die darauf zur Anwendung kamen, und es bedurfte einiger
Zeit, bis es gelang, sie vollkommen zu entziffern. Die größte Schwierigkeit bestand darin,
daß die Schriftzeichen nicht nach einem feststehenden Canon entworfen und vom Stein -
metzen eingehauen wurden. Man Pflegte sie nur flüchtig aufzuzeichnen und überließ es dann
dem des Schreibens vielleicht unkundigen Steinmetzen, sie in dem spröden Stein zu vertiefen.
Dadurch entstand eine große Mannigfaltigkeit in der Gestaltung der einzelnen Schrift -
zeichen, die das Entziffern sehr erschwert.
Diese Schrift, für die man die Bezeichnung „Bosancica" in Anwendung gebracht hat,
ist ebenso wie die Cyrillica aus dem griechischen Alphabete entstanden, wobei man für
Laute, die dem Griechischen fremd waren, neue Zeichen erfand. Hat sonach die Bvsanciea
177
Gerichtsstuhl aus dem Bisee pulse.
und im Bkangel der Laute -k und k. Ein anderes Unterscheidungsmerkmal bildet die Art,
wie in bosnischen Inschriften zwei und mehrere Schriftzeichen, die selbst verschiedenen
Wörtern angehören, zusammengezogen wurden. Als eines der charakteristischesten Denk -
mäler dieser Art mag die Felseninschrift von Dreznica angeführt werden. Sie lautet:
^ >-i >-! qce
lüoei3o/ve >-i ?q^oc/xs-i)li!q i-i
c/x(<)l3c> LS n >-! ca s^ <1Lh> L(o) )><>-! >-! L (13 e) ^ qs' c> /V !-! v i-i ^ lvi >-i
w(ocwo!--vü-i)^q >ck></xq x^q^c>cos-q /xoi-ienq «-> w(ocwo)^(>-i)s-s-i
^oc^k^clco^q nxo Li-i 'ro wor's'^/x^ -^,-1 e wk^o-
jc/vei'tL cx>>-i(e)td >-i c(»-i) ea o i^i k i-i L lo e) r /v(x)xo>^ih>
Bosnien und Hercegovina.
manches mit der Cyrillica gemeinsam, so hat sie auch einzelne, localen Umständen zuzu-
schreibende Eigenthümlichkeiten, und es ist deshalb die Berechtigung vorhanden, sie als
eine besondere Schrift zu betrachten, welche, wenn sie auch nicht von der cyrillischen
unabhängig entstanden ist, sich doch unabhängig von ihr entwickelt hat.
Die wichtigsten Unterschiede zwischen beiden Schriftarten liegen in der verschieden -
artigen Darstellung der Laute v, 2, e, e, in der abweichenden Bedeutung des Lautes n
„Im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. Dies ist die
Burg des Vojvoden M(a)san und seiner Söhne Radoslaö und Miroslav. Dies hat
geschrieben der Diener Gottes und des heiligen Demetrius in den Tagen der Regierung des
Herrn ungarischen Königs Ludwig und des Herrn bosnischen Bans Tvrtkv. Wer dieses
zerstört, der sei verdammt vom Vater, vom Sohn und vom heiligen Geist!" Die Abbildung
dieses Steines sammt der Landschaft folgt im Capitel „Geschichte" (Seite 199 und 203).
Noch größere Abweichungen als die Lapidarschrift zeigt die cursive Bosanciea, die
sich im Volke, namentlich aber unter den Mohammedanern bis heute erhalten hat und einst
die gebräuchliche Verkehrsschrift repräsentirte. Ihrer bedienten sich auch die bosnischen
Franciscancr, welche sich noch vor 100 Jahren bemühten, ihr eine gewisse Zierlichkeit zu
verleihen und die Formen an gewisse feststehende Typen zu binden. Zu Ende des vorigen
Jahrhnndertes aber wurde bei ihnen die slavische Schrift und Sprache durch das
Lateinische verdrängt, und es gerietst diese Klosterschrift bald in Vergessenheit.
Merkwürdige Denkmäler von höchst alterthümlichem Charakter sind die in mehreren
Landestheilen vorhandenen Steinsitze aus natürlichen Felsblöcken. Sie tragen zuweilen
slavische Inschriften und gelten als „Gerichtsstühle"; der Gerichtsstnhl aus dem Bisce polje
bei Mostar ist hier im Bilde wiedergegeben.
Geschichte.
em zeugenden Felsen, kstrns Aanitriei, pflegten die alten Römer an
unwirthlichen Stellen ihres Weltreiches Altäre zu errichten, dem Geiste
des Steines huldigend, welcher auch dem nordwestlichen Theile der
Balkanhalbinsel sein Merkmal anfdrückt. Dieser Geist beherrschte dort
das ganze Thun des Menschen vom Beginne des geschichtlichen Lebens
an; er leitete die in Geschlechter getheilten Stämme und machte sich in ihrem Schalten
und Walten geltend. Hier entwickelte sich unter seinem Einflüsse das halsstarrige und
hartherzige Volk, welches die kanarischen Berge bewohnt. Der Nordwesten der Balkan -
halbinsel, den wir im Hinblick auf seine bedeutendste geographische Linie auch als das
ndriatische Dreieck bezeichnen dürfen, umfaßt verschiedene Gebietstheile, die zwar politisch
immer unter der Anziehungskraft einer stärkeren Macht standen, individuell aber stets eine
abweichende Richtung einzuschlagen suchten. Zn diesen Gebietstheilen rechnen wir, indem
wir vom nördlichsten Punkte der dalmatinischen Küste ans der geographischen Depressions -
linie folgen, als Nordgrenze die Comitate Lika-Krbava und Modrus-Fiume, den südlichen
Theil des Agramer Comitates und die Inseln des istrianischen Gebietes, dann Dalmatien,
Bosnien und die Hercegovina, beinahe ganz Montenegro und einen Theil des Vilajets
von Kosovo, zusammen 90.000 Quadratkilometer, wovon mehr als die Hälfte (51.100
Quadratkilometer) ans Bosnien und die Hercegovina entfallen. Ein Blick ans die Karte
zeigt uns dieses gestimmte Gebiet von zwei geographischen Hauptfactoren beherrscht: von
der Meeresküste der Adria und von dem Binnenlande, dessen Hauptrippen die Züge der
kanarischen Alpen sind.
In dem wechselvollen geschichtlichen Leben dieser Länder tritt das eonservative
Wesen des Berglandes zu Tage; der bewaldete Berg erzog ein inviduell denkendes Berg-
12*
180
und Waldvolk, der Karst des Südens den leidenschaftlichen, ungestümen Karstbewohner,
dessen Charakter so sehr den Steinfeldern der hercegovinischen Gebirge ähnelt: äußerlich
glatt und unbeweglich wie der Stein, aber trügerisch in seinen Tiefen.
Diese Völker waren reich an männlichen Tugenden, Helden in der Verteidigung
ihres häuslichen Herdes und als Zerstörer gefürchtet. Jeder wollte den Nachbar seme
Kraft fühlen lassen; ihr Ideal war die grenzenlose Freiheit des eigenen Jchs, der Ruhm
der Familie, die Stärke der Männer, welche in Sagen und Heldenliedern genannt und
besungen werden. Nie konnte und wollte sich einer dem andern nnterordnen. So ver -
schiedene Völker sich auch in den Bergen ansiedelten, die steilen Ufer der adriatischen Küste
bewohnten, niemals konnte ein Volk innerhalb dieses Gebietes einen festbegründeten
Staat bilden; niemals besiegte der menschliche Wille die Hindernisse der Natur. Wir
sehen den Kampf für die eigene Person, den Kampf für den häuslichen Herd, den Kampf
um die Herrschaft, den Kampf um den Glauben - aber nie den Kampf für die Gesammt-
heit, und wie die Geschichte zeigt, gelang es nur in wenigen historischen Momenten dieses
immer bewegliche Element von Außen her in eine friedliche Strömung zu lenken.
Die Südosthalbinsel Europas wurde einst durch dreiVölkerschaften besetzt: im Westen
von den Illyriern, im Osten von den stammverwandten Thrakern, un Süden von
makedonisch-epirotischen Stämmen, deren Grenzen heute nicht mehr genau zu bestimmen
sind. Nur im Allgemeinen kann gesagt werden, daß östlich von der Morava Thraker,
westlich davon Illyrier und südlich von den kerannischen Bergen die mit den Doriern
verwandten Makedoner und Epiroten lebten. Alle drei Völkerschaften bilden einen
Zweig der indo-europäischen Völkerfamilie und wunderten gewiß aus verschiedenen
Richtungen in die Halbinsel ein. Im Gegensätze zu den meist seefahrenden können diese
drei Stämme als Binnenvölker charakterisirt werden. Sie lebten in ihren Bergen als
Hirten, in den Ebenen als primitive Ackerbauer, während die Hellenen als eine Jnsel-
und Küstenbevölkerung, als Pionniere des Handels und Vermittler der in ihrem Geiste
umgestalteten orientalischen Cultur gelten können. Dasselbe Bild im Kleinen zeigt uns die
Nordwestecke der Halbinsel. An den Küsten siedelten sich hellenische Schiffer und Kauflente
an und gründeten die ersten Niederlassungen an der adriatischen Küste, die sich dann zu
blühenden Handelsstädten entwickelten. Im Binnenlande lebten die verschiedenen
illyrischen Stämme, von welchen im Alterthume berichtet wird, daß sie „nur vier
Gesetze anerkennen: das der Rache, des Raubes, der Lüge und der Verachtung aller Götter».
Diese Auffassung lehrt, daß die illyrischen Stämme räuberische Hirten waren, die
sich durch die Blutrache selbst ihr Recht suchten, ihr Gebiet nach Bedarf vergrößerten,
gegen Fremde keine Vertragstreue kannten und dem Culte der Hellenen, sowie später der
Römer, gänzlich abhold waren. Sie lebten in Stämme vereint. Der Reichste, der Stärkste
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galt nach Außen als König, der aber die Gewalt nur so lange inne hatte, als seine Kraft
die Untergebenen zu bändigen vermochte. Unter diesen Stämmen finden wir im Norden
Dalmatiens und in der westlichen Ecke des heutigen Bosniens die Liburner, ein armes,
aber starkes Seeräubervolk; in ihrer Nähe saßen die myrisch-keltischen Japoden. Beide
lebten in Weibergenieinschaft, waren kühne Räuber, große Trinker und bildeten das
prächtigste Sclavenmaterial.
Im heutigen Bosnien und Mitteldalmatien wohnten die Ardiäer, im Süden die
Autariaten, zwischen beiden verschiedene größere und kleinere Stämme unter eigenen
Oberhäuptern, theils diesem, theils jenem Stärkeren huldigend. In den Anfängen ihres
geschichtlichen Lebens sehen wir die beiden letztgenannten Hauptstämme miteinander in
steter Fehde um gewisse Salzquellen, wie denn Salzlager überhaupt einen Zankapfel
der Urvölker bilden. Deßhalb wollte ein Forscher die Bedeutung des Namens Bosna als
Salzbecken erklären, obzwar es viel wahrscheinlicher ist, daß der Name sich vielleicht aus
der illyrisch-albanesischen Erklärung: kus-unte: jenseits der Gebirgskümme, ableiten ließe.
Im IV. und 1>I. Jahrhundert v. Ehr. ergoß sich der große Strom der Kelten -
wanderung über die Balkanhalbinsel und verdrängte einzelne illyrische Stämme aus ihren
Sitzen. Ein Theil dieser Eroberer siedelte sich an Stelle der Vertriebenen an, ein anderer
verschwand im hellenischen Oriente. Während im Nordwesten der Balkanhalbinsel keine
historischen Mittelpunkte sich bilden konnten, entwickelte sich im Süden, in Epirus, eine
Reihe von illyrischen Königreichen, die nach dem Tode Alexander des Großen sich
unabhängig machten. Alexander der Große ist die erste historische Persönlichkeit, welche,
vom Süden nordwärts dringend, die Donaulinie erreichte und die ganze Halbinsel,
wenigstens nominell, unter seine Macht brachte. Die Vereinigung der so verschiedenen
Stämme endete gar bald; aber der Zauber der Persönlichkeit dieses historischen Halbgottes
wirkte selbst nach einem Jahrtausend und nach so vielen Erschütterungen derart fort, daß selbst
die Nationalhelden in Vergessenheit geriethen, der große Alexander aber als vergötterter
Repräsentant der weltlichen Macht in verschiedenartigen fremdsprachigen Heldenliedern
weiterlebte. Erbe dieses großen Mannes wurden die Römer. Ihnen war es Vorbehalten, alle
drei Halbinseln des mittelländischen Europa unter eine Macht zu bringen, und die Welt -
stadt Rom konnte sich als Mittelpunkt jenes fächerartig ins Weite greifenden Weltreiches
betrachten, das beinahe die ganze damals bekannte Erde in sich faßte. Schon die Republik
streckte ihre Arme beinahe gleichzeitig nach dem Besitze der iberischen und der Hämus-
halbinsel aus; Karthago, die hellenischen Republiken, Macedonien und Jllyrien fallen dem
unaufhaltsamen Siegeslauf Roms zum Opfer. Im Jahre 16^ v. Ehr. wird der letzte
südillyrische König Gentius in Ketten nach Rom geführt. Aber die nordillyrischen Stämme,
an ihrer Spitze die Dalmater, kämpfen, unterstützt von der Natur, in ihren Bergen, mit
182
aller Wuth, die unbezähmbaren Menschen eigen, gegen die Legionen der Consuln, und erst
dem Octavianus gelingt es, auch das Binnenland, das heutige Bosnien und die Hercego-
vina, somit den Weg zur pannonischen Ebene zu erkämpfen und den Widerstand des
illyrischen Elementes zu brechen. (6 v. Ehr. — 9 n. Ehr.)
Die römische Macht hatte mehrfache Gründe zu dieser großen Entfaltung: die
Ausbeutung der reichen Bergwerke, dann die Sicherung der Reichsgrenze an der Donau;
auch als Besitzer des adriatischen Küstenlandes, des heutigen Dalmatiens, waren die
Römer gezwungen, das Binnenland zu erkämpfen. In der That standen die Legionen
kaum an der Save, als der römische Scharfblick auch schon erkannte, daß dieses Binnen -
land ohne den Besitz der pannonischen Ebene kein gesichertes Eigenthum sei; dagegen hals
weder die heldenmüthige Vertheidigung der Berge, noch die grauenhafte Selbstopferung
der illyrischen Weiber, die ihre Kinder den römischen Schwertern entgegen schleuderten
und mit ihren Männern vereint starben; unnütz waren die Hinterhalte in den Fels -
schluchten, auf kaum gangbaren Hirtenpfaden. Im Jahre 9 n. Ehr. beginnt die römische
Kulturarbeit in diesen Provinzen; sie hat, wie die ans Tageslicht gelangenden Überreste
nun beweisen, auch in diesem Lande Großartiges geleistet.
Das Kaiserreich gab nach Jahrhunderte langem Ringen allen Unterthanen das
Nömerthum, und es gibt kaum ein erhabeneres Gesetz als dasjenige, welches sagt: „Alle
diejenigen, welche in orba romuno leben, werden zu römischen Bürgern erklärt." Durch
diese Verfügung entstand ein gemeinsames Staatsbewußtsein Aller, welches sich m den
östlichen Provinzen vielleicht noch kräftiger entwickelte als in den westlichen. Während sich
in Gallien und Hispanien ein reichgegliedertes municipales Leben ausbildete, strebten die
griechischen Stämme im alten Hellas und an der adriatischen Küste direct das Römerthum
an; sie sahen in Rom ihr Centrum, im Kaiser den Repräsentanten der höchsten Macht; sie
begingen die Feier der iucli augustales zu Ehren des Kaisers; man errichtete Altäre (aru
Hoiriua st ^ugusti), Tempel des Augustus, und die kaiserliche Macht als höchste Gewalt
wurde nebst ihrem Repräsentanten zu dessen Lebzeiten vergöttert. Dieses Gefühl vererbte
sich von Generation zu Generation; die Kaiseridee, als selbstherrschende, alleinstehende
Macht, in einer Person concentrirt, ging dem religiösen Monotheismus, dem Christenthum
voran; und gerade auf der Balkanhalbinsel, wo die Naturverhältnisse und die centrifugale
Neigung der einzelnen Volkselemente sich gegen jede größere Staatenbildung auf längere
Dauer gesträubt hatten, entwickelte sich als Volksglaube aus dem Jnstincte heraus der
Cultus eines höheren Wesens, das die höchste weltliche Macht inne hat: des Kaisers.
Auf keinem Gebiete der Halbinsel faßte römisches Wesen, römisches Leben, römischer
Kaisercult so feste Wurzeln, wie an der Italien gegenüberliegenden adriatischen Küste nebst
ihrem Binnenlande. Die römische Eroberung war in diesen Gebieten eine vollkommene;
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das Gebiet, der Provinzialgrundbesitz ging direct in römische Hände über. Römer
bevölkerten die Städte an der Küste. Die Machthaber achteten jedoch immer ans die Eigen-
thümlichkeiten der Bevölkerung; sie theilten das ganze Land, das nach dem tapfersten und
zahlreichsten Stamme Dalmatia genannt wurde, in drei Gerichtssprengel; den Scardonischen,
der das heutige West-Bosnien umfaßte, den Salonitaner, der mit Salona, dem heutigen
Spalato, als Mittelpunkt bis zum Savegebiete hinanfreichte, und den Narentaner, zu
dem das heutige Snddalmatien, die Hercegovina, Montenegro und Nordalbanicn gehörten.
Die entlegenen Bergstämme sandten zwar ihreVertreter zu den periodischen Versammlungen,
sie erfüllten ihre Verpflichtungen demStaate gegenüber, aber sie behielten ihr Gewohnheits -
recht, insoferne es dem des Staates nicht präjndicirte. Freilich beruhte das illyrische Stammes-
lebcn nicht auf einem starken historischen Bewußtsein und in seinem Bereiche das Recht des
Stärkeren nicht auf Vererbung, sondern immer auf spontaner Kraftentfaltung. So konnte
cs dem starken römischen Wesen ebensowenig längere Zeit widerstehen als die Primitive,
literatnrlose illyrische Sprache. Es entstand bald ein neurömisches Wesen in Dalmatien,
und nach kaum einem Jahrhundert konnten die Kaiser Dalmatien und das benachbarte
Pannonien nicht nur als annectirte, sondern als assimilirte Theile des Reiches betrachten.
Dieser Assimilirungsproceß gelang deßhalb so vollkommen, weil der römische Staat die
Verwaltung jeder Provinz, die Verwerthnng ihrer Producte und die Organisirung ihrer
Bevölkerung der natürlichen Beschaffenheit und Anlage derselben anzupassen verstand.
Zuerst mußte die Natur besiegt werden, das Land mußte dem römischen Communi-
cationsnetze vollkommen einverleibt sein, und dies geschah durch den Ausbau der Straßen,
deren Überreste heute noch Bewunderung erregen. Der Scharfblick der Römer fand die
hiefür wichtigsten Punkte und Linien des Landes bald heraus; das neuentdeckte, in seiner
Art großartige befestigte römische Lager in Mogorelo (zwischen den Ortschaften Eapljina
und Struge auf dem Ausläufer eines niedrigen, vom linken Trebezatufer zur Narenta
streichenden Hügelrückens) ist ein glänzender Beweis davon, auch dauerte es nicht lange,
so waren durch das Straßennetz die Emporien des bosnisch-hercegovinischen, damals
illyrischen Binnenlandes einerseits mit der adriatischen Küste, anderseits mit der Pan-
nonischen Provinz verbunden. Das römische Straßennetz zeigt, daß die Römer vor allem
das italienische Mutterland längs der Küste mit Salonae, Narona, Epidaurum und
Budua verbanden. Dann verknüpften sie Salonae, das kraft seiner geographischen Lage alv
Centrum der Provinz die bedeutendste Rolle spielte, einerseits in der Richtung dev heutigen
Glamoc und Banjaluka mit Siscia (Sissek), dem Hauptorte des unteren Pannonien,
anderseits durch Südwestbosnien über das heutige Sarajevo mit Domavia an der Drina.
In beiden Richtungen führten Hauptstraßen nach Marsonia (jetzt Brod), von dort nach
Sirmium (jetzt Mitrovitza), und sowohl Sirmium wie Marsonia waren mit Aqumcum, dem
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Hauptorte Pannoniens, verbunden. Bei der Anlage der Straßen waren die commerziellen
und nationalökonomischen Rücksichten ausschlaggebend. Die Römer erkannten bald — Nach -
richten darüber hatten sie schon früher erhalten — den Erzreichthum dieses Landes. Das
Gold im heutigen Erzgebiete und an den Flußläufen des Verbas, das Silber in Domavia,
der Argentaria Dalmatiens, und das Eisen übten große Anziehungskraft und führten
in diesen, früher unwirthlichen, nur waghalsigen Kanfleuten zugänglichen Berggauen bald
große Veränderungen herbei. Alte Schriftsteller und heute noch sichtbare Spuren römischen
Betriebes bekunden, daß in Bosnien während der Kaiserzeit bis zur Völkerwanderung
intensiver Bergbau bestand. Man kann behaupten, daß alles abbauwürdige Tagerz von
den Römern aufgespürt und auch aufgearbeitet wurde; sie arbeiteten dem Mittelalter vor,
das ihren Spuren getreulich folgte.
Großes leisteten sie auch in der militärischen Erziehung der kriegerisch veranlagten
Bevölkerung. Die tapferen Bergstümme wurden in die Legionen eingetheilt, und es dauerte
nicht lange, so wurden die Nachkommen jener alten Landesvertheidiger, welche die
Römerherrschaft hartnäckig bekämpft hatten, zu Erhaltern und Vertheidigern der römischen
Weltherrschaft, zu Stützen des Römerthums. Diese Richtung der römischen Politik
brachte dem Reiche viel mehr Nutzen als die intensive Bergthätigkeit. Das italisch-römische
erobernde Element erschlaffte, und im II. und III. Jahrhundert n. Ehr. ging die Rolle
der italischen Cäsaren aus die aus Jllyrien und Pannonien gebürtigen Militärkaiser
über. Die ersten drei Jahrhunderte n. Ehr. bilden die einheitlichste geschichtliche Periode
des adriatischen Dreieckes. Bei allen Weltbegebenheiten sehen wir diese Provinz,
beziehungsweise ihre Söhne, eine hervorragende Rolle spielen; die Keime des Christenthums
schlagen hier bald Wurzeln; in den Stürmen der Völkerwanderung ist es diese Provinz,
die den meisten Verwüstungen ausgesetzt ist, aber trotz des Dahinsiechens der alt-römischen
Tugenden dank ihrer Organisation und der unverwüstlichen illyrischen Volkskraft dennoch
standhielt. Es bedarf nur des Hinweises auf den Namen Dioeletians, um die Bedeutung
Dalmatiens zu charakterisiren.
Selbst in jenen späteren Epochen, wo infolge des natürlichen Übergewichtes der
byzantinischen Reichshälfte die adriatische Küste sammt dem Binnenlande manchmal
factisch, manchmal nominell dem Osten angehörte, blieb der Kern dennoch immer römisch.
Die adriatischen Küstenstädte theilen die Geschicke des italischen Volkes; sie erhalten ihr
römisches Gemeinwesen, ihr römisches Recht Jahrhunderte lang; sie überdauern die
gothische Macht und sprechen an der Küste stets dieselbe Sprache. Nur das ethnographische
Bild des Binnenlandes verändert sich allmälig. Die den Völkerwanderungen ausgesetzte
pannonische Provinz wird durch die Barbaren gründlich verwüstet und entvölkert. Die
echten römischen Elemente, welche in den dinarischen Alpen ohnedies nur sporadisch sein
konnten, verflüchtigen sich sehr bald. Die romanisirten Illyrier verbluten in den Hunnen-
und Germanenkämpfen des V. Jahrhunderts; nur in Gegenden, wo selbst der ärmste
Barbar nichts zu finden hatte, erhalten sich einzelne Stämme. Wie man an manchen
Stellen endemische Pflanzenformen antrifft, die uns ein Bild des Urlebens vorführen,
so erhalten sich vorgeschichtliche Rassen, indem sie die größten Stürme überdauern, in
denen kraftvollere Völker untergegangen sind. Die illyrische Bevölkerung der heutigen
bosnisch-hercegovinischen Provinz wurde theils zu wandernden Hirten, theils verfiel sie
der Ausrottung. Die Nachkommen der schon im Jahre 167 v. Chr. unterjochten Illyrier
am Skutarisee, die Albanesen, vegetiren dagegen noch heute, als Überreste eines ehemals
großen Volkes. Im V. Jahrhundert n. Chr. veränderte sich das Bild vollkommen. Die
Flut der Völkerwanderung erfaßt auch die adriatische Küste und ergießt sich in
die Thäler des dinarischen Gebirges. Die germanische Völkerwanderung, repräsentirt
durch die Gothen und Langobarden, berührt nun dieses Land. Viel heftiger und
zerstörender wirkt die turanische Völkerwanderung, deren Vertreter die Avaren sind.
Als drittes Element treten die Slaven auf, die im Gegensätze zu ihrem ursprünglichen
friedlichen Charakter, sich gar bald über die ganze Balkanhalbinsel ergossen, aber als
Eroberer nur dort auftraten, wo sie, wie in Bulgarien, mit turktatarischen Elementen
vermischt, die staatsbildende Fähigkeit erlangt hatten. Die im nördlichen Hellas und in
Morea eindringenden Slaven Hellenismen sich, während die ins adriatische Dreieck
eingewänderten slavischen Stämme das Los dieser Länder im VI. Jahrhundert entscheiden.
Die Slaven werden im IV. Jahrhundert unter ihrem germanischen Namen als
Wenden (VVouoäi) auf der Nvrdseite Daciens und nördlich von den Donaumündungen
genannt. Sie erscheinen erst seit Kaiser Justinians Regierungsantritt (527) als Nachbarn
des oströmischen Reiches, zuerst an der unteren Donau unter dem Namen
Sclavini, später auch Sclavi. Ihre Wohnsitze befanden sich damals in Bessarabien
und der Moldau, Wohl auch in Siebenbürgen, jenseits der germanischen Gepiden, die in
Südungarn hausten. Schon unter Justiniau unternahmen sie Invasionen bis zur ägüischen
Küste und bis nach Dalmatien. Als das Gepidenreich um 567 vernichtet wurde und die
turanischen Avaren sich an der mittleren Donau niederließen, während die Langobarden
nach Italien abzogen, ging ein Zug slavischer Einwanderer auch westwärts ins neue
Avarenreich.
Infolge des mangelhaften Schutzes der römischen Donauprovinzen erfolgten nun
slavische Invasionen bis nach Thessalien. Kaiser Tiberius II. (578—582) bewog die
Avaren, gegen die Moldauslaven zu ziehen, Kaiser Maurikios versuchte es, in eigener
Person gegen die Donanslaven ins Feld zu ziehen (582 — 602). Als die Revolution
nach dem Sturze des Kaisers Maurikios (602—610) das oströmische Reich erschütterte
186
und beinahe sämmtliche Truppen gegen die Perser ins Feld zogen, überflntheten Avaren
und Slaven die ganze Halbinsel, und außerhalb der byzantinischen Städte und Burgen
besiedeln Slaven das Gebiet.
Unter diesen slavischen Stämmen führte ein zwischen Cetina und Zara angesiedelter
Stamm den Namen Hrvati. S erbi wurde ebenfalls im X. Jahrhundert ein kleinerer
Stamm im Binnenlande genannt. Erst mit der Zeit entwickelten sich diese Namen zu
Benennungen der aus diesen und ihren Nachbarstämmen entstandenen Nationen.
Für die byzantinische Politik war es von Vortheil, als sie die beiden avaren-
feindlichen Völkerschaften von diesen Ländern Besitz ergreifen ließ, und so geschah es, daß
im Laufe des VII. Jahrhunderts diese verschieden benannten Stämme an der adriatischen
Küste, sowie in dem zugehörigen Binnenlande ansüßig wurden und demselben ihren
Charakter aufprügten. Wir kennen dieses Ereigniß nur aus 200 Jahre später geschriebenen
griechischen Quellen und aus sagenhaften Überlieferungen einzelner geistlichen Chronisten,
welche es theils vom Standpunkte späterer Entwicklungen, theils ans snbjectiven Motiven
betrachteten.
Die kroato-serbischcn Stämme bildeten einen Theil der großen, slovenischen
Völkerfamilie, und mit Recht sagt V. Jagic, daß sich „weder in der neueren Sprach -
entwicklung, noch in den ältesten Phasen derselben eine scharfe Scheidewand zwischen dem
Serbo-kroatischen und dem Slovenischen auf der einen und Bulgarischen auf der andern
Seite ziehen läßt: die Übergänge sind vielmehr allmälig."
Der Name Bosniens (/cop-rn-Ikä-icE) erscheint in dieser Zeit nur als geographische
Bezeichnung des von der Bosna durchflossenen Gebietes, des Gaues zwischen der Drina
und dem Vrbas.
Bis zu Ende des VIII. Jahrhundertes dominirte Byzanz. Als dann von dem
fränkisch-römischen Kaiserthume eine Strömung gegen Osten hin ausgeht, da berühren
sich die Machtsphären der Karolinger und der byzantinischen Kaiser im kroatischen König -
reiche, welches, nachdem es das lateinische Christenthnm angenommen, zwar vollständig
dem westlichen Einflüsse dienstbar wird, aber als Grenzland den Zankapfel beider
Großmächte bildet.
Die kroatischen Könige waren — wenn auch in Betracht der Entfernung nicht mittel -
bare, so doch im damaligen Sinne — Vasallen von Byzanz, später solche der Franken
und — mit Ausnahme einzelner kräftiger Herrscher - immer nur zum Scheine die Herren
der Stammesoberhüupter. Ein reges Cultnrleben in dem Wald- und Weidelande des alten
Jllyricum war ohne die Küstenstüdte nicht denkbar. Deßhalb entwickelte sich ein eigen-
thümliches Verhältnis zwischen dem binnenländischen Kroatien und der Dalmatien genannten
Küste, welches bis zum Erlöschen des kroatischen Königreiches fortbestand. Die geographische
187
Zerklüftung und die nachtheilige politische Location machen es begreiflich, daß eine von
vornherein nicht einheitliche Macht verschwinden mußte, als eine stärkere Centralgewalt dieses
Gebiet in seinen Organismus aufnahm. Das spärlich bewohnte Binnenland südlich der Save,
das heutige Bosnien — mit Ausnahme der nordwestlichen Ecke und des südwestlichen
Streifens um Livno — stand zwar durch zwei Jahrhunderte unter byzantinischem Einflüsse,
war aber thatsächlich res nullius. Die in Bosnien und der Hercegovina angesiedelten
Stämme bewahrten deßhalb ohne Zweifel ihre ursprüngliche patriarchalische Verfassung
und ihr Heidenthum viel länger, als die vom Westen aus civilisirten Kroaten. Bei diesen
und den Bosniern blieb die noch aus der Avarenzeit herrührende Würde des Ban
erhalten und führt uns noch spät die alte kriegerische Verfassung, das Sübelregiment der
Turanier vor Augen. Einzelne Niederlassungen, wie das heutige Tuzla, das alte
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und zwei bis drei Städte in Nordwestbosnien, sowie im Lande Chulm, der heutigen
Aercegoviua, bestanden nachweislich schon in sener Zeit.
Die Weltstellung des römischen Ostens wird im X. Jahrhunderte von der Besitz -
ergreifung der pannonischen Ebene durch die Magyaren beeinflußt. Das Auftreten dieses
Volkes bildet sozusagen den Abschluß der Völkerwanderung. Das in Stamme getheilte
Ungarvolk erkannte gar bald den Vortheil einer Centralgewalt für sein Reich und fügte
sich schon nach einem Jahrhundert der zwingenden Macht der christlichen Idee. Der erste
König Stefan nahm das abendländische Christenthum unmittelbar vom Papste an, und
schon in den ersten Jahren des XI. Jahrhunderts sehen wir das ungarische Kvmgthum
nach Süden, dem Meere znstreben. Parallel mit diesen Bestrebungen entwickelt sich die
Königin der Levante, die Republik Venedig, und die kontinentale Donaumacht der
Ungarn sucht alsbald Verbindungen mit der mächtigen Republik, die am Ende des
X.'Jahrhunderts ihre Arme nach den Küstenstädten des östlichen Adriagebietes mit
Erfolg ausstreckt und seine späteren Ansprüche von dieser Zeit an datwt. Der zweite
ungarische König Peter entstammte dem venetianischen Dogengeschlechte der Urseolo,
welches im republikanischen Gemeinwesen direct nach der Alleinherrschaft strebte, jedoch
der aristokratisch-republikanischen Gegenströmung erlag.
Der erste Erfolg des ungarischen Königreiches war im Jahre 1091, beziehungsweise
1102, die Einverleibung des in seinen inneren Einrichtungen autonom erhaltenen
kroatischen Königreiches und der dalmatinischen Küste in den Donaustaat. Bei diesem
Anlasse bemerken wir, daß die gleichsprachigen, neurömisch, das heißt italieniscy
redenden Communitäten der adriatischen Küste sich dem Einflüsse der venetianischen
Republik energisch widersetzen, und daß die ungarische Besitzergreifung von Dalmatien
und Kroatien nur durch jene Beihilfe stattfindet, welche einerseits das römische Ätädte-
element, anderseits die Oligarchen der kroatischen Gaue dem Donaukönigthume gewährten.
Schon dieser Umstand weist auf die naturgemäße Einheit des Donaugebietes mit
der Nordwestecke der Balkanhalbinsel hin. Die Idee des römischen Kaiserreiches, das
Ansehen des oströmischen Kaisers waren eben auf diesen neuen Staat übergegangen, dessen
Institutionen sich zwar auch unter fränkisch-römischer Einwirkung entwickeln, dennoch
aber einen neuen Curs für diese Gebiete bedeuten. Selbst das serbische Element, das
sich tief im Binnenlande erst im XII. Jahrhundert entwickelte, nahm sich neben den
byzantinischen Einrichtungen die ungarischen zur Richtschnur seiner staatlichen Institutionen,
wie es die Urkunde Stefan Nemanjas vom Jahre 1198 (.!>'-« ü->I"->-« »
beweist. Daher die vielen Berührungspunkte, die wir in derGeschichte des ungarischenKvmg-
reiches und des Serbenthums bemerken. Die Binnenländer, das bosnische Banat und Chulm,
der Grundstock der heutigen Hercegovina, treten erst nach und nach in dieses neue Verhältmß.
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Als nun König Koloman zu Anfang des XU. Jahrhunderts sein Banner in Dal -
matien anfpflanzte, wandten sich auch die Binnenländer seiner Machtsphüre zu. Das
Gebiet des die Hercegvvina und Bosnien scheidenden Flusses Rama optirte zuerst für die
Macht des Königs. Unter König Btta U. (1137) erstreckt sich die Macht Ungarns über
ganz Bosnien. Nach dem kleinen Rama-Gau benannten die ungarischen Könige das
ganze bosnische Gebiet; im Königstitel kommt nun Bosnien als Rama vor, und seit 1138
nennt sich der König von Ungarn auch Uax Hamas.
König Belas U. Sohn Gejza U. scheint bei der üblichen Theilung des Reiches
im Sinne der väterlichen Verfügung Bosnien als lose angegliederten Lündertheil seinem
Bruder Ladislaus U- überantwortet zu haben. Ihm untersteht in der Person des
Bans Boric, dessen Stammesgebiet mit dem Mittelpunkte des heutigen Save-Brod
und nördlich der Orljava im Comitate Pozega lag. ein kräftiger Statthalter dieses bosni -
schen Territoriums. Ban Boric leistete dem Könige in den Kämpfen mit Kaiser Manuel
kräftigen Beistand und befestigte sein Ansehen bei den führerlosen Stämmen Mittelbosniens
und. wie es scheint, bis zur Adria. Doch lehnte sich der mächtige Bau im Jahre 1163
gegen König Stefan 1». auf und ergriff die Partei des königlichen Onkels. Allein
Gottfried aus Meißen besiegte ihn, und sein Geschlecht verlor die Führerrolle in Nvrd-
bosnien. Für sicher kann man annehmen, daß die Sippe des Bans Boric (aus welcher die
Familien: Berislavic, Dessewffy, Jspanfi, Boric, Török entstammten) die Waldgebiete
des Vrbas in Besitz nahm, sich jedoch nach demFalle desBans der allerdings noch schwachen
königlichen Gewalt von damals fügen mußte.
Das ungarische Königthum befestigte sich bald auf der dalmatinischen terra terina,
in den kroatischen Gauen südwärts der Knlpa und der Una. Aber erst gegen Ende des
XII. Jahrhunderts sehen wir das directe Eingreifen und das zielbewußte Streben nach
staatlicher, aber nicht centralistischer Angliederung auch dieser Gebiete. Zugleich bedient
der Papst sich Ungarns als Werkzeug zur Verbreitung des Katholicismus. Der Anfang
der Geschichte dieser Länder füllt zusammen mit dem Kampfe des westlichen lateinischen
Christenthums gegen die von Osten herandringcnde manichäisch-bogumilische Religion,
die damals, vom XII. bis zum XIV. Jahrhundert, die Gemüther förmlich aufwühlte. Man
kann das Verbreitungsgebiet dieser religiösen, gegen das Papstthum gerichteten Bewegung
mit einer Ellipse vergleichen, deren Brennpunkt wir in Bosnien und der Hercegvvina
finden. Parallel mit dieser Bewegung verläuft die Geschichte beider Länder, etwa vom
Jahre 1180, vom Bane Kulin angefangen bis zum endgiltigcn Falle des bosnischen
Königreiches im Jahre 1463.
Die bosnische Geschichte dieses Zeitraumes weist in ihrer Entwicklung zwei
Hanptphasen auf: Das Banat bis zum Jahre 1 377 und das Königthum
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von diesem Jahre bis zum Falle des Reiches im Jahre 1463. Während die erste Epoche
einen Zeitraum von 196 Jahren umfaßt, dauerte das geschichtliche Leben des Königreiches
nur 87 Jahre. Der Charakter beider Epochen ist grundverschieden: die erste ist ein
diplomatisch und militärisch geführter Krieg um die Sonderstellung des Gebietes. Die
Bane trachten immer ihre eigene rechtliche Wirkungssphäre zu erweitern. Die Periode des
Königthums hingegen ist die Geschichte eines dahinsiechenden Organismus, der zuerst, durch
besondere Umstände begünstigt, sich üppig entfaltete, um dann desto jäher zu verdorren.
Beide Perioden aber sind charakterisirt durch die Rolle des Bogumilenthums, welches
weder durch die energischen Bestrebungen der Päpste, noch durch die Waffengewalt der
mächtigsten Könige Ungarns ausgerottet werden konnte.
Ursprünglich entstand die als Paulikianer bekannte Secte in Kleinasien, in den
unwirthlichen Bergen Armeniens und an der Persischen Grenze, die trotz vielfacher
Umgestaltung als ihren eigentlichen Stifter Mani, den Begründer des Manichäismus,
verehrte. Ihre Religion war eine sonderbare Mischung von altsemitischen Urlegenden,
von persischem und auch turanischem Dualismus, von buddhistischer Moral und christlichen
Formen. Ohne auf die Einzelnheiten dieser Lehre einzugehen, bemerken wir nur, daß sie in
Betreff von Glauben und Moral die Bedürfnisse der verschiedensten Völker befriedigte.
Sie bietet den zu Wunderglauben und Legenden geneigten Bergvölkern Mystisches,
sie gibt durch die strenge Moral ihrer Auserwählten den Vorgeschrittenen und den
Philosophen ein Beispiel; die sagenhaften dämonischen Elemente reizen die Phantasie.
Verfolgungen kräftigten die Lehre, sie hatte ihre Märtyrer, ebenso überzeugungstreue
Verfechter ihrer Dogmen, wie sie die Geschichte des Christenthums aufweist; und bald
verpflanzt sich die Religion nach Bulgarien, wo ihr in der Person des Priesters
Bogumil ein Reformator erstand, und von wo sie im Laufe des XI. Jahrhunderts
über Serbien rasch den Weg in das Gebiet der dinarischen Alpen findet. In Bulgarien
wird sie von Byzanz aus noch bei Lebzeiten des Stifters durch consequente Verfolgung
> lahmgelegt; aber in Bosnien findet sie die günstigsten Grundbedingungen und erobert im
Fluge sowohl die reichen Stammeshäupter wie die armen Berghirten. Der Sieg des
Bogumilismus ist aus vielfachen Gründen erklärlich. Wie in politischer Hinsicht Bosnien
als Banat von kroatisch-lateinischem Einflüsse nur wenig berührt wurde, so ging es auch
in religiöser Hinsicht. Diese Leute hatten eben, wie aus den Briefen der dalmatinischen
Bischöfe hervorgeht, gar keine Religion; sie sahen selten einen Geistlichen; die Berghirten
lebten ihren alten, sagenhaften Überlieferungen, und die Stammeshäupter empfanden kein
Bedürfniß nach Religion.
Eine weitere Ursache war die Neigung dieser Völker zu einer Religion, die ihrem
Wesen mehr zusagte, als die uniformirende Wirksamkeit des lateinischen Christenthums
192
oder die sich in alle ihre Lebensverhältnisse einmischende Orthodoxie von Byzanz. Der
Bogumile brauchte keine Kirche; er kannte keine Hierarchie; die auserwählten Lehrer der
Religion, die sogenannten Djeds oder Älteren, kamen ihnen wie Zauberer vor, die sie im
Nothfalle anrufen und, wenn das nicht half, auch züchtigen durften; die Religion legte ihnen
kein Hinderniß in den Weg, um ihren Gelüsten freien Lauf zu lassen. Nichts Abstoßendes
war in dieser manichäischen Auffassung; gar bald paßten sie sich dieser Lehre an, und als
im XII. Jahrhundert der ungarische Einfluß vereint mit dem Kreuze eindrang, fand er
eine Bevölkerung, die sich bereits in die neue Religion eingelebt hatte.
Nun begann der große Kampf zwischen dem Papstthum und dem Bogumilenthum
und endete keineswegs mit dem vollständigen Siege der christlichen Idee.
Es unterliegt keinem Zweifel, daß, wenn die große Macht, welche die ungarischen
Ärpaden im XII. und XIII. Jahrhundert inne hatten, vereint mit der kräftigen katholischen
Propaganda von Dalmatien aus zielbewußt die Ausrottung der Boguinilen ins Auge
gefaßt hätte, diese unterlegen waren. Allein diese beiden Mächte verfolgten ihr Ziel von ver -
schiedenem Standpunkte aus, indem es dem Papstthume in erster Linie um die Verbreitung
und den Sieg des Katholicismus zu thun war. Die ungarischen Könige hingegen, obzwar sie
als gute Katholiken einsahen, daß die katholischen Interessen mit denen ihres Reiches sich
deckten, bekämpften in erster Reihe den rebellischen Ban, den Vasallen, der sich gegen sie
auslehnte. Daß dieser in ihren Augen auch ein Feind des Katholicismus war, verschärfte
ihr Auftreten, aber leicht machten sie gegenüber der religiösen Propaganda Oppor-
tunitütsgründe geltend, wonach man den Bogen nicht zu straff spannen sollte, damit
die Bane nicht in die Opposition getrieben würden. Die Päpste hingegen, durch ihre
Legaten unterrichtet, begnügten sich vollkommen mit dem religiösen Erfolge und trauten
allzusehr dem Scheine, wenn der bogumilische Bosnjak, gedrängt von den ungarischen
Herrschern, demüthig auf das Kreuz schwur und die Prediger gastlich aufnahm. Immer
wiederholten die gewandten Bane diese Taktik, und immer hatte sie den gleichen Erfolg.
Wenn die ungarischen Waffen einen Erfolg aufwiesen, wurden sie stets in Gottes Namen
und um des Seelenheils so vieler zu bekehrenden Ungläubigen willen durch päpstliche
Briefe aufgehalten, und so lebte der Bogumilismus schlecht und recht weiter.
Zwischen diesen Machtsphären tritt die erste historisch bekannte Persönlichkeit Ban
Kulin auf, der bis zum Jahre 1204 bald die Oberhoheit Ungarns anerkannte und den
Katholicismus annahm, bald aber, der Mönche überdrüssig, als Bogumile lebte und sich
durch Bündnisse mit Ragusa und seinen serbischen Nachbarn zu emancipireu suchte.
Trotzdem hatte die ungarische Oberhoheit Wurzel gefaßt, weil in unmittelbarer Nähe die
slavonischen Comitate an der Save, von ungarischen Geschlechtern als Gutsherren
vertheidigt, immer zur Verfügung der Könige standen. Anderseits aber hatte auch der
Bosnische Münzen.
Bosnien und Hercegovina.
Papst stets eine wirksame Waffe in der Hand,
indem zuerst der streitbare Orden der Domi -
nicaner, der sich die Ausrottung der Ketzer zur
Aufgabe stellte, und dann die populären
Franciscaner, welche als genaue Kenner der
Volksseele überall Erfolge hatten, sich auch
der westlichen Theilc alsbald bemächtigten,
die von den Bogumilen schon angegriffenen
dalmatinischen Theile wieder in den Schoß
des Christenthnms zurückführten und auch auf
das Binnenland wirkten.
Ban Kulm entstammte einem ein -
heimischen Gcschlechte. Seine Sippe scheint
das mittlere Bosua- und das Lasva-Gebiet
innegehabt zu haben. Er selbst war der
anerkannte Führer seines Stammes und
repräsentirte nach Außen hin jenes Land,
welches unter dem Namen Bvsna eine gewisse
politische Individualität besaß. Aus diesem
Umstande geht hervor, daß sich die Stämme
Bosniens nach dem Aufhvren der byzan -
tinischen Oberherrschaft zu einer territorialen
Einigung unter einem angesehenen Stammes -
häuptling herbeiließen.
194
Kulm ist der erste historisch beglaubigte Führer seines Volkes, welches die
Erinnerung an ihn bis zum heutigen Tage bewahrte. In einer unlängst im Bezirke
Visoko gefundenen Inschrift (1204) heißt es: „Gott gebe dem Ban Knlin und seiner Fran
Vojsava Gesundheit!"
Nach dem Tode Kulms tritt der thatkrüftige Ban Ninostav (1204 -1251), wahr -
scheinlich einer seiner Verwandten, in den Vordergrund, zu einer Zeit, da Ungarn, ins
Schlepptau energischer Päpste genommen, unter schwachen Königen nur eine geringe
Expansionskraft entfalten konnte. Die vom Bane Knlin begonnene Politik wurde von seinem
NachfolgerNinoslav erfolgreich fortgesetzt. Ninostav verdankte seine Würde der bognmilischen
Bewegung, welche Ban Knlins Nachkommenschaft Stefan (1204-1233) und seinen Sohn
Sebislav, den Herrn von Usvra, wegfegte und dem kräftigen Ninoslav, der gewiß zur
herrschenden Familie gehörte, zur Macht verhals. Doch auch er unterlag zeitweilig den:
anstürmenden Katholieismus, und als nach dem Tode des energischen Königsohnes
Koloman (Sohnes Andreas' II. von Ungarn) die katholische Propaganda, vom Erz-
bisthume Kalocsa in Ungarn aus unterstützt, auch südlich der Save in Angriff genommen
wurde, sehen wir, von den ungarischen Königeil dotirt, ein eigenes bosnisches Bisthum
erblühen. Die Erzbisthümer von Spalatv und Ragnsa, welche immer mit den Mönchen
wetteiferten und den Bogumilismus schon den Franciseanern zum Trotze nicht hart
genug behandelten, hatten keine streitbare Macht zur Verfügung, während das reich
dotirte und hochangesehene Erzbisthum Kaloesa das Kreuz mit dem Lchwerte predigte.
Obzwar Ninoslav bis an sein Lebensende (circa 1251) sich an der Spitze des
Banats behauptete, konnte er dennoch keine Dynastie gründen, und nach seinem Tode
zerbröckelte allmälig das von ihm beherrschte Gebiet. Die einzelnen Gaue Chulms in der
Nachbarschaft Ragusas trachteten nach Unabhängigkeit, und das Territorium, das sich
über das heutige Bosnien und die Hercegovina erstreckte, wurde militärisch mehr oder
minder unmittelbar Ungarn einverleibt.
Die Könige Bela IV. und Stefan V. dehnten das Reichsgebiet so weit ans, als es die
natürlichen Verhältnisse gestatteten, so daß die ungarische Grenze sich bis an die Ausläufer
der dinarischen Alpen erstreckte; dort aber, wo die Einverleibung nicht opportun erschien,
beließen sie die eigenen Stammeshäupter, die dem Könige als Pfand des Schutzverhält-
nisses einen Jahresbeitrag oder Heerfolge leisten mußten. In den Grenzgebieten wurden
Banate errichtet, und die seweiligen Bane waren immer die politischen Oberverwalter, so -
wie zugleich die militärischen Befehlshaber des betreffendes Gebietes. Schon während der
Regierung König Belas IV. wurde aus Oberbosnien und aus der Posavina (dem
Gebiete südlich der Save) das Banat Bosnien errichtet, im Westen an der Usora das
Banat von Usora, im Osten an der Drina das Banat Soli oder Tnzla, im heutigen
195
13*
Ostserbien der Drina entlang das Banat von Macva (Mäcsö), während in der Nama-
gegend, das heißt in dem westlichen Theile der heutigen Hercegovina und dem heutigen
Südbosnien einzelne Vasallen regierten und die südwestlichen Theile an einzelne mächtige
kroatische Geschlechter, wie das der Subici, als Lehen zurückfielen. Diese territorialen
Verhältnisse änderten sich aber fortwährend im Laufe der Zeit, je nachdem der eine oder
andere Ban sein Gebiet behauptete und einen energischen Nachfolger fand oder nicht. Es
schien einmal, als sollte sich in Bosnien eine mit dem königlichen Hause verwandte
Dynastie entwickeln, indem der getreue Vasall und Schwiegersohn des Königs Bela,
Rastislav, das Banat Bosna und die Macva als Lehen bekam; doch seine Nachkommen -
schaft erstarb bald (1271), und dies Erbe fiel als Privatbesitz der Königin Elisabeth,
Witwe des Königs Stefan V., zu.
Während im Westen Bosniens die Grafen von Brebir aus dem Geschlechte der
Subici immer mehr ihre Macht entfalteten und sich am Ende des XIII. Jahrhunderts
Herren von Bosnien nannten (UunusOrontine, Oalnratias et clonainns Hosnae — 7. April
1299), kam der östliche Theil Bosniens nach dem Tode der ungarischen Königswitwe
Elisabeth als königliches Lehen in den Besitz des serbischen Königssohnes Stefan Dragutin,
der, mit der ungarischen Prinzessin Katharina verheiratet, den Katholicismns annahm und
auch unter den Serben den ungarisch-katholischen Einfluß einzuführen trachtete. Er starb
1317, und seine Nachkommen wurden in Ungarn seßhaft; die Katholicisirung der Serben
aber scheiterte an der strammen Orthodoxie der Könige UrosMilutin und Uros Decanski.
Der Dynastiewechsel in Ungarn, der im Jahre 1301 eintrat, führte zu einer
Neugestaltung des ungarischen Königreiches, und die Geschicke des Binnenlandes richteten
sich nach dem Ergebnisse dieser Umwälzung. Die Grafen von Brebir erkoren zu ihren
Königen die mit den Ärpäden verschwägerte Dynastie der Anjou und wurden deren
getreueste Bannerträger.
Zn Ende des XIII. und Anfang des XIV. Jahrhunderts sehen wir auf bosnischem
Territorium zwei Geschlechter, welche zwar unter der Souveränität der Ungarkönige,
jedoch immer auf die Entfaltung voller Souveränität losstenernd, ihren Stammgebieten
zur Landeshoheit verhelfen wollten.
Die Grafen von Brebir aus der kroatischen Sippe der Subici besaßen wie erwähnt
Westbvsnien und Dalmatien. Maden beherrschte diese Gebiete beinahe mit souveräner
Gewalt, doch wurde er, in dieser Richtung vorwärtsschreitend, ein naturgemäßer Widersacher
Karls von Anjou, dem er auf den Thron geholfen. Im Jahre 1322 geschah es, daß König
Karl den slavonischcn Ban Johann Babonie mit der Niederwerfung Mladens betraute.
Maden wurde seines Banates entsetzt und büßte als Gefangener seine hochfliegenden
Traume.
196
Doch in den Gebieten des Bosnaslusses lebte die nationale bosnische Banaldynastie
weiter. Ban Ninoslavs Verwandter Prijezda (in den päpstlichen Briefen Ubanus genannt)
erhielt vom König Bela IV. beträchtliche Schenkungen und besaß nebst im Schenknngswege
erhaltenen Gütern an der Drau seine Stammesgüter an der Usora friedlich als Katholik
und Lchensmann des Königs. Prijezda scheint der Vertreter der katholischen Partei
gewesen zu sein, besaß in der Nähe der ungarischen Reichsgrenze die Znpa Zemlemk
(südöstlich von Banjalnka), und es ist auch nicht unmöglich, daß er des Bans Kulm dwecter
Sprosse war. Er hatte zwei Söhne: Stefan und Prijezda, beide Bane ihres Gebietes.
Der ältere nannte sich Kotroman und wurde Stammvater der nationalen bosnischen
Dynastie.
Prijezdas Familie, als die führende in dem eigentlichen Bosnien, stand hoch im
Ansehen. Deßhalb erhielt Stefan Kotroman die Hand Elisabeths, der Tochter Stefan
Dragntins, dessen Frau die Tochter .des Ärpadenkönigs Stefan V. war. Die
Schwester Kotromans heiratete einen Sohn Stefans B aboniö, und so kam diese ein -
heimische Familie mit den mächtigsten Geschlechtern in verwandtschaftliche Verbindung.
Infolge des Falles der Brebir'schen Herrschaft und der Ärpäd'schen Beziehungen geschah
es nun, daß der Sohn Stefan Kotromans, Stefan Kotromanic, in dessen Blut jenes dreier
ungarisch-serbischer und bosnischer Herrscherfamilien Zusammenstoß, im Jahre 1323 vom
Könige Karl Robert das geeinigte Bosnien zu Lehen erhielt.
Die Geschichte Bosniens im Zeitalter der ungarischen Anjou's (1308 1395) hängt
eng mit der Geschichte Ungarns zusammen. Karl von Anjou trug sich mit den weitest -
gehenden Plänen. Dem Süden verdankte er seinen Thron, dort hatte er weniger zu
befürchten. Um sich jedoch einer Handhabe gegen das aufstrebende serbische Königreich
bedienen zu können, unterstützte er mit ganzer Kraft den bosnischen Ban Stefan Kotromanie,
seinen Verwandten, in der Einsicht, daß dieser sein Heil einzig in dem Bündnisse mit ihm
finden müsse. Die dreißigjährige Regierung Kotromanic bestätigt die Richtigkeit dieser
Auffassung. Er vereinigte das heutige Bosnien mit den ihm überlassenen ungarischen
Banaten, nannte sich den freien Fürsten dieser Länder und schlug nach der Niederwerfung
der Stammeshäupter auch das Gebiet von Chulm, die heutige Hercegovina zu seinem
Lande mit der staatsrechtlichen Begründung, daß dieses Territorium die Oberhoheit
Ungarns schon seit dem XII. Jahrhundert anerkannt habe, bis zu welcher Zeit dieses
Gebiet ein mehr oder minder unabhängiges serbisches Svuderfürstenthum war. Militärisch
und staatlich mußte sich Bosnien dem Donaureiche fügen; und um seine Sonderstellung
zu erhalten, vergalt es schon im eigenen Interesse den Schutz damit, daß es in den Partei -
kämpfen mit den kroatischen Oligarchen und dem serbischen Nachbarreiche die ungarischen
Interessen vcrtheidigte.
198
Stefan Kotromanic, mit einer Katholikin, einer Verwandten der Ungarkönigin
verheiratet, wechselte seine Religion äußerlich sehr oft; er empfing die Mönche freundlich,
errichtete Kirchen, machte katholische Stiftungen, hörte wohl auch die Messe, fand es aber
immer für gerathen, um seine Magnaten fester an sich zu ketten, ihre Religion, den Bogunn
lismus als Staatsreligion zu verehren und sich auch als Bogumile, wenn auch nurlchem
bar, zu benehmen. Aber diese schwankende religiöse Haltung hielt die Päpste nie davon ab,
Stefan wenn auch oft in väterlich zürnendein Tone, doch mit der größten Achtung zu
begegnen. Die früheren Päpste im XII. und XIII. Jahrhundert hatten viel schärfere Mittel
angewendet, da der Bogumilismus als Patarenismns in die Lombardei eindrang und als
Mutterkirche der lombardischen Katharer und der fränkischen Albigenser galt.
Der bosnische Bogumilenchef (auch Papst genannt) hatte vielfache und wett verzweigte
Verbindungen im Westen und behauptete seine dominirende Stellung unter den Sectirern.
Als jedoch der religiöse Dualismus im Laufe des XIII. Jahrhunderts im Westen allmälig in
Verfall gerieth, glaubten die Päpste, daß es ihnen jetzt viel leichter gelingen werde, mit Hilfe
der katholischen Anjous die Bosnier zu bekehren. Es gelang ihnen aber doch nicht, wett
Karl von Anjou trotz seiner katholischen Überzeugungstrene mehr Gewicht auf sein freund -
schaftliches Verhültniß zu Ban Stefan legte, als daß er im Süden mit Feuer und L-chwerl
das Kreuz verkünden und sich dadurch auch dort noch Feinde hätte schaffen sollen.
Stefan hielt treu zu seinem Bunde, er bekriegte die aufrührerischen Familien der
Nelipic und ihrer Verwandten; ihm ist es zu verdanken, daß die Hauptstadt des alten
Kroatien, Knin, im Jahre 1326 wieder in ungarische Hände kam. Der Lohn dieser Hilfe
war die Erwerbung des Fürstenthums Chlm (Chelmo) im Narentathale, welche ihn in
innige Berührung mit Ragusa brachte. Das Fürsteitthum Chlm (Zahnmlje) war vom
X. Jahrhundert an ein sogenanntes Puffergebiet zwischen dem Küstengebiet und dem
bosnischen Binnenlande einerseits und zwischen Ragnsa und dem serbischen Gebiete andew
seits. Bald unter selbständigen Fürsten stehend, bald wieder als serbische Secundogenitur
verwaltet, wie unter Miroslav, dem Schwager Ban Kulms und Bruders Stefan Nemanjo
(dessen Evangelium unlängst edirt wurde), kam es Ende des XII. Jahrhunderts in den
Bereich der kroatisch-dalmatinischen Machtsphäre des Ärpadenherzogs Andreas, bis es
endlich nach wechselvollen Schicksalen definitiv an Bosnien gegliedert wurde. Diese
neue Erwerbung verleihen dem bisher vollkommen von der See abgeschlossenen
bosnischen Binnenlande eine erhöhte Bedeutung; anderseits vollzieht sich ein großer
Umschwung in der Politik Ragusas. Bis dahin war die Republik das Emporium des
südlichen Serbenthums gewesen; von nun an ist sie auch mit Bosnien verbunden. In dem
Maße, in dem die See- und Handelsinteressen des Serbenthums litten, entwickelten sich
diejenigen Bosniens. Dadurch kam es zu Reibungen und endlich zu einem Rachekriege des
^ — V
M,
Felsen von Drezniea mit Inschrift.
größten serbischen Herr -
schers, des Kaisers Dusan,
der die anfblichende und
emporstrebende Macht
Stefans nicht dulden
wollte, aber, wenn auch
anfänglich (1349) sieg -
reich, die neue Macht
nicht zertrümmern konnte.
Ans der Geschichte
der Balkanhalbinsel leuch -
ten in diesem Jahrhundert zwei Gestalten hervor: der
Serben-Car Stefan Dusan und König Ludwig I. von
Ungarn, der Sohn Karl Roberts, von seiner Nation der Große genannt. Car Dusan
wollte oströmischer Kaiser werden; seine Macht war gefürchtet von den Nachbarn, und
mit eiserner Konsequenz strebte er seinem Ziele zu. Aber er konnte seine Nation nicht
umgestalten. Sein Staat war locker gefügt, und nach seinem Tode zerrann all d.e
Herrlichkeit. Die Volkssage wand einen Strahlenkranz um sein Haupt; die Geschichte
aber bezeichnet seine Politik als eine rein persönliche, welche nicht ans der Volkskraft
ruhte Erfolgreicher erscheint das Wirken seines Zeitgenossen Ludwigs von A»;ou. Dieser
gründete eine Großmacht, welche sich um die Donau grnppirte und feste Ziele gegen
200
Ost und West verfolgte. Er war ein großer Feldherr, der die kriegerischen Fähigkeiten
seiner Nation entwickelte, seinen Staat organisirte, und ein weitausschauender Politiker,
dessen Blick von den entlegensten Punkten des Westens bis in die dunklen Länder des
damals noch beinahe unbekannten Nordostens reichte. Auch mit seinen! Reiche ging es
nach seinem Tode allmälig zwar auch abwärts; alle die Schöpfungen, die seinen! indivi -
duellen Geiste ihr Leben verdankten, gingen mit seinem Tode zugrunde; der Staat aber,
den er geschaffen, die Macht und das Ansehen der Nation erhielten sich auch dann, als
seine Erwerbungen abfielen. Er drang ans adriatische Meer vor, besiegte Venedig und wurde
Herr der Levante; das Land von Fiume bis Durazzo, von der Save bis zur Donaumündung,
das heutige Nordbnlgaricn sammt dein heutigen Serbien und Rumänien wurde in diese
Interessensphäre Ungarns einbezogen, und in diesen Bestrebungen zeigt sich die Richtung,
welche eine centrale Donaumacht damals verfolgen mußte. Als er die Tochter des bosnischen
Banns Stefan zu seiner Genialin erkor, war dies zugleich eine Regung seines Herzens
und die That des scharfsichtigen Politikers, der sich so den ruhigen Besitz des Balkan -
dreieckes sicherte, denn einen direkten Einfluß konnte der König nur dann ausübeu,' wenn
er selbst der unmittelbare Besitzer eines Theiles der Halbinsel war.
Sowohl in Serbien wie auch in Bosnien konnte sich nie ein Herrscherhaus längere
Zeit erhalten; entweder fehlten die Nachkommen oder es brach Bruderzwist in der Familie
aus, oder es konnte das Legitimitätsprincip nicht durchdrungen, weil die Stämme sich ihr
freies Wahlrecht nie nehmen ließen. Auch Stefan Kotromanic hatte keine männlichen
Sproffen, doch war sein Ansehen so groß, daß, als er (1354) starb, sein Neffe Tvrtko
seine Würde erbte. Mit Tvrtko tritt Bosnien in neue Bahnen.
Nicht ganz zwei Jahre nach Tvrtkos Regierungsantritt starb Dusan der Starte auf
dem Gipfel seiner Macht. Das Serbenreich zerfiel. Nachdem bis in die Mitte des
XIV. Jahrhunderts die serbischen Stammesgebiete bezüglich der königlichen Centralgewalt
eine centripetale, die bosnisch-hercegovinischen Binnenlaude aber im Gegentheile eine
centrifugale Tendenz gezeigt hatten, ändert sich mit dem Tode des Herrschers dieses
Verhültniß. Venedig war durch Ludwig von Anjou gedemüthigt, Ragnsa als freie
Republik pflanzte das Banner Ungarns auf (1358). Der junge Ban Tvrtko, obwohl
zuerst durch Jnsurrectionen der einzelnen Stammeshäuptlinge zur Unthätigkeit verurtheilt,
behauptete dennoch seine Gewalt.
Ein neuer Factor tritt schicksalsbestimmend auf die Bühne der Balkangefchichte: es
sind die Osmanen, denen es beschieden ist, die Balkanhalbinsel Jahrhunderte hindurch
beinahe vollständig zu besitzen.
In der zweiten Hälfte des XIV. Jahrhunderts, zur Regiernngszeit Königs Ludwigs
von Anjou und Dusans, gibt sich das Vordringen des türkischen Elementes nur mittelbar
201
kund. Zuerst warm es die Bulgaren, die der türkischen Macht erlagen; Byzanz hielt sich
noch wie ein einsamer Fels ün Meere; dann kam das serbische Volk an die Reihe. Tvrtko
hatte, als er von den Niederlagen der einzelnen serbischen Heere erfuhr, keineswegs den
Eindruck, daß die Reihe auch an ihn kommen werde, sondern benützte im Gegentheile
diese Niederlagen, um das serbische Gebiet, das von den Türken nicht angetastet wurde,
an sich zu bringen.
Die 37 jährige Regierungszeit Tvrtkos ist in zwei Abschnitte zu theilcn. In
der ersten Periode, bis 1377, strebte er als Ban nur langsam seinem Ziele zu, indem er
einerseits durch Unterwerfung der Vasallen seines Landes seine eigene Macht begründen
mußte, anderseits aber sich fest dem Ungarkönig Ludwig anschloß, dessen Oberhoheiter m
Urkunden viel ausdrücklicher und klarer als sein Oheim Stefan präcisirte. — „Dies
hat geschrieben der Diener Gottes und des heiligen Demetrius" — so lautet die Inschrift
von Dreznica — „in den Tagen der Regierung des Herrn ungarischen Königs Ludwig
(.1011111) und des Herrn bosnischen Bans Tvrtko."
König Ludwig I. unterstützte, um sich das neuerworbene Dalmatien zu sichern,
die bosnische Banalmacht nicht nur moralisch, sondern es war ihm geradezu darum zu
thun, sie in seinem eigenen Interesse zu kräftigen. Darum gewährte er dem Ban (1363 bis
1366) thatsächlich Unterstützung, und obgleich er als Bannerträger des katholischen
Glaubens (vsxilliksr tickst) die Ausrottung des Bogumilismus als eines seiner Ziele
hinstellte, hatte er doch immer nur Milde für den nicht allzugroßen Glaubenseifer Tvrtkos.
Als nun Tvrtkos Macht durch Annexion des oberen Drinagebietes, ferner Trebinje's und
Canale's auf Kosten der serbischen Staatstrümmer sich erweiterte, nahm Tvrtko, vielleicht
auf die Anregung, gewiß aber mit Einwilligung des Königs, den Titel eines Königs von
Bosnien und Serbien (1377) an und ließ sich im altehrwürdigen Kloster Milesevo zum
König salben. Dies war der bedeutungsvollste Moment seines Lebens und zugleich ein
Wendepunkt in der bosnischen Politik. Die Rolle, welche früher das Lerbenreich gegen -
über den Türken in Byzanz gespielt hatte, ging nun auf Tvrtko über. Was die Serben
nicht vermocht hatten, glaubte er durch Begründung einer neuen Macht vollziehen zu
können. Er war nicht minder zäh und rücksichtslos in der Verfolgung seiner Ziele wie seine
anderen Zeitgenossen; und wenn man die verschiedenen Bestrebungen, welche seine
Regierung charakterisiren, zusammenfaßt, sieht man darin die alte Balkanpolitik, die
Expansion auf Kosten anderer und die Kräftigung der eigenen Macht, welche unter
geschicktester Ausnützung der actuellen Lage von Freund und Feind gleichen Nutzen zu
zieheu wußte.
Er erkannte mit scharfem Auge, daß für die Geschicke Bosniens nicht mehr die
Savelinie, sondern die südliche Linie als Wetterseite gelten müsse, und beeilte sich,
202
mit den Türken ein leidliches Verhältniß anzustreben. Die serbische Macht, die der Major -
domus Dusans, Vnkasin, repräsentirte, war in der Schlacht bei Crnomen (1371) von
den Türken vollständig gebrochen, und der Serbenstaat als solcher zeigt sich uns nur
noch in Überresten, deren bedeutendstem der Fürst Lazar Vorstand. Nach diesem Ereignisse
vegetirte das Serbenthum nur noch, und die Türken hatten nichts weiter zu thun, als
die locker gewordenen Steine, einen nach dem andern, herauszuheben.
Am ausgiebigsten halfen dabei wiederum die serbischen Häuptlinge selbst, indem sie
sich mit beispielloser Schnelligkeit den türkischen Ideen anpaßten, mit den Türken
Familienverbindungen eingingen und ihre treuen Bundesgenossen wurden, ^m Jahre 1384
wurden Bosnien und die Hercegovina zuerst durch ein türkisches Corps ans Rnmili unter
dem Pascha Lala Sahin verwüstet.
König Ludwig (st l382) hinterließ keine männlichen Nachkommen. Seine Tochter
Maria wurde zwar als Königin anerkannt, aber die Politik ihrer Mutter, der bosnischen
Elisabeth, und die Unbeliebtheit ihres eigenen Gatten, des Luxemburgers Sigismund,
trugen dazu bei, daß eine große Partei die Rechte der mit Ludwig verwandten männlichen
Anjou in Neapel proclamirte. Tvrtko haßte seine Tante, die Witwe Ludwigs I-, weil
diese ihr Recht auf Chulm, ihr väterliches Erbe, nicht anfgeben wollte; sie hingegen haßte
ihren Neffen, weil er mit ihren persönlichen Feinden in Dalmatien Freundschaft schloß,
und so entstand die langjährige blutige Fehde, welche dem Pfingstkönige Karl dem Kleinen
(1386) und der Königin-Mutter Elisabeth selbst das Leben kostete. Die ungarische
Staatsgewalt war so geschwächt, daß sie die dalmatinischen Küstenstädte ihrem Schicksale
überließ; Tvrtko brauchte dieselben nur zu cerniren, und sie mußten sich ergeben. Noch
während dieser rebellischen Bewegungen geschah der erste große Vorstoß des Osmanen-
thums gegen den Rest der einstigen Serbenmacht, den Fürsten Lazar, im sogenannten
Altserbien.
Sultan Murad, der den Krieg durch verschiedene Plänkeleien seiner Paschas günstig
vorbereitet hatte, wollte nun mit einem Schlage Herr an der adriatischen Südküste
werden. Fürst Lazar, der ebenso wie Tvrtko in Verbindung mit den dalmatinischen
Aufständischen die ungarischen Besitzungen im heutigen Ostserbien verwüstete, wendete sich
nun in seiner Noch an alle Nachbarstaaten, auch an Tvrtko. Der große Kampf auf dem
Amselfelde (15. Juni 1389, nach den türkischen Quellen am 9. August) ist mit all seinen
Details eine oft beschriebene und noch öfter besungene Begebenheit, die in ihren
Consequenzen zwar überschätzt wird, aber in der Geschichte der westlichen Balkanhalbinsel
immerhin einen Markstein bildet. Das vereinigte Heer der Balkanvölker nahm übermüthig
und seine Feinde geringschätzend, den Kampf init jener Tollkühnheit auf, die diese Völker
immer auszeichnete, und verlor die Schlacht. Fürst Lazar siel und Sultan Murad winde
203
getödtet. Die Niederlage der Christen war vollständig; das tributäre Verhältnis; aller
serbischen Häuptlinge steht von nun an außer Zweifel, und das Serbenthnin streckte nicht
nur militärisch, sondern auch Politisch die Waffen vor dem stärkeren Feinde.
Dreizehn Jahre nach dieser Begebenheit leisteten in der Schlacht von Angora
serbische Kerntruppen dem Sohne jenes Sultans, der ihrem Fürsten und ihrer Lwndei.-
stellung eine Ende gemacht hatte, den tapfersten Beistand. Die Bedeutung der Schlacht
FelSinschrist von Dreznica mit dem Namen König Ludwigs.
auf dem Amselselde liegt nicht in dem Umstande, daß das Serbenthum politisch vernichtet
wurde, denn die Fürstenthümer des Stefan Lazarevic und der Brankovici dauerten noch
bis in die Mitte des XV. Jahrhunderts fort, sondern darin, daß die Volkskraft der
Serben ihre politische Individualität einbüßte und dem Sultan als dem Inhaber der
kaiserlichen Centralmacht sich willig fügte. Auch Tvrtko spielt bei diesem Ereignisse eine
Rolle. Einzelne Quellen berichten, daß das Hilfscorps, welches er dem König Vazcn
beistellte (es soll nach türkischen Quellen am linken Flügel unter persönlicher Aufführung
204
Tvrtkos gestanden haben), siegreich gewesen sei. Er hat über diesen seinen Sieg auch einen
Brief an die florentinische Republik geschrieben. Es ist möglich, daß Tvrtko ein Streifcorps
zurückschlug, gewiß ist es, daß er nach dem Siege der Türken zur Sicherung seines
Besitzstandes mit ihnen Frieden und sogar ein Bündniß schloß. Der Sieg der Türken
brachte ihm sogar Vortheile, die er sogleich benützte; denn er trat als Schutzherr der
serbischen Bergstümme ans und occupirte anderseits, mit Ausnahme der treuen Stadt Zara,
das ganze dalmatinische Küstengebiet; so erfüllte sich ihm der Traum seines Lebens, denn
es gelang ihm, ganz Bosnien sammt der Drinagegend, Novibazar, die Hercegovina,
einen Theil Montenegros von Antivari bis zum Drin unter seinem Scepter zu vereinigen;
Alles huldigte ihm, er war der mächtigste Mann im adriatischen Dreiecke. Die den Ungarn
abgcnommenen Gebiete organisirte er nach ungarischem Muster; er ließ alle Privilegien
der Könige von Ungarn gelten; er respectirte die katholische Religion und richtete die
Umgebung seiner Person nach dem Muster des Anjon'schen Hofes ein.
Sein Tod (1391) verhinderte die Vollendung und" Consolidirung seiner
Eroberungen. Es vergingen keine zwei Jahre, und all dieser ephemere dalmatinische Besitz
ging verloren, und zwar nicht durch das Los der Waffen, sondern durch freiwillige
Übergabe, in der Einsicht, daß die Knstenstüdte mit ihrer romanischen Bevölkerung durch
das schwache Königthum nicht beschirmt werden könnten.
Jndeß hatte das neue Königreich dennoch zwei große Errungenschaften aufzuweisen.
Trotz aller auscinanderstrebenden oligarchischen Elemente consolidirte sich das vereinigte
Bosnien und Hum (Hercegovina) als territorialer Sonderorganismus, und die von den
christlichen Mächten anerkannte bosnische Königswürde wurde ein sicherer Hort des
Weiterbestehens dieses Bergvolkes. Die königliche Macht konnte der großen sozialen
Umwälzung, die der Islam brachte, wenigstens eine Zeit lang siegreich Widerstand leisten.
In der bosnischen Geschichte spielt nach dem Tode Tvrtkos die Frage der Erbfolge
während der ganzen Dauer des Königreiches die wichtigste Rolle. Zwei grundlegende
Momente sind es, welche die bosnische Succession beeinflussen: theils das Seniorat, daß
nämlich nicht der erstgeborene Sohn, sondern der älteste Bruder oder Brndersohn dem
Könige folgt, und theils das Wahlrecht der Großen des Landes.
Ein kurzer Blick auf die genealogischen Verhältnisse der bosnischen Könige läßt dies
deutlich erkennen. Nach dem Ban Stefan KotromanU kam seines Bruders Sohn Tvrtko an
die Reihe; nach Tvrtko sein Bruder, manche behaupten sein Vetter, Stefan Dabisa; nach
diesem wieder Tvrtkos I. Sohn Stefan Tvrtko II., mit dem der legitime Mannesstamm der
Kotromane ausstarb. Sein Gegenkönig war der illegitime Sohn oder Neffe Tvrtkos I.,
Stefan Ostoja (gestorben 1418), dem auf sehr kurze Zeit (bis circa 1421) sein Sohn
Stefan Ostojic folgte. Auf Tvrtko II. folgte als legitimer König wieder sein natürlicher
205
Sohn Stefan Thvmas (gestorben 1461) nnd diesem sein Sohn, der letzte König, Stefan
Tomasevic (1463). Nicht einem dieser Könige war es gegönnt, den Thron in Frieden zu
erlangen, und seit dem Tode Tvrtkos l. hatte keiner freie Hand, sich seine Politik nach
seinen dynastischen Interessen einznrichten.
Das bosnische Königreich kann während seines Bestandes nicht als ein vollgiltig
souveräner Staat betrachtet werden. Im vorhergehenden Zeitalter hatten der Papst, der
König von Ungarn und die serbischen Nachbarn den Haupteinfluß auf den jeweiligen
politischen Cnrs ausgeübt. Jetzt war das Königreich bei dem großen Gegensätze zwischen
deni ungarischen Reiche, welches als das Schwert der Christenheit Mitteleuropa zu ver-
theidigen hatte, und der anstürmenden osmanischen Macht bald aus die eine, bald auf die
andere Seite angewiesen; in den meisten Füllen hielten es die Könige mit beiden. Die
ungarische Macht war nicht stark genug, um von Bosnien ans unmittelbar ihr Territorium
vertheidigcn zu können; die türkische Macht hinwieder hatte noch keine feste Basw, da
Constantinopel widerstand und die Grenzfestung Belgrad noch nicht in ihren Händen
war. Daher fiel Bosnien die Rolle des Nichtleben- und Nichtsterbenkönnens zu, welcher
traurige Zustand durch den Sieg der osmanischen Waffen beendigt wurde.
Tvrtko I. unterstützte und bereicherte die mächtigsten Familien des Landes, um
sie an seine Familie und an die königliche Würde zu ketten; doch erreichte er nur, daß
sein Bruder Stefan Dabisa auf den Thron gelangte. Hingegen benutzten alle die
Geschlechter, die ihm Macht und Ansehen verdankten, diese Gelegenheit, um die ohnedem
lockere Einheit des jungen Königreiches zu zerreißen. Auch dieser Umstand trug wesentlich
dazu bei, daß die von Tvrtko eroberten kroatischen nnd dalmatinischen Ländertheile wieder
an Ungarn fielen, und Bosnien war, mit Ausnahme der südlichen Erwerbungen, in seine
alten Grenzen znrückgedrängt.
Doch auch König Sigismund, der spätere römische Kaiser, vermochte, nachdem er
seine Gemalin Marie gefreit, in Dalmatien nicht festen Fuß zu fassen. Die große
Revolution, die (1403) an Sigismunds Stelle Ladislaus, den jungen und feigen
Sprößling des ermordeten Königs Karl auf den Thron bringen sollte, zeigt durchwegs
den Charakter des Familienkrieges im großen Maßstabe; denn alle die Geschlechter, die
an dieser großen Bewegung betheiligt waren, sind mehr oder minder miteinander
verwandt. Wir sehen rein ungarische Geschlechter im Bündnisse mit kroatischen und
bosnischen Magnaten gegen den legitimen König kämpfen nnd rein kroatische Familien
unentwegt zur königlichen Fahne stehen. Der Krieg wurde bis aufs Messer geführt; ganze
Geschlechter, zahlreiche Familien wurden ausgerottet, und das Ergebniß dieser langwierigen
Kämpfe war zwar die Anerkennung des ungarischen Staates im Binnenlande; aber
Venedig behielt via kacti die Küste (1433). Ragnsa bleibt zwar dem Banner Ungarns
206
treu, aber es sichert seine Existenz durch Bündnisse mit den Türken in Voraussicht der
kommenden Ereignisse.
Nichts beweist schlagender die Zusammengehörigkeit der Küste und des Binnen -
landes als die Geschichte dieser Epoche. Als Ungarn die dalmatinischen Küsten verlor,
führte es zwei Kriege (1404 und 1408) um den Besitz Bosniens. Zwar erfocht König
Sigismund (bei Dobor) glänzende Siege, der ungarische und siebenbürgische Adel von
der Theiß und Siebenbürgen strömte in Massen unter seine Fahne, er setzte bald den
einen König Stefan Tvrtko II., bald den anderen Stefan Ostoja ab: dauernd aber
konnte er seinen Einfluß trotz des vergossenen Blutes nicht behaupten. Während dieser
Wirren spielen die einheimischen Könige nur die Rolle von Schattenherrschern. Man kennt
ihre Urkunden, in denen sie mit großer Energie ihre Rechte ans dem Papier verkünden; aber
thatsächlich liegt die bosnische Macht nicht in den Händen der nominellen Staatsober -
häupter, sondern sie findet sich bei den Verfechtern der Stammesnnabhüngigkeit, den
Wojwoden Hervoja Hrvatinic und Sandals Hranic.
Hervoja Hrvatinic ist in dieser Periode (1390—1415) der bedeutendste Lenker
bosnischer Geschicke; ohne sein Wissen geschieht nichts auf diesem Territorium. Er ist eine
rauhe, zielbewnßte, kernige Gestalt, ein echter Falke, wie die Helden in den südslavischen
Liedern genannt werden, welcher seine Person und seinen Besitz kühn vcrtheidigte. Er besaß
das heutige West-und Südwestbosnien, gründete die später zu großer Berühmtheit gelangte
Festung Jajce und hielt es bald mit dieser, bald mit jener Partei, von der er einen Nutzen
erhoffte. Zuerst wollte er dem neapolitanischen Königssohn Ladislaus zum Throne verhelfen
und erwarb sich von diesem den Besitz Spalatos, wurde Herzog von Spalato und Ober-
feudatar von Bosnien. Später söhnte er sich mit König Sigismund aus, erhielt von ihm die
Bestätigung seines Besitzes, sowie den im Jahre 1408 gestifteten Drachenorden, mit welchem
sonst nur Landesfürsten und die Vornehmsten ausgezeichnet wurden. Im großen, zu Ehren
des Polenkönigs im Jahre 1412 in Ofen abgehaltenen Turnierspiele erschienen — wie
der Polnische Chronist Dtngosz berichtet - „Sendal, Herzog von Bosnien, und König
Carwen (Hervoja) und gestalteten in Gegenwart ihrer Gemalinnen dieses Spiel besonders
festlich, da auch ihre Ritter von hoher und vornehmer Statur tapfer und
mnthig im Kampfspiele auftraten".
Doch dauerte dieses freundschaftliche Verhältniß des mächtigen Hervoja, der seine
eigenen Agenten in Ragusa, Venedig und Serbien hatte und Münzen Prägen ließ, zum König
Sigismund nur so lange, bis ihn Sandalj Hranie, der Fürst der heutigen Hereegovina,
aus der Gunst Sigismunds verdrängte und so in die Arme der Türken trieb, was aber
Sandalj später nicht daran hinderte, mit Hervoja gemeinsam vorzugehen. Bis zu seinem
Tode (1416) behauptete Hervoja nun seine unabhängige Stellung; er besiegte seine Feinde
207
mit Hilfe der Türken (im Juni 1415 die große Niederloge der südungarischen und slavo-
nischcn Banderien an der Usora) und, um das Werk seiner Rache zu krönen, war er es,
der die Türken nach Bosnien führte und dem Sultan den Rath gab, aus dem heutigen
Südostbvsnien einen eigenen Sandzak zu bilden.
Nach dem Tode Hervojas sehen wir nur mehr die Trümmer der einstigen Macht
Tvrtkos. Das heutige obere Bosnien wird ron den Ungarn dem König Tvrtko U.
verliehen, welchen Sigismund ans der Gefangenschaft entläßt; der Gegenkönig Ostoja
Visoko.
behauptet sich mit türkischer Hilfe im Südwesten des Territoriums. Aber die Geschicke
werden nicht mehr von Ungarn aus bestimmt, weil die militärische Grenze Ungarns in der
bosnischen Posavina zerstört ist und sich bloß noch auf die Savelinie beschränken muß.
Die Schlagfertigkeit der türkischen Streitmacht konnte jeden Moment die bosnischen
Könige in Schrecken setzen, und so geschah es, daß sie bereitwilligst den Tribut zahlten,
der zwischen 15.000 und 30.000 Ducaten betrug. Es war ein analoges Verhältnis;
wie später zwischen der Moldau, Walachei, Siebenbürgen und der Pforte; die Könige
waren die Schutzbefohlenen des Sultans. Von dieser Zeit her datirt auch die Verbreitung
des Islams unter den Bosniaken.
208
Zuerst wurde im Osten und im Mittelpunkte des Landes der türkische Glaube
gepredigt. Nicht durch den Säbel, sondern durch fromme Derwische wurden schon im
Laufe des XV. Jahrhunderts Viele bekehrt, es wurden Moscheen gebaut, Schulen errichtet,
und Christen sowie Bogumileu bekehrten sich, weil sie, außer Contact mit der übrigen
Christenheit, gar bald jedes Rückhaltes beraubt waren. Daß die Bogumilcn die.neue
Religion viel leichter annahme», ist selbstverständlich, umsomehr, als ja der Islam besonders
in der ersten Zeit dadurch Proselyten machte, daß er den convertirten Oligarchen ihre frühere
Stellung, ihre Freiheiten und Privilegien beließ, und die Neubekehrten nichts anderes als
die Oberherrlichkeit des Sultans anerkennen mußten. Zwar wurden die Türken sammt
ihrer Propaganda aus ihrem neubosnischen Sandzak (Vrhbosna) gar bald verdrängt,
jedoch nicht auf längere Zeit. Die Grenze zog sich zurück, aber der Einfluß blieb.
Bald darauf machte sich eine neue Macht auf bosnischem Territorium bemerkbar —
die Familie Hranic, die das alte Land Hum, das Gebiet der heutigen Hercegovina, unter
türkischer Oberherrschaft zu einem Großwojwodat erhob. Dieses Geschlecht steckte sich später
im Kleinen dieselben Ziele, welche einst Tvrtko l. verfolgt hatte. Die Hranici errichteten
in der Mitte des XV. Jahrhunderts (1448 und zwar urkundlich erwiesen unter der Ägide
des Kaisers Friedrich III., deshalb hieß nun dies Gebiet die Hercegovina) das Herzogthum
des heiligen Sava und trachteten dasselbe jetzt unter türkischer Oberherrschaft als Grund -
stock einer neuen christlichen Macht auszubilden.
Im Laufe des XIV., noch mehr aber des XV. Jahrhunderts kam auch der europäische
Westen zur Erkenntniß, daß im Osten eine neue Macht im Entstehen begriffen sei, die
nicht nur Constantinopcl zu erobern trachte, sondern es auf die Unterwerfung der gesammteu
Christenheit abgesehen habe. In den östlichen Marken des deutschen Volkes, in Kärnten
und Krain, war man sich bald klar darüber, daß die Kämpfe in der „Sirfey" (Serbien)
und „Wossen" (Bosnien) etwas ganz anderes bedeuteten, als bloße Räubereien der Heiden.
Doch Kaiser Sigismund, der zuerst in der Christenheit selbst Frieden stiften mußte, konnte
nicht gleichzeitig den moralischen Untergang des westlichen Christenthums und die politische
Zerrüttung des Ostens verhindern. Das einzige, was er thun konnte, that er in der
Schlacht bei Nikopvli (1396); er führte dort den ganzen Westen ins Treffen, doch die
centrale Gewalt des „Blitzes", wie der Sultan Bajazid genannt wurde, warf die uneinigen
Heere nieder. Nur Timur Lenk rettete damals Ungarn sammt Byzanz.
Der gute Wille der Paläologen und die Bemühungen der Päpste, die Christenheit
zu einigen, schlugen fehl. Die Katastrophe mußte eintreten, Cvnstantinopel sollte den
Osmanen anheimfallen. Ungarn hatte seine bis zu dieser Zeit so wichtige Rolle als
aggressiver Vertheidiger schon Anfangs des XV. Jahrhunderts ausgespielt, es war nur
mehr auf seine eigenen Hilfsgnellen angewiesen. Doch auch in dieser kraftlosen Epoche sagt
209
das Gesetz (1433), „daß Basmen als unmittelbares Reichsterritorium zu betrachten sei".
Venedig begnügte sich mit dem Meere, es gab also keine Hilfe mehr für die allseits dem
Brande überlieferten Binnenländer. Als nach dem Tode des Königs Stefan OstojU
Stefan Tvrtko II. Alleinherrscher des nunmehrigen gesammten Bosniens wurde, trachtete
er einerseits in den Grafen von CM, diesem schon beinahe orientalisch angehauchten
slavisch-deutschen Rittergeschlechte eine Stütze zu finden; anderseits diente er Ungarn
und zahlte seinen Tribut an den Sultan. All sein Streben war vergebens. Die serbischen
Festung Dobor.
Despoten, wie sie nun genannt wurden, sowohl Stefan Lazarevic (Sohn des Knezen Lazar
von Kossovo), wie auch Georg Brankovic, waren nach bosnischen Ländereien lüstern und
brachten das erzreiche Srebrenica an sich, während anderseits Herzog Stefan in St. Sava
(Hercegovina) gleichfalls nach seinem Besitz trachtete. Sie setzten ihre Pläne auf eigen-
thümliche Art durch, indem sie das bosnische Gebiet Tvrtkos einfach vom Sultan kauften.
Bei all diesen Verhandlungen spielte Jshak Beg in Skoplje am Vardar die Vermittler -
rolle. Er gewann die Vornehmen des Landes und nach seinem Gutdünken wurde
geplündert oder geschont. Despot Brankovic zahlte für seine Immunität dem Sultan mit
der Hand seiner Tochter Mara und dem Gebiete von Krusevac, Sandals Hraniö mit
Geld (1433); Tvrtko aber mußte fliehen.
Bosnien und Hercegovina. 14
210
Drei Jahre vergingen nach diesem Handel, den aber die Bosnier nicht ratificirten.
Die entstandene Gährung wurde erst durch Tvrtkvs Rückkehr gedämpft, der seinen Sitz zu
Bobovac, einer in enger Felsschlucht östlich der Bosna geborgenen, schwer zugänglichen
Burg nahm und es für klug fand, dem Sultan eine größeren Tribut zu entrichten.
Diesem vollkommenen Vasalleuthum gab das Auftreten Johann Hunyadys, des größten
Feldherru seiner Zeit, eine andere Richtung.
Alle die kleinen Herrscher und Könige, Serben, Hercegoviner, Bosnier, Albanesen
lauschten den Siegesnachrichten, welche 1440 bis 1444 aus dem Heerlager Hnnhadys
zu ihnen drangen; keiner wollte mehr den Tribut entrichten, und es schien wirklich die
Zeit gekommen, da die vereinten Christen dem Islam würden standhalten können. Bosnien
wendete sich naturgemäß dem neuen Retter zu und bis 1456 blieb Hunyady Lenker der
bosnischen Politik. Das Ziel dieses auch politisch scharfsichtigen Feldherrn war die Zurück-
werfung der Osmanen nach Asien; dazu aber war die Einigung aller christlichen Elemente
nothwendig. Er ist der erste, der nicht nach Orthodoxie oder Lateinerthum fragt, sondern
nur den Begriff Christ aufstellt. Während der Papst und die früheren Ungarkönige all
ihren Einfluß aufgeboten hatten, um den Bogumilen den Katholicismus aufzudrängen und
dennoch nichts erreichen konnten, gelang es dem Prestige Hunyadys auch in dieser Richtung
einen namhaften Erfolg zu erzielen.
Als Tvrtko II. ohne Nachkommen starb, kam der illegitime Sohn Stefan Ostojas
Stefan Thomas auf den Königsthron (1444 bis 1461). Die Zeiten Karl Anjous und des
ersten Kotroman schienen wieder aufzuleben, denn die Siege Hunyadys verhießen den
Binnenländern neues Gedeihen. Der treue Türkenfreund Sandalj Hranic starb 1435; sein
Neffe Stefan, dessen Herzogsburg, Stjepangrad genannt, noch heute als Ruine auf die
Narenta-Ebene bei Mostar herunterschaut, beherrschte nun die Hercegovina, ein echter
Bogumile vom alten Schlage, der aber sehr wohl einsah, daß es nur in seinem Interesse
gelegen sei, seine Tochter, die stolze Katharina, dem zwar unehelichen, aber von Hnnyady
beschirmten bosnischen Könige zur Gemalin zu geben.
Auf dem päpstlichen Stuhle saß damals Eugen IV., welcher Alles aufbot, um die
Türkengefahr abzuwenden. Es gelang ihm, den illegitim gebornen König der katholischen
Richtung zu gewinnen, der nun seine bogumilische Frau entließ und, vom Papste für legitim
erklärt, auch seine neue Frau, die Hercegovinerin Katharina, zum Übertritte bewog. Das
Beispiel des Königs wirkte. Hunyadys Siege, welche im Frieden zu Szcgedin (1444) auch
die Erweiterung des bosnischen Gebietes zur Folge hatten, bewirkten den Übertritt eines
bedeutenden Theiles der Bevölkerung. Die Bewohner von Kresevo und Sutjeska, gerade
diejenigen, die in der Umgebung der königlichen Residenz im Herzen Bosniens wohnten,
die eigentlichen Bosnier, traten, durch den Eifer der Franciscaner überzeugt, sämmtlich
Hervoja Hrvatiniö Vukcit! (Großvojvode Bosniens).
Osmanen aufstellte. Als Feldherr folgte er immer dem Grundsätze, den Feind auf dessen
eigenem Gebiete aufzusnchen, und so betrachtete er den Despoten Brankovic in Serbien,
wie auch Bosnien als seine ständigen Vorposten gegen das Türkenthum. Die beiden
unglücklichen Schlachten von Varna (1444) und auf dem Amselfelde (1448), in denen er
>-r-
212
zwar der türkischen Übermacht erlag, bedeuteten dennoch nicht die Zertrümmerung der Wehr.
machtHunyadys. und auch dieBalkanvölker wußten wohl, daß dieseKriege in ihrem Interesse
geführt waren. Die Schlacht auf dem Amselfelde bezweckte direct die Erweiterung des
bosnischen Gebietes und bewog Stefan Thomas, entschiedener mit Hunyady zu gehen. Doch
selbst in diesen drangvollen Zeiten wollte sich der Antagonismus zwischen Bosnien und
Serbien nicht verleugnen. Brankovic hatte bosnisches Gebiet inne. Und obwohl die
Magnaten Bosniens wegen der katholischen Propaganda ihrer Könige grollten, betrachteten
sie es als eine Hauptaufgabe, die Serben aus dem Lande zu drängen. Die Familien -
verbindung mit dem Fürsten der Hercegovina hinderte auch den König nicht, seinen
Schwiegervater zu bekriegen und die unmittelbare Oberhoheit Bosniens über dieses Gebiet
zu erwerben. Aber immer wieder wußte Hunhady den Streit — oft durch sehr drastische
M^tel — zu schlichten und er war es, der den bosnischen König zum Frieden mit
Brankovic zwang (1451).
Doch auch Hunyady verkannte gewissermaßen die Lage Bosniens. Stefan Thomas
war gewiß ein guter Katholik und eifrig in der Propaganda, wie alle Neophyten; er bot
alles auf, um den Adel zum Beitritte zu bewegen; aber als Kenner seines Landes trieb
er die Bekehrung nie auf die Spitze und glaubte vernünftigerweise, daß mit der Zeit
der Übertritt auch so erfolgen werde. Hunyady jedoch sah nach seiner Auffassung in dem
Schwanken des Königs nur Lauheit; er wollte alle türkenfreundlichen Elemente auf ein -
mal ausrotten. Der Erfolg dieser energischen Maßregeln war nun, daß die bogumilischen
Adeligen in die Arme der Türken getrieben wurden; und ebenso wie die Hugenotten m
Frankreich mit den Engländern gegen ihr eigenes Land conspirirten, gaben erklärlicher -
weise die vertriebenen Bogumilen, im Gegensatz zur päpstlich-ungarischen Richtung, dem
Sultan den Vorzug. Man muß dem Papste darin recht geben, daß er die oft widerspruchs -
volle bosnische Politik viel milder beurtheilte als die ungarischen Könige.
Allen diesen Streitigkeiten machte die Erstürmung Constantinopels durch Mehmed,
den Eroberer, ein Ende. Die Nachricht vom Falle der oströmischen Metropole rief
eine förmliche Betäubung hervor, denn er bedeutete den endgiltigen Sieg des Islam über
das Balkan-Chriftenthum. Solange Constautinopel noch im Besitze der Palüologen war,
hatte man immer gehofft, daß die Türken doch noch nach Asien zurückgeworfen würden; jetzt
durfte nur mehr von Defensive die Rede sein. Daß dieser harte Schlag mit allen seinen
Folgen sich nicht allzubald fühlbar machen konnte, war dem Siege Hunyadys bei Belgrad
(1456) zu danken, der den Eroberer der östlichen Welt in seinem Vordringen auf lange
Zeit hinaus zum Stillstände brachte.
Nach diesem Siege kam neues Leben in die nördlichen Balkanvölker; Alles hoffte
Rettung von diesem Feldherrn, der leider bald nach dem großen Kampfe starb. Doch war
214
der Sieg so nachhaltig, daß wenigstens die Donau- und Savegrenzen gesichert blieben.
Stefan Thomas, obwohl er insgeheim nicht alle Verbindungsfäden mit den Türken
abriß, stand auf Seite der Christen. Im März des Jahres 1457 erbat er sich vom Papste
Calixt 111. eine Standarte, unter welcher er den Kreuzzug gegen die Türken unternehmen
könnte. In demselben Jahre empfing er den apostolischen Legaten, Cardinal Carvajal, m
der Burg zu Dobor und erhielt von seiner Hand die Taufe, obzwar er sich schon längst
als Christ fühlte. Nach altbosnischer Sitte trachtete er nun, indem er seinen Sohn Stefan
Tomaseviö mit Helene, der Enkelin Brankovic's, verheiratete, sich in den Besitz der noch
intacten serbischen Länder zu setzen. So erhielt er die Festung und das Gebiet von
Smederevo nebst der Rolle, die Donauländer gegen Südost zu vertheidigen. Doch diese
ephemere bosnisch-serbische Vereinigung oder, besser gesagt, dieses Streben, das serbische
Gebiet Bosnien unterthan zu machen, rief eine große Veränderung in der bosnischen
Politik hervor; denn Stefan Thomas mußte nun auch das Erbe der Brankovic mit in
den Kauf nehmen. Auf der Breitseite seines Landes mit den Türken in Berührung, durfte
er nicht durch allzu scharfes Auftreten diese provociren; dadurch entstand eine Zwei -
deutigkeit des Verhaltens, die später den (1458) zum Könige erhobenen Sohn Hunyadhs,
den großen Mathias Corvin, zu fortwährendem Mißtrauen stimmte.
Dieses Mißtrauen erreichte seinen Höhepunkt, als im Jahre 1459, schon drei vZahie
nach dem glänzenden Siege von Belgrad, die Festung Smederevo in türkische Hände fiel.
Als Ursache der lauen Verteidigung galt allgemein der Umstand, daß der bosnische König
und sein Sohn diese Festung einfach verkauft hätten. Anderseits wird auch bemerkt, daß
die neuen serbischen Unterthanen der bosnischen Könige den Nachfolger ihres geliebten
alten Despoten Georg nicht als Ihresgleichen, nicht als Fleisch von ihrem Fleische und
Blut von ihrem Blute betrachteten, sondern als einen Fremden, dem sie die türkische
Herrschaft vorzogen. Mit dem Falle Smederevos war auch das Los Serbiens besiegelt,
und man kann mit vollem Rechte behaupten, daß die Türken Serbien nicht durch die
Schlacht von Kossovo, sondern erst jetzt endgiltig eroberten.
Zwei Jahre nach diesem Ereigniß starb der vorletzte König Bosniens, der nicht
unterlassen hatte, sich bei der päpstlichen Curie des Wohlwollens zu versichern und hinter -
ließ seinem Sohne einen von allen Seiten bedrängten Staat.
Stefan Tom asevic, den man (nicht erwiesenermaßen) als Vatermörder hinstellt,
trat in die Fußstapfen seines Vaters. Wir müssen aber betonen, daß das eigentliche Bosnien,
das Königreich, sich nur auf die von der Bosna westwärts liegenden Gebiete erstreckte;
dazu gehörten natürlich auch dieGegeuden von Livno und Konjica,während der östliche Theil
sammt dem heutigen Serbien schon den Türken unterthan war. Die beiden letzten bosnischen
Könige fühlten die Unzulänglichkeit des Territoriums, und der Grund ihrer türken-
215
freundlichkeit ist auch durch die Hoffnung zu erklären, daß sie als unterwürfige „Sclaven"
des Sultans Vrhbosna sammt dem Ostgebiete als Lehen erlangen könnten. Die Türken,
die nunmehr beinahe ein Jahrhundert lang mit diesen Völkern in Berührung gestanden,
waren Politisch wie militärisch gleich geschult und erkannten die kleinlichen Ränke und
den Charakter ihrer Nachbarn wohl noch besser, als diese selbst es ahnten. Der Sultan
in Constantinopel war sehr wohl über die Verhältnisse unterrichtet, und schon aus frühen
Zeiten hören wir Klagen über mohammedanische Spione, die das ganze Land bereisten und
die türkischen Befehlshaber über alle Örtlichkeiten und Persönlichkeiten genau unterrichteten.
Mathias Corvinus war bald im Klaren darüber, daß er in einem bosnischen Könige,
der seinen Tribut dem Sultan entrichten mußte und zu einem schwankenden Verhalten
gezwungen war, nie einen treuen und verläßlichen Verbündeten seiner Macht finden könne.
Der letzte König suchte sein Heil bei dem Papste. Er warf sich der Curie in die
Arme, bot sein Königreich dem heiligen Stuhle an und ließ sich im Jahre 1461 sozu -
sagen als päpstlicher Vasall krönen. Mit dieser That wollte er beweisen, daß das ehemals
bogumilische häretische Königthum nun ein rein katholisches sei, und glaubte sich dadurch
in den Schutz des Westens zu begeben. König Mathias hielt das Ganze für eine Komödie,
er grollte auch deßhalb dem Papste und machte ihm Vorwürfe, daß er sich von dem
Verräther Smederevos habe hintergehen lassen.
Als der König den richtigen Moment erfaßt zu haben glaubte, verweigerte er dem
Sultan öffentlich in verletzender Weise den Tribut. Nunmehr mußte ihm der Westen zu Hilfe
kommen. Aber er hatte sich verrechnet. Sultan Mehmed zog in Eilmärschen mit einem
großen Heere heran, eroberte mit Leichtigkeit das seinen Heerführern wohlbekannte Land,
und in kaum zwei Monaten war ganz Bosnien unterworfen. Stefan Tomasevic, der
König, wurde (wahrscheinlich bei Jajce, im Juli 1463) getödtet. Auf alle Fälle beging der
Sultan einen vorsätzlichen politischen Mord, indem er den alten staatsmännischen Grund -
satz des Orients befolgte, daß das Reich sammt seinem Oberhaupte vernichtet werden müsse,
deßhalb rottete er die Dynastie aus. Ein Bruder des Königs wurde Mohammedaner,
seine Stiefmutter Katharina aß das Gnadenbrot des Papstes in Rom, wo ihr Grabstein
an einem Pfeiler der Hauptkirche der Franciscaner bei eooli noch heute steht.
Werfen wir nun einen Rückblick auf die politische Geschichte des königlichen Bosnien,
so ergreift uns nicht jenes historische Mitleid, das wir bei der Betrachtung großartiger
Trümmer, bei dem Sturze kolossaler Institutionen empfinden; es ist einfach das Zusammen -
sinken eines Organismus, der nach seiner Beschaffenheit keiner selbständigen Entwicklung
fähig, dem damals übermächtigten Osten erlag. Der Fall Bosniens ist eine Conseguenz
jener neuen weltgeschichtlichen Evolution, welche mit der Eroberung Constantinopels eine
neue Aera einleitet.
216
Die geschilderte politische Entwicklung Bosniens bildet nur das Relief des inneren
Lebens, dessen Kenntnis; interessante Aufschlüsse gibt und das wir daher in den Haupt -
momenten beleuchten wollen. Wie schon aus der politisch-historischen Skizze hertwrgeht,
besaß das Banat Bosnien nie die volle Souveränität, indem die jeweiligen Bane ohne
Ausnahme, von politischer Nothwendigkeit gedrängt, die Macht eines leitenden Staates
anerkannten. Das bosnische Königreich war, mit Ausnahme einer elfjährigen Periode
(1382—1393), ebenfalls theils dem Königreich Ungarn, theils dem Sultan, oder auch beiden
zugleich unterthan. Diese Oberhoheit kann aber nur in dem Sinne gedeutet werden, daß bis
zu dem endgiltigen Falle des bosnischen Sonderkönigreiches die innere sociale Entwicklung
sozusagen in unabhängiger Richtung vor sich ging und der Jndividualitätssinn der
Bosnjaken dem fremdländischen Einflüße nicht erlag, sondern immer nur je nach den
einzelnen Perioden mehr oder weniger davon in sich aufnahm. Es kann von einem speciellen
bosnischen Rechtsleben, von einer besonderen bosnischen nationalen Entwicklung nur in
dem Sinne die Rede sein, daß sich auf bosnischem und hercegovinischem Territorium
gewisse, entweder überall gleiche oder fremde, recipirte Institutionen nach den jeweiligen /
actuellen Verhältnissen entwickelten und so den übrigen gegenüber eine Besonderheit
anfweisen.
In Bosnien führte die beinahe immer lockere Centralgewalt des Oberhauptes
zu einem in den einzelnen Theilchen gleichsam noch nicht fest zusammengekitteten, aus
Clan-Territorien bestehenden Bundesstaate. Wenn wir uns den westlichen Theil der
Balkanhalbinsel zur Zeit der Völkerwanderung als ein Trümmerfeld vorstellen, sehen
wir, daß die Croaten denjenigen Theil dieses Gebietes besetzten, in dem sich die Trümmer
der ununterbrochenen römischen Entwicklung am zahlreichsten erhalten haben. Es ist
daher ganz natürlich, daß die Croaten mit ihrer primitiven Gauverfassung diese weitaus
vorgeschrittenen Elemente absorbirten und sich dann nach dieser Richtung entwickelten.
Die Serben fanden zum Theile schon gemischte byzantinisch-römische Institutionen
vor, nahmen den orthodoxen Glauben an und empfingen so die meiste Einwirkung
von der noch lebenden oströmischen Macht von Constantinopel. Das bosnische Banat
hingegen fand im besten Falle nur diejenigen sporadischen Elemente vor, die, schon
in den Römerzeiten durch die römische Eroberung in ein Unterthanenverhältniß
herabgedrückt, im Lande seßhaft waren. So stehen die Bosnier in erster Linie
als Besitzergreifer und Colonisten des Territoriums da und vertreten in zweiter
Linie nun statt der entschwundenen römischen Eroberer die factischen Herren des Landes
gegenüber dem Vorgefundenen wenig zahlreichen, nichtslavischen Elemente. Sie konnten
daher ihre socialen Verhältnisse weniger beeinflußt von Vorgefundenen Schemen und
thatsächlichen Verhältnissen in's Leben treten lassen als ihre Nachbarn. Der römische,
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beziehungsweise byzantinische Einfluß wirkte nur mittelbar ans sie ein. Diesen Einfluß
können wir bei Betrachtung der Entwicklungsgeschichte Bosniens nicht in Zweifel
ziehen; lag doch Ragusa nahe bei Chulm, der späteren Hercegovina, Spalato nahe
dem südwestlichen Bosnien und in beiden hatte sich das altrömische Municipalwesen
unter geänderten Verhältnissen, jedoch in continuirlicher Weise erhalten. Während sich
aber bei den Croaten und Serben durch das tiefe Eindringen des Christenthums das
ganze Volksleben, wenn auch von zahlreichen Überresten des Heidenthums durchsetzt,
umwandelte, erhielt sich in Bosnien bis zum Dnrchgreifen des Islam, der vom XV. bis
zum XIX. Jahrhunderte bei den Bosnjaken dieselbe Rolle spielte, wie bei den Croaten
und Serben der christliche Glaube, der alte bosnische Stammesgeist viel frischer und
urwüchsiger. Und hierin sehen wir die soeiale Bedeutung des bogumilischen Glaubens,
der zwar die uniforme Entwicklung, die Einwirkung der mittelalterlichen Cultur verhinderte,
aber anderseits die endemischen Formen aufrecht erhielt.
Ihren Nachbarn gegenüber bildete die bosnischeSocietüt einenbesonderenterritorialen
Staat, dessen Einwohner Bosnjanin, Bosnenses genannt wurden. An der Spitze
standen die Oberhäupter, Boljaren, Optimates, welche insgesammt den Adel bilden
und ihrer staatsrechtlichen Stellung nach in vielen Beziehungen dieselbe Rolle spielen wie
in Ungarn die nokilos raKni, die sich schon im XIV. und XV. Jahrhundert als Mitglieder,
Theilinhaber — wir möchten sagen Actieninhaber — der Staatsgewalt fühlten. Alle
Acte von internationaler Wichtigkeit, wie auch die wichtigsten inneren Angelegenheiten
konnte und durfte der Ban, und später der König nicht ohne den Rath, das heißt ohne die
Einwilligung seiner Bojaren vollziehen. Unzweifelhaft entstand der bosnische Adel, wie
in der primären politischen Entwicklung überall, aus den Stammes- und Familienhäuptern,
welche eine gewisse Rolle spielten und diese dann theils als Titel, theils in Form von
ererbten Privilegien zu einer überragenden Stellung steigerten. Diese überragende Stellung
behauptete der bosnische Adel im Laufe der ganzen bosnischen Geschichte. Bosnien und die
Hercegovina verblieben sogar während der türkischen Occnpation ein aristokratisches Land im
Sinne der alten Verfassung, während der serbische Adel theils ausgerottet, theils zu Osmanlis
gemacht wurde, theils sich in den benachbarten Gebieten zerstreute. Das Land war in Zupen,
in denjenigen Theilen aber, die früher unmittelbar zu Ungarn gehörten, in Comitate und
einzelne Districte getheilt. Die Zupen oder Gaue bildeten die administrativen und gericht -
lichen Bezirke, die einen Banalbeamten, den Vlaclnlaa zum Vorstande hatten. Die Edelleute
waren aber nur dem Ban, beziehungsweise dem Könige unterthan und hatten die einzige
Verpflichtung, ihm im Kriegsfälle beizustehen. Die Bezeichnung „Boljar" wechselt mit dem
serbischen Vlnsleliii und oft auch mit der Bezeichnung UUnaonik, welche in Bosnien im
Mittelalter nicht nur den Stammesangehörigen, sondern auch den Nobilis bedeutet; und
220
unter xckeinainta rwriüsa versteht man den adeligen unabhängigen Grundbesitz. Ein Mittel -
stand konnte sich in Bosnien ebensowenig wie in Serbien entwickeln; höchstens sieht man
einige Spuren davon in den Städten, die sich theilweise mit eiugewanderten Sachsen und
Ragusaern bevölkerten und die königlichen Festungen bildeten (Olovo, Srebrenica). Der
Herrenstand war die Kriegerkaste; das Volk bestand aus Ackerbauern und Hirten; die
Bergwerksarbeiter und Industriellen recrutirten sich aus Fremden. Das Volk im Allgemeinen
wurde mit dem Namen Istucki bezeichnet; später wurde dieser Name auf die Truppen
angewendet, und die Ackerbauer hießen generell Lrneti. Überhaupt können wir den
Herrenstand, die Fremden, zeitweilig die christliche Geistlichkeit — von den Bogunulen
wissen wir eben nichts Genaueres — zu den Freien rechnen, während wir die Kmete alv
staatsrechtlich Unfreie bezeichnen dürfen.
Im Großen und Ganzen genommen ist das Verhältniß dasselbe wie im mittel -
alterlichen Ungarn und im Dusan'schen Serbien. Während sich aber in Ungarn seit dem
Jahre 1405 noch ein zwar fremder, aber doch lebenskräftiger Mittelstand ausbildete, und
dann persönlich freie, wenn auch nicht adelige Territorialelemente sich entwickelten, gab
es in Serbien nur zwei Volksclassen: die VIrmtolnund Lsrbi (eki-pu); die letzteren waren
die Unfreien und konnten nicht Mitglieder des Labor, das heißt der Staatsgewalt,
werden. Zu den Vlastela oder Freien gehörten wie in Ungarn in erster Linie die geist -
lichen Stände, welche wieder in die höhere und niedere Geistlichkeit eingetheilt wurden.
Zur höheren Geistlichkeit gehörten der Metropolit, der Bischof und der Archimandrck; zur
Niederen die fungirende Weltgcistlichkeit, die Exarchen, Protopopen und die Mönche, die
Kairoers, und zahlten keine Kopfsteuer. Die Lorbi, besser gesagt Leibeigenen, Isucki
crbovni auf den geistlichen Gütern, welche Notoebia genannt werden, konnten zu Dienst -
leistungen für den Staat nicht verhalten werden und waren direct nur den Kirchen
zugewiesen. Der Besitz der Klostergüter war ausschließlich der Geistlichkeit gesichert, was
auch die berühmte vom bosnischen Landesmuseum edirte goldene Bulle Uros Milutins
beweist. Aber auch der Laiengeistlichkeit wurden von dem speciellen Kirchenbesitze immer
eigene Ländereien zugestanden. Wenn sie aber noch mehr Besitz pachteten, zahlten sie die
Abgaben an die Kirche sowie Leibeigene.
Hatte eine Kirche keinen Besitz, was eben im Bereiche von Privatbesitzungen der
Fall war, so mußte der Patron für die Erhaltung der Kirche sorgen. Der Geistliche, dei
an einer Privatkirche fungirte, zahlte keine Steuer, war aber an diese Kirche gebunden.
Die oben genannte goldene Bulle verfügt auch über die Verlassenschaft solcher an die
Kirche gebundenen Geistlichen. Der Sohn eines solchen ist, wenn er die Fähigkeit dazu
besitzt, in der Kirche erbberechtigt, wenn nicht, wird er Lolcalnik, das heißt Kirchenleib -
eigener.
221
Der serbische adelige Besitz weist zweierlei Arten ans. Unter Bastina versteht man
den ererbten Stammesbesitz oder ein vom Könige geschenktes Grundstück, welches der Grund -
herr mit eigenem Rechte besaß, gerade so wie er in Bosnien über die Ulslirsnita roiiüja,
plerntsirita bastina oder xloinonito verfügen konnte. Ferner gab es Pronien, das heißt
auf Lebenszeit verliehene Staatslehen.
Die Serben, im Sinne der Unfreien, theilten sich in drei Kategorien: in Merophen,
Sokalniken und Otroken. Die Merophen sind die Lehenspächter, welche dem Lehensmanne
theils in Geld, theils in Arbeit ihren Zins entrichten. Er konnte sich aber auch eigenen
Besitz erwerben, das heißt er konnte auch eine Bastina innehaben. Die Sokalniken, deren
staatsrechtliche Stellung noch nicht ganz geklärt ist, waren auch Lehenspächter, hatten
aber nicht so viel Zins und Arbeitsleistung zu entrichten und scheinen freie Bauern gewesen
zu sein, sowie in Westeuropa das „Metayer" Banernthum, während der Name Meroph
ans frühere zu Leibeigenen gewordene Besitzer hinzudeuten scheint. Beiderlei Arten von
Pächtern waren aber an die betreffende Pronie, an das Lehen gebunden, das seinen
Besitzer immer wechselte. Die dritte Art von Unfreien hingegen, die Otroken, waren
diejenigen Colonen, die ans den Privatbesitznngen, auf den Bastinas arbeiteten, sslebaa
uästi-ieU, das heißt an die Scholle gebunden waren und so immer im Besitze einer Familie
blieben. Wenn nun aber auch die feinsten Unterschiede nicht definirbar sind, scheint doch der
Unterschied zwischen den Unfreien in dem Momente der Freizügigkeit oder der Gebundenheit
an die Scholle zu bestehen. Diese Berhültnisse finden wir im Territorium der heutigen
Hereegovina und in Novibazar, und sie blieben auch nachher bestehen, als das bosnische
Königreich unter Tvrtko altserbischen Besitz annectirt hat. Während in diesen privat -
rechtlichen Verhältnissen die alte Stammesverfassung der Serben noch sichtbar ist, finden
wir in jenen Theilen Bosniens, die an die dalmatinische terra lirina grenzen und wo bei
den römischen Colonen von der ersten Eroberung durch das römische Reich bis aus die
heutige Zeit die Verhältnisse sich kaum geändert haben, analoge Verhältnisse.
Die römische Eroberung in Jllyrien, welche den Ausgangspunkt zur Beurtheilung
dieser dalmatinisch-südwestbosnischen Verhältnisse bietet, geschah in jener Zeit, wo der
römische Besitz schon seine hohe Entwicklungsstufe einnahm und daher die primitiven
Stammbesitzverhültnisse der Illyrier, welche noch Anklünge an den Urbesitz, an die
eommnne Benützung von Weide und Wald aufwiesen, gänzlich umgestalten mußte. Diese
primitiven illyrischen Besitzverhältnisse können ganz ähnlich wie die schweizerischen Allmend
aufgefaßt werden und waren an gewohnheitsrechtliche Bestimmungen geknüpft, welche
ein und das andere Territorium der Illyrier von einander schieden. Darum konnte
der römische Eroberer, der in den illyrischen Häuptlingen auch die Repräsentanten
des Stammesbesitzes ausrottete, seine Institutionen hier ohne Widerstand einführen.
222
Wo das Land urbar zu machen war, dort entwickelten sich Latifundien, dort behielten
spater die freien Bürger der dalmatinischen Städte ihren Gutsbesitz, und entwickelte sich
das Colvnenverhältniß der römischen Kaiserzeit und des Mittelalters.
Der römische Grundbesitzer in der Provinz Dalmatien war der Dominus, der
unbeschränkte Herr seines Besitzes, und die römische Verwaltung trachtete in Dalmatien
das Hirtenvolk, welches eigentlich keine fixe Heimat hatte, kein fixes Territorium das
seinige nennen konnte, zum eigenen und zu des Staates Nutzen seßhaft zu machen. Der
Colone, Bebauer seines Grundstückes, wurde zwar nicht als Sclave betrachtet, war aber
an die Scholle gebunden, das heißt in seiner persönlichen und wirtschaftlichen Unab -
hängigkeit in gewisser Beziehung behindert (Ooäox lusliniuiieus XI, 52); er wird mit
dem Grundbesitz als anhaftend verkauft; er zahlt einen ständigen Pacht in Naturerzeug -
nissen oder in Geld (lust. lillsr XI, Mul. 48, lox 5), er kann sich von seinem Grunde
ohne Einwilligung des Dominus nicht entfernen und, obzwar er das Recht hat, privaten
Besitz inne zu haben, kann er selbst diesen nicht ohne Einwilligung seines Grundherrn
veräußern (docksx Dlleväosiunus V, lilul. 11, lox 1), seine Kinder werden auch als
Colonen betrachtet, dies sind die ooloiü ori^inarä. Als Colone wird derjenige betrachtet,
der sich mit Vertrag dazu verpflichtet oder 30 Jahre ohne Widerspruch diesen Zustand sich
gefallen läßt. Dieses Verhältnis war in volkswirthschaftlicher Beziehung sehr günstig, indem
die Latifundien, durch ständige Arbeiter bewirthschaftet, constante Revenüen abwarfen, und
der Colone auf eigene Faust wirtschaften konnte, indem er ja in einem größeren Erträg -
nisse seinen eigenen Nutzen fand. Ebenso wie später in der feudalen Zeit, wie wir es in der
Wirthschaftsgeschichte Frankreichs, Deutschlands, Ungarns sehen, verdingten sich viele freie
Männer, nur um einen Rechtsschutz zu haben, zu Pächtern und politisch unfreien Bauern.
Dies verboten zwar die römischen Gesetze (Oockox Nllsockosiuuus XI, 24, äo pulrooiiiHs
vivorunr), aber ohne Erfolg. Im Laufe der Völkerwanderung wurden dann viele besiegte
Barbaren zu seßhaften, an die Scholle gebundenen Colonen gemacht (Loäsx Nlleockosiairu3
V, tilul. 4, lox 8). Der Staat begünstigte schließlich das Colonensystem, indem so der
Grundzins pünktlich einfloß; und als später mit der Abnahme der römischen Bevölkerung die
Barbarisirung immer größere Fortschritte machte, entwickelte sich dieses ursprüngliche Ver-
hältniß auch als ausschlaggebend für die neuen — sagen wir im Gegensätze zu den Römern,
barbarischen — Staaten.
Im christlichen Römerreiche wurden die Bedingungen in gewisser Beziehung
gemildert. Der Dominus hatte schließlich immer das Recht, Colonen zu entlassen; die
strengen Gesetze, welche die Aufnahme eines entlaufenen Colonen bestraften, blieben nur
auf dem Papiere, und die Colonen, welche in geistliche Orden traten, wurden frei erklärt.
Diese Verhältnisse fanden die Kroaten nach ihrer Einwanderung in Zara, in Spalato vor,
224
und daneben eine besondere Classe der Machen (altillyrisch soll es Bruder heißen), das
heißt Hirten, die dann sowohl im dalmatinisch-kroatischen Gebiete, als in Bosnien, in
Serbien und später in Siebenbürgen neben dem seßhaften Ackerbauer, dem heutigen Seljak,
als nomadisirendes Element erscheinen. Diese Machen, das heißt romanisirte und nicht
romanisirte Illyrier, später aus solchen Südslaven bestehend, denen entweder kein Besitz
zukam, oder die infolge der Vermehrung sich als Hirten fortbrachten, bilden eine eigen -
artige Bevölkerung, die in ihrem romanischen Theile den Grundstock der rumänischen
Nation ausmacht und in ihren slavisirten Schichten uns die Vorfahren der heutigen
Bocchesen und Morlaken und theilweise der hercegovinischen Karstbewohner vor Augen führt.
Diese Machen kommen auch in der bosnischen und serbischen Geschichte vor; eigene
Gesetze verbieten die HeiratzwischendenBürgernderStädteund den serbischen und bosnischen
Machen. Die Ursache dieses Verbotes war eben, daß derjenige, der sich mit einem Hirten
verband, zum Nomaden wurde und dadurch die kaum recht seßhaft gewordene Bevölkerung
sich ihrer Ansässigkeit wieder begeben hätte. Aus diesen Elementen entwickelte sich dann
nach der Völkerwanderung das Colonen- und Contadinenwesen auf der daliüatinischen
terra tiruaa.
Im Laufe der Völkerwanderung hat sich das den neuen Verhältnissen angepaßte
römische Wirthschaftswesen, welches in dem seßhaften Colonate seinen Ausdruck fand, den
serbischen, kroatischen und bosnischen Stammesgepflogenheiten mehr oder minder angepaßt.
Natürlich müssen in dem altslavischen barbarischen Rechte schon Grundbedingungen vor -
handen gewesen sein, die eine Vereinigung dieses neuen dalmato-serbisch-bosnischen Agrar -
wesens ermöglichten; wir brauchen daher nicht sehr weit zurückzugreifen, um behaupten zu
dürfen, daß dieses in den Einzelnheiten so mannigfaltige Agrarwesen nichts als eine
Modifikation jener Epoche der Wirtschaftsgeschichte bildet, in welcher der commune
Besitz sich zum Namensbesitz entwickelte und später auf Grundlage dieser römischen Ein -
wirkung zum Privatbesitze führte, der sich dann, mit mittelalterlichen feudalen Elementen
vermischt, weiter ausbildete.
In Bosnien und der Hercegovina sind hinsichtlich der Entwicklung der mittelalter -
lichen Agrarverhältnisse drei starke Einwirkungen maßgebend. Wie schon einmal bemerkt,
entwickelte sich in dem heutigen Nordbosnien, in den ungarischen Comitaten Vrbas, Sana,
Dubiza und Glas (im sogenannten Unterslavonien), in den Banaten Usora, Srebruik
und Tuzla der eigenartige ungarische adelige Besitz der seinen Ursprung in der Donation
der ungarischen und später der bosnischen Könige hatte, und auf dem die Leibeigenen zwar
auf die Dauer zur Bewirthschaftung ihrer Güter verhalten waren, aber die Freizügigkeit
doch besaßen. In den östlichen und südöstlichen Theilen sehen wir den serbischen ähnliche
Verhältnisse obwalten.
Kloster Sutjesla.
226
In den westlichen nnd südwestlichen Theilen Bosniens und der Hercegovina sehen
wir die Einwirkung des Colonatsystems in seinen Hauptzügen; aber im Mittelpunkte
dieser verschiedenen Einflüsse ist ein speciell bosnischer Zug zu erkennen, der sich hier
durch die politischen Verhältnisse erklärt; es ist dies nämlich jene scharf ausgeprägte
Tendenz, daß die einzelnen Wojwoden, Kncsen und Edelleute ihren Besitz, ihre sogenannte
Zemlja, sowohl privatrechtlich als staatsrechtlich als ihren unveräußerlichen Besitz,
ihre Macht (potestus, ckiLava) betrachteten und sowohl ihre Knieten, das heißt ansässige
Colonen, wie ihre Machen, das heißt Hirten, einestheils wie ihre Mannen, anderseits
aber wie Leibeigene, als ihre specielle Gefolgschaft betrachteten. Aus dieser Tendenz ist es
zu erklären, daß die Feudalherren die unmittelbaren Leistungen für den jeweiligen Ban
oder König immer perhorrescirten, um dagegen ihren directen Einfluß auf ihre eigenen
Leute umsomehr geltend zu machen.
Wenn wir nun die verschiedenen Besitzverleihungen, die an bosnische Edelleute
ausgestellt wurden, vom chronologischen Standpunkte betrachten, sehen wir, daß bis zur
Epoche Tvrtkos die bosnische Kanzlei für die neuen serbischen Erwerbungen die serbischen
Besitzverhältnisse vor Augen hatte, während in der späteren Zeit bis zum Falle des
Königreiches die Besitzverleihung ganz nach den ungarischen Formen, sogar mit denselben
Phrasen geschah.
Während die Agrarverhältnisse, welche die staats- und privatrechtlichen Begriffe
ans diese Weise in sich vereinten, die Oberhoheitsrechte der bosnischen Bane und Könige
in gewisser Beziehung sehr oft einschränkten, sehen wir die Machtsphäre der Bane
nnd der späteren Könige in den internationalen Beziehungen besser ausgeprägt. Es
steht fest, daß der bosnische König der Oberbefehlshaber, der Oberwojwode sümmtlicher
von den Magnaten aufgestellten Truppen war; ihm stand das Recht der Kriegserklärung
und der Friedensschließung zu. Das erste — und wie wir sehen beinahe alltägliche -
Moment der Rebellion bestand eben darin, daß sich die Vornehmen einer Heerfolge
entschlngen und mit dem Feinde des Königs Bündnisse schlossen. Der König war
auch der oberste Richter, der in den verschiedenen Besitzverhältnissen seiner Unter-
thanen als höchste Behörde entschied, was aber natürlich nicht hinderte, daß man sich
gegebenen Falles an den König von Ungarn oder an den Papst wendete. Der König war
ferner der Besitzer aller Bergwerke. Das ihm zustehende Prügerecht brachte der König in
den eigenen, nach Ragusaner Muster geprägten Silbermünzen (Tvrtkos Münzstempel wurde
in Ragusa gemacht) zum Ausdruck, gestattete aber auch Ragusaner Münzen und anderen
im Lande freien Curs. Der König entschied zwar, wie schon bemerkt, endgiltig über alle
Staatsangelegenheiten, jedoch nach Anhören seines Rathes. Während der Königszeit wurde
dieser Rath theils nach byzantinischem, theils nach ungarischem Muster zusammengestellt.
227
Der König schloß auch die Verträge mit den fremden oder Nachbarstaaten, und ihm fielen
die Einkünfte des Zolles, der Bußgelder und jene Summe zu, die er bei Schlichtung der
Streitigkeiten mit den dalmatinischen Gebieten erhielt. Natürlich sind die Grenzen dieser
Oberhoheitsrechte und der Staatseinkünfte nicht festzustellen. Der König zahlte zeit -
weilig an die Türkei einen Tribut; anderseits aber werden ihm von Ragusa und
den dalmatinischen Städten, und zwar regelmäßig im Jahre Geschenke gemacht, die er
natürlich als Tribut beurtheilt; die Handelsrepubliken hingegen betrachten diese Gaben
als Schutzgeld für ihre Handelsprivilegien.
Die wirtschaftlichen Verhältnisse Bosniens erscheinen uns im Lichte der vom
Meister der osteuropäischen Kulturgeschichte Dr. K. Jirecek eruirten archivalischen Daten
als diejenigen eines von der emsigen raguseischen Handelsrepnblik ausgebeuteten Holz- und
mineralienreichen Durchzugslandes. Die Blüthezeit dieser Exploitation fällt in das XIII. bis
XV. Jahrhundert. „NachBosnien gingen die raguseischen Kaufleute theils auf dem kürzesten
Landweg über Konjiea, theils zuerst zur Narentamündung und von dort unter der Burg
Blagaj vorbei landeinwärts. Der ,portus Xurantü, 1186 zuerst genannt, war im XIV. bis
XV. Jahrhundert im Besitz der Bosnier. Das danials so oft erwähnte Xureirtum, korurn
oder riroroutum Xursirti, flavisch Drievu (clriavo Holz, wie mlat. llgirum, auch Schiff)
war ein offener, oft vom Fluß überschwemmter Marktplatz mit Zollamt, Salzniederlagen,
Magazinen, Kirchen und Holzhäusern, stets der Sitz einer raguseischen Cvlonie mit ihren
Richtern; es ist das heutige Gabella. Größere Schiffe mußten im Flußdelta bei der Insel
Posrednica (bei dem jetzigen Fort Opus) oder außerhalb der Mündung bei der jetzt durch
Sandbänke mit dem Festland verbundenen Felsinsel (Scoglio) Osinj ankern.
In Bosnien waren Mittelpunkte des Handels die Städte Fojnica, Kreöevo, die
Unterstadt der Königsburg Visoki (Podvisoki, Sotto Visochi), östlich von der Bosna die
Bergstadt Olovo, Praca, besonders aber Srebrnica mit dem nahen Zvonik (jetzt Zvornik).
Das mittlere Savegebiet wurde von den Ragusanern wenig besucht, ebenso der Nord-
mesten des Landes mit Jajce und Livno, der den Kaufleuten der norddalmatinischen
Städte näher lag.
Der Export aus Bosnien umfaßte vorzüglich Erzeugnisse der Viehzucht, lebendes
Vieh, das weiter nach Apulien verschifft wurde, Lammfelle und Büffelhäute, Leder, Talg,
Fett, Wolle und Käse. Auch Pferde wurden in Ragusa oft auf den Markt gebracht. Die
Jagd lieferte mannigfaltiges Pelzwerk von Wölfen, Mardern, Füchsen, Luchsen u. s. w.,
das weiter nach Westen geführt wurde.
Sehr einträglich gestaltete sich der Sklavenhandel mit den stämmigen Bosniern
und den anstelligen Weibern aus dem Gebirgslande, die zur Narentamündung gebracht,
von Venetianern, später meist von Cataloniern und Sicilianern angekauft wurden.
15*
228
Bei der Einfuhr in die südslavischen Länder, speciell aus Bosnien, sind an erster
Stelle Erzeugnisse der Textilindustrie aus Wolle, Linnen, Baumwolle und Seide aller
Arten und Farben zu nennen (ckrappi, panni, kostuAiri), sowohl für die farbenreichen
Pruukgewänder der Landesherren und Edelleute, als für die einfachen Kleider geringerer
Leute. Es waren vorwiegend Erzeugnisse der italienischen Städte Florenz, Mailand,
Como, Mantua, Verona, Vicenza; selten werden Tücher aus Flandern genannt, im
XV. Jahrhundert beginnt aber ein Import von Tuchstoffen aus England (paniu äo
Imuctras seit 1441 in Ragusa). Im Innern und im Osten der Halbinsel begegneten sich
der italienische Tuchhandel mit der Einfuhr der flandrischen Tücher von Ipern, Tournay
u. s. w., die ebenso wie die Tücher von Köln und Böhmen auf dem Landwege durch
Mitteleuropa nach Ungarn und Siebenbürgen und von dort z. B. von den Bürgern von
Kronstadt weiter in die Walachei gebracht wurden."
Der Handelsverkehr stand in enger Verbindung mit dem Aufschwünge des Berg -
baues. Die in der Römerzeit berühmten Bergwerke wurden im Mittelalter von deutschen
Bergleuten wieder in Aufschwung gebracht. Zwar war das Gold schon in den Gold -
wäschereien erschöpft, aber es gab sehr ergiebige Silber-, Blei-, Kupfer- und Eisenwerke.
Ohne Zweifel steht die Entwicklung des bosnischen Bergbaues mit der in Ungarn unter
Carl Robert (1308—1342) durch Zuziehung italienischen Kapitals aus Florenz und
deutscher Fachkräfte in Schwung gebrachten Bergbauthätigkeit im Zusammenhänge und
kann auf die Initiative Stefan Kotromanic zurückgeführt werden, der Sachsen (Sasi),
Rllauloniai, Ueckeselli durch Verleihung von Privilegien berief.
„Es war eine Zeit" — schreibt Jirecik ans Grund durchwegs von ihm erforschten
Materials — „wo vor der Entdeckung der überseeischen Länder mit ihren Mineralschätzen
der Werth der Edelmetalle in Europa viel größer war und wo auch minder reichhaltige
Erzlager einen Gewinn brachten. Die Sachsen wohnten in Marktplätzen bei den Berg -
werken, oft unter dem Schutz einer Burg des Landesherrn, wurden slavisch als xuiFari
(vom deutschen Bürger), italienisch als dorgtiesaui bezeichnet, hatten einen Lomes als
Vorstand, eigenes Gericht, eigene Notare und katholische Kirchen, die in Serbien dem
Bischof von Cattaro oder dem Erzbischof von Antivari untergeordnet waren. Die einzelnen
(Kolonien scheinen an Zahl der Ansiedler nicht stark gewesen zu sein. In Bosnien werden
Sachsen zum ersten Mal unter dem Ban, später König Stephan Tvrtko I. (1354 bis 1391)
genannt. Exportirt wurde aus den Bergwerken Silber, Blei, Kupfer und Eisen, wahrscheinlich
auch Quecksilber; im XV. Jahrhundert wird Ausfuhr von Zinnober erwähnt. Deutsche berg -
männische Ausdrücke, wie Zeche, Schurs, Schlacke u. s. w., sind auch in südslavischen Denk -
mälern der Zeit zu lesen oder behaupten sich heute noch in Bosnien oder Bulgarien im
Gebrauch. Neben den Sachsen wohnten in den Märkten stets auch Kaufleute und Goldschmiede
220
aus Dalmatien und Italien, Ragusaner, Cattarenser, Antivarenser, Spalatiner, Curzolaner,
Zaratiner, Venetianer, Florentiner und Andere. Es befanden sich dort auch die Münzämter;
die Münzen führen mitunter
lateinische Aufschriften."
Die hohe Entwicklung
des Bergbaues in diesen
Ländern wird am besten be -
zeugt durch die Berufung von
Bergleuten ans Serbien oder
Bosnien, besonders aus Novo
Brdo, über Ragnsa nach
Mittel- und Unteritalien, und
wir können noch hinznfügen
nach Catalonien, wohin sie
Alfonsv der Große erbat.
Nach dieser Darstellung
erscheint uns Bosnien als das
Nächstliegende Unternehmnngs-
terrain des sich stetig entwickeln -
den Ragusaner Kapitalis -
mus. Obzwar der Nutzen bei
diesem Vermittlungsgeschäfte
bedeutend war, sind doch die
Gefahren und jenes Risieo
nicht außer Acht zu lassen,
welche im Binnenlaude seitens
der habgierigen, Verträge
nicht beachtenden Burgherren
drohten. Jede Burg, jeder
schwierige Übergang bildete
ein zu beachtendes Hinderniß, ,
, , , ^ ... ... Stefan Tomaz-vU, König von Bosnien, vor dem Heilande kmeend.
welches oft Nicht einmal Mit
Geld zu umgehen war.
Auf diese mittelalterliche Entwicklungsphase schichtet sich nun seit 1463 die türkische
Umwälzung, welche man gegenüber den kurz skizzirten mittelalterlichen bosnisch-serbischen
Verhältnissen nicht als eine der Völkerwanderung ähnliche Überflnthung hoher Cultur
230
durch rohe Barbaren betrachten kann. Die türkische Cultur war eine semitisch-orientalische,
die sich mit byzantinischen Überlieferungen durchtränkt hatte; sie stand viel höher als die
der südslavischen Kleinstaaten und bot Anfangs viel mehr Sicherheit, als das altbosnische
Raubritterthum. Erst mit dem gänzlichen Verdorren ihrer anfangs kräftigen Wurzeln nach
400 Jahren kam die natürliche Lage dieser Ländergebiete durch Anlehnung an den Westen
zur Geltung. Die Türken mit ihrer centralen Verwaltung sind als die Schöpfer des
heutigen einheitlichen Bosniens zu betrachten. Diese Vereinigung geschah natürlich auch
nur nach allmüligem Fortschreiten der türkischen Macht und konnte erst dann vollständig
zum Ausdrucke gelangen, als das letzte Bollwerk des christlichen Westens, Ofen sammt
Ungarn, gefallen war. Aus diesem Grunde endet die bosnische Sondergeschichte nicht mit
der Ermordung des letzten Königs, sondern erst nach der Schlacht bei Mohäcs (1526)
und nach dem Falle der berühmten Festung Jajce (1528).
An die Stelle des bosnischen Vasallen-Königthums trat unter König Mathias
Corvinns die unmittelbare ungarische Herrschaft, welche ungefähr 60 Jahre hindurch einen
großen (den nördlichen und nordwestlichen Theil) des einstigen bosnischen Königreiches als -
militärischen Schutzwall des eigenen Staatsgebietes zu vertheidigen wußte.
Kaum war Bosnien gefallen, so hielt es König Mathias Corvinus für seine erste
Pflicht, die Südgrenze seines Reiches persönlich zu vertheidigen. Schon im Herbste des
Jahres 1463 drang er mit seinem Heere in die bosnische Krajina (Kreis Bihak, Banjaluka,
Jajce) ein, offenbar in der Einsicht, daß seine eigenen Landesgrenzen die nächste Etappe
der türkischen Eroberer bilden würden. Diese Voraussetzung wurde durch die Plünderung
der unteren Donau- und Savegegenden bestätigt. Darum eroberte er zuerst die serbischen
Ufergegenden und ging dann mit ausgeruhten Truppen nach Bosnien. Schlechte Wege
und ein rauher Winter bereiteten seinem Heere viele Schwierigkeiten; doch eroberte er
nach dreimonatlichen Kämpfen Jajce, die alte Festung Hervojas, und machte sich das ganze
Gebiet unterthan. Er fühlte die Wichtigkeit dieses Besitzes; „denn die Wunden", sagte er
in seinem Briefe an Papst Pius II., „welche der Christenheit durch den Ruin Bosniens
zugefügt wurden, können nun geheilt werden. Diese Wunde berührte nicht nur die
Schultern Europas, sondern drohte bis zum Herzen desselben zu gelangen und hätte bald
das Ganze ergriffen".
Der Papst und die Christenheit frohlockten in dem Maße, als sie über den Fall
Bosniens betrübt gewesen. Der alte Optimismus der Päpste schien wieder aufzuleben.
Doch Mathias, der die Politischen Verhältnisse des Orients gründlich kannte, fühlte die
Schwierigkeiten seiner militärischen Action; und er, der später die damals besten
Fußtruppen Europas, die Cechen, bezwang, sagt mit vollem Rechte dem Papste, daß er
vor der neuen türkischen Belagerung Jajces gründliche Furcht hege. „Wie wird diese
231
Festung demselben Sultan widerstehen können, dessen Heere Constantinopel erobert
haben?" Er bittet daher um ausgiebige Hilfe, „denn nur so ist Bosnien, welches
sozusagen den Schlüssel und den Hafen der Christenheit bildet und dessen Besitz dem
Westen und dem Norden zuflihrt, zu retten". Einstimmig berichten die Quellen von
den kühnen Kämpfen, welche die christlichen Truppen in den wilden Bergschluchten
mit den an Zahl weit überlegenen Türken ausfochten. Es ist beinahe ein Wunder zu
nennen, daß Jajce, nur von einer kleinen Besatzung vertheidigt, sich im Jahre 1464 gegen
den Sultan behauptete, der schon bei der falschen Nachricht oon der Ankunft des Königs
die Belagerung aufhob. Mathias konnte aber seinen Zweck nicht vollständig erreichen,
indem er bei Zvornik an der Drina zum Rückzug gezwungen wurde; doch behielt er das
Banat Bosnien und auch Srebrnik an der oberen Drina und gab dem Ganzen, Bosnien,
wie er es nun entgegen der alten Benennung Rama nannte, zum Gouverneur den
tapferen Emerich von Szapolyay, der, mit großen Vollmachten ausgestattet, eure Art
vizeköniglicher Gewalt ausübte. Diese Art der Lösung war dem feurigen Papste nicht
ganz genehm. „Es ward mir traurig um meine Seele", schrieb er an den König,daß
meine Hoffnungen so verrauchen mußten. Die Christenheit erblickte in dir, mein Lohn,
den Einzigen, der den Türken nicht nur besiegen, sondern auch bändigen konnte. Nur der
kann die Krone erlangen, welcher wacker kämpft."
Mathias hatte auf diesen Vorwurf nur die Antwort: daß man große Ziele mit
kleinen Mitteln nicht erreichen könne. Mit einer gewissen Bitterkeit betont er dem Papste
gegenüber, daß man mit einigen Tausend Ducaten nicht an das Schwarze Meer gelangen
könne: und wenn man die Türken aus Europa treiben wolle, dann müsse man einer starken
Hand gewaltige Mittel reichen, um dem starken Türken beizukvmmen. Und so geschah
es, daß Mathias, auch anderweitig beschäftigt, durch den Papst selbst m andere Bahnen
gelenkt, sich mit der militärischen Organisation und Instandsetzung der bosnischen
Festungen begnügte. Um diesem Gebiete ein Vorland zu geben, vereinigte er, mit
Einwilligung des Papstes, das von den Tempelrittern verwaltete Priorat Vrana m
Dalmatien mit dem bosnischen Gebiete. Dies ist die erste tatsächlich und zielbewußt
erfolgte theilweise Vereinigung Dalmatiens mit Bosnien.
Die Sultane empfanden gar bald die Wichtigkeit der neuen ungarischen Position.
Der Sultan stellte dem Könige den Antrag, einen dauernden Frieden zu schließen; er wvlle
ihm sehr gerne ganz Bosnien und Serbien überlassen, wenn der König ihn sonst in Frieden
ließe. Dieser Antrag gefiel dem König; doch war es nun der Papst, welcher diesen
günstigen Friedensschluss Hintertrieb. Es ist richtig, daß auch mit diesem Frieden eme
dauernde Verständigung kaum möglich gewesen wäre. Dennoch ist die Sinnesänderung des
Papstes bemerkenswert!,, weil er einerseits Mathias Corvinus immer zur Christianisirnng
232
der „Heiden" aneiferte, aber anderseits nichts Wichtigeres vvr Augen hatte, als
die Ausrottung der Husiten. Beide Ziele zugleich hätten vielleicht zwei Corvine erreichen
können, Einer genügte nicht. In Wirklichkeit geschah aber nur, daß die Politik Mathias'
Corvinus nach der Rückeroberung des bosnischen Banats sich dem Westen zuwandte und
der Kampf mit den Türken einen blos defensiven Charakter annahm. Es wäre aber
ungerecht, die Theilnahme des Papstes nicht lobend hervorzuheben. Die Päpste wendeten
all ihren Einfluß auf, um die Sache Corvins bei den europäischen Mächten populär zu
machen; dann unterstützten sie Mathias auch mit Geld. Hnnderttausende von Ducaten
wurden ihm zur Verfügung gestellt; die aus Bosnien geflüchteten und treu katholisch
gebliebenen Magnaten sammt der bosnischen Königin wurden von der päpstlichen Curie
lebenslänglich erhalten, und es verging keine Gelegenheit, ohne daß der Papst die
europäischen Mächte auf die Wichtigkeit der bosnischen Frage aufmerksam machte. Doch
die dem Könige gesendeten Gelder reichten nicht ans; dazu erlaubte der Papst dem
Könige, ja er ermächtigte ihn, diese Gelder nicht gegen die Türken, sondern gegen die
Cechen zu verwenden. Einmal findet der Papst, „daß es das größte Lob eines Königs
und Reiches und einen unsterblichen Ruhm bilde, die Vorhut und die Mauer aller
Christen zu sein," und dann wieder wird gesagt, daß die Ausrottung der Sectirer die
Hauptnothwendigkeit für das Gedeihen des Christenthums bilde.
Doch nicht nur der Papst, auch der Adel, Kroaten wie Ungarn, begeisterte sich für den
Kampf gegen die Ungläubigen. Es gibt kaum Eines der älteren Geschlechter, deren Vorfahren
nicht an den Kämpfen Mathias' Corvinus in Bosnien betheiligt waren. Wir sehen die
Bänffy, die Teleki, die Batthyäny, ferner den Reichsten des damaligen Hochadels, Nikolaus
Ujlaky und dann den getreuen Gardecapitain des Königs, Paul Kallay, welche alle
bei der Rückeroberung Bosniens betheiligt waren und dafür Besitzungen und Schenkungen
erhielten. Um das Interesse des Hochadels für den Türkenkrieg zu gewinnen und auch der
persönlichen Ambition freien Spielraum zu gewähren, verlieh Mathias dem ehrgeizigen
Magnaten Ujlaky (1471) den Titel eines Königs von Bosnien, wofür derselbe die
Instandsetzung der Festung Teocak auf sich nahm. König Mathias hatte natürlich nicht
zu befürchten, daß dieser Königstitel mit der Zeit die Wiederherstellung des bosnischen
Königreiches nach sich ziehen werde, da er die administrative und militärische Verwaltung
aller bosnischen Besitzungen seinem Gouverneur, zuerst Szapolyay und dann Blasius
Magyar, anvertraute.
Als der Sultan sah, daß Mathias die Vertheidigung seines schwer erworbenen
Besitzes nachdrücklich betrieb, ließ er die ungarischen Grenzen fortwährend beunruhigen. Um
dem Titularkönige einen Rivalen zu geben, stellten die Türken einen Gegenkönig in der
Person des Mathias Christich (1476) auf. Doch wurde dieser gar bald abtrünnig. Nun
233
trat Mathias Corvinus energisch auf. Umgürtet mit dem geweihten Säbel, den ihm der
Papst verehrt hatte, verkündete er, „daß er seine Feinde verfolgen und angreifen und nicht
früher aufhören werde, bis er sie ausgerottet habe". Doch in den Kämpfen von 1473 bis
1476 konnte der Papst sein Wort nicht einlösen; gerade in diesen Jahren kam so wenig
Geld von Rom, daß Mathias damit keine hundert Reisige beschaffen konnte. Der König
Sultan Mehmed-el-Fatih.
erfocht zwar Vortheile, bald aber kam der cechische Krieg, und die Vertheidigung des
Landes fiel den Besatzungen zu.
Heftige Kämpfe entbrannten vier Jahre später (1480 bis 1483). Mathias entschloß
sich auf die Bitten des Papstes Sixtus IV. wieder zu einem großen Kriege und übernahm
persönlich den Oberbefehl über die Truppen. Jetzt trat er offensiv auf und drang in
das türkische Bosnien, in die Vrh-Bosna ein, mit Feuer und Schwert wurde Alles
verwüstet. Selbst christliche Quellen gestehen, es habe eine so gründliche Verwüstung des
türkischen Paschaliks stattgefunden, daß das ganze Land entvölkert worden sei. Die später
uachrückenden ungarischen Truppen fanden, als sie die Entvölkerung des türkischen Besitzes
234
vollenden wollten, kaum mehr 40 Kinder. In dieser Zeit war eben Vrh-Bosna mit dem
Centrum Sarajevo eine der blühendsten Provinzen des ottvmanischen Reiches; man lobte die
Schönheit der Stadt neben Constantinopel, Adrianopel und Üsküb. Dieselbe Taktik, ganz
ans türkische Weise, befolgte Mathias in Serbien, wo er bis Krnsevac das ganze Land
verwüstete und als Ziel des Krieges die Ausrottung der türkischen Wehrmacht hinstellte.
Der Optimismus des Papstes wurde durch diese Berichte von Neuem entsacht; er
versprach Mathias 200.000 Dncaten und wollte sogar eine Flotte in Italien organisiren
und von Dalmatien aus eine Diversion gegen die Türken machen. Doch die versprochene
Summe wurde nie aufgebracht und die Flottendiversion unterblieb.
Corvinus schrieb nun an den Papst: „Soll ich allein dem Feinde widerstehen und
auch unterliegen? — lieber den Frieden, als ein Blutvergießen ohne Zweck." — Und
dabei blieb es. Wo es sich um Rache für einen türkischen Raubzug handelte, waren die
tapferen Capitäne Mathias' immer bei der Hand, sie retteten Kram und Kärnten (1483)
wiederholt vor Einfällen, sie befreiten Tausende von christlichen Selaven. Und welcher
Dank ward Mathias dafür? — Daß Kaiser Friedrich IU. sehr ungehalten war, weil sein
Territorium durch das völkerrechtlich unmotivirte Eindringen ungarischer Truppen berührt
worden sei. Unter solchen Verhältnissen ist es nicht zu verwundern, daß dem Könige die
Lust verging, als Vormauer der Christenheit zu dienen, hinter welcher sich die Christen
selbst ärger bedrohten, als ihn die eigenmächtigen Einfälle der kampfesmuthigen Paschas.
Der große König starb im Jahre 1490, und die Jagellonen kamen auf den Lhron
Ungarns. Unter der Regierung Vladislaus II. und Ludwig II. standen die beiden bosnische
Banate mit Jajce und der Gegend um Tuzla unter der Verwaltung tapferer Capitäne;
die Banate waren in militärische Districte eingetheilt, in jedem bildete eene Festung
den Mittelpunkt, und es wurden praktische Verfügungen getroffen, um im Nothfalle die
Besatzungen gehörig verproviantiren zu können. Obwohl sich die jährlichen Einnahmen
in Ungarn infolge der schlechten Wirthschaft um 70 Proeent verringert hatten und auch
von den verbleibenden 30 Procent ein Drittel dem königlichen Hofhalte zngewendet wurde,
kann man nicht leugnen, daß für diese Grenzländer immer Geld da war; und je mehr das
durch Mathias gehobene ungarische Reich zerrüttet wurde, desto mehr Mannesftnn,
Selbständigkeit und Todesmnth beseelte die Männer, die an der Save, am Vrbas und
an der Drina Wache hielten. Bis zum Jahre 1505 wurden die beiden Banate durch
den unbehilflichen, aber immer opferbereiten illegitimen Sohn Mathias', Johannes
Corvinus als Titularkönig verwaltet. Alle auf Jajce gerichteten Stürme der Türken
mißlangen, trotzdem sie in der Überzahl waren; denn sie hatten es mit Männern zu
thun, die auf diesem Gebiete nicht nur das Ansehen des Staates, sondern auch ihr
eigenes Hab und Gut vertheidigten.
235
Als aber der große Sultan Sulejman II. den Thron bestieg, war das Geschick
dieser Länder besiegelt. Belgrad fiel im Jahre 1521 und mit diesem Horte der Donau -
ebene auch das Drinagebiet und ganz Ostbosnien; nur das Banat Jajce hielt sich noch.
Schon zu dieser Zeit knüpften einige kroatische und dalmatinische Geschlechter aus localem
Interesse und mit Einwilligung des Königs Ludwig Verbindungen mit dem Erzherzog
Ferdinand von Österreich an, und die Rolle der Habsburger beginnt mit einer Action,
welche im Interesse ihrer stark bedrohten innerösterreichischen Provinzen Steiermark,
Kärnten und Krain die Beschützung Bosniens bezweckte, indem sie schon damals das
Protektorat über Bosnien anstrebten. Der Unglückstag von Mohacs (1526) machte dem
westbosnischen Banate ein Ende; zwei Jahre später gab der letzte Kommandant Stefan
de Gorbonvk freiwillig die Festung Jajce auf, welche solange Zeit hindurch, mit so vielen
blutigen Opfern vertheidigt, die Grenzfestung des Westens gewesen war. Jetzt erst beginnt
die Geschichte des Paschaliks Bosnien. Die Hercegovina bildete schon seit dem Jahre
1483, von den Türken erobert, ein besonders verwaltetes Territorium.
Die türkische Eroberung, welcher Jahrhunderte vorgearbeitet hatten, war eine
gründliche, die das bosnische Volkswesen in seinem innersten Kern umgestaltete. Eine
ganz andere Weltanschauung trat an die Stelle der früheren. Der römische Imperator,
der byzantinische Kaiser und der König von Ungarn, deren moralische Obergewalt in den
Binnenländern nie recht Fuß gefaßt hatte, wurden durch die greifbare und unermeßliche
Größe und Hoheit des Sultans verdrängt. Von ihm hing Leben und Tod, Besitz und
Glück und Alles, was in der Welt theuer ist, ab.
Es ist bekannt, daß die alte türkische Staatsversassung die Vermischung einer
wunderbaren gesellschaftlichen Gleichheit mit dem Despotismus bildet. Alle Osmanen sind
gleich; einheitlich in der Religion, gleich vor dem Gesetz, einheitlich in ihren Gewohnheiten;
selbst der ärmste Mann konnte Großvezir werden. Nicht die Geburt entscheidet, sondern
das Glück, die Fähigkeiten und die Geschicklichkeit jedes Einzelnen; es gab damals nicht
einmal Familiennamen, durch welche sich die Tradition in den Geschlechtern vererben
konnte. Überall, wo der Türke als Eroberer auftrat, mußten die früheren Institutionen
weichen, die alten Rechte und Verbindlichkeiten verloren ihre» Werth; der einst gewaltige
Herr wurde ebenso Unterthan, wie sein früherer Knecht. Nur in Bosnien sehen wir den
alten Adel, der sich in seiner großen Mehrheit mit Leib und Seele dem Islam znwendet
und dem Sultan huldigt, seine politischen Privilegien in alter Kraft erhalten.
Während in Ungarn alles wehrhafte Element in die den Habsburgern und den
Siebenbürgern verbliebenen Gegenden flüchtete und die kroatischen Herren sich nach
Slavonien übersiedelten, fing für Bosnien und die Hercegovina ein neues Leben an. Nach
langen Streitigkeiten der Unterthanen mit ihren Königen und anderen Oberherren finden
236
wir jetzt zunächst keine Spur von inneren Zwistigkeiten; ebenso wie die Serben zu
Ende des XIV. und zu Anfang des XV. Jahrhunderts sind alle mohammedanischen
Bosnier entschiedene und tapfere Vertheidiger des Islam, der osmanischen Sache. Es
ist das erstemal, daß die Bosnier Mitglieder eines großen Staates werden, ihre
Fähigkeiten dort zum Ansdrucke bringen können, sich für ihre Tapferkeit belohnt sehen
und am glänzenden Hose von Constantinopel eine würdige und ehrende Ausnahme finden.
Nichts ist bezeichnender, als die interessante mohammedanisch angehauchte neue Volks -
poesie Bosniens, welche in der nationalen Sprache ihre neuen Helden besingt, während in
den serbischen Heldenliedern das orthodoxe Christenthum und der glühende Haß gegen den
Islam den Grundton bildet.
Der ganze Boden des Landes wurde als Staatseigenthnm erklärt, aber den alten,
zum Jslain übergetretenen Eigenthümern zum Besitze überlassen; immerhin wurde jedoch
das oberste Besitzrecht des Staates gewahrt. Ein wohldisciplinirtes starkes Heer, zu
dessen Unterhalte durch eine geschickt angelegte Finanzverwaltung alle Volkskräfte
herangezogcn wurden, und der islamitische Glaubenseifer waren die Säulen des Reiches.
Wenn wir die leider nur bruchstückweise auf uns gekommenen Desters (Ausweise
der verschiedenen Einnahmsguellen) des bosnischen Beglerbeg (Statthalterschaft) durchsehen,
bekommen wir erst einen Begriff von dem intensiven, auf alle Verhältnisse des Lebens
sich erstreckenden Verwaltungstalente, das in diesem Zeitalter nicht nur den türkischen
Waffen, sondern auch der türkischen Politik den Vorzug sicherte. Dieser Vorzug bestand
aber nicht länger, als bis die Biederkeit und Solidität des türkischen Volkselementes
corrumpirt wurde. Und dies trat bald genug ein.
Der große Unterschied zwischen den westlichen und orientalischen Lehen besteht darin,
daß, während im Westen der Jmmobilienbesitz, ohne Rücksicht auf dessen Ertragsfähigkeit,
selbst den Gegenstand des Lehens bildet, im Oriente, obzwar auch hier das immobile
Lehen den Gegenstand der Schenkung des Sultans darstellt, nicht auf den Grundbesitz
selbst, sondern auf dessen Ertrag, den Dirlik, Gewicht gelegt wird. Der Sultan bestimmt
nach den Verdiensten des Einzelnen die Rente, mit welcher er seine Getreuen belohnen
will, und sucht ihm unter den Lehen eines aus, welches dieser Absicht am meisten
entspricht. Wenn sich in Bosnien ein Lehenbesitzer neue Verdienste erworben hatte,
konnte er nach einem Jahre oder sonst bestimmten Zeiträume ein neues Lehen bekommen,
das je nach dem Freiwerden eines Grundbesitzes auch in Egypten oder in Trapezunt
liegen konnte. Der Lehensmann war daher nicht an seinen Besitz gebunden, das ganze
Reich war sein Vaterland, denn der Dienst des Kaisers war überall derselbe.
Das orientalische Lehen ist daher das Gehalt des Einzelnen, das nicht in
Bargeld gereicht wird, sondern aus dem Complexe der catastral-festgestellten kaiserlichen
237
Güter, deren Revenue fixirt ist. Und ebenso, wie das Gehalt keinen Gegenstand des
Erbrechtes bildet, kann auch das Lehen nicht vererbt werden.
Im Westen und Osten bildet gleichsam die kriegerische Tüchtigkeit den Hauptgrund
der Lehenserwerbung. Während aber in Europa der Leibeigene disqualificirt erscheint
und nicht als wehrhaft betrachtet wird, herrschte in der türkischen Auffassung einzig
und allein der Standpunkt der Tüchtigkeit, ohne Rücksicht darauf, ob der Betreffende
Ruine Teocak.
arm oder reich, gelehrt oder nicht gelehrt, frei oder unfrei war; darum ist der Begriff
des Parvenü im türkischen Reiche unbekannt. Dieses leichte Carricremachcn hatte
vielen Reiz für verwegene Elemente des Christenthnms und bewirkte eine Fluctuation
der untersten Elemente bis hinan zu der höchsten Spitze des Staates, denn jeder
Einzelne hatte ein besonderes Interesse an dem Glanze des Reiches. Jndcß zeigte
dieser Vorzug schon bei der großen Machtentfaltnng im XVI. Jahrhundert seine Schatten -
seiten. Die crasse Ignoranz der einzelnen türkischen Staatswürdenträger schadete sehr
oft dem Reiche und nichts ist bezeichnender, als die Frage eines Großveziers an
den venetianischen Botschafter, ob wohl Venedig an Rußland grenze? Der Botschafter
238
hatte nicht geringe Mühe ihm zu beweisen, daß Venedig kein Nachbar des genannten
Reiches sei.
Das Studium der türkischen Staatsacten beweist, daß unter dem türkischen
Regime nicht nur sämmtliche Militärs, wie Osficiere der Janitscharen, Artilleristen,
Festungstruppen solche Lehen erhalten konnten, sondern daß auch die christliche Religion
kein Hindernis bildete, um ein Lehen zu erhalten. Sehr viele solche Beispiele haben nur
ans dem Tieflande von Ungarn. Auch in der Hercegovina hatten noch im XVI. Jahr -
hundert bis zu der großen Erhebung vom Jahre 1591 Abkömmlinge alter christlicher
Familien in großer Zahl ihre Besitzungen als Lehen inne.
Dieser Umstand beweist, daß die türkische Regierung trotz der intensiven Jslamisirung
den ruhigen Besitz des eroberten Landes zu sichern trachtete, indem sie die Staatstreue
der Christen durch die Belastung ihrer Besitzungen unter türkischem Rechtstitel belohnte.
Anwartschaft auf die, nach dem Ertrag unter sich verschiedenen, Hissnri-deäik
l Garnisons-Lehen), Timar (Klein-Lehen), Äamvl (Groß-Lehen) benannten Lehen hatten
in erster Linie die Söhne der Lehenbesitzer, welche entweder im Heere um Sold dienten,
oder als Freiwillige in der Hoffnung, ein Lehen zu erhalten, sich anwerben ließen. Der
Sohn des Lehensmannes hatte nur im Todesfälle seines Vaters einen Anspruch auf
dessen Lehen und zwar hauptsächlich, wenn er unmündig zurückblieb; in allen anderen
Fällen mußte er sein Lehen selbst erringen. Damit die Paschas sich keine Unregel -
mäßigkeiten zu Schulden kommen ließen, mußte der Lehensbrief bei der ersten Belehnung
immer aus Constantinopel kommen. Der Vorgang war der, daß der Beg oder Pascha,
wenn er die Schenkung nicht unmittelbar vollzog, an die Pforte einen Vortrag
richtete, in dem die Verdienste des Betreffenden auseinandergesetzt wurden, ferner eine
Übersicht der freigewordenen Lehen im Paschalik lieferte und schließlich die Bitte um die
Schenkung vortrug. Wenn der Kaiser die Bitte gewährte, wurde der Ferman, der den
Namen des Lehens und des Beschenkten enthielt, ausgestellt, und auf Grund dessen trat
der Genuß der Rente des Lehens ein.
Eben weil das Besitzrecht auf diesem Ferman fußte und bei dem häufigen Wechsel
der Paschas immer wieder eine Erneuerung der Fermans nothwendig wurde, bilden diese
Besitzbriefe die Hauptdocumente des türkischen Besitzthums.
Die Lehenbesitzer mußten nach der Rentenstufe ihrer Lehen, gepanzerte Männer
(Dzebeli) dem Heere beistellen und dieselben in Friedenszeiten verköstigen, bekleiden, im
Kriege aber mit Waffen versehen.
Da an den bosnischen Grenzen bis zum Ende des XVIII. Jahrhunderts der Grenzkrieg
nie ruhte, mußten die bosnischen Lehensmänner ihre Leute fortwährend unter Waffen
halten. Die Pforte in Constantinopel überließ daher, um nicht die ohnedem vielfach in
239
Anspruch genommenen asiatischen und rumelischen Lehensmänner zu zersplittern, die
Verteidigung der Grenzen in erster Linie den bosnischen Lehensmännern, wodurch deren
autonomer selbständiger Sinn, gestützt auf ihre zeitweiligen Erfolge, intact und kräftig
blieb. Wenn der Spahi oder Lehensmann nicht bei der Musterung (soklaiua) erschien
oder nicht in den Krieg zog, wurde er seines Lehens verlustig erklärt (er wurde ma?ul)
und konnte nur nach einer gewissen Zeit wieder ein neues Lehen erhalten. Gealtert oder
wegen körperlicher Gebrechen nicht mehr waffenfähig, mußte er sein Lehen ebenfalls
verlassen und zog sich sozusagen in den Ruhestand unter die inütslraicka zurück. Die
Stellung eines solchen Lehensmannes war jedoch viel günstiger, als die eines besoldeten
Soldaten; denn in Friedenszeiten war er unumschränkter Herr seiner Besitzung, konnte
thnn, was er wollte, und seine Knieten erhielten ihn; er lebte immer in der Hauptstadt
seines Sandzaks, wo die Muselmanen in Blassen ansässig waren. Dies ist auch die
Hauptursache, warum sich das türkische Element, wo es nicht selbst denBoden bewirtschaftete,
meist in die Städte zog; dadurch bekamen auch die bosnischen Städte ihren muselmanischen
Charakter, und dieselbe Erscheinung sehen wir in den übrigen Balkanlündern. Dadurch ist es
auch erklärlich, daß die nicht mohammedanisch gewordene Bevölkerung, trotzdem sie türkischen
Grundbesitzern nnterthan wurde, ihre eigenen Sitten und Gebräuche sich erhielt und von
dem türkischen Einflüsse nur oberflächlich gestreift wurde. In den Dörfern, im Gebirge
finden wir in Bulgarien, Serbien und Bosnien nur selten noch Spuren der einstigen
türkischen Herrschaft, während das Städteleben dieser Länder, was besonders in dem
schon lange national verwalteten Serbien auffällig ist, noch immer einen türkischen
Charakter zeigt. In Bosnien kann man das Städteleben seit dem XVI. Jahrhundert
ganz türkisch nennen, indem mit Ausnahme der Handelsclasse Alles, was seine Cultur
umfaßte, türkisch war.
Bosnien wurde bis zum Jahre 1583 als Begluk, dem auch zeitweilig die Hereegvvina
angehörte, verwaltet. In diesem Jahre wurde es zum Paschalik erhoben, das die Sand-
zake von Sarajevo, Zwornik, von Pozega (welches das heutige Slavonien umfaßte) und
von Banjaluka in sich begriff und dem der Beg der Hereegvvina unterstellt war. An der
Spitze der einzelnen Sandzake standen Begs, mit einem Stellvertreter, dem Alai Beg;
dann kam der Oori baSi (Hauptmann), dann der 8ürücILi baSi (Lieutenant) und der
subaSi (Unterlieutenant), welche die großen Lehen unter sich vertheilten und so ihre
Bezahlung iu natura erhielten. Die Finanzverwaltung war natürlich bei diesem Lehens -
system am meisten interessirt, da es ja ei» Interesse des Staatsschatzes bildete, die Einkünfte
der Timarlis (Lehensmänner) und Ziametbesitzer in Evidenz zu halten. Es mußte die
Lehenskanzlei die aetuellen Einkünfte derBesitzer schon deßhalb genau kennen, um denHeeres-
stand zu evntroliren und die sreigewordenen Lehen zu registriren. Die Erträgnißansweise
240
wurden in dem ckoktor ickLmnli zusainmengeftellt, die freigewordenen Lehen und die neuen
Verleihungen in Listen, rrmrmmö, eingetragen.
Die türkische Verwaltung war vom Standpunkte der damaligen Verhältnisse
betrachtet, sehr wohl organisirt; sie hatte nur den einzigen, aber bedeutenden Fehler, daß
die Centralgewalt zu Constantinopel (wie in allen despotischen Staaten) dem Gouverneur
ganz freie Hand ließ und so allmälig Corruption und ein dem alten byzantinische,:
ähnlicher Bureaukratismus einrissen, deren Auswüchse unausrottbar waren.
Betrachtet man die türkischen Institutionen vom staatspolitischen Standpunkte, so
zeigt sich, daß das dominirende islamitische Element in erster Reihe die Blutsteuer zu tragen
hatte und dafür als Entschädigung von der arbeitenden und in den europäischen Provinzen
größtenteils christlichen Bevölkerung erhalten werden mußte. Wir können die Steuern,
die dem kaiserlichen Staatsschätze zuflossen und zur Erhaltung der aus den oben genannten
Lehcnsmännern bestehenden kämpfenden Bevölkerung dienten, in drei Kategorien theilen:
1. Die directen Staatseinkünfte (Kopfsteuer, Zölle). 2. Die große Menge der
außerordentlichen Steuern. 3. Die grundherrlichen Abgaben. Zn diesen
gehören: Der Zehent an Cerealien und Thieren, den die Mohammedaner wie die Christen
zahlen. Der Zehent ist ursprünglich ebenfalls eine Staatsstener und wurde nur als Ent -
gelt für die Lehensdienste den Timar- und Ziametbesitzern überlassen. Die einzelnen
Gewohnheiten und Verfügungen beruhten je nach den Gegenden auf Übereinkunft.
Geregelt waren auch die Abgaben derjenigen, die sich nicht dauernd niederließen;
ferner derjenigen, die nur ein Hans bewohnten und desgleichen die Tapu, das heißt im
heutigen Sinne die Umschreibnngsgebür der Grundbesitzer. Im Allgemeinen trug der
christliche Kmet außer der Kopfsteuer und dem Zehent an Korn und Heu nicht viele andere
Lasten, und es hätte sich bei diesen Verhältnissen auch in der Türkei ein allgemeiner
Wohlstand entwickeln können, wenn das Abgabeverhältniß durch den Staat controlirt
worden wäre und der Grundholde sein Recht bei den türkischen Gerichten hätte erlangen
können. In dieser Hinsicht hatte die Pforte jedoch wenig oder gar keinen Einfluß. Der
einheimische Adel, der den Grundbesitz innehatte, übernahm auch die Vertheidigung des
Landes, so daß die Türkei nur in Ausnahmsfällen und in großen Kriegen Truppen von
dem stehenden Heere nach Bosnien zu senden brauchte. Infolge dessen, sowie wegen ihrer
kriegerischen Tüchtigkeit und echt religiösen Gesinnung wurden jene machthabenden
Elemente immer als Schoßkinder betrachtet, dafür hatten sie freie Hand und thaten bis in
die neueste Zeit, was sie wollten.
Dieses einheimische Element machte sich bald nach der Eroberung zu Herren der
Staatsanstellnngen, des Richter- und geistlichen Standes. Der erobernde Türke, der
Osmanli war ja in dem fremdsprachigen Lande übel daran, und der Pforte konnte es nur
angenehm sein, treue Mohammedaner, die
ihrem Glauben ebenso feurig wie ihrem
Vaterlande anhingen, als Kadis und
Vorsteher anzustellen.
Die politische und Justizverwaltung
verfolgte eine ganz zweckmäßige leitende
Idee, litt jedoch an dem Gebrechen, daß
die Wirkungssphären nicht streng gesondert
waren, sintemalen der Wirkungskreis immer
von dem betreffenden Beamten persönlich
bestimmt wurde. In der Zeit der gänzlichen
Rechtlosigkeit der christlichen Bevölkerung
machte sich dieses Übel nicht so craß
geltend; später jedoch entstand dadurch
eine Verwirrung, welche zur Lockerung
des ganzen Staatswesens führte.
Die moralische Kraft der christ -
lichen Religion konnte im XV. Jahr -
hundert den Verfall des bosnischen
Königreiches eben so wenig verhindern,
als das Christenthum seinerzeit die Zer -
trümmerung des römischen Reiches hintan -
halten konnte. Erst als die Gefahr näher
rückte, die mohammedanische Propaganda
anfing und Tausende von Gläubigen
abfielen, gerade zur Zeit als die Türken
am gewaltsamsten auftraten, zeigte sich
wieder die unbesiegbare Gewalt des
Christenthums, die Opferbereitschaft und
die Fähigkeit, alle Leiden zu ertragen.
Die bäuerlichen Anhänger der beiden
christlichen Confessivnen, Orthodoxe wie
Katholiken, verblieben, obwohl der Adel
bei ihrer alten Religion.
Auch in diesem Punkte zeigt sich de
während im Westen der Grundsatz galt:
Bosnien und Hercegovina.
Grabmal des Titular-Königs Nikolaus Ujlaky.
mohammedanisch wurde, in der großen Masse
Unterschied zwischen Westen und Osten; denn
cujus i-6Kio, ejus relicho", sehen wir hier
16
242
gerade das Gcgentheil, indem die niederen Classeu im Gegensätze zu ihren Herren treu,
sogar fanatisch zum Alten hielten. Der Grund dieser Erscheinung bei der katholischen
Bevölkerung ist in dem klugen Verhalten der Franciscaner zu suchen, welche kurze Zeit
nach dem Falle Bosniens den Sultan so geschickt von der Nützlichkeit ihrer Mission
für das türkische Staatswesen zu überzeugen wußten, daß sie vom Sultan in dem
berühmten Ahdname Privilegien erhielten, die ihnen in gewisser Beziehung Sonderrechte
sicherten. Sie hatten aber auch einen großen Rückhalt in Rom. Da half das im XV. Jahr -
hundert gegründete Oollaggnrn Illzmianin, das Schoßkind der Päpste, welche» speeielt siir
die Balkanhalbinsel Missionäre erzog und von der Curie immer liebreich behandelt wurde,
auch von der letzten in Rom verstorbenen bosnischen Königin Legate erhielt und dadurch
die traditionelle Hüterin des Resurrectionsgedankens wurde. Es unterstützte die Francis -
caner moralisch und materiell in jeder Beziehung.
Die Gefahr, inmitten deren die Franciscaner das Kreuz hoch hielten in einem Lande,
wo von Seite der Machthaber ihr Leben jeden Augenblick in Gefahr kam, stählte diese
klugen Köpfe, und im Laufe der Zeit lebten sie sich so in den Gedankengang ihrer Herren
hinein, daß sie die Türken mit deren eigener Waffe, der Verschlagenheit, besiegten. Sie
machten sich im vollen Sinne des Wortes unentbehrlich. Als Ärzte und mit Hilfe ihrer
Reliquien imponierten sie auch der mohammedanischenBevölkerung; viele mohammedanische
Frauen ließen sich in schweren Krankheitsfällen sogar taufen, und durch ihren internationalen
Schliff und ihre wenn auch nicht westeuropäische, jedoch den Übrigen weitaus überlegene
Gelehrsamkeit imponirten sie dem Statthalter. Sie hatten nur den einen Fehler, dass sehr
oft persönlicher Zwist ihre Eintracht störte.
Die orthodoxe Bevölkerung, zumeist Hirten, zahlreich im Karste der Hercegovma
und in Ostbosnien zerstreut, lebte getreu den alten Formen auch ohne besondere geistliche
Obrigkeit weiter fort. Ihre traditionelle Anhänglichkeit an die Religion wurzelt viel
weniger in der Glaubenstreue, als im zähen Festhalten an den alten Sitten und zum Theil
auch darin, daß sie die mohammedanische Glaubenslehre weniger als Glaubensform, denn
als eine fremde Sitten importirende Richtung ansahen. Der Katholicismus mit seinem
Latein war ihnen ebenso verhaßt, als der Mohammedaner mit seinem arabischen Koran,
und in ihrem passiven Widerstande unbeachtet, richtiger gesagt verachtet, vermehrte sich die
orthodoxe Bevölkerung. Ihre Geistlichkeit war damals gänzlich verkommen; lesen oder
schreiben konnten nur Wenige von ihnen und gleichzeitige Berichte betonen einstimmig,
daß ihre Priester mehr Wölfe als Hirten ihrer Herde seien. Durch Elemente, die ans
dem Süden einwanderten, verstärkt, durch griechische, albanesische und cincarische Elemente
aufgefrischt, bildete sich langsam der Kern eines christlichen Handelsstandes, der in den
Städten von den Türken anfangs geduldet, dann durch die Verlotterung des Regimes
24.8
großgezogen, in gewisser Beziehung auch Sonderrechte erlangte. Doch selbst unter dem
furchtbaren Drucke, den die türkische Staatsgewalt ans die nicht mohammedanischen Ele -
mente ausübte, konnten die beiden Richtungen des Christenthums nie zur Eintracht
gelangen; ein unauslöschlicher Haß herrschte uuter ihnen. Die Franciscaner beklagen sich
über die Schismatiker in viel schärferen Worten als über die Türken, und auch die Ortho -
doxen ziehen den Ungläubigen „dem falschen Lateiner" vor; beide Cvnfessionen klagen sich
der Falschheit und List an — und beide haben zu jener Zeit Recht. Diese Eigenschaft wurde
unter dem despotischen Regime großgezogen und war im Grunde nur die Erbschaft der
bosnischen Theilfürstenthümer, wo man weder die private, noch die staatliche Treue
erlernen konnte.
Als nach dem endgiltigeu Falle von Jajce die christlichen Sclaven „mit gebundenen
Händen und gebrochenem Herzen", wie der türkische Geschichtsschreiber ausruft, nach
Constantinopel abgeführt wurden, war die ottomanische Staatsmacht ihrem Gipfelpunkte
nahe. Die Festungen Bihae, Krupa und Novi ausgenommen, war beinahe das ganze
heutige bosnisch-hercegovinische Gebiet nicht nur erobert, sondern bald darauf auch nach
den oben skizzirten Satzungen des ottomanischen Staatsrechtes organisirt. Die türkische
Bvlkskraft eroberte Bosnien als letztes Bollwerk der Balkanhalbinsel und hier blieb sie
auch die längste Zeit wirksam und besonders zäh in ihrem Widerstande. Der Geist, der
die Janitscharen in diesem Jahrhundert beseelte, die Idee des heiligen Krieges, fand hier
lauten Widerhall. Die individuelle Kraft aller mohammedanischen Bosniaken konnte sich
in dem Gedanken einigen, daß Jeder das heilige Recht habe, mit dem Schwert in der
Faust das Gut der Feinde seines Herrn an sich zu nehmen. In dieser Zeit der türkischen
Eroberung erzogen sich die Großsultane ebenso überzeugte als tapfere Werkzeuge, die dann
mit Talent und im Sinne ihrer Herren die Pläne derselben weiter schmiedeten. Ein solcher
türkischer Regenerator Bosniens ist vor Allem der große Nationalheilige Chusrew, dessen
Moschee zu Sarajevo heute noch im größten Ansehen steht.
Chusrew war ein Sohn des in Egypten gegen die Christen gefallenen Märtyrers
Beg Ferhad, der die Tochter des Sultans Bajazid, namens Deldschuka, zur Frau hatte.
Bon Jugend aus in fortwährenden Kümpfen erzogen, kam er im Jahre 1506 nach Bosnien,
wo er zwölf Jahre lang blieb und das Land genau kennen lernte. Damals erwarb er sich
in den Kämpfen an der Grenze jene Schulung, die ihm dann bei der gänzlichen Unter -
werfung des Landes sehr zustatten kam. Später wurde er zwar in den Orient versetzt,
kam aber im Jahre 1520 wieder nach Bosnien und verblieb hier durch 21 Jahre bis zu
seinem Lebensende. Er ist der einzige in der langen Reihe der bosnischen Statthalter, der
durch so lauge Zeit diesem Lande Vorstand und damit genügend Zeit hatte, um für dasselbe
zu wirken. Die Stadt Sarajevo verdankt ihm das Ansehen, das sie in der islamitischen
16*
Welt genoß, indem er alle seine Einkünfte zu wohlthätigen und frommen Stiftungen ver -
wendete. Er baute Moscheen, dotirte sie reich, machte Stiftungen zur Bewirthung armer
Muselmanen, errichtete ein Spital, ließ Brunnen graben, verwendete für die Bekehrung
christlicher Unterthanen große Summen, errichtete eine Bibliothek, in welcher sich 1500
Bücher befanden, und die türkischen Geschichtsschreiber sind voller Begeisterung, wenn
sie seine oben angeführte Moschee erwähnen, die mit 600 Lampen verziert war und
an einer Stelle erbaut wurde, welche „die Herzen erquickt".
Trotz seines echt mohammedanischen religiösen Gefühles war er zugleich der Erste,
der in dem dem Islam ergebenen Sarajevo den Ban einer christlichen Holzkirche bewilligte.
Man muß anerkennen, daß dieser Orientale nach allen Richtungen bestrebt war, den Besitz
des Landes durch die Mittel der Cnltur zu sichern; und ohne von der Vollkommenheit
der mohammedanischen Institutionen überzeugt zu sein, muß man gestehen, daß das
türkische Schulwesen damals weit höher stand als das christliche, sowohl auf dem Balkan,
wie auch im benachbarten Türkisch-Ungarn und Osteuropa. Diesen bedeutenden Organisator
traf das Geschick, welches so viele der besten Mohammedaner ereilte. Er wurde, als er
die rebellischen albanesisch-montenegrinischen Bergstämme von Kuci im Jahre 1541
bekriegte, getödtet.
Im Laufe des XVI. Jahrhunderts, kurz nach dem Tode Chusrews, erhalten fast
ausschließlich einheimische oder schon in Bosnien naturalisirte Vornehme den Posten eines
Beg. Die fanatischen und tapferen Bosniaken waren in Constantinopel sehr gerne gesehen.
Der Beg Kara Osman (1554) heiratete die Schwester des Sultans Suleiman. Jeder
dieser Statthalter suchte in erster Reihe sich und dann seine Verwandten zu bereichern. Dies
geschah damals meist auf Kosten des benachbarten Staates; es verging auch kaum ein Jahr,
ohne daß große Mengen von abgeschnittenen Ohren und Nasenspitzen der überrumpelten
christlichen Festungsmannschaften nach Constantinopel geschickt wurden. Dieser Zug von
Grausamkeit geht im Laufe des ganzen Jahrhunderts durch alle Kämpfe. Daß die Christen
Gleiches mit Gleichem vergalten, ist selbstverständlich. Um das Jahr 1566 verwüstete ein
Nachkomme des Despoten Brankovic, Vuk Smaj, ganz das Bosnathal bis Sarajevo,
das er plünderte. Erst nachdem mit dem Falle der Festung Sziget die südlichen
Donaugegenden Ungarns vollständig erobert waren, hörten die Einfälle und Wieder-
vergeltnngen der verwegenen ungarischen und kroatischen Hajduken für längere Zeit auf.
Dann folgte bis zum Ende des Jahrhunderts die beinahe erbliche Statthalterschaft
des berühmten einheimischen Geschlechtes der Sokoloviei, dem auch der Großvezir, der
kluge und tapfere Mehmet Sokoli angehörte. Aus dieser Familie stammten, wie der mit
der Familie verwandte Geschichtsschreiber Ali Pecevi betont, zwei Großvezire, fünf Vezire
und zehn Begs.
246
Unter diesen Sokolovic'schen Gouverneuren war der berühmteste der Erzieher
Selims II., Lala Sokoli, dem zu Liebe das Begluk Bosnien zum Paschatik erhoben wurde.
Im Laufe dieser Zeit bürgerten sich die türkischen Institutionen vollkommen ein, und im
Gebiete Bosniens und der Hercegovina war Alles ziemlich stille. Nur die Bergvölker in
Montenegro und die christlichen Albanesen revoltirten von Zeit zu Zeit; es muß aber
bemerkt werden, daß diese Revolutionen, wie schon zu Mathias Corvinus' Zeiten, den
Charakter einfacher Räubereien hatten, da die in ihre Berge eingeschossenen armen Hirten,
oft nur um sich Nahrung zu schaffen, den wohlhabenden Bauer in der Ebene ohne Unter -
schied der Confession seiner Habe zu berauben suchten. Diese Unruhen wurden stets bald
gedämpft, und nirgends sehen wir die Regung einer politischen Contremine, welche sich
gegen die actnelle Regierung gerichtet Hütte. Nichts beweist schlagender die Erstarkung der
mohammedanischen Religion, als daß in Tuzla der Scheikh Hamsa (1577) eine eigene
türkische Secte gründete, die nur durch Hinrichtung aller Oberhäupter auszurotten war.
Doch auch der glühende Fanatismus der türkischen Eroberungszejt war nach
Erreichung so großer Ziele verraucht. In Constantinopel kam eine ganze Reihe unfähiger
Sultane auf den Thron, und nur die starke Hand einiger Großvezire konnte das zusammen -
gewürfelte Reich noch eine Weile im Gleichgewichte halten. Das Schicksal aller großen
Reiche ereilte auch das türkische auf dem Gipfelpunkte seiner Macht. Je größer der Staat
wurde, desto mehr Feinde erwuchsen ihm an seiner Peripherie, und die Expansivkraft mußte
sich in den Erhaltungskämpfen zersplittern. Im Nvrdosten des Reiches entstand unauffällig
das moskowitische Reich, beinahe unbekannt im Westen. Vom tapferen Polenkönig Bathory
zwar besiegt, war es dennoch furchtbar; aber seine Gefährlichkeit sagten nur die prophetisch
begabten venetianischen Gesandten voraus und die Päpste, die mit außergewöhnlicher
Feinfühligkeit vorahnten, daß in diesem Reiche ihren Bestrebungen der größte Gegensatz
erwachsen werde. Die Nordgrenze des türkischen Staates war das zwar tributäre,
aber durch kluge Fürsten stark gewordene siebenbürgisch-ungarische Fürstenthum. Die aus -
gedehnte ungarische Grenze brachte den Sultan wieder in Conflict mit den Habsburgern,
welche zwar, von zwei Seiten in Anspruch genommen, als Kaiser ihre Stellung im Westen
behaupten mußten, aber im Osten als Könige von Ungarn und Inhaber der deutschen
Grenzmarken in erster Reihe den Kampf mit den Türken aufnahmen. An der West -
grenze waren es Venedig, die italienischen Staaten und der Papst, sowie Spanien, die im
türkischen Reiche den Feind des Christenthums und den Bedroher ihrer eigenen Staaten
sahen, wonach schließlich nych der Schah von Persien als Erzfeind des sunnitischen Sultans
zu erwähnen bleibt.
Mit dem ersten concentrirten Vorstoße auch nur einer der christlichen Mächte mußte
die Abbröckelung jener Provinzen beginnen, welche keine natürlichen Reichsgrenzen bildeten.
247
Doch dieser Vorstoß erfolgte erst ein Jahrhundert später, und die Türken wurden im Besitze
ihrer Großmachtstellung erhalten, einerseits durch die Uneinigkeit ihrer vielen Feinde,
anderseits durch die religiösen Gegensätze in Deutschland, die der Weltlage eine andere
Gestaltung gaben. Mittlerweile hatten die Türken Zeit zu noch weiterer Stärkung ihrer
Macht innerhalb ihrer natürlichen Grenzen und speciell in Bosnien, dessen Wichtigkeit die
Sultane nie verkannten, und das sie fortwährend begünstigten.
Zu Ende des XVI. Jahrhunderts hatte die Türkei den ersten starken Stoß auszu -
halten, der mit seinen Nachklängen bis in die ersten zwei Jahrzehnte des XVII. Jahr -
hunderts fortvibrirte. Das ist die erste große Balkanbewegung, zugleich die erste große
europäische Liga, die sich die Zertrümmerung der türkischen Macht zum Ziele setzte.
Auf dem päpstlichen Stuhle saß Sixtus V., vielleicht der größte unter den Männern,
die sich als Päpste zur Leitung der Christenheit emporgeschwungen. Abgesehen von den
universellen Zielen des Papstthums empfand der einstige Hirtenknabe von Mvntalto
warme Sympathie für die Balkanchristen überhaupt. Er rühmte sich sehr oft seiner
Abstammung, daß seine Vorfahren aus slavonischen Gebieten vor den Türken nach
Italien geflüchtet seien, und hielt es sozusagen für eine persönliche Pflicht, den dort
gebliebenen Nachkommen seiner Vorfahren beizustehen. Obwohl die eingelangten Berichte
gleich nach den Schilderungen der Christenverfolgungen in erster Reihe den Gegensatz
hervorhoben, der zwischen der orthodoxen und lateinischen Christenheit auf der ganzen
Linie obwaltete, gab er doch die Hoffnung nicht auf, daß es ihm schließlich gelingen
werde, die gesammte Christenheit, ob orthodox, ob protestantisch, zu ihrem Heile wieder
zu vereinigen. Er sah wohl ein, daß die Begeisterung der Kreuzzüge im XVI. Jahr -
hundert nicht mehr zu entfachen sei, doch hoffte er Alle durch politische Motive für seine
Pläne zu gewinnen.
Als nach dem Tode dieses Balkanfreundcs sein Schüler, der Cardinal Aldobrandini,
unter dem Namen Clemens VIII. aus den päpstlichen Stuhl kam, spann er die Fäden
weiter, ließ sorgfältig alle Beschwerden und Klagen der Christen prüfen und schickte sich
zur Verwirklichung der Befreiungsplüne an. Als der ersten und unmittelbaren Werkzeuge
mußte sich das Papstthum natürlich der römisch-katholischen Geistlichkeit im türkischen
Reiche bedienen und ihr, entgegen seinen Anschauungen, ihre vielen canonischen Gebrechen
Nachsehen; denn ebenso zerrüttet wie die Herde waren auch ihre Hirten. Doch glaubte
die Curie nicht verzagen zu dürfen, sondern eiferte vielmehr durch ihre Legaten die dort
gebliebenen Christen fortwährend an und veranlaßte in den bosnischen, bulgarischen,
albanesischen und macedonischen Provinzen Visitationen, welche mehr als Kundschaster-
dienste, denn als canonische Prüfungsreisen zu betrachten sind. Am nächsten lag der Curie
das adriatische Dreieck, in welchem ja an der Küste unter venetianischer Botmäßigkeit die
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katholische Kirche ihre Prüponderanz behauptete. Aber die Türkemuacht drohte auch schon
die Küstenstriche au sich zu reißen und dann hätte, wenn von Bosnien aus die kroatische
Grenze und Istrien occupirt worden waren, Italien seine Culturstellung eingebüßt. Dies
empfanden die Päpste; und wenn die türkische Expansion nicht durch die Tapferkeit der
von den Habsburgern beherrschten Grenzvölker aufgehalten worden wäre, fo würde jene
sich direct auf dieses so werthvolle Ziel concentrirt haben. Es lag daher im Interesse nicht
nur des Papstes, sondern auch ganz Italiens, ja wegen der Gefährdung des ganzen
mittelländischen Handels auch im Interesse Spaniens, daß sich die türkische Gewalt nicht
schrankenlos ausdehne. In Anerkennung dieser Solidarität richtete der Papst an Kaiser
Rudolf ll. die Einladung, von der Defensive zur Offensive überzugehen um die türkische
Gewalt zu brechen.
Die vielen Raubzüge, die Kraftproben der beutegierigen bosnischen Lehensmünner.
ferner die an der ungarisch-kroatisch-habsburgischen Grenze fortwährend stattfindenden
Metzeleien und die feurige Aufwallung Sigismund Bathorys, des Fürsten von Siebenbürgen
(1593), der sich die Fürstenthümer Moldau und Walachei tributär machte, ergaben eineLage,
welche alle Merkzeichen eines nahenden großen Krieges darbot. Von all diesen Vibrationen
erhielten auch die Balkanchristen Kunde, sowohl Orthodoxe, wie Lateiner. In den Hütten
der bedrückten Rajah wurden große Neuigkeiten erzählt, selbst die ihrem Schicksale
ergebensten Christen hofften wieder; die Leute erzählten sich von den Heldenthaten
des letzten Königs Stephan Tomasevic, man munkelte, die letzte Königin von Bosnien habe
einen großen Schatz hinterlassen und der Papst als Erbe des bosnischen Königreiches sehe
es als seine Pflicht an, sich für die Rajah einzusetzen. Viele christliche Häuptlinge,
welche, unter türkischer Botmäßigkeit stehend, an den Räubereien gegen die ungarischen
und krainischen Christen gar fleißig theilgenommen, hielten es im Geheimen mit dem
Abgesandten der Päpste und eine große Verschwörung entstand im ganzen Lande. Das
Geheimniß wurde den Türken nicht verrathen. Plötzlich tritt der dalmatinische Edelmann
Bertucci, Abkömmling einer aus Bosnien ausgewanderten Familie, an die Spitze dieser
Bewegung und vermittelt die Correspondein einerseits mit dem Kaiser, anderseits mit
dem Papst. Die Situation hätte eine noch günstigere Wendung nehmen können, wenn nicht
ein Factor dieselbe oft gekreuzt Hütte; dieser hindernde Factor war das Uskokenthum.
Dieses bildet eine symptomatische Erscheinung in der Umwälzung der Gesellschaft,
welche die türkische Eroberung hervorgerufen hatte. Das Uskokenthum entstand in Nord-
Dalmatien, an der kroatischen Meeresküste, in Fiume und im habsburgischen Binnen-
Kroatien, indem alle Elemente, welche dem türkischen Regime sich nicht fügen wollten, der
neuen Ordnung mit dem Säbel in der Faust Opposition machten und zu unsteten Räubern
wurden. Das gedrückte Volk verhielt sich diesen Elementen gegenüber sympathisch, weil
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sie gegen seine Bedrücker kämpften, und unterstützte sie in allen ihren Bestrebungen mit
Rath und That; vor den Paschas aber und den türkischen Lehensmännern, die sie
bedrängten, retteten sie sich auf venetianisches oder kroatisches Gebiet, wo sie dann, militärisch
organisirt, ein Freibeutervolk wurden, nicht roher und auch nicht besser, als die berüch-
Bezir Mehmed SokoloviL
tigten Flibustier. Sie fochten unter dem Kreuzesbanner gegen den Erbfeind, den Türken,
was sie aber hier nicht hinderte, den wälschen Venetianer, den dalmatinischen Kaufmann
und auch die deutschen Landsknechte, wenn es ihren eigenen Nutzen galt, zu befehden und
ihnen die Ware oder sonstigen Besitz wegzunehmen. Die meiste Sympathie genoß bei ihnen
noch das Haus Habsburg, das es sich zur Aufgabe stellte, diese todesmuthigen Elemente
durch geschickte Grenzeapitäne und günstige Verträge an sich zu ketten. Es hing daher Alles
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davon ab, dieses Element dem Plane zu gewinnen. Die Mitwirkung der Uskoken mußte
indeß naturgemäß Venedig von der Sache abwendig machen; und da die Befreiung dieses
Theiles der Balkanhalbinsel in der Folge der Aufhebung der venetianischen Herrschaft
gleichgekommen wäre, sah die Signoria eine weit größere Gefahr in dem päpstlich-kaiser -
lichen Unternehmen als in der türkischen Macht, welche sie durch fortwährende Unter -
stützung der montenegrinischen und albanesischen Stämme beschäftigen konnte, oder auch,
wie die geheimen Acten beweisen, durch allerlei Hausmittel, z. B. Gift, zur Ruhe brachte,
wenn etwa der eine oder der andere Sandzak-Beg eine unüberwindliche Abneigung gegen
venetianische Zecchinen zeigte. Offen konnte Venedig freilich nicht auftreten, aber es ver -
eitelte das Unternehmen gleich im Anfänge durch seine Passive Haltung; und wenn auch
die Verzweigung und die Allgemeinheit der Verschwörung in Bosnien nicht zu den Ohren
des Sultans kam, faßten die localen Machthaber doch großes Mißtrauen gegen die
Christen.
Der Papst glaubte nun die Haltung Venedigs durch das einmüthige Vorgehen
sämmtlicher europäischer Mächte paralysiren zu können. In Italien wurden die Republik
Florenz, dann Mantua, Parma, Urbino, Genua, kurz alle kleineren Staaten ins Ein -
vernehmen gezogen, und alle erklärten sich im Hinblick auf das große Ziel einverstanden,
dem Kaiser, der die Action leiten sollte, mit Geld und Mannschaft beizustehen. Der
Optimismus wurde von den verschiedenen Kundschaftern genährt, die da erzählten, „dass
es ein Leichtes sei, mit einem gewählten Heere von 20.000 Mann das ganze Land zu
erobern" (Andrea Girolamo).
Dann wurden Deutschland, Dänemark und Spanien, welches damals der katho -
lischen Christenheit viele materielle Opfer brachte, interessirt; im Norden wurde Polen
gewonnen und der Czar Feodor, auf dessen Mitwirkung der Papst ein Hauptgewicht legte,
in den Plan einbezogen. Das Schwert aber sollte Siebenbürgen ziehen, an dessen Spitze
der verwegene Bathory, der die türkisch gesinnte Opposition seiner Unterthanen mit Gewalt
erdrückte, sich bereit erklärte, das türkische Joch abzuschütteln und bei der großen Befreiung
mitzuwirken.
Die Action kam diplomatisch zustande, indem alle Mächte sich bereit erklärten, los -
zuschlagen. Trotz dieser Einmüthigkeit auf dem Papiere wurde jedoch kein einheitlicher
Kriegsplan aufgestellt, sondern das Hauptgewicht auf den Erfolg der partiellen Kriege
gelegt. Es handelte sich nicht darum, daß ein großes Heer direct gegen die Türkei vorgehe,
sondern daß man diese in allen ihren Provinzen durch locale Revolutionen, die aber mit -
einander nicht im Contacte standen, beschäftige, um so die Centralgewalt leichter erdrücken
zu können. Das Hauptgewicht wurde auf die bosnische Action gelegt und die Gelegenheit
bot sich bald, als der Pascha von Bosnien, Gazi-Deli-Asan in Kroatien einfiel.
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Die allgemeine europäische Bewegung kam wohl nicht zum Ausbruche, doch wurde das
Bündniß zwischen dem Kaiser und dem siebenbürgischeu Fürsten geschlossen und besonders
Erzherzog Karl, der Oberbefehlshaber der innerösterreichischen Provinzen und der tapfere
Ban Thomas Erdödy in Kroatien waren es, welche die Bewegung in Bosnien ernst
nahmen und Alles aufboten, um den in Prag residirendeu Hof für Bosnien zu interessiren.
Besonderen Eindruck machte auf die Haltung der vorsichtigen Räthe des Kaisers die Ein-
müthigkeit, mit der sämmtliche Häuptlinge, sowohl Katholiken als Orthodoxe, die alten
Rechte des Kaisers als Königs von Ungarn betonten und bei der Anrufung dieser Hilfe
es für die Pflicht ihres obersten christlichen Souveräns hielten, ihnen beizustehen. Bertucci,
die Seele der von den Franciscanern geleiteten Bewegung, war aber nicht der Mann, um
in aller Reinheit der Gesinnung für dieses große Ziel einstehen zu können; er hatte viel
Talent zum Auswiegeln, aber sein Egoismus und seine Eitelkeit wurden bald erkannt
und erregten Mißtrauen sowohl am kaiserlichen Hofe wie auch bei den Bosniaken. Partei -
lichkeiten stellten sich ein; und da besonders die Majorität der Franciscaner den Partei -
hader anfachte, verlor die Bewegung viel von ihrem Idealismus. Der große Sieg bei
Sissek (1594) über den Pascha von Bosnien war noch nicht erfochten, als die bosnischen
Häuptlinge schon einen eigenen König verlangten, jedoch großmüthig hinzusetzten, daß dieser
immer dem Hause Habsburg angehören solle, und sich den Erzherzog Maximilian erbaten,
und an diesem Gedanken hielten alle ohne Unterschied der Religion fest. ^n zweiter
Linie wollten Alle ihre alten Besitzungen zurück haben und den Besitz der Türken unter
sich theilen. Nach dem Siege von Sissek kamen sie sämmtlich schon mit fertigen
Projekten heran und wollten Alles gleich im Vorhinein, ehe noch die Türken verjagt
waren, bestätigt haben. Und nun brach der abwechslungsreiche, sogenannte fünfzehn -
jährige Krieg aus (1591 bis 1606), der zwar für die Habsburger nicht ohne Erfolge endete,
aber das große Ziel der Befreiung der Balkanhalbinsel gänzlich in den Hintergrund
drängte. In Bosnien war Alles schon zum Aufstande bereit; ein Heer sollte die Festung
Klissa von Spalato aus nehmen, ein zweites unter dem Cvmmando des Ban nach Jajce
marschiren, diese Festung nehmen und nach Niedermetzlung der Türken sich mit dem ersten
in Sarajevo vereinigen. Doch verwirklichte sich nur ein -rheil dieses Planes. Bald machte
sich Geldmangel fühlbar; Waffen blieben aus, und als das Volk sah, daß nichts geschah,
wurden Alle lauer und auch die Franciscaner, die für ihre Privilegien und Klöster (damals
14 mit gegen 50.000 Seelen) fürchteten, dämpften ihren Muth, so daß die Türken Zeit
hatten, der Bewegung Herr zu werden.
Eine Episode bewerkstelligte den vollständigen Umschwung. Drei tapfere Spalatiner,
Johann Alberti, Paul Babic und Lucas Milosevic, erstürmten mit 300 Uskoken auf
eigene Faust die Festung Klissa. Nun war der Moment des Vordringens gekommen; die
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kaiserlichen Truppen jedoch blieben aus, Venedig verhielt sich sogar feindselig gegen die
Action, und der türkische Pascha Smail bemächtigte sich, indem er Alles aufbot, der
Festung in kurzer Zeit wieder. Die Bewegung im Innern des Landes wurde endgiltig
niedergeschlagen. Die Nachhaltigkeit dieses Triumphes wurde dann durch den großen Sieg
der Türken bei Mezö-Keresztes (1596) noch besiegelt. Wenn die Türken auch im späteren
Kriege viel von ihrer Macht einbüßten, wurde dies einerseits durch die Occupation des
Unagebietes, anderseits durch die Erfolge des Siebenbürger Fürsten Bocskay, der an der
Spitze der protestantischen Reaction gegen die uniformirenden katholischen Bestrebungen des
kaiserlichen Hofes stand, wieder wettgemacht. Der Sitz des türkischen Paschaliks wurde
nunmehr in Banjaluka aufgeschlagen, und die christlichen Besitzer, die, wie bemerkt, früher
als Lehensmänuer noch in größerer Anzahl vorhanden waren, mußten flüchten. So hatte
die Bewegung ihr Ziel nicht nur verfehlt, sondern die Lage der Christen sogar noch ver -
schlimmert. Es wurden Anstalten getroffen zur Mohammedanisirung der unterworfenen
kroatischen Grenzbevvlkerung. Die Türken beschränkten die Privilegien der Franciscaner
und rächten sich an den Bauern durch große Kriegssteuern, welche dieselben zur Bestreitung
der Auslagen des Christenkrieges leisten mußten. Auch wurden sie zur Verproviantirung
der zahlreichen Besatzung verhalten, die damals über 20.000 Reguläre zählte. Die
Türken schadeten sich zwar dadurch selbst, da die Bauern flüchteten oder zu den
Uskoken gingen. Die Bergwerksarbeiten, die noch bis Ende des XVI. Jahrhunderts zwar
in geringerem Maßstabe, aber dennoch fortgeführt worden waren, hörten jetzt gänzlich ans,
und es trat eine Verarmung des Landes ein. Nur in den Städten, wo sich das mohamme -
danische Herrenelement zusammenfand, sehen wir neues türkisches Leben sich regen.
Jndeß in den verborgenen Schluchten der Hercegovina, in den Bocche di Cattaro,
Albanien und Montenegro konnte dieser große Gährungsproceß nicht mit einem Schlage
vernichtet werden. Noch bis zum zweiten Jahrzehnte des XVII. Jahrhunderts kamen serbische
Orthodoxe und albanesische Deputationen zum Kaiser; sie konnten und wollten es nicht
glauben, daß man sie verlassen habe. Und als sie sahen, daß vom Norden her für sie keine
Hilfe in Aussicht sei, wandten sie sich an Venedig, an den Papst und bedienten sich dabei
der zersprengten bosnischen Franciscaner. An ihremLose aber wurde dadurch nichts geändert,
da der 30jährige Krieg die habsburgische Macht alsbald zwang, ihre Mission in Mittel -
europa zu erfüllen. Trotz alledem blieb aber doch als einziges politisches Ergebniß dieser
so mächtigen Erhebung ein Moment zurück, das den Funken nicht erlöschen ließ: der
Glaube an die Mission der Habsburger, an welchem auch die Orthodoxen, obwohl die
Dynastie katholisch war, in dieser Epoche festhielten.
Bald nach dem Frieden von Zsitvatorok (1606) zeigten sich in Bosnien und der
Hercegovina die Früchte der Erstarkung des mohammedanischen Regiments. Bis zu dieser
Zeit hatten sich die Statthalter eine gewisse
Reserve auferlegt und zur Befestigung des
oberherrlichen Ansehens die christlichen Kmeten
wenigstens dein Scheine nach zu schützen
getrachtet, ja, wenn es hoch herging, den
Franciscanern gewisse Concessionen gemacht,
hier und dort eine Kirche zu bauen gestattet,
manchmal auch eine abgebrannte wieder neu
aufbauen lassen. Man kann sogar den all -
gemeinen Zustand des Landes vor dem Kriege
für günstig halten. Denn das Land hatte seit
dem Falle Jajce's keinen Defensionskrieg zu
führen, deshalb wurden mehr Bodenflächen
bebaut, als ehedem, auch der Viehstand ver -
mehrte sich. Selbst christliche Reisende betonen,
daß man „hier gemächlich und ohne viel Furcht
leben kann". Bosna-Saraj wird als schöne,
reiche Stadt geschildert, in welcher sich 5150
Häuser befinden, die mohammedanische Ein -
wohnerschaft allein wird auf 10.000 Köpfe
geschätzt. Nach dem Kriege aber thaten sich die
Statthalter keinen Zwang mehr an, und es
folgte eine Willkürherrschaft, die von den ein -
heimischen Chronisten scharf gegeißelt wird.
Wenn es dem Vali (Gouverneur) einfiel, ließ er -
neue Steuern einheben, ohne Wissen des kaiser -
lichen Schatzmeisters in Coustantinopel, und
bedrückte somit alle Unterthanen. In den katho -
lischen Kirchen mußte man zurMessezeitWächter
aussenden, uni Überfällen vorzubeugen, man
konnte keine Taufbecken halten, mußte das
Allerheiligste verbergen und kaum konnten die
Fratres nach dem Gottesdienste die Schule
abhalteu. (Es waren um diese Zeit im Ganzen
13 christliche Schulen, in welchen die Religion,
die lateinische und die Landessprache, dann
Waffen.
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etwas Grammatik gelehrt wurden.) Schwer lastete auf dem Volke der Kindertribut. Alle
drei bis vier Jahre wurden von 300 bis 1000 Kinder und Jünglinge bis zu 15 Jahren
zusammengetrieben und zu den Janitscharen genommen. Man half sich dagegen theils
mit Geldopfern, theils daß die Kinder schon mit zehn bis elf Jahren verheiratet wurden.
Doch trotz dieser Maßregelungen zeigen sich schon auch jene Momente, welche bald nachher
den ausschlaggebenden Charakter der politischen Lage Bosniens und der Hercegovina
bilden. Die Begeisterung der Mohammedaner für den heiligen Krieg war erloschen; die
Janitscharen, besonders in der Hercegovina und im Sandzak Novibazar, wurden einfach
zu Wegelagerern, und bei den Truppen riß eine Disciplinlosigkeit ein, die namentlich
die Besatzungen der Grenzländer demoralisirte. Die Streitkräfte an der nngarisch-
habsburgischen und siebenbürgischen Grenze bildeten nunmehr den Kern der ganzen
militärischen Macht, und in Bosnien begnügte man sich, abgesehen von den Festungs-
trnppen, mit sehr wenig Janitscharen und der einheimischen „Jnsurrection". Die Begs,
das heißt die mohammedanischen Gutsbesitzer hielten es offen mit den Janitscharen und
schon unter der Statthalterschaft Abasa Mehemed Pascha (1628), dann sieben Jahre
später unter Sali Mostarli empörten sich die Janitscharen und Vornehmen einmüthig
gegen den Pascha. Die erste Empörung hatte den Charakter einer Revolution, die sich
gegen die Tendenz des Statthalters, Ordnung zu schaffen, richtete; im zweiten Falle
trug die Schuld die Bedrückung durch eine ungesetzliche Steuer. Diese Meutereien sind schon
aus dem Umstande erklärlich, weil Bosnien mit dem militärisch untergeordneten Sandschak
Pvzega (Usaiat Uosna mü'-i livü'-i Uo/sZa) 13.578 Mann Besatzungen hatte (aufgezählt
im 1627 Defter), die eine jährliche Sustentation von 515.880 Dueaten (ein Ducaten
zu 60 Akce), das ist beinahe 3 Millionen Gulden beanspruchten. Zur Aufbringung
dieser nur am Papier beanspruchten Summe wurde die Steuerschraube desto schärfer
angewendet. Beide Bewegungen wurden unterdrückt, aber schon zeigte sich der nunmehr
unauslöschliche Gegensatz zwischen der kaiserlichen Centralregierung und der bosnischen,
besitzenden Classe, welche zwar die Oberherrlichkeit des Sultans anerkennt und die Reinheit
des Glaubens betont, aber sich mit den aus der Fremde gesendeten Valis nie zufrieden gibt.
Besonders bedrückt wurde die orthodoxe Bevölkerung im Sandzak Novibazar und in Alt -
serbien, welche nun als Hirten und Kmeten in die entvölkerten bosnischen Gaue einwanderte.
Diese Emigration, die oft auch die Folge von Hnngersnoth war, währte bis zu Anfang des
XIX. Jahrhunderts und wurde durch die einzelnen Kriege begünstigt. Durch diese orthodoxe
Einwanderung entstand das heutige ethnographische Bild des adriatischen Dreieckes.
Während die habsburgische Politik bis zum westphülischen Frieden den 30jährigen
Weltkrieg auszufechten hatte, und die türkische Oberhoheit nur mit Unterstützung Gabriel
Bethlens und Räkoczys sich in Ungarn aufrecht erhalten konnte, die Venetianer aber
ebenso wenig Vortheile zn
erringen vermochten, blieb
Bosnien im unbestrittenen
Besitz der Türken. Allein die
katholische Propaganda und
zugleich die alte Anwartschaft
des Hauses Habsburg ruhten
keinen Augenblick. Seit dem
Jahre 1622, als die Propa -
ganda lldei in Rom errichtet
wurde und die Curie einsah,
daß man die Angelegenheiten
des Orients nur durch ein
vrganisirtes geistliches Bu -
reau leiten könne, wurden die
Franciscaner- Missionen in
Bosnien einer eifrigen Visi -
tation unterzogen und deren
Mitglieder mit allen zu
Gebote stehenden Mitteln
unterstützt. Daß die Propa -
ganda nicht mehr Erfolge
aufweisen konnte, lag an dem
traditionellen Hader der
Franciscaner, an den Rei -
bungen mit den Orientalisch-
Orthodoxen und an dem
Mangel einer hierarchischen
Organisation. Gerade über
diesen besonders wichtigen
Punkt entstand gleich nach der
Errichtung der Propaganda
ein Zwiespalt zwischen dem
päpstlichen Stuhle und der
Politik der Habsburger. Im
Laufe des XVI. und XVII.
256
Jahrhunderts geschah die Ernennung des Bischofs immer auf Grund der Patronatsrechte
der Könige von Ungarn; und alle Herrscher aus dem Hause Habsburg wahrten
streng diese Rechte, da sie in dieser Jngerenz eine Stütze ihrer Politik fanden und
sich auch den Einfluß auf die Geistlichkeit zu sichern trachteten. Die Propaganda hin -
gegen wollte sich nicht beirren lassen und immer einen dem Zwecke am besten entsprechenden
Bischof ohne Zuthun des Kaisers ernennen lassen. Daraus entspann sich ein langwieriger,
dogmatisch-canonischer Streit, welcher die Erörterung der ganzen Patronatsfrage der
Könige von Ungarn nach sich zog und besonders infolge der Mitwirkung des ungarischen
Cardinals und Erzbischofs von Gran, Peter Pazmäny, günstig ausfiel, indem der Papst das
Patronatsrecht der Könige von Ungarn dem Kaiser zusprach und auch für die sogenannten
Bischöfe in partibus irilläelium, das heißt auch für Serbien und Bosnien, bestätigte. Doch
auch der Papst ernannte und zwar effektive im Lande selbst bestellte Bischöfe für Bosnien,
die manchmal zugleich ungarische Titular-Bischöfe waren. Wir erwähnen diese Einzelheiten,
um zu zeigen, daß selbst unter den größten Wirren und kriegerischen Ereignissen der Wiener
Hof, sowie die leitenden Staatsmänner Ungarns nie ein Moment unbeachtet ließen, das die
Continuität des Besitztitels gefährden konnte. Wie wichtig diese internationale und staats -
rechtliche Genauigkeit wurde, zeigt uns die Auffassung Kaiser Leopolds I., dem es
beschieden war, die Rückeroberung Ungarns zu bewerkstelligen und der das Glück hatte,
seine Rechte nicht nur auf dem Papiere zu vertreten, sondern durch die Mitwirkung der
ausgezeichneten Generäle seiner Zeit verwirklicht zu sehen. Der Niedergang des sieben-
bürgischen Fürstenthums infolge des unglücklichen polnischen Feldzuges Fürst Georg
Raköczys II. bewirkte, daß nun dem kaiserlichen Heere die Aufgabe zufiel, unter Mit -
wirkung der gesummten europäischen Christenheit nicht nur Wien zu retten, sondern auch
durch energisches Vordringen die türkische Macht in ihre ursprünglichen Grenzen zurück -
zuweisen. Der große und glänzende Feldzug, der im Jahre 1683 begann und mit
dem Frieden von Karlovitz (1699) endete, war auch für Bosnien und dessen künftige
Gestaltung von maßgebender Wichtigkeit. Die Savelinie wurde wieder zur Staatsgrenze
und der volle Druck des nachbarlichen Reiches machte sich auf der ganzen Linie auch in
Bosnien fühlbar. Kaiser Leopold, der vom Anfänge an Bosnien als ein natürliches
Eroberungsziel betrachtete, hielt nach den großen Erfolgen, welche Markgraf Ludwig
Wilhelm von Baden 1688 in Bosnien errungen hatte, die Eroberung nicht nur für
nothweudig, sondern auch für durchführbar. Man glaubte in Wien, daß mit der Besetzung
Sarajevos auch der dauernde Besitz dieses Landes gesichert sein werde; allein der politisch
sehr einsichtsvolle Markgraf war überzeugt, daß die Eroberung Bosniens nur dann
zu bewerkstelligen sei, wenn dessen Besitz durch die Oecupation Serbiens gesichert werde.
Darum trat er auch in Fühlung mit den für die Eroberung Serbiens begeisterten
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altserbischen Orthodoxen, die er durch den talentvollen Abenteurer Georg Brankovic (den
man infolge seines Größenwahnes später einsperren mußte) für die Sache Habsburgs
gewann. Im adriatischen Dreieck bis tief hinunter in die Stammsitze der Albanesen,
begann zu Gunsten Leopolds und der kaiserlichen Waffen eine große Bewegung, die, wenn
man genauere Kenntniß von diesen einzelnen Stämmen und Völkern gehabt hätte, gewiß
von hervorragendem Nutzen gewesen wäre. Aus Bosnien flohen die mohammedanischen
Elemente; Alles flüchtete in die Festungen, welche Dank der Unvollkommenheit des kaiser -
lichen Geschützparkes, aber auch Dank der Beharrlichkeit, die den Türken in der Defensive
eigen ist, dennoch Schutz boten. In diesem Balkanfeldzuge bewirkte wieder die französische
Politik eine Wendung, indem der unvermuthete Überfall Ludwigs XIV. die Abberufung
des Markgrafen zur Folge hatte. In Venedig sah man mit Bedenken die Begeisterung der
dalmatinischen Gebirgsstämme; und als die Republik Ragusa, freiwillig die Rechte des
Königs von Ungarn anerkennend, wieder ihren jährlichen Tribut von 500 Ducaten zu
zahlen anfing und die kaiserlichen Agenten dort die Fäden der hercegovinischen und süd -
serbischen Bewegung in ihrer Hand zusammenfaßten, fürchtete die Signoria, daß nach der
Rückeroberung Bosniens dieses ganze Gebiet mit Dalmatien vereinigt, den Niedergang
der Republik bewirken würde. Durch die Gegenminen, welche die Provveditoren Venedigs
nun legten, entstanden Reibungen unter den verschiedenen Stämmen, und alle die
schönen Hoffnungen, die man in Wien aus die Bewegung gesetzt hatte, wurden zunichte.
Aber trotz dieser Wendung wollte der Kaiser nur unter der Bedingung Frieden schließen,
daß er das in Serbien und Bosnien schon besetzte Gebiet außerhalb Ungarns behalten
könne. Er sagte, daß man sich befleißen inüsse, „wie mau Bosnien und das Land Herce-
govina völlig occupire, mithin die Oberherrschaft bis ans Meer extendire, was gewiß
nicht von geringem Einflüsse und Nutzbarkeit sein würde". Besonders zu bemerken ist dabei,
daß der Kaiser die Hercegovina immer als eine Dependenz Bosniens auffaßt und in
seinen Forderungen den ganzen Besitz dieses Landes beansprucht. Und hierin tritt wieder
die Tendenz der alten Könige auf, die jetzt habsburgische Macht des Reiches bis ans Meer
auszndehnen.
Und diese Politik war nicht nur gegen die Türken, sondern auch gegen die Venetianer
gerichtet, denn man sah wohl ein, daß mit der Rückeroberung Ungarns auch dessen altes
Küstengebiet wieder zu gewinnen sei.
Allein die Kräfte des Kaisers waren schon erschöpft, und der kriegerische Sinn der
Türken, die durch die Occupation Alles zu verlieren hatten, leistete nach der Eroberung
Belgrads durch Max Emauuel von Baiern hartnäckigen Widerstand. Beiderseits wurde
geplündert und wurden Städte eingeäschert. Doch konnten die nun verbündeten kaiserlichen
und venetianischen Truppen nur längs des bosnisch-slavonischen Gebietes dauernd Fuß
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fassen. Das feste Bihac behauptete sich sehr lange. Erst Prinz Eugen, der un Jahre 1697
seinen kühnen Zug längs des Bosnathales nach Sarajevo unternahm, ließ die klemm
Scharmützel einstellen und drang, indem er alle die kleineren Besatzungen der zwischen -
liegenden Festungen vor sich Hertrieb, bis ins Herz des Königreiches vor (am 21. October
befanden sich die Truppen in Bosna-Saraj, der kühne Zug dauerte vom 6. October bis
8. November). Er selbst berichtet, unter den Türken sei eine solche Verwirrung eingetreten,
daß er, wenn er mehr Truppen hätte, das ganze Königreich besetzen und behaupten könnte.
Nirgends befanden sich größere Besatzungen, Tesanj ausgenommen, das er auch nicht
erobern konnte; die Christen strömten ihm scharenweise zu und wollten ihn gar nicht
verlassen. Doch für diesmal blieb die Türkei vor weiterer Abbröckelung ihres Gebietes
bewahrt, und abgesehen von einzelnen Grenzfestungen, das ganze Gebiet von Bosnien und
der Hercegovina unter türkischer Herrschaft.
Daß der Friede von Karlovitz nur ein Übergangsstadium markire, fühlten sowohl
die Türken als auch das Wiener Cabinet. Kanin waren die ungarischen Verhältnisse nach
der Räköczy'schen Bewegung (1711) wieder befestigt, kaum der spanische Erbfolgekrieg
beendet, so begann auch schon (1716 bis 1718) der nun nicht mehr defensive, sondern
direct offensive Krieg Prinz Eugens von Savoyen, welcher die Befreiung der Balkan -
länder ins Auge faßte. Auch Prinz Eugen vertrat die Ansicht, daß man den Besitz
Bosniens durch die Occupation Serbiens sichern müsse, und den Hauptzweck ferner
Operationen bildete die Eroberung Belgrads, während der bosnische Feldzug nur
den Charakter einer Unterstützungsdiversion hatte. Jndeß die erneuerten Hoffnungen
der Christen, die vom Falle Belgrads nicht nur die Zertrümmerung der türkischen
Macht, sondern auch die Bekehrung der Moslems erwarteten, wurden arg enttäuscht.
Selbst Kaiser Karl VI. (als König III.) war mit den Passarovitzer Friedensbedingungen
nicht zufrieden. Obzwar die Einverleibung einzelner Ortschaften unterhalb der Save und
Novi, ferner der Gebietszuwachs von Seite Serbiens und der Walachei immerhin positive
Erfolge des Krieges waren, standen diese doch nicht im Verhältniß zu der aufgewendeten
Anstrengung. Dazu gesellte sich die Besorgniß Karls um die Zukunft der mit chm
im Mannesstamme erlöschenden Dynastie. Diese Umstünde erklären zur Genüge seine
Nachgiebigkeit in dieser Richtung. Doch der erste Schritt war gethan, indem wieder
Balkangebiet in die Peripherie der Monarchie einbezogen wurde und Balkauvolker
direct unter der Verwaltung der habsburgischen Monarchie standen.
Sowohl der kleine Streifen serbischen Landes, als auch das winzige bosnische
Gebiet, welches im Ganzen 13 Ortschaften mit 279 Familien umfaßte, boten sehr wenig
Anlaß, um sich mit deren Verwaltung in anderer Weise zu beschäftigen, als es mit den
Dependeuzen einerseits Südungarns, anderseits der neu erworbenen slavonischen Grenzen
Festung Kljuc.
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geschehen ist. Doch ist zu bemerken, daß der allgemeine Zustand Serbiens viel trauriger
war als jener Bosniens. Die meisten serbischen Dörfer waren unbewohnt; von 4io Orten,
welche im Passarowitzer Frieden an die Monarchie kamen, waren 342 gänzlich verlassen.
Die neu erworbenen Districte wurden militärisch verwaltet und das Prmclp befolgt, in
der ersten Zeit mit den Unterthanen milde und besonders in der Steuerfrage nachsichtig
zu verfahren. Dieser heilsame Grundsatz wurde jedoch bald nicht mehr eingchalten
und die kaiserliche Verwaltung ging sehr hart vor.
Sowohl in Bosnien, als auch in Serbien wurden die Contributwnen unerbittlich
eingetrieben; im letzteren Lande wurden von kaum 2500 Einwohnern im ersten Jahre
50.000 bis 70.000 Gulden gezahlt und drei Jahre später wurde die Contribution aus
105.000 Gulden erhöht. Nichts ist bezeichnender sowohl für die bosnische, wie auch für die
serbisch-orthodoxe Bevölkerung und ihre Stimmung als ein gleichzeitiger Bericht, m dem es
heißt: ..Die Laudesbewohner sind sehr abergläubisch, halten ihre Metropoliten und Popen
für Abgötter, lieben bisher noch mehr das türkische Joch als die christliche Regierung,
weil sie dem Raube und Morde ergeben und ihnen die Lebensstrafe statt des sonst wegen
eines Todtschlages den Türken bezahlten Blutgeldes nicht gefallen will; legen ohne Scheu,
wann und so oft mau will und auch für das Gegentheil dessen, was sie einen Tag vorher
gesagt, einen Eid ab, sind von Natur lügenhaft, vergraben ihr Geld und entrichten
ungerne ihre Abgaben. Wenn aber Einer ihre Sprache reden kann, so thun sie um
ein gutes Wort Alles. Was den Zustand des Landes betrifft, ist die Production nu
allerprimitivsten und schlechtesten Zustande, die Bergwerke in Verfall, das Handwerk
kaum in Ausübung, der Handel fast ausschließlich in Händen türkischer Unterthanen.
das heißt Griechen."
In den südlichen Gegenden jedoch, welche nicht direct mit den neuen ungarpchen
Grenzen in Berührung standen und den Druck der türkischen Reactiou umsomehr
empfanden, lebte die Idee vom befreienden christlichen Kaiser ungeschwacht fort,
denn die an den Wiener Hof gelangenden Petitionen und die einzelnen Missionen,
besonders geistliche wurden immer freundlich empfangen und beschenkt. Der Kaiser
und König Karl in höchsteigener Person interessirte sich seit 1719 speciell für diese
Angelegenheiten und ließ die Idee einer Annexion der Balkanhalbinselthelle niemals
ans den Augen.
Zu dieser Zeit berühren sich schon unmittelbar die beiden großen europapchen
Strömungen, die nun auf der Balkanhalbinsel in Action traten: die orthodoxe russische
und die katholische habsburgische.
Sowohl die russische, als die habsburgische Politik betrachtete ihr Vordringen
gegen die Balkanhalbinsel als eine der anderen parallele Action und die Folge der
261.
gemeinsamen, wenn auch auf verschiedene Ergebnisse hin geplanten Bemühungen war das
Bnndesverhältniß, welches bis zur neuesten Entwicklungsphase der orientalischen Frage,
theils in schwächerem, theils in stärkerem Maße zum Ausdrucke kam. Unter Karl VI.
kam das Büudniß zustande, welches die gemeinsame russisch-österreichische Action von
1736 bis 1739 zur Folge hatte. Zu dieser Zeit verfolgt die habsburgische Politik
klare Ziele. Sie nimmt die Huldigungen und das Unterwerfungsanerbietcn der Balkan
länder direct an und man dachte damals in Wien an die Eroberung Bosniens, Albaniens
bis zur Drinmündung, der Walachei bis Braila und der Moldau bis an den Pruth.
Die russische Politik hingegen folgte einem natürlichen Drange nordischer Völker nach
dem Süden.
Das Waffenglück war den Kaiserlichen nicht hold, und im Frieden von Belgrad (1739)
verloren sie die kaum erworbenen kleinen serbisch-bosnisch-walachischen Gebietstheile.
Das führende mohammedanische Element war noch immer das Kräftigste im Lande.
Ein Beweis dafür, daß einzelne Bosniaken sich in diesem Kriege sehr hervorthaten.
Bezeichnend für den Thatendrang dieser beute- und kampflustigen Elemente ist es, daß
manche in polnische, dann in preußische Dienste traten und in der alten Friedericianischen
Armee vom Jahre 1742 bald als Anhängsel der Zietenschen Husaren, bald als
selbständiges Regiment eine Art von leichtem Lanzendienst versahen. Es waren
zwar nur einige (Osman, Ali, Vitkovic) Bosniaken, doch verdient diese Episode
immerhin als Zeichen der Kriegstüchtigkeit der Rasse eine Erwähnung. Das ephemere
Glück der Pforte war aber nicht im Stande, die allmälige Kräfteabnahme der
osmanischen Reichsmacht aufzuhalten. Die Habsburger hatten noch wie zuvor das meiste
Interesse, die Abgrenzung der neuerworbenen Gebiete als nicht definitiv abgeschlossen zu
betrachten. Nach den großen Kämpfen in Westeuropa (1763) gewann diese Frage ein
actuelles Interesse.
Die große Kaiserin und Königin Maria Theresia hat ihrer Ansicht über die
orientalische Politik der Monarchie folgenden Ausdruck gegeben: „Was würden wir
gewinnen, wenn wir unsere Eroberungen selbst bis vor die Mauern Constantiuopels
ausdehnen würden? — Ungesunde, culturlose, entvölkerte oder von unverlüßlichen
Leuten bewohnte Provinzen, welche die Kräfte der Monarchie nicht steigern, sondern
erschöpfen würden. Dies wäre ein noch kritischeres Ereigniß als die erste Theilung
Polens."
Kaunitz war ganz entgegengesetzter Meinung und gewann dafür auch Josef II.
Kaunitz war davon überzeugt, daß der habsburgischen Monarchie sowohl die historische
als auch die natürliche Aufgabe zufalle, im geeigneten Momente diejenigen Länder der
Türkei zu annectiren, die mit dieser Macht nur in losem Zusammenhänge standen. Er mar
262
vielleicht zu radical, indem er meinte, daß Bosnien, Serbien, Albanien, Griechenland,
Morea und theilweise die Walachei, Bulgarien und Rumelien, somit die gesammte Donau -
linie an Österreich zu sallen habe und Constantinopel zum Freihasen erklärt werden solle.
Er war es, der den Jesuiten Georg Pray, den berühmten Geschichtsschreiber anciferte, die
Oberhoheitsrechte der altungarischen Macht über alle diese Lande zu beschreiben und staats -
rechtlich festzustellen. Auf Grund dieser Studien erklärte er als Basis der Erobernngstendenz
die staatsrechtliche und historische Mission der Monarchie, welche die Habsburger leiteten.
In Einem irrte sich aber sowohl Kaunitz als Josef II. und trotz ihrer Erfolge auch
Katharina, die Kaiserin von Rußland. Man rechnete nicht mit der zähen Widerstands -
fähigkeit der Türken, die während des Processes ihrer Zurückdrängung vielleicht noch mehr
Bewunderung verdienen als auf dem Gipfelpunkte ihres stürmischen Vordrängens.
Alles, was Kaiserin Katharina (1782) an Kaiser Josef II. schrieb, daß die türkischen
Paschas nahezu unabhängige Häupter der einzelnen Provinzen seien, daß die Christen
in der Mehrheit und dem türkischen Joche abgeneigt seien, verhielt sich so. Dennoch
steckte noch so viel Kraft in dem allerdings morschen Staatswesen, daß die Türkei
widerstehen konnte.
Die Kaiserin bot als Entschädigung für die Errichtung eines Königreiches Dacien
und eines griechischen Kaiserreiches in Constantinopel, Österreich die Donaulinie bis zur
Aluta, Belgrad und die Nordwestecke der Balkanhalbinsel, doch widerstrebte sie einer
Besitzergreifung Dalmatiens. Trotz des innigen Bündnisses erschien den österreichischen
Feldherren und Staatsmännern eine allzugroße Ausbreitung der russischen Macht nicht
wünschenswerth, und dieser geheime Gegensatz machte sich in allen Verhandlungen geltend.
Als nun im Jahre 1787 der Krieg erklärt wurde, ergriff Josef II. die Offensive mit der
festen Überzeugung, daß er das adriatische Dreieck erobern werde. Seine Proclamationen
an die christliche Bevölkerung, seine Versprechungen an die einzelnen serbischen und
bosnischen Geistlichen bezeugen seine Absicht und Zuversicht, diese Länder dauernd in den
Bereich seiner Gewalt zu bringen.
Die militärische Diversion in Bosnien hatte zwar im Laufeder drei kriegerischen Jahre
manchen, aber keinen nachhaltigen Erfolg aufzuweisen, da die Action auf dem Hauptkriegs -
schauplatz nicht vom Glücke begünstigt war. Was Bosnien betrifft, sagt der classischeste Zeuge
seiner Zeit, der siegreiche Laudon: „Es ist unglaublich und übersteigt alle Vorstellung, die
man sich machen wollte, wie fest die kleinen bosnischen Plätze gebaut sind, wie hartnäckig
sich die Türken darin wehren und mit welcher Leichtigkeit sie nach Zerstörung einer
Vertheidigungslinie sich aufs neue einzugraben wissen; man kann kaum mit irgend einer
Festung mehr zu thun haben und jeder anderen Nation leichter beikommen". Die
Bilder der Burgruinen Sokolac und Ostrozac geben einen Begriff jener heroisch
263
verteidigten Grenzfestungen. Die Verteidigung der Türken verdient umso größeres
Lob, als die christliche Bevölkerung mit dem Feinde sympathisirte und auch unter der
mohammedanischen Bevölkerung keine Eintracht herrschte. Nur die Begeisterung der
bosnischen Notabeln setzte sich für den Sultan ein. Das ist auch ein bedeutsames Moment
für die Beurteilung der weiteren Entwicklung des Landes. In mehr als einem Ferman der
Sultane steht geschrieben und wird beinahe stereotyp wiederholt: „Bosnien ist die größte
und bedeutendste meiner kaiserlichen Provinzen. Die Bevölkerung hat sich vom Vater auf
Burgruine Sokolac bei Bihac.
den Sohn stets durch religiöse Festigkeit, durch treue Anhänglichkeit und Tapferkeit im
heiligen Kriege ausgezeichnet; sie soll daher meinen übrigen treuen Unterthanen immer
vvrgezogen werden."
Solche Anerkennung des Sultans war besonders in diesem Kriege wohl verdient.
Und daß der Friede von Sistov nach Josefs II. Tode (1791) durch die Aufrechterhaltung
des Status c;uo gegenüber Österreich für die Türkei einen Sieg bedeutete, ist in erster
Linie der Haltung Bosniens und der Hereegovina zuzuschreibcn, welche unter den
mißlichsten Verhältnissen standgehalten. Doch dieser Krieg hat die Gührung in dem
verschiedenen Volkselemente Bosniens und der Hereegovina nur zum zeitweiligen Still -
stände gebracht; und nach dem Kriege beginnt jene Bewegung, die zur Losreißung.
264
beziehungsweise zur Unabhängigkeit der Serben und zur exzeptionellen Scmderentwicklnng
Bosniens führte.
Die geschichtliche Entwicklung der Balkanhalbinsel vom Beginn bis zur Mitte
des XIX. Jahrhunderts kann in drei Perioden getheilt werden: in diejenige,
welche durch die serbische Erhebung, die französische Occupation in Dalmatien und
das Auftreten Ali Tepelenlis gekennzeichnet ist und bis zum Unabhängigkeitskriege
Griechenlands dauert; ferner in die vom Jahre 1821 bis zum Hattischeris von Gülhane
im Jahre 1839, welche erfüllt ist von der Reaction gegen die Reformen der
Centralregierung in Constantinopel, endlich in die Zeit von 1839 bis zum großen
Aufstande 1850.
Am Ende des vorigen Jahrhunderts krachte es in allen Fugen des ottomanischen
Staatsgebäudes; es schien eine allgemeine Agonie hereinbrechenzu wollen, die sich in einer
zitternden Unruhe aller Provinzen des Reiches verkündete. Nicht christliche, sondern
mohammedanische Elemente waren es, welche, die allgemeine Schwäche benützend, sich
zu Lenkern der Geschicke emporhoben. An der Donanlinie sehen wir den berühmten
Pasvan Oglu auftreten, zwar mehr in der Eigenschaft eines Bandenhänptlings,
eines mohammedanischen Condottiere, aber doch mit Erfolgen, die, wenn er auch
später unterlag, den Boden aufwühlten und die eingeleitete Bewegung nicht mehr zur
Ruhe kommen ließen.
In der südwestlichen Hälfte der Balkanhalbinsel, in den albanesischen Gauen, wo
sich seit dem Jahre 1750 das Geschlecht der Busatli's in Skutari stillschweigend die
Erbberechtigung ertrotzt hatte, wühlten Kara Mahmud Pascha und dann dessen Neffe
Mustapha fortwährend gegen die Autorität des Sultans; im Süden schwang sich zur
leitenden Rolle Ali Pascha von Tepelen auf; in Serbien wurde das Ansehen des
Sultans durch die Janitscharen, speciell durch den berüchtigten Deli Ahmed beinahe
gänzlich vernichtet. Es war eine natürliche Folge dieses Zustandes, daß das christliche
Element mehr als je zur Geltung kam.
Die dunklen Ahnungen von des siegreichen Rußlands Größe, von dem Reich -
thum der dortigen Klöster, von der Allgewalt des Czaren drangen mit lebhaft
ansgemalten Einzelheiten zur orthodoxen Rajah; und die Bewohner Montenegros, die
schon seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts in directen Beziehungen zu Petersburg
gestanden und in den fortwährenden Bergkriegen Dank der Ohnmacht der Paschas und
den Streitigkeiten der Arnauten-Häuptlinge sich zu behaupten gewußt, boten nun dem
russischen Einflüsse eine Basis dar. Nicht, daß die russische Politik diese Balkanregungen
überschätzt hätte; aber die Gleichheit der Religion war es, welche die russische Politik
dazu drängte, sich jener Elemente auzunehmen.
265
Sowie Rußland die orthodoxe Richtung förderte, trachtete Österreich die katholische
Propaganda im Nordwesten zu stärken. Schon seit 1798 wurde der katholische Bischof
Bosniens vom Kaiser Franz selbst protegirt und die Wiener Politik trachtete sich der durch
Jahrhunderte treu gebliebenen Sympathien der bosnischen, süddalmatinischen und
albanesischen Katholiken auch für die Zukunft zu versichern. Diesen Einwirkungen
gegenüber vollzog sich eine Wandlung auch bei den bosnischen und hercegovinischen
Mohammedanern. Bis zum Sistover Frieden, das heißt im Laufe der österreichisch -
türkischen Kriege, war diesem Elemente die Vertheidigung des Landes zugefallen; es
erblickte in dem Sultan das rechtmäßige Oberhaupt seiner Action, nnd der jeweilige
Statthalter des Sultans hatte weder Gelegenheit, noch Ursache sich der Omnipotenz der
kriegerischen Notabeln zu widersetzen. Es konnte daher auch kein Gegensatz zwischen
Constantinopel nnd dem Lande entstehen. Aber aus der autonomen Kriegführung
entwickelte sich im Laufe des XVII. Jahrhunderts eine gewisse mohammedanisch-politische
Autonomie, welche nach ihren Grundlagen dem ottomanischen Staatswesen gänzlich
fremd war. Der Pascha, der (seit 1639) in Travnik residirte nnd nur kurze Zeit im
Lande anwesend war, mußte sich bei den einheimischen Notabeln Rath erholen und dem
Einflüsse gerade derjenigen Partei freien Lauf lassen, die den zahlreichsten Anhang im
Lande hatte.
Diese Erscheinung, die nur in Bosnien zu bemerken ist, erklärt sich aus der alten
Geschichte Bosniens. Wir glauben die bosnischen Stammeshäupter des XV. Jahrhunderts
vor uns zu sehen, die alten Bogumilen, die den Scheinkönig nach Belieben dulden, an
ihrem Glauben und an ihren alten Gewohnheiten zäh festhalten und jede fremde, auch noch
so mächtige Einmischung mit den Waffen in der Hand abweisen. Wie ehemals immer
nur die Räthe des Königs entschieden und ihm selbst nichts blieb als die großen Titel
und das Recht sein Wappensiegel anzuhängen, geradeso wurde Bosnien auch im Laufe
des vorigen Jahrhunderts, und wir können behaupten, bis zur allerneuesten Zeit
durch die Notabelnversammlung, die der Pascha jährlich nach dem Beiram einberief,
verwaltet. Und da gab keine politisch große Idee den Ausschlag, sondern einfach das
Interesse dieser oder jener Familie, dieser oder jener Gegend, die gerade die Mehrheit
für sich hatte. Solange der Sultan diesen Zustand duldete, die Centralregierung in
Constantinopel sich nicht in die Verhältnisse einmischte, und Alles, was die Herren
in Bosnien beschlossen, guthieß, war der Sultan ihr Abgott und sie die treuesten
Anhänger der Religion, die ja ihrer privilegirten Stellung die Kraft und den Rechts -
titel verlieh.
Als nun aber jener reformatorischeUmschwung, welcher in diesem Jahrhunderte von
Constantinopel aus das gealterte Reich aus dem neuen Boden der modernen Civilisation zu
266
verjüngen suchte, sich auch in Bosnien zur Geltung bringen wollte, entflammte der tiefe Haß,
der in dem Osmanli einen fremden Eindringling und in den Beamten die Träger fremder
Gebräuche und die Werkzeuge der Ungläubigen erblickte. So wie in alter Zeit kein bosnischer
Vornehmer sich schlechter als sein König dünkte, und Jeder die Eigenschaft zu besitzen
glaubte, über Alle zu herrschen, so fühlte man auch jetzt. Der Geist der kleinen
Territorialeinheit war der Geist der Spitzen der mohammedanischen Gesellschaft. In der
Gesammtheit jedoch sehen wir noch andere Schattirungen, die demokratische Opposition
der kleinen armen mohammedanischen Besitzer, der Agas, der von kleinen Lehenbesitzern
zu Kmeten gewordenen Mohammedaner, der kleinen Kaufleute und Handwerker,
die in einzelnen rauflustigen, aber feigen, schimpfrednerischen, aber überzeugungslosen
Janitscharenhäuptlingen und fanatisch bornirten Derwischen ihre Anführer fanden.
Beide Tendenzen hielten sich die Waage. Versuchte es ein Statthalter, das Los der
Christen zu mildern und wenigstens die Agrarbevölkerung zu beruhigen, dann machten
beide Parteien gemeinsame Sache gegen die ungläubige Richtung des Fremden. Hielt
es dann der Vali mit den Notabeln, so regte sich wieder die Opposition der Agas.
Dies waren die Verhältnisse in Bosnien, als der Unabhängigkeitskrieg der Serben im
Jahre 1804 nufloderte.
Auch in Serbien ging die türkische Centralmacht in Trümmer. Der Aufstand der
Rajah war im Anfänge eigentlich nur die Reaction gegen das staatsfeindliche
Janitscharenthum. In Bosnien konnte eine derartige Bewegung nicht entstehen, weil
eine christliche Nebenregierung, besser gesagt Selbstverwaltung, wie sie in Serbien unter
den Knesen bestand, infolge der relativen Minderzahl nicht emporkommen konnte. Der
Aufstand Kara Gjorgjes und später der endgiltige Sieg der Revolution unter Milos
Obrenovie übten auch auf die Verhältnisse in Bosnien nach mehreren Richtungen großen
Einfluß aus. Die orthodoxen Christen in Bosnien und der Hercegovina wie auch die
Montenegriner hatten viel Sympathie für ihre kämpfenden Glaubensgenossen in Serbien.
Kara Gjorgje, wie Obrenovie strebten zielbewußt eine gegenseitige Annäherung aller
christlichen Elemente an. In der ersten Periode des Aufstandes hofften auch die
katholischen Franciscaner viel von dieser Bewegung, indem sie glaubten, daß Österreich
sich zu einer offenen Unterstützung Serbiens herbeilassen werde. Es herrschten auch
russische Sympathien unter den bosnischen Christen. Selbst Katholiken in der Hercegovina
und in Dalmatien, durch montenegrinischen Einfluß und besonders durch die Kanfleute
ermuntert, erhofften von dort ihre Befreiung. Der Wiener Hof war von diesen Stimmungen
sehr gut unterrichtet und am besten unter seinen Rathgebern Kaiser Franz selbst, der sich
speciell für Bosnien interessirte und persönlich die Fäden der österreichischen Contremine
leitete. Es wurde nun die Losung ausgegeben, diesem Einflüsse entgegenzuarbeiten und
267
auf die Katholiken in dem Sinne einzuwirken, daß sic ihre Erlösung nur von Österreich
zu erhoffen hätten. Diese politische Richtung wurde durch die neue Stellung der Monarchie,
welche von den Franzosen aus dem Deutschen Reiche gedrängt war, nur befestigt. Man
fühlte es instinctiv, daß die Dynastie wie auch die nunmehr neugestaltete Monarchie ihre
politische Mission im Osten suchen müsse. Der feinste Beobachter seiner Zeit, Erzherzog
Karl, und die besten Generäle der Armee befürworteten vom Jahre 1807 angefangen
die Annexion des adriatischen Dreieckes. Diese Mission Österreichs hatte seit dem Falle
der venetianischen Republik in Dalmatien auch eine Positive Basis, die sich zwar infolge
der französisch-italienischen Contreminen nicht in dem Maße ausnützen ließ, als es für
eine concentrirte Action nothwendig gewesen wäre, doch für die Zukunft von sehr
bedeutender Wichtigkeit war.
Anderseits raffte sich das mohammedanische Element, welches von drei ihm
feindlichen Kräften, von dem berechnenden und gewiß nicht freundlichen französischen
Einflüsse, von der österreichischen katholischen Propaganda und von der serbisch -
russischen Orthodoxie umgeben war, auf und verhinderte, entflammt durch seinen alten
nationalen Haß gegen das Serbenthum, ein dauerndes Herübergreifen des Aufstandes
auf bosnisches Territorium. Die bosnischen Truppen wurden zwar von den Serben
oft besiegt, aber sie rächten sich auch dafür sehr oft, und als schließlicher Erfolg der
tapferen Haltung Bosniens kann es bezeichnet werden, daß in dieser Zeit, wo so viele
Stürme über das vttomanische Reich hereinbrachen, wo Österreich, später Frankreich und
dann vorübergehend auch Rußland sich an den Grenzen Bosniens festsetzten, dieses — „die
Schwelle des Reiches" — erhalten blieb. Dieser Umstand bestärkte die Mohammedaner in
ihrer Auffassung, daß sie der Regierung des Sultans nichts zu verdanken haben, und daß
im Gegentheile sie in der größten Noth die Helfer des Staates, die Retter der Ober -
herrschaft des Sultans seien. Es schmerzte sie zwar als Glaubensgenossen, daß die
Serben mit ihrer Autonomie einen unleugbaren Sieg errungen; doch waren die Besiegten
ja zumeist Osmanlis.
Viel wichtigere Folgen hatte die zeitweilige französische Occupation Dalmatiens
und dann die dauernde Rückeroberung von Seite der Habsburger; denn von dieser Zeit
datirt, im Zusammenhänge mit dem serbischen Unabhängigkeitskriege, die erste Regung
der Nationalitütsidee im adriatischen Dreiecke.
Man bezeichnete von Rom aus die Katholiken des adriatischen Dreiecks mit
einem alten, durch die Renaissance wieder aufgekommenen Namen als Illyrier, und
diese Bezeichnung entwickelte sich alsbald zum Collectivnamen der kroatischen, dalmatinischen
und bosnischen Novizen, durch diese dann literarisches Bürgerrecht erlangend. Als dann
die Idee der französischen Revolution und später die Politik des Kaiserreiches auch in die
268
verborgensten Winkel Europas drangen und dort in der Auffassung der betreffenden Völker
eine besondere Interpretation fanden, konnte die Idee der nationalen Freiheit bei den Balkan-
völkern nur in dem Sinne einen Wiederhall finden, als sie darunter die Befreiung vom
Türkenjoche verstanden. Dieser Befreiungstrieb hatte sich im Laufe der ganzen türkischen
Occnpation erhalten. Nun aber bekam er eine concrete Form, indem diesen religiösen
Unabhängigkeitsbestrebungen der nationale Trieb als Basis untergelegt wurde. Das Volk
selbst wußte nichts von nationalen Bestrebungen, welche nur in den Köpfen der führenden und
theils dieser,theils jener Macht dienenden literarisch-kirchlichen Fractionen eineStätte fanden.
Während sich in den dalmatinischen Küstenstädten zur Zeit der französischen
Occnpation ein italienisches Nationalgefühl geltend machte, vertraten die Franciscaner
und die dalmatinischen Geistlichen des Binnenlandes die illyrisch-katholische Richtung,
die sie im Geiste mit der Oberherrschaft des Hauses Habsburg verbanden. Im ersten
Keime war daher diese Bewegung nichts anderes, als die nmgemodelte besondere
Form der Freiheitsidee, welche vom Westen kam. Diese illyrisch-literarische Bewegung
berührte Bosnien und die Hercegovina nur oberflächlich und wurde erst bedeutend,
als sie in den Dreißiger-Jahren in Civil-Kroatien aufkam und dann durch verschiedene
Wandlungen zu dem Programme der sogenannten großkroatischeu Idee führte. Diese
illyrische Bewegung hatte es auch auf die Gewinnung des orthodoxen Elements
abgesehen und begriff unter den „Illyriern" auch die Serben. Bei diesen aber ging die
ganze nationale Bestrebung dahin, sich selbst als Serben zu erhalten. Als solche fühlten
sie sich „orthodox" und standen diesen speciell kroatisch-katholischen Bestrebungen, selbst
als ihre Interessen ein gewisses Zusammengehen forderten, theils insgeheim, theils
offen feindselig gegenüber.
Als nach dem Wiener Congreß das europäische Gleichgewicht auf conservativer
Grundlage wieder hergestellt war und Fürst Metternich als Lenker der europäischen
Politik das Heft in Händen hatte, entwickelte sich bei den Westmächten die Idee der
Erhaltung des osmanischen Reiches wenigstens in dem Sinuc, daß man grundsätzlich jeder
Losreißuug einzelner Theile von demselben widerstrebte. Doch die Ereignisse konnte man
durch diesen Vorsatz nicht aufhalten. Im Jahre 182 l bricht die griechische Revolution aus,
die türkischen Sympathien schlagen ins Gegenthcil um und nach dem großen russischen
Kriege vom Jahre 1828/29 ist die Türkei vollständig gedemülhigt.
In dieser Epoche spielen Bosnien und die Hercegovina eine hervorragende Rolle.
Gerade in der westlichen Provinz, die mit Mitteleuropa in unmittelbarster Berührung
steht, orgauisirt sich die alttürkische Reaction, unterstützt durch die dortigen Verhältnisse,
und stellt sich zur angebahnten Resormära des Stambuler Hofes in einen Gegensatz, der
nur durch Waffen entschieden werden kann.
2t>9
Als im Jahre 1808 der irmairü ckjeclicl samnit dem Sultan Selim, diesem großen
Illusionisten, sällt und das siegreiche Janitscharenthum, beziehungsweise Alttürkenthum das
Reich seinem Untergange zuzuführen scheint, ist Bosnien der Hort aller dieser Bestrebungen.
Vollständige Anarchie herrscht im Lande. Bis zum Jahre 1821 ist selbst die nominelle
Herrschaft der Pforte zunichte geworden und bei den großen revolutionären Bewegungen,
welche der greise Ali Tepelenli, Pascha von Janina, gegen Constantinopel organisirt, spielen
die bosnischen Begs eine beinahe souveräne Rolle. Sie thuu, was eigentlich der Sultan
zu thun hätte, und jeder von ihnen gilt als kleiner Regent.
Bis zu einem gewissen Grade hatte Ali auch Anhänger unter ihnen, welche der
Idee nicht abhold waren, daß bis zur Savegrenze ein neues mohammedanisches
Reich errichtet werde, natürlich in der Voraussetzung, daß darin sie die führende
Rolle spielen würden. Allein diese Bestrebungen, welche in partiellen Aufständen
ihren Ausdruck finden, werden im Jahre 1821 durch Tursun Ali Pascha mit Hilft
der hercegoviuischen Begs besiegt. Von da an kommt der locale Gegensatz, welcher
Janitscharen vom Beginne des XIX. Jahrhunderts.
270
zwischen dem hercegovinischen Küstenstriche und dem bosnischen Binnenlande schon seit
jeher bestand, zum vollen Ausdruck und die berühmten Familien Rizvanbegovic von Stolac
und Cengic von Gacko ereifern sich, natürlich im eigenen Interesse, für die Sache des
Sultans gegen die abtrünnigen Bosnier.
Epochemachend war die Auflösung des Janitscharencorps zu Constantinopel im
Jahre 1826. Wir finden die Auflehnung der überraschten Bosnier, welche in dieser
Reform ihren Ruin sahen, natürlich und den energischen Widerstand, den die bosnische
Adelspartei gegen diese reformatorische Tendenz entfaltete, ans ihrer Vergangenheit voll -
kommen erklärlich. Die glaubenstreuen Vornehmen sahen mit Schrecken die neuen
Uniformendes regulären Heeres; die übrige mohammedanische Bevölkerung bemerkte
ebenso unwillig, daß der Vali Morali Namuk Ali Pascha einen Fez trug, und alle
waren vollkommen davon überzeugt, daß diese ganze Reform nur von den Christen
ausgehe und zu einer vollständigen Aufhebung ihrer Privilegien, sowie zur Ausrottung
ihres Glaubens führen werde. „Bosnische" Helden kämpften zwar, wie der Sultan
huldvoll sich ausdrückte, im Kriege gegen die Russen nnt; aber dies hinderte sie nicht,
die Wiederherstellung des alten Systems anzustreben. Es liegt ein gewisser großer
Zug in der Auffassung dieser verwegenen Notabeln, die sich, als sic einen Anführer
gefunden hatten, die Eroberung Constantinopels als höchstes Ziel vorsteckte», um dann
von dort aus die Ordnung wieder herzustellen. Jenen Führer fanden sie in dem beriihmten
Hussein, Capetan von Gradacac.
Hussein von Gradacac war der Nachkomme eines Geschlechtes, welchem erblich die
locale Vertheidigung der Grenze oblag. Er hatte die Mehrheit der Mohammedaner um sich
geschaart und folgte dem Wahlspruch, daß das Recht des Stärkeren immer das bessere
sei. Er vertrieb den Pascha, organisirte ein Heer und ließ sich hierauf im Jahre 1831 zum
Vezir erwählen. Dann richtete er die Verwaltung ganz selbständig ein und schloß mit den
albanesischen Aufständischen ein Schutz- und Trutzbündniß.
Der große Plan, den ketzerischen kaiserlichen Vezir Reschid zu vernichten, wurde
durch die Uneinigkeit der Verbündeten vereitelt, Reschid siegte bei Prilip und rettete in
diesem kritischen Momente das Reich. Allein Hussein Capetan hatte im Lande selbst
große Erfolge aufzuweisen. Sein Gebaren erinnert lebhaft an Hervoja; er macht
sich eigenmächtig zum Vezir, zieht ohne Einwilligung des Sultan in Travnik ein,
verleiht Orden und Deeorationen, Stellen und Lehen; seine Widersacher läßt er unbarm -
herzig aus dem Wege räumen.
Durch den Neid seiner eigenen Parteigänger und durch die ihm entgegen wirkenden
hercegovinischen Begs, des genannten Ali von Stolac und Ismails Cengic, kam er zu
Falle. Geschlagen flüchtete er nach Österreich, wurde später begnadigt und starb in Con-
271
stantinopel. Im Friedhofe von Ejub bezeichnet ein einfacher Stein die Stelle, wo der Held
Hussein ruht, welcher in den bosnisch-mohammedanischen Heldenliedern der Neuzeit die
bedeutendste Stelle einnimmt.
Himmelweit entfernt von den Zielen der christlichen serbischen Bewegung ist der
Ausgangspunkt dieser bosnischen Reaction im Grunde derselbe, nämlich die Erkümpfung
persönlicher Macht und nationaler Unabhängigkeit. Und doch entstand aus der Niederwerfung
dieser Revolution kein Nutzen für die Centralgewalt, welche, um die Treue der Hereegovzen
zu belohnen, 1833 in die Losreißung der Hercegovina einwilligen und zu deren Statthalter,
wenn auch nicht mit der Machtvollkommenheit wie Mehemed Ali in Egypten, den Stolacec
Ali Rizvanbegovic, welcher nunmehr den Beinamen „der Sieger", Galib, erhielt,
ernennen mußte.
Der taktvolle Sieger Ibrahim Pascha hatte als neuer Bali Einsicht genug, Gnade
für Recht ergehen zu lassen; er sagte, daß er kein Metzger sei und beließ die Verhältnisse
so, wie sie vor dem Aufstande gewesen, nur daß er Anstalten traf, den Sitz der Landes -
regierung nach Sarajevo zu verlegen, was ihm aber nicht gelang. Die Schwäche der
Türkei in dieser Angelegenheit bewirkte, daß sich die österreichische Diplomatie im eigenen
Interesse, weil trotz der Verträge die Grenzcapitäne fortdauernd slavonisches und kroatisches
Gebiet plünderten, mit der bosnischen Lage eingehend beschäftigen mußte. Die Zeitgenossen
erkannten zwar, daß im türkischen Reiche eine gewaltige vis iimrliao stecke, die, solange die
mohammedanische Regierung die herrschende sei, den Lebensfaden des Reiches verlängern
werde; aber eben darum erhoben sich Stimmen, welche dem Reichskanzler die durch -
greifende Förderung des Katholicismus anempfahlen und dieselbe als sicheren Leitstern
unserer Politik hinstellten. Unser Botschafter in Cvnstantinopel, Baron Ottenfels, fand je -
doch, daß „die Dogmen der mohammedanischen Religion nicht so ganz im Widerspruche
mit der Civilisation stünden und, richtig aufgefaßt, den modernen Fortschritt gar nicht
ausschlössen". Er erkannte ganz richtig, daß die despotische Macht und der Islam
zweierlei Dinge seien; der Despotismus könne fallen, aber der Islam bleiben und die
ottomanische Staatsmacht überleben, ob diese nun aus inneren Gründen oder von außen
gestürzt werde.
Im Jahre 1839 wurde der Hattischerif von Gülhane verkündet, der die Regeneration
des ottomanischen Reiches bewirken sollte, und zwar durch folgende Bestimmungen:
1. Garantie der Person und des Eigenthums jedes Unterthanen, 2. zweckmäßige Ver
theilung der Steuern, 3. Regelung der Recrutirung und 4. Umgestaltung der ganzen
administrativen und richterlichen Organisation.
Nach dieser Veröffentlichung erfolgte keine Empörung, aber der Effect dieser magna
cllarta, die Alles auf einmal erreichen wollte und, indem sämmtliche Unterthanen als
272
gleichberechtigt erklärt wurden, dennoch zu der Anerkennung von Sonderrechten der
katholischen und griechisch-orthodoxen Religion sich verpflichtete, blieb ein verschwindend
geringer. Die Reformen, die der aufgeweckte neue Sultan Abdul Medschid auszuführen
gelobte, waren derart, daß ein Erfolg nur zu erhoffen war, wenn auch neue Menschen ans
Ruder gelangten; so aber blieb Alles beim Alten.
In Bosnien und der Hercegovina hatte der kaiserliche Hat, der allerdings
öffentlich vorgelesen wurde, gar keinen praktischen Erfolg. In beiden Ländern regierten
die Begs und im Laufe von acht Jahren verbrauchten vier Balis ihre Kraft, ohne
etwas an der Sachlage zu ändern. Von Gleichberechtigung war keine Rede, und obzwar
der Sultan mit eiserner Konsequenz überall bestrebt war, den lanmmal, das heißt
die geregelte Civilverwaltung einzuführen, herrschte das alte Feudalwesen m Bosnien
nngeschwächt fort.
Erst als im Jahre 1848 Mehmed Tahir Pascha, ein ehrlicher Türke von altem
Schlage, ans Ruder kam, der in der genauen Ausführung der großherrlichen Befehle
seinen einzigen Ehrgeiz fand, begann die energische Action der Centralgewalt, d:e zu dem
blutigen Aufstande von 1850 führte. Er war der erste, der energisch aufzutreten wagte;
doch verhinderte sein im Winter 1849 erfolgter Tod die gänzliche Niederwerfung des
Aufstandes.
Als Omer Pascha, der größte türkische Renegat der Neuzeit, von der Pforte mit der
energischen Reformirung der Zustände in Bosnien betraut, zum Commandirenden in Bosnien
ernannt wurde, fühlten die Begs, daß es jetzt ernst gemeint sei. Der alte, schon neunzig -
jährige Ali Pascha Stolcevic kam von Mostar zur Begrüßung herbei und gelobte Gehorsam.
Natürlich war dies nicht ernst gemeint, denn schon einige Wochen nach der Ankunft
Omers brach der Aufstand der Tuzlaer und Zworniker Paschas aus, die Bihaler
Krajina erhob sich, und in der Hercegovina griff Ibrahim, der mtune Freund Alls,
zu den Waffen. Doch während im Jahre 1831 beinahe alle bosnischen Begs eines
Sinnes waren, fehlte es jetzt an einem Haupte, dem die unzufriedenen Elemente
einmüthig gefolgt wären. Es kam zu einer Reihe von localen Aufständen ^hne
Zusammenhang im Innern, zu einer mohammedanischen Bewegung, die von kemer Leite
unterstützt wurde. Die Führer der Revolution, die Mahmut Pascha, Mustaj Pascha
Babic, Mehmed Pascha Becirevic und Ali Kediö handelten jeder auf eigene Faust,
und trotz ihrer Entschlossenheit errang das energische militärische ^Auftreten Omer
Paschas in kurzer Zeit den Sieg über alle Aufständischen. Bosna Seraj (Sarajevo)
wurde nun wieder die Residenz des türkischen Generalgouverneurs.
Es war ein hartes Stück Arbeit, das der Pforte zufiel, die autoritäre Gewalt,
welche gänzlich entschwunden war, in Bosnien wieder herzustellen. Die Bewältigung der
273
Bewegung in den Jahren 1850 bis 1852 glich einer zweiten Eroberung des Landes.
Während aber vor Jahrhunderten die Weltlage für die türkische Eroberung günstig war,
standen jetzt alle Factoren, sowohl die inneren wie die äußeren, der Verwirklichung der
türkischen Ziele hindernd im Wege. Die den alten Wojvoden erbliche Capitünswürde der
einheimischen Familien war wohl abgeschafft; aber die an ihre Stelle getretenen kaiserlichen
Oberbeamten in Travnik, Zwornik, Novibazar, Tuzla, Banjaluka, Bihac, mit dem Titel von
Paschas ausgestattet, setzten ganz einfach die alte Wirtschaft fort.
Allen Bestrebungen, welche Bosnien in den Bereich der neuen Militärreform
einbeziehen wollten, setzte das Land, trotzdem es in Parteien zersplittert war, ein-
müthigen Widerstand entgegen. Es sollte ein reguläres Cavallerie-Negiment, aus
vier Escadronen zu 160 Pferden bestehend, gestellt werden, wozu die alten Lehens
besitzen verpflichtet waren; ferner war ein reguläres Infanterie-Regiment von 4 Tabors
zu 800 Mann zu organisiren; aber lange Zeit (bis Mitte der Sechziger->mhre) hatte
kein Statthalter den Muth zu dem Versuche, dieses Project zu verwirklichen. Noch
mißlicher stand es um die Steuerverwaltung. Alle Zweige derselben waren verpachtet;
der Staatsschatz in Constantinopel mußte sich zufrieden geben, wenn überhaupt
etwas von Bosnien einging. Den Nutzen zogen die unter mohammedanischer Firma
ansässigen Associationen, an deren Gewinn aber auch schon das orthodoxe Element
theilznnehmen wußte.
Von Handel war gar keine Rede; die schlechten Wege, die noch schlechteren Unter -
künfte, die geringe Sicherheit, der gänzlich rechtlose Zustand vor den Gerichten, die ver -
schwindend schwache Autorität des Staates verhinderten die einheimischen Christen, aber
auch die Mohammedaner und vollends die fremden Elemente an der Teilnahme an
commerciellen Unternehmungen. Ein sehr charakteristisches Detail ist es, daß noch in den
Fünfziger-Jahren außer einigen wandernden Schneidergesellen, etlichen Holzhauern in den
Grenzwäldern und drei Kausleuten, die aus Ragusa nach der Hercegovina Handel trieben,
nicht ein Fremder sich in diesem Lande aufhielt. Das Los der Christen war, mit euro -
päischen Augen gesehen, trostlos.
Die dortigen Christen selbst aber hatten sich an diesen Zustand gewöhnt und als
gedrücktes Element eigentlich gar keinen Sinn für Emancipation im westeuropäischen
Sinne, sondern empfanden nur die thätlichen Grausamkeiten seitens der herrschenden
Classen. Um ihr Los zu schildern, genügt es hervorzuheben, daß noch lange Zeit den
Katholiken außer in den drei Klöstern Bosniens und zweien in der Hercegovina kein
kirchlicher Gottesdienst gestattet war; sie mußten im Freien zusammenkommen, die
primitivsten Buden, welche zum Gottesdienste provisorisch hergestellt waren, wurden
zertrümmert, und überdies hatten sie schwer zu leiden unter der Wuth der Mohammedaner,
Bosnien »nd Hercegovina.
274
die in der geringsten Concession die Bestrebung erblickten, sie dem mohammedanischen
Glauben abtrünnig zu machen.
Gerade so oder noch schlimmer war die Lage der Orthodoxen, denn diese
hatten nicht einmal nationale Bischöfe, sondern solche, die von dem Patriarchen in
Constantinopel entsendet waren und sich blos ans Kosten ihrer Gläubigen zu bereichern
trachteten. Ihre Geistlichen waren unwissend und im Gegensätze zu den Franciscanern,
welche selbst zur Zeit der größten Bedrückung sich in Ansehen zu behaupten ver -
standen, von den türkischen Behörden verachtet. Trotz der montenegrinisch-serbischen
Propaganda, trotz der kroatisch-illyrischen Bewegung und des mittelbaren russischen
Einflusses erstrebte der Christ in Bosnien nichts anderes, als die momentane Besserung
seiner elenden Existenz. In allen Bittschriften, die sie an den Wiener Hof gelangen
ließen, finden wir nur die Klagen über die ungerechte Steuer, über die Verfolgung,
über die Unmöglichkeit, Gott in ihrer Weise anzubeten, und hätte die Türkei die
Fähigkeit besessen, dies einzusehen, so wäre es damals noch keinem von ihnen eingefallen,
eine Veränderung des Agrarverhältnisses oder gar der Staatsgewalt zu verlangen,
wie es später nach den unglücklichen Experimenten der türkischen Centralgewalt geschah.
Es wäre aber ein großer Jrrthum, wenn wir die Lage der mohammedanischen
Bevölkerung als viel günstiger hinstellen würden. Der kleine mohammedanische Bauer hatte
fast ebenso viel zu leiden als der Christ. Zwar lag diese Bevölkerung un Banne eines
dumpfen Fanatismus; allein schon dämmerte in den Köpfen die Erkenntlich, daß bei
der endgiltigen Lösung dieser unhaltbaren Zustände ihre Errettung nicht von ihren
Feinden, den Serben und Montenegrinern, nicht von den Russen, die ja doch diese unter -
stützten, zu erhoffen sei; vielmehr wurden Stimmen unter ihnen laut, welche es aussprachen,
daß, wenn schon der Sultan sie aufgebe, sie nur unter dem Schutze Österreichs verbleiben
könnten. In der That zeigte sich in allen Balkanprovinzen, wo die türkische Herrschaft
aufgehört hatte, als erste sichtbare Folge davon die Auswanderung des mohamme -
danischen Elementes.
Als Omer im Jahre 1853 zur Bewältigung des montenegrinischen Aufstandes
abbernfen wurde, übernahm Khurschid Pascha die Pacificirung des Landes. Indem früher
(1858) einige tausend Christen nach Österreich geflohen waren, ändert er das Lov der
christlichen Kmeten insofern, als die Frohnarbeiten auf den grundherrlichen Eigenbesitzen,
den sogenannten Begluks, aufzuhören hatten. Jetzt folgte eine Epoche, in der zwar die
älteren Institutionen, die alttürkischen Überreste, die Lehen der Begs zertrümmert wurden,
aber die modernen neutürkischen Verwaltnngsreformen nicht Wurzel fassen konnten. Die
Parole war nunmehr: keine einheimischen Beamten! Aber die neuen Osmanlis, die Effendis
von Constantinopel, waren noch verhaßter und corrumpirter als die alten; es war ihnen gar
275
nichts daran gelegen, wie und in welcher Weise die Einheimischen geschunden wurden, sie
nahmen Geld, von wem immer sie es bekamen. Nichts ist bezeichnender, als daß die
Pforte bald darauf einen Ferman erließ, der die Korruption der Beamten anfheben sollte.
Doch um gerecht zu sein, darf man nicht außeracht lassen, daß die auswärtigen Ver -
hältnisse keineswegs günstig genug waren, um den türkischen Bestrebungen Zeit zu lassen.
Im Jahre 1853 entbrannte der Krimkrieg, und die orientalische Frage trat auf die
Tagesordnung Europas.
Wir sehen nun Christen-Aufstände in der Hercegovina, Montenegro als säcnla-
risirtes Fürstenthum für seine Unabhängigkeit und Vergrößerung kämpfen, Serbien
die Türken aus seinen Festungen vertreiben, Rumänien als geeinigtes Fürstenthum
entstehen, endlich auch die bulgarische Frage in Fluß gerathen — kurz, die Balkanfrage
kam ins Rollen.
In der Haltung des Wiener Hofes spielt die bosnische Frage eine große Rolle.
Auch die Protection der Katholiken Bosniens und der Hercegovina wurde nie außer
Acht gelassen und sowohl der kirchliche Zusammenhang zwischen den bosnischen Francis-
canern und unserer Monarchie befestigt, als auch die Unterstützung der christlichen
Forderungen bei der Pforte mit vieler Wärme betrieben. Es war ein bedeutsamer
Moment in der Geschichte Bosniens, als am 6. Januar 1851 zum erstenmale die
Standarte der Habsburger auf dem Consulatsgebäude gehißt wurde; die Christen
erblickten darin den Anbruch einer neuen Zeit, und die Mohammedaner sahen still -
schweigend zu; der allgemeine Eindruck war ein nachhaltiger. Beim Friedensschlüsse
in Paris begnügte sich Österreich mit der moralischen Befestigung seines Einflusses
in der nordwestlichen Hälfte der Balkanhalbinsel. Mehr wollte damals die österreichische
Politik nicht erreichen. Doch ist es bezeichnend, daß schon damals Feldmarschall Radetzky
die Sicherung der militärischen Machtstellung der Monarchie in der Erwerbung Bosniens
und der Hercegovina und sogar noch weiteren Gebiets bis tief in den Süden der
Balkanhalbinsel hinab erblickte, wie denn auch später Tegetthoff die dalmatinische Küste
nur dann als einen activen Bestandtheil der Monarchie betrachten wollte, wenn sie
mit Bosnien vereinigt, der Monarchie einen ausgiebigen Raum auf der terra llrma
gewähren würde.
Infolge der politischen Lage und der noch immer starken Widerstandskraft
des türkischen Volkes blieben Bosnien und die Hercegovina auch nach dem Pariser
Frieden im Verbände des ottomanischen Reiches, und diese Provinzen theilten die Geschicke
der übrigen. Wie im ganzen Reiche, so wurde auch hier der große Concessions-Hat vom
Jahre 1856 verkündet; die neue türkische Herrschaft vegetirte auf Grundlage der alten
Überlieferungen weiter. Doch das Verhältniß änderte sich. Die christliche Bevölkerung
18*
Das Wappen von Bosnien.
276
erwachte zum Bewußtsein; die Idee des Anschlusses an Österreich blieb lebendig und
erstarkte infolge des gänzlichen Niederganges der Ceutralgewalt. Der Berwirklichung
der österreichischen Tendenzen trat freilich ein sehr wichtiger Umstand in den Weg,
nämlich die nicht geklärte Lage der Monarchie zum deutschen Reiche. Österreich war brs
zum Jahre 1866 eine mitteleuropäische Großmacht, deren Politik zwei Flanken hatte.
Nur nach der Neugestaltung der Monarchie konnte man eine energische, zielbewußte
Orientpolitik einleiten, die sich der neuen Ausgabe und Machtstellung Österreich-
Ungarns bewußt war.
Am 18. August 1878 wurden Bosnien und die Hereegovina mit vollem Zielbewußt -
sein der habsburgischen Machtsphäre unterworfen. Die bisherigen virtuellen Rechtstitel
verwirklichten sich auf Grund des Vertrauens der europäischen Mächte, und hiemit schließt
die Vergangenheit Bosniens, eines Landes, das immer zwischen Osten und Westen
geschwankt hatte und jetzt dauernd dem letzteren augefügt wurde.
Volkskunde.
jJbpsischo Beschaffenheit der einheimischen Bevölkerung.
ie wissenschaftlichen Untersuchungen über die physische Anthropologie
der Bevölkerung Bosniens und der Hercegovina sind noch lange nicht
abgeschlossen, da dieselben erst in den letzten Jahren begonnen haben und
das Volk überdies für derartige Untersuchungen nur schwer zu gewinnen
ist. Bei alledem verfügen wir bereits über ein recht ansehnliches, wenn
auch nur einseitiges Material, auf Grund dessen man bis zu einem gewissen Grade
in der Lage ist, ein in allgemeinen Zügen gehaltenes Bild der Körperbeschaffenheit des
Volkes zu entwerfen. Die bisherige anthropologische Forschung ist zu dem Resultate
gelangt, daß die jetzige Bevölkerung des Landes in ihrer überwiegenden Mehrzahl eine Reihe
gemeinschaftlicher Merkmale besitzt, die man gewöhnlich dem südslavischen Typus zuzu -
schreiben Pflegt. Von der Urbevölkerung des Landes, d. i. den illyrischen Volksstämmeu,
welche sicherlich bereits 1000 Jahre vor Christo das heutige Bosnien und die Hercegovina
bevölkerten, dann von den Römern und ihren Colonisten, sowie endlich von den Kelten,
Avaren und Gothen sind in der dermaligen Population kaum irgend welche nachweisbare
Spuren vorhanden. Die slavische Invasion, welche sich hier im Laufe des VI. und VII. Jahr -
hunderts nach Christo vollzog, scheint eine so übermächtige gewesen zu sein, daß sie alle
früheren, sowohl autochthonen als fremden Elemente überflutete.
Bevor wir zur anthropologischen Schilderung der heutigen Bevölkerung übergehen,
können wir uns nicht versagen, einige kurze Bemerkungen über die physische Beschaffen -
heit der Ureinwohner vorauszuschicken. Der Mythus und zum Theil auch die Geschichte
deuten darauf hin, daß die Illyrier kein racenreines Volk waren, sondern ein Gemenge
verschiedener arischer und vielleicht auch anarischer Elemente bildeten. Herodian hebt
ihren hohen Wuchs, Plautus ihr großes Gesicht hervor; die Sitte der Tätowirung
278
des Körpers theilten sie mit ihren nächsten Verwandten und östlichen Nachbarn, den
Thrakern. Die prähistorische Durchforschung der ausgedehnten Gräberfelder Bosniens,
besonders der im Glasinac gelegenen, förderte bis jetzt ungefähr 60 Schädel zu Tage, doch
sind mit Rücksicht auf den mangelhaften Erhaltungszustand kaum 45, und diese nur
theilweise wissenschaftlich verwerthbar. Die von Virchow, Weisbach und mir aus-
gefiihrten Messungen dieser Schädel ergaben ein, in manchen Einzelheiten wohl differentes,
im Ganzen und Großen aber einheitliches Resultat, aus dem zu ersehen ist, daß die
einstige Bevölkerung des Glasinae im anthropologischen Sinne ein Mischvolk war. Neben
einer recht beträchtlichen Anzahl (ungefähr 30 Procent) langer, schmaler, nicht sehr hoher
und daher wenig geräumiger, findet man nahezu ebensoviele große und übergroße,
breite und hohe Schädel. Am häufigsten jedoch, in über 40 Procent, fit unter ihnen
die sogenannte Mesocephalie vertreten, was augenscheinlich auf eine sich seit sehr vielen
Jahren vollziehende Kreuzung zwischen Lang- und Kurzschädligen hinweist.
Dieser Befund hat für die Anthropologie der Balkanvölker ein besonderes Interesse.
Es ist eine geschichtlich erwiesene Thatsache, daß die heutigen Albanesen, wenn nicht durch -
wegs, so doch in überwiegender Mehrzahl, die directen Nachkommen der einstigen Illyrier
sind. Die ersteren müßten daher in anthropologischer Beziehung ihren Vorfahren ähnlich
sein. Nun behaupten aber manche sehr beachtenswerthe Forscher, wie z. B. Weisbach,
Tappeiner rc., daß die Albanesen zu den exquisit kurzschädligen, oder, wie der wissen -
schaftliche Ausdruck lautet, brachycephalen Völkern gehören, was natürlich Nicht ohne
Einfluß auf die Beurteilung der Zugehörigkeit der alten Glasinacbewohner bleiben
könnte. Sind die heutigen Albanesen wirklich durchwegs brachycephal, so können die
einstigen Bewohner der Glasinacer Hochebene, unter denen so viele dolichocephale und
mesocephale angetroffen werden, keine Illyrier gewesen sein. Diese Ansicht vertritt auch
Weisbach, indem er meint, „daß die alten Glasinacer vielleicht von Westen her als
Handelscolonie eingewandert seien", und theilweise stimmt ihm auch Virchow durch
die Annahme zu, daß „die dolichocephalen Schädel möglicherweise Handelsleuten fremder
Provenienz, die sich da aufhielten und bestattet worden sind, angehört haben". Diesen
Hypothesen widerspricht die Thatsache, daß man in einzelnen Tumulis sowohl lange als
breite Schädel zusammen gefunden hat, ferner daß man in Gräbern der Dolichocephalen
die gleichen Funde an Waffen, Schmuck und anderen Beigaben, wie in denen der Brachy -
cephalen gemacht hat. Wären die Dolichocephalen wirklich Fremde, so würde man fie
weder zusammen, mit den Einheimischen, noch in gleicher Weise ausgestattet beerdigt haben.
Nun frägt es sich aber, ob die Albanesen wirklich so durchwegs brachycephal sind,
wie Weisbach und Tappeiner behaupten? Schon Cyprien-Robert z. B. ist gegen -
teiliger Ansicht, indem er sie als Langköpfe bezeichnet. Wie so häufig liegt auch hier die
Wahrheit in der Mitte. An 33 Nordalbanesen (Ghegen) vorgenommene Messungen
ergaben mir 12'1 Procent Dolichocephalie, 37 4 Procent Mesocephalie und 51'5 Procent
Brachycephalie. Hieraus glaube ich nun schließen zu dürfen, daß die Albanesen im
anthropologischen Sinne ein Mischvolk sind, bei dem die zwölfhundertjährige Nach -
barschaft der Slavcn und die Kreuzung mit denselben eine Zunahme der Brachyce-
phalie gegenüber seinen Vorfahren zur Folge hatte. Daß meine Gemessenen wirklich
Albanesen waren, beweist unter Anderem auch die Thatsache, daß 60 6 Prvcent
derselben einen Kopfumfang von über 550 Millimeter hatten, was einerseits mit den
Befunden an den Glasinacer Schädeln, anderseits mit der Ansicht Virch ow's, betreffend
die Häufigkeit der sogenannten Kephalonie (Großköpfigkeit) unter den Illyriern,
beziehungsweise Albanesen, übereinstimmt.
Nach unserem Dafürhalten waren die alten Glasinacbewohner daher
keine Fremdlinge, sondern Illyrier, welche schon in den frühesten Zeiten
ein aus der Kreuzung einer lang- und kurzköpfigen Rasse hervorgegangenes
Mischvolk dargestellt haben.
Gehen wir mm zur Betrachtung des heutigen Bosniers und Hercegoviners
über. Vor Allem fällt uns sein hoher Wuchs auf. In dieser Richtung liegen bis nun
die Ergebnisse von rund 7000 Messungen vor, welche einerseits über die Veran -
lassung Weisbach's von mehreren Militärärzten an einheimischen Soldaten (3803)
und anderseits von mir, theils an Stellungspflichtigen gelegentlich der regelmäßigen
Assentirungen (3099) und zum geringsten Theile nur (108) an anderen Einheimischen
vorgenommen wurden. Meine Resultate divergiren um ein Geringes von denen Weis -
bach's, was ganz natürlich ist, da er es mit einem ausgesuchten Materiale zu thun
hatte, wogegen meine Mache an Leuten ohne Rücksicht auf ihre Militürtanglichkeit
genommen wurden.
Unter Weisbach's Gemessenen fanden sich 11 Procent Kleiner, d. i. unter
1600 Millimeter hoher, 28'5 Procent Mittelgroßer, beziehungsweise bis 1700 Millimeter
hoher, und endlich 70 4 Procent über 1700 Millimeter Langer, mit einem allgemeinen
Durchschnitte von 1726 Millimeter; ich hingegen eruirte 2'4 Procent kleiner, 30 3 Procent
mittclhoher und 67 3 Procent hochgewachsener Individuen, die zusammen einen Durch -
schnitt von 1722 Millimeter ergeben haben. Ob nun die Bosnier 1726 Millimeter oder
1722 Millimeter hoch sind, ist wohl im Ganzen und Großen kaum von besonderer
Bedeutung, jedenfalls gehören sie zu den größten Leuten Europas, ja stehen vielleicht selbst
den Norwegern, welche 1727 Millimeter hoch sind, nicht nach, wenn wir berücksichtigen,
daß unter unseren Gemessenen ein gewisser Procentsatz in einem Alter gestanden, in
welchem das Wachsthum noch nicht gänzlich abgeschlossen ist.
280
Der Bosnier übertrifft an Körpergröße sowohl feinen nördlichen Stammesgenossen,
den Kroaten, welcher nur 1700 Millimeter, als auch den westlichen, den Dalmatiner,
der 1708 Millimeter lang ist.
Wie nahezu überall, ist auch in Bosnien die Frau von kleinerer Statur als der
Mann. Schon ein Spaziergang durch irgend welche Carsija gelegentlich des Markttages
belehrt uns, daß die einheimischen Weiber im Vergleiche zu den oft überhohen Gestalten
der Männer meist geradezu klein genannt werden müssen. Directe Messungen an Weibern
wurden bis jetzt nur wenige (42) vorgenommen, es können daher mit den Männern keine
Vergleiche aufgestellt werden. Der Vollständigkeit halber sei nur erwähnt, daß unter den
Frauen 21 4 Percent kleiner, 65 7 Percent mittelhoher und 11'9 Percent hochgewachsener,
mit einem Durchschnitte von 1629 Millimeter gefunden wurden.
Das Haupthaar ist meist schlicht oder wellig, nur selten gelockt und am häufigsten
von brauner Farbe. Hellbraunes und schwarzes Haar kommt seltener vor, blondhaarige
endlich werden überhaupt nur selten angetroffen. Am ehesten findet man sie noch unter
Mohammedanern und Katholiken, und zwar meist bei Kindern, die mit den Jahren augen -
scheinlich dunkelhaariger werden.
Interessante Ergebnisse erhielt Weisbach durch die Untersuchung der Augen -
farbe; er fand nämlich, daß die Katholiken (39 88 Percent) und die Mohammedaner
P7'69 Percent) häufiger lichte Augen haben, als die Orientalisch-Orthodoxen
(28'52 Percent), wogegen dunkle Augen bei diesen letzteren häufiger Vorkommen
<56'27 Percent) als bei den elfteren (rund 47 Percent). Blaue Angen kommen bei den
Mohammedanern häufiger (19 58 Percent) als bei den Katholiken (14 74 Percent) oder
bei den Orientalisch-Orthodoxen (12'84 Percent) vor, graue hingegen überwiegen bei
den Katholiken (25 14 Percent) gegenüber den Mohammedanern (18'10 Percent) und
den Orthodoxen (15 67 Percent). Das braune Auge ist bei allen Confessionen, wiewohl
nicht in gleicher Frequenz, am häufigsten anzutresfen. Schwarze und besonders grüne
Augen gehören zu den Seltenheiten.
Die überwiegende Mehrzahl der Bosnier und der Hercegoviner hat eine lichtbraune
Haut, doch kommen unter ihnen nicht selten Individuen, besonders Weiber, mit weißem
und weißgelblichem Teint vor. Die braune Hautfarbe wird verhältnißmüßig selten an -
getroffen.
Ans dem unzweifelhaften Vorherrschen des dunklen Haares und ebensolcher Augen,
sowie der bräunlichen Haut kann man leicht schließen, daß in der einheimischen Bevölkerung
der dunkle Typus der vorherrschende ist. Der reine Helle Typus, das ist blondes Haar,
blaue oder graue Augen und eine weiße, beziehungsweise weißgelbe Haut wird in
Bosnien und der Hercegovina nur selten bei einem Individuum angetrossen. Viel häufiger
281
finden sich Leute, bei denen die eine oder die andere Typencomponente eine abweichende
Farbennnance zeigt, und die daher von der Wissenschaft de» sogenannte» Mischtypen
zugezählt werden. Weisbach, der in allen seinen Arbeiten nur die Farbe der Haare
und der Augen zur Thpenbestiinmung herbeizieht, gibt bezüglich der Bosnier an, daß
kaum 7-36 Percent zum lichten, 42 93 Pereent zum dunklen und 49 69 Pereent zu den
gemischten Typen gehören. Nach diesem Forscher würden somit die letzterwähnten Typen
nahezu so häufig Vorkommen wie die reinen.
Das Steinwerfen in Prozor.
Bei der Raeenbestimmung sowohl eines einzelnen Individuums, als eines ganzen
Volkes, spielen neben der Farbe der Haare, der Augen und der Haut gewisse Kopfmaaße
eine sehr hervorragende Rolle. Ein besonderes Gewicht wird allgemein ans die Feststellung der
größten Länge und der größten Breite bei horizontaler Haltung des Kopfes, sowie des
horizontalen Kopfumsanges gelegt. Ans dem Verhältnisse der Breite zur Länge wird
der sogenannte Kopfindex in der Weife berechnet, daß man die die durch Messung der ersteren
erhaltene Hahl mit 100 mnltiplicirt und hierauf durch die die Länge ausdrückende Hahl
dividirt. Das aus dieser Rechnung sich ergebende Resultat wird der Kopfindex genannt.
282
Die deutsche Anthropologie hat auf Grund einer Verständigung fcstgestellt, daß man
alle Fälle, in denen der Index die Zahl 75 nicht überschreitet, als Langköpfigkeit
(Dolichocephalie), wo er zwischen 75'1 und 79 9 schwankt als Mittelköpfigkeit
(Mesocephalie), und endlich wo er 80 oder mehr beträgt, als Kurzköpfigkeit (Brachy-
cephalie) zu bezeichnen hat. Die Kopflänge und die Kopfbreite wird mit entsprechenden
Cirkeln, sogenannten Tastercirkeln, gemessen, der horizontale Kopfnmfang wird mit einem
in Centimeter und Millimeter eingetheilten Bandmaaße festgestellt.
Genaue und wissenschaftlich verwerthbare Resultate erhält man nur durch die
Messung macerirter Schädel; werden aber die Maaße an Lebenden genommen, so müssen
von den erhaltenenErgebnissen, gewisse durch Erfahrung, namentlich aber durch Experimente
fcstgestellte Zahlen in Abzug gebracht werden. So hat z. B. Weisbach nachgewwscn,
daß man vom Kopfindex zwei Ganze abziehen muß, wenn man die erhaltene Zahl auf
den Schädelindex reduciren will; ebenso hat Jkow gezeigt, daß man 25 Millimeter in
Abzug zu bringen hat, wenn man aus dem horizontalen Kopfnmfange den horizontalen
Schädelnmfang berechnen will. Selbstverständlich werden die durch die Untersuchung eines
sogenannten todten Materiales gewonnenen Ergebnisse immer verläßlicher, well fehlerfreier
sein, als die durch die Messung Lebender erhaltenen Resultate.
Nachdem wir diese Bemerkungen zur näherenVerständniß der folgenden Darlegungen
vorausgeschickt haben, wollen wir zu unserem Gegenstände zurückkehren.
Meines Wissens wurden bis setzt kaum 21 Schädel erwachsener Bosnier anthro -
pologisch untersucht, und zwar zwölf älteren Ursprungs von Weisbach und neun recente
von mir. Von den älteren Schädeln wurden vier aus Bogumilengräbern gehoben, und
dürften daher aus dem 13. bis 15. Jahrhundert stammen, die acht anderen gehören
zweifellos einer jüngeren Periode an, die neun recenten endlich sind aus der aller -
jüngsten Zeit.
Bezüglich der Bogumilenschädel wäre erwähnenswerth, daß sie bei einem durch -
schnittlichen Rauminhalte (Capacität) von 1463 Centimeter und einem Horizontalumfange
von 516 Millimeter eine mittlere Länge von 179 Millimeter und eme Durchschmttsbreite
von 146 Millimeter ausweisen. Der Schädelindex beträgt somit 81'4o. Unter diesen
Schädeln war nur einer, und zwar ein weiblicher mesocephal (79'1), die drei anderen
aber mehr oder minder brachycephal. Bei den acht anderen Schädeln (zwei weiblichen und
sechs männlichen) beträgt die Durchschnittslünge 172 Millimeter, die Breite 142 Millimeter
und der horizontale Umfang 502 Millimeter. Die Capacität konnte mir bei fünf Schädeln,
und zwar bei drei männlichen und den zwei weiblichen gemessen werden, sie beträgt im
Mittel 1426 Centimeter. Scheidet man aber die letzteren aus, so erhält man, durch die
Messung der drei männlichen allein, einen Rauminhalt von 1486 Centimeter. Mit einem
283
durchschnittlichen Index von 82-56 gehören diese acht Schädel zu den brachycephalen,
wobei zu bemerken ist, daß zwei derselben (mit den Jndices von 78'2, beziehungsweise
79'7) mesocephal waren.
Was nun endlich die neun recenten Schädeln anbelangt, so ist vor Allem zu
bemerken, daß acht derselben Männern in einem Alter zwischen 20 und 46 Jahren und
der neunte einem 25jährigen Weibe angehört haben. Sechs derselben sind bosnischer und
drei derselben hercegovinischer Provenienz. Die acht männlichen Schädel ergaben eine
Capacität von 1494 Centimeter, der weibliche eine solche von kaum 1290 Centimeter.
Die größte Länge der männlichen Schädel betrug im Durchschnitte 173 Millimeter, die
größte Breite 149 Millimeter, der weibliche Schädel ist nur 168 Millimeter lang und
138 Millimeter breit. Die Messung des Horizontalumsanges der elfteren Schädel ergibt
514 Millimeter gegen 484 Millimeter des weiblichen. Ans der Berechnung der ange -
führten Breiten und Längen zeigt sich bei den Männern ein Index von 86'12 und beim
Weibe ein solcher von 82'14; die untersuchten Cranien waren somit in ganz bedeutenden:
Grade brachycephal. Von allen neun Schädeln war nur ein männlicher mesocephal mit
einem Index von 7650.
Wäre das vorliegende Material nicht gar so gering, so könnte man ans den drei
Untersuchungsreihen auf eine mit der Zeit zunehmende Brachycephalie schließen, da die
ältesten, d. i. die Bognmilenschädel einen Index von 81 45, die jüngeren einen solchen
von 82-56 und die jüngsten gar einen von 86'12 aufweisen. Allein noch ist, wie gesagt,
das Material zu klein, uni ans Grund desselben einen so weitgehenden Schluß ziehen
zu dürfen.
Unter sämmtlichen 21 bosnischen Schädeln (wovon vier weibliche) finden sich im
Ganzen 4, respective 19 Percent mesocephale, alle anderen (81 Percent) sind brachycephal.
Weisbach berechnet aus seinen, an lebenden Bosniern gewonnenen Resultaten eine
Brachycephalie von rund 84 Percent; was eine ungefähre Übereinstimmung mit den an
den Schädeln erhaltenen Ergebnissen bedeutet.
Auf Grund der bisherigenDarlegungen sind wir berechtigt, die Bevölkerung Bosniens
und der Hercegovina als exquisit brachycephal zu bezeichnen, der nur wenige nichtbrachy-
cephale Elemente beigemengt sind.
In der anthropologischen Betrachtung des Bosniers weitergehend, können wir
constatircn, daß er gewöhnlich eine mittelhohe, nichtsehr breite Stirn, einen hohen breiten
und kurzen, hinten häufig abgeflachten Schädel hat. Die Abflachung des Hinterhauptes
dürfte zweifellos mit dem seit jeher hierzulande bestehenden Brauche, den Kopf des Kindes
in den ersten Lebensmonaten fest zusammen zu binden, in ursächlichem Zusammenhänge
stehen.
284
Das Gesicht ist mittelhoch und eher breit als schmal, da die Backenknochen
gewöhnlich etwas hervortreten. Das Kinn ist gut entwickelt, der eher dünnlippige Mund
meist klein, die mittelgroßen Zähne dicht und vertical gestellt. Die gut hervortretende,
im Verhältnisse zur Gesichtsbreite schmale Nase hat am häufigsten einen geraden oder
leicht concaven Rücken und flache Fliigel. Die Angen sind etwas tiefliegend, groß, die
Augenhöhlen meist hoch und breit, die reichlich behaarten Augenbrauenbögen stehen
etwas vor. Der Blick ist lebhaft, der Gesichtsausdruck ernst. Die Behaarung des
Gesichtes, sowie des Körpers überhaupt, ist bei den Männern eine reichliche. Ergrauen
der Kopfhaare, beziehungsweise der Ausfall derselben tritt erst spät ein.
Der Kopf sitzt auf einem mittellangen Halse mit kräftigem Nacken. Brust und
Schnlwrn sind im Verhältnisse zur Statur etwas schmal, die Arme und Beine etwas
überlang, mit breiten Händen und Füßen. Die Haltung ist meist leicht vorgebeugt, der
Gang, wie bei den meisten Gebirgsbewohnern, knieweit, der Schritt gleichmäßig und
ausgiebig. Der Bosnier hat eine kräftige, kernige Mnsculatur und zeigt nur wenig
'Neigung zum Fettansätze. Nur unter den Städtern trifft man hie und da einzelne
dickleibige Leute. Spiele, bei welchen Körperkraft und Geschicklichkeit (in Sprung und
Wurf) den Ausschlag geben, sind daher bei den Bosniern sehr beliebt.
Wie bereits erwähnt, sind die bosnischen Weiber viel kleiner als die Männer, doch
gleichen sie sonst in anthropologischer Beziehung den letzteren ganz und gar. Die Geschlechts -
reife tritt bei der Bosnierin bereits im 13. bis 14. Lebensjahre ein, doch bleibt die
Entwicklung der Brüste meist zurück; sie ist in jungen Jahren hübsch, manchmal geradezu
schön, doch gewöhnlich bereits mit 30 Jahren verwelkt und alt.
Die Bevölkerung Bosniens und der Hercegovina bildet wohl seit langem, sowohl
in ethnischer als geschichtlicher Beziehung ein einheitliches Volk, doch ist dieselbe seit
Jahrhunderten bereits confessionell in Gruppen geschieden. Vor der ottomanischen
Invasion waren neben den Bekennen: der römisch-katholischen und der orientalisch-
orthodoxen Kirche sehr viele Anhänger des sogenannten Patarenerthums ode:
Bognmilenthums im Lande, welches zwar seit dem Ende des XII. Jahrhunderts
zu Gunsten des Katholicismus stark im Rückgänge war, immerhin aber noch um die
Mitte des XV. Jahrhunderts nicht nur im heimischen Adel, sondern auch im Volke seh:
viele Adhärenten hatte. Die Verfolgungen, denen diese auch in Italien, Frankreich,
Deutschland, ja sogar in Böhmen verbreitete Sekte seitens der katholischen Kirche
misgesetzt war, brachte es bei den bekannten Beziehungen, in welchen die Sektirer unter
einander standen, mit sich, daß viele derselben in Bosnien, wo das Patarenerthum durch
nahezu drei Jahrhunderte die vorherrschende Confession bildete, ihre Zuflucht suchten
iind fanden.
285
Im Mittelalter sind ferner viele deutsche Bergarbeiter in die mineralreichen Bezirke
Mittelbosniens eingewandert, woraus noch heute manche Familiennamen unter den
Katholiken, wie z.B. Cingel, Gabel, Kutier, Laus, Raus w.und nicht wenige bergmännische
ini Volke eingebürgerte technische Ausdrücke deutschen Ursprunges Hinweisen.
Weiße Zigeuner.
Die vttomanische Invasion, welche die Andersgläubigen in ihrem Besitze stark
bedrohte, hatte zur Folge, daß ein bedeutender Theil der Bevölkerung den mohamme -
danischen Glauben annahm: besonders waren es die noch überaus zahlreichen öffentlichen
und geheimen Anhänger des Patarenerthnms, welche schaarenweise den Glaubens -
wechsel vollzogen. Von den Fremdlingen, die nun das Land beherrschten, siedelten
286
sich wohl nur wenige dauernd hier an, hie und da dürfte es aber doch vorge-
kmnmen sein, daß einer oder der andere dieser Functionüre eine Familie begründete und
in Bosnien blieb.
Es kann somit die Frage aufgeworfen werden, ob diese geschichtlichen Thatsachen
nicht auch auf die physische Beschaffenheit des Volkes in irgend einer Weise eingewirkt
haben? Sowohl die tägliche Beobachtung, als nicht minder die bis jetzt vorliegenden
anthropologischen Untersuchungen beantworten diese Frage im bejahenden Sinne. So
findet man unter den Katholiken und Mohammedanern viel häufiger blondes Haar, blaue
oder graue Augen und eine lichte Haut, als unter den Orientalisch-Orthodoxen, bei denen
der dunkle Typus überhaupt überwiegt. Die zwei erstgenannten Confessionen haben ferner
viel mehr Vertreter des sogenannten Mischtypus als die letztere. Hiesür kommen wieder
bei den Orthodoxen häufiger Individuen mit ovalem Gesicht vor, als bei den Katholiken
und Mohammedanern. Die Beimengung fremder Elemente scheint bei den Mohamme -
danern überdies bewirkt zu haben, daß man unter ihnen 10 Percent Nichtbrachycephaler
antrifft, wohingegen die Brachycephalie bei den Christen 95, beziehungsweise 96 Percent
ausmacht. Endlich ist bemerkenswert^ daß die Katholiken, nach meinen Messungen
wenigstens, etwas kleiner sind (1709 Millimeter) als die Mohammedaner (1725 Milli -
meter) und die Orientalisch-Orthodoxen (1723 Millimeter), da bei den elfteren die
verhältnismäßig meisten Kleinen (3'8 Percent) und Mittelhohen (35'6 Percent) vor -
zukommen pflegen.
Neben den Slaven, welche die Hauptmasse der heimischen Bevölkerung Bosniens
und der Hercegovina ausmachen, sind nur wenige andere Elemente vertreten. Hierher
gehören die Spaniolen, die Zigeuner und die Karavlahen.
Die Mehrzahl der heute in Bosnien angesiedelten Spaniolen stammt von 30 bis
40 Familien ab, welche im Jahre 1604 durch Naftali bin Mandjur, den Banguier des
Gouverneurs Baltadzi-Mehmed Pascha, aus Constantinopel und Salonichi nach Sarajevo
gezogen wurden. Mehrere Familien sind später aus Rumelien, Serbien und Bulgarien
eingewandert, einzelne endlich aus Padua und Venedig. Die Juden Bosniens sind
durchwegs „Sefardim" und haben theils spanische, theils italienische Familiennamen,
wie z. B. Alchali, Chavejo, Albachari, Calderon, Danon, Gaon, Altaraz, Finzi, Montiljo,
Maestro, Papo, Pereira, Pinto rc. Unter einander bedienen sie sich der spanischen Sprache,
die von Turcismen und Bosnicismen stark durchsetzt ist.
In Physisch anthropologischer Beziehung kann von den bosnischen Spaniolen das
folgende Bild entworfen werden. Es sind mittelgroße (1644 Millimeter), häufig schmal -
brüstige und nicht selten auch kleine Gestalten, unter denen eine hie und da vorkommende,
breitschultrige Hünengestalt umsomehr auffällt. Ihre auf die Schädellänge reducirte Kopf-
287
länge beträgt im Mittel 180 Millimeter, die Schädelbreite 141, der Schädelindex 78'1.
Nachmeinen an 55 Spaniolen ansgeführten Messungen findet man unter ihnen 21'8Percent
Dolicho-, 45 2 Percent Meso- und 32'8 Percent Brachycephale; sie stellen demnach ein
sehr gemischtes Element dar, in welchem die semitischeDolichocephalie und die nichtsemitische
Brachycephalie stark vertreten ist. Sie haben häufiger hohe als niedere Gesichter, eine
meist große, häufig concav gebogene Nase. Graue Augen kommen bei ihnen in ungefähr
3l Percent, hellbraune in 45'5 Percent und dunkelbraune in 23'5 Perccnt vor; blaue
Augen werden ebenso selten als schwarze beobachtet. Ihr meist dunkelbraunes oder licht -
braunes Haar ist meist wellig oder lockig und dabei nicht sehr dauerhaft, da man sehr
häufig in den mittleren Jahren stehende Spaniolen mit ausgedehnter Kahlköpfigkeit
sehen kann.
Der horizontale Kopfumfang schwankt zwischen 515 und 587 Millimeter und
beträgt im Durchschnitte 546 Millimeter; er ist demnach im Verhältnisse zur Körperhöhe
nicht bedeutend zu nennen. Die Hautfarbe ist häufiger licht (60 Percent) als dunkel.
Die Spaniolin ist durchwegs kleiner und graciler als der Mann, doch gleicht sie
demselben sonst in anthropologischer Beziehung nahezu vollkommen. Im 12. bis 13. Lebens -
jahre geschlechtsreif, beginnt sie bereits mit 25 bis 28 Jahren zu verblühen. Lebt sie in
besseren materiellen Verhältnissen, so neigt sie wie der Mann schon früh zur Fettleibigkeit;
in ungünstigen Lebensverhältnissen schrumpft sie wie eine trockene Feige zusammen. Die
Spaniolen sind gewöhnlich sehr fruchtbar und zeigen trotz entschiedener Neigung zu Herz -
krankheiten und verschiedenen Leiden des Nervensystems keine auffallende Mortalität.
Will man bei der anthropologischen Betrachtung der bosnischen Zigeuner den
thatsüchlichen Verhältnissen Rechnung tragen, so muß man dieselben in zwei Hauptgruppen
trennen, von denen die eine die mohammedanischen, die andere die christlichen Zigeuner
oder die sogenannten Karavlahen umfaßt. Für diese Trennung sprechen nicht nur der
Glaubensunterschied und die Tradition, sondern auch gewichtige linguistische Gründe. Das
Idiom, dessen sich die mohammedanischen Zigeuner unter einander bedienen, ist nur sehr
wenig mit romanischen Elementen versetzt, die Karavlahen hingegen sprechen ein verdorbenes
Rumänisch. Die ersteren scheinen bereits im XV. Jahrhundert über Altserbien auv
Griechenland, die letzteren aus Rumänien über Bulgarien und Serbien nach Bosnien
gelangt zu sein.
Die mohammedanischen Zigeuner müssen in Anbetracht der Lebensweise und der
anthropologischen Differenzen, welche sie aufweisen, in zwei Unterarten, und zwar in die
sogenannten Zeltzigeuner (Cergasi, gurbeti, firanni) oder schwarzen Zigeuner und in die
seßhaften oder weißen Zigeuner getrennt werden. Die ersteren sind Halbnvmaden,
welche einen Theil des Jahres im Lande herumwandcrn, oder mindestens in der schonen
288
Jahreszeit neben ihren stabilen Wohnungen Zelte errichten; die letzteren hingegen haben
den Wandertrieb verloren und wohnen ständig an einem Orte und in festen Häusern. Die
schwarzen Zigeuner sind nur scheinbar Mohammedaner und werden von der Bevölkerung
nicht als solche betrachtet. Sie kümmern sich sehr wenig um religiöse Übungen, ihre Frauen
sind unverschleiert, untereinander gebrauchen sic ausschließlich nur ihre Sprache. Die
weißen Zigeuner kommen den confessionellen Vorschriften pünktlich nach, verschleiern die
Frauen und bedienen sich untereinander der Landessprache. Die schwarzen Zigeuner sind
meist Kesselflicker, Pferdemakler oder Diebe, die weißen betreiben verschiedene Handwerke
vder bearbeiten als Bauern den Grund und Boden.
In Bezug ans die physische Beschaffenheit kann man von den mohammedanischen
Zigeunern die folgenden zwei, in manchem wesentlichen Punkte differenten Bilder entwerfen.
Die schwarzen Zigeuner sind nahezu durchwegs mittelhoch (1678 Millimeter),
mager und von gracilem Knochenbaue, sie haben eine meist dunkelbraune Haut, schlichte
dunkelbraune oder schwarze Haare und am häufigsten dunkel- oder hellbraune Augen;
lichte, zumal graue Augen sind zwar nicht besonders selten, doch kommen sie nur bei etwa
18 Percent derselben vor.
Der verhältnißmäßig kleine Kopf (Horizontalnmfang 546 Millimeter) ist lang,
recht schmal und daher auch überwiegend dolichocephal (71'4 Percent); Mesocephalie
kommt in 25-0 Percent und Brachycephalie kaum in 8-6 Percent vor: der durchschnittliche
Schädelindex betrügt 74-9. Das Gesicht ist bei einer nicht ungewöhnlichen Breite meist
mittelhoch, gegen oben und unten leicht verschmälert. Die meist nach rückwärts geneigte
Stirne ist schmal und niedrig, die mittelgroßen, lebhaften Augen tiefliegend, die Nase
mittellang und meist breit, der Mund breit, dicklippig oder wulstig. Die kleinen weißen
Zähne sind meist vertical gestellt. Der Unterkiefer ist im Verhältnisse zur Gesichtshöhe sehr
kräftig entwickelt. Die häufig großen Ohren tragen an ihrem Laume nicht selten ein
eigenthümliches kleines Knötchen. Der Brustkorb ist meist schmal, die Extremitäten lang,
Hände und Füße gracil, letztere schön gewölbt.
Die in ihrer kurzen Blüthezeit nicht selten recht hübschen Weiber haben durchwegs
kleine Körperhöhe (1540 Millimeter), sind aber sonst in Bezug ans die Physische
Beschaffenheit den Männern sehr ähnlich. Das Zigeunermädchen ist bereits sehr früh reif,
viele sind schon mit 13 bis 14 Jahren verheiratet, doch verwelkt die Zigeunerin gewöhnlich
noch rascher als die Spaniolin oder Bosnierin.
Die weißen Zigeuner sind meistens hochgewachsen (1729 Millimeter), mittelmäßig
genährt und von kräftigem Knochenbaue. Sie haben eine lichtbranneHant, nahezu durchwegs
dunkelbraune schlichte Haare und ebenso oft lichte (graue) als hellbraune und dunkelbraune
Augen. Der wenig umfangreiche Kopf (Horizontalumfang 537) ist mittellang, mäßig breit
289
und zeigt einen durchschnittlichen Schüdelindex von 79'8 Millimeter. Dolichvcephalie
kommt bei ihnen in 15'4 Percent, Mesocephalie in 23'0 und Brachycephalie in
61 6 Percent vor; die weißen Zigeuner sind somit überwiegend brachycephal.
Ihr Gesicht ist niedrig und breit, die Stirne gerade, niedrig und schmal, die Augen
groß, mit lebhaftem Blick, die Nase groß, gerade, die Flügel meist aufgebläht. Der
proportionirte Mund hat nicht selten dünne Lippen und meist kleine verticale Zähne.
Der Brustkorb ist schmal, die Extremitäten kräftig und laug, die Hände und Füße
auffallend lang und schmal.
Aus dieser Darstellung ist zu ersehen, daß die beiden Unterarten der moham -
medanischen Zigeuner in physisch-anthropologischer Beziehung manche ganz wesentliche
Unterschiede anfweisen. Die Schwarzen stellen nahezu den reinen Zigeunertypus dar, die
Weißen hingegen sind durchwegs Mischlinge, hervorgegangen ans der Kreuzung der
Zigeuner mit der hochwüchsigen, brachycephalen, mohammedanischen Bevölkerung des
Landes.
Meist abseits von jedem Verkehre und zum Theile noch in Erdhütten, natürlichen
Höhlen, oder in aus Flechtwerk hcrgestellten Zelten wohnen im Norden und Nvrdosten
Bosniens ungefähr 100 Familien, sogenannte Karavlahen, welche, theilweise nomadi-
sirend, sich meist mit der Herstellung von Holztelleru und Holzlöffeln beschäftigen
oder als Musikanten von Ort zu Ort wandern. Manche durchziehen als Bärenführer
jahrelang die ganze Welt und kehren dann mit etwas Geld und einigen Brocken
fremder Sprachen bereichert, zwar barfüßig, aber mit Cylinder und Frack ausgestattet,
in ihre Erdhütten zurück.
Die Karavlahen bezeichnen sich als Rumänen und protestiren entschieden, wenn
man sie Zigeuner nennt. Sie sind orientalisch-orthodoxer Cvnfession und sehr ehrliche
Leute. Einige Familien wurden seinerzeit im Bezirke Bjelina seßhaft gemacht, dieselben
sind jetzt fleißige Landleute und zeigen keine Sehnsucht nach dem früheren Leben.
Von kleiner oder mittelhvher Statur (Männer 1646, Weiber 1535 Millimeter
hoch), haben die Karavlahen eine durchwegs dunkle Hautfarbe, mehr dunkel als lichtbrauue
Augen und tiefbraunes oder schwarzes, theils schlichtes, theils welliges und lockiges Haar.
Der Kopf, eher klein als groß, zeigt eine beträchtliche Länge und eine verhältnißmäßig
geringe Breite. Der Schüdelindex beträgt im Mittel 75'l Perceut, bei 46 Percent
Dolicho-, 49'1 Percent Meso- und 4'8 Percent Brachycephalie. Die Stirne ist
schmal, niedrig und leicht geneigt, die Augen weit geschlitzt, die Nase von mittlerer Größe
und breit; das Gesicht iin Ganzen breit und niedrig.
Die Karavlahen stellen somit einen durchwegs dunklen Typus dar, welcher möglicher -
weise aus einer Kreuzung zwischen Zigeunern lind Rumänen hervvrgcgangen ist.
Bosnien und Hercegovina. ^ 0
Volksleben.
Einleitung. — Jahrhunderte hindurch lebte das Volk Bosniens und der Herce-
govina im Sinne altererbter Traditionen, welche weder staatliche Einrichtungen, noch ein -
getretene Culturströmnngen besonders tangirten. Bis zur Occupation forderte wohl der
Staat von den Bewohnern die pünktliche Leistung aller ihnen auferlegten Verpflichtungen,
kümmerte sich aber weder um ihr weiteres Thun und Lassen, noch um die Förderung
ihrer geistigen und materiellen Interessen. So kam es, daß das Volk in einzelnen
abgelegenen Gegenden bis vor Kurzem genau so lebte und dachte, wie es vor fünf oder
sechs Jahrhunderten gelebt und gedacht hatte. Gewisse ursprüngliche Äußerungen der
Volksseele konnten sich ans diese Weise in fast ungetrübter Form bis zur Gegenwart
erhalten, und der Ethnograph, der die Südslaven stndiren will, kann sich kein besseres
Forschungsgebiet wünschen, als es sich ihm in Bosnien und der Hercegovina darbietet.
Das Volksleben tritt hier allenthalben in reinster Urwüchsigkeit zur Schau, und wo
Beeinflussungen von Außen zu beobachten sind, gelingt es ohne Mühe, dav Ursprüngliche
vom Späteren zu trennen.
So engherzig die Natur war, als sie die Grenzen aussteckte, in welchen sich das
Leben des bosnischen Landvolkes bewegt, so freigebig war sie, als sie es mit geistigen
Eigenschaften ausstattete. Vor Allem verfügt der Bosniake über eine bewundernngswerte
Auffassungsgabe. Von Kindheit an auf sich selbst angewiesen, lernt das Individuum
Alles, was es umgibt, auf praktische Weise kennen, begreifen und beurtheilen. Allerdings
beschränkt sich diese Auffassungsgabe auf einen altererbten Gedankenkreis, aber selbst wo
sie über diese Grenze hinausgeleitet wird, bewährt sie sich vollkommen, was durch die
Schnlerfolge der letzten zwei Decennien erwiesen ist.
Neben dieser Gabe erhielt der Bosniake von der Natur eine zweite, nicht minder
schätzbare: eine präcise, logische Ausdrucksweise, die selbst von der Literatur als
mnstergiltig anerkannt und acceptirt wurde. In der Wortfolge, womit er seine Gedanken
zum Ausdrucke bringt, ist jeder Laut, jede Silbe am richtigen Platz, jeder Tonfall ent -
spricht auf das genaueste der Stimmung, die ihn hervorgerufen hat.
Die Psychische Verfassung des Volkes charakterisirt vor Allem eine natürliche Ein -
fachheit, ein ausgeprägtes Wahrheits-, Rechts- und Ehrgefühl. Die Wahrheitsliebe ist
die schönste Eigenschaft, die sowohl das Individuum, als auch das Volk schmückt, und
sie ist im letzteren so allgemein verbreitet, daß der rechte Bosnier sich nur schwer
bestimmt finden wird, bei seinem Nebenmenschen Unwahrhaftigkeit anzunchmen.
Eine andere hervorragende Eigenschaft ist das Ehrgefühl. Mannesehre, Frauenehre
und die Ehre des Hauses werden wie ein Schatz behütet, und daran zu rütteln wagt
201
Niemand. Ein „makelloses ehrliches Antlitz" (eist i Kosten okrs/) ist die erste Bedingung
einer würdigen Existenz, und ein altes Wart mahnt, für das Antlitz Alles und dieses fürNichts
zu opfern (sva 7N obrn?, obrn.7 ni 7,a 8to!); ein anderes sagt: „Hüte dein Antlitz für
diese, deine Seele für die andere Welt!" (Onvns okra? 7a ovi n äuSu 7u oni svijek!)
Wäre das Volk in der Lage gewesen, neben diesen passiven psychischen Eigenschaften
auch die activen, namentlich die Energie, zur gleichen Vollendung zu bringen, es hätte
gewiß eine unvergleichlich höhere Culturstufe erreicht als jene war, auf welcher es die
Oceupation von 1878 vorfand. Diese Energie wurde aber durch vier Jahrhunderte
gebeugt, das Vvlk mußte sich gewöhnen, fremdem Willen zu gehorchen und, von Natur
ans sanftmüthig, vom Schicksale bedrückt, wurde es langmüthig, geduldig und lernte seine
Ansichten verbergen. Allerdings hatte auch die Langmuth ihre Grenzen, und wo diese über -
schritten wurden, da loderte die Energie wild auf, da nahmen jene stürmischen Aufstände
ihren Ausgang, welche so oft und so tiefgreifend das Land durchwühlten.
Ähnlich wie mit der Energie, war es mit der Schaffensfreude des Volkes bestellt.
Vier Jahrhunderte lang mußte das Volk im Joche arbeiten, um den Lohn der Arbeit von
den Beherrschern genießen zu sehen, während es mit dem Stück harten Brodes fiulieb
nehmen mußte, das ihm gegönnt wurde. Da ist es nun kein Wunder, daß sich der Bauer
mit ebensoviel Arbeit begnügte, als nöthig war, um den Grundherrn zu befriedigen und
den nothdürftigen Lebensunterhalt zu gewinnen. Seit sich aber die Verhältnisse geändert
haben, seit dem Manne die Möglichkeit geworden, für sich zu arbeiten, das Erarbeitete
in Ruhe zu genießen und nicht nur zu erwerben, sondern auch zu ersparen, zeigt sich auch
die Agilität des Volkes in anderem Lichte. Der Mann ist unermüdlich, von Sonnen -
aufgang bis zum Sonnenuntergang an der Arbeit und entwickelt eine erstaunliche
Leistungsfähigkeit. Diesen Arbeitstrieb erweckt zu haben, ist ein nicht genug hoch zu
schützendes Verdienst der Oceupation.
Stämme, Bruderschaften und Hausgenossenschaften. — Das sociale Leben
in Bosnien und der Hercegovina, namentlich das des Landvolkes in einzelnen
abgelegenen Gegenden, ist heute noch ein patriarchalisches, und das Grundprincip desselben
ist die Hausgenossenschaft (Kawa, llneunskvo).
Mehrere durch Blutsverbaud geeinigte Familien bilden seit dem Mittelalter
Stämme (plsrno), deren Angehörige pleinoniei, suplornoiriei (Stammgenvsseu)
hießen. Der Begriff der Stammesangehörigkeit (plarnskvo) wurde hochgehalten und ver -
pflichtete die einzelnen Familien zu festem Zusammenhalten. Aber so anheimelnd dieses
Clanwesen dem Beobachter erscheinen mag, so verderblich war es, wenn die Interessen der
einzelnen Stämme oder Stammesgruppen (Lrutstva) miteinander collidirten. Da hieß es:
,21o junuün n brntskvu irojakar!" (Weh dem Helden aus schwachem Stamme!)
292
Der Begriff des plonie wurde im Mittelalter besonders hochgehalten und war,
wenn auch nicht von den Königen, so doch von der Tradition sanctionirt und gleich -
bedeutend mit dem westeuropäischen Adelsbegriff; „plemonit gospockin^ war die höchste
Titulatur, die man dem Könige gab, »ploinonskvo vi" (etwa Ew. Edlen) war die
Apostrophe für besonders hervorragende Edelleute, und das Territorium, welches deren
Stammesland umfaßte, hieß plomenita bnökinn (Stammeserbe), plemonita
roiriisa, oder ploinsniko (Stammland). Die Verehrung dieses Stammlandes war so
groß, daß es in Grabschriftcn in der Regel besonders betont wurde, wenn der Todte auf
seinem Erbe ruhte, welches nach einer Inschrift ein „weiches, sanftes Ruhebett" war. Es
sind Fälle bekannt, daß man Helden, denen das Glück nicht zu Theil wurde, im Erblande
zu ruhen, dort wenigstens ein Grabdenkmal errichtete (Brankovici).
Den Ursprung der Stämme leitet die orthodoxe Bevölkerung der südlichen Herce-
govina von jenem Ahnherrn ab, der zuerst zum Christenthum übertrat, dessen Taufpatron
znm Schutzheiligen seiner gesammten Nachkommenschaft ward, und dessen Festtag (ürsno
imo) besonders geheiligt wird. Eine solche Stammesangehörigkeit bildet trotz der
liberaleren canonischen Auffassung nach der Volksanschauung ein unüberwindliches Ehe -
hindernis, das nur in der Weise umgangen wurde, daß ein Theil des Stammes einen
anderen Schutzheiligen annahm und auf diese Weise ein neues Geschlecht bildete.
Auch unter den Mohammedanern erhielt sich die alte Stammverfassuug bis auf
die Gegenwart. Als die Osmanen das Land eroberten, traten viele bosnische Stämme
zum Islam über, und diese behielten auch als Mohammedaner ihren alten Stammes -
namen bei und nannten sich seither Begs. Diese bosnischen Begfamilien sind auf ihre
Abstammung stolz und liefern das einzige Beispiel eines erblichen Geschlechtsadels
im Oriente.
Die Zugehörigkeit zu einem Stamme brachte es mit sich, daß der Einzelne, auf die
Gesammtheit angewiesen, im Nothsalle auch an deren Hilfe appelliren durste, und so fand
das Individuum an dieser Gemeinsamkeit einen mächtigen Rückhalt.
Einzelne Stämme spalteten sich mit der Zeit in Bruderschaften (brntstva), die
je ein gemeinsamer Familiennamen charakterisirt. Die Bruderschaften entstanden durch
Auswanderung oder Theiluug vom Hauptstamme, wobei die Angehörigen und Nach -
kommen des Brnderstammes den Namen von dem Oberhaupte desselben erhielten. Da
die Angehörigen eines Stammes ursprünglich einen gemeinsamen Namen und zur persön -
lichen Unterscheidung noch einen Bei- oder Spitznamen hatten, so erklärt es sich, daß als
Benennungen der Bratstva zumeist solche Spitznamen gebräuchlich sind, gegen welche der
ursprüngliche Stammname zurücktrat. Als die Bruderschaften mit der Zeit an Umfang
gewannen, theilten sie sich wieder in einzelne Hausgenossenschaften.
Die orthodoxe Krsno-Jme-Feier,
294
Die Begriffe des Plemstvo und Bratstvo, welche einst die Elemente des gesell -
schaftlichen Lebens und der staatlichen Organisation der Südslaven bildeten, haben von
ihrer ursprünglichen Schärfe viel eingebüßt, bestehen aber, wenn auch ohne jede praktische
Consequenz, als eine alte Einrichtung in den südlichen Bezirken der Hercegovina, während
sich in Bosnien höchstens die Erinnerung daran erhalten hat.
Deutlicher haben sich die Hausgenossenschaften, welche die einzelnen Familien
bilden, erhalten. Die altererbte patriarchalische Lebensweise brachte es mit sich, daß
einzelne Familienbestünde so lange als möglich zusammenhielten. Ein Lostrcnnen
von der Familiengcmeinschaft galt immer als etwas Mißliches und wird durch
passende Aussprüche als solches bezeichnet: „Alleinsein ist Armut" (inolenütina —
siromaKliira), oder „Wehe dem Einsamen auch im Überflüsse" (ünleu sninui na
va^anri), de,m nur „ein einiges Haus erwirbt Vermögen" (2aäru/.na üuoa tooo
irnuöa).
Die Hansgenossenschaften bilden jede für sich ein abgeschlossenes Gemeinwesen und
vereinigen oft mehrere Generationen und Seitenlinien unter einem Dache. Über fte fuhrt
das Haupt des Hauses, der starjosina oder äornaöin (Älteste, Hausherr) ein fast
unumschränktes Regiment. Solch ein großer Familienbestand, der den bezeichnenden
Namen ruräruZa (Vereinigung) oder veliiea üuüa (großes Haus) führt und oft an
die fünfzig Mitglieder zählte, konnte nur dann prosperiren, wenn die Grenze zwischen
dem Befehlenden und den Gehorchenden strenge gezogen war, und Jeder auf dem ihm
anvertrauten Posten ausharrte. Der Jüngere mußte dem Älteren aufs Wort gehorchen,
die Weiber den Männern, und alle insgesammt dem Starjesina als Oberhaupt. Dem
Starjesina zur Seite steht der eoban-kaSa (der Herdenhauptmann), welcher die
Oberaufsicht über sämmtliches Vieh führt, für dessen Unterbringung sorgt und dessen
Verwendung bestimmt. Handelt es sich um Kauf oder Verkauf von Herden, so obliegt
dieses Geschäft nach vorheriger Rücksprache mit dem Chef des Hauses dem Eobanbasa,
welcher auch die Disciplinargewalt über die ihm unterstehenden Hirten ausübt. So lange
Bosnien noch keine fahrbaren Straßen und Bahnen besaß, gab es im Hause noch eine
dritte angesehene Charge, den leirick^i-ioasn (Frächter), welcher die Pferde zu über
wachen und Lastentransporte zu besorgen hatte, in freier Zeit Speditionsgeschäfte
abschließen konnte und oft wochenlang dem Hause fernblieb, um mit seinen Tragthieren
dem Verdienst nachzugehen. Über alle Erträgnisse der Wirthschaft hatte aber nur der
Starjesina zu verfügen; er übernahm das Geld, er bezahlte die Ausgaben, er vertrat die
Familie der Öffentlichkeit und der Behörde gegenüber.
Gewöhnlich ist der Älteste im Hause Starjesina, doch kommt es auch häufig
vor, daß jüngeren Familiengliedern durch besondere Wahl diese Würde zu Theil wird.
Die Wahl erfolgt entweder mit Rücksicht auf die anerkannten Fähigkeiten des zu Wählen -
den, oder es wird die Entscheidung dem Glücke überlassen. Eine solche Glücksprobe besteht
darin, daß die um das slarjaSiirstvo sich bewerbenden Brüder jeder ein gleich große»
und gleichwerthiges Ackerstück mit der gleichen Menge Samen besäen. Wenn die Frucht
dann eingeheimst ist, wird Demjenigen das Starjesinstvo zuerkannt, dessen Acker den
Bauernhof einer Zadruga bei Dolnji Bakus in Bosnien.
höchsten Ertrag lieferte, da man ihn als den vom Glücke am meisten Begünstigten
betrachtet und voranssetzt, daß auch die gesammte Familie in Hinkunft dessen Gluck
theilen werde.
Die Würde des Starjesina ist eine dauernde, welcher der Besitzer nur in besonderen
Ansnahmsfällen durch Familienbeschluß verlustig werden kann. Die Würde des Coban-
basa und des Kiridzi-basa hingegen erhält der Betreffende vom Starjesina zngetheilt.
296
Auch unter den Frauen gibt cs Chargen. Die Oberaufsicht über den internen Haus -
halt führt die rnuja reäusu (Mutter-Ordnerin, Hausmutter), welche nicht wie bei den
anderen Südslaven im Turnus vcm Woche zu Woche, sondern dauernd functionirt. Sie
hat sich um die Zubereitung der Nahrung, Instandhaltung der inneren Einrichtung n. s. w.
zu bekümmern und theilt den übrigen Frauen und Mädchen die Arbeit zu. <chr zur
Seite steht die muju pluirinüu (Mutter-Sennerin), welche der gesammtcn Milch -
wirtschaft Vorsicht und bei der Zubereitung von Fleisch- oder Milchspeisen der Nedusa
behilflich ich.
Die Familie ist nach der Volksauffassung eine juristische Person, das Gut ist
Gemeingut und wird vom Starjesina nach Recht und Gewissen verwaltet. So lange eine
Zadruga besteht, hat kein Mitglied Anspruch auf besondere Theile des Vermögens, und nur
die 080binu (Personaleigenthum) gilt als Privatbesitz, über das der Rechtsinhaber
frei verfügt. Als Osobina wird verstanden: der Brautschatz, welchen die Frau dem Manne
zubringt, ferner die Hochzeitsgeschenke, welche sie erhält, und wofür sie sich gewöhnlich eine
silberne Gürtelschnalle verschafft, ferner der Verdienst, welchen sich einzelne Familienglieder
aus freiem Antriebe und in ihrer freien Zeit erwerben. Der Hirt erhält mitunter das erste
Stück Vieh, das er aus den Klauen eines Bären oder Wolfes errettet, mit der ganzen
Nachkommenschaft als Osobina zugesprochen. Auch die Kuh, welche die Braut gewöhnlich
mit in das Haus bringt, gilt mit der ganzen Nachkommenschaft als deren Privateigenthum,
und im ganzen Lande betrachtet man das Geflügel als „Osobina" des Weibes, über die
es nach freiem Willen verfügen kann. Die Osobina, so sehr sie unserem Nechtsbegriffe
entspricht, ist aber immer ein Zankapfel im Hause und nicht selten die einzige Ursache
der Auflösung größerer Hausgenossenschaften.
Rechtsanschauungen und Rechtsgebräuche. — Ein stark ausgeprägtes Ehr-
und Rcchtsgefühl gehört zu den schönsten Tugenden, welche das bosnische Volk schmücken.
Dieses entwickelte sich im Sinne althergebrachter Anschauungen, und wenn es auch mitunter
von unseren modernen Ansichten abweicht, so ruht es doch stets auf einer Basis
urwüchsiger Rechtlichkeit. Das Sprichwort ,8voje krani, tuFjo ue ckirch« (Wahre das
Deine, und rühre Fremdes nicht an) ist der concise Ausdruck des volksthümlichen Rechts -
gefühls, wonach der Bosnier sein ganzes Thun und Treiben einrichtet. Deßhalb sind
gemeiner Diebstahl und Betrügereien seltene Erscheinungen; wo sie aber dennoch Vorkommen,
ist weniger eine verbrecherische Prädisposition des Individuums, als dessen extreme
Nothlage die Veranlassung dazu. In solchen Fällen urtheilt aber auch dasRechtsbewnßt-
sein des Volkes gelinder, denn:
,blsvolfufs imtssrutu Uarku liimgti Iroufs lei u vsfäulre!«
(Die Noch zwang Marko (den Nationalheldenf zum Pferdediebstahl und zu Räubereien.)
Grenzregulirung.
298
So heilig dem Bosnier fremdes Gut ist, so Werth ist ihm sein Eigen, für das er bis
zum letzten Blutstropfen einsteht.
Einst gab es in Bosnien stürmische Zeiten, wo der Bedrückte keine andere Rettung
kannte, als die Berge, in welche er vor den Bedrückern flüchtete. Dann war sein Motto der
Spruch: ,Rüo so ns osvsti, tas so ns posvsti" (Wer sich nicht rächt, der wird nie
selig), und sein Leben der Rache widmend, wurde er zum Hajducken, der wegen seiner
Thaten vom Volke bald verdammt, bald glorificirt wurde. In diesen Zeiten der Selbsthilfe
und der Aufstände entstand das treffende Wort ^nlum nsina ursina" (Revolten
werden nicht nach der Elle gemessen). Solche Störungen des Friedens, wenn sie auch
häufig vorkamen, sagten dem Volksgemüthe durchaus nicht zu, denn es spricht: „bo lss
ss mir usA oarski pir" (Der Friede ist besser als des Kaisers Hochzeit), und wo es
nur möglich war, eine Beschwerde in Frieden zu schlichten, wurden dazu alle Anstrengungen
gemacht.
Der Spruchschatz des Volkes enthält eine Menge von Axiomen, welche die volks-
thümlichen Rechtsanschauungen, die sich im Laufe der Zeit vertieften, zum Ausdrucke
bringen, und überdies entwickelten sich besondere traditionelle Rechtsbräuche, wonach in
einzelnen Streitfällen vorgegangen wurde.
Vor der Occupation hatte das christliche Volk wenig Vertrauen zur öffentlichen
Justiz; sie war kostspielig, der Erfolg nicht immer vorauszusehen, und überdies war die
Organisation eine so unzusammenhängende, daß ein Verbrecher nur aus seinem Bezirke
in einen anderen auszuwandern brauchte, um vor aller Verfolgung sicher zu sein, was
besonders dann der Fall war, wenn er sich unter den Schutz eines mächtigen Begs begab.
Es ist deßhalb nicht zu verwundern, daß der Bauer seine Beschwerde nur selten dem
bestellten Richter vorbrachte und vor diesem überhaupt nur dann erschien, wenn er citirt
wurde, während die vorkommendcn Streitfälle von einem Volksgerichte, das sich von
Fall zu Fall constituirte, abgeurtheilt wurden. Diese volksthümliche Rechtspflege, welche,
soweit sie unserer modernen Rechtspflege nicht zuwiderläuft, namentlich in der südlichen
Hercegovina noch heute geübt wird, und deren Axiome heute noch im Volksgeiste leben,
mögen einige wenige Beispiele illustriren.
Nehmen wir den Fall an, es wurde Jemandem ein Pferd oder eine Kuh gestohlen,
ohne daß der Beschädigte dem Thäter ans die Spur gekommen sei, so wird man es vorerst
versuchen, das geraubte Gut durch die „Kinins" (Amen) zu erlangen. Der Verlustträger
wird beim nächsten Kirchgang in der Kirche nach Verlesung des Evangeliums vom Geistlichen
die Vornahme des „Amins" fordern und seine Beschwerde Vorbringen. Der Geistliche wird
dein Volke den Sachverhalt verlautbaren und den Dieb auffordern, er möge sich zur
Beichte einfinden und das Geraubte ersetzen, wobei er sich auf die Unverbrüchlichkeit des
/
299
Beichtgeheimnisses verlassen dürfe. Sollte er aber bis zu einem festgesetzten Termine nicht
Folge leisten, so würde er dem verfallen. In manchen Fällen wirkt diese
Aufforderung, der Dieb nimmt die erste Gelegenheit wahr, zum Pfarrer zu gehen, seine
Sünde einzugestehen und Ersatz zu leisten. So gelangt der Geschädigte oft zu dem
Geraubten, ohne daß der Name des Diebes je in die Öffentlichkeit gelangt. Meldet sich
der Verbrecher bis znm festgesetzten Tage nicht, so wird der Geistliche nach dem
Evangelium beiläufig folgende Ansprache an das Volk richten: „Liebe Brüder, der
Bruder N. N. wurde bestohlen, und der Thäter hat sich nicht gemeldet. Geben wir
ihm noch einen Termin bis St. . . (folgt ein Festtag), und kommt ihm die Rene
bis dahin nicht ins Herz, so gebe Gott und dessen Helfer (Mba): seine stiere
mögen nicht brüllen, seine Pferde nicht wiehern, seine Lämmer nicht blöken, seine
Kälber nicht schreien, in seinem Hause mögen Kinder- und Sangesstimmen verstummen —
das gebe Gott!" ,^min!« ruft hierauf das ganze versammelte Volk. „Gott werde ihm
nie zu Theil, und die Menschen mögen ihn meiden!" -^nnir!« „Kehrt aber die Reue
bei ihm ein", fährt der Geistliche fort, „und leistet er Ersatz, so sei Gott ihm gnädig
und verzeihe ihm die Sünde!" ^min!- spricht das Volk zum drittenmal. Hierauf
fordert der Geistliche den Verbrecher nochmals zur Reue auf und beruft sich auf das
Beichtgeheimnis;.
Ist der Verbrecher verstockt genug, auf diese Beschwörung hin nicht Folge zu leisten,
so wird zu einer anderen Untersuchungsart geschritten, die gewöhnlich von Erfolg
begleitet ist. Der Beschädigte bittet einen Freund, er möge den Ermittler (,sollockrLao")
machen, und vereinbart mit ihm die Prämie, welche er für das Zustandekommen des
gestohlenen Gutes zu geben geneigt ist. Der „Sokodrzac" nimmt eine Haselrnthe, spaltet
sie an einen, Ende, legt den bestimmten Betrag (soodinn) in die Spalte, bindet ihn fest
und zieht damit von Ort zu Ort, indem er den Tatbestand verlantbart und demjenigen,
welcher den Dieb anzeigen würde (soll) die soöbinu (Prämie) verspricht. Kennt nun
Jemand den Dieb, so wird er heimlich den Sokodrzac davon verständigen und erhält
sofort die Hälfte der Prämie ansgezahlt. Der Ermittler ruft nun den Verdächtigten vor,
hält ihm alle Verdachtsmomente vor und fordert ihn auf, das Geraubte zu ersetzen und
die Kosten der Socbina zu zahlen, wobei er sich verpflichtet, daß kein^lebendes Wesen
erfahren solle, daß er der Dieb sei. Gewöhnlich wird der Dieb den Schaden ersetzen,
denn sonst würde die Sache vors Gericht kommen, wo der „Sok" zeugen muß, und die
ganze Welt würde sein Verbrechen erfahren, während er sich, wenn er Ersatz leistet, auf
die Diskretion der Mittelsperson verlassen darf. Der „Sok" erhält dann den Nest der
Prämie, und mit der Befriedigung des Geschädigten endigt das Verfahren in aller Stille
und Freundschaft.
300
In die Competenz der Volksgerichte gehören hauptsächlich Familienstreitigkeiten,
sofern sie nicht in der LRmora, earitatis geschlichtet werden können; Paternitätsklagen,
Grenz- und Theilungsstreitigkeiten. Das Urtheil lautet in der Regel auf Entschädigung
des Geschädigten, mitunter auch auf körperliche Strafe, die sofort vollzogen wird.
Den meisten Anlaß zu häuslichem oder Bruderzwist geben böse Zungen, denn ein
altes Wort sagt: jemei brnöu ?mvackiee" (Böse Zungen brachten Brüder zum Streit),
und das auch hier berüchtigte Verhältnis der Schwiegermutter zur Schwiegertochter,
welche den Haß auch ihren Männern mittheilen. In einem Orte bei Gacko hatten die
Weiber Vater und Sohn so gegeneinander aufgereizt, daß sie sich gegenseitig mit Todtschlag
bedrohten. Die Sache wurde vor ein Volksgericht gebracht, welchem der Vojvoda Bogdan
Zimonjic präsidirte. Als der Streitfall vorgebracht wurde, ließ er die beiden Weiber,
Schwiegermutter und Schwiegertochter, welche ihre Männer zum Streite gehetzt, vorführen
und vernrtheilte erstere zu 20, letztere zu 25 Stockstreichen, ohne weiter zu untersuchen,
welche die Schuldigere sei. Die Exemtion wurde durch die beiden Männer vor allem
Volke vollzogen, und mit dem Momente kehrten Friede und Eintracht in jenes Haus ein.
Bei Paternitätsklagen wurde, falls der Geklagte geständig war, auf Anerkennung
des unehelichen Kindes, auf Einhaltung des Eheversprechens oder ans Schadenersatz,
dessen Betrag oft sehr hoch, mitunter 1000 Thaler war, erkannt.
Verlegte sich der Beschuldigte aufs Leugnen, so stand es der Klägerin frei, auf
einem Neinignngseid zu bestehen oder ein Gottesnrtheil zu fordern. Der Geklagte durfte
sich aber nicht Persönlich „losschwören" (otklati so), sondern mußte zwei Eideshelfer
stellen, die für ihn feierlich den Eid leisteten. Gelang ihm das, so wurde er ohneweiters
freigesprochen. Diese Reinigungseide sind dem Sinne nach eher Flüche, denn man wendet
dabei zumeist Phrasen an, wie: „Gott gebe, wenn er schuldig ist, daß er nie die Sonne
sehe; was er schaut, erscheine ihm schwarz, und nur die Pupille weiß; — die Mutter küsse
ihm die kalte Stirne, — der Blitz entreiße ihn dem Donner, — sein Licht verlösche. —
Schlangen mögen ihm die Augen airssaugen, Hexen das Herz zernagen. — Im Leibe
möge ihm Gras keimen und die Erde seine Knochen ausspeien." Bei jeder dieser Ver -
wünschungen klopfen die Eideshelfer mit zwei Steinen, die sie in den Händen halten,
aneinander.
Das Gottesnrtheil bestand in einer Feuerprobe und ist zweifellos ein aus dem
Mittelalter überlieferter Rest von Ordalien. Die Probe wurde in folgender Weise vor -
genommen. Man erhitzte in einem Kessel reines Qnellwasser bis zum Siedepunkte, und
gleichzeitig erhitzte man bis zur Glut ein Stück Stahl (mn?isn, wovon die ganze Procedur
den Namen „Stahlheben" erhielt) oder ein Hufeisen. Der Beschuldigte, sowie dessen
Nechtshelfer wuschen sich nun mit Seife und reinem kalten Wasser sorgfältig die Hände,
Blutfrieden.
302
worauf man das glühende Eisen in das siedende Wasser warf. Der Beschuldigte taucht
nun mit der noch feuchten und kühlen Hand in das siedende Wasser, erhascht mit einein
raschen Griff das Eisen und schleudert es hinaus. Das Gleiche müssen auch seine Rechts -
helfer thun. Gelingt ihnen diese Procedur, ohne sich zu verbrühen — was bei einiger
Übung gar nicht unmöglich ist — so wird der Beschuldigte freigesprochen, sonst aber ist
er sachfällig. Derartige Gottesurtheile waren auch bei anderen Vergehen oder Verbrechen,
bei Raub, Brandstiftung u. s. w. gebräuchlich, wenn es nicht auf andere Weise gelingen
wollte, den Beschuldigten zu überführen.
Zu diesen Ordalien gehört ferner die Hexenprobe, welche auch in Bosnien im Wasser
vorgenommen wurde. Kam über ein Dorf Unheil, und schrieb es der Aberwitz dem
bösen Zauber einer Hexe zu, so wurden alle Weiber zum nächsten Teich oder Fluß gebracht,
um sich der Probe zu unterziehen. Bevor sie aber ins Wasser sprangen, wurde ihnen die
Mundhöhle untersucht, ob sie nicht ein Stück Blei unter der Zunge verborgen hätten,
da das Volk der Ansicht ist, daß dieses, und sei es noch so winzig, den Körper unter
Wasser ziehen würde. Als Hexe wurde die, welche nicht tauchen konnte, erkannt und an Ort
und Stelle gesteinigt. Augenzeugen derartiger Hexenproben kann man noch häufig antreffen.
Grenzstreitigkeiten entstehen meist in der Weise, daß man mit oder ohne Absicht,
beim Ackern oder Mähen über die Grenze greift und so mit der Zeit sein Ackerfeld zum
Schaden seines angrenzenden Nachbars vergrößert. Kommt es nun zu einer Klage wegen
Grenzverletzung, so werden von beiden Seiten Schiedsrichter erwählt, welche es vorerst
versuchen, einen Vergleich zu Stande zu bringen. Gelingt dieses nicht, so wird ein Verfahren
vorgenommen, das im Volke „len i kus" (Dorn und Rasen) oder „mockaln" heißt.
Der der Grenzverletzung Beschuldigte nimmt einen Dornbusch und ein Rasenstück
auf die Schulter und schreitet damit die Grenzlinie, die er für die richtige hält, ab, und
die dann ansgesteckt wird. Mitunter leistet er vorher den Eid, daß er nach Treu und
Glauben Vorgehen werde, doch ist dies nicht immer nöthig, da der Act für so heilig gehalten
wird, daß das Volk ohneweiters die Grenze anerkennt, welche der Beschuldigte abschreitet;
denn niemand würde es wagen, unter der Last des Dornes und Rasens eine falsche Grenze
abzngehen. Sollte es doch der Fall sein, so würde er nie Ruhe finden, weder leben noch
sterben können, und das Unglück würde sich an sein Hans heften. Diese Heiligkeit charak-
terisirt folgende Sage, die ich in Fojnica bei Nevesinje hörte. Ein Bauer eignete sich
einen Theil des Nachbarfeldes an. Als es znm Dorn und Rasen kam, ersann er eine List.
Er grub an der falschen Grenze eine Grube, setzte seinen Sohn hinein und bedeckte sie mit
Rasen. Vor dem Abschreiten sagte er, er werde die Erde selbst befragen, und wo sie dann
antworte, daß die Grenze sei, sie acceptircn. Während des Abschreckens frag er wiederholt:
,Erde, sage mir wahr, wo meine Grenze sei?" erhielt aber erst bei jener Grube die
303
Antwort: „Hier, bezeichne sie mit dem Steine." Sv augenscheinlich er falsch ging, man
sprach ihm die Grenze zu und entfernte sich. Als es Abend wurde und der Sohn sich der
Verabredung gemäß nach Hause schleichen sollte, wartete der Vater vergebens auf ihn.
Die ganze Nacht verging in bangem Warten, aber der Sohn kam nicht. Des Morgens früh
begab sich der Vater zur Grube, nachzusehen, ob dem Sohn kein Unglück zugestoßen sei, und
siehe, an der Grube stand ein Maulwurfshügel, und darin war der Sohn, den Gott
zur Strafe in einen Maulwurf verwandelt hatte.
Anmiete.
Die Anschauung von der Strafwürdigkeit des Vermehrens seines Grundbesitzes durch
Überackern charakterisirt die Vorstellung, daß Jeder, der sich dessen schuldig gemacht habe, nach
dem Tode verurtheilt sei, nächtlicherweile in Gestalt eines Irrlichtes den gestohlenen Boden
demEigenthümer zurückzutragen. DasJrrlicht irrt so lange von einem Grund zum andern, bis
die Erben des Verstorbenen dem Nachbar das zurück erstatten, was ihm rechtmäßig gehört.
Zu dem .trir i bus« genannten Gerichtsverfahren wird nicht selten ein junger
Bursche zugezogen, welcher genau die Linie zu verfolgen hat, die abgeschritten wird, und
damit er sie für alle Zeiten merke, wird er gehörig gebeutelt. Man hört noch
heute häufig die Frage an alte Leute richten: „Geh', Alter, sag' uns, wo
wurdest du gebeutelt?" was der Frage nach der Ackergrenze gleichkommt.
304
Ein ganz besonderes Rechtsverfahren, das seit der Occnpation allerdings außer
Brauch gekommen ist, war die Schlichtung der Blutfehde. Wie bei allen Sudslaven, war
die Blutrache auch in Bosnien gebräuchlich; doch während man sonstwo unnachsichtlich
Blut für Blut forderte und so ganze Familien vernichtete, bestand hier eine mildere
Auffassung, indem man die Blutfehde ans friedliche Weise durch ein Blntgericht krvno
Kolo — krvni mir schlichtete.
Hat ein Mann Jemand aus einem anderen Stamme ermordet, so flüchtet er, um der
Blutrache zu entgehen, in die Berge, während seine Angehörigen indessen den Blutfrieden
einleiten. Sie senden geachtete Männer zum Vater des Ermordeten und erbitten dessen
Verzeihung, wobei, falls er einer friedlichen Lösung geneigt ist, die Süh.ne für die Blutschuld
ausbedungen wird. Zur verabredeten Stunde versammeln sich die Angehörigen beider
Stämme an einer bestimmten Stelle, und auch ein Priester wird dem Blutfrieden
zugezogen. Die Männer beider Stämme bilden, sich gegenüberstehend, einen Kreis (ürvno
Kolo), in dessen Mitte der Geistliche mit dem Kreuze steht, zu seiner Rechten der Vater
oder nächste Verwandte des Gemordeten, zur Linken der des Mörders. Um den Kreis
herum reihen sich die Frauen und Kinder der Familie des Mörders und besonders die
Wiegen der seit dem Morde geborenen Kinder, welche bis zum Blutfrieden nicht getauft
werden. Der Mörder hält sich indessen abseits verborgen, und erst, wenn der Vater
des Gemordeten oder dessen nächster Verwandte, welcher den Stamm repräsentirt,
das Stihngeld in Empfang genommen, wird der Mörder gerufen. Er kommt, aber
nicht aufrecht, sondern auf Händen und Füßen kriechend, in den Kreis vor den
Rächer. Die Flinte, mit welcher er den Mord begangen, reicht er dem Rächer,
indem er den Lauf an die eigene Brust drückt. Nur ein Zucken des Fingers, und
der Todte ist gerächt; aber da rufen die Frauen und Kinder entsetzt: „Denke an Gott
und St. Johannes und verschone diesen Kindern den Ernährer!" Der Rächer nimmt
das Gewehr, feuert es in die Luft ab, hebt den Büßer auf und küßt ihn, und die
Männer beider Stämme folgen seinem Beispiel. Damit wäre der eigentliche Blutfriede
geschlossen. Um aber eine Garantie für die Dauer desselben zu gewinnen, ist es Sitte,
daß beide Familien in ein solches verwandtschaftliches Verhältmß zu einander treten,
das nach der Volksanschauung der Blutsverwandtschaft gleich kommt und jede Rache
ausschließt, und das ist das kuinstvo — die Pathenschaft. Der Gefftllche nimmt
deshalb die Taufe des bis dahin absichtlich ohne Taufe belassenen Kindes aus der
Familie des Mörders vor, wobei der Vater oder nächste Verwandte des Gemordeten
zu Pathe steht. Sind keine ungetansten Kinder vorhanden, oder waren bei der Blutfehde
Mohammedaner betheiligt, so wird um die „Schurpathenschaft" gebeten, oder die beiden
Stämme verbrüdern sich.
Z«6
War die Summe des Schadenersatzes nicht vorher ansbedungen, so geht der Rächer
vor Abschluß des Blntfriedens im Kreise herum, und was er an den dort Stehenden
Werthvolles findet, das seinen Gefallen erregt, nimmt er ihnen ab und legt es vor den
Büßer. So häuft er dort reiche Waffen, Silberpanzer (toüa), Schmuck und dergleichen
an. Dieses bleibt auch sein Eigen, und der Büßer ist verpflichtet, die früheren Eigenthümer
dieser Gegenstände schadlos zu halten. Bei solchem Anlasse würde es aber Jedermann als
unwürdig erachten, auch nur einen Kreuzer mehr für den Gegenstand zu fordern, als er
wirklich Werth war oder gekostet hatte.
Sehr häufig geben Besitztheilungen Anlaß zur Appellation an die Volksgerichte.
Wird ein Hausstand unter die antheilberechtigten Mitglieder vertheilt, so erfordert es die
gute Sitte, daß die Nachbarn dazu gerufen werden, um als Zeugen oder Richter zu
fnngiren. Da diese bewirthet werden müssen und hiedurch den Theilenden bedeutende
Kosten erwachsen, so geschieht es wohl, daß die Theilungen heimlich ohne fremde Inter -
vention erfolgen, was aber als unschicklich gilt. Bei der Theilung wird nach alt -
hergebrachten Normen vorgegangen und vor Allem die ,osobiira° ausgeschieden. Der
Grund und Boden, die Immobilien, der Viehstand und die Baarvorräthe werden nach der
Anzahl der antheilberechtigten Familien, beziehungsweise Brüder aufgctheilt. Hier wäre
es angezeigt, auf die volksthümlichen Bemessungseinheiten der Ländereien hinzuweisen.
Neben der üblichen türkischen Einheit Dunum werden Äcker gewöhnlich nach der Samen -
menge, die sie anfnehmen, oder nach Pflügen, die nothwendig sind, um sie in einem Tage
zu ackern, bemessen. Gürten werden nach Hauen, Wiesen nach Sensen, Weideland aber
nach Stuten bemessen. In letzterem Falle bezeichnet 1 Kobila soviel Weideland, als
ansreichen würde, einer Stute auf ein Jahr genügend Nahrung zu gewähren. Eine
Ploea (Hufeisen) bezeichnet den vierten, ein Klinac (Hufnagel) den vierundzwanzigsten
Theil der obigen Einheit.
Außer seinem Antheile erhält der bisherige Starjesina gewöhnlich als Ehrenantheil
(staisoSinstvo) das beste Reitpferd oder das beste und schönste Gewehr zugesprvchen,
während es die gute Sitte verlangt, daß dem jüngsten Theilhaber das elterliche Haus
zugesprochen wird und die älteren Brüder ausziehen müssen. Hanf- und Wollvorrüthe,
gedörrtes Fleisch, Nahrungsmittel und Getränke werden nicht nach der Anzahl der theil-
berechtigten Brüder, sondern nach der Kopfzahl der Hausbewohner vertheilt. Ist einer der
Theilenden nicht verheiratet, so erhält er zur Bestreitung seiner Hochzeitsauslagen aus der
Theilungsmasse einen Beitrag, gewöhnlich einen Ochsen. Verheiratete Schwestern haben
keinen Antheil, unverheiratete aber Anspruch auf einen halben männlichen Antheil. Die
Witwe eines theilberechtigten Bruders hat, falls sie Kinder besitzt, Anspruch auf den
Antheil ihres verstorbenen Mannes, ist sie kinderlos, nur ans ihre Osobina. In dem
Falle, daß ein Weib schwanger, darf die Theilung nicht vor deren Entbindung
vorgenommen werden, weil man nicht weiß, ob das Kind männlich oder weiblich ist und
sonach dessen Antheil nicht
vorher bestimmen kann. Die
Theilung des Vermögens in
gleichwertige Antheile besorgt
der bisherige Starjesina oder
der älteste Bruder, während
sich die übrigen ihren Antheil
entweder durch Verständigung
oder durch das Los (ünra)
wählen. Kommt es nicht zu einer
befriedigenden Verständigung,
so werden die Streitpunkte den
geladenen Nachbarn, den so -
genannten guten Leuten
oder brüderlichen Rathern
(bratski vorge -
bracht, welche dann entscheiden.
Ihr Ansspruch wird meist
befolgt, da man es gerne ver -
meidet, die Sache vor Gericht
zu bringen.
Aberglaube. — Indem
Rahmen der ethnographischen
Betrachtungen des Volkslebens
müssen wir der Vollständigkeit
halber Einiges über jene An -
schauungen berichten, welche
im Volke über das übersinnliche
Leben herrschen, die sich aus
einer weitentlegenen Zeit erhal -
ten haben. So durchgreifend die Umgestaltung war, welche das Christenthum bei den zu ihm
bekehrten Völkern bewirkte, so konnte es doch nicht alle Erinnerung an das einstige heidnische
Pantheon verwischen, ja es gibt noch heute einzelne Feste, die sich aus dem Heidenthum bw
Stadtcostüm aus Sarajevo.
auf die Gegenwart, allerdings mit einem christlichen Feiertage verknüpft erhalten haben.
308
In dieser Beziehung haben die Bosnier Vieles mit den anderen Slavenstämmen
gemein. Auch bei ihnen ist die Feier des St. Eliastages die Feier des alten Donnergottes,
auch sie verehren die „feurige Maria" (oAisterm Narija), auch sie springen am Vorabend
des St. Johannistages über Feuerbrände wie die Nordslaven und feiern am St. Georgs -
tage das Fest der Jugend und Liebe. Am Tage der Verkündigung, wo die Erdkräfte zu
neuem Leben erwachen, bringen sie dem alten, schlangengestaltigen Erdgeiste Feueropfer
dar (Mistbrände, Schlangenbrände), und die Feier des Weihnachtsabends wird in allen
ihren Details nach uralter Überlieferung begangen.
Wo sich diese Überlieferungen an christliche Feste knüpfen, ist manches von der
ursprünglichen Schärfe verblaßt; wo dieses nicht der Fall ist, da treibt die Phantasie bunte
Blüten und bevölkert die Umgebung des Menschen mit einer Menge bald sichtbarer, bald
unsichtbarer überirdischer Wesen, welche sich das Volk zum eigenen Ich bald in einem
günstigen, bald in einem feindlichen Verhältnisse denkt.
Auch hier kennt das Volk feenhafte Wesen, die Vilas, welche entweder als Wasser
feen und in diesem Falle sirenenhaft gedacht werden, oder aber als Waldfeen, die ihren
Erwählten freundlich gesinnt sind. Diese Waldseen — gorsüo vilo — werden ans einem
unbekannten Berge in einem namenlosen Walde auf einem namenlosen Baume durch
die Befruchtung der Blätter dieses Baumes mit dem Morgenthau geboren. Gewöhnlichen
Sterblichen sind sie unsichtbar. Sic vereinigen sich häufig auf Hochebenen, an Kreuzwegen,
wo sie sich mit Sang und Tanz amüsiren. Die Orte dieser Zusammenkünfte sind durch eine
kreisrunde Steinsetzung eingefaßt und heißen viliirslro üolo (Feenkreis). Sollte ein
Sterblicher diese Stelle Passiren und das unsichtbare Fest der Feen stören, so würden sie
ihn furchtbar strafen, indem sie ihm den Verstand verwirren.
Die Vilas treten aber zu einzelnen Helden der Sage und des Volksliedes in ein
freundschaftliches Verhältnis, sie werden zur Wahlschwestcr ihres Schützlings, dem sie ans
den Ruf dogu sostvo!" erscheinen und in der Noth beistehen, den sie vor bevor -
stehenden Gefahren warnen, aufmuntern und trösten. Ja man glaubt sogar, daß sie sich
auch Männern in Liebe hingeben, dann aber für immer verschwinden, indem sie ein Kind
zurücklassen. Namentlich gelten Waldfindlinge als Fecnkinder. Die Gunst der Vila erwirbt
sich der Held nur dann, wenn er ihr, ohne zu wissen, daß sie eine Fee sei, einen Dienst
erweist. Dieser Dienst besteht darin, daß er sie, wenn sie sich mit ihren goldigen
Haaren im dichten Gebüsch verfängt, aus der Noth rettet. Man glaubt nämlich, daß
Feen als Hexen, wenn sie bei den Haaren gefaßt werden, ganz hilflos sind. Den
ganzen Sagenkreis, der sich um diese feenhaften Wesen spinnt, charakterisirt ein durchaus
idealer poetischer Hauch, welcher namentlich den Heldenliedern einen besonderen Reiz
verleiht. Viel zahlreicher als diese duftigen Gebilde der Phantasie sind jene Wesen, welche
309
das Volk theils als direkte Feinde seines Daseins, theils als mächtige gefährliche Wesen
sich denkt, deren Zorn sein Leben vergiften könnte.
Personifikationen unheilbringender Kräfte sind die Tvora, Mraza, Cinilica,
Otrovnica, Krvopilica, die Mora, Strava and Kuga. Diese acht Schwestern reprä-
sentircn moralische und
körperliche Gebrechen: die
Tvora schleudert Ver -
leumdungen unter die
Leute, die Mraza ver -
feindet Mann und Frau,
die Cinilica zaubert dem
MenschenWahnbilder vor,
die Otrovnica vergiftet
dasBlut, dieKrvopilica
ist eine dem Vampyr nach-
gebildete Personification,
die Mora ist identisch mit
der deutschen Trnd, die
Strava die Personifi -
kation jenes plötzlichen
Entsetzens, das bei Kin -
dern Fraisen hervvrbringt,
und die Kuga endlich die
weiße Pestfrau.
Viele Krankheits-
fvrinen schreibt das Volk
dem Einflüsse dieser bösen
Geister zu und schützt sich
vor ihnen durch Zauber -
mittel, Amulette und
Gebete; ja die Volksmediein besitzt neben dem großen und genauerprvbten Arzneischatze
der Pflanzenwelt eine Menge von Vorschriften, die weniger darauf gerichtet sind, den
physischen Zustand des Patienten zu bessern, als ihn der Macht dieser übernatürlichen
Hodza (Mohammedanischer Geistlicher).
Kräfte zu entziehen.
Diese vom Aberglauben dictirten Mittel sind zahllos; viele davon haben sich aus der
Urzeit erhalten, viele treffen mir bereits in dem Arzneischatze des Plinius fast gleichlautend,
310
und neben finnischen Elementen finden sich aus jüngerer Zeit viele orientalische, namentlich
die auf den Fetischismus zurückzuführenden Steinamulette, welchen je nach der Stein -
gattung besondere Kräfte zugeschrieben werden.
Auch hier haben sich die Vorstellungen von bösen Gottheiten viel deutlicher erhalten
als jene von guten, deren Urbilder im Scheine des Christenthums verblaßten. Namentlich
ist die Erinnerung an die Erdenmächte deutlich ausgeprägt. An sie erinnern die Bau -
opfer, dieSchlangenbrände und auch der Glaube an die glückbringende weiße Haus -
schlange, welcher im ganzen Lande angetroffen wird.
Daran erinnern auch die Bräuche am St. Jeremias-Tage, welchen man bis
auf die Gegenwart huldigt, um die bösen Erdgeister zu versöhnen. Vor Sonnenaufgang
geht man da mit einer Blechpfaune um Haus und Feld, und indem man sie mit einem
Klöppel bearbeitet, ruft man mit schallender Stimme: „öoroinijn n polso, a vi Zujo u
mors!« (Jeremias komm ins Feld und ihr Schlangen in die See!) Die Jugend streift in
der ganzen Umgebung mit aus Weidenrinde angefertigten großen Schallhörnern umher und
verrichtet einen Heidenlärm, um damit gleichfalls die Erdgeister zu verscheuchen, während
die Hausfrau sorgfältig jeden Winkel ausfegt und dabei eine Beschwörung spricht, die
alles kriechende Ungeziefer bannen soll.
Auf die menschliche Existenz wirken besonders schädigend der Urok, der Namet
und die Ogram a.
Unter „Urok" versteht man den allgemein verbreiteten Wahnglaubcn an die Wirkung
des „Bösen Blickes" oder des „Verschreiens". Dieser Aberglaube ist so verbreitet, daß
Worte Kilo U uroün 8 rnosill okn" (mein Blick möge dich nicht schädigen) zu den
gebräuchlichsten Redensarten gehört. Wie weit auch im Alterthum dieser Wahnglaube
verbreitet war, beweist der Umstand, daß Plinins von den alten Illyriern berichtet, es
gäbe unter ihnen Leute mit doppelter Pupille, deren fascinirender Blick selbst den Tod
verursachen könne.
Gegen den Urok werden viele Schutzmittel angewendet. Thieren werden Löffel um
den Hals gebunden, die Mähne kurz geschoren, und um die Kinderwiege wird mit dem
Besen ein Kreis gezogen. Man erkennt bei Kindern die Wirkung des Urok an der nach
Salz schmeckenden Stirne, und um zu helfen, borgt man von derjenigen Person, die man
im Verdachte hat, daß sie das Kind verschrien hat, oder die man durch Bleigießen oder
durch die Kohlenprobe im Wasser ermittelt hat, etwas Salz und gibt es dem Kinde in
Wasser zu trinken.
Auch kommen folgende Sprüche in Anwendung: Die Mutter räuchert das Kind
mit Spreu (jedoch nicht von Mais) und spricht: „Laüo so svisot llljoborn llrairi, taüo
majüa svoso äijeto oä sin brnni". (Wie Brod die Welt nährt, so die Mutter ihr Kind
311
wehrt.) Oder die Mutter leckt die Stirne des kranken Kindes vom Nasenbein aufwärts
und spricht: „Nali lockila, malt lijsmla. Harlioäke 86 rnoei kao tisk po Fori, kao pjona.
po vocki, kao .lato po Aosxoäi«. (Die Mutter gebar es, die Mutter heilt es. Zerstreut
euch, Uroei, wie im Walde die Blätter, wie am Wasser der Schaum, wie bei Herrschaften
Katholische Hercegovceu mit Tragthier.
das Gold!) Abends nimmt man auch das Kind und bewegt es in jener Richtung, wo man
das erste Licht erblickt, und spricht:
Usus Vilkt ns. svlräbu 2vvs,
W läsm nitt svo)s äijsts
I^SA w) s-ttzsm moAll Stillt (Lttsn) xt-tö.
(Die Vila ruft mich zur Hochzeit, doch ich gehe nicht und sende auch mein Kind
nicht, sondern meines Sohnes (meiner Tochter) Weinen.)
312
Ein hübscher Spruch gegen den Urok lautet:
ttrok s^edi ns prgFU
OroLies. poä pr^Zom.
Itroll rees, OrokieL doreös.
O llmIrL äva su oku:
ledno vAipeuo, jsclno vodsuo;
krovuli ss voäsno,
?o^Lsi oxmeno:
(Der Urok sitzt auf der Schwelle, die Urocica sitzt unter der Schwelle. Der Urok
spricht, die Urocica erwidert. Urok hat zwei Augen, eines aus Feuer, das andere aus
Wasser; das Wasserauge bricht durch und verlöscht das Feuerauge.)
Unter Namet versteht man einen absichtlich durch einen Nachbar geschehenen
Zauber, der ähnliche Folgen hat wie der Urok. Zu diesem Zwecke werden Abschnitte von
Nägeln, Haare, alte Fetzen, mit Blut benetzte Eierschalen, Kohlenstücke oder Unrath unter
die Schwelle des zu Schädigenden versteckt, und sowie er sie überschreitet, tritt die
Wirkung des Zaubers ein. Zu dieser Art Zauber gehört das „Fadenlegen", wobei ein
mit 70 Knoten versehener schwarzer Faden benützt wird. Gegen derartigen Zauber wendet
man folgende Beschwörungsformel an: ,NuIro vum, Ironoi pntnioi, IcneiroAU slsomorm i
mtiroAU ssornorm, tuiro vurn svotogu 8uvo, llosi vus so nuclnio. di ml lluirli Kilo,
lluirti mi so ra^mrsili." (Ich beschwöre euch, wandelnde Fäden, mit dem Dachfirste, mit
dem Samen des Korns und mit Sanct Saba, der euch erschuf. Sollte mir das Glück hold
sein, möget ihr euch glücklich entwirren.) Auch trinkt man das Wasser aus 17 im Osten
entspringenden Quellen dagegen, oder Wasser, in das 101 Nägel gethan wurden. Findet
man im Hause etwas und vermuthet, es sei mit der Absicht zu schädigen hingelegt
worden, so verbrennt man es und spricht: „Uuko to Kori, cku i sillir mAorl.« (Wie dies
verbrennt, möge auch der Zauber verbrennen.) In die Hand, mit der man es gehoben,
spuckt man und trocknet sie an der Wand oder am Boden ab.
Unter Ograma versteht man das unbewußte Betreten eines bösen Zauber -
gegenstandes, also auch eines Namet. Aber auch das Betreten von Stellen, wo der
Teufel vorher geweilt, ist unheilvoll. Solche Stellen sind der Mistanger, Eierschalen,
die ihm mitunter zum Versteck dienen, und Zwiebelschalen, die des Teufels Geld
seien. Deshalb ist es nöthig, allen derartigen Unrath zu verbrennen. Durch das
Vertreten in Elend kommen, heißt im Volke »oAruisutU. Besonders Kindern und
Mädchen ist derartiger Zauber gefährlich. Letzteren kann es sogar schaden, wenn sie
beim Kämmen auf ihr eigenes Haar treten; sollte aber ihre Wäsche in einem Wasser
gewaschen werden, worin 40 Nadeln lagen, würde das Mädchen nie glücklich werden.
Aus dem Grunde wird ein bosnisches Landmädchen um keinen Preis ihre Wäsche fremden
Händen anvertrauen.
318
Menschen, namentlich Weiber, die sich mit bösem Zauber befassen, und bei denen man
des Teufels Mithilfe voraussetzt, nennt das Volk Vs sstiee (Hexen). Der Hexenaberglaube
Orthodoxe Hercegovcen.
treibt hierzulande dieselben üPpigenAuSwüchse wie anderswv. Als Erkennungszeichen dienen
ein Bartanflug, zusammengewachsene Augenbrauen, ein gvttloser Lebenswandel u. s. w.
Sie kennen Mittel, womit sie sich unsichtbar machen, reiten des Nachts nackt auf Heu -
gabeln, Garnbäumen, Böcken u. s. w. durch die Lüfte zu ihre» Hexenzusammenkünften
314
und verrichten ihren Zauber. Sie schädigen Menschen und Thiere und werden nach dieser
Eigenschaft unterschieden.
Es gibt eine Anzahl von Hexenproben, unter anderem die, daß man einen
Johanniswurm an der Flamme, die er umschwärmt, sängt, ihm die Flügel versengt und
mit den Worten: ,vo^i sulru, cka li soli äain« (Komme morgen um Salz) freiläßt.
Das erste Weib, das Morgens das Hans betritt, gilt als Hexe, und man gibt ihr, um ihren
Zauber zu brechen, Salz. Eine Hexe meint man in der Weise fangen zu können, daß man
sich hinter eine Egge stellt, wodurch man unsichtbar wird, und die vorübergehende Hexe
an den Haaren faßt.
Eine männliche Gattung Hexen nennt man 8lr>Ir n. Mehr durch übernatürliche Kräfte
ausgezeichnet, sind sie minder boshaft als ihre weiblichen Genossinnen. Auch sie ziehen des
Nachts unsichtbar aus und kämpfen in den Lüften mit anderen Stuhas erbitterte Schlachten,
worauf man sie oft des Morgens ganz zerschlagen im Bette auffindet. Knaben, die im
„Hemdchen" zur Welt kommen, werden derartige Kluiro.
Gegen Hexen und den durch diese vollführten Zauber gibt es zahllose Mittel; als
das kräftigste gilt aber der Knoblauch, welcher bei jeder Gelegenheit empfohlen wird.
Diesen Gebilden des Aberglaubens wurde durch den Mohammedanismus eine Menge
aus dem Oriente stammende Motive —Sagen vonDzins, Hudoms u. s.w. — zugesellt,
und es würde zu weit führen, wollte man alle diese Geschöpfe einer lebhaften Phantasie
beschreiben. Diese neuen Zuthaten bewirkten aber auch, daß neben ihnen die alten allmälig
verblaßten und modificirt wurden, wodurch zahllose Local- und Nebenformen entstanden.
Die Tracht. — Ebenso eigentümlich wie in seinen Sitten, Gebräuchen und
sonstigen Äußerungen des Volkslebens ist der Bosnier in seiner Tracht. Sie entspricht
seiner Stellung an der Grenze zwischen der abendländischen und der orientalischen
Civilisation und zeigt ein Gemisch von Elementen einer sorgfältig überlieferten Tradition
neben den Schöpfungen eines wenn auch langsam fortschreitenden Zeitgeistes.
Einziemlich stark entwickeltes Prunkbedürfniß, einHang zurmalerischen Ausgestaltung
bei einem gewissen urwüchsigen Geschmack, sowie eine angeborene Pietät für das Alt -
hergebrachte sind die allgemeinen Merkmale des bosnischen Costüms. Namentlich der letztere
Umstand bewirkte, daß sich in einzelnen Gebieten besondere Costümtypen erhalten haben
und gewisse Gegenden bestimmte Localformen aufweisen, welche allein genügen, die
Zuständigkeit des Trägers zu kennzeichnen.
Allerdings sind die Grenzen der einzelnen Costümzonen gegeneinander nicht streng
abgeschieden: es finden allmälige Übergänge von der einen zur anderen statt, sowie der
Übergang von bosnischen zu den Costümen der benachbarten Länder, Serbien, Slavvnien,
Kroatien, Dalmatien und Montenegro, eine Reihenfolge von Nuancirungen vermittelt.
315
Bei der Ausgestaltung des Costüms, wie wir es gegenwärtig sehen, waren
geschichtliche Traditionen, religiöse, sociale und klimatische Verhältnisse maßgebend.
Trotz seiner einfachen Lebensweise legt der Bosnier großes Gewicht auf eine schöne,
Mohammedanische Frauenkostüme nebst Details.
reine und reiche Kleidung. Schon die Anzahl der Kleidungsstücke, die zu einer completen
Adjustirung gehört, ist bedeutend. Sie besteht beim männlichen Costüm, abgesehen von
der Leibwäsche, aus folgenden Stücken: ^nterisa. (ein Ärmelleib ans leichtem iLtoff),
Xopuian (ein Ärmelleib aus Tuch), VLeirmcian (Weste), OakLirs oder ksler^ues (Hose),
idarman (ein kurzer Rock ohne Ärmel), 2obuu (ein kurzer Lodenrvck oder Pelz), Xabanieu
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(Wettermantel). Als Kopfbekleidung dient eine leichte gestrickte Kappe, darüber eine
weiße Filzkappe, dann der von einem bunten Turbantuch umwundene Feß; als Fuß -
bekleidung Wollsocken (Oarapo) mit Übersocken (pri»1uv6i, nu^uvoi oder rmtiiruA), Opanken
(aus Leder geschnittene und geflochtene Sandalen) und Gamaschen (tc^luei), während
den Gürtel ein breites Wolltuch, ein gemustertes Gürtelbaud, sowie der Ledergurt
(bensilL) umschließt. Je nach der Saison wird eines oder das andere dieser Stücke
wohl abgelegt, aber es gilt als guter Ton, daß sie bei Festanlässen alle getragen
werden.
Besondere Sorgfalt wird auf die Verzierung des Fermen, Dzemadan und der Hosen
verwendet, welche reiche Verschnürungen haben.
Die genannten Cvstümstücke sind unter demselben Namen im ganzen Lande
gebräuchlich, und die Verschiedenheit ist bei der Männertracht beiweitem keine so große
wie bei der Frauentracht.
Es würde zu weit führen, alle Localvarianten aufzuzählen, und wir begnügen uns
mit den allgemeinsten derselben.
In Bezug auf die Religion des Trägers ist es bezeichnend, daß der Mohammedaner
es als Privileg betrachtet, reicher und bunter gekleidet zu sein als der Christ.
Während der Christ nur matte, schwarze, dunkelbraune oder dunkelblaue Farben
für die Kleidungsstücke und deren Verschnürung wählt, liebt der Mohammedaner Helle, nicht
selten grelle Farben. Die leichteren Kleidungsstücke, wie die Anterija und Koparan, sind aus
bunten, nicht selten reichen orientalischen Seidenstoffen; Fermen, Dzemadan und Hosen sind
aus lichterem Tuch, und gewöhnlich mit reicher Seiden- und Goldverschnüruug verziert.
Der Christ trägt in der Regel ein einfaches rothes Gürteltuch, der Mohammedaner
benützt mit Vorliebe buntgeblümte Tücher, oder auch den aus bunter Seide gewebten
„Trabolos". Während die Jugend blos den Feß als Kopfbedeckung trägt, ist der
Turban die Tracht des erwachsenen Mannes, und die Form und Farbe desselben diente
einst als das wichtigste Kennzeichen einzelner socialer Elasten. Auch das Turbantuch
des Christen ist gewöhnlich roth, in einzelnen Gegenden dunkelblau oder braun, bei
Burschen weiß und roth gemustert, das des Mohammedaners in lebhafteren Farben.
Der Softa trägt einen schneeweißen Turban von Gaze, der Derwisch einen grünen,
der Hadschi (Mekkapilger) einen weißen mit mattgelber Seide tambourirten (die soge -
nannte Achmcdija). Die übrigen Mohammedaner tragen Farben nach Belieben, aber
stets gemusterte.
Vor wenigen Jahren noch über das ganze Occupationsgebiet verbreitet, kommt
diese malerische, aber unbequeme Tracht allmälig aus der Mode. In der Save- und
Drinagegend ist sie bereits selten, ebenso in der Hercegovina, wo von Montenegro
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aus das niedere, von einem Seidenband umsäumte montenegrinische Käppchen Eingang
gefunden hat.
Von besonderen Kleidungsstücken sei die Dolama erwähnt, welche das Prnnkkleid des
alten vornehmen Mohammedaners ist. Es ist dies ein faltenreicher, vorne offener Lichvßrvck,
Türkische Frauen aus der Straße in Sarajevo.
der die Hüften fnstanellaartig umschließt und in der Regel reiche Verschnürungen aufwiist.
Einen ähnlichen Prunkrock ans schneeweißem Tuch (bselnen) tragen in der Hercegovina
die orthodoxen Christen.
So reich das bosnische Costüm ist, ist es doch gewissermaßen nur die Folie zu dein
prunkvollen Waffenschmnck, mit welchem sich der Bosnier umgab. Jahrhunderte lang waren
fein größter Stolz und Schmnck Waffen, und selbst der Ärmste darbte sich die Mittel ab,
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um in den Besitz irgend einer womöglich stark mit Silber beschlagenen Waffe zu gelangen
der Reiche aber belastete sich in vollster Adjustirung mit einem ganzen Arsenal von Waffen,
die von Silber und Gold strotzten, und zu deren Herstellung geübte Waffenschmiede und
geschickte Silberarbeiter herangezogen wurden.
Zur completen Adjustirung eines bosnischen Streiters gehörte vor Allem der
Handschar, jene haarscharfe geschweifte Klinge mit breitem Griffe, welche im Hand -
gemenge die furchtbarsten Verstümmelungen verursachte, ein Paar Pistolen mit dem dazu
gehörigen Ladestock (llarbijn), eine lange Flinte, die je nach der Form verschieden benannt
war (Larawlllüa, ^rrmritlla) oder ein kurzer Kugelstutzen (ZiZaira) und ein Krummsäbel,
nicht selten von kostbarsten Stahlsorten (Damastener, Lara-Ollorasan).
Gewehr und Säbel wurden um die Schulter gehangen, die übrigen Waffen aber
staken aneinandergereiht in einem breiten, vorne mit Fächern versehenen Ledergurt, dem
Bensila. Außer diesen Waffenstücken gehörten zur Kriegsausrüstung zwei Patrontaschen
aus Silber, ein Pulverhorn, eine Öldose, welche um den Gürtel geschnallt wurden und
der LiLam, ein Silberetui, worin der fromme Mohammedaner seinen Koran aufbewahrte,
der ihm beständiger Reise- und Kriegsgenosse war.
Ein besonders charakteristisches Schmuckstück sind die „Toke" — ein aus großen
Silberknöpfen oder Platten gebildeter Brustpanzer, der an den Rock (Fermen) oder
an einen besonderen Lederlatz angeheftet wurde und der Brust als Panzer und Zier diente.
Allen anderen Schmuck verschmäht der Bosnier; für Ringe gibt er wenig Geld aus,
und wenn er einen trägt, ist er von Messing oder schlechtem Silber. Das einzige nicht
kriegerische Stück in seinem Schmuckinventar ist die Uhr, eine Spindeluhr von normalen
Größenverhältnissen, die aber von einer bedeutenden Anzahl von Metallgehäusen umschlossen
wird, so daß sie im letzten nicht selten die Größe einer ansehnlichen Theetasse erreicht. Als
Uhrkette dient ein reiches Silbergehänge, das über Brust und Gürtel herabhängt. Unter all
diesen Kleidungs- und Prunkstücken mußte es dem Manne besonders an Sommertagen recht
schwül zumuthe sein, aber er ertrug diese Last mit Stolz und im Bewußtsein, daß es wohl
keinen malerischeren Anblick geben könne als den, welchen er in seinem vollen Glanze darbot.
Das Costüm der mohammedanischen Frau, namentlich aus den vornehmeren Kreisen,
charakterisirt ein gewisser vornehmer, gediegener Luxus. Auf der Straße erscheint sie
dem altgeheiligten Brauche zufolge in einem Aufzuge, der niemals den reichen Prunk
verräth, mit welchem sie zu Hause ihren Körper umgibt. Da keine mohammedanische
Frau von ihrem achtzehnten Jahre an von einem fremden Manne gesehen werden
darf, erscheint sie auf der Straße stets sorgfältig vermummt. Dieser im ganzen Oriente
verbreitete Brauch wird heute aber nirgends mit so peinlicher Gewissenhaftigkeit
eingehalten wie in Bosnien, wo die anständige Frau selbst ihre Hände vor fremden Blicken
Orthodoxe aus dem SarajevSko polje.
verbirgt und der Schleier nur einen schmalen, gerade zum Durchblicken genügenden
Schlitz frei läßt.
Diese Straßentracht besteht aus einem weiten schwarzen Mantel, der ^eredza,
mit großem, über die Schulter hängendem, viereckig geschnittenem Kragen und verhüllt die
Gestalt vollständig. Keine Falte daran verräth die Körperform, keine Linie läßt erkennen,
ob die Trägerin jung oder alt, schon oder häßlich ist. Die Hände sind in den Taschen der
Feredza verborgen, die Füße stecken in unförmlichen, weitschaftigen Stiefeln mw gelbem
ll2N
Saffian, und der Kopf wird mit zwei weißen Tüchern (Vrmvmo und ^aSinak)
eingehüllt, so daß nur die Augen frei blicken.
Und doch, diese Gestalten, die auf den des Anblicks ungewohnten Beobachter in der
Entfernung den Eindruck wandelnder Gespenster Hervorbringen, sind bei festlichen Anlässen
im Harem von einer Kleiderfülle und Pracht umgeben, die nur der Orient kennt.
Die Hauptstücke des Franencostüms sind die Dimije, ein faltenreiches, aus leichten,
kostbaren Stoffen, meist Seide, hergestelltes Kleidungsstück, das von den Hüften herab -
wallt und an den Knöcheln zusammengezogen und festgebnnden ist. Dieses Kleid, das
halb Rock, halb Hose ist, präsentirt sich in Ruhe etwas plump, aber bei rascher Bewegung
verleiht es der Figur und der Bewegung Leben und Grazie. Den Oberkörper verhüllt ein
reich mit Seide ausgesticktes, kurzes Hemd mit weiten Ärmeln aus dünnem, durchsichtigem
Stoff, welches an den Hüften von einem Gürtelband mit reicher Silberschließe zusammen -
gehalten wird. Schnürleibchen sind unbekannt und die Stelle eines solchen vertritt ein
kurzes, ausgeschnittenes ärmelloses Jäckchen — äeöerma — welches den Busen unten
fest umspannt und infolge dessen nach oben preßt. Schließlich wird ein reich ausgesticktes,
kurzes Jäckchen — Sermon — darüber angezogen. Als Kopfputz dient ein Feß mit
Quaste, als Fußbekleidung bunte Strümpfe, reichgestickte Pantoffeln, und wenn man
gerade über den Hof geht, Sandalen (IRrrnüo) aus Holz mit hohen Stöckelfüßen, die
nicht selten reich mit Silberbeschlägen ausgestattet sind.
Das sind die Costümstücke, welche Frauen und Mädchen gemeinsam sind. Bei der
Verheiratung erhält die Frau einige andere, die sie als Verheiratete kennzeichnen. Vor
Allem trägt sie jetzt die Anterija, einen langen, wallenden, an der Brust stark aus -
geschnittenen Rock mit herabhängenden Ärmeln, der ans reichen Stoffen hergestellt und
möglichst reich mit Gold und Stickereien verziert ist. Die Anterija, in der Regel ein
Geschenk des Bräutigams, ist der Brantrock, der fortan bei allen Familienfesten als
Paradestück angelegt wird. Statt des leichteren Fermens erhält die Frau überdies einen
kurzen Pelzrock (Onräisa), der entweder ohne Ärmel oder mit langen herabwallenden
Ärmeln versehen ist. Noch wichtiger sind die Veränderungen in der Kopftracht. Während
das Mädchen seine mit Bändern und verschiedenen eingeflochtenen Anhängseln — Münzen,
Fingerhüten, Panzerstücken, Ketten, Uhrschlüsseln n. s. w. — geschmückten Zöpfe über die
Schulter frei hängen ließ, windet sie die Frau kranzförmig um die Kappe. Die Decke dieser
Kappe erhält zudem eine runde, mit Stickerei, Münzen, Perlen oder Silberfiligran reich -
verzierte Scheibe — das Dspeluk — und das Ganze wird künstlich mit einigen dunklen
Tüchern — äoinsnisa — umwunden.
Sehr reich ist auch der Schmuck, dessen sich die Mohammedanerinnen bedienen. Schon
Kindern pflegt man die Kappe mit Amuletten in Gestalt von alten Münzen oder Platten
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mit eingeprägten Koransprüchen zu verzieren. Später kommen noch Armbänder, Halsbänder,
Stirnbänder oder Agraffen, Ohrringe und Gürtelschnallen hinzu. Als Schmuck dienen je
nach Geschmack Gold- und Silbergeschmeide, Filigranerien, Perlen, und vor Allem als
Zeugen eines soliden Wohlstandes Goldmünzen, die möglichst dicht aneinander gereiht so
massig auftreten, daß sie der Trägerin mehr als Last, denn als Zier dienen. Dncatcn-
schnüre dienen als Halsbänder sowie als Diademe, und auch das Tepclik wird damit dicht
übersät. Besonders bemerkenswerth sind die Gürtelschnallen (pakle), die zumeist mandel -
förmig und von bedeutender Größe sind und oft Meisterwerke der Silberindustrie und
Perlenstickerei darstellen.
Das Costüm der andersgläubigen Stadtbewohnerinnen weicht von dem beschriebenen
bedeutend ab. Die Spaniolinnen kleiden sich wie die Mohammedanerinnen, nur verdecken
sie einer religiösen Sitte gemäß das Haar durch eine lange, über die Schulter wallende
Fransengarnitur. In früheren Zeiten erschienen auch sie in einer Zorockiia" auf der
Straße. Auch die katholischen Frauen, die mit Mohammedanerinnen häufig in Berührung
kamen, eigneten sich deren Tracht an, doch ist sie beiweitem nicht so reich, und vor Allem
findet man niemals jene reiche Goldapplication, die aus den mohammedanischen Kleidern
auffällt. Die Tracht der orientalisch-orthodoxen Frau charakterisirt eine lange, bis zum
Boden herabwaücnde Seidenanterija aus lichtem gestreiften Seidenstoff oder Brvcat,
ein stark verbrämter Pelz mit kurzen, weiten Ärmeln und im Kopfputz statt des Tepelik
eine reiche, runde, sogenannte Wiener Ouaste. Bezeichnend ist, daß es die gute alte Sitte
den orthodoxen Frauen verbietet, Dimije zu tragen.
Das ländliche Frauencostüm können wir, abgesehen von zahlreichen kleineren Lvcal-
formen, eintheilen in: das mittelbosnische, das nordbosnische (Posavina und
Krajina), das Costüm der dalmatinischen Grenzgebiete und das der Hercegovina.
Merkmale des mittelbosnischen Costüms sind: Dimije, welche ältere Frauen dmch
eine lange Anterija ersetzen, Jecerma, ein Zobun (Pelz) aus Loden, und ein ziemlich
künstlich aufgebanter Kopfputz (Icalkan), bestehend aus einer mit Fransen benähten, mit
Schleiern, Tüchern, Blumen, Silberketten u. s. w. ausgepichten Kappe. Die einzelnen Stücke
unterscheiden sich nach den verschiedenen Costiimbezirken durch Farbe, engeren oder weiteren
Schnitt, größeren oder geringeren Prunk, wodurch große Verschiedenheiten entstehen.
Das Costüm der Krajina charakterisirt der Mangel von Dimijes, welche dort
perhorrescirt werden. Die Hauptstücke sind ein an Ärmeln und Brustlatz reichgesticktes
Hemd, ein mehr oder minder verzierter Lodenrvck, schön gewirkte Schürzen, ein weißes
Kopftuch mit Kreuzelstickerei und reicher Münzenschmuck, womit die Kappe, der Brustlatz,
der Gürtel und die Zopfbänder oft überladen werden. Im Winter wird der Kälte wegen
ein schwerer, bis zur Erde reichender Lodenmantel getragen.
LI
Bosnien nnd Hercegovina.
322
Das Costüm derPosavina ist dem slavonischen nachgebildet. Man findet dvrt
denselben weißen, saltigen, reichgestickten Rock, wie in Slavonien, dieselben mit bunten
Ornamenten benähten Lederwämse und die gleiche Art, das Kopftuch (samfia) zu binden.
Gegen Süden gehen diese Costüme allmälig in das mittelbosnische über.
Das Costüm der dalmatinischen Grenzgebiete ist gleich dem dalmatinischen,
welches sich gleichfalls aus dem eigentlichen bosnischen heransgebildet hat.
Die Hercegovina besitzt ganz eigene Costüme. Hier ist Alles Wolle; bevorzugt
wird die weiße Farbe, und das Costüm zeichnet sich durch solide Einfachheit aus. Im
Sommer tragen die Frauen bloß Unterhosen, das Hemd und einen kurzen, dunkeln,
bunt verzierten Fermen, im Winter dazu einen langen, bis zum Boden reichenden Lodenrock
mit gefranstem Saume. Auch hier wird reicher Silberschmnck gebraucht, doch besteht er
nicht aus Münzen, die bloß auf einen Lappen geheftet werden und eben nur durch ihren
Metallwerth prunken, sondern er ist von Silberschmieden kunstvoll, wenn auch unter
reichlicher Benützung von geprägten Münzen zusammengefügt. Dieser Schmuck besteht
aus Gürtelschnallen, Brustlätzen, Zopfgehängen, zahlreichen Haarnadeln und Diademen.
Nicht selten findet man darunter Erbstücke, die sehr alt und künstlerisch werthvoll sind.
Eigenthümlichen Veränderungen ist die Schürze unterworfen; in der Krajina ist
sie zierlich gewirkt, mit schönen Fransen garnirt und von normaler Größe; in der Posavina
werden zwei Schürzen getragen (vorne und rückwärts), in Bosnien ist sie einfach, in der
Hercegovina ein schmales langes Band, im Drinagebiet ein schmaler Streifen, der eher
einem Gürtel ähnlich sieht, im montenegrinischen Grenzgebiet ein verhältnißmäßig kleiner
Latz mit sehr langen dicken Schnurfransen. An diesem einen Stücke sieht man, wie variabel
das Frauencostüm in den verschiedenen Gebieten ist.
Allgemein betrachtet, stellt sich das bosnische Costüm als ein Gemisch orientalischer
und slavischer Elemente dar. Elftere finden wir vorwaltcnd in den Städten, letztere ans
dem flachen Lande, in besonderer Reinheit in abgelegenen Gebirgsgegenden.
Betrachten wir einzelne der heutigen Costümformen näher, so finden wir allerdings
Elemente, die in eine weite Vergangenheit zurückreichcn und sich als Denkmäler einer längst
vergangenen Cultnrperiode offenbaren. Unter den Motiven der Goldapplicationen findet
sich die Palmette und das Wellcnvrnament, welche sich hier aus dem Alterthum erhielten.
Der Brustpanzer der Männer, die Toke, findet ein Gegenstück in ähnlich gebildeten Brust-
panzern der Hallstattperiode, und die meisten Schmuckstücke aus Silber sind nur die
Früchte einer Jahrhunderte alten gewerblichen Tradition. Ferner war noch vor kurzem in
der Umgebung von Osatica, Bezirk Srebrenica, eine eigenthümliche Kopftracht üblich,
deren Urbild die alte phrygische Mütze ist. Dieses Trachtstück besteht aus einem aus
Leiueuhalmen gebildeten Geflechte, das sich oben zuspitzt und nach vorne eine hvrnförmige
323
Krümmung besitzt. Unter dieser Mütze wird das Haar nach vorne gekämmt und über einen
armdicken Wulst von Tüchern gewickelt, welcher dann bogenförmig über der Stirne
befestigt wird. Genau derselbe Aufputz wurde an einem aus Blei gegossenen Köpfchen
gefunden, welches man unter den Ruinen einer römischen Kolonie bei Stolae ausgrub.
Über den Haarwulst von Osatica wird beiderseits ein breites, mit bunten Perlen
Mohammedanische Frauen ans Mostar.
gesticktes und in lange rothe Fransen ausgehendes Band gehängt, und beachten wir die
antiken Darstellungen der phrygischen Mütze, so werden wir auch diese Bänder sehr häufig
dort bemerken.
Eines der malerischesten Costümstücke, das noch heute vereinzelt im Popovo polje
(südliche Hercegovina) getragen wird, ist die Brautkrone (ürunica). Sie besteht aus einer
kleinen, aus Leinenhalmen geflochtenen, mit gestickten Tüchern überzogenen Kappe, deren
324
oberen Rand eine Reihe grvßköpfiger, mit Filigranerie und Breloques verzierten Steck -
nadeln (Spioäe) kranzartig umgibt. Ein bandartiges, reich behangenes Diadem bekrönt
dabei die Stirne, und ein mit Silbermünzen benähtes, breites, unten in einen großen Ring
endigendes Zopfband (iriskosriieu) bedeckt die über die Brust herabhängenden Zöpfe.
Diese Brantkrone wird urkundlich schon im XIV. Jahrhundert erwähnt, wo sie so luxuriös
war, daß der Rath von Ragusa das Tragen derselben mit Strafen bedrohte.
Die Formen des bei diesem Kopfputze verwendeten Silberschmuckes, namentlich aber
die Technik desselben bieten Analogien zu den Formen der Hacksilberfunde ans der Periode
der slavischen Einwanderung und sind in Bosnien, nachdem sie gewisse Übergangsstufen
durchgemacht haben, von der Einwanderung der Slaven bis auf die Gegenwart erhalten
geblieben.
Das Wohnhaus. — Im Mittelalter gab es in Bosnien keine Städte oder
geschlossenen Ortschaften. Der bosnische Edelmann wohnte in seiner auf einem unzu -
gänglichen Felsen erbauten Burg, deren Umfriedung auch die Hütten und Wohnhäuser
seiner Mannen und Dienerschaft umschloß. Auch der leibeigene Bauer zog sich mit Vorliebe
in eine abgelegene Schlucht oder ins Hochgebirge zurück, wo er sein Heim aufschlug, um
dort möglichst ungestört und in Ruhe das Wenige zu genießen, was ihm der Grund -
herr überließ.
Erst nachdem die Osmanen in das Land gekommen waren, entstanden an Stellen,
die den Ansiedlern von Natur aus einigen Schutz zu gewähren geeignet schienen, Ort -
schaften und Städte, wo sich die Mohammedaner, die neuen Herren des Landes, niederließcn,
während der Bauer nach wie vor in vereinzelten Familiennicdcrlassungen hauste und
vom nächsten Nachbar oft stundenweit entfernt war. Alle Ansiedlungen lagen möglichst
abseits von bedeutenden Verkehrswegen.
Hier entstanden zur Unterkunft des Reisenden bedeutende Karawansereien, neben
welchen sich in der Regel ein oder mehrere Bakals (Händler) niederließen, welche die dem
Bauer nöthigstcn Artikel — Salz, Licht, Tabak, Kaffee, Zucker u. s. w. — führten. Hier
machte der Landmann seine dringendsten Einkäufe. Was ihm darüber nöthig war, holte
er sich, wenn er überdies etwas von seinen Producten zu Markte trug, aus der Stadt, wo
er in der Carsija alle nur erdenklichen Maaren bekommen konnte.
Der Bauer lebt in seinem Heim von der Welt abgeschieden. Nur wenn er die Nach -
barschaft zur Möba bittet oder wenn ein Fremder einkehrt, den er stets gastlich und liebe -
voll aufnimmt, kommt etwas Leben in diese Abgeschiedenheit.
Bevor wir das prunklose Heim des bosnisch en Landmann es genauer besichtigen,
wollen wir einige Überlieferungen ans alter Zeit erwähnen, denen das Volk bis heute
treu blieb, und die es beim Baue seines Wohnhauses befolgt.
325
Die Wahl des Bauplatzes wird mit großer Sorgfalt vorgenommen und erfolgt erst
nach genauer Prüfung aller Localumstände. Nachdem der Bauherr mit Hilfe seiner
Nachbarn das Bauholz im Walde geschlagen und zugeführt und das nöthige Material
beschafft hat, beginnt die
Aushebung der Funda -
mente. Der erste Grund -
stein wird in der Regel
an der rechten Ecke
der Stirnseite gelegt
und hiebei einer alther -
gebrachten Sitte gemäß
ein Bauopfer darge -
bracht. Ein Bock, ein
Widder oder ein Hahn
wird vom Dundscher
(Baumeister) geschlachtet
und mit dem Blut
der Grundstein, mitunter
aber auch die vier Ecken
und die Schwelle be -
träufelt. Vorher schlägt
der Dundscher mit dem
Hammer dreimal auf den
Stein, und der Hausherr
begießt ihn mitunter auch
mit Wein. Das Opfer -
thier, in der Regel ein
männliches, wird sodann
gebraten und von den
Mitwirkenden verspeist,
worauf mitunter ein
Festgelage folgt. Diese
Sitte ist uralt, sie wird schon in den Vedas und anderen Denkmälern der indischen Vorzeit
erwähnt und scheint Gemeingut aller arischen Völker zu sein. Den Grundgedanken hiezu
gab der Wunsch, die Erdgeister zu versöhnen, damit sie den Bewohnern des zu errichtenden
Hauses ihre Gunst zuwendeu.
Betende Katholikin aus Jajce.
326
Noch heute ist in Bosnien der Glaube verbreitet, daß man in früheren Zeiten als
Bauopfer bei größeren Bauten Menschen lebend einzumauern pflegte, und von mancher
Burg berichtet das Volkslied, daß der Neimar (Baumeister), um den Erdgeist zu versöhnen,
der seinem Baue abhold war, die eigene Frau opferte. In jüngster Zeit wurden einige
Bauopfer aus alten Bauten zum Vorschein gebracht, die erwähnenswerth sind; so bestand
in der 1894 dcmolirtcn Burg Sokolovici (Bezirk Rogatiea) das Bauopfer aus einem
sammt dem Käfig eingemanerten Hahn, der am Halse einen Goldring trug. In den Grund -
mauern der berühmten Drina-Brücke vonVisegrad wurde eine große Urne mit den Resten
des aus Fleisch und Früchten bestehenden Bauopfers entdeckt. Ein ähnliches Gefäß fand
sich auch in den Fundamenten einer Moschee in Cajnica.
Der Glaube an die Wirksamkeit menschlicher Bauopfer lebt übrigens noch heute.
Man baut wohl nicht mehr den Menschen, sondern dessen Schatten ein, was auf folgende
Art geschieht. Der Baumeister beeilt sich, wenn zufällig der Schatten eines menschlichen
Wesens auf die im Entstehen begriffenen Grundmauern fällt, darüber rasch Mörtel und
Steine zu legen. Glückt ihm dies, so wird das Haus glücklich, der Eigenthümer des ver -
mauerten Schattens aber wird siech und muß binnen Jahr und Tag sterben und verderben.
Auch das Höhenmaß eines Menschen, welches mit einem Faden abgenommen und dann
vermauert wird, soll dieselbe Wirkung haben. Sollte der Schatten des Bauherrn verbaut
werden, so bringt dies ihm und dem ganzen Hause Unglück, und dies ist der Grund,
weshalb sich der Bauherr scheut, während des Legens der Fundamente ans dem Bau -
platze zu erscheinen.
Auch das Gleichenfest wird durch ein Opfer begangen. Das Blut des Opferthieres
wird über die rechte obere Mauerkante gegossen und damit die Mauer beträufelt. Diese
Blutstecken müssen unberührt bleiben, bis Sturm und Regen sie anslöschen.
Ein weiteres Bauopfer von mehr praktischem Interesse ist das Firstopfer. Sowie der
Firstbalken richtig angebracht ist, behängt ihn der Bauherr mit bunten Tüchern und
Stoffen, mitunter auch mit Weinflaschen. Tie Zimmerleute beeilen sich nun, das Dach
möglichst rasch zu decken, damit ja kein Regen komme und die schönen Sachen verderbe,
denn wie der letzte Nagel im Dache eingenagelt wird, dürfen sie sich die Spende aneignen.
Der Wichtigkeit des Unternehmens entsprechend, wirkt beim Baue des Hauses noch
mancherlei Aberglaube mit. So darf man mit dem Ausheben der Fundamente nur an einem
Montag oder Donnerstag beginnen. Sollte auf einen dieser Tage das Fest der Enthauptung
Johannis fallen, so ist der betreffende Tag für das ganzeJahr zu diesem Vorhaben ungeeignet.
Auch in der Zwischenzeit zwischen beiden Frauentagen soll es nicht rathsam sein, Fundamente
auszuheben. Die Zimmerleute bekommen von den Frauen heimlich Geschenke, damit sie ja
genau achtgeben, daß ihnen der Bohrer nicht entfalle und irgendwo mit der Spitze stecken
327
bleibe oder daß sie sich bei der Arbeit nicht verletzen, denn im ersteren Falle wäre das Haus
stets verraucht, im letzteren würde aus dem Blute des Verletzten Ungeziefer entstehen, zwei
Plagen, unter denen namentlich die an das Hans gewiesene Frau leiden müßte.
Katholiken aus Krescvo.
Steht der Bau endlich fertig da, so wird vor dem Einzuge der Familie in das neue
Heim abermals ein Opfer dargebracht. Es besteht in einem Hahn, dem an der Schwelle
der Kopf abgehackt wird, und welcher dann an Arme verschenkt wird. Diesem Brauche
wird auch bei Übersiedlungen aus einem Hause in das andere gehuldigt. Ein besonderes
Opfer wird dem häuslichen Herde dargebracht. Hat die Familie das neue Haus bezogen,
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so finden sich an einem zur Feier des Einzuges (nn 86lonso) bestimmten Tage die Nachbarn
ein, und jeder Besucher legt auf den Hausherd als Opfer einen Apfel oder eine Granate,
worin Münzen eingedrückt sind, und wird dann bewirthet.
Zum Baue wird gewöhnlich nur ein Zimmermann zugezogen, der den Bau leitet,
während die Nachbarn überall hilfreich Hand anlegen. Dies geschieht mehr, um das nach -
barliche Zusammenhalten zu documentiren, als aus Ersparungsrücksichten, denn derBauherr
muß dafür die freiwilligen Helfer ausgiebig bewirthen, und ein Sprichwort sagt: „Wenn
ein Haus gebaut wird, nährt sich das Dorf." (Lack so Lnöu ^rucki, solo 86 iii-nui.)
Da der Landmann es liebt, inmitten des von ihm bebauten Landes zu wohnen, so ist
das bosnische Wohnhaus stets isolirt. Infolge dessen gab cs bis vor kurzem in Bosnien nur
wenige geschlossene Ortschaften, die Häuser lagen zerstreut und oft weit voneinander entfernt
und bildeten einzelne Gehöfte.
Das Hauptgebäude eines solchen Gehöftes ist das Wohnhaus — Irrrön — ein
von einem steilen Dache bekröntes viereckiges Gebäude.
Bezeichnend ist es, daß für das Haus hier kein slavisches Wort existirt. Kudu
stammt von dem lateinischen euoinn (Küche) und hat sich auch in dieser Bedeutung
erhalten, indem mit lenen besonders jener Theil bezeichnet wird, wo sich der Herd befindet.
Auch ein anderes Wort für Haus — äom — ist romanischen Ursprungs (von ckonrus).
Das einzige Wort slavischen Ursprungs ist sinn, von 8tnli — stehen, 8tnniti — sich
aufhalten, das im Sinne „Wohnung" gebraucht und sehr häufig als Bezeichnung von
Sennhütten angewendet wird.
Die Grundlinien des Wohnhauses stehen an der Schmal- und Langseite im Ver-
hältniß wie 2:3, und als Normalverhältniß gilt das Maß von 8:12 Arsin. Bei den
Südslaven wurden die Wohnhäuser schon im Mittelalter nach einheitlichen Größen -
verhältnissen gebaut. Je nach der Größe derselben unterschied man halbe, ganze, andert-
halbe oder doppelte rnurrsionoZ, und diese Eintheilung war zugleich die Grundlage für
die Bemessung der Haussteuer.
Gewöhnlich wird das Haus an einer gegen den Wind geschützten, sanften, natürlichen
Böschung errichtet, und zwar so, daß die abfallende Seite von einer Steinmauer bis zum
oberen Niveau eingefaßt wird, wodurch auf einfache Weise ein die Hälfte des Hauses
einnehmender Souterrainraum (i^bn), welcher als Vorrathskammer oder als Stall
dient, gewonnen wird. Auf dem Steinunterbau ruht die eigentliche, aus Blöcken (in
horizontaler), Riegeln (in verticaler Lage) oder aus Flechtwerk (Sopor) hergestellte, circa
2 Meter hohe Wand, welche mit einem aus zwei Balken (llutul o) gebildeten Kranzgesimse
(vjonouniou) abschließt. In dieses Kranzgesimse sind die Träme (prijollo groclo)
sorgfältig verstemmt, wodurch das Ganze einen soliden Halt gewinnt. Die Dachsparren
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(rogovi) werden oben verstemmt, unten mit großen Nägeln versichert und hieraus das
aus Schindeln oder Brettern, die mitunter noch mit großköpfigen Holznägeln befestigt
werden, hergestellte Dach
(Irro v) gelegt. Das Holz -
dach ist in der Regel ein
Walmdach, es verläuft,
um das Abrutschen der
Schneemassen zu erleich -
tern, sehr steil und ist
an der unteren Kante,
zum besseren Schutze der
Mauer, mit einem Dach-
vorsprnnge (strolin)
versehen.
In der Hercego-
vina, wo das Holz selten
ist, werden als Dachma -
terial leicht spaltbare Kalk -
steinplatten verwendet.
Infolge dessen ist hier das
Dach ganz flach und auch
dessen Constrnetion eine
entsprechend abweichende.
Die Sparren (morloci)
ruhen hier auf einem von
festgefügten Sparrenga -
beln (malcnLs) getra -
genen Firstbalken (Sise-
ine). Die Eingangsthür
— gewöhnlich in der Mitte
derLangseite angebracht—
ist schmal und niedrig und
hat einen einfachen Riegelverschluß, die spärlichen kleinen Fensterluken sind mit kleinen
Glasscheiben verschlossen, aber noch häufig sieht man sie mit dünner Blasenhaut oder mit
geöltem Papier überzogen. Die Mitte des Wohnhauses nimmt der auf dem Fußboden
befindliche, niedere, von einer Steinsetzung umgebene Herd (oguDts) ein. Dieser ist der
Katholikin aus Mittelbosnien.
330
Mittelpunkt des ganzen Familienlebens nnd wird entsprechend verehrt. Das Feuer auf
ihm wird sorgfältig behütet, damit es nicht verlösche, nnd tritt dieser Fall dennoch ein, so
wird es in einigen Gegenden nur durch „lebendes Feuer" von Neuem angefacht. Unter
„lebendem Feuer" versteht man aber solches, das durch einen Blitzschlag oder durch das
beständige Reiben zweier Holzstücke hervorgebracht wurde. Der Rauch des Herdes entweicht
durch eine Dachluke (buck/a oder üomiri), welche mit einem regulirbaren Klappen-
verschlussc versehen ist.
Vier Wände nnd ein Dach darüber, das ist das Urbild des bosnischen Hauses, und
in dieser primitiven Form wird es noch heute häufig angetroffen. In diesem engen Raume
verleben oft große Familien ihr Dasein.
Infolge der wachsenden Bedürfnisse wurde auch diese einfache Grundform weiter
gegliedert. Vor Allem wurde das Haus durch eine Querwand in zwei Theile getheilt,
wovon der eine den Herd enthielt und von nun an „das Haus" (ÜULU) genannt wurde,
der andere aber als Frauengemach (ockaju) dient nnd einen niederen Plafond erhielt.
Häufig ist eine Dreitheilung des Jnnenraumes durchgeführt, indem beiderseits Zimmer-
angebracht sind und der Herdraum in der Mitte bleibt.
Die innere Einrichtung ist eine sehr einfache: an der Wand hinlaufende Bänke,
pritschenartige Schlafstellen (üravet), Kleider- und Vorrathskisten und wohl auch ein
niederer, aus Holz geschnitzter Lehnstuhl als Ehrensitz des Gastes, bilden das gesammte
Ameublement. Über den Trümen des Daches sind einige Fässer und riesige, aus Weiden
geflochtene, mitLehm ausgestrichene Körbe (kmmbari), worin die Wintervorräthe aufgehoben
werden, angebracht.
Bei stattgehabter Vergrößerung des Hausstandes genügt das Haus in der
beschriebenen Form nicht mehr den Ansprüchen, und es wird durch Anbauten erweitert.
Zuerst wird an der einen, dann auch an der anderen Langseite eine Kammer
hinzugebaut, die aber vom Dach in derselben Flucht wie das Hauptgebäude überdeckt
wird, und deren Traufe infolge dessen so nieder ausladet, daß sie den Boden zu berühren
scheint und das Haus auf den ersten Anblick den Eindruck hervorbringt, als bestehe es nur aus
dem Dache.
Zu jedem Wohnhause gehören noch folgende Wirtschaftsgebäude, die alle isolirt
sind: ein Stall, eine Melkerei, ein Kornspeicher (kamkar), eine Scheune (sisoruiLa).
In der Ausführung entsprechen diese Nebengebäude dem Hauptgebäude, in der Größe
den Bedürfnissen. Eigenthümlich gestaltet sind die Kornspeicher, längliche, schmale, auf
Pfühlen stehende Riesenkörbe mit einem hölzernen Sattcldache oder wohl auch runde,
unten verjüngte, oben breite, thurmartige Geflechte, welche oben eine breite Krämpe und
als Dach einen Heuschober erhalten.
331
Das ganze Gehöft wird von einer aus Stangen (vi-I.Ms) gebildeten Umzäunung
eingefaßt, und an den Ecken derselben werden nicht selten, um das Unwetter abzuhalten,
auf hohen Stangen hängende Pferde- oder Stierschädel aufgesteckt, ein Brauch, der
auch bei den Genna- ,
nen üblich war (söge- ? -
nannte Neidstangen),
um Schutz vor Ge- K!
Witter und Hagel zu M
gewähren.
Als Typus
des mohammeda -
nischen Wvhnham
scs dürfen wir weder
das des mohamme
danischcnBancrs, der
sich im Nothfalle auch
mit einem Blockhause
begnügt, wie es sein
christlicher Berufs -
genosse besitzt, noch
jenes des Pascha
annehmen, welches
fremden Einflüssen
und Neuerungen zu -
gänglich war, son -
dern das Wohnhaus
des mohammedani -
schen Bürgers, wel -
cher die Städte be -
wohnt und dort als
Händler, Handwerker
oder von seiner Grundrente lebender Privatier sein beschauliches Dasein führt, -riese
Hausform gestaltete sich im Laufe der Zeit zu einem architektonischen Ganzen, das der
durch Tradition, religiöse Momente und klimatische Verhältnisse bedingten Lebensweise
des Mohammedaners in jeder Beziehung entsprach. Der Mohammedaner, von Natur aus
einer beschaulicheren Lebensweise zuneigend, ist ein großer Naturfreund und besitzt die
Kopfputz aus Srebrenica.
332
Gabe, auck, im dichtesten Straßengewirr einen Punkt ausfindig zu machen, von wo aus
sich ein herrlicher Ausblick darbietet, und darnach wird das zu erbauende Haus onentirt.
Vom religiösen Brauche ausgehend, wonach das Weib fremden Blicken entzogen
bleiben muß, wird das Haus in zwei Theile getheilt; der eine, das Haremlik, dient den
Frauen zum Aufenthalt und ist für jeden Fremden verschlossen, der andere, das
Selamlik, ist die eigentliche Herrenwohnung, wo auch Fremde, nachdem sie am Thore
ihre Ankunft gemeldet und den Frauen hinreichend Zeit gelassen, sich zu verbergen, mit
Wissen des Hausherrn Zutritt haben. In vornehmen Häusern wird diese Zweitheilung
in der Weise durchgeführt, daß ein separates Gebäude an der Straßenfront als Selamlik,
und ein zweites, innen liegendes und vom ersteren durch eine besondere Mauer getrennte?,
als Harem dient. Wo diese weitläufige Anlage nicht durchzuführen war, mußte allerdings
ein Gebäude für beide Theile dienen. In diesem Falle begrenzt eine hohe Mauer die
Straßenseite, wodurch alle Vorgänge, selbst im Hof und Garten, neugierigen Blicken
entzogen werden. Das Haus in seiner typischen Form bildet einen länglichen Mauerkubus
mit sehr flachem, weit Vortragendem Walmdach, das meist mit Hohlziegeln (eoramit) gedeckt
ist. Das untere, von einer massiven Luftziegelmauer umschlossene Geschoß besitzt nur wenige
Lichtpforten. Durch eine in der Mitte der Langseite angebrachte Thür gelangt man in einen
weiten, die ganze Tiefe des Gebäudes einnehmenden Gang, zu dessen linker und rechter
Seite je zwei Räume, die nur über den Gang communiciren, angeordnet sind. Einer von
diesen Räumen dient als Küche, der größte aber als Magaza.
Diese Magaza ist vollkommen feuersicher gebaut, indem sie vom übrigen Holzwerk des
Hauses isolirt ist, an Thüren und Fenstern Eisenläden besitzt und über der Decke eine mächtige
Estrichschichte von gestampftem und mit Kalk versetztem Lehm hat, die bei Fenersgefahr jeden
Brand aushält. Hier werden alle Schätze, und was bei Ausbruch einer Feuersbrnnst zu
retten ist, untergebracht und bei Bränden, nachdem Thür und Fenster verschlossen worden,
ihrem Schicksal überlassen. Es kam selten vor, daß sich diese Magaza nicht bewährt Hütte.
Das untere Geschoß dient gewöhnlich während des strengen Winters zum Aufenthalt.
Die dicken Wände, die schmalen Fenster und Thüren, die niedere Decke und der aus
topfartigen, in Lehm eingebetteten Kacheln gebildete Ofen wehren der Kälte den Einlaß und
die Familie verbringt hier, wenn auch beengt und in drückender Luft, doch vor Kälte
geschützt, den Winter. Im Frühjahr, wenn die Sonne mit ihren warmen Strahlen zur
Herrschaft gelangt, verläßt die Familie dieses Geschoß und zieht in das obere, dessen fast
ununterbrochene Fensterreihe überall Luft und Licht einlaßt. Dieses Stockwerk, zu dem eine
im Hintergründe des breiten Mittelganges angebrachte schmale, von einer dichten Säulen-
brüstnng eingefaßte Treppe führt, ist aus leichtem Riegelwerk gebaut und in der Ein-
theilung durchaus dem unteren ähnlich.
333
Der breite Mittelgcmg, die ckivanbana, bildet in der Regel über dem Eingang einen
mehreckigen, mit Fenstern reichlich ausgestatteten Erker (eo^ak) und dient tagsüber
gewissermaßen als Versammlungs- oder Sprechsaal. Von hier aus gelangt man zu den
beiderseits angeordneten Zimmern, deren Ausstattung eine der Lebensweise durchaus
entsprechende ist. So eng und spärlich die Fenster im Erdgeschoße sind, so verschwenderisch
Han (Emkehrhaus) in Oborci.
werden sie im oberen Geschoße angebracht, wo namentlich an der Stirnseite Fenster an
Fenster steht und mitunter eine wahre Glaswand bildet.
Die innere Ausstattung der Wohnräume ist ebenso originell als zweckmäßig.
An beweglichen Möbeln besitzt der bosnische Mohammedaner wenig. Abgesehen vom
Geschirr, besteht das Inventar aus einer Anzahl oft kostbarer Teppiche, welche jede
Spanne Bodenraum bedecken, dem Bettzeug und etlichen mit Schnitzereien verzierten
Truhen zum Aufbewahren der Schätze und Wäsche. Als Wandschmuck dienen eine
Uhr, ein Spiegel mit Rococoeinfassnng, einige lovlra (Sprnchtafeln) und die Waffen,
welche den größten Stolz des Besitzers bilden. Das übrige Mvbelwerk steht mit der
334
Architektur des Gemaches in Einklang und vereint sich mit ihr zn einem anheimelnden
Ganzen.
Die Zimmerdecke, in der Regel aus Holz und mit Malereien und Schnitzereien
reich verziert, denkt sich der bosnische Architekt als eine Himmelsdecke und schmückt deshalb
das Feld derselben mit einem dichten, aus Stäben gebildeten Sternenmuster. Die Mitte
ziert eine große sechs- oder achteckige Rosette, das Ganze umfaßt eine entsprechend bnite
Bordüre. Die Rosette, gewöhnlich ein mosaikartiges, aus Kehlleisten, gekerbten Steinen
und Metallblättern hergestelltes Ornament, erhält im Mittelpunkte einen stark vorspringenden
getriebenen und vergoldeten Metallknopf. Der Rand der Bordüren und der Rosette erhält
in der Regel als Abschluß ein durchbrochenes Zackenornament mit einer entsprechend
verzierten Schrägleiste.
Die ganze Wand der Eingangsseite des Zimmers nimmt ein bis zum Plafond
reichender Wandschrank, der Dolaf, ein, welcher in der Regel mit vielem Schnitzwerk
verziert ist und dem ganzen, sonst einfachen Gemache ein reiches Gepräge gibt. Unter
diesem Dolaf befindet sich in der Regel in der Mitte der Eingang, gleich daneben der
aus topfartigen, in Lehm gebetteten Kacheln gebildete Ofen und ferner an diesen anschließend
die Banjica, ein enger, unten mit einem Abfluß versehener Raum, welcher zur Vornahme
der rituellen Waschungen dient. Die andere Wandhälfte nehmen ein oder mehrere Verschlüge
mit Gefach ein, welche tagsüber zur Aufnahme der Matratzen und des sonstigen Bettzeuges
dienen (äuSskluü). Die Gliederung der Dolafs am Eingänge bilden Pfeiler, die durch
orientalische Spitzbogen, welche auf Stalaktitenconsolen aufruhen, verbunden sind. Das
Bogendreieck füllt eine reichgeschnitzte Füllung.
Die Füllung der Thürcn an der Banjica und an den Duseklnks ist reich ornamentirt,
in der Regel ein Mosaik von gekerbten Brettchen und Kehlleisten mit Metallrosette».
Neben den Füllungen befindet sich ein breiter, reich durchbrochener Fries, und an diesen
schließt ein an der Stirnkante mit einem Zackenmuster verziertes Etagebrett (rata) an,
welches auch an den übrigen Wänden angebracht ist. Die Ornamentik, welche bei diesen
Dolafs zur Anwendung gelangt, ist unstreitig orientalischen Ursprungs, bildete aber im
Laufe der Zeit einzelne, eigenthümliche Localformen sowohl in der ganzen Anlage, als
auch im Detail, so daß hier eine Stilrichtung zu Tage tritt, welche die reichen Formen
des Orients mit den Motiven der volkstümlichen Holzschnitzerei verschmilzt.
Die Wände sind einfach weiß getüncht, und nur in Prunkgemächern ist über der
Rafa ein breites Friesornament gemalt. An den Wänden befindet sich der eine, oft auch
mehrere Wandlängcn einnehmende minäsr (Divan), ein mit Matratzen, Polstern und
Überwürfen (nralrat) belegtes Holzgestell, dessen Stirnseiten in kleine Schränke (Skrabisa)
ausgehen.
335
Die Fenster der Frauengemücher sind mit einem dichten Holzgitter (irnmekalc) oder
einer aus Gypsmasse gebildeten, reich vrnamentirten, bunt verglasten Blende versehen,
welche den Einblick in das Gemach verwehren.
Dieses Gemach ist Empfangs-, Speise- und Schlafzimmer. Der Gast nimmt,
nachdem ihm Einlaß gewährt wurde, auf dem Minder Platz. Das Mahl wird auf der
Erde um eine große runde Kupfertafel (ckimirlisa), welche auf einem niederen Tischchen
Hercegovinifcher Bauernhof.
(psZIcun) aufliegt, kauernd eingenommen, und Abends werden die Matratzen und Polster
aus dem Dnsekluk geholt und am Boden ausgebreitet. Derart genügt ein Zimmer für
alle Erfordernisse des täglichen Lebens.
„Von der Wiege bis zum Spaten." (Ock bsZika clo mobiles.) — Der Eintritt
in die Welt. — Kindersegen gilt als der größte Segen, den sich ein Ehepaar von Gott
erbittet. Nicht Gold und Gut bilden den Reichthum des Hauses, sondern möglichst viel
Kinder, und Unfruchtbarkeit wird vom Weibe als das größte Unglück, das sie treffen
konnte, empfunden. Die Anschauung, daß ein unfruchtbares Weib ihren Lebenszweck
336
verfehlt hat, wurzelt sv tief, daß in früheren Zeiten dieser Umstand den Mann berechtigte,
auch wenn er Christ war, sich eine zweite Frau zu nehmen, wodurch eine cigenthiimliche
Art von Bigamie entstand. In solchen Fällen mußte aber der Mann jeden ehelichen
Verkehr mit der ersten Frau abbrechen und sie fortan als seine Wahlschwester (possstrima)
behandeln, während die zweite, selbstverständlich kirchlich nicht getraute Frau, in die Rechte
der ersten trat. Solche Fälle von Bigamie, die allerdings selten waren, aber immerhin
vorkamen, wurden vom Volk eher bedauert als verurtheilt.
Um der Kinderlosigkeit zu entgehen, wird manches Mittel und mancher Zauber
angewendet: ja es werden sogar in dieser Hinsicht Proben veranstaltet. Man gibt nämlich
der Frau Wasser, worin das Lab (siriSte) vom Hasen lag, zu trinken. Fühlt die Frau
darnach Schmerzen, so ist sie conceptionsfähig, fühlt sie keine Schmerzen, so wird sie
kinderlos bleiben.
Zur Förderung der Conceptionsfähigkeit werden Pflanzenabsude vom Dillenkraut,
Johanniskraut und Königssalbei verabreicht. Es kommen aber auch Zauberinittel zur
Anwendung; so wird unfruchtbaren Weibern empfohlen, aus dem Munde einer Schwangeren
über einen Zaun hinweg Brod zu genießen, oder bei Sonnenuntergang am Sonntage nach
Neumond auf einen Baum zu klettern, dort drei in der Frucht der Heckenrose gefundene
Würmer zu verschlingen und dreimal die Worte zu sprechen: „Die Sonne geht hinter den
Berg, und ich komme in die Hoffnung." (Suncw rmgje 2a brcko a ja u brems.) Will
eine Frau Knaben gebären, so ergreift sie auf fremdem Acker den Pflug, leitet ihn bergauf
und spricht: „Ein Ochse nach dem andern, ein Sohn nach dem andern." (Vü 2a volom,
sin 29, sinom.)
Fühlt sich eine Frau schwanger, so ist es ihr nächstes Interesse, zu erfahren, ob die
Leibesfrucht ein Knabe oder ein Mädchen wird, und auch hier hat der Aberglaube manches
Mittel au die Hand gegeben, um sich Gewißheit zu verschaffen. Man versteckt in verschiedene
Ecken des Zimmers eine Gewehrkugel und eine Scheere und beobachtet, in welche Ecke sich
die junge Frau setzt. Die Kugel sagt den Knaben, die Scheere das Mädchen voraus.
Während der Schwangerschaft muß sich die Frau wohl in Acht nehmen; denn nach
dem Volksaberglauben lauern Tausende von Gefahren ihrer Leibesfrucht ans. Ebenso zahl -
reich sind die Verhaltungsmaßregeln, die sie während dieser Zeit beobachten muß, und
es würde einen Band füllen, wollte man sie alle niederschreiben.
Eine Frau in gesegneten Umständen genießt im Volke besondere Achtung. Jeder
erfüllbare Wunsch wird ihr gewährt, da ein Versagen der Leibesfrucht Schaden bringen
würde, und es ist ihr öfters gestattet, von der Arbeit, zu der eine Landfrau verurtheilt ist,
auszuruhen. Durch die Entbindung wird die Frau überhaupt erst zum Weibe und erfüllt
ihren eigentlichen Lebenszweck.
337
Obwohl man der hoffnungsvollen Frau nichts versagen darf, so muß sie sich selbst
umsomehr versageu: sie darf auf keine Blutflecken treten, weil sonst das Kind fleckig wird; sie
darf keine Fische essen, weil es sonst stumm wird, sie darf kein von Vögeln oder Schlangen
angebissenes oder von Wölfen angefressenes Fleisch und auch kein Brod, das auf der Reise
war, genieße», sie darf weder baden, noch sich Zähne reißen lassen u. s. w. und will sie
nicht bald abermals in die Hoffnung kommen, so darf sie auch keine fremden Kinder küssen.
Ist die Zeit der Entbindung herangekommen, so sieht sie dem schmerzlichen Momente
gelassen entgegen. Griechische Autoren berichteten mit Bewunderung, daß illyrische Weiber
Besuch bei einer mohammedanischen Wöchnerin.
im Walde ohne fremde Hilfe Kinder gebären. Auch heute noch sind Fülle häufig, daß das
Weib im Walde von Wehen überrascht wird und daun mit dem Kinde auf dem Arme
und einer Last Holz auf dem Rücken nach Hause kommt. Bezeichnend ist es, daß das Volk
die Geburtsanzeige mit den Worten: .bluslo mi so äijsto" (Ein Kind wurde mir
gefunden) einleitet. Dieses Geheimhalten der Entbindung soll die Wehen erleichtern und
dem Kinde förderlich sein. Auch im Hause werden mit der Wöchnerin wenig Umstände
gemacht. Irgend eine Frau des Hauses verrichtet die Dienste der Hebamme «bubieu) und
besorgt, was dem Kinde im ersten Lebensmomente noth thut. Der Entbindung sieht die
junge Mutter liegend entgegen, in schweren Füllen aber knieend oder gebückt.
Bosnien und Hercegovina.
338
Ganz abweichend von der weit verbreiteten Anschauung, daß die Gebärmutter ein
selbständiges Lebewesen sei, glaubt der Bosnier, daß sie ein dreitheiliger Schrank sei. Im
ersten Fach reifen die Frühgeburten, im zweiten die normal ansgetrngenen, im dritten
endlich die Spätgeburten.
Die Nachgeburt (poKsteäak, pomotaü, rocistja) wird sorgfältig vergraben oder in
fließendes Wasser geworfen. Will man verhüten, daß die junge Mutter bald wieder
schwanger wird, so wird der Mutterkuchen geviertheilt und in einen Strumpf gebunden.
Die Schonung, die sich eine Wöchnerin gönnt, ist nicht gar groß. Häufig verläßt sie
schon nach drei Tagen das Bett, um ihrer gewöhnlichen Arbeit nachzngehen, und doch
hört man selten von üblen Folgen dieses leichtsinnigen Vorganges.
Das neugeborene Kind wird einer Reihe von Procednren unterzogen, die unseren
Anschauungen theilweise fremd sind. Die „UabioeU durchschneidet die Nabelschnur mit
einein Messer und niemals mit der Scheere, da sonst die Wöchnerin nur noch Mädchen
gebären könnte, was durchaus nicht wünschenswertst ist, denn nach dem Volksspruch ist
es besser, einen tobten Sohn zur Welt zu bringen, als eine lebende Tochter. Die Nabel -
schnur wird mit einer rothen Seidenschnur abgebunden, sodann ein Stück Wachstaffet
darüber gelegt und aus einem weichen Leinenwulst ein Ring darum gelegt, das Ganze
aber mit einem um den Körper geschlungenen Bande festgehalten.
Das erste Bad, welches das Kind sofort nach der Geburt erhält, wird oft durch ein
Glas Wein verstärkt. Die erste Toilette des Kindes besteht aus dem genannten Verbände,
einem Hemdchen, Käppchen und den Einhüllungen (povoj), welche aus einer weichen
Unterlage (pockmetaü), den Windeln (peleira) und dem Umschlagtuch (povoj) besteht.
Diese Stücke sind zumeist aus Wolle. Jedes Kind trägt durch 40 Tage eine feste Kopf -
binde, damit es „gesünder" werde und einen „kleinen Mund" bekäme, was an das künst -
liche Zusammenpressen des weichen Kinderschädels bei einzelnen Urvölkern erinnert. Diese
Binde besteht ans einem Umschläge, welcher vom Scheitel unter das Kinn gezogen wird
und, festgebnnden, den Kopf flach drückt (poäbraclak).
Kinderjahre. — Nun wird das Kind neben die Mutter gelegt und bleibt neben
ihr mindestens drei Tage. Das Lager des Kindes wird auf eigenthümliche Weise bereitet:
zwei Wollkrempeln (grobem) werden derart auf den Boden gelegt, daß die Zähne der
Krempeln einander zugekehrt, die Stiele aber uach oben gerichtet sind. Zwischen beide
Krempeln und auf die Zähne wird der Kopfpolster des Kindes gelegt. Auf die beiden
Stiele wird ein halbkreisförmig gewundener knospender Ast fest gebunden und daran
die Decke gehängt. Erst nach Ablauf einiger Tage wird das Kind in die niedere, stets sorg -
fältig überdeckte Wiege gelegt und zum erstenmale von einem Knaben gewiegt. Bis zur
Taufe darf das Kind nicht außer Haus gebracht werden.
336
22*
Den Namen erhält es schon vor der Taufe (mrainonovanss), die kirchliche
Taufe wird aber erst nach 14 Tagen oder beim nächsten Besuche des Pfarrers
vorgenommen. In abge -
legenen Gegenden, wo
selten ein Geistlicher vor -
sprach, kam cs öfters
vor, daß man die Taufe
so lange verschob, bis
das Kind selbst zur Kir -
che gehen konnte.
Der Taufpathe gilt
vom Tage der Taufe
als Verwandter, und es
bildet diese Verwandt -
schaft so wie die Bluts -
verwandtschaft ein Ehe-
hinderniß. Zum Tauf-
pathen wird gewöhnlich
der Trauzeuge gebeten,
und derselbe functionirt
auch bei späteren Gele -
genheiten als solcher.
DerPathe beschenkt
nach der Taufe sein
Pathenkind mit Geld
und erhält von der
Mutter als Boscaluk
von ihr gestickte Wäsche.
War der Täufling ein
Mädchen, so versteckt
der Pathe mährend des
Tanfactes unter dem
Gürtel das Gewicht vom Wagebalken, und beim Nachhausegehen trägt er die Beschnhung
verkehrt, damit das nächste Kind ein Knabe werde. Wenn in einer Familie häufig
Kinder sterben, so vermuthet man, daß der Pathe nichts tauge, und nimmt an seiner
Stelle einen anderen.
Katholik aus Mittelbosnien.
340
Unter der Obhut der Mutter und der jüngeren Geschwister wächst das Kind heran
und wird schon in der zartesten Jugend gegen Witterung und Entbehrung abgehärtet.
Die ersten Jahre des Kiudesalters sind auf dem Lande wahre Probejahre; wer sie
übersteht, ist fürs ganze Leben gestählt. Schon nach Ablauf weniger Wochen erhält das
Kind neben Muttermilch die gewöhnliche schwere Kost des Erwachsenen. Stunden ver -
bringt es, um mit dem zahnlosen Mund ein Stückchen harten Brodes zu zerkauen, und
bei grimmiger Kälte im Regen und Sturm sieht man oft die Kinder halbnackt vor der
Hausthüre kriechen. Die Mutterbrust erhält es ein ganzes Jahr; oft aber stillen die
Mütter theils aus übertriebener Zärtlichkeit, theils um nicht wieder zu rasch in die
Hoffnung zu kommen, jahrelang ihre Kinder, ja es werden Fälle berichtet, daß Burschen
von der Mutterbrust zur Hochzeit gingen. Kaum daß die Kinder kräftig auf den Füßen
stehen gelernt haben und sich ihr Denkvermögen entwickelt hat, werden sie zur Arbeitsleistung
herangezogen. Mit 5 bis 6 Jahren werden sie bereits Hirten und ihrer Obhut werden
vorerst Kälber und Kitze anvertraut, später das Kleinvieh und dann das Großvieh.
Früh Morgens, nachdem die Planinka die Herde gemolken, zieht die kleine Hirten -
schaar aus und verbringt den Tag auf weiter Flur. Die Zeit wird dabei nützlich vertrieben,
die Mädchen spinnen und stricken, die Knaben schnitzen zierliche Gegenstände. Eine ein -
fache Flöte (svirala.) oder eine Doppelflöte (ävojnioa) führt der Hirt stets mit sich
und treibt, trillernde Weisen spielend, seine Herde vor sich her.
Um die Mittagszeit, wenn die Herde kühle schattige Plätze zum Wiederkäuen auf -
sucht, lagern die Hirten um ein Feuer und nehmen die mitgebrachte Mahlzeit ein, welche
aus einem Stück Maisbrod oder Jara (Kornbrod aus undurchsiebtem Mehl), einem
Stückchen Käse und einem Trunk Quellwasser besteht. Unter Sang und Spiel vergeht der
übrige Theil der Ruhepause, und wenn die Sonne zum Westen neigt, kehrt die Herde mit
den kleinen Hütern heim.
Nachdem die Herde abermals gemolken wurde, wird sie in die Hürden getrieben, um
dort unter der Obhut eines erwachsenen Hirten zu übernachten. Dieser schläft in einer
engen, zeltförmigen, aus Brettern gebildeten und auf einem Schlitten ruhenden, trans -
portablen Hütte, von wo aus er jeden verdächtigen Laut hören und beim Herannahen
von Raubwild Lärm schlagen kann. Nicht selten haben hier halbwüchsige Knaben Wölfen
oder Bären das geraubte Lamm oder Rind abgerungen.
Zur Obliegenheit des Hirten gehört es auch, alle acht Tage die Hürden abzubrechcn
und ein Stück weiter aufzuschlagen, damit möglichst viel Acker gedüngt werde.
Pubertät. — Der Eintritt in das reifere Knabenalter ist ein Moment, den alle
Naturvölker mit einer gewissen Weihe erwarten und entsprechend feiern. In Bosnien und
der Hercegovina wird diese neue Phase im menschlichen Dasein nach altem Brauche gefeiert.
341
Bei den Mohammedanern besteht der im ganzen Oriente übliche Brauch der
Circumcision, welche gewöhnlich im sechsten Jahre vorgenommen wird, und jetzt rein
Das Tätowircn.
Sache der Religion ist. Anders ist es mit dem Brauche des Kopfscheerens, welchem
beim Eintritte der reiferen Knabenjahre Angehörige aller Confessionen huldigen.
Die Kinder tragen nämlich ihr Haar in langen Locken, und erst wenn sie das
Knabenalter erreichen, wird die erste Schur vorgenommen. Hiezu wird wie bei der Taufe
ein Pathe gerufen, der sein Mündel auf den Schoß nimmt. Die Hausfrau reicht sodann
342
dem Pathen auf einem Teller die Scheere, und er schneidet damit, wenn er nicht genügend
geschickt ist, den ganzen Kopf zu scheeren, mindestens drei Schöpfe ab und wirft das Haar
in den Teller. Ein Hausgenosse wirft das Haar sodann weg. Nach beendigter Procednr
küßt der Pathe sein Mündel und beschenkt es. Diese Pathenschaft nennt das Volk die
Schurpathenschaft (Sisano ünirmtvo). Die Wichtigkeit der Ceremonie erhellt daraus, daß
die Bande der Schurpathenschaft ebenso heilig sind, wie die der Taufpathenschaft, und ein
Ehehinderniß bilden. Das Volk schreibt der Schurpathenschaft noch die besondere Kraft
zu, Krankheiten zu bannen. Wird ein Kind schwer krank und bringt kein Mittel Linderung,
so trägt es der Vater vor das Hausthor und bittet den erstbesten Vorübergehenden zum
Schurpathen, ohne Rücksicht auf dessen Religion. Der Fremde folgt der Einladung und
vollzieht die Ceremonie, die dem Kinde das Leben retten soll.
Auch der Eintritt der Pubertät wird in einzelnen Volkskreisen nach althergebrachter
Sitte gefeiert. Diese Feier besteht in der Vornahme von Tätowirungen, und diesem
Brauche huldigen ausschließlich nur Katholiken. Nach der gegenwärtigen Volksauffassung
gilt die Tätowirung als äußeres Zeichen der Zugehörigkeit zur römischen Kirche, und die
Tätowirungen selbst heißen „Kreuzchen" (üriLsvi), da sie aus kleinen kreuzartigen Orna -
menten gebildet sind. Man ist im Volke der Meinung, daß eine Tätowirung unverwischbar
ist und selbst wenn man sie ausschneidet doch wieder zum Vorschein kommt. Da aber die
mohammedanischen Beherrscher des Landes das Kreuzeszeichen perhorrescirten, so bildete
die Tätowirung ein Hinderniß oder erschwerte es, daß Mohammedaner Katholikinnen zu
Frauen nahmen, oder daß Katholiken zum Islam übertraten, denn die durch Tätowirung
Gezeichneten konnten ihre väterliche Religion nicht verleugnen.
So meinte das Volk, daß die Entstehung der Tätowirung auf die katholische
Geistlichkeit zurückzuführen sei, welche dadurch ihren Gläubigen den Abfall von der
Religion erschweren wollte. Allein Mehreres spricht gegen diese Annahme und weist auf
einen viel älteren Ursprung hin; zunächst der Umstand, daß die Geistlichkeit dem Brauche
ganz ferne steht und mitunter dagegen eifert, vor Allem aber, daß unter den ornamentalen
Motiven außer dem Kreuze, christliche, namentlich katholische Symbole fehlen. Wohl
kommen in der Umgebung einiger Klöster Monogramme Christi vor, aber ihr Ursprung
läßt sich in sehr junge Zeit verlegen.
Die Procednr des Tätowirens lassen sowohl Knaben als Mädchen über sich ergehen,
und zwar wird damit im Alter von 12 bis 16 Jahren begonnen, also in jenem Stadium,
wo die Pubertät gewöhnlich eintritt.
Das Tätowiren wird stets im Frühling, „wenn die Bäume blühen", vorgenommen,
und das Volk gibt als die geeigneten Tage den Palmsonntag und die Charwoche
an; aber in den meisten Fällen wurde sie am St. Josephi-Tage, also am Vorabend
343
Muster von Tätowinmgeu.
der Frühlings- Tag- und Nacht -
gleiche vorgenommen. Dieser Umstand
führt uns auf Anschauungen einer
Naturreligion, die mit dem Christen -
thum in keinerlei Zusammenhangstehen.
Greisen wir, um den Ursprung
des Brauches zu erklären, in die
historische Vergangenheit des Volkes,
so können wir constatiren, daß er
weder slavisch ist, noch von irgend
einem anderen uns geschichtlich näher
bekannten Volke, welches Bosnien und
die Hercegovina bewohnte, herrührt.
Erst bei den Urvölkern der Balkan-
Halbinsel finden wir diesen Brauch
allgemein über das ganze Gebiet von
der Adria bis zur Donau verbreitet.
Die seythischen Agathyrsen, die Daker
und Thrakier tätowirten sich, um ihre
Stammesangehörigkeit und ihren Adel
ersichtlich zu machen, und trugen
gewissermaßen ihr Wappen am Körper
zur Schau. Dio Chrysostomns erwähnt
namentlich die thrakischen Frauen, die
stolz auf ihre schöne Tätowirung waren
244
und sich damit schöner und vornehmer dünkten. Wie diese Völker, huldigten nach Strabo
auch ihre westlichen Nachbarn, die Illyrier, die Ursasscn Bosniens und der Hercegovina,
diesem Brauche, und wie noch manch andere ethnische Reminiscenz von ihnen auf die
Gegenwart vererbt ist, so können wir auch den Ursprung der bosnischen Tätowirung
hier vermuthen.
Die Tätowirung wird mit einer gewissen Feierlichkeit vvrgenommen. Die Jugend
versammelt sich Morgens und beginnt in fröhlicher Stimmung die schmerzliche Procedur.
Als Werkzeug dient eine gröbere Nähnadel, als Farbe eine Tusche, die aus dem auf einem
Blechdeckel aufgefangenen Kienruß mit Speichel oder Honigwasser angerieben wird. Statt
dessen wird auch Pulver oder aber käufliche Tusche (mrnwcek), deren sich die Moham -
medaner bedienen, verwendet. Das Ornament wird mit dem stumpfen Ende der Nadel
aufgetragen, und so oft die Zeichnung einzutrocknen beginnt, wird frische Tusche aufge -
tragen. Nun beginnt das Tätowiren, indem mit der Spitze der Nadel durch unzählige
Stiche das Ornament in die Epidermis getrieben wird. Wenn der Schmerz den Patienten
überwältigt, hört man mit der Procedur auf und verbindet den Arm, damit die Wunde
verheile, was unter normalen Verhältnissen rasch vor sich geht.
Die Tätowirung wird hauptsächlich am Handrücken, am Unterarm, Oberarm, an
der Brust und der Stirne angebracht, und ist oft so reich, daß man darunter kaum die
ursprüngliche Hautfarbe erkennt. Die verwendeten Ornamente bilden eine Serie eigen -
tümlicher, conventioneller Motive, die in der Ausführung oft sehr reich sind, in der
Bedeutung und Anwendungsweise aber immer gleich bleiben.
Das einfachste ist das Kreuz (üriL), dessen Arme stets gleich lang und in
der Regel durch kleine Striche oder Halbkreise verziert sind; diese Verzierungen stellen
Tannenknospen dar und heißen deshalb Tannenkreuze (selieiir üriLiä). Das
Kreuz wird am Rücken des Zeigefingers als Mittelpunkt größerer ornamentaler
Kompositionen oder als Füllornament zum Ausfüllen leerer Flächen verwendet.
Ein von einem mehr oder minder reich verzierten Kreise umschlossenes Kreuz heißt
Kolo (Ring). Besitzt es an der Peripherie eine Reihe schaufelartig gekrümmter Linien,
so nennt man es Mühlrad. Das Kolo-Ornament wird am Handrücken, am Oberarm
und an der Brust mit besonderer Sorgfalt tätowirt.
Ein oben offener Halbkreis heißt O^r-uckn (die Umzäunung) und wird ausschließlich
am Handrücken, die offene Seite dem Armgelenke zugekehrt getragen. Oft erscheint
es verdoppelt, indem zwei solche Ringe einander zugekehrt und durch eine Linie
abgegrenzt sind.
Besonders reich gestaltet sich der Schmuck des Handgelenkes, welcher aus einem
oder mehrerne verzierten Bändern besteht, die das Gelenk umschließen und nur an der
345
Unterseite zur Schonung der Pulsadern offen bleiben. Das Motiv wird als Armband
(naruüviea) bezeichnet und überdeckt das Gelenk nicht selten in einer Breite von
10 Centimetern. Weitere Motive sind der Tannenzweig (soliea) und die Ähre (klas),
welche am Unter- oder Oberarm, und zwar zumeist an der Seite so angebracht werden,
daß die Längsachse der Motive mit der des Armes parallel ist. Außer diesen Motiven
kommen noch vor: die Sonne (sunee), der Mond (injosoe), der Morgenstern
(proiroäiUea) und der einfache Stern istvij6?äa). Alle sind conventionell anfgesaßt
und haben mit Ausnahme des Kreuzes, welches aber gerade bei den Tätowirungen aller
Volker eine große ornamentale Rolle spielt, mit christlich-religiösen Begriffen nichts gemein,
so daß wir sie auf eine ältere und urthümlichere Tradition zurückführen dürfen.
Der Unterricht. — Das vvlksthümliche Unterrichtswesen in Bosnien und der
Hercegovina war vor der Occupation ein durchaus primitives. Die praktischen Arbeiten
lernte das Kind praktisch, indem es früh zur Arbeit angehalten wurde. Beten lernte es
von der Mutter, welche sich damit begnügte, ihm einige kurze Gebete beizubringen.
Für die übrigen geistigen Bedürfnisse sorgten einige wenige Pfarr- und Klosterschulen,
die aber in ihren an die Schüler gestellten Anforderungen sehr bescheiden und vom
Schüler befriedigt waren, wenn er etwas buchstabiren und zur Noth seinen Namen
schreiben konnte.
Und doch hatte das Volk von seinen Vorvätern eine besondere Schriftart ererbt und
eigenthümlich ausgebildet. Diese Schrift, deren sich sowohl die Christen als auch die
Mohammedaner bedienten, entwickelte sich aus jenen Charakteren, welche die bosnischen
Großen im Mittelalter auf ihren kolossalen Steingrabmälern benützten. Sie wurde dem
Kinde nicht in der Schule beigebracht, sondern vom Vater gelehrt, und in vornehmen
mohammedanischen Häusern gab es ähnlich wie in Alt-Griechenland schreibkundige wiener,
zu deren Obliegenheit es gehörte, die Uosanoiea den Kindern beiznbringen. Von diesem
Schreibunterrichte waren selbst Mädchen nicht ausgeschlossen, und es ist diev die einzige
Schriftart, welche auch Mohammedanerinnen beigebracht wurde. Das Aufsehen dieser
Schrift ist ein ziemlich eomplicirtes, doch besteht jedes einzelne Zeichen aus den einfachsten
Elementen.
Vor hundert Jahren war diese Schrift in den katholischen Klöstern noch offieiell
und damit wurden alle Register, Matrikeln, Jnventare w. geführt; dann aber wurde sie
durch die Lateinschrift verdrängt. Heute wird sie noch von den Begs der Hercegovina und
der Krajina benützt.
Ebenso wie der Schreibunterricht, war auch der Rechennnterricht primitiv. Dian
lernte zuerst nach den Fingern und dann im Kopfe rechnen, wobei die Leistungen oft
erstaunliche sind.
346
Eines der häufigsten Behelfe beim Rechnen ist das Kerbholz (ruboS, rovaL),
dessen sich das Landvolk noch heute bedient. Es ist ein vierkantig zugeschnitzter Stab, in
welchen mittels eines Messers die Zahlzeichen eingeschnitten werden. Diese bestehen aus
Punkten, aus geraden und schrägen Strichen und aus Kreuzen, die Striche und Kreuze
aus einfachen Einschnitten oder aus breiteren Einkerbungen, in welchem Falle dann der
Werth des Zahlzeichens sich verdoppelt.
Die verwendeten Zahlzeichen sind folgende:
--1 6
... ^3 -- 8
--4 9
1 --5 , ^10
>. 11 / --- 50
— 16 / 100
> > 20 x 500
>>> ---30 x--1000
IlII-40
Wie daraus zu ersehen ist, liegt diesem Ziffersystem dasselbe Princip zu Grunde
wie dem römischen.
Auf dem Kerbholze werden alle größeren Rechnungen erledigt, es dient dem Haus -
herrn znm Notaren seiner Einkünfte, dem Händler bei der Buchführung, und wenn die
Hirten im Sommer mit der Herde auf längere Zeit auf die Alm ziehen, machen sie sich
zu ihrer Orientirung am Kerbholze einen Kalender, wo die geraden Striche die Werktage,
die schrägen aber die Feiertage bedeuten. Jeden Tag wird dann der entsprechende
Einschnitt vom Kerbholz abgeschuitten.
Liebe und Freun dsch aft. — Mit 14 Jahren gilt der Knabe bereits als erwachsener
Bursche, dem es zwar noch nicht gestattet ist, in der Wirthschaft mitzureden, der aber umso
fleißiger Mitarbeiten darf. In dieses Lebensalter füllt der Zeitpunkt, wo sich das menschliche
Herz neuenGefühlen erschließt, wo es sich nach einer gleichgesinnten Seele sehnt, und Freund -
schaft und Liebe sind auch hier die Herzensäußerungen, welche das Jugendalter verklären.
Die Freundschaft wird nach der Volksanschauung noch höher geschätzt als die Liebe,
die schließlich als etwas Selbstverständliches aufgefaßt wird. Freundschaft in ihrer höchsten
Ausbildung gestaltet sich zu einem besonderen Verhältnisse, das sonst fernstehende Personen
aneinander knüpft, dessen Bande ebenso heilig sind, wie die der Blutsverwandtschaft
und vielleicht noch fester als die der Ehe gehalten werden. Dieses Verhültniß ist das
Pobratimstvo — die Wahlbruderschaft.
Das Pobratimstvo kommt bei allen Südslaven vor, es wird überall heilig gehalten
und spielte im geselligen Leben einst eine hervorragende Rolle, da ein Wahlbruder für den
anderen einstehen mußte wie für den eigenen.
Was wir von der Wahlbruderschaft aus Bosnien berichten können, bezieht sich
auf einzelne Localformen, die anderswo nicht bekannt sind. Vor Allem wird hier die
Costüme aus Ober- >md Mittelbosmen.
348
Wahlbruderschaft oder auch Wahlschwesterschaft durch Blut besiegelt. Beide Theile, die
sich zu verbrüdern gedenken, ritzen sich den Oberarm auf, damit Blut hervorquillt, lassen
das Blut in ein Wein- oder Wasserglas tropfen, wo es sich mischt, und trinken, indem
sie den Schwur der Brudertreue leisten, jeder etwas davon. Vereinfacht wird die Procedur,
indem sie sich gegenseitig einen Tropfen Blut aus der Ritzwunde aussaugen. Häufig wurde
der Verbrüderungsact in der Kirche gefeiert, wobei der Eid in die Hände des Geistlichen
abgelegt wurde, wie dies einige in alten Gebetbüchern erhaltene Schwurformeln beweisen.
Das Verhältniß der Verbrüderten ist ein solches, daß die Beiden die Pflicht haben,
einander in Freud und Leid zu unterstützen; sie müssen, und koste es das Leben, für ein -
ander eintreten. Auch diese Wahlverwandtschaft bildet ein Ehehinderniß.
In Bosnien sind solche Wahlverwandtschaften in allen Volkskreisen und selbst
zwischen Verschiedengläubigen gebräuchlich. Es kommen aber auch Verbrüderungen
zwischen Burschen und Mädchen vor, was besonders dann der Fall ist, wenn sie aus
irgend einem Grunde gezwungen sind, ihrer Liebe zu entsagen.
Wie tief die Anschauungen über das Verbrüderungsverhältniß in der Volksseele
wurzeln, geht daraus hervor, daß es eine besondere Art des Pobratimstvo, das
,?odrutimstvo ri snn" (Verbrüderung im Traume) gibt. Träumt nämlich Jemandem,
daß er sich verbrüdert habe, so theilt er dem Betreffenden seinen Traum mit, und dieser
Traum allein gilt soviel wie eine factisch abgeschlossene Verbrüderung.
Diese Anschauung findet sich besonders bei den Mohammedanerinnen. Träumt einer
Frau, es habe jemand getrachtet, ihr Gewalt anzuthun, und sie habe in ihrer Angst einen
Bekannten mit dem Rufe ,po doAn bruto ponio^i" zur Hilfe gerufen, so betrachtet
sie sich als die ? o so s tri mu (Wahlschwester) des zur Hilfe Gerufenen. Sie wird Morgens
den Traum ihrem Manne mittheilen, welcher dann die Giltigkeit der „Verbrüderung im
Traume" anzuerkennen hat. In diesem Falle gilt der Pobratim als Verwandter, vor dem
sich die Frau nicht verhüllen darf.
Das durch das Pobratimstvo geschaffene verwandtschaftliche Verhältniß wird auch
auf die nächsten Verwandten der beiden Theile übertragen, und der Vater des Wahl -
bruders heißt poooiim (Halbvater), die Mutter potninujüu (Halbmutter).
Liebeszauber. — Das Dasein des bosnischen Landmädchens fließt unter viel
Arbeit und wenig Erholung ziemlich monoton dahin. Schon in frühester Jugend werden
auch die Mädchen herangezogen, um, was ihre schwachen Kräfte leisten können, zum
gemeinsamen Haushalt beizutragen. Erst werden sie Hirtinnen und hüten Schafe und
Ziegen, dann werden sie zur häuslichen Arbeit herangezogen und müssen beim Waschen,
Kochen, Scheuern u. s. w. den Weibern helfen. Stricken und Spinnen füllt die übrige Zeit
des Tages aus.
249
Zu Jungfrauen herangewachsen, werden sie, obwohl sie oft die freiesten Gespräche
Erwachsener ohne Erröthen anhören, zur größten Keuschheit und Sittlichkeit herangezogen
und können in dieser Beziehung als Muster hingestellt werden. Die Müdchenehre ist das
thenerste Gut, welches sie besitzen, und das wissen sie standhaft zu vertheidigen.
Im Geiste der Volkstraditionen erzogen, erfahren sie früh, was die Bestimmung des
Weibes sei, und ihr ganzes Sinnen geht darnach, möglichst bald an den Mann zu kommen.
Und trotzdem dürfen sie es nicht wagen, durch Koketterie oder Entgegenkommen ihr Ziel
zu erreichen. Sie wissen recht gut, daß, wie sich auch ihr Herz entscheiden mag, doch nur
der Wille des Vaters ausschlaggebend ist, und da sie keine anderen Mittel zur Erreichung
ihres Zieles anwenden dürfen, behelfen sie sich mit Beschwörungen und mit Liebeszauber.
So wie den modernen Mädchen die Blumen- und Fächersprache ein eigenes Studium
bildet, so ist es der Liebeszauber dem bosnischen Landmüdchen.
Besonders ist der St. Georgstag diesem Zauber gewidmet, und die Formeln, mit
welchen das Schicksal beschworen wird, dem Mädchen möglichst bald einen Mann nach
ihrem Sinne zu bescheercn, sind sehr zahlreich. Schon am Vorabend des Festtages suchen
Mädchen einen Ameisenhügel auf, bringen ihn nach Hanse, werfen ihn auf die Traufe, und
sprechen dreimal den Spruch: „die Ameisen aufs Haus, die Hochzeiter ins Haus." (Llravi
cu: lluöu, svutovi u Icuou.) Am Georgstage früh Morgens vor Tagesgrauen
schleicht das Mädchen zum Bache oder zur Quelle, entkleidet sich und spricht, nach dem
klaren Bade zur Sonne gekehrt: „Ich badete in meinem Glauben, vor Gottes c^ohn (d. i.
der Sonne) und dem Morgenstern, der Weltpupille." (-ln so nmik svosim ckinom, ko/.sim
smom, ^viso^ckom ckumoom, svo^u svsiota ^omcom.) Dann kleidet sie sich an und spricht:
„Ich kleide Weiß ans Roth, ich bezaubere Klein und Groß, wie die Biene bei der Frucht,
so sei der Liebste bei Besuch!" <4u oduüolr disolo iru rumoiro, su pomamili mulo i
Aolomo. lcalco pökln PO rockri, laleo ckruAi inr polroäu.) Das Kämmen nimmt sic nun im
Garten vor einem Zwiebelbeet auf einem Seile und auf einem Wäscheklopfer stehend vor,
damit das Haar „so breit wie ein Wäscheklopfer und so lang wie ein Seil" werde. Wenn
sie mit der Toilette fertig ist und in den Kreis der anderen Mädchen tritt, murmelt sie
den Wunsch: „In Flur und Wald die Schafe, und auch mich beschien die Sonne; der
Liebste aber denke nicht an den Wald, sondern an mich, wie an die Waldfee. (l o lic ackum
i gorumu ovoo, 1 mono so olrassalo suirco: ml mrav ära^i ?u goiu, voö 2a mo, Icao
2u 8orsku vilr,.) Dann werden sich die Mädchen mit den Händen wohl auch an der
Dachkante (Traufenkante) sesthalten und schaukeln und den Spruch hersagen: ,,^ch rüttle
nicht an der Traufe, sondern an meinem Glücke. Es entzünde sich weder das Gras auf
Erden, noch im Walde das Blatt, noch am Wasser der Schaum, sondern meines Liebsten
Herz und Lunge nach mir!" (Xk ckrmam.su Ztrekom, voe svosom sroeom: ml so
350
rnrpali nu Lsnrlji lraviou, rät ri ^ori list, irlt na vockl pjeirieu, voö ^u inirom clru^og
sreo i ämAsriou.)
Eine andere Art des Liebeszaubers besteht darin, daß das Mädchen den Burschen,
welchen sie sich zum Mann wünscht, durch den Haken eines Vorhängeschlosses anblickt, dieses
absperrt und an einem Kreuzwege verbirgt; oder es lauert ihm, wenn er des Weges daher
geht, auf, indem es zu beiden Seiten des Weges Schloß und Schlüssel legt, und wenn er
vorüber ist, das Schloß versperrt und Schlüssel und Schloß in einen Fluß wirft, damit
es niemals geöffnet werden kann.
Am St. Georgsfestc werden auch Liebesorakel befragt. Will das Mädchen erfahren,
in welcher Richtung cs heiraten werde, so übersetzt es am Vorabend eine Nessel auf einen
anderenPlatz und schließt Morgens aus derNeigung, die sie genommen, auf die Richtung des
Hochzeitszuges. Ist die Nessel geknickt, so steht dem Mädchen der Tod als Bräutigam bevor.
Auch wird an die Thürklinke am Vorabend eine Schnur gebunden und tritt Morgens als Erster
ein Bursche ein und zerreißt die Schnur, so wird das Mädchen im selben Jahre heiraten.
Die Richtung, in welcher ein Mädchen ausheiratcn soll, wird auch durch folgendes Orakel
ergründet. Früh Morgens nimmt es eine Schüssel mit etwas Pulver ans den Kopf und dieses
wird entzündet. Die Richtung des Pulverdampfes zeigt die Richtung des künftigen Heims an.
Um eines Mannes Sinnen und Trachten an sich zu fesseln, wird das Mädchen, ohne
daß er es weiß, eine Fledermaus dreimal um ihn tragen, oder es verschafft sich ein Stück
Stoff von seinen Kleidern, bindet hinein etwas Erde von einer Stelle, die er mit den,
rechten Fuß berührt hat, und trügt es im Busen. Auch Haaramulette sind gebräuchlich.
Oder man nimmt etwas Erde vom elterlichen Grabe und wirft sie dem Geliebten am
Vorabend St. Georgi aufs Dach.
Eine besondere Art der Liebeszauber bilden jene Formeln, womit sich verliebte
Mädchen das Erscheinen des Geliebten im Traume zu erwirken suchen.
Wenn ein Mädchen die Kette für den Webestuhl spannt, mißt sie absichtlich deren
Länge nicht ab, um dann das fertige Stück Gewebe zum Zauber zu verwenden. Am Abend,
wo sie die Erscheinung des Geliebten wünscht, zerkaut sie während des Abendmahls drei
Bissen Brot, welche sie dann heimlich aus dem Munde in die Tasche schafft. Wenn sie zu
Bett geht, benützt sie das fertig gewebte Stück Stoff als Kopfpolster und nimmt Messer,
Gabel und Löffel, jene drei Bissen und etwas Salz an sich und spricht:
„Gott sende mir meinen Erwählten,
Damit wir Brot und Salz theiten
Und die Hochzeitskleider zuschneiden.
Ist er im Walde — hier eine Hacke (Messer),
Ist er aui der Wiese — hier eine Gabel,
Ist er über dem Wasser — hier ein Ruder."
(Lore poshi m»AL suFssiuka,
Da raseäuo ssclsmo Irtjsbu i soll,
i Icrojimo vseueuuo ocheto.
li prsko Fora — svo mu sssbire,
5s li preko polsu — evo mu vite
^s ti prsho rocke — svo mu vsslu.)
352
Besonders am Vorabend des Neumondes wird derart gezaubert. Wenn das
Mädchen den wachsenden Mond erblickt, nimmt es etwas Erde, worauf es mit dem linken
Fuß gestanden, und einen Hufnagel in die Hand und spricht:
(Oj n Ivtacli Qiss8eLs,
lako ti nilrMms,
11 prslaris brita i üolins,
I u ^utu 6l-gA0Z moZ,
t^m'eäi mu äs, ss rovns Imsnom.)
,.O du junger Mond,
Ich beschwöre dich bei deiner Jugend,
Du gehst über Berg und Thal
Und siehst am Wege meinen Liebsten,
Befiehl ihm, daß er seinen Namen nenne!"
Das Mädchen verharrt horchend, bis sie von den Vorübergehenden einen Namen
nennen hört. War der Name männlich, so gilt es als günstiges Omen.
Auch die Spinne, die man am Vorabend des Neumonds fängt und in einer Hülse
aufbewahrt, wird beschworen, den Liebsten zu umgarnen und im Traum der Liebenden
zuznführen.
Die Hochzeit. — Die weibliche Jugend in Bosnien und der Hercegovina hat
nur selten Gelegenheit, mit jungen Leuten Bekanntschaft zu machen. Da sie immer an das
Haus gefesselt ist, beschränkt sich ihr näherer Bekanntenkreis auf das Hausgesinde des
eigenen und einiger benachbarter Bauernhöfe, mit welchen die Mädchen bei der Arbeit
oder an langen Winterabenden beim Sijelo zusammenkommen. Was dem Fräulein ein
Ballabend ist, das bedeutet der bosnischen Landschönen das Sijelo. Abwechselnd halten
die bekannten Familien diese ländlichen SoirLen ab, wobei es aber vor allem Anstands -
pflicht der Geladenen ist, dem Hausherrn ein gewisses Arbeitsquantum zu leisten. Diese
Arbeit wird stets mit Freuden, unter Spiel, Sang und Neckerei gethan und dauert oft bis
zum Morgengrauen. Kein Fräulein erwartet mit solcher Sehnsucht den glänzenden Ball,
wie die bosnischen Mädchen das Sijelo, zu welchem sie geladen werden, um Maiskolben
abzukörnen, Hanf zu spinnen, Wolle zu krempeln oder dergleichen.
Bei dieser Gelegenheit lernt sich manches Paar kennen, das später zum Altar geht.
Außer dieser Gelegenheit bietet sich eine solche in noch größerem Maßstabe bei den
Kirchweihen (sborovi), wo die im vollsten Staate erscheinenden Mädchen die Auswahl
unter der Jugend der ganzen Umgebung haben. Solche Kirchenfeste werden deshalb gerne
besucht, und in Sarajevo erhielt die Feier des griechischen Ostermontags, in Cajnica die
des Klein-Frauentages noch eine besondere Bedeutung als eine festliche Brautschau.
Aus den entferntesten Gegenden strömen hier die heiratsfähigen Mädchen zusammen
und stellen sich an den beiden Straßenseiten neben der alten Kirche in möglichst günstiger
Position auf, während die Burschen auf und ab drängen, um genau Revue zu halten und
mit der Schönen, die ihnen am meisten zusagt, bekannt zu werden. Es gibt wohl keinen
malerischeren Anblick, als jene dicht gedrängten Gruppen malerisch costümirter Mädchen, die,
um ja nicht unbeachtet zu bleiben, allen nur erschwingbaren Schmuck an sich thun. Findet
854
ein Paar aneinander Gefallen, so führt der Bursche sein Mädchen Hand in Hand nach
Hanse, doch stets unter Aufsicht der Mutter oder einer anderen verläßlichen Frau.
Bei den Katholiken ist es Brauch, daß Burschen und Mädchen, wenn sie vom Kolo -
tanze ermüdet sind, sich zurückziehen, um vertraulich zu plaudern. Das Mädchen lehnt sich
dann an eine Mauer oder Planke, der Bursche schmiegt sich an sie, und indem er beide
Hände über dem Scheitel spreizt, verdeckt er mit den weiten Ärmeln das erröthende Antlitz
seiner Schönen vor fremden Blicken. So plaudern die Paare und träumen vom Hochzeits -
tage bis sie die Tanzlust von Neuem in den Reigen ruft.
Der bei solchen Gelegenheiten beliebteste Tanz ist das Kolo, wobei sich die Tänzer
in dicht gedrängtem Kreise und rhythmisch langsamem Schritt nach rechts und links drehen.
Die Musik dazu liefert ein geschickter Schalmeibläser, oder die Mädchen singen abwechselnd
neckische Strophen. Eine eigene Art des Kolvtanzes ist das Held en-Kolo (sunmüo Kolo),
welches in der Umgebung von Glamoc getanzt wird. Es tanzen dabei nur Mädchen paar -
weise, wobei sie nach jedem sich vorbewegenden Tacte einen mächtigen Sprung machen.
Mohammedanischen Mädchen, die sich vom sechzehnten Jahre an keinem siemdcn
Manne zeigen dürfen, bietet das ^selliüliü (wörtlich die Liebe, welches aber identisch
ist mit dem alpinen „Fensterln") die einzige Gelegenheit, mit jungen Leuten zu plaudern.
Am Freitag nach Mittag finden sich die Mädchen an der Hofthüre ein, um durch eine
schmale Spalte mit ihren Erwählten zu sprechen. In besseren Häusern ist im Hofe
neben dem Thore ein terrassenartiges Holzgestell — die Sofa — angebracht, von wo
ans sie durch ein dicht vergittertes kleines Fensterchen — ürivi ckeinir — mit ihren
Burschen plaudern.
Obwohl die Liebe ein wichtiges Moment bei der Wahl der Braut ist, sv gibt es in
Bosnien noch ein wichtigeres — die Familie. Der Hausvater übt volle Gewalt über
seine Angehörigen aus, und sein Wunsch und Wille ist auch bei der Brautwahl entscheidend.
Wie viele Heiraten wurden geschlossen, wobei der Bräutigam seine Braut nur vom
„Hören-Sagen" (po äuvonju) kannte, weil der Vater sie für ihn gewählt hatte. Aus
Rücksicht für den Bestand der Familie geschieht es auch häufig, daß, falls zu wenig weibliche
Arbeitskräfte im Hause sind, um die Arbeit zu bewältigen, unmündige Knaben an ältere
Mädchen verheiratet werden, um dereinst, zur Vernunft gelangt, zeitlebens unglücklich zu sein.
Bei der Wahl einer Lebensgenossin wird genaue Berücksichtigung aller Ehe -
hindernisse beobachtet. In dieser Beziehung ist die Volksanschauung weit scrupnlöser als
das kanonische oder das Scheriatsrecht, indem nicht nur die Blutsverwandtschaft, sondern
auch die Wahlverwandtschaft (pobratimstvo) ein Ehehinderniß bildet. Auch die Paten -
schaft, und zwar sowohl die nasse (das ist Taufpathenschast), als auch die trockene
(das ist Trau- und Schnrpathenschaft), ja selbst die Milchbruderschaft schließen eine Ehe aus.
355
Hat der Bursche seine Wahl getroffen und die Zustimmung des Starjesina erlangt,
so wird die Probewerbung (npro8i, prova) vorgenommen, was zwei entfernte Ver -
wandte besorgen. Ihre Mission besteht darin, in möglichst unauffälliger Weise die
Stimmung der Eltern des Mädchens in dieser Angelegenheit und deren Verhältnisse zu
erfahren. Ist das Resultat dieser Erkundigungen ein günstiges, so wird die eigentliche
Werbung «ProSnja,) vorgenommen. Als Werber (prosae) zieht der Vater des Burschen,
der Starjesina oder der Onkel mit drei bis sechs Verwandten ans. Hoch zu Roß und
23*
356
wohl ausgerüstet rücken sie vor das Haus, und Jeder, der ihnen begegnet, erkennt sie an
der mit Blumen und Bändern geschmückten Schnapsflasche (x>lo8Üa oder onturn) als
Werber und trinkt ihnen zum Vorhaben ans der dargereichten Flasche Glück zu.
In das Haus der Erwählten angelangt, werden sie als Fremde bewillkommt und
behandelt, denn die gute Sitte fordert, daß man den Zweck des Kommens anfangs ver -
heimlicht. Erst nach einer Weile wird dieser Zweck behutsam unter Darreichung der
erwähnten klosün dem Vater des Mädchen angedeutet. Dieser, ohne Bescheid zu geben,
zieht sich zurück, um nnt Mutter und Tochter die Sache zu besprechen. Wenn er zu den
Werbern zurückkommt, fragen ihn diese: „Jst's ein Wolf oder Fuchs?" (— Sagst Du ja
oder nein?) Worauf er erwidert: „Ein Wolf und ein Fuchs, denn jedem Vater ist es
schwer, sein Kind herzugeben." Jetzt erst nimmt er den dargebotenen Trunk an und
empfängt für die Braut einen Ducaten und den Ring. Die Werber ziehen ab und nehmen
für den Bräutigam als Geschenk der Braut ein Losenlnü (Geschenk), bestehend ans
Hosen und schön gesticktem Band, mit.
Nach einiger Zeit (acht Tagen) begibt sich von Seite des Bräutigams eine zweite
Deputation zum Brautvater, jedoch in einfacher Kleidung und unauffällig. Diese hat genau
die Hochzeitsceremonien fcstzusetzen, und zwar: den Tag der Hochzeit, die Zahl der
Hochzeitsgäste, die Art und den Werth der Geschenke, welche die Verwandten der Braut
erhalten, sowie die Höhe der Kanfsnmme für die Braut.
Am Tage der Hochzeit versammeln sich im Vaterhanse des Bräutigams die durch
einen eigenen Hochzeitsbitter geladenen Gäste. Der Starjesina geht selten zur Hochzeit,
ebenso der Bräutigam. Ersterer sendet als,seinen Vertreter den 8tari svat, letzterer zwei
vjaver'Z (Brautführer).
Die Hochzeiter ziehen nun hoch zu Roß in folgender Reihe: Der 8tnri gvnt mit
dem krvenne, welcher ein Schwiegersohn des Hauses ist, an der Spitze des Zuges, der
Luin (Pathe) mit dem Vojvoän, der Lurj airlnr (Fahnenträger) mit seinem Substitut
„üninnü", die beiden Ojovors (Brautführer), dann die anderen Gäste. Der Cans aber
ist bald an der Spitze, bald im Rücken des Zuges und hat tausend Sorgen, um für den
Unterhalt von Roß und Reitern zu sorgen und vor Allem durch seine unerschöpflichen Späße
den Zug in guter Laune zu erhalten.
Am halben Wege zum Brauthause wird Halt gemacht und ein obligater Imbiß
genommen, worauf der Zug weiter geht. In einiger Entfernung vor dem Brauthause wird
abermals Halt gemacht und ein Bote (NuSkulnückLija) ins Haus geschickt, die
Kommenden zu melden. Ohne abzusitzen, wird er mit Wein bewirthet und erhält sein
Geschenk (ein Tuch oder dergleichen) und eine Flasche mit der er zurückrcitet. Aus der
gesendeten Flasche macht der 8tnri svnt den ersten Trunk. Tann trinken alle der Reihe
358
nach. Jetzt erst begeben sich die Gäste zum Hause, treten freundlich begrüßt ein und werden
mit Kaffee bewirthet. Die Fahne flattert indessen von einer erhabenen Stelle und wird vom
Fahnenträger eifersüchtig beobachtet, da es eine Schande wäre, wenn sie abhanden käme.
Tag und Abend wird in frohem Gelage zugebracht, wobei sich die Braut den Gästen nicht
zeigen darf.
Morgens früh beginnt das Gelage abermals, und nach dem dritten Trinkspruch
gehen der Kum und die beiden Djevers in das nächste Zimmer, um der Braut den
Ring anzustecken (prsksirovnki). Die Brüder führen die Braut herzu, und eine Verwandte
trägt auf einer Tasse eine Schale klaren Wassers, bedeckt mit einem Tuch, worauf der
bereits bei der Werbung übersendete Brautring liegt. Der Djever wirft den Ring ins
Wasser, faltet die Hände der Braut und macht damit dreimal das Zeichen des Kreuzes
über dem Wasser. Während die Braut die Hände noch immer gefaltet hält, nimmt der
Bräutigam den Ring ans dem Wasser und wiederholt damit das Krcuzzeichcn über den
Händen der Braut. Er versucht sodann den zum Ring passenden Finger zu finden, bis er
jenen nach einigem Scherzen auf den rechten Zeigefinger steckt. Hierauf dreht er das
Mädchen dreimal von Osten nach Westen und hebt es jedesmal, wenn es ihm den Rücken
zukehrt, jauchzend in die Höhe. Sodann verhüllt er sie mit dem Brautschleier und über -
schüttet sie mit Zuckerwerk und Münzen, die er in einem Papierpacket mitbrachte. Dasselbe
thut auch der andere Djever und der Kum. Die anwesenden Frauen verhüllen hierauf das
Antlitz der Braut mit dem Schleier und die Männer kehren, nachdem ihnen die Braut
ehrerbietig die Hand geküßt hat, zu den Hochzeitsgästen zurück, welche sich um die gedeckte
Sinija (Tisch mit sehr niederen Füßen) zum Schmause gelagert haben.
Der Caus bringt nun die voraus bedungenen Spenden hervor. Sollte daran etwas
fehlen, so muß es der 8tari svat des Bräutigams mit Geld ausgleichen. Hierauf folgt
der wichtige Moment des Brautkaufes, indem der 8tari svot mit dem Brautvater zu
handeln beginnt, um von der schon vorher bedungenen Kaufsumme etwas abzuhandeln.
Dies gelingt ihm zwar nicht, aber der Brautvater zeigt sich großmüthig, indem er ein
Drittel des erhaltenen Betrages „zur Bestreitung der Reiseauslagen der Hochzeiter" dem
8tari svat zurückgibt.
Die Sitte des Brautkaufes war im ganzen Lande allgemein und hat sich theils
factisch, theils symbolisch noch erhalten. Sie besteht heute noch in der südlichen Hereegovina
unter Mohammedanern und Christen, sowie bei den braunen Zigeunern, wo sie das
wichtigste Moment der Trauungsceremonie bildet. Unter den Mohammedanern desRama-
thales wird sie, wenn auch ohne vorheriges Handeln, geübt, indem der Bräutigam dem
Brautvater eine Summe Geldes einhändigt. Dieser Brautkans wird als die Ursache
angeführt, weßhalb sich dort die Mohammedanerinnen nicht verschleiern, denn sie seien nicht
Verschleiern der mohammedanischen Braut (das Ringanstecken).
360
Frauen, sondern bezahlte Sclavinnen, für die kein Gebot des Verschleierns bestehe. Die
Kaufsnmme wird nicht etwa der Braut zur Anssteuer gegeben, sondern bleibt Eigenthum
des Brautvaters.
Nachdem das Kaufgeschäft abgeschlossen, wird die Braut feierlich den Hochzeitern
(8vatovi) übergeben, sie küßt ihnen der Reihe nach die Hand und verabschiedet sich von
ihren Angehörigen, während sie von Vater und Mutter den Segen empfängt.
Die Djevers und der Caus besorgen indessen das Verladen der in zwei Truhen
nntergebrachten Braut-Aussteuer, welche aus Kleidungsstücken und Bettzeug besteht; die
Braut wird aufs Pferd gehoben, und der Zug setzt sich in Bewegung.
Während der Zug beim Herankommen stets einen solchen Weg wählt, daß er von
Osten nach Westen zum Brauthause kommt, nimmt er beim Aufbruch die Richtung gegen
Osten, um erst nach einer Weile die Richtung nach der neuen Heimat der Braut einzuschlagen.
Der Brautzug wird niemals Nachmittags, sondern stets Vormittags, so lange die Sonne
steigt und der Tag zunimmt, anfbrechen, was von Bedeutung für das künftige Glück der
Braut sein soll. An derselben Stelle wie Tags vorher, wird unterwegs Rast gehalten und
ein Imbiß eingenommen, dann geht es wieder in froher Lustigkeit unter Scherz, Necken
und Gewehrgeknatter weiter.
Beim Hause des Bräutigams angelangt, steigt die Braut vom Pferde; einer der
Männer springt in den Sattel und reitet dreimal in der Richtung von Ost nach West um
das Haus. Demüthig nähert sich indessen die Braut der Schwelle ihres neuen Heims, sinkt
davor nieder und küßt sie. An der Schwelle erwarten sie die Frauen des Hauses mit einer
Schale Kornfrucht. Die Braut nimmt davon eine Handvoll und streut sie auf das Dach und
nach den vier Richtungen der Windrose. Sodann betritt sie das Haus, kniet abermals
nieder und küßt den Herd als das Symbol des Familienlebens. In einigen Gegenden ist
es Sitte, daß sie vor diesem Kusse den Herd dreimal umkreist und die Glut darauf anfacht.
Tags darauf nimmt der geladene Priester die kirchlichen Ceremonien vor, traut das
Brautpaar nach den Satzungen der Kirche, und es folgt ein fröhliches Zechgelage, dessen
stumme Zeugin die bescheiden in der Ecke stehende Braut ist. Bei der nun folgenden Reihe
von Trinksprüchen ist es ihre Pflicht, Jedem, dem zugetrunken wird, die Hand zu küssen.
Nach aufgehobener Mahlzeit steht die Braut mit Waschbecken (loxon) und Ibiik (Krug)
bereit, um den Gästen Wasser auf die Hände zu gießen, welche ihr für diesen Dienst ein
Geldstück, die ?ol.j6vg,eiim, in das Becken werfen. Beim Abschiede der Gäste gibt schließlich
die Braut mit einem Djever jedem Einzelnen das Geleite, wobei wieder Geschenke aus -
getauscht werden.
Was ein Honigmonat sei, ist der bosnischen Braut unbekannt, denn für sie beginnt
nach der Hochzeit ein schweres Probejahr. Ein Jahr hindurch muß sie die Bescheidenheit,
361
Folgsamkeit und Verschwiegenheit in Person und jedem zu Diensten sein. Früh Morgens
bevor der Hahn kräht, muß sie bereits auf sein, um das Haus zu fegen und zu kehren und
Wasser zu holen, damit Alles in Ordnung sei, wenn die Übrigen aufwachen. Sie darf vor
keiner noch so schweren Arbeit zurückscheuen, und um sie aufzumuntern, wird ihr vorgehalten,
daß „Fretten und Dulden das Haus Zusammenhalten" (krpsL i trpsL lluen är/s),
oder daß dieses „nicht auf dem Boden, sondern auf dem Weibe ruhe" (ns stoji Kusu na
KothoMchc Mrssc im Freien (Bosnien).
minist no na Lsni), während die Männer auf sich selbst anspielend behaupten, daß
Vernunft das Haus regiere (painsk irusoin vlaäa). Jedem männlichen Wesen, und sei es
noch ein Kind, muß die junge SnaSa beim Betreten des Hauses die Hand küssen. An der
Mahlzeit nimmt sie stehend theil oder muß mit dem letzten Platze bei Tische fürlieb nehmen.
Kommen die Männer von der Arbeit oder Reise heim, so muß sie ihnen die Fußbekleidung
ausziehen und die Fiiße waschen. Begegnet sie einem Manne, so darf sie dessen Weg nicht
kreuzen, sondern bleibt am Saume des Pfades bescheiden stehen und neigt sich tief vor -
dem Vorübergehenden. An ein trautes Zusammensein der Neuvermählten ist nicht zu denken,
und sie müssen stets den Moment erhaschen, wo es ihnen möglich ist, ein paar Worte
362
unter vier Augen zu wechseln. Erst nach Ablauf des Brautjahres tritt die Jungvermahlte
in die Rechte der Frau, sie legt die Hochzeitskappe ab und bekommt vom Starjesina ihre
Arbeit zugetheilt.
Als die wichtigste Aufgabe der Frau gilt in Bosnien das Gebären von Kindern,
und zwar von männlichen Kindern, und wehe jener, der es versagt wäre, dieser Pflicht
nachzukommen. Um in dieser Beziehung glücklich zu sein, wird neben den geschilderten
Hochzeitssitten noch manchen Bräuchen gehuldigt. So wird der Djever, nachdem er der
Braut den Ring an den Finger gab, sie mit einem männlichen Gürtel umgürten, damit
sie Knaben gebäre. Wenn die Braut das Manneshaus betritt, lispelt sie: „Uoiiüo ti n ünei
roAova, oiroliko ti rockila sinova." (Wie viel Sparren im Hause, so viel Söhne soll ich dir
gebären!) Und bei der Trauung blickt das junge Weib den Mann an und betet im Stillen:
,Uoliüo ti n Alavi öudova, onoliüo ti roclila sinovn." (So viel Zähne du im Kopfe
hast, so vielSöhne soll ich dir gebären.) Beim Heimführen der Braut werden die Hochzeiter,
wenn ihnen belastete Tragthiere begegnen, eines davon anhalten und es abladen oder
doch den Gurt, womit die Last gebunden ist, lockern, damit die Braut nicht unfruchtbar
bleibe. (»Li-ems« heißt die Last, aber auch die Leibesfrucht. Das Ganze deutet das
Entbinden an.) Ist die Braut aus gutem Hause, so wird sie sich nach dem Abschied nochmals
nach ihrer Heimat wenden, damit ihre Kinder ihrer Sippe nachgerathen; ist sie aber dunkler
Herkunft, so werden es die Djevers Peinlich verhüten, daß sie sich umschaue, damit ihre
Nachkommenschaft nicht übel gerathe.
Die Hochzeitsbräuche der mohammedanischen Landbevölkerung sind, soweit es
nicht die religiösen Momente bedingen, im Allgemeinen ähnlich den christlichen, und wir
können uns darauf beschränken, einige Abweichungen mitzutheilen.
Interessant ist der einst auch bei Christen, gegenwärtig aber nur unter den Moham -
medanern übliche Brautraub. Ist das Liebespaar nämlich nicht sicher, die Einwilligung
des Vaters der Braut zur Hochzeit zu erhalten oder will man die übergroßen Kosten einer
Hochzeit ersparen, so verabreden die jungen Leute die Stunde des Raubes. Der Bursche
erscheint mit seinen Hochzeitern an der verabredeten Stelle, wo ihn die Braut erwartet,
nimmt sie zu sich in den Sattel, worauf der Zug in gestrecktem Galopp der Heimat des
Bräutigams zusprengt. Ost geschah es, daß die Flucht rasch bemerkt wurde, dann bot der
Vater alle seine Leute auf, um den Raub den Räubern abznjagen.
In Bosnien gibt es einige alte Gräberfelder, welche das Volk ,8va.tovsüo
Arodljs- (Hochzeitsgrab) nennt, und von denen die Sage geht, daß hier Hochzeiter mit
der geraubten Braut eingeholt und von den Verfolgern niedergemetzelt wurden.
Geschah es, daß die Brauträuber eingeholt wurden, und man wollte Blutvergießen
vermeiden, so gingen die Verfolger und die Verfolgten zum nächsten Kadi. Dieser fragte
Orientalisch-orthodoxer (christlicher) Friedhof ans der Gegend von Dolnji-Unac in der Krajina.
dann die geraubte Braut, ob sie freiwillig mit dem Burschen fortgelanfen sei. Wenn sie
darauf zur Antwort gab: »5a. ou s nsiriro i u ^oru i u vorlu'' (Ich geh mit ihm durch
Wald und Wasser), so wurden die Entführer freigesprochen, und die Verfolger mußten sich
mit ihnen aussvhnen. Erfolgte der Raub aber gegen den Willen des Mädchens, so nahm
364
es der Vater zurück und die Entführer mußten schwere Buße zahlen. Ob der Entführer
die Braut mit oder ohne deren Einwilligung geraubt, so wurde er durch die bloße That
ein romantischer Held, und Niemandem fällt es ein, sich darüber entrüstet zu zeigen; wehe
aber dem Entführer, der eine fremde Braut raubt! Nach dem Gerechtigkeitsgefühl des
Volkes ist dies das ärgste aller Verbrechen. Der Vater würde den eigenen Sohn, der so
etwas thäte, verstoßen und fluchbeladen in die Welt schicken; jeder ehrlich denkende Mann
würde seine Gesellschaft meiden, und der beleidigte Bräutigam gäbe sich erst dann zufrieden,
wenn er die ihm angethane Schmach mit Blut abgewaschen. Solche Fälle sind wohl selten,
werden aber mit ihren tragischen Folgen hie und da aus der Hercegovina berichtet.
Die geraubte oder dem Bräutigam auf civilem Wege zugeführte Braut bleibt in
dessen Wohnung unter der Obhut der Schwiegermutter bis zum Tage der Trauung. Wird
die Braut dem Bräutigam aus einem Ort in einen anderen zugeführt, so begleitet sie eine
Verwandte, die einige Zeit bei ihr bleibt, bis sie sich an das neue Heim gewöhnt. Diese
Begleiterin heißt »OkiüuZa" (etwa die Angewöhnerin). In der Zwischenzeit besorgt der
Bräutigam die Brautkleider, namentlich aber die reichgestickte lange Anterija.
An einem Mittwoch beginnt die Hochzeitsfeier. Nach dem rituellen Brauch erfolgt
sie in der Weise, daß vier Verwandte oder Freunde des Bräutigams, und zwar für beide
Theile je ein Zeuge (sclralliä) und ein Übergeber (äavae) und Übernehmer (umrnao),
vor der Braut erscheinen und sie befragen, ob sie Willens sei, N. N., Sohn des N. N. u. s. w.,
zu ehelichen. Nach dreimaligem Fragen antwortet die Braut, worauf sie mit,^ilall
inubarok okrm!« beglückwünscht wird.
Die Zeugen begeben sich nun zum Kadi, theilen ihm unter Vorweisung der behörd -
lichen Traulicenz der Braut (Niüall inurasolu) den Sachverhalt mit, worauf sie einen
Trauschein erhalten. Nach der Volkssitte folgt hierauf die Ceremonie des Färbens der
Fingernägel mit Kna (trennall). Die Braut wird mit ausgebreiteten Händen aufs Bett
gelegt, erhält in jede Hand einen Dncatcn, worauf die zur LrnsuäsuSs. (Färberin)
erkorene Frau das Färben besorgt. Wenn die Braut aufsteht, nimmt sie einen Knaben und
wälzt ihn über das Bett, damit auch ihr Knaben beschert werden, und gibt ihm ein
Geschenk. Hierauf erscheint der Djever, bedeckt sie mit dem Brautschleier (äuvaic oder
eallrisa) und bestreut sie mit Zuckerwerk; sodann überreicht er ihr seine Hochzeits -
geschenke, welche aus dem genannten Schleier, einem Feß, einem Gürtel und aus einem Paar
Trluks (Pantoffeln) bestehen, und für welche er einzeln je ein Gegengeschenk empfängt.
Der Donnerstag geht ohne besondere Ceremonie vorüber und am Vorabend des
Freitags (,u ooi potlca") wird große 8okra (Mahl) bereitet. Der Bräutigam geht zur
katsisa (zwei Stunden nach Sonnenuntergang) in die Moschee, betet und wird unter Jubel
und Scherz von seinen Freunden nach Hause und vor das Brautgemach geführt. Tags
365
darauf stellen sich Freunde und Nachbarn beim Bräutigam mit Geschenken ein, zumeist
süßen Bäckereien, worunter der Hochzeitskuchen, welcher der Braut dargebracht wird.
Im Harem zerschneidet die Braut den Kuchen, und der Bräutigam wartet damit
den Gästen auf, wobei jeder ein gesticktes Tuch oder inullruum) erhält. Am
Freitag nach Mittag empfängt die Braut ihre neuen Nachbarinnen im Harem und
bewirthet sie. Ein Abendbesnch bei den Eltern, falls sie in derselben Stadt wohnen,
beschließt das Fest, bei dem Sang und Jubel laut und übermüthig zur Geltung kommen,
Todtenfeier auf dem Friedhofe der Orientalisch Orthodoxen fMarkovdan).
und bei welchem die gegenseitigen Geschenke endlos sind und oft die Kräfte des
Gebers übersteigen.
Der Tod. — Die bezeichnenden Verse des Dichters Mazuranic:
,Sos SS ONOZ ko ss viko ! (Fürchte Jenen, der im Stand ist,
6sr Zolema rnrhsti Ma." I ohne großen Schmerz zu sterben)
kann man mit vollem Rechte auf das kräftige Volk Bosniens und der Hercegovina am
wenden, das dem Tod — in welcher Gestalt er auch erscheinen mag — stets mit Ruhe
und Gleichmuth entgegensieht.
Als Abschluss eines oft sorgenvollen Lebens wird der Tod mit Würde erwartet
und entsprechend gefeiert. Fühlt ihn der Mann herannahen, so ist seine letzte Sorge der
366
die Versöhnung mit Allen, denen er etwa Unrecht gethan, und am Tvdtcnbette
verzeiht er selbst „dem Vvgel im Walde, im Wasser dem Fische und der Schlange
im Geröll".
Dem Sterbenden wird am Kopfende eine Wachskerze angeziindet, und nach dem
Eintritt des Todes werden ihm die Augen und der Mund geschlossen. Dann verlöscht
man das Feuer am häuslichen Herde und die Asche wird davon sorgfältig entfernt. So
bleibt der Herd drei Tage unbenutzt. Auch das beim Eintritt des Todes im Hanse
befindliche Wasser oder die in Zubereitung begriffenen Speisen werden weggeschüttet.
Vor dem Hause wird ein Feuer angemacht, um Wasser für die letzte Waschung des
Tobten zu wärmen, und nach erfolgter Waschung werden das Wasser, die Feuerreste und
die beim Waschen benützten Gegenstände (Kamm und Seife) gleichfalls beseitigt. Hierauf
wird die letzte Toilette vorgenommen. Die Braut behält ihren Ring; ein Mädchen wird
in vollem Brautstaat beerdigt, nur das Geschmeide wird ihr am Grabe abgenommen
und der Kirche geopfert.
Ist das Leichengewand in Ordnung, so versammeln sich die Familienangehörigen und
werden bewirthet. Die Frauen beginnen wehmüthige melodiöse Klagelied er (s uäilco vüe)
zu singen, in denen der Verblichene verherrlicht, seine Vorzüge gepriesen und sein Hin -
scheiden bedauert wird. Da nach alter christlicher Sitte die Leiche über -rag und Nacht
im Hause weilen must, theilen sich die Trauergäste in die Todtenwache, welche niemals
außer Acht gelassen wird, da es geschehen könnte, daß irgend ein Thier über den Verbli -
chenen springen könnte, welcher dann zu einem Währwolf (Vuüoclinü) werden könnte.
Ist die Stunde des Leichenbegängnisses angelangt, so verabschieden sich die weib -
lichen Angehörigen vom Verblichenen, welcher auf einer Bahre (ohne Sarg) von den
Männern zu Grabe getragen wird. Die Träger und die dem Zuge Begegnenden wechseln
ab und erweisen so dem Tobten die letzte Ehre.
Beim Eintritt des Todes wurde am Todtenlager ein Teller mit Korn und Ei nieder -
gelegt, und dieser wird dem sich entfernenden Zuge als Todtenopfer nachgeworfen.
Sollte der eingetretene Todesfall für das Hans der zweite im selben Jahre gewesen
sein, so wird, wenn sich der Zug in Bewegung setzt, an der Schwelle ein Huhn (üurknir
^ das Opfer) geschlachtet, als Opfer und Lösegeld, um von weiteren Todesfällen verschont
zu bleiben. Das Opferthier wird sodann den Armen geschenkt.
Am Begräbnißtage pflegt das ganze Dorf die Arbeit einzustellen, jedenfalls wird
aber Jeder, der eines Trauerzuges ansichtig wird, die Arbeit ruhen lassen. Während des
Ganges wird die Bahre dreimal zu Boden gelassen, und die Träger ruhen aus.
Am Grabe wird der Tobte von den nächsten Angehörigen von der Bahre genommen
und zur Ruhe gebettet. Gewöhnlich wird die Grube mit Steinplatten ausgelegt und über
368
den Todten eine Reihe schützender Platten geschichtet, damit ihm die Erde nicht schwer
werde. In einigen Gegenden wird der Todte auf die bloße Erde gelagert, über ihn aus
Steinplatten oder Brettern ein kleines Zelt gebildet, welches mit Erde und Rasen ver -
kleidet wird. Ist dies vollendet, so rufen die Trauernden und Gäste dem Todten ein letztes
„Die Erde sei ihm leicht" oder „Gott verzeihe ihm" nach und begeben sich in das
Trauerhaus.
Der Todte erhält mancherlei Beigaben und das Grab sinnigen Schmuck. Kindern
wird die Wiege aus das Grab gestellt. Schulkinder erhalten Buch und Schreibtafel mit,
Erwachsene zur Wegzehrung einen Krug mit Wein am Kopfende. Im Kindbett verstorbene
Frauen erhalten, falls das Kind ein Knabe war, eine Hose, und war es ein Mädchen, den
Spinnrocken sammt Wirtel mit. Häufig erhält der Todte auch einiges Geld als Obolus,
damit er, falls er zufällig in ein schon benütztes Grab zu liegen käme, seine Platzmiethe
bezahlen und sich mit dem ursprünglichen Inhaber besser vertragen könne. Der im Bilde
dargestellte kleine orientalisch orthodoxe Friedhof in der Gegend von Dolnji-Unac liegt
ans einer ursprünglich römischen Begräbnißstätte. Das hohe hölzerne Kreuz neben der Eiche
ist nach alter Sitte am Grabe eines Mädchens ausgestellt und wird mit kleinen Tüchern
und bunten Bändern am oberen Theil geschmückt.
Die Trauergäste kehren in das mittlerweile sorgfältig ausgcfegte Haus (der Besen,
womit dies besorgt wurde, wird weggeworfen) zurück, waschen sich Hände und Antlitz,
trocknen sich aber nicht mit dem Haudtuche, sondern am Feuer ab und setzen sich zum
Leichenschmause nieder, um auf das Seelenheil des Heiingegangencn zu trinken. Ähnliche
Leichenschmäuse werden am dritten, siebenten, vierzigsten Tage (in der Regel an dem
diesem nächsten Samstage) nach einem halben Jahre und nach Ablauf der Jahresfrist
gehalten. Zn solchen Leichenschmäusen bringt Jeder seinen Beitrag (prilvA) an Speisen
und Getränken mit. Häufig werden am Grabe als Opfer Speisen niedergelegt, namentlich
Eier und Kuchen, welche dann Arme, nachdem sie dem Todten ihr „Gott sei ihm
gnädig" zugerufen, wegtragen. Am dritten Tage wird das Grab mit Weihrauch geräuchert.
Das Grab erhält außer einem einfachen Kreuze noch anderen Trauerschmuck. Auf
einem Kindergrab wird am Kopfende eine Stange mit einemTuche angebracht, ein Mädchen
erhält mehrere Tücher, und, an den Ästen der Stange aufgesteckt, rothe Äpfel, Citronen,
eine Quaste vom Feß und wohl auch ein Halsband. Den kostbarsten Schmuck erhält aber
das Jünglingsgrab; die Schwestern des Todten opfern ihm ihr Haar und heften es neben
den bunten Tüchern an den Trauerpflock.
Ganz abweichend von unseren Begriffen, wie man die Trauer um einen Verblichenen
äußerlich zur Schau tragen soll, gilt in Bosnien Weiß als Trauerfarbe, und die Frauen
tragen weiße Trauertücher. Zum Zeichen der Trauer tragen die Frauen ihr Haar lose,
369
Bosnien und Hercegovina.
entfernen von der Kappe die Quaste und tragen Jacke und Pelz verkehrt, die Futterseite
nach außen. Die Witwe aber zeigt sich 40 Tage — oft auch ein ganzes Jahr - nicht außer -
dem Hause. Die Männer bezeugen ihre Trauer, indem sie statt des rothen Turbantuches
weißes tragen und sich 40 Tage weder rasiren noch das Haar scheeren lassen.
Die Todtenbräuche der Mohammedaner weichen von denen der Christen wesentlich
ab und gestalteten sich in Bosnien und der Hercegovina auf Grund der islamitischen
Überlieferungen.
Todtengebet eines Mohammedaners.
Nachdem der Tod eingetreten, werden der Leiche die Fuße und Hände ausgestreckt, die
Augen geschlossen und die beiden großen Fußzehen mit einer Schnur aneinander gebunden.
Der Bauch wird, damit er sich nicht aufblähe, mit einem großen Schlüssel beschwert.
Die Leichenwäsche besorgt womöglich ein Imam und nimmt sie auf einer Art Bahre
(tonoSir) vor. Bevor er den Todten badet, muß sowohl er als seine Gehilfen an sich den
blockest (religiöse Waschung) vornehmen. Nachdem der awdte mit lauem Wasser und seife
gereinigt und mit kaltem Wasser abgespült worden, erhält er in beide Hände je ein Stück
Kampfer und wird angekleidet. Das Leichengewand besteht aus drei Stücken: dem Oelln
24
370
(Leichentuch), in welchen der Körper eingehüllt wird, dem Todtenhemd, welches keine
Ärmel besitzt und dessen Nahtfäden nirgends verknüpft oder geknotet sein dürfen, und
endlich der Leichendecke, einem Linnen, in welches man den Körper hüllt. Die Leiche wird
nun auf die Bahre (tabut) gelegt, und zwar so, daß die rechte Seite zur Libla (Lrdla) gekehrt
ist, und man bedeckt sie mit einer Decke (öaburtsia), welche aus der Moschee geholt wird,
oder auch mit einem Stück Tuch, welches der Hodza, der die Leichenceremonie vornimmt,
zum Geschenke erhält. Am Kopfende der Bahre wird bei Männern der Turban, bei Frauen
ein Jagluk angebracht. Besonders zu erwähnen ist, daß, wenn eine Frau stirbt, ihr eigener
Mann sie nicht mehr sehen darf, denn nach der Volksansicht hat der Tod alle Familienbande
gelöst, und die Todte gilt ihm als fremdes Wesen. Die Bahre wird hierauf zur Moschee
gebracht, wo der Priester das Todtengebet verrichtet, und dann zu Grabe getragen. Am
Leichenbegängnisse nehmen nur Männer theil und erweisen den Todten die letzte Ehre, indem
sie abwechselnd die Bahre tragen. Männer werden nur im Leichengewande, Frauen aber in
einem einfachen Sarge in die Grube horizontal, die rechte Seite zur Libla (Lrbla) gerichtet,
gelagert, mit Brettern dachartig überdeckt und von den Angehörigen mit Erde überschüttet.
Am Grabe betet der Hodza die Hatma, worauf alle Anwesenden rufen,
daun sich entfernen und den Priester am Grabe allein lassen. Dieser, am Mittelrande des
Grabes stehend, verrichtet den Nation. Die Mohammedaner glauben nämlich, daß der
Todte, sowie er bestattet ist, sein zweites Leben beginnt, und die neuen Lebensgeister von
den Zehen aus zur Kraft kommen. Vor dem zum Leben im Jenseits Berufenen erscheinen
Engel, welche ihn über sein Glaubensbekenntniß befragen, und Pflicht des Priesters ist
es, den Todten unter Anrufung seines und seiner Mutter Namen zu belehren, wie er sich
zu verhalten habe, um die Prüfung zu bestehen, um der ewigen Seligkeit theilhaftig zu
werden. Diese Ceremonie heißt der „Talkin". Bei Kindern wird, da man annimmt, daß
sie sündenfrei sind, der Talkin nicht vorgenommen.
Ein in seiner Grundanschauung edler Brauch ist das sogenannte vsvri-isüat-
i 8 akut, eine Art von Sündenhandel, der mitunter bei Todesfällen gebräuchlich ist.
Wie bei den Christen, ist auch bei den Mohammedanern der »Ickalal« (Versöhnung)
vor Eintritt des Todes üblich, und der Sterbende stiftet dann in der Regel einen Theil
seines Vermögens wohlthätigen Zwecken, um damit Vergebung seiner Sünden zu er -
langen. Nachdem der Tod eingetreten, versammeln sich die Nachbarn, und drei Männer
unter ihnen schätzen die Sünden des Todten ab. Die Sünden werden nach gewissen
Normen taxirt, und beispielsweise wird ein vernachlässigtes Gebet auf 520 Drachmen
Weizen geschätzt. Die herausgefundene Summe der religiösen Vernachlässigungen wird in
Geld umgerechnet, und ergibt sich, daß der vom Verblichenen zu wohlthätigen Zwecken
testirte Betrag geringer ist, so wird unter den Angehörigen eine Collecte veranstaltet, bis
371
die ermittelte Höhe des Betrages zu Stande gebracht ist. Dieses Geld wird nun unter
die Armen vertheilt oder sonst einem wohlthätigen Zwecke zugeführt. Zu erwähnen ist,
daß die religiösen Pflichten bei Männern vom zwölften, bei Frauen vom neunten Jahre
an bindend sind.
Das Wehklagen am Grabe von Verstorbenen ist bei Mohammedanern nicht
gebräuchlich, da ein zu Gott Berufener eher beneidet als beweint werden soll. Aber
nicht selten sieht man des Morgens und Abends vor dem Friedhofe Männer, welche an
Türkischer Friedhof in Jajce.
den Gräbern ihrer dahingeschiedenen Ahnen ein stilles Todtengebet verrichten, in ernstes
Sinnen versunken, die Hände zum Himmel emporgehoben.
Sprache.
Die Sprache in Bosnien und der Hercegovina ist die den Einwohnern dieser beiden
Provinzen mit den Kroaten und Serben der Nachbarländer gemeinsame „serbisch-kroatische".
Zn ihrer Bezeichnung bestehen im Volke selbst zwei verschiedene Namen. Die orientalisch -
orthodoxen städtischen Einwohner nennen sie fast ausnahmslos „serbisch", die Katholiken
ebenso allgemein „kroatisch"; dieser letztere Name ist auch bei vielen Mohammedanern und
den einheimischen Spaniolen der üblichste. Unter der mohammedanischen Bevölkerung und
unter den christlichen Bauern heißt sie aber zumeist „bosnisch", eine Bezeichnung, die
schon in der einheimischen Literatur der vergangenen Jahrhunderte mitunter neben den
L4*
372
dein gelehrten Europa jener Zeiten bekannteren Namen „slovinisch" und illyrisch vertreten
ist und deshalb auch officiell anerkannt wurde.
Diese Sprache kann mit Recht die schönste unter ihren slavischen Schwestern
genannt werden. Sie zeichnet sich ebenso durch große Reinheit und melodischen Vollklang
ihres Vocalismus. als durch kraftvolle Biegsamkeit und Geschmeidigkeit ihres Con-
sonantensystems nicht nur vor den nord- und westslavischen Sprachen, sondern auch vor
denen der nächstverwandten Slovenen und Bulgaren auf das vortheilhafteste aus. Sie
steht vielleicht dem Slovenischen an Zartheit des lyrisch-poetischen Ausdruckes nach,
iibertrifft es jedoch durch hervorragende Eignung zu rhetorischen und epischen Zwecken.
Von den drei, bekanntlich nach der dreifachen Form des für das Fragepronomcn
..was" üblichen Wörtchens (üuj, ca und Slo) benannten Dialeeten der Kroaten und
Serben lebt in Bosnien und der Hcrcegovina. soweit bloß das erwähnte charakteristische
Wörtchen in Betracht kommt, nur der „stokavische"; doch haben sich auch Reste einzelner
Eigenthümlichkeiteu des in vielfacher Hinsicht als alterthümlicher geltenden eu-Dialectes
bis auf den heutigen Tag erhalten, zwar nicht unter den Orientalisch-Orthodoxen,
wohl aber unter den Katholiken und Mohammedanern. So hört man insbesondere
bei den Katholiken von Kresevo das zu j verdünnte ^ (zum Beispiel irrcha statt iiwgja).
und ferner sind auch Accentuirungen der letzten Wortsilbe, sowie gegebenen Falles die mit
dem alten Accent in Verbindung erscheinende unbetonte Länge der vorausgehenden Silbe
bei den Mohammedanern überhaupt und auch bei den Katholiken von Kresevo und Bares
nichts Seltenes (zum Beispiel Genitiv vockö, Urüljovie). Was dagegen den Laut des alt-
slovenischen -b betrifft, so macht sich unter den Orientalisch-Orthodoxen an der serbischen
Grenze längs der unteren Drina. jedoch nur vereinzelt, der Ekavismus bemerkbar, während
der genannte Theil der Bevölkerung sonst durchgehends jekavisch spricht; dagegen ist die
Sprache der Katholiken und Mohammedaner wohl in der Mehrzahl ikavisch'. Eine einheitliche
geographische Grenzbestimmung zwischen den Sprachgebieten des Jkavismus und Jekavis-
mns der Katholiken und Mohammedaner dürfte kaum gelingen; beide Mundarten leben
vielfach in denselben Orten, wie zum Beispiel in Sarajevo selbst, nebeneinander; in ein -
zelnen anderen Gegenden wieder, wie zum Beispiel in der ganzen Umgebung von Travnik,
herrscht ausschließlich der Jkavismus. sowie umgekehrt Kresevo und Bares mit einer so gut
wie ausschließlich katholischen und mohammedanischen Bevölkerung eine rein jekavische
Sprache aufweisen. Eine ziemlich allgemeine Eigenthümlichkeit der Jkaveeu ist es. daß sie
umgekehrt das Präfix pri wie pro aussprechen (zum Beispiel prslisiuili statt prilisnuti),
sowie demgegenüber vielfach choroiaaslvo statt siromaslvo (Armuth).
i Anmerkung der Redaction: Diese drei Bezeichnungen besagen, ob der erwähnte Buchstabe wie 6, wie oder w,e
i ausgesprochen wird.
373
Fragt man nach der Geschichte der Sprache, soweit dieselbe uns durch die ein -
heimischen Literaturdenkmäler der vergangenen Jahrhunderte dargeboten wird, so muß
zunächst die im ersten Moment vielleicht frappirende Thatsache constatirt werden, daß die
bei den Orientalisch-Orthodoxen von jeher allein herrschende slavische Liturgie dem
natürlichen Entwicklungsgänge der Volkssprache, beziehungsweise der Verwendung der -
selben zu literarischen Zwecken bis in das XIX. Jahrhundert herein ungleich mehr
hinderlich im Wege als förderlich zur Seite gestanden ist, so zwar, daß selbst in
Darstellungen profaner Gegenstände volkssprachliche Ausdrucksformen, sowohl in
grammatischer als lexikalischer und stilistischer Hinsicht vom Kirchenslavischen, und zwar
in der älteren Zeit von der serbisch-slovenischen, später von der russisch-slovenischen
Form desselben, überwuchert erscheinen. Es war daran vornehmlich der Umstand schuld,
daß den im byzantinischen Geiste erzogenen Mönchen und nach ihnen nicht minder auch
den wenigen sonstigen Literaten jeder Praktische Sinn und jedes Verständniß für den Werth
des Volksthümlichen abging. Anders verhielt es sich damit speciell in Bosnien und der
Hercegovina. Hier waren einerseits die staatlichen Einrichtungen insoferne mehr auf
nationaler Grundlage aufgebant, als die bosnischen Herrscher und andere Großen des
Landes in religiöser Beziehung vielfach dem von keiner fremden Kirche und theologisch -
philosophischen Lehre und Literatur abhängigen Bogumilismus huldigten und in
politischen Angelegenheiten mehrfach mit dem Westen Europas in Contact standen;
andrerseits hat auch die katholische Geistlichkeit, welche sich der lateinischen Sprache bei
den gottesdienstlichen Functionen stets bediente, sich in ihrer slavisch-literarischen
Thätigkeit weniger mit abstracten religions-philosophischen Fragen zu ihren eigenen
kontemplativen Zwecken befaßt. Sie hat vielmehr angesichts der Gefahren, die dem
Katholicismus zuerst seitens der Bogumilen, dann seitens des Islams und zuletzt
namentlich auch seitens des fortschreitenden Protestantismus und dessen eifriger
Propagirung durch die aus Deutschland verbreitete, in reiner Volkssprache verfaßte
Literatur der Kroaten drohten, es sich zur Aufgabe gemacht, durch eigene literarische
Schöpfungen im katholischen Sinne direct auf das Volk einzuwirken und es auf diese
Weise zunächst confessionell und moralisch vor den erwähnten Gefahren zu bewahren und
dann ihm überhaupt gesunde Nahrung für seine vielseitigen religiös geistigen Bedürfnisse
zu bieten. Auf diese Weise entstand zur Zeit der politischen Selbständigkeit Bosniens (im
XII. bis XV. Jahrhundert) eine reiche Hofkanzlei-Literatur, von welcher sich eine
ansehnliche Anzahl Urkunden erhalten hat, sowie eine für die damaligen Zeitverhältnisse nicht
minder ansehnliche katholische Erbauungsliteratur. Diese beiden Zweige der bosnischen
Literatur der Vergangenheit weisen uns die eigentliche Volkssprache iin Großen und
Ganzen in einer solchen Reinheit auf, daß wir die Entwicklungsgeschichte unserer Sprache in
374
ziemlicher Vollständigkeit bis in das XII. Jahrhundert zurück zu überblicken im Stande sind.
Diese Sprache also, die durch Jahrhunderte die diplomatische Sprache im wechselseitigen
Verkehre zwischen den bosnischen Herrschern und den Regierungen der benachbarten
Staaten, sowie seit jeher die Schriftsprache der Katholiken, der Bogumilen des Landes
bildete, und in welcher die ganze Literatur der Serben und Kroaten entstanden ist, wurde,
nachdem sie bereits in früheren Jahrhunderten nicht ohne wohlthuenden Einfluß
sowohl auf die Ausbildung der slavischen Amtssprache des Freistaates Ragusa, als auf
die allmälige Ausgestaltung und Läuterung der Sprache der so reichen poetischen
Literatur der ragusäisch-dalmatinischen Periode geblieben war, in der ersten Hälfte des
XIX. Jahrhunderts durch die verdienstvollen und erfolgreichen Bemühungen der Sprachcn-
reformatoren Vuk Stefanovic Karadzic und Ljudevit Gaj, in der Hauptsache gerade
in der Gestalt, wie sie in Bosnien und der Hercegovina gesprochen wird, zur gemeinsamen
Litcratursprache der Serben und Kroaten überhaupt erhoben.
lind nun nur noch einige einzelne Bemerkungen zur theilweisen Eharakteristrung des
gegenwärtigen Standes der volksthümlichen Sprache in Bosnien theilv im Vergleich mit
deni älteren Zustande derselben, theils im Vergleich mit der heutigen literarischen Sprache
der Serben und Kroaten. In der ganzen Entwicklungsgeschichte der Sprache läßt sich,
vielleicht mit der einzigen Ausnahme des substantivischen Genitivs plnralis, die Tendenz
zur Vereinfachung und Verminderung des Formenreichthums derselben wahrnehmen. So
sind znm Beispiel die alten Dualformcn in ihrem ganzen Umfange im Laufe der Zeit
ausgestorben, und es haben auch die wenigen noch erhaltenen Reste derselben ihre eigent -
liche Bedeutung eingebüßt; bei ,oci° wird nicht mehr an die Zweizahl gedacht, im Gegen-
theil spricht man für „zwei Augen" nicht »ckviso ocU sondern pluralisch »ckva olu .
Ebenso ist der Sprache die Locativform des Substantivs sowohl im Singular als im
Plural mit der Zeit abhanden gekommen und durch die Form des Dativs ersetzt worden;
im Plural hat diese selbe Form außerdem auch noch der Instrumental angenommen. Nun
scheint es aber, daß dieser Ansgleichungsproceß noch immer nicht zum Abschluß gelangt
ist; es wird nämlich auch der Vocativ in der gewöhnlichen Rede allgemein immer mehr
durch den Nominativ ersetzt; so werden zum Beispiel Leute ohne schulmäßige Bildung,
gleichviel welcher Confession sie angehören, einen Lehrer niemals weder schriftlich, noch
mündlich mit „gospoäirw neltoljuZ sondern stets mit „gospockin rioilels" ansprechen. -
Das Substantiv .gospockm« wird vor einem andern Namen regelmäßig und von Ange -
hörigen aller Confessionen als indeklinables Attribut gebraucht; man sagt zum Beispiel
allgemein „gospockm äirelrtoiu, gospockin LnprLn, s gosxoäin Üirilom" u. s. w. Das
Gleiche gilt umgekehrt von den türkischen Eigen- und Ehrennamen mit nachfolgendem
„sksnäiju, aga, dog"; es werden beispielsweise „Uelnrwch Ullmsa, ^.liju, HaclLisa", wenn
375
1 Anmerkung der Redaction: „Onkel", jedoch für Frater gebraucht.
sie allein gebraucht werden, ganz regelmäßig durch alle Casus declinirt; dagegen hört man
nie „Uellmacln böAA, lllikmsa sksnäija" u. s. w., sondern lediglich „Noliliroä be^a, Hilm
sksnäija, Hilm ekonllijs, s L.II aZom, 2a Haäm akanälsu" u. s. w. — In lautlicher
Beziehung ist in Bosnien die feine Differenz zwischen den Consonanten L und 0, welche
etwa ein Cakavce wohl nie verwechseln wird, gegenwärtig schon kaum mehr faßbar; beide
werden so ziemlich allgemein gleichmäßig gesprochen. — Einen schweren Stand hat der
schwache Hauchlaut Ir, den katholischen Jkavcen ist er so gut wie ganz unbekannt, dagegen
behauptet er sich besser bei den so-sprechenden Katholiken; wenig wird er auch unter den
Orientalisch-Orthodoxen gehört, dagegen sprechen ihn diese vielfach, und zwar sowohl in
grammatischen Suffixen, als im Wortkörper in der zu k verhärteten Form; am besten
erhält sich das Ir in der Sprache der Mohammedaner, ja bei ihnen hört man, wohl infolge
Beeinflussung durch ihre arabisch-liturgische Sprache, oft auch in slavischen Wörtern
ein Ir, wo es sprachgeschichtlich keine Berechtigung hat. Am allgemeinsten und wohl ohne
Ausnahme ist spcciell der Wegfall des Ir beim Suffixe des adjektivischen und Prono -
minalen Genitiv Plural; man hört nie etwa „äobrijolr ärva", sondern nur »clolrrisa ärva".
Eigenthnmliche Schwierigkeiten bereitet der unslavische Laut k; die katholischen
Varesaner sprechen dafür regelmäßig xr, zum Beispiel palsair Ibns (statt laljsrr, Irvaljeir),
ebenso die Katholiken überall Ltjopan oder 8tixo, lomp und zumeist auch ?IIst>;
ähnlich hört man auch unter den Mohammedanern prator statt lralar; der Orientalisch-
Orthodoxe dagegen fühlt in diesem p etwas Katholisches und spricht nur 5osil und,
obwohl er noch ein Patronymicum Stjspairovie hat, nur Stslarr oder Stovair, Stevo.
Die Trennung der Culturkreise, denen die katholischen und die orientalisch-ortho -
doxen Bewohner des Landes seit Jahrhunderten angehörten, hat es mit sich gebracht,
daß diese, ohne daß dadurch der Gesammtcharakter der Sprache tangirt wird, sich auch
sonst in manchen Einzelheiten sprachlich voneinander unterscheiden. Der Orientalisch-
Orthodoxe betet und singt seine Kirchenlieder lediglich kirchenslavisch, speciell rnssisch-
slovenisch, während der Katholik beides in seiner reinen Muttersprache verrichtet; den
katholischen Personennamen ^.nts, ^nrs, Ivo oder Ivan, ^020 oder (für den Heiligen)
I021P u. s. w. stehen die orientalisch-orthodoxen ^.ntonije, Kjorgjo, üovo oder lovan,
^osik u. s. w. gegenüber; nur im nordwestlichen Bosnien, etwa bis Jajce herunter, nennt
sich der Orientalisch-Orthodoxe nebst Kjorgsv auch wohl Kjnragj oder Ksuro; und
ühnlicherweise spricht der Orientalisch-Orthodoxe: „vaMrs, opZtina,8V6st6niIr, osvotztati",
der Katholik dagegen: ,n8ler8, opöina, 3V666nik (oder populär vielmehr nur nM),'
po8V6tiIi, po3V6eivatI". Der Kirchensprache ist auch das von Orientalisch-Orthodoxen
allgemein gesprochene ,povtoriti« und ,8ovj6t" (neben ,8jstovati") entlehnt.
376
Hier ist nur die Landbevölkerung gemeint, nicht aber die der Kiistenstädte.
Zum Schlüsse mag noch eine interessante, allgemein bosnische Erscheinung erwähnt
werden; sie besteht in dem Mangel des Verständnisses für den richtigen Gebrauch der
Personalpronomina im Gespräche mit einer geachteten Person. Eigentlich national ist für
die angesprochene Person nur das singulare Pronomen ,ti, kvoj«; jedoch bedient sich der
einfache Bosnier, ohne Unterschied der Confession, weniger Verstandes- als instinctmäßig
auch des pluralen ,vi, vus«. Allein er mischt dabei beiderlei Formen, oft in demselben
Satze und in einem Athen: kunterbunt durcheinander: ,vi, tvoj, vsL, tebi« u. s. f.; um -
gekehrt spricht er, mit ,vi" angeredet, auch von sich selbst mit „irch uns" und sagt in
Gegenwart einer höheren Person in seiner Verlegenheit auch wohl zu seinem eigenen
Sohne, trotzdem dieser zu ihm selbst spricht, „vi". Man könnte nun versucht
sein, anzunehmen, daß dieses unpopuläre und so unbequeme ,vi, vs-S- etwa erst mit der
österreichisch-ungarischenOccupation importirt und deshalb noch nicht recht verdaut worden
sei. Dem ist es aber nicht so; vielmehr ist auch diese Erscheinung schon Jahrhunderte alt.
Gesang und 2Nnsik.
In volksmusikalischer Beziehung bilden Bosnien und die Hercegovina mit den
benachbarten Balkanländern Dalmatien^ und Montenegro ein Ganzes. Diese slavischen
Länder haben nicht nur den Charakter ihrer Melodien und Gesänge, sondern auch das mit
einander gemein, daß sich das Lied noch heute aus allen Stufen, auf welche es die
Entwicklung und die Blüte der Musik überhaupt gestellt hat, in lebendigem Gebrauche
erhalten hat. Die Gesänge jener Länder, wie sie noch heute unter dem Volke fortleben,
stellen, in entsprechende Folge geordnet, eine Reihe von Formen dar, deren primitivste sich
der Darstellung durch unser Notensystem entzieht, und deren höchste als eine kühne und
schwungvolle musikalische Linie erscheint, die auf der Grundlage einfacher harmonischer
Verbindungen aufgebaut ist. Dalmatien gegenüber sind Bosnien und die Hercegovina um
den Chorgesang ärmer. Wiewohl man in den Occupationsländern sehr viel und hauptsächlich
gemeinsam singt, ist der Gesang ausschließlich und grundsätzlich daselbst nur einstimmig.
Ich sage grundsätzlich, weil die hiesigen Melodien mit wenigen Ausnahmen keine parallele
Begleitung in Terzen und Sexten, worauf der volksthümliche Chorgesang hauptsächlich
beruhen müßte, zulasten. Die eigenthümlichsten und alterthümlichsten Gesänge müssen wir
allerdings in den Dörfern suchen, denn wie in anderen Beziehungen ist auch hier das
Dorf der verläßlichste Beschützer und Conservator der Vergangenheit. Das bosnisch-
hercegovinische Dorf pflegt und singt am häufigsten zweierlei Melodien. Die erste Art
derselben bedient sich eines akustischen Materials, welches sich wegen der eigentümlichen
Intervalle und der vorherrschenden Triller durch unser Notensystem nicht correet (und nur
377
äußerst schwer annähernd) wiedergeben läßt. Die zweite Art läßt sich wohl darstellen,
gründet sich aber nicht auf das diatonische, sondern auf das chromatische System.
Die erste Art läßt sich nur beschreiben. Der Umfang der Töne ist gering; sie
bewegen sich in dem Raume der großen Terz. Die Intervalle schwanken jedoch zwischen
V» und V-. Ton. Das Tempo ist sehr schleppend, die musikalische Metrik fehlt fast
gänzlich, fast auf jede Silbe fällt ein Triller. Die Art und Weise, wie der Gesang sowohl
von Männern als auch von Frauen mit starkem, kräftigem Brusttöne hervorgebracht
wird, übt den Eindruck, als ob sie Weinen und Schluchzen in Töne übertragen wollten.
Daß man diese Weisen als Gesang betrachten muß, bezeugt einerseits die abweichende
Art, mit der sich die Töne schwer, kräftig und künstlich hervorringen, andererseits,
daß es das Volk selbst „Singen" (pjovnnjs) nennt. Allerdings ist es eine besondere Art
des Gesanges, dessen technische Seite das dalmatinische Volk mit dem Ausdruck
^rollolnifie«, das montenegrinische mit bezeichnet. Die Schwierigkeit
des Vortrages bewirkt, daß jene, welche das Trillern besser treffen, stolz darauf sind
und als bessere Sänger gelten. Die zweite Art, welche der strengen und scharfen Metrik
gerecht wird, weist schon einen Fortschritt ans, wiewohl auch hier der Umfang der Töne
ein geringer ist. Das angeführte Beispiel wird jede Beschreibung überflüssig machen.
?chs - no,
Ockjsno, äuso, sinoe bfssmo,
onckfs inosu ss-dlsa osta,
sadlsa inojg, i INgUruirM.
Hsscts, ckuZo, ckn traLimo,
sko cka, ts llsZieino,
tsdi, ckuso, oxlsäalo,
mein suvlfa i malirama,
o^Isäas ss äo fsssin,
o fsssin k insin ävg'fi,
<la vsLsrLino.
Nu
s»,
Kies
Wo Wir, Liebchen, nächtlich weilten,
Dorten ließ mein Schwert ich liegen,
Dort vergaß ich auch mein Sacktuch.
Komm' mein Liebchen, laß uns suchen,
Will es Gott, daß wir es finden,
Gehört, mein Liebchen, dir der Spiegel,
Mir das Schwert und auch das Sacktuch.
Dann beschau dich bis zum Herbste,
Und im Herbste komme zu mir,
Zu mir komme dann zum Nachtmahl.
Wer Gesänge dieser beiden Arten nicht gehört hat, der kann sich von der
unvergänglichen Tradition keine Vorstellung machen, nach welcher man sie ans allen
Gefilden dieser vier genannten Länder vortrügt, der begreift nicht, mit welchem Feuer und
378
unvermindertem Eifer sie im Volke immer gepflegt werden. Doch hat der Verfasser durch
längere Zeit während seiner melvgraphischen Reisen Gelegenheit gehabt, diese Erscheinungen
zu beobachten, und sollte es einmal dazu kommen — was höchst nothwendig wäre — daß
man diese merkwürdigen Überbleibsel aus dem musikalischen Alterthnme phonographisch
festhült, dann werden meine Worte Bestätigung finden.
Bei den chromatischen Gesängen konnte ich schon deshalb über die richtige Auffassung
durch das Gehör nicht in Zweifel sein, da sie regelmäßig von Vielen und die Intervalle
vom Chore mit überraschender Einstimmigkeit und reiner Intonation gesungen werden.
Ein solcher Gesang, der für eine Hochebene mit weitentfernten Felsenmauern bestimmt ist,
klingt aus den vereinigten Kehlen wie der Schall, der auf einem riesigen, geheimnißvollen
metallenen Instrumente erzeugt wird, und klingt selbst erfahrenen Menschen ans der Ferne
geheimnißvoll. Wer ihn zum erstenmale vernimmt, erräth überhaupt nicht, daß es mensch -
licher Gesang ist.
Wichtig für die Alterthümlichkeit dieser Gesänge ist eine ihrer Eigenschaften. Sie
allein bilden eine Ausnahme in den einstimmigen Gesängen der Bosnier und Herzegoviner,
und da ist das einzige Intervall, über welches sie überhaupt disponiren, die Secunde.
(Sehr selten auch die kleine Terz.) Dies wird der Leser wieder als eine Folge der Ober -
flächlichkeit entweder der Sänger oder des beobachtenden Zuhörers betrachten. Auch ich
war beim ersten aufmerksamen Zuhören (im Innern Dalmatiens), wiewohl das Jntonircn
der Secunden sehr bestimmt, genau und rein erfolgte, im Zweifel, welchen Standpunkt ich
einuehmen, ob ich dies als einen Fehler oder als eine Eigenthümlichkeit auffassen sollte.
Aber als ich eine ganz bestimmte Absicht darin zu erkennen anfing, als ich es (bei der
Landbevölkerung) in allen genannten vier Ländern hörte, als ich erkannte, daß die
Sänger bei gemeinsamen Gesängen jene Secunde gleichzeitig intonirten, als ich
herausfand, daß der größte Theil dieser Gesänge mit einer Secunde schloß, und
daß auch der Guslespieler sie mit Vorliebe auwendet und sie regelmäßig als Abschluß
gebraucht, da konnte ich nicht mehr zweifeln, daß ich vor einer mächtigen, festen Tradition
stand, an welche die Wellen der neuesten Musik vergeblich anschlagen, vor einer Tradition,
welche meiner Ansicht nach ihren Ursprung in der Zeit des musikalischen Alterthums hat,
da die Musik von Ton zu Ton, von Intervall zu Intervall wuchs und sich erweiterte.
Bekannt ist die Thatsache, daß man dem Pythagoras in seinem Geburtsorte Samos
im Tempel der Hera eine Gedenktafel zur Erinnerung an seine Entdeckung der Octave
setzte; und es erregt in uns den Gedanken an eine geradezu phantastisch lange Jahresreihe,
wenn wir ins Auge fassen, daß die Secunde eine der glänzendsten Errungenschaften für
diese Gesänge ist. Ich betrachte die behandelten Melodien als musikalische Formen, welchen
das System der Tonleiter noch unbekannt ist.
Wenden wir uns nun den Melodien zu, die sich auf das System der Tonleiter
gründen. Diese Classe ist in den Städten ausschließlich, in den Dörfern seltener daheim.
Die Gesänge auf dem Lande, welche in diese Kategorie fallen, zeichnen sich gegenüber denen
in den Städten durch eine alterthümliche Einfachheit aus, während jene theilweise ganz den
Charakter der Neuzeit an sich tragen. Wenngleich sich dieses Material schon leicht durch unser
Notensystem widergeben läßt, ist es dennoch interessant. Wie bekannt, weist unsere Musik
mit Ausnahme einzelner besonderer Fälle, in welchen die Componisten zur Erreichung eines
besonderen Effectes die altgriechischcn Tonleitern n. a. verwerthen, zwei Arten von Ton -
leitern auf: Our und Null. Die bosnisch-hercegovinischcn Melodien sind in dieser Hinsicht
bedeutend reicher. Der Schreiber dieser Zeilen hat im Jahre 1893 beinahe 1200 Melodien
notirt und kam nach einer eingehenden Analyse derselben zu dem interessanten Resultate,
daß sie im ganzen eilf verschiedene Tonleitern anfweisen. Es sind dies folgende Scalen:
Unsere beiden: 1. Dur und 2. Noll. Von den altgriechischen gebraucht man — außer der
lydischen, welche mit unserer Vur-Tonleiter übereinstimmt — folgende:
3. die phrygische:
4. die dorische:
5. die hypophrygische:
6. die hypodorische
7. die mixolydische:
380
so können wir uns diese beiden weiteren Scalen oder wenigstens ihr Material zusammen-
stellen. Durch die Combination des I. Tetrachordes Dur und des ll. Noll erhalten wir
folgende Tonreihe:
I. Vur-Detr.
II. NoII-Detr.
W
. ^ »
H
Und diese dient dann den bosnisch-hercegovinischen Liedern zum Aufbau einer Ton -
leiter, die mit dem Ton s beginnt, welche ich
9. Uur-NoII
benennen möchte. Die zweite Combination
I. Noll-Dotr.
II. Unr-Datr.
^
bildet die Grundlage für die weitere Tonleiter, welche aus dem Grnndtone gis beruht, die
ich mir wieder nach dieser Construction als
O
10. Uoll-Vnr
H
'
zu bezeichnen erlaube. Endlich weisen die bosnisch-hercegovinischen Melodien auch noch
eine Tonleiter auf, die man gewöhnlich mit dem Namen
11. orientalische bezeichnet:
Sie läßt sich aus den zwei oberen Hälften unserer Moll-Tonleiter construiren. Die
Melodien, bei welchen diese Tonleiter in Gebrauch ist, kamen theilweise durch die Moham -
medaner aus Arabien herüber, aber die vergrößerte Secunde, welche sie charakterisirt,
ist ein wichtiges Element der slavischen Melodien überhaupt.
Die Forschung nach diesen Tonleitern war durch einige Erscheinungen behindert.
Erstens enthalten die Lieder meistens nicht den Umfang der ganzen Tonleiter.
Die Folge davon ist jedoch keine andere, als daß eine Menge Melodien zwei Scalen
angehören, ja Lieder von geringem Umfange auch mehreren Tonleitern. Zweitens finden
sich interessante Beispiele von Modulationen; hier ein Beispiel aus Sarajevo:
O
381
H Modulation von lydischem oder hypophrygischem Ton zu unierer 8. Scala „Noll-Dominante" aus ß.
(Der Text zu dieser Probe lautet in der Übersetzung: „Ich nahm den großen und
den kleinen Krug, ich ging zum Wasser, mein Liebchen da machte am Wasser meine
Thenre heilige Waschungen.")
Was Einen bei allen südslavischen Melodien (kroatischen, slovenischen, serbischen)
wirklich in Verlegenheit bringen kann, ist eine sehr verbreitete Erscheinung, welche sich mit
Worten etwa so ausdrücken läßt: Lieder, welche den Charakter der vur-Tonleiter-
trägen — sagen wir L-ckur — endigen nicht mit dem Grundtone e, sondern der zweiten
Stufe ä. Infolge dessen macht das Lied den Eindruck der Unabgeschlossenheit, denn
dies ist in Wirklichkeit nur eine halbe Cadenz, wenn wir den Ton ä als Quint des
Dominantenaecords ss, li, ä betrachten. Die harmonische Begleitung der Tamburiea
bestätigt es.
Da wir früher den abschließenden Ton zugleich als den Grundton betrachteten,
entsteht hier ein Dilemma; denn nun wissen wir nicht, ob wir ein solches Lied so auffassen
sollen, als wäre es in einer Dur-Tonart mit einem Halbschlnß aus den Ton ck abgesaßt,
oder als sei es in der Phrygischen Tonleiter durchgeführt.
In solchen Fällen erübrigt nichts anderes, als sich in das Wesen, in die Zusammen -
setzung des Liedes zu vertiefen. Es gibt Lieder, welche ganz deutlich zeigen, daß sie auf
Grundlage der Harmonie entstanden sind; bei diesen vernehmen wir in der Phantasie
unseres Gehörs selbst als Führer: die Grundharmonie, die Dominante und Sub -
dominante.
Zn anderen Melodien wieder würden wir nur schwer eine harmonische
Begleitung finden, und am wenigsten ließen sie sich nach der schablonenhaften
Harmonisirung der erwähnten drei Accorde behandeln. Diese zwei Arten bereiten
also keine Schwierigkeiten, lassen keine Zweifel zu. Aber da die Natur keine Sprünge
liebt und allmälige Übergänge fordert, finden sich auch einige Lieder, welche ziemlich
originelle und alterthümliche melodische Abweichungen aufweisen, sich aber mit dem
banalsten harmonischen Accompagnement vertragen. Diese bilden und bleiben strittige
Erscheinungen. Als deutlichster Beleg hiefür diene das Beispiel einer weit verbreiteten
und daher auch häufig variirten Melodie.
382
1. Variant.
2. Variant.
3. Variant.
I^'u - di - Li - cs, Isn - - di - - Li - - es,
- -
iroL di
Ia_
ts drs. - - - 1a,
kchs
81
- - .
di
la.?
O
si
noc
di
"S—
ia?
bid ts dis. - - - Ia.
(Die Verse zu diesem Allegretto folgen hier in deutscher Sprache; merkwürdig ist
das Verbum „gepflückt" in weiblicher Form, woraus man schließen muß, daß das Subject
„Ich" ebenfalls weiblich oder besser gesagt ein Weib ist.
I. und 2. Variante:
Glänzender Stern, glänzender Stern,
Wo hast du heute Nacht geweilt?
Z. Variante:
Veilchen, Veilchen,
Auch ich möchte dich pflücken.)
Wir erkennen aus dieser Musikprobe, daß jener Klang, der der ursprüngliche zu sein
scheint, wie die reinste phrygische Tonleiter erscheint, während die Form, welche als die
jüngste angesehen werden könnte, unstreitig die Our-Tonleiter mit Halbschluß (auf der
Dominante) ist. Und doch sind das nur Variationen auf ein einziges Thema.
Verzierte Gusla-Kvpfe aus Tri,ovo (Bezirk Sarajevo) und Mostar (Hercegovina).
Heute, da das Spiel auf der Tamburica und der Chorgesaug des dalmatinischen,
kroatisch-slavonischen und serbischen Volkes die Melodien mit harmonischer Begleitung
pflegt und diese Fragen durch die Thatsachen schon entschieden sind, läßt sich nur
eonstatiren, daß der größte Theil der sndslavischen Gesänge, welche der Dur-Tonleiter
angehören und modernes Gepräge haben, mit der zweiten Stufe abschließen, har -
monisch also auf der Dominante. In Bosnien und in der Hercegovina muß man also,
wiewohl hier absolut nicht im Chore gesungen wird und eine harmonische Begleitung, außer
384
mit der Tamburica, nicht besteht, doch bei Liedern, deren Charakter dem entspricht, den Halb -
schluß zugeben. Die Erklärung dieser Erscheinung, welche auf den Fremden den Eindruck von
unabgeschlossenen Melodien macht, verursacht keine Schwierigkeit. Sie läßt sich, nach
meiner Ansicht, auf mehrfache Art erklären. Schwieriger ist die Entscheidung, welche von
ihnen die richtigere ist. Ich selbst kenne ihrer drei. Vielleicht ist diese Form eine Kreuzung
der dorischen Tonleiter mit unserer harmonischen Musik, wie dies die angeführte Passage
der Varianten bestätigen würde. Oder es hat sich dieser Abschluß ans dem Streben entwickelt,
welches wir bei vielen südslavischen und russischen Melodien beobachten können, den vor -
letzten Ton zu dehnen und den letzten kaum hörbar und kurz, gewissermaßen auszuathmen.
Bei solchen Liedern ist der letzte Ton §
auf geringe
Entfernungen nicht mehr zu hören. Vielleicht ist er also bei einigen Liedern schon ganz
verkümmert.
Es ist dies umso eher möglich, als bei vielen Liedern, bei denen ein Vers beim
Singen wiederholt wird, die letzte Silbe nicht gesungen wird, wie beim folgenden Beispiele
ans Stari Majdan:
ns ino - ru vo - rs-
Oj, Imrsrs, ns, inoru vorsrs,
js8i I'koAs prsvomo?
dinoo kssno kiosns svstovs, sitä.j.
Ach, Lazar, Führer am Meere,
Wo hast du jemand überführt?
Gestern spät nachts einen schmucken
Hochzeitszug, su. s, w.s
Schließlich ist auch folgende Deutung möglich: die südslavischen Lieder legen über -
haupt das Hauptgewicht auf den Inhalt des Textes. Weil dann jede Verszeile auch zugleich
eine Strophe bildet (so viele Verszeilen das Lied enthält, so oft wiederholt sich die
Melodie), würden diese Lieder als ein Ganzes den Eindruck der Zersplitterung ausüben.
Dem sucht nun das Volk durch verschiedene Mittel, die ich hier wegen Raummangels nicht
alle anführen kann, abzuhelfen. Durch dieses Streben geleitet, gelangte vielleicht das Volk
zum Gebrauche des Halbschlusses, wodurch nun der Sänger auf alle Fälle, sei es wissentlich
oder unwissentlich, das Lied zu einem Ganzen verbindet.
Über das Verhältniß zwischen Text und Melodie fassen wir uns kurz. Was
den musikalischen Ausdruck anbelangt, der den poetischen Inhalt des Gedichtes unterstützen
soll, müssen wir gestehen, daß man diesen Grad noch nicht erreicht hat. Wenigstens auf
385
Bosnien und Hercegovina.
25
das Gefühl des Abendländers wirken, was die Stimmung anbelangt, die Melodien
meistentheils nur unausgesprochen. Man hört manchmal sehr schmeichelnde oder kühne
melodische Linien, man lauscht ihnen mit wahrem Entzücken, besonders wenn sie sich wie ein
munteres Wässerlein aus den Kehlen kleiner Mädchen ringen, aber man erräth nicht, wovon
gesungen wird. Sie sind, möchte ich sagen, so componirt, daß sie auf jeden Text passen.
Übrigens ist dem auch so. Eine Melodie dient gewöhnlich mehreren Texten, und so geschieht
cs,, daß oft ein Text mit traurigem Inhalte ans eine Melodie gesungen wird, in der nicht
eine Spur von klagendem oder traurigem Ausdrucke zu finden ist, während die stets
schluchzenden und weinerlichen Gesänge der Guslespieler oft sehr heitere Histörchen berichten.
Im großen Ganzen übt der musikalische Theil des Volksliedes den Eindruck aus, als ob
die musikalische Einkleidung dem Texte hier noch nicht als angemessenes Costüme diene, das
ihm Ausdruck verleiht, sondern nur das sonntägliche Gewand, den Salonanzug vorstellt,
der den Text gewißermaßen über das einfache Erzählen auf ein höheres Niveau heben soll.
Ob wir nun die Dorfmelodien ins Auge fassen, die sich dadurch auszeichnen, daß
am meisten jeder Silbe eine Note entspricht, oder die Gesänge der Städter, die wieder die
Verbindung vieler Noten mit einer Silbe aufweisen und dadurch schwungvollen, lieblichen
Figuren ähneln — fast alle haben das Gepräge des Ritualgesanges, erscheinen, wenigstens
für uns kalt, wie etwa ein gelehrter Contrapunkt. Daß man hier nicht einmal die Absicht
hat, einen Eindruck im Sinne der internationalen Musik zu erzielen, davon zeugt auch
der Vortrag der Gesänge, seien sie nun ländlich oder städtisch. Von einem sogenannten
musikalischen Vortrage ist hier nicht die leiseste Spur zu finden. Jede Melodie wird vom
Anfänge bis zum Ende mit einer gleich starken, durchdringenden, aber sehr geschulten
Stimme gesungen. Sie ist stets auf eine große Entfernung berechnet. Da wirkt der Gesang
auch sehr angenehm, ja geradezu reizend, besonders der von Mädchen. Soviel über das
innere Verhältnis zwischen Lied und Melodie. Nun noch etwas über deren äußeres Verhült-
niß. Bei unseren Liedern ist die Sache einfach. Der Text wird unter die Melodie gesetzt
und alles ist fertig. Hier ist das alles viel complicirter. Betrachten wir folgendes Beispiel:
- vo M
vo
cka, pre - kri - o AL
Jovo führt seinen Braun am Kampfplätze (herum),
Er bedeckte ihn niit einem grünen Mantel
An beiden Seiten bis znm grünen Grase.
- . ^ -—
üova Mza xo meAckanu vocka,
prslerio ga rslsnona äolamow,
s okfs 8trans cko relsno travs u. s. w.
Bosnischen ihre besonderen Worte für „Heiraten".
Wer den Text und die Melodie einzeln in die Hand bekäme, würde sie niemals so
zu verbinden wissen, wie es das Volk thut. Tin fünffüßiger Vers hat nach sedem zweiten
Fuße eine Cäsur. Und dieses spielt eine große Rolle. Wenn das Lied gesungen wird, wird
der dritte, vierte, fünfte Versfuß wiederholt, und dazu werden zwei Versfüße der
folgenden Zeile angefügt. Die zweite Strophe wird aus der zweiten Verszeile ohne
Rücksicht darauf gebildet, daß die beiden ersten Versfüße schon gesungen wurden, und
dann werden wieder zwei Versfüße der folgenden Verszeile darangefügt, so daß der Text
der zweiten Strophe im Gesänge so klingt: prolerio ga xeksnom äolainom / xotonom
äolarnoin / 8 objo strano —
Es gibt indeß noch viel complicirtere Fälle; ja es besteht überhaupt ein ganzes
umfangreiches System, wonach eine einfache Verszeile in Folge von Wiederholungen,
Einschaltungen u. s. w. zu einer langen Strophe erweitert wird.
Eine wirkliche Stimmung, und zwar eine dem Texte angemessene zu erzeugen, ist nur
den Tanzliedern gegeben, aber wieder nicht allen, sondern nur den städtischen und
einigen scherzhaften Inhaltes.
Sie werden entweder „llolo", wenn sie für den Tanz bestimmt sind, oder Zgra-,
wenn sie nur gespielt werden, genannt, wiewohl der Ausdruck Zgrati lloio« davon zeugt,
daß zwischen „igra" und „lloto" kein wesentlicher und großer Unterschied besteht. Die
Tanzlieder sind fast durchwegs im Zweiviertel-Tacte, ^.Ilogro, abgefaßt, und die Melodien
bestehen gewöhnlich aus scharfen Achtelnoten (wobei auf jede Silbe eine Note entfällt).
In melodischer und rhythmischer Hinsicht sind sie die einfachsten. Hier das Beispiel eines
solchen Tanzliedes (Jgracica):
Der Gelserich sagte: ich werde eine Frau nehmen,
Es sagt die Mücke: ich werde einen Mann nehmen,
Die Gelse sagt: ich werde dich zur Frau nehmen,
Die Mücke sagt: ich werde dich zum Manne nehmen.
Als sie die erste Nacht verbrachten,
Die erste Nacht im Brautgemach:
„Zieh' aus die Stiefel, kleine Mücke."
„„BeiGott, ich will nichtGelsenhäuptling"" n. s.w.t
llowar vsli: Lsmou ss,
vsli mulla: uäaeu ss,
Icomar vsli: urseu te,
mulla vsli: podi du ti.
Kack su biii prvs iroei,
prvs uosi u Zssräsllu:
,8üiäas Lirms, mala mullo!"
, „6ogms, ns eu, üomar baßa."« s.tck.s
Es erübrigt noch der Instrumentalmusik zu erwähnen. Die in Bosnien und der
Hercegovina üblichen Instrumente sind folgende: 1. Die „Gnsle"; 2. die „Bngarije
oder „Sargije", auch „Tamburica" genannt; 3. die „Zurna"; 4. verschiedene Arten von
' Gelse (lomar oder koinarac) ist im Bosnischen männlich. Die beiden Geschlechter (siehe S. und n. Zeile) haben im
387
Pfeifen, wovon ich die hölzerne „Svirala", die ebenfalls hölzerne „Dvogrlica , eine
Doppelpfeife (im nördlichen Bosnien) und die metallene „Frnla" (in der südlichen
Hercegovina, in der Nähe von Montenegro) und 5. den Dudelsack: „Diple nenne.
Die „Gusle" ist das verbreitetste, älteste und ein wirklich originelles Instrument. Sie
ist gewöhnlich nicht ganz einen Meter lang, aus einem Stulle geschnitten, einem
riesigen Löffel gleich ausgehöhlt und regelmäßig an der Spitze, die von einem Wirbel für
eine einzige Seite durchbohrt ist, zierlich geschnitzt (gewöhnlich ähnelt sie dem Kopfe einer
Gemse). Über die Höhlung ist ein dünnes Leder gespannt, das mit einigen Resonanzlöchern
versehen ist; darauf befindet sich ein einfacher Sattel (.üoirsm, üensae"), der ein Roßhaar-
strühnchen stützt, welches die Saite bildet. Der Bogen ((luäalo) ist auch eine Roßhaar -
schnur, die auf eine gewöhnliche gebogene Gerte gespannt ist. Auf dem Rücken der Gnsle
ist gewöhnlich Harz zum Anstreichen des Bogens anfgetränfelt. Der Gnslespieler entlockt
Bosnische Musikanten aus Jezero.
388
der Gusle nur drei Töne und singt gewöhnlich mit ihr unisono. Es gibt im Allgemeinen
nur die drei Ausnahmen: 1. Er beginnt mit einem höheren Tone und senkt die Stimme
Aissanäo zur Erzielung des unisono mit der Gusle. Dies ist, streng genommen, das
einzige, nicht musikalische Element in der Production. 2. Im Verlaufe des Gesanges fällt
seine Stimme unter den Ton der Gusle um die große Secunde. 3. Schließt er ansnahm-
los mit dieser Secunde, die er sehr gedehnt singt, während er früher noch in raschen
Tönen ein Zwischenspiel beginnt, das mit dem Vorspiel übereinstimmt, etwa auf folgende
Weise:
Die Melodien ändern sich fortwährend, allerdings in den Grenzen dieser wenigen
Intervalle. Die Gusle ist in den Bauernhäusern verbreitet, und besonders darf keine Schänke
ohne sie sein. Ihr Zweck ist die Begleitung epischer Gesänge, die bisher die hauptsächlichste
geistige Nahrung des Volkes bildeten.
Nach der Gusle am verbreitetsten sind die verschiedenen Arten der Tambnrica, die,
wenn sie groß ist, „Sargije", wenn sie klein ist „Bugarije" genannt wird. Die Gusle
repräsentirt das autochthone Slaventhnm, die Tambnrica den übernommenen Moham -
medanismus. Daher wird sie besonders in den Städten gepflegt, wiewohl sie unter der
Bevölkerung aller Confessionen beliebt ist. Es ist eigentlich eine Laute mit kleinem Rumpf
(Körper) und langem Halse. Die vier Metallsaiten sind folgendermaßen aufgezogen:
Der Musikant hält sie wie eine Guitarre, aber anstatt mit den Fingern versetzt er
die Saiten mittelst eines kleinen hölzernen Plättchens oder eines Kieles in Schwingung.
Der städtischen Bevölkerung dient sie als Musikinstrument beim Tanze. Meistens werden
Gesänge damit begleitet. Die Begleitung ist unseren Begriffen von der Harmonielehre
meist entgegen, und mir scheint, daß die Zuhörer den Hauptgenuß an dem metallenen
Klange dieser klirrenden Musik haben. Quinten und Quarten sind die vorherrschenden
Intervalle, und würden auch uns Abendländern einen angenehmen Genuß bereiten, wenn
die häufig hervortrctenden Secunden dies nicht hindern würden. Ein kleines Beispiel
möge einen Begriff von einer solchen Production geben.
Guslar (Costüme auS der Krajina, ehemals Tiirkisch-Croatien)
Lamburica (Zarggn, llugarisn).
Die Zurna ist eine primitive Klarinette von etwa 40 Centimeter Länge. Sie hat
sieben Lücken, die auf folgende Intervalle gestimmt sind:
.
—! ^
Sie ist eine ziemlich seltene Erscheinung, und eine noch seltenere ist eine gut -
gestimmte Zurna. Ihr Klang ist zwar in der Nähe durchdringend, dafür aber in der
Ferne sehr schön und Poetisch. Die Melodien, welche der Zurna entlockt werden, sind
melancholische Improvisationen, welche man nicht festhalten kann, außer mittelst des
Phonographs. Eine zweifache Zurna mit einem ledernen Sacke stellt den höchst
primitiven balkanischen Dudelsack „Diple" vor. Die Musik ist dieselbe wie bei der Zurna.
In Bosnien und der Hercegovina ist er übrigens mit Ausnahme des Ramathales eine
ziemlich seltene Erscheinung. Die Töne, welche man mittelst Pfeifen hervorzubringen
vermag, können vom Sammler nur schwer fixirt werden. Die Pfeifen enthalten eine
Anzahl von Tönen und bilden das Hauptvergnügen der Hirten auf der Viehweide.
Der Zigennermusik, welche besonders das Spiel auf der Tamburica pflegt, fehlt das
heimische Gepräge. Sie ist kosmopolitisch wie die abendländische und orientalische Musik,
und wir begegnen ihr und den Liedern dieses Völkchens sowohl in Slavonien als auch
in Bulgarien und Serbien, oder in Bosnien und der Hercegovina.
Literatur.
ie großen politischen Umwälzungen der drei letzten Decennien haben
den südslavischen Völkern vielfache Errungenschaften und Erleichterungen
gebracht; dabei wurde auch die Aufmerksamkeit des Auslandes auf
diese wenig durchforschten Länder gelenkt. Denn was bis dahin über
dieselben geschrieben worden war, streifte zumeist nur Äußerlichkeiten,
wie sie sich in der wildromantischen Natur dieser Länder, in Sitte und Tracht von
deren Bewohnern knndgeben. In die Seele derselben konnten auch die wohlgesinntesten
Schriftsteller nur selten dringen, weil sie deren Sprache gar nicht oder nur mangelhaft
verstanden.
Und doch möchte die gebildete Welt erfahren, welche lebendigen Kräfte dem Selbst -
erhaltungstriebe dieser Volksstämme Energie und Ansdauer verliehen, welche Hoffnungen
sie auch in den schwersten Heimsuchungen nie an einer menschenwürdigen Zukunft ver -
zweifeln ließen. Ihre unleugbaren Erfolge haben längst die Vermuthung wachgernfen,
daß hinter dieser wilden, durch keine Niederlage gebrochenen Tapferkeit bedeutende
Cnltnransätze vorhanden seien.
Was aber für die Südslaven im Allgemeinen, gilt in einem noch höheren Maße
für die am spätesten befreiten Schwesterländer Bosnien und Hercegovina. Leider wurde
und wird unter allen Zweigen der geistigen Thätigkeit des bosnisch-hercegovinischen Volkes
gerade die Literatur am seltensten berührt, so daß sich un Auslande fast allgemein dav
Vorurtheil befestigt hat, daß dieses Gebiet in den beiden Ländern noch vollständig brach
liege. Weichen doch sogar die stamm- und sprachverwandten Nachbarn diesem Thema mehr
als billig aus. Wer ihm jedoch mit Lust und Liebe nähertritt, entdeckt zu seiner angenehmen
Überraschung, daß in diesem schlichten, vielgeprüften und oft verkannten Volke die Quelle
392
echter, urwüchsiger Poesie nie ganz versiegt war, ja gerade in seiner tiefsten Erniedrigung
am ausgiebigsten und reinsten sprudelte.
Nach der türkischen Jnvasivn (1463) verlor Bosnien jeden Zusammenhang mit
der westlichen Civilisation; es verkam geistig und materiell. Allein so schwer auch das
Joch brutaler Fremdherrschaft auf ihr lastete, war wenigstens die christliche Raja nie
vollständig verstummt. Der gepressten Volksseele entrangen sich immer wieder jene
ebenso ergreifenden als herrlichen Klagelieder, welche, von freundlichen Feen von Weiler
zu Weiler getragen, die Erinnerungen an eine schönere Vergangenheit wach erhielten
und den Glauben an eine bessere Zukunft befestigten. Selbstverständlich verherrlichten
auch die slavischen Mohammedaner Bosniens ihre häufigen Kricgszüge gegen die benach -
barten Länder in Heldengesängen, welche bereits aufgesammelt und zum Theile auch
schon publicirt sind. Sie bilden die liebste Lectüre in den Kaffeehäusern : findet sich ein
Vorleser, dann lassen in der Regel auch die leichtlebigsten Jungen ab vom Spiele, und
manchem Graubart geht der Cibuk ans, ein gewiß nicht zu unterschätzender Triumph der
im Volkslieds verkörperten Schönheit.
Die den Anhängern aller Glaubensbekenntnisse gemeinsame Lyrik, welche für jede
Regung des Gemüthes ihre eigenen süßen Melodien findet, beweist, daß die Bosnier
und Hercegoviner trotz ihrer religiösen Fehden nie aufgehört haben, sich als eine und
dieselbe Nation zu fühlen. Ihre Jahrhunderte hindurch währende Abgeschlossenheit nach
Außen hatte zur Folge, daß sich einerseits die Sprache in ihrer ursprünglichen Reinheit
erhielt, anderseits aber ihre traditionelle Literatur im Anslande so spät bekannt wurde.
Die gebildete Welt war denn auch förmlich verblüfft, als sie durch Vuk Stefanovie-
Karadzie die erste Kunde von diesem einzig schönen Liederschätze erhielt. Neben und nach
Karadzic haben zahlreiche Sprachforscher und Sammler in diesen Ländern unermeßliche
Schätze des Volksgeistes zu Tage gefördert, ohne die noch immer frisch sprudelnden Quellen
zu erschöpfen.
Nicht wenig zur begeisterten Anerkennung dieser Lieder trug der glückliche Zufall
bei, daß deren Übertragung in andere Sprachen überwiegend geniale Übersetzer besorgten,
und daß der greise Goethe, der selbst seine schönsten lyrischen Gedichte der Volksseele
abgelauscht hatte, ihren Ruhm mit Feuereifer verbreitete.
Viel früher und mächtiger wirkte diese Poesie auf die benachbarten Slaven, in
erster Linie ans Dalmatien und hier wieder auf Ragusa, dessen wichtigste Handelsstraße
die Hercegovina und Bosnien durchquerte. Diese Berührung mag wohl das Meiste dazu
beigetragen haben, daß sich in Dalmatien trotz des Einflusses der damals in Europa
maßgebenden italienischen Cultur eine slavische Literatur entwickelte und durch Jahr -
hunderte blühte, so daß Ljndcvit Gaj, als er daran ging, das tiefgesunkene kroatische
Schriftthum neuzubelebeii, direct auf diese glänzende Epoche zurückgriff. Aber schon damals
verwies der hochbegabte Dichter und Kritiker Stanko Vraz, dessen Scharfblick es nicht
entgangen war, daß in der dalmatinischen Literatur nur die Sprache slavisch war, während
sich Inhalt und Tendenz fremden Mustern anschmiegten, auf die ungetrübte Quelle der
Volkspoesie. Sein Verdienst ist es, daß sich der geistige Regenerationsproceß Kroatiens vom
Anbeginn auf volksthümlicher Grundlage vollzog, indem die kroatische Literatur die
Steine für ihren Wiederaufbau dem von Vuk Karadzic gehobenen bosnisch-hercegovinischen
Liederschätze entlehnte. So erhielt die serbo-kroatische Literatur aus Bosnien und der
Herccgovina ein gemeinsames Gepräge. Daß aber auch eine bosnische Literatur bestand
und besteht, soll hier des Näheren ausgeführt werden.
Mit Rücksicht auf den uns zugemessenen beschränkten Raum gliedern wir den Stoff
in drei Perioden und fassen nur die bedeutsamsten Erscheinungen schärfer ins Auge.
Die älteste Periode. — Wer gewohnt ist, sich mit den geistigen Producten jener
großen Völker zu befassen, welche seit dem ersten Aufdämmern ihrer Geschichte auf eigenen
Füßen standen und das Glück hatten, sich im freien Aufschwünge zu entwickeln, wird sich
von den literarischen Leistungen Bosniens während seiner nationalen Dynastien und unter
der türkischen Herrschaft vielleicht enttäuscht abwenden. Wer aber berücksichtigt, mit
welchen Schwierigkeiten die civilisatorischen Bestrebungen einzelner erleuchteter Männer
in diesen durch religiöse Zwistigkeiten und ewige Kriege zersetzten Ländern zu kämpfen
hatte», wird auch diese geringen Leistungen gerecht zu würdigen verstehen.
Wie in allen primitiven Gesellschaften fiel auch hier die geistige Führung des Volkes
der Priesterschaft zu. Der katholische Franciscaner zerbrach sich in bescheidener Zelle den
Kopf, um für seine Gläubigen ab und zu ein Büchlein zu schreiben, dessen Manuseript
erst nach Italien wandern mußte, um aus den dortigen Druckereien wegen Unkenntniß der
bosnischen Sprache gräulich entstellt zurückzukehren, aber gleichwohl von der Blasse viel
gieriger verschlungen zu werden, als von uns sogar die Werke der größten Genies und
Gelehrten gelesen werden. Gleichzeitig war der orthodoxe Mönch unermüdlich im Abschreiben
von Kirchenschriften zu Zwecken des Gottesdienstes. Nur das mohammedanische Element,
welches alle seine Ideale im Orient, in erster Linie aber in Constantinopel verkörpert sah,
hielt sich von diesen cnlturellen Bestrebungen fern, oder schrieb, wenn es zur Feder griff,
in der ihm fremden, aber ans religiösen Rücksichten heiligen türkischen Sprache.
Der Beginn einer Cnlturgeschichte der slavischen Völker fällt mit dem Auftreten
ihrer Apostel Cyrill und Methvd, also mit dem Jahre 863 zusammen, in welchem sie über
Ansuchen des Fürsten Rastislav der byzantinische Kaiser Michael III. als Verkünder der
christlichen Lehre nach Mähren entsandte. Da die Slaven sich bis dahin lediglich einer Art
von Runenschrift bedient hatten, erfand der heilige Cyrill für sie eine eigene Schrift, in
394
welcher die beiden Apostel die ersten Übertragungen der heiligen Kirchenbücher in Verkehr
brachten. Sie bedienten sich zu diesem Zwecke ihrer Muttersprache, wie sie um jene Zeit
in der Umgebung von Salonichi gesprochen wurde; doch haben sie zahlreiche Worte und
Redewendungen zweifelsohne auch dem Dialekt der ihrer Seelsorge anvertranten Mährer
entlehnt. Der heilige Method erlebte noch die Genugthnnng, daß der Papst diese Sprache
zur Kirchensprache erhob mit den Worten: »Interas äsnicpris selobeirieas a Ooristantino
«guoirckanr MiloZopkro rspsrkas fürs lauckairius st iir sacksrri lirrZrm Oirristi äoirürü
irostri larickss st praseonia sirarrsntur judsrinrs."
Als bald nach dem Tode des heiligen Method seine Schüler aus Mähren vertrieben
wurden, fanden sie eine willkommene Zufluchtsstätte beim bulgarischen Fürsten Boris.
In Bulgarien, insbesondere unter Simeon dem Großen (gestorben 927), erlebte die
slavische Literatur ihr goldenes Zeitalter. Es entwickelte sich hier neben der kirchlichen
zum ersten Male auch eine weltliche Literatur. Es erstanden zahlreiche Kirchen und Klöster;
daneben fanden auch die wirthschaftlichen Interessen eine sorgsame Pflege. Nach den:
Tode des mächtigen Simeon begann die junge Cultur rasch zu verfallen; doch wurde
der hier ausgestreute Same einerseits nach Rußland, anderseits nach Serbien und den
benachbarten kroatischen Gebieten verpflanzt.
Ein großer Nachtheil für die anfkeimende slavische Literatur war die Berührung
mit der byzantinischen Civilisation, die sich mehr und mehr in nichtssagenden Bombast
und leere Phrasen verlor. Dieser Nachtheil wurde noch gesteigert durch den heiligen Sava,
welcher das serbische Culturcentrum auf fremden Boden, auf den Athos, verlegte. Dadurch
verlor die Literatur jeden Zusammenhang mit den Bestrebungen und Bedürfnissen des
serbischen Volkes. Was Wunder, daß selbst die Biographien der serbischen Herrscher
von ihren weltlichen Thaten sehr wenig, um so mehr aber von ihren kirchlichen Stiftungen
zu erzählen wissen. Der heilige Sava selbst schildert das Leben seines Vaters nicht als
das des Herrschers Nemanja, sondern als das des Mönchs Simeon. Man schrieb eben
nicht für das Volk, sondern zum Ruhme frommer Herrscher und zur Verherrlichung der
Kirche. Dusans im Jahre 1354 ergänztes Gesetzesbuch ist eines der wenigen kostbaren
Denkmäler weltlicher Literatur dieser Epoche. In Kroatien, besonders aber in Dalmatien,
ringt die Volkssprache in dieser Epoche mit Erfolg nach öffentlicher Geltung. Die Kirchen -
bücher sind allerdings noch in der altslavischen Sprache abgefaßt; allein in allen Staats -
und Privatangelegenheiten herrscht fast ausschließlich die lebende Volksrede. Zahlreiche
Denkmäler aus dieser Zeit sind kostbare Beiträge zur Kenntnis der damaligen Sitten und
Gebräuche, wie sie sich hauptsächlich im Gewohnheitsrechte spiegeln.
Bosnien, diese natürliche Brücke zwischen dem Orient und Oeeident, war frühzeitig
von zwei wesentlich verschiedenen Cnlturen überfluthet, was sein gesummtes Geistesleben
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DieTvrtko-Urkunde.
396
entscheidend beeinflnßte. Die älteste schriftliche Urknnde des noch freien Bosnien reich
ins XII. Jahrhundert zurück. Im Jahre 1189 bewilligte nämlich Kulm Ban der Ripublit
Raansa freien Handel in feinen Gebieten. Die Sprache und Orthographie dieser Urkunde
ist so rein und correct, daß man mit ziemlicher Gewißheit annehmen kann, daß m Bosnien
schon vor Knlin Ban die unverfälschte Volkssprache allgemein üblich war; ;a man kann
behaupten, daß gerade hier sich die Volkssprache das ihr naturgemäß znkommende Vorrecht
vor der Kirchensprache erobert hat, welch letztere, vbschon nn slavycher -mlekt mr
Menge nicht mehr vollkommen verständlich war. Ans zahlreichen Urkunden geht ferner
hervor daß die bosnischen Herrscher schon damals ständige Logotheten in der Bedeutung
der heutigen Reichskanzler hielten, und daß die Großen des Landes schon ausnahmslos
schreiben und lesen konnten, was in anderen civilisirten Staaten sogar >n eurer viel
späteren Epoche nicht immer der Fall war.
Im XI. Jahrhundert tritt in Bosnien die Secte der Bogumilen oder Patarenen aus.
Noch ist der Einfluß dieser Secte auf das staatliche und private Leben Bosniens nicht
genügend aufgehellt; doch unterliegt es keinem Zweifel, daß sie zahlreiche Bnrgerkr.ege
verursachte und den benachbarten Staaten, besonders Ungarn, den Anlass zur Einmischung
in die bosnischen Angelegenheiten gab, indem die Päpste alles ausboten, um diese
ketzerische Secte ansznrotten. Die Bogumilen ihrerseits gingen in ihrem Hasse gegen
Rom so weit, daß sie schließlich sogar die Türken zu Hilfe riefen, und als diese w,r l,c)
erschienen, geschah es durch ihren Beistand, daß das schon durch die Natur vor reff i )
geschützte Bosnien so unrühmlich, fast ohne Schwertstreich, unter die os.nani,che Bot -
mäßigkeit gerieth. Da jedoch ihre Kirche auf rein nationaler Basis aufgerichtet war um
sie sich ausschließlich der Volkssprache bedienten, trugen sie sehr viel zur culturellen un
literarischen Entwicklung des Landes bei.
Die Bogumilen entfalteten in Bosnien eine sehr rege literarische Thätigke.t, um fur
ihre Sache Proselyten zu werben. Ihre Weltauffassung klingt in der That noch m
zahllosen Sagen, Liedern, Sprüchen und Gewohnheiten des Volkes bis in die Gegenwart
nach. Ihre apokryphen Schriften aber gingen mit dem Einbruch der Osnmnen menst
zu Grunde, und vermnthlich haben die Patarenen selbst, welche ausnahmslos zum ^lam
übertraten, zahlreiche ihrer alten Bücher den Flammen übergeben. Nur ein geschriebenes
Denkmal aus dieser Epoche blieb uns erhalten, welches der Patarene Hval für een
Großwojwoden von Bosnien und den Herzog von Spalato Hrvoje im Jahre 1404
verfaßt hat. Dieses für den Sprachforscher ungemein werthvolle, mit zahlreichen Billern
geschmückte Mannscript umfaßt so ziemlich alle von der Seete anerkannten Thelle der
heiligen Schrift des alten und neuen Testamentes. Von derselben Hand blieb uns überdies
noch ein Evangelium erhalten. Beide Handschriften hat der berühmte Sprachforscher
397
Gjuro Danicik veröffentlicht. Den Bogumilen wird auch die sogenannte Bosancica, eine nur
in Bosnien übliche Abart der cyrillischen Schrift, zugeschrieben, für welche Annahme ganz
besonders der Umstand spricht, daß sich dieser Schrift die bosnischen Mohammedaner, die
Nachkommen der einstigen Patarenen, im gegenseitigen Verkehr auch heute noch bedienen.
Das ist so ziemlich Alles, was wir über die älteste heimische Literatur wissen;
allein auch dieses schwache Lichtlein verlosch mit der Besitzergreifung des Landes durch die
Osmanen. Durch diesen Schicksalsschlag waren alle Geister so sehr gelähmt, daß über
zwei Jahrhunderte vorüber gingen, bis sie sich wieder sammelten. Mit Matija Divkovie
beginnt die zweite Literaturperiode Bosniens.
Zweite Periode. — Es ist bekannt, wie gerade das Wiederaufleben der altelassischen
Studien den Impuls zur Schaffung einer blühenden italienischen Nationalliteratur gab,
welche an Tiefe der Gedanken und Empfindungen, sowie an Geschmeidigkeit der Form von
keiner späteren Literatnrepoche überflügelt wurde. Diese an originellen Eingebungen so
fruchtbare Geisterbewegnng ergriff auch das benachbarte Dalmaiien. Während sich das
eigentliche Kroatien in der Abwehr der sich alljährlich wiederholenden Türkeneinfälle
verblutete, daher weder Zeit noch Muße fand, an seiner geistigen Erhebung zu arbeiten,
erlebte die kroatische Literatur in dem kroatischen Athen, im reichen und freien Ragnsa, ihr
goldenes Zeitalter. Den Culminationspnnkt erreichte dieser Aufschwung mit dem vielseitigen
und noch immer größten kroatischen Dichter Ivan Gundnlic (1588—1638).
Von diesen geistigen Strömungen konnte das an der Schwelle Dalmatiens liegende
Bosnien nicht ganz unberührt bleiben, ja es nahm unter allen südslavischen Ländern nach
Dalmatien den regsten Antheil an der literarischen Arbeit. Da aber die Schriftsteller
dieser Periode ausschließlich Franciscaner waren, ist es natürlich, daß sie für ihre Zwecke
lediglich aus der religiösen Dichtung Dalmatiens schöpften. Ihre Absicht war nicht, zu
unterhalten, sondern zu erbauen, eine Tendenz, welche die bosnische Literatur bis in die
jüngste Vergangenheit beherrschte.
Die Schriftsteller bedienten sich zunächst der landesüblichen Bosancicaschrift; erst
im XVII. und XVIIl. Jahrhundert gewinnt die Lateinschrift die Oberhand. Ihre Erzeugnisse
haben, wie bereits bemerkt, einen rein ethischen, aber keinen ästhetischen Werth; gleichwohl
bilden sie für den Philologen und Culturhistoriker eine ergiebige Fundgrube, für den
Philologen, weil sie ohne Ausnahme in der reinen, unverfälschten Volkssprache abgefasst
sind, für den Culturhistoriker, weil insbesondere in den Predigten die moralischen
Gebrechen der bosnischen Bevölkerung jener Zeit gegeißelt werden. Die Predigten sind
ferner mit zahlreichen, meist der lateinischen Literatur entlehnten Erzählungen und Sagen
ausgeschmückt, welche das schlichte Volk in seinem Geiste umarbeitete und dem reichen
Schatze seiner traditionellen Literatur einverleibte.
368
Die große Anzahl der Schriftsteller und die zahlreichen Auflagen ihrer Werke
beweisen ferner, daß das Volk schon damals ein großes Lesebedürfnis empfand, und es
ist gar kein Zweifel zulässig, daß die bosnische Literatur, wenn die socialen und politischen
Verhältnisse günstiger gewesen wären, auch nach der weltlichen Richtung hin Blüten und
Früchte gezeitigt haben würde.
Eine Eintheilung dieser religiösen Literatur nach dem inneren Werthe oder nach
dem Ideengehalte ist nicht durchführbar. Auch bringt sie fast nur Übersetzungen oder
Compilationen, welche indessen zur Befriedigung der religiösen Bedürfnisse des Volkes
vollkommen ausreichten. Gleichwohl sind die bedeutendsten Schriftsteller dieses Zeit -
abschnittes jene, welche ihre Werke in der Bosancica veröffentlichten. Wir beschränken uns
darauf, die Namen der wichtigeren Repräsentanten dieser Gruppe anzusühren.
Der Begründer der zweiten literarischen Periode in Bosnien ist Mathias Divkovie
aus dem Dorfe Jelasci im Bezirke Visoko, welcher im Jahre 1631 starb. Er schrieb zahl -
reiche Bücher, welche seine Gelehrsamkeit und seinen Fleiß im besten Lichte zeigen.
Erwähnt sei noch, daß er als der Erste die gebundene Rede in die bosnische Literatur
einführte, offenbar angeregt durch die blühende Poesie Ragusas.
In der Bosancica schrieben ferner: Pavao Posilovic aus Glamoc, 1642—1664
Bischof von Scardona in Dalmatien; Stjepan Markovac oder Margitie aus Jajce,
nach DivkoviL der fruchtbarste Schriftsteller, wichtig für das Studium der Volkssitten
und Gebräuche; Augustin Vlastelinov ic aus Sarajevo. Der einzige, aber kenntnißreiche
Dichter aus Laienkreisen, Bono B enic, 1708—1785, schrieb eine Chronik über die kirch -
lichen und Politischen Zustände seiner Zeit. Erwähnt sei noch, daß der Provinzial Fra
Luka Karagie in einem Rundschreiben vom Jahre 1737 den Gebrauch der Lateinschrift
nicht nur im öffentlichen, sondern auch im Privatverkehr verbot. Sein Verbot blieb jedoch
unbeachtet, denn Bücher wurden fortan nur in dieser Schrift gedruckt.
Dieser Gruppe gehören an: Ivan Bandulovic aus Skoplje (Dolnji Bakus), dessen
Hauptwerk „Episteln und Evangelien", zum ersten Male gedruckt zu Venedig 1613, sich
durch 150 Jahre im kirchlichen Gebrauch behauptete; Ivan An eie aus dem Dorfe Lipa
bei Zupanjac, gestorben 1685; Lovro Sitovie aus Ljubuski, war ursprünglich Moham -
medaner, trat jedoch zum Christenthnme über und dockte mit großem Erfolge Philosophie
in Sebenico, wo er 1729 starb. Ferner gehören hieher Marian Lekusic aus Mostar;
Hieronymus Filipovic aus Raum, gestorben 1765; Marko Dobretie, von 1773 bis
zu seinem Ableben im Jahre 1784 Bischof von Bosnien; Luka Vladimirovic, geboren
in Mostar 1718; Philipp Lastric, geboren 1700, gestorben 1783. Unter seinen zahl -
reichen Werken ist am verdienstvollsten das »kpitoina velustntum Uosnensis provineiuo
vte.Z weil es unter Anderem den ersten Versuch einer bosnischen Literaturgeschichte
399
enthält. Hieher gehören ferner: die Bischöfe Grgo Jlic ans Bares, gestorben 1813 und
Augustin Miletic aus Fojnica, 1763—1831, letzterer zunächst als ein in Italien viel -
bewunderter Kanzelredner; Ambrosius Matic, Rafo Barisic, Marian Jakovljevic,
Mihovil Cuic u. A. Erwähnt sei auch noch der bosnische Anacharsis Gjuro Krizanic,
geboren 1617 in der bosnischen Krajina (Türkisch-Kroatien). Nachdem er die theologischen
Studien in Agram, Wien und Bologna vollendet, zog er nach Rom, Constantinopel und
trat 1669 in russische Dienste,
doch war ihm das Schicksal nicht
hold, denn er wurde bereits 1661
nach Sibirien verbannt, wo er
volle sechzehn Jahre in Elend
und Noth verlebte, ohne jedoch
die geistige Spannkraft einzu -
büßen; ja er schrieb gerade
während der Verbannung seine
bedeutendsten Werke, so seine
slavische Grammatik, erschienen
in Tobvlsk 1665.
Als lateinische Schrift -
steller glänzten n. A. Georg
Dvbretic, Stefan Marijano-
vic und Fra Blasius Josic.
Der bedeutendste unter ihnen
ist der Erstgenannte. Dvbretic
wurde in Srebrenica als Sohn
einer reichbegüterten Adelsfa -
milie geboren, flüchtete jedoch
nach dem Einbrüche der Türken
1463 nach Italien, wo er in dcn Franciscaner-Orden eintrat, studirte in England und Paris,
wirkte dann als Erzieher in Urbino und Florenz, trug in Pisa Metaphysik und Theologie
vor, von den Medici wegen seiner tiefen Gelehrsamkeit hochgeschützt. Als er jedoch für den
Dominikanermönch Hieronymus Savanarola eintrat, mußte er 1497 Florenz verlassen.
Im selben Jahre besuchte er seine Verwandten in Srebrenica, wirkte vorübergehend als
Lehrer in Ragusa und starb 1520 als Erzbischof in Italien. Dobretiö, der sich in seinen
lateinischen Werken in Benignus nmtaufte, kannte gründlich die antiken Sprachen und
konnte sich als Dialektiker und Dogmatiker mit den größten Gelehrten seiner Zeit messen.
/»P». o 2 o/)
Volkslied in der Alt Bosancica-Schrift.
400
Bosnien und die Hercegovina lieferten, seitdem sie eine türkische Provinz geworden,
nicht nur ausgezeichnete Groß-Veziere, Heerführer und Statthalter, welche vieles zum
Ruhme und zur Vergrößerung des östlichen Kaiserreiches beitrugen, sondern sie führten
auch der türkischen Poesie einige der bedeutendsten Dichter zu. Wir wollen nur die hervor -
ragendsten derselben erwähnen.
Dervis-Pascha, zu Mostar 1566 geboren, kam unter Sultan Selim II. nach
Constantinopel, wo er für den Kriegsdienst erzogen wurde. Um diese Zeit stand der
Hercegoviner Mehmed Pascha Sokolovic im Zenith seiner Macht und war mit Erfolg
bestrebt, möglichst viele Landsleute in der Türkei zu einflußreichen Stellen zu erheben.
Als Beglerbeg von Bosnien zog Dervis-Pascha mit seinem Kontingent nach Mohacs und
von hier mit Ibrahim Pascha und Mehmed Pascha Sokolovic vor Ofen, wo er sich mit
seinen Landsleuten auszeichnete. Bei der Eroberung Kanizsas befehligte er einen Theil
der türkischen Truppen, mit welchen er zuerst in die Verschanzungen des Erzherzogs
Ferdinand drang. Im Jahre 1604 starb er vor Ofen den Heldentod, weil er die Schmach
des Rückzuges nicht zu ertragen vermochte. Im Jahre 1592 hatte er in seiner Geburts -
stadt eine Moschee erbaut. Doch mehr als die Kriegsthaten verherrlichen seinen Namen
seine persischen und türkischen Dichtungen. Sultan Murat III. beauftragte Dervis Pascha,
eine persische Erzählung, welche ihm besonders gefiel, in's Türkische und zwar in Versen
zu übertragen. Der Dichter lieferte eine meisterhafte Übersetzung und gab sie mit einigen
eigenen Gedichten bereichert, im Jahre 1587 unter dem Titel „Murad-name" (Murat's
Buch) heraus. Damit eroberte er sich sofort einen der hervorragendsten Plätze unter den
türkischen Dichtern. An Feinheit des Ausdruckes und Schwung der Gedanken dürfte er
sich mit den besten türkischen Lyrikern messen. Daß er auch in der Ferne seine Heimat
nicht vergaß, beweist sein Lobgesang an Mostar, welches er als ein Nest berühmter
Helden der Wissenschaft und des Schwertes feierte. Er hinterließ auch einige kleinere
Dichtungen in arabischer Sprache.
Vor der Renaissance der türkischen Poesie zu Beginn dieses Jahrhunderts wurde
Nerlesija als der tiefsinnigste und erhabenste Classiker gefeiert; ja es werden ganze
Abschnitte seines Hauptwerkes „Hamsa" in den höheren Lehranstalten des türkischen
Reiches auch heute noch als Muster elastischen Stiles gelesen. Im Jahre 1591 in Sara -
jevo geboren, wo sein Vater Kadi war, vollendete er die höheren Studien in Constanti -
nopel, diente als Kadi in Gabela und Mostar und wurde 1634 Kriegsgeschichts -
schreiber; doch starb er infolge eines Sturzes vom Pferde im blühendsten Alter. Er
hinterließ zahlreiche Schriften, unter welchen „Hamsei Nertesi" den ersten Rang einnimmt.
Diese unterhaltende Lehrdichtung, welche sich durch plastische Darstellung und geistreiche
Wortspiele auszeichnet, erlebte mehr Auflagen, als irgend ein anderes türkisches Werk.
401
Wenn wir ferner den Großvezier Husrev-Pascha, Ali Beg Hercegovic, Ahmed
Beg Dervis-Pasik, den Mostarer Zijai, Hilmi Beg Ljubovic, Sudija, Ahmed
Effendi Blagajac und den noch lebenden Veteranen der türkischen Poesie Arif Beg
Stocevic (Rizvanbegovic) erwähnen, haben wir die Reihe jener Söhne Bosniens und
der Hercegovina, welche die orientalische Dichtkunst und Wissenschaft zu ihren Zierden
zählt, noch lange nicht erschöpft.
Bevor wir zur dritten Literaturperiode übergehen, haben wir noch zweier Männer
orientalisch-orthodoxer Confession zu gedenken, welche als Dichter und Gelehrte Bosnien
zur Ehre gereichten. Es sind dies Sima Milutinovic und Paul Karano-Tvrtkovic.
Bosnien zählt nur wenige Männer, welche einen so wechselvollen Lebensgang und eine
so fruchtbare und vielseitige schriftstellerische Thätigkeit hinter sich hatten, wie Sima
Milutinovic-Sarajlija. Im Jahre 1791 in Sarajevo geboren, flüchtete er als zwei -
jähriges Kind mit den Eltern aus Sarajevo, wo die Pest wüthete, nach Gradacac. Nach
sechsjährigem dortigen Aufenthalte übersiedelte die Familie aus demselben Grunde, und
weil inzwischen der österreichisch-türkische Krieg ausgebrochen war, zunächst nach Slavonisch-
Brod, dann nach Semlin und zuletzt nach Belgrad. Als nach Abschluß des Krieges
Belgrad unter die türkische Botmäßigkeit znrückfiel, zog sich die Familie nach Semlin
zurück. Der junge Sima studirte erst in Belgrad, dann in Semlin, Szegedin und
Karlowitz. Als die Serben 1808 Belgrad eroberten, trat Milutinovic als Schreiber in
die Senatskanzlei ein; doch mußte er schon 1813, als Belgrad von den Türken
neuerdings besetzt wurde, nach Österreich flüchten, um sich zunächst einer Freischaar
an der Drina anzuschließen. Von da an verlor er die Spur seiner Eltern, welche
nach Bessarabien ausgewandert waren. Rührend ist die Irrfahrt, welche er unternahm,
um seine Eltern zu suchen; er fand sie erst 1819 in Kisenjev. Inzwischen war er, um sich
fortzubringen, genöthigt, als Gärtner, Schreiber und Lehrer zu wirken. Als Garten -
aufseher, im Verkehre mit der freien Natur, entdeckte er zum ersten Mate seine poetische
Ader. Im Jahre 1825 zog er über Odessa nach Leipzig, um seine „Serbijanka" und
andere Lieder drucken zu lassen. Er verblieb in Deutschland bis zum Jahre 1827, hörte
hier die Vorträge der Professoren Krug und Gerhard, machte aber außerdem auch mit
Herder, Grimm, Uhland, Amalie Talvj und Goethe Bekanntschaft. Goethe berichtet über -
feine erste Begegnung mit Sima: „Die herzliche Einfalt und Biederkeit, die seiner Nation
eigen, bezeichnet ihn wie sein Gedicht." Amalie Talvj und Gerhard haben es hauptsächlich
der Nachhilfe unseres Sima zu verdanken, daß ihre Übersetzungen südslavischer Volks -
dichtung so vortrefflich gelangen. Aus Deutschland wendete sich Sima Milutinovic nach
Montenegro, wo er volle fünf Jahre verweilte. Er schrieb hier eine Geschichte Montenegros,
dichtete die Tragödie „Obilic" und schuf eine Sammlung von Volksliedern, neben jener des
Bosnien und Hercegovina. 26
402
Vuk Karadzic die verläßlichste, die wir besitzen. Als Erzieher des späteren Vladika Petar
Petrovic Njegos II. mag er wohl auch wesentlich dazu beigetragen haben, daß sich dieser
hochbegabte Mann für die Dichtkunst begeisterte und den herrlichen „Gorski Vijenac"
(Bergkranz) schuf. Als er im Jahre 1832 nach Belgrad zurückkehrte, gab ihm Fürst Milos
den Auftrag, eine Geschichte Serbiens von 1813—1815 zu verfassen, welche im Jahre
1837 in Deutschland unter seiner eigenen Aufsicht in Druck gelegt wurde. Auf der Rück -
reise nach Belgrad, welche 1838 erfolgte, verliebte er sich in Ofen in die Verehrerin seiner
Muse, Marie Popovie, und führte sie, rasch entschlossen wie er war, auch sofort zum Altar.
Er starb nach neunjähriger glücklicher Ehe 1847 in Belgrad als Seeretär des Cultus-
ministeriums. Außer zahlreichen in verschiedenen Zeitschriften zerstreuten Artikeln und
Gedichten hinterließ Sima Milutinovic 29 Werke und eine Tragödie des großen Kara-
gjorgjevic, welche er für seine beste Leistung hielt; sie existirte nur im Manuscript, welches
leider verschollen ist.
Neben Milutinovic ist der bedeutendste orientalisch-orthodoxe Schriftsteller Bos -
niens Pavao Karano-Tvrtkovic. Sein Hauptwerk ist die Sammlung der Urkunden
der bosnischen Herrscher von 1189—1463, welche erst die Abfassung einer kritischen
Geschichte Bosniens ermöglichte. Diese hochwichtige Publication erschien 1840 in Belgrad.
Dritte Periode. — Diese Periode beginnt mit der begeisterten illyrischen
Bewegung in Agram, welche von Ljudevit Gaj angefacht und geleitet, die nationale
Wiedergeburt der Südslaven anstrebte, um durch sie, wenigstens in Kroatien, auch die
politischen Rechte znrückzuerkämpfen. Dieser Bewegung schlossen sich die begabtesten
Jünglinge Bosniens an, weil sie von ihr auch eine Besserung der socialen und politischen
Lage der hartbedrückten Heimat erhofften. Die bedeutendsten Repräsentanten dieser
literarischen Bestrebungen sind hier Marian Sunjic, Franjo Jukic und Grgo Martic.
Am 7. Jänner 1798 im Dorfe Bucici bei Travnik geboren, trat Marian SunjU
1813 in den Franciscanerorden, wo seine ungewöhnliche Begabung mit allen Mitteln
gefördert wurde. Als Schüler der orientalischen Akademie in Wien eignete er sich außer
den Hauptsprachen Europas auch die gründlichste Kenntnis) der türkischen, persischen und
arabischen Sprache an, so daß sein Professor Oberleiner bei der Abfassung seiner
arabischen Grammatik seine Mitwirkung in Anspruch nahm. Als im Jahre 1836 in
Bosnien eine Hungersnoth ausbrach, vertheilte Sunjic' als Pfarrer alle seine Vorräthe
an die Nothleidenden, ja er verkaufte sogar sein letztes Pferd, dessen er im Dienste
dringend bedurfte, um die Hungrigen zu speisen. Papst Pius IX. schätzte ihn
wegen seiner hervorragenden Eigenschaften so sehr, daß er ihn 1854 zum Bischof von
Bosnien ernannte. Leider verschied dieser große Wohlthäter und Lehrer seines Volkes
schon im Jahre 1860 in Wien, wo er Heilung von einem bösartigen Fieber gesucht
403
hatte. Bei seinen aufreibenden Berufspflichten konnte er keine rege schriftstellerische
Thätigkeit entwickeln, doch stehen sowohl seine, dem traurigen Schicksal seiner Heimat
geweihten Elegien, als seine in lateinischer Sprache verfaßten philologischen Ab -
handlungen auf der Höhe seiner seltenen Bildung. Er war unbedingt einer der größten
Söhne Bosniens.
Eine weit fruchtbarere und vielseitigere Thätigkeit entfaltete sein jüngerer Zeit -
genosse und Freund Franjo Jukik. Im Jahre 1818 in Banjaluka als Sohn eines Gold -
schmiedes geboren, ließ er sich als Franciscaner einkleiden und lag den höheren Studien
in Agram ob, wo er sich sofort Ljudevit Gaj anschlvß. Im Jahre 1850 ließ ihn Omer
Pascha Latas verhaften und gefesselt zuerst nach Salonichi, dann nach Constantinopel
bringen, wo er unsäglichen Qualen unterworfen wurde. Er fand schließlich eine Zufluchts -
stätte beim Bischof Strvßmayer; doch starb er schon 1857 in Wien, wo er ärztliche Hilfe
gesucht hatte. Trotz seines kurzen Lebenslaufes und des widrigen Schicksales, welches ihn
verfolgte, verfaßte Julie eine Menge Bücher, welche noch immer gerne gelesen werden.
Sein verdienstvollstes Werk ist seine 1850 in Agram erschienene „Geographie und
Geschichte Bosniens" (^eirlljopis i povj68tiriea Losiro). Er begründete ferner die
Periodische Zeitschrift „IZosanski xu-ijatsIjZ wovon jedoch wegen seiner Verbannung nur
zwei Hefte erschienen.
Der treueste Freund und eifrigste Förderer der civilisatorischen Bestrebungen des
Fra Julie war sein jüngerer Zeitgenosse und Landsmann Fra Grgo Martin, zugleich
der größte Dichter, den Bosnien bisher hervorgebracht hat.
Fra Grgo Martic wurde am 5. Februar 1822 in Posusje, einem Orte des Bezirkes
Ljubuski in der Hercegovina, geboren, wo sich die bosnische Volkssprache bekannter -
maßen am reinsten erhalten hat. Der hochbegabte Knabe fand im Jahre 1834 Aufnahme
in das altehrwürdige bosnische Kloster KreKevo, wo er fünf Gymnasialclassen mit Aus -
zeichnung absolvirte und das Ordensgelübde ablegte. Dann besuchte er die sechste Classe
in Pozega, hörte in Agram vom Jahre 1839 bis 1840 Philosophie und beendete im
Jahre 1844 in Stuhlweißenburg die theologischen Studien.
In diese Epoche fallen seine ersten literarischen Versuche, welche durch die illyrische
Bewegung veranlaßt wurden. Als Martiö im Jahre 1845 in seine Heimat zurückkehrte,
begann er im Verein mit Julie und Marian Sunjic Volkslieder zu sammeln. Mit der
Sichtung des so gewonnenen Materials wurde Jukik betraut, doch erschien ein Theil der
Sammlung erst nach seinem Tode 1858 in Esseg unter dem Titel »trockne xjosE
bosaimko i lioreoAovaökk" (Bosnisch-Hercegovinische Volkslieder). Für diese werthvolle
Sammlung verfaßte Martic unter dem Pseudonym „I-suboiirir° das Vorwort und eine
ergreifende Elegie auf Jukiö' Tod. Im II. Band der Agramer periodischen Zeitschrift
26»
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„Kolo" veröffentlichte Martic das erschütternde Klagelied „?1aö Uosne" (Bosniens
Thrünen). Dieser schmerzhafte Aufschrei bedrückter Menschlichkeit kündigt bereits den
späteren Tröster seines Volkes und den erhabenen Sänger der „Rächer" an.
Im Jahre 1850, demnach in der stürmischen Epoche Omer Paschas, wurde Martic
zum Pfarrer von Sarajevo ernannt. Omer Pascha, der in seiner Heimat Michael Latas
geheißen, war in Ognlin geboren. Er flüchtete wegen eines Vergehens nach Bosnien, wo
er zum Islam übertrat und sich nach und nach zum Oberbefehlshaber der gesammten
türkischen Armee emporschwang. Anfangs kam er den Mönchen des Franciscaner-Ordens
und den Christen überhaupt sehr wohlwollend entgegen; ja er begann zunächst die
renitenten bosnischen Mohammedaner rücksichtslos zu verfolgen. Jukit und Martic
widmeten ihm für die Erleichterungen, welche er ihren Glaubensbrüdern gewährte, das
II. Heft des „Losausbi prijutols« mit einer schwunghaften Ode. Allein, nachdem Omer-
Pascha die unbotmäßigen Mohammedaner mit Hilfe der Christen gedemüthigt hatte,
kehrte er sich gegen die Christen, nahm ihnen die Waffen ab und vertheilte sie an dieselben
Türken, welche er so schonungslos niedergetreten hatte. Wir haben bereits oben bemerkt,
daß er seinen Freund Jukic nach Constantinopel schleppen ließ. Einem ähnlichen Schicksal
entzog sich Fra Grgo Martic durch die Flucht.
Als Omer Pascha im Jahre 1852 abberufen wurde, kehrte Martic auf seine Pfarre
nach Sarajevo zurück, wurde im Jahre 1854 auf die Pfarre in Ponijevo bei Zepce
versetzt, doch schon nach einem Jahre von seinem Bischof Sunjic als Vertreter der
Katholiken und der Ordensprovinz nach Sarajevo zurückberufen. Vom Provinzial mit
einer Mission in Bulgarien betraut, durchreiste er im Fluge dieses Land und die Wallachei
und schilderte im »Xatoliöüi lüst" mit glühenden Farben die Verhältnisse der Katholiken
in diesen Ländern, sowie in Bosnien und der Hercegovina. Nun wurde er zum Professor -
in Kresevo ernannt, wo er den I. Theil seiner unsterblichen „Osvotniei" (Rächer) dichtete.
Im Jahre 1860 auf die Pfarre bei Novi Seher versetzt, brachte er daselbst zwei weitere
Theile der „Rächer" fertig und übertrug Racine's „Iphigenie", Chateaubriand's „Rene"
und Vergil's „Aeneide" ins Kroatische.
Vom Jahre 1863 bis 1878 finden wir Martiö wieder in Sarajevo, wo er als
Pfarrer und Mitglied des Vilajets-Rathes eine ungemein rege Thätigkeit entfaltete. In
dieser Periode schrieb er außer dem IV. Theil der „Rächer" nichts, doch erwarb er sich
ein großes Verdienst durch die Gründung einer katholischen Elementarschule in Sarajevo,
welche im August 1879 leider den Flammen zum Opfer fiel.
Fra Grgo Martic bedauert noch heute besonders lebhaft den Verlust seines Epos
„Osimauisu", worin er die Eigenschaften und die Politik Osman Paschas schwungvoll
besang. Als er nämlich bei demselben Osman in Ungnade fiel und eine Hausdurchsuchung
befürchtete, verbarg er das Manuscript im Kornspeicher, wo es von Mäusen in kleine
Stückchen zernagt wurde. Da diese Dichtung durch Schwung der Diction und Feuer der
Gedanken alle seine anderen Gesänge übertroffen haben soll, ist ihr Verlust ein
unersetzlicher Schaden für die bosnische Literatur.
Als mit dem Einzuge der österreichisch-ungarischen Truppen in Sarajevo Ordnung
und Ruhe hergestellt waren, feierte Martic in der ersten Nummer der Amtszeitung
^lZosairsüo-IrsresAovaLira Qovina" diesen wichtigen historischen Moment in einer
begeisterten Ode. Im selben Blatte erschien im Jahre 1879 die „Adresse des Dichters",
worin er die silberne Hochzeit Ihrer Majestäten verherrlicht. Wenn wir noch erwähnen,
daß Martic auf Grund einer Studie des Professors A. Pavic ein Epos über die
Katastrophe auf dem Amselfelde dichtete, haben wir seine literarische Thätigkeit im
Wesentlichen erschöpft. Martik wurde übrigens für seine aufopfernde patriotische Thätigkeit
die verdiente Anerkennung wiederholt zu Theil. Nachdem er durch sechs Jahre Definitor und
durch drei Jahre Custos des Franciscaner-Ordens in Bosnien gewesen, wurde er 1892
zum laotor jubilatus (eine Art akademischer Auszeichnung) gewählt und vom Papste
bestätigt. Seine Brust zieren zwei höhere österreichische und ebensoviele osmanische Orden.
Bald nach der Occupation zog sich Martik ins Kloster in Kresevo, wo er vor fünf
Jahren sein fünfzigjähriges Priesterjubiläum feierte und nur noch seinen Studien und der
Poesie lebt, zurück. Martik' Hauptwerke sind, wie bereits erwähnt, die „Rächer" (Osvstniei),
bestehend aus sieben selbständigen, an 30.000 Verse zählenden Epopöen. Schon der Titel
besagt, daß uns der Dichter darin Helden vorführt, welche theils selbsterfahrenes Unrecht,
theils die unmenschliche Behandlung der Glaubensgenossen an den Bedrückern sühnten.
Als Zeitgenosse und unmittelbarer Augenzeuge war der Dichter in der Lage, die blutigen
Ereignisse und die leitenden Persönlichkeiten genau kennen zu lernen. Er nimmt denn auch
für seine Dichtungen mit Recht die Glaubwürdigkeit einer Kriegschronik in Anspruch.
Da die „Rächer" die blutigen Kämpfe von über zwanzig Jahren umspannen, fiele
es schwer, deren Inhalt auch nur oberflächlich zu skizziren; weil ferner der Dichter die
tiefsten Abgründe dieser dämonischen Naturen beleuchtet und gerade in dieser epochalen
Dichtung den ganzen Schatz seiner edlen Gesinnung, seiner durch Leiden früh gereiften
Lebensweisheit und seiner strahlenden Gedankenwelt niedergelegt hat, ist es der nüchternen
Prosa geradezu unmöglich, dem kühnen Fluge seiner feurigen Phantasie auch nur in
bescheidener Entfernung zu folgen. Um jedoch seine musterhafte Compositions- und
Charakterisirungskunst nur ungefähr anzudeuten, wollen wir versuchen, aus der großen
Epopöe einige Gestalten und Geschehnisse herauszugreifen.
Das erste Epos „Obrenov" behandelt ein im Jahre 1857 in der Hercegovina
geschehenes blutiges Ereigniß und besteht aus sechs Gesängen. Im Proömium entwirft
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der Dichter mit einigen kräftigen Zügen ein lebendiges Bild der großartigen Gebirgs -
landschaft. In diesem Felsenhorst hat ein stolzes Falkengeschlecht seine Wohnstätte auf -
geschlagen und fristet trotz oder gerade wegen der wilden Einöde ein freies Dasein, bis
sich giftiges Schlangengezücht einschleicht. Und nun beginnt beiderseits ein furchtbarer
Ausrottungskampf, worüber selbst die harten Felsen erschauern. Mit dieser durchsichtigen
Allegorie ist die Fehde zwischen Kreuz und Halbmond wirksam bezeichnet. Der zweite
Gesang enthält einen Rückblick auf die bisherigen Kämpfe, der dritte macht uns mit den
Unthatcn einer Baschibozuk-Horde bekannt. Unter Sahin Agas Führung übernachtet
sie in des greisen Obren friedlicher Behausung und schwelgt in Völlerei, während deren
harmlose Bewohner in eisig kalter Nacht gefesselt im freien Hofe schmachten. Nur die
jugendliche, züchtige Schwiegertochter Obrens geht frei einher, um die Unholde zu bedienen
und schließlich der teuflischen Gier Sahin Agas zum Opfer zu fallen. Ihr von den Furien
der Eifersucht gequälter Gatte Rado wird, da sein Vater die Schätze, die er nicht hat, auch
nicht preisgeben kann, nach Trebinje ins Gefängniß geschleppt. Der vierte Gesang bringt
eine ergreifende Schilderung des grauenvollen Kerkers, dessen Foltern alle Schrecknisse der
Dante'schen Hölle in den Schatten stellen. Indessen erbarmt sich der Himmel der Opfer
grausamer Brutalität; über Trebinje geht ein furchtbares Gewitter nieder, ein Blitz -
strahl fährt in das unheimliche Verließ, und in der Verwirrung, die darüber entsteht,
gelingt es Rado zu entweichen. Wohlthuend beruhigt der fünfte Gesang unsere durch so
viele Gräuel überspannten Nerven durch die lebhafte Beschreibung der Feier des Haus -
patrons, welche nur getrübt wird durch die Angst vor dem plötzlichen Erscheinendes Blut -
feindes. Doch statt seiner spricht der flüchtige Drago vor, der durch eine zündende Ansprache
die Gäste zur Rache für die erlittene Unbill entflammt. Der sechste Gesang wird durch ein
liebliches Idyll eingeleitet. Die silberhelle Stimme einer Hirtin wetteifert mit dem Brausen
der reißenden Piva, doch verstummtauch sie, als sich ein Rabenschwarm unheilverkündend
auf den Zinnen der schirmenden Burg, welche das Dorf Velimo überragt, niederläßt. Welcher
wirksame Kontrast zwischen diesem harmlosen Mädchen und der von Drago geführten
Rächerschaar, welche sich in der Dämmerung an die Burg heranschleicht, um sie in
Flammen zu stecken und die Verbrechen Sahin Agas und seiner Mordgesellen zu sühnen!
Nun folgt Martic vollendetste Dichtung, eine wahre Perle der südslavischen Literatur,
das ungefähr 6000 Verse umfassende Epos „Luka Vukalovic und die Schlacht am Grahovac
im Jahre 1858". Deutlicher denn irgendwo zeigt hier der Dichter, wie tief er in die
Geheimnisse der Volksseele und das sinnreiche Walten der Natur eingeweiht ist. Er wendet
die glühendsten Farben seiner Phantasie und die ergreifendsten Töne seines Herzens an,
um die heroische Gestalt des Repräsentanten und Vorkämpfers der geknechteten Raja mit
der Gloriole uneigennütziger Vaterlandsliebe und wahrer Menschlichkeit zu umgeben.
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Wir sehen Luka Vukalovic, wie er, angewideri und Herausgetrieben durch türkische
Willkür, Haus und Hof, Mutter und Weib mit heldenmüthiger Entsagung verläßt, um
als Hajduke das Unrecht zu bekämpfen, den Schwachen und Unterdrückten Hilfe zu bringen.
Sein Leben in stiller Waldeinsamkeit und sein Verkehr mit der Natur ist mit unnachahm-
barer Meisterschaft gezeichnet. Die Türken von Trebinje, die sich durch die Allgegenwart
des Hajduken in ihrer Willkür beschränkt sehen, beschließen eine Treibjagd auf ihn; doch
fliehen sie, nachdem Luka ihren Bannerträger erschossen, über Hals und Kopf hinter die
schützenden Mauern der Stadt zurück. Luka steigt nun zu seinem Dorfe herab, uni die
Raja gegen den voraussichtlichen Rachezug der Türken zu organisiren. In der That
sammeln sich von allen Seiten türkische Truppen, und bald kommt es am Grahovac zu
einer mörderischen Schlacht, welche sich durch das rechtzeitige Eingreifen Lnka's und seiner
tapferen Schaar zu einer unerhört blutigen Niederlage der Türken gestaltet. In stürmischer
Nacht schleicht der Tod in unheimlicher Personification zwischen den Leichenhügeln. Luka's
Abschied von seiner Gattin, seine Beichte und die Rede des Jguman, sein Waldleben,
insbesondere aber der erschütternde Schlußgesang „Die Gräber" gehören zum Schönsten,
was die Weltliteratur bisher hervorgebracht hat. Der Dichter hat sich in diesen seinen
Dichtungen offenbar des kroatischen Epikers Mazuraniö „Cengiö Aga" zum Muster
genommen; allein während sich die beiden Dichter im Adel der Sprache und in der
Composition die Wage halten, hat Martiö als genauer Kenner von Land und Leuten
McHuraniö in naturgetreuer Schilderung des Schauplatzes der Handlung, sowie in
markiger Charakterisirung seiner Helden weit überflügelt.
Die dritte Epopöe der „Rächer" besingt den denkwürdigen Krieg der Türken und
Montenegriner im Jahre 1862, die vierte unter dem Titel „Kiko und ZM" aber ein
Ereignis in Bosnien aus dem Jahre 1832. In den letzten drei Epen endlich werden der
bosnisch-hercegovinische Aufstand und die Kämpfe Serbiens und Montenegros gegen
die Türkei, Hadzi Lojas Jnsurrection und die Occupation durch die österreichisch-ungarische
Monarchie besungen.
Fra Grgo Martie ist ein Volksdichter im besten Sinne des Wortes und verdient
dem Dalmatiner Kacie ebenbürtig an die Seite gestellt zu werden. Durch die Volkspoesie
angeregt, besang Kacie die Heldenthaten der Vorfahren und regte die Idee der slavischcn
Wechselseitigkeit an, um das kroatische Nationalbewußtsein zu wecken; Martiö aber schildert
die Leiden seiner Landsleute, um die Theilnahme ihrer glücklicher gestellten Brüder zu
erwecken und die Hoffnung auf eine bessere Zukunft wach zu erhalten.
Allein Martic ist auch ein Weltdichter. Als Kenner vieler Sprachen und Literaturen
hat er seinen Blick erweitert; es ist denn auch natürlich, daß er sich in manchen Dingen
von der Volksauffassnng entfernt und namentlich das Weltgetriebe mit ganz anderen
408
Augen betrachtet. Martic ist mit anderen Worten zugleich ein selbstbewußter Künstler, der
auch auf die gebildete Gesellschaft im Sinne und Interesse seiner Leidensgefährten einzu -
wirken versteht. Das beweisen die treffenden Schilderungen von Land und Leuten und
ihren blutigen Fehden; dafür zeugt auch seine hervorragende Gestaltungsgabe, die ihm
gestattet, so viele Persönlichkeiten und Ereignisse zur harmonischen Einheit zu verschmelzen.
Mit besonderer Sorgfalt sind die Charaktere der Protagonisten entworfen; das Haupt -
merkmal seiner Muse aber ist Gerechtigkeit, denn während er die Tugenden der unglücklichen
Raja preist, anerkennt und feiert er, wie es die Objectivität der Epik erheischt, auch die
ungestüme Tapferkeit ihrer Bedrücker. Gibt er doch wiederholt der Hoffnung Raum, daß
sich die durch religiösen Fanatismus entzweiten Brüder unter dem mildernden Einflüsse
einer höheren Civilisation wieder aussöhnen werden, um ihre bisher nutzlos verschwendete
Kraft gemeinsamen Culturaufgaben zu widmen.
Von dieser Höhe der Gesinnung überblickt und verfolgt der greise Dichter auch heute
noch die Reibungen unter seinen Brüdern, und wenn seine Werke erst so bekannt sein
werden, wie sie es in ethischer und künstlerischer Hinsicht verdienen, dann wird man auch
allgemein der Ansicht jenes dalmatinischen Kritikers beistimmen, der Fra Grgo Martic
den größten südslavischen Epiker des XIX. Jahrhunderts genannt hat.
Neben den genannten drei Koryphäen bethätigten sich Fra Martin Nedic und
der Hercegovee Bakula als Dichter, Fra Antun Knezevic, Mijo Batinic u. A. als
Historiker.
In dem Augenblicke, wo die österreichisch-ungarische Monarchie ihre schützenden
Fittiche über Bosnien und die Hercegovina ausbreitete, um die öffentliche Sicherheit,
Ordnung und Ruhe herzustellen, den materiellen Wohlstand, das geistige Niveau und
die Gesittung zu heben, hatte das heroische Zeitalter und seine Epik einen natürlichen
Abschluß gefunden.
Die wohlthätigen Folgen dieses Wandels m den äußeren Geschicken zeigen sich auf
allen Gebieten des kulturellen Strebens der so begabten Bevölkerung, nicht am mindesten in
der Kunst und Literatur. Freilich sind die Ziele dieser Literatur wesentlich andere geworden.
Galt es früher die Zaghaften zu ermuthigen, die Helden zur Ausdauer anzuspornen und den
Märtyrertod zu verherrlichen, so ist die heutige Generation auf den Wettkampf in den
Künsten des Friedens beschränkt. Die religiösen Gegensätze zu mildern, die Toleranz in
immer weitere Kreise zu verbreiten, die entzweiten Brüder unter dem Banner der Cultur
und unter dem Begriffe der Nationalität zusammenzufassen, ist nicht blos die Aufgabe der
Verwaltung, sondern auch das Ideal der neuesten heimischen Literatur. Und das ist ein
Gewinn, der alle anderen Errungenschaften, so wichtig sie sein mögen, in den Schatten
stellt. Diesen erfreulichen Umschwung feiert der begabte Epiker Osman Beg Stafie
409
in einer ergreifenden Allegorie unter dem Titel „Die drei Brüder"; wir können
der Versuchung nicht widerstehen, daraus einige Verse hier zu übertragen:
Eine Mutter hat drei zarte Söhntein:
Welcher Stolz und welches süße Hoffen!
Mühsam schafft das Stückchen Brod sie, duldet,
Darbt, damit nur sie sich freuen, satt sich
Essen und ihr Erbe ganz erhalten.
Golden ist fürwahr das Herz der Mutter!
Wie liebkost sie ibre Waisen, um den
Theuren Vater ihnen zu ersetzen!
Ihre Blicke leuchten, wenn von seinen
Thaten sie erzählt, um sie zur Eintracht,
Brüderlichen Liebe anzuleiten.
Liebe sogen sie an ihren Brüsten,
Liebe schaukelte sie in der Wiege,
Liebe strahlte ihnen selbst die Sonne,
Bis der Himmel finster sich nmwölkte,
Blitze zuckten, Donner grollend rollten. —
Krank zum Tode liegt die Mutter nieder,
Kann nicht pflegen ihre zarten Waisen,
Noch zur Liebe, Redlichkeit sie weisen.
Herzzerreißend ist der Kinder Jammer!
Gleich den Krähen, schwarzen Raben, die auf
Beute lauern, schleichen sich heran die
Bösen Nachbarn; sie zu trösten? Nein, nur
Um in ihre Habe sich zu theilen.
Thränenfenchten Auges starb die Mutter;
Kläglich wimmerten die kleinen Waisen,
Doch die Nachbarn suchten sie zu trösten,
Theilten dann sich in die Waisenkinder,
Weil ein jedes reiche Mitgift brachte.
Selbst genossen sie ihr schönes Erbe,
Während sie die Kinder herzlos quälten,
Sie vom väterlichen Herd verdrängten,
Daß sie nun für Fremde durch die Welt sich
Schlagen und ihr kostbar Blut vergießen.
Sie besuchten eine schlechte Schule.
Durch Gewalt getrennt, vergaßen sie, daß
Brüder sie dereinst gewesen: ihre
Liebe ward Entfremdung, die Entfremdung
Bitt'rer Haß. Und nun verfolgten sie mit
Scheelen Blicken sich, gehetzt von ihren
Nachbarn zankten sie um ihre Grenzen,
Raubten sich die Herden, ja zerstörten
Sich die Saaten, streuten Gist in ihre
Brunnen, weh! sie mordeten einander.
Ihre Feinde klatschten Beifall, denn je
Üppiger der Zwist in Halme schoß, um
So ergiebiger war ihre Ernte.
Doch der Sonnenschein und Regen spendet,
Hatte Liebe in ihr Herz gepflanzt zur
Mutter und zu ihrem stillen Grabe.
Einzeln kommen sie ans Grab der Mutter,
Jeder betet, wie des Schicksals Laune
Ihn gelehret: türkisch, griechisch, römisch.
Lange kamen insgeheim ans Grab die
Brüder, ohne sich zu treffen, bis das
Elend endlich sie zusammenführte,
Und sie riefen wie aus einem Munde:
„Süßer, goldner, hehrer Muttername!"
So begegneten die Brüder sich am
Muttergrabe, überrascht aufblickend,
Denn sie wußten wohl vom Grabe ihrer
Mutter, doch nicht daß sie — Brüder waren.
Freudig fielen sie sich in die Arme;
Höher schlug ein jedes Herz, denn jeder
Fühlte, daß er nicht vereinsamt stehe,
Daß im Feind er einen Freund gefunden.
Feierlich die Brüder sich gelobten,
Sich fortan zu schätzen, brüderlich und
Einig ihre Ziele anzustreben,
Um der Mutter letzten Wunsch zu ehren.
Gott wird ihre große Absicht segnen!
Der bedeutendste Vertreter der jüngeren bosnischen Dichtergeneration ist unbedingt
Dr. TngomirAlanpovie. Alle seine Dichtungen zeichnen sich durch eine glänzende Diction
und logischen Aufbau der Gedanken ans. Die Harmonie seiner Verse wird ab und zu durch
einen schrillen Mißton beeinträchtigt, wie er überhaupt in vielen seiner Lieder einem
lähmenden Pessimismus verfällt, der ihn dieDinge zu schwarz sehen, ja ihn oft an der Zukunft
seines Volkes verzweifeln läßt. Gegenwärtig ringen in der Brust des jungen Dichters noch
immer zwei Seelen um die Herrschaft; hoffen wir, daß er geläutert zur Überzeugung gelangt,
daß sein Volk durch die Poesie nicht entmuthigt, sondern getröstet und erhoben sein will.
Alanpovic, 1871 in Dolac bei Travnik geboren, vollendete seine philologischen
Studien an der Wiener Universität, wo er ein Lieblingsschüler des berühmten Slavisten
Jagic war; gegenwärtig wirkt er als Lehrer am Obergymnasium in Sarajevo. In seiner
Studentenzeit entstanden seine ersten Liebeslieder, die an Zartheit der Empfindung und
Plastik der Darstellung unter die besten erotischen Dichtungen eingereiht zu werden
verdienen. Seine besten Werke sind unbestritten die romantischen Dichtungen „Nesugjenica"
und runo" (Unsere Wunden), welche sich durch meisterhafte Analysen von
psychologischen Vorgängen auszeichnen und in den Wunsch ausklingen, daß sich die durch
den Glauben entzweiten Brüder endlich in brüderlicher Eintracht znsammenfinden mögen.
Die bosnischen Mohammedaner sind als Kenner orientalischer Sprachen und
Literaturen mit Erfolg bemüht, der südslavischen Poesie neue Gebiete zu erobern, indem
sie, mit der lebhaftesten Phantasie begabt, auch der Sprache ein lebhafteres Colorit zu
verleihen verstehen. In dieser Richtung sind besonders die beiden flammenden Lyriker
Safvet Beg Basagic-Redzepasic und Riza Beg Kapetanovic erfolgreich thätig.
Safvet Beg, geboren 1870 in Nevesinje, entstammt einer alten hochangesehenen herce-
govinischen Adelsfamilie und steht eben im Begriffe, das Studium der orientalischen
Sprachen in Wien zu absolviren. Bereits im Jahre 1893 bereitete er uns mit einigen form -
vollendeten Übertragungen persischer Lieder eine freudige Überraschung. Seither hat er
einen ziemlich starken Band eigener Dichtungen („Trofanda", Agram 1896) veröffentlicht,
welche, mit der glühendsten Farbenpracht ausgestattet, einen hohen Grad vorurtheilsfreier
Lebensweisheit verrathen.
Sein Rivale Riza Beg Kapetanoviö wurde 1868 auf dem Stammsitze der Familie
in Vitina bei Ljubuski geboren. Seine einschmeichelnde Lyrik, meist erotischen Inhalts,
durchweht ein leiser Hauch der Schwermuth, doch ist dieser ernste Zug mehr auf Rechnung
seiner psychologischen Disposition als äußerer Umstände zu setzen, denn er ist in der
glücklichen Lage, in sorgenlosem Wohlstand zu schwärmen und zu träumen.
Auch die Orthodoxen Bosniens nehmen am Aufschwünge der jüngsten Literatur
regen Anlheil. Wir nennen nur Aleksa Santic, welcher in seinen Liedern Tiefe der
Empfindung mit einem blühenden Stil verbindet. Classisch ist seine Übertragung von
Heine's „Lyrischem Intermezzo". Als Erzähler brilliren der Orthodoxe Svetozar Corovic
und die Mohammedaner Edhem Mulabdiö und Osman Nuri Hadzic. Während aber
die beiden ersteren das Volksleben lediglich vom künstlerischen Standpunkte darstellen,
schildert Hadziö mit großer Energie die socialen Gebrechen seiner Glaubensgenossen, sie
immer wieder ausfordernd, ihr Schulwesen auf eine praktische Grundlage zu stellen und sich
für den immer schwieriger werdenden Kampf ums Dasein besser auszurüsten. Die Alten
schütteln über seinen Freimnth unwillig die Köpfe, die intelligentere Jugend hingegen
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schließt sich bereitwillig seinen reformatorischen Bestrebungen an. Heimische Söhne sind es
demnach, welche den modernen Ideen die Wege in das so lange vernachlässigt gebliebene
Bosnien ebnen. Ein Volk aber, dessen poetische Psyche in solcher Verklärung den Deckel
ihres Sarges bricht, ist als eine neu gewonnene Provinz, als ein neuer Zuwachs an Kraft,
Eigenthümlichkeit und Schönheit im Reiche des menschlichen Fortschrittes und humaner
Bildung zu begrüßen.
Schließlich sei auch der Zeitschriften re. gedacht. In Sarajevo erscheinen
augenblicklich: „Bosnische Post", Organ für Politik und Volkswirthschaft; „LoSuM«,
politisches Organ der Mohammedaner; ,l8toeiiill", Organ des orientalisch-orthodoxen
Clerus; „ViRbosrm" Organ der katholischen Erzdiöcese; „Iraujsvneki Olasirill«, Organ
des Franciscaner-Ordens; »Olusiiilr irnmcha.", Organ des Landesmusenms;
„Kncku", illustrirtes belletristisches Blatt, welches monatlich zweimal in zwei Ausgaben
mit lateinischen und cyrillischen Lettern erscheint; „Surusovslli lisk", Amtsblatt; „älrolski
Vjosnik", Pädagogische Monatsschrift; »Ri-Avvaelca, lcchiLuioa, Zeitschrift für Handel
und Verkehr; Vita", serbische belletristische Zeitschrift. In Mostar erscheinen
die politischen Zeitschriften „Osvik" und „ZrpsIA Vfomüll" und das belletristische serbische
Blatt Es erscheinen demnach gegenwärtig insgesammt 13 Zeitschriften, eine im
Verhältnis zur Population gewiß nicht übergroße Anzahl, welche aber immerhin beweist, daß
parallel mit der geistigen und materiellen Entwicklung auch das Lesebedürfniß gestiegen ist.
In der Vierteljahrsschrift des bosnisch-hercegovinischen Landesmuseums ,6iasiüll
26mu1MoA uumcha," besitzt das Land seit zwölf Jahren ein reich illustrirtes Organ für die
wissenschaftliche Erforschung Bosniens, der Hercegovina und der übrigen Balkanlünder.
Als Mitarbeiter an demselben wirken nebst den einheimischen und anderen im Lande
befindlichen Forschern und Freunden der Alterthumskunde und der Naturwissenschaften
auch viele Gelehrte von europäischem Rufe. Eine neue Epoche im literarischen Leben
Bosniens und der Hercegovina wurde durch das Erscheinen der illustrirten belletristischen
Zeitschrift ,5iaäu" zu Beginn des Jahres 1895 inaugurirt. Dieses vortrefflich redigirte
Blatt hat es sich zur Aufgabe gemacht, seinen Lesern eine gesunde, von keinerlei Tendenz
beeinflußte literarische Kost zu bieten, ihren ästhetischen Geschmack durch gute Illustrationen
zu wecken und zu veredeln und einen Brennpunkt für die productive geistige Thätigkeit
der südslavischen Publicistik zu bilden, in welchem sie auf neutralem, von nationaler und
confessioneller Gehässigkeit freiem Boden Gutes zu schaffen sich bestrebt.
Wichtig für die Landeskenntniß sind folgende Publikationen der bosnisch-hercegovi -
nischen Landesregierung, beziehungsweise des Landesmuseums in Sarajevo: Das Eherecht,
Familienrccht und Erbrecht nach hanefitischem Ritus, 1883. — Beitrag zur Kenntniß
der Erzlagerstätten Bosniens und der Hercegovina, von Bruno Walter, l 887. — Das
412
Bauwesen von Bosnien-Hercegovina, von Edmund Stix, 1887. — Das Justizwesen
von Bosnien und der Hereegovina, von Eduard Eichler, 1890. — ^Zvoto-Ltskanski
Urisovnlj üralja Stekana OroSa II. Nilntina", von Professor V. Jagic, 1890 (mit
cyrillischen Lettern). — Das monumentale Werk: »Nissalo Ola^olilienrn Hervojav
clueig", bearbeitet von V. Jagic, L. von Thallöczy und F. Wickhoff, 1891 (in lateinischer
Sprache). — Ortschafts- und Bevölkerungs-Statistik, ferner Resultate der Viehzählung
in Bosnien und der Hereegovina, 1895. — Wissenschaftliche Mittheilungen aus Bosnien
und der Hereegovina, redigirt von Dr. M. Hoernes, I. 1893, II. 1894, III. 1895,
IV. 1896, V. 1897, VI. 1899. — Römerstraßen in Bosnien und der Hereegovina,
von PH Ballif und Dr. Carl Patsch, I. Band 1893. — Die neolithische Station von
Butmir bei Sarajevo, I. Band von V. Radimsky, 1895, II. Band von F. Fiala, 1898.
— Ornis baleanioa, II. Bulgarien einschließlich Ost-Rnmeliens von Othmar Reiser 1894,
IV. Montenegro von O. Reiser und L. von Führer, 1896. — Wasserbauten in Bosnien
und der Hereegovina, von PH. Ballif, I. Band 1896. II. Band 1899. - Prähistorische
Fundstätten, von V. Radimsky, 1891. — Jahrbuch des bosnisch-hercegovinischen Landes -
spitals in Sarajevo für 1894, 1895, 1896. Die Landwirthschaft in Bosnien und der
Hereegovina 1899 und das Veterinünvesen in Bosnien und der Hereegovina 1899, beide
Werke heransgegeben von der Landesregierung in Sarajevo. Aus der volksthümlichen
Literatur sind als hervorragende Erscheinungen zu verzeichnen: »biaroäno ölk^o«, von
Mehmed Beg Kapetanoviö (1887 in Latein-, 1888 in cyrillischer Schrift), eine stattliche
und interessante Sammlung von Sprichwörtern, Volkssentenzen und Anekdoten aus
Bosnien-Hercegovina und den Nachbarländern. Von demselben Verfasser Moöno klaAo"
I. Theil 1896, II. Theil 1897; ferner ,biarocIn6 pjesna Nnkrainoäovaea n Losni i
HsreeZovini«, gesammelt von Kosta Hörmann, Band I. 1888, Band II. 1889.
Noch wäre der vielen Publicationen über Bosnien und die Hereegovina Erwähnung
zu thun, welche außerhalb des Landes durch Privat-Verleger edirt wurden; von
diesen verdienen besonders hervorgehoben zu werden: Dinarische Wanderungen, von
Dr. M. Hoernes (Wien, 1888); LosMia ös HoreeZoviira (Bosnien und die
Hereegovina) von I. von Asböth (ungarische Ausgabe Budapest 1887, deutsche Ausgabe
Wien 1887); Durch Bosnien und die Hereegovina kreuz und quer, von Heinrich Renner
(Berlin 1897, II. Auflage); iravors 1a öosnis ot l'HöMAOvine, von Guillaume
Capus (Paris 1896); Harnblas anä Sluäiss in Losnia-blerea^ovina anä valinatia,
von Dr. Robert Munro (Edinburgh L London 1895) u. A.
Baukunst.
ie Periode der türkischen Verwaltung. - Begünstigt durch
innere Wirren, erscheint gegen Ende des Mittelalters in Bosnien eine
neue Macht: das türkische Reich und mit diesem ein neues Cultur-
element: der Mohammedanismus, welcher diesen Ländern für die
folgendenJahrhunderte einen specifisch-orientalischenCharakteraufprägt.
Er bewirkte, daß an ihnen die Kunstepoche der Renaissance nahezu spurlos vorüberging.
In welchem Maße dies der Fall war, ergibt sich am eclatantesten ans den kümmerlichen
Schöpfungen der christlichen Baukunst dieser Epoche.
Wir können über dieselben mit wenigen Worten hinweggehen. Einen nicht uninter -
essanten Typus repräsentirt das Höhlenkloster Zavala im Popovopolje (Hercegovina) mit
seinen Felsstusengängen, Felsenzellen und vertheidignngsfähigen Höfen und Thoren.
Nicht minder interessant ist ein anderes Denkmal aus dieser Zeit des gedrückten Christen -
thums: die alte orientalisch-orthodoxe Erzengelkirche in Sarajevo, welche nach außen durch
eine hohe Umfassungsmauer derart abgeschlossen ist, daß gegen die Gasse nichts den Bestand
des Gotteshauses verräth und die Kuppel des mäßig hohen Thurmes nur aus bedeutender
Entfernung sichtbar wird. Die erste Anlage, welche auf das Jahr 1463 zurückgeführt
wird, wurde 1556 und 1647 durch Feuer zerstört; die jetzige Kirche, welche durch sieben
kleine, theilweise übereinander angeordnete Fenster müßig erleuchtet ist, zeigt einen nahezu
guadratischen Grundriß, welcher innen durch acht viereckige Pfeiler zur Bildung der
Frauenabtheilung untertheilt ist. Der ans dem XVlII. Jahrhunderte stammende Ikonostas
bietet gute byzantinische Bilder mit reichem Gold- und Lülberschmuck; die Kerzensüulen,
Kanzel, der Predigerstuhl, die Sängerschnle, der erzbischöfliche Thron w. sind durchwegs
in guten byzantinischen Formen gehalten, desgleichen die im Jahre 177«, der Kirche
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gespendeten und in Wien hergestellten Prachtvollen Vorhänge, welche mit Erzengeln und
sechsflügeligen Engelchen in elliptischen Feldern reich geschmückt sind. Von venetianischem
Einflüsse zeugt das im Proskomidion befindliche Bild, Christus am Kreuze darstellend.
Aber die schärfste Illustration des traurigen Zustandes der religiösen christlichen
Baukunst liegt in der Thatsache, dass die Katholiken Bosniens bis vor kurzer Zeit an den
meisten Orten unter freiem Himmel die Messe hörten, die ihnen ein Franciscaner aus dem
nächsten Kloster zwischen halbversunkenen Grabsteinen und alten Bäumen celebrirte.
Bald nach dem Abschlüsse des hundertjährigen Ringens zwischen Christenthum und
Mvhammedanismns blühte in allen Zweigen orientalische Kunst, die nur deshalb nicht zur
vollen Reife gelangte, weil sich das osmanische Reich zu schwach erwies, die Selbständig -
keitsbestrebungen der einheimischen Großen dauernd niederzuhalten. Vorwiegend ist es die
Baukunst, die durch das neue Cultnrelement einen erfrischenden Impuls erhält. Werden
auch wiederholt fremde Gotteshäuser für eigene Zwecke in Anspruch genommen, so gelangen
doch auch neue Moscheen in großer Zahl zur Erbauung. Hiebei wird die, einen Hof mit
Brunnen allseitig umschließende Hallenform niemals, dagegen der centrale Kuppelbau nach
byzantinischem Muster und zwar vorwiegend als monumentaler Steinbau sehr häufig an -
gewendet. Einfacheren Verhältnissen dienen Betrüume mit quadratischer oder rechteckiger
Grundrißform, ebener, oft vertäfelter oder gestäbter Decke und allseitig abgewalmtem, vor -
springendem Dache, in letzteren Fällen auch von weniger dauerhaften Constructionen
(Riegelwände und Lehmziegelmauern). Eine drei oder mehrachsige Vorhalle, ferner ein
Minaret ist beiden Moscheegattungen eigen. Architektonisch bessere Ausschmückung weisen
jedoch nur die Kuppelmoscheen auf, bei welchen alle orientalischen Constructionsformen, als:
Spitzbogen, Hufeisen- und Kielbogen, Stalactitengewölbe, Zinnenkränze rc. mehr oder
weniger ausgebildet Vorkommen, wie auch entschiedene Flächendecorationen, hohe Portal -
nischen rc. nicht mangeln. Das Minaret entwickelt sich aus einer kräftigen, prismatischen
Basis, auf welcher fast stets ein schlanker, polygonaler Pyramidenstumpf mit schwacher
Verjüngung, der zumeist im Innern eine steinerne Wendeltreppe anfnimmt, ruht; den Über -
gang zwischen Basis und Aufbau bilden Stalactiten, dreieckige Begrenzungsflächen u. dgl.,
während der Pyramidenschast in ein reiches, weit ausladendes Stalactitengesimse, in Kelch -
form oder in reicher Profilirung endet, um die oft in zierlichster Art durchbrochene
Brüstung, welche das Plateau für den Muezzin umschließt, zu tragen. Über diesem Plateau
setzt sich der Pyramidenstumpf mit kleinerem Querschnitte und die stets nach Mekka
orientirte Ausgangsthür enthaltend, fort, um endlich mit spitzem Kegel und Alem zu enden.
Anders geformte Minarete, wie jenes in Mostar von quadratischem Grundrisse, sind selten.
Besondere Sorgfalt wurde ans die Ausschmückung der Vorhalle, der Portalnische, der
stets nach Mekka orientirten Gebetnische (Wllcab) und der Kanzel (Niinksr) verwendet.
Der günstige Eindruck dieser construetiv und archi -
tektonisch wohldurchdachten, vorwiegend mit Blei -
platten gedeckten Kuppelmoscheen, zu deren Her -
stellung, mit Ausnahme der zumeist aus gebrannten
Ziegeln gebildeten Kuppelgewölbe, nur bearbeiteter
Stein und fast gar kein Holz verwendet ist, wird noch durch die Situirung derselben auf
freien Plätzen mit schattigen Bäumen und durchbrochener Umfriedung, durch die oft
reizenden Nebenobjecte, als Moscheebrunnen (Lackervau) für rituelle Waschungen, Kuppel -
mausoleen der Gründer, Friedhöfe mit schönen Grabdenkmalen, durch Gebäude für
'X.-,
Kloster Zavala in Popovo polje.
Regulirung der Uhren nach türkischer Zeit (muvekit Imnu), für Bibliothekszwecke ichutud
turuu), durch nahegelegene freistehende Uhrthürme (satmt buta), Schulgebäude tMaärssse),
orientalische Kaufgewölbe (ckueau), welche an die Umfriedung oder an die Umfassungs -
mauern einzelner Gebäude anschließen, gehoben, wodurch im Vereine mit dem orien -
talischen Leben und Treiben, welches sich bei größeren Moscheen abspielt, jener eigen-
thümliche Zauber entsteht, welchem sich Niemand entziehen kann, der diesen Anlagen nur
einige Beachtung widmet.
Zu den schönsten Moscheen des Landes gehört, trotz vielfacher kleiner Unregelmäßig -
keiten in der Anlage, die Begova Dzamija in Sarajevo mit seitlich abgeschlossener
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fünfachsiger und kuppelgedeckter Vorhalle, welche von Ghazi Husref-beg im ^ahre 1529
(937 nach dem Hidzret) erbaut wurde. Der Grundriß lehnt sich an gute Constantinopler
Beispiele an. Die prachtvolle Wirkung des Jnnenraumes wird gehoben durch reiche (vor
einigen Jahren ausgeführte) Polychromirung, durch den schönen Mimber aus Marmor
und Sandstein, durch den Mihrab aus rothem Marmor, die acht Marmorsäulen des
Chorpodiums (vileks) u. s. w.
Im Moscheehofe mit seiner alten schattigen Linde befinden sich die beiden kuppel-
gedeckten achteckigen Mausoleen des Erbauers und seines Lieblingsdieners und späteren
Intendanten Mur a t-b e g, ferner in der Hauptachse der Moscheebrunuen, welcher in seiner
derzeitigen Gestalt vor einigen Jahren erbaut wurde. Der ursprüngliche Brunnen hatte ein
kreisrundes Bassin von 4 Metern Durchmesser mit 16 Ausläufen, welches kuppelförmig mit
einem Eisengitter und vergoldetem Aufsatze verschlossen war. Es fehlen natürlich nicht die
üblichen Steinwürfel vor den Ausläufen zur bequemen Vornahme der rituellen Waschungen
und die steinernen Ruhebänke zwischen den Holzfäulen des Brunnenhäuschens.
Die in nächster Nähe der Moschee befindliche Sahat kula hat quadratischen Grund -
riß mit abgeschrägten Kanten, Fensterkranz, Phramideudach und Alemabschluß; ein einfach
gegliedertes Hauptgesimse, ebensolche Zwischengesimse, kleine kreisrunde Schallöffnungen und
Mauerschlitze bilden im Übrigen den einzigen Schmuck dieses aus Kufstein hergestellten charak -
teristischen Bauwerkes, welches in ähnlicher Form keiner größeren Stadt des Landes fehlt.
Im Grundrisse der Begovamoschee ähnlich, jedoch nur aus kuppelgedecktem Mittel -
raume und zwei Seitenräumen mit ebenen Decken bestehend, dagegen mit siebenachsiger Vor -
halle ausgestattet, ist die Kaisermoschee (durevu ckLumisu) in Sarajevo, welche gleichfalls
Ghazi Husref-beg erbaut und dem Kaiser Suleiman II. geschenkt haben soll.
Im Grundrisse von den ^beschriebenen Moscheen wesentlich abweichend, ist die vom
Vali Ferdhad-beg Sokolovie, angeblich aus dem Lösegelde für den gefangenen öster -
reichischen Heerführer Grasen AuersPerg circa 1576 erbaute Ferhad-beg-Moschee
in Banjaluka. An die Centralkuppel schließen hier an drei Seiten Halbkuppeln und an
der vierten Seite eine dreiachsige, kuppelgedeckte Vorhalle an, wodurch, obgleich die vierte
Halbkuppel und die kleinen Eckkuppeln fehlen, diese Moschee eine große Ähnlichkeit mit der
Sulejmanie-Moschee in Constantinvpel erhält. Überdies ist an der Eingangs- und den
beiden anstoßenden Seiten eine Säulenhalle, welche nach der Occupation volle Seiten -
wände erhielt, angeordnet, wodurch dieses Bauwerk der Sinan-pascha-Moschee in
Bulak bei Cairv ähnlich wird, wenngleich in Banjaluka die Halle nicht mit Kuppeln,
sondern mit Pultdach gedeckt wurde. Die Absicht der ersteren Ausführungsart ist mehr als
wahrscheinlich, da die Halle sich constructiv leicht richtig in Kuppelfelder theilen läßt.
Auch sprechen die schönen Würfelcapitäle der Säulen, das Stalactitengesimse der
Minaretbrüstung, die reich profilirte Umrahmung der Eingangsnische in Kielbogenform,
die Steinsäulchen des zweiseitigen Chores, die stalactitenartigen Übergänge zu den Ab -
schrägungen der Moscheemauern, die kuppelgedeckten Mausoleen und der zierliche Moschee -
brunnen dafür, daß hier ein besonders schönes Gotteshaus zu bauen beabsichtigt war.
Die übrigen Moscheen des Landes haben fast durchgehcnds quadratischen Grund -
riß mit vorgelegter Halle. Besitzen sie monumentalen Charakter, so sind die Arcadenkuppeln,
Aus dem Innern der alten orientalisch-orthodoxen Kirche in Sarajevo.
deren mittlere durch größeren Durchmesser, beziehungsweise größere Höhe häufig besonders
hervorgehoben ist, wie die Hauptkuppel aus Ziegeln hergestellt.
Die angeblich von Jussuf Pascha, beziehungsweise von dessen Sohne, als dieser
später als Vali in Ofen residirte, in Maglaj erbaute KurZumli-Moschee (d. i. „Die
mit Blei gedeckte") zeichnet sich durch ihre reizende Lage und durch ein stilvoll gehaltenes,
unter der Muezzingallerie reich mit Stalactitengesimsen geschmücktes Minaret ans.
Besondere Sorgfalt wurde ans die Aladza-Moschce („die Bunte") in Foca
verwendet. Von Hasan Nazir im Jahre 1550 (967 nach dem Hidzret) erbaut, hat sie
gute organische Sonderung der einzelnen Bautheile mittelst kräftiger Gesimse, reichen
Bosnien und Hercegooina. 27
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Ornamentcnschmuck imRahmen des stalactitengewölbtcn Mihrab, schöne Stalactitenconsolen
als Anfänger der Pendentifs der Hanptkuppel, geschmackvolle Ausbildung des zinncn-
bekrönten, mit Ecksäulchen verzierten Rahmens der Eingangsnischen und der Übergangs -
flüchen beim Minarete. Sehr sorgfältige Gestaltung zeigt der Mimber (Kanzel); zu diesem
leitet ein auf einer Platte ruhendes Steinportal in Kielbogenform mit reich ornamentirter
zinnenbckrönter und mit Koransprüchen geschmückter Umrahmung über 13 Stufen hm.
Unter dcm MimberPodeste befindet sich eine verzierte Öffnung von gedrückter Kielbogenform,
während die Stiegcnwangen durch ebenso gestaltete Nischen und durch Flachornamente
in den Zwickeln belebt sind. Dieser Mimber in, Vereine mit den Resten des farbigen
Schmuckes des Jnnenraumes und der Arcaden, welcher ein feines Kunstverständniß verräth
und besonders in den Flächenfüllnngen der Wand gegen die Arcade arabische Formen mit
persischen Anklüngen erkennen läßt, scheint die behauptete Beschäftigung orientalischer
Meister an diesem Bauwerke zu bestätigen.
Auch die bei Foca am linken Drina-Ufer gelegene Moschee in Ustikolina, angeblich
im Jahre 1461 (856 nach dem Hidzret) vom Commandanten Turhani Emin, somit in
den ersten Jahren der Eroberung des südlichen Bosniens durch die Türken erbaut, gehört
zu den besseren Bauwerken und zeichnet sich besonders durch ein zierliches schlankes
Minaret aus, dessen Galleriegesimse aus fein gearbeiteten Stalactiten besteht. Ein ganz
ähnlichesMinaret besitzt auch die Karagjöz-Moschee in Mostar, bei welcher ausnahms -
weise der Tambour nicht achtseitig, sondern kreisrund ist. Der Gesammteindruck dieser vor,
Karagjöz (Schwarzauge) beg Hadzi Mehmed im Jahre 1569 (977 nach dem Hrdzret)
erbauten Moschee wird durch ein, auf zierliche Holzfäulen gestelltes Pultdach über der
kuppelgedeckten Arcade nicht unwesentlich beeinträchtigt.
Ein interessantes Bauwerk ist die kleine Defterdar-Dzamija in Banjaluka
wegen ihrer zweiten Vorhalle, der zinnenbekrönten Eingangspforte, des separaten
Muezzinstandcs und wegen der Reste guter arabischer Polhchromie.
Fast ebenso zahlreich als die Moscheen und zumeist in nächster Nähe von solchen
gelegen sind die Gebäude für mohammedanische Schulen. Baulich bieten die Mektebs
(niedere Religionsschulen) kein besonderes Interesse. Allein schon den Ruzdija s (höhere
Elementarschulen) wurde eine bessere architektonische Ausstattung zu Theil. Hölzerne
Bogenanfänger bei Gängen und Stiegen in Form von Stalactitenconsolen, gedrehte
Balluster, schön geformte Rund- und Kielbogen, reich eingelegte Holzplafvnds mit
geschnitzten Mittelrosetten, zierlich vertäfelte und mit getriebenen Bronzenügeln geschmückte
Thüren und Dolafs (Kästen), geschnitzte Wandbretter, Minderabschlüsse, Muscharabijen
(Fenstergitter) aus kubischen Stäben mit abgeschrägten Kanten und kugelförmigen
Kreuzungstheilen, dann stilgerechte Polychrome Ornamentirnng der Wandflächen, besonders
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der Bogennischen über den Fenstern haben die Rnzdija in Sarajevo ausgezeichnet und
sie in Übereinstimmung mit den besseren mohammedanischen Wohnhäusern gebracht. Den
Medressen (Convicte als Seminare für höhere islamitische Studien) wurde stets ein
monumentaler Charakter gegeben.
Ein gutes Beispiel dieser Schulgattnng bildet die gleichzeitig mit der obgenannten
Moschee von Ghazi Husrefbcg in Sarajevo erbaute Kursumli-Medresse. Die Slirnfront
dieser nahezu quadratischen und nur durch den auf der Nordseite um einige Meter vor -
springenden einzigen Lehrsaal (ckorstrana) unterbrochenen Medresse wurde gegen die durch -
brochene Umfassungsmauer als Bauflucht tief zurückgesetzt und der Zwischenraum als
Garten mit Rebenpergola behandelt. Durch das Portal betritt man das kuppelgedeckte
Vestibüle und den nahezu quadratischen zweiachsigen Arcadenhof mit einfachem Brunnen.
Sämmtliche Räume ordnen sich um den Arcadenhost von welchem sie ausschließlich
zugänglich sind, und besitzen Kuppeln, von welchen jene der ckorstmim, gegenüber den
Kuppeln über den zwölf Wohnzimmern, besonders hervorgehoben erscheint. Die drei Bieter
im Quadrate messenden Wohnzimmer haben die bedeutende Scheitelhöhe von 5V» Meter
erhalten, und so entstanden wegen der direct auf dem Kuppelgewölbe ruhenden Bleideckung
schwer heizbare Räume, weshalb ohne Rücksicht auf die Schönheit in 2'3 Meter Höhe
nachträglich eine hölzerne Zwischendecke eingeschoben wurde. Augenscheinlich ist diese
Medresse die Nachahmung eines größeren orientalischen Bauwerkes, bei dessen Wiederholung
den hiesigen klimatischen Verhältnissen in nicht ausreichendem Maße Rechnung getragen
wurde. Die übrige Ausführung: Schichtenmaucrwerk ans Stein und dünnen Ziegeln mit
breitem Mörtelband, vertiefte Spitzbvgenfelder über den steinumrahmten Fenstern, prisma -
tische Kamine mit hohen Steinpyramiden, die nach Meridianen kräftig gefalzte Bleidecknng
befriedigen in hohem Maße. Die Einrichtung der Wohnzimmer ist einfach; Dolaf (Kasten),
bosnischer Ofen mit Warmwassergefäß, eine kastenartig ausgebildete Knirica. (Bad) für
rituelle Waschungen mit Bodenstein, Minder (langer, an der Wand hinlanfender Divan)
als Schlafstelle, Teppich und Wandbrett, alles nach orientalischen Motiven ausgeführt,
bilden das Mobiliar dieser kleinen, aber doch für je 2 bis 3 Schüler bestimmten Räume.
Die östlich von der Kursumli-Medresse gelegene, nur zur Hälfte ansgebaute
Hanikah-Medresse, ein Langbau mit vorgelegtem Arcadengang ist eigentlich eine
Tekija (Kloster), welche nebst der Wohnung für den Scheih nur mit einer gemein -
samen Tonne und Satteldach überdeckte Wohnzimmer enthält und, unter theilwciser
Benützung von Motiven der Kursumli-Medresse, später als diese zur Ausführung gelangt
sein dürfte. Ein originelleres, wenn auch architektonisch gleichfalls unbedeutendes Beispiel
eines türkischen Bettelmönchklosters ist die im Jahre 1637 (1048 n. H.) von Hadzi
Sinanaga an der Nordperipherie Sarajevos erbaute Sinan Tekija. Gegen außen
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ist sie durch Steinmauern streng abgeschlossen, im Innern dem Verfalle nahe, der kleine
Hof durch Holzveranden und Grabstätten hervorragender Scheihs in ein mystisches
Dunkel gehüllt, dessen Eindruck noch durch die zahlreichen Inschriften vorwiegend in
Kuffischrift (älteste arabische Schriftgattung) verstärkt wird. Dieses Gebäude enthält
außer der Scheihwohnung nur noch Zimmer für Musafire (reisende Derwische) und
ein größeres, durch verschiedene Embleme der fanatischen Secte der tanzenden Derwische
geziertes Betzimmer mit einem Chor für mohammedanische Frauen und einem zweiten
für männliche Zuschauer. Die Decke dieses Betzimmcrs ist geziert mit dem Sulejman-
muhur, einem schönen geometrischen Rosettenornament. Auf dem diese Tekija umgebenden
Friedhofe befand sich bis vor einigen Jahren das schöne Kuppelgrab (Turbe) des Erbauers,
welches leider (1891) einstürzte. Als eine in neuester Zeit (1830 von Rizvanbegvvic)
erbaute Tekija ist noch die wegen ihrer schönen landschaftlichen Umgebung allbekannte, am
Bnna-Ursprnnge nächst Blagaj gelegene zu nennen.
Den Profanbauten haben die Mohammedaner in den seltensten Fällen monumentalen
Charakter gegeben. Eine Ausnahme machen in der Regel die Bäder, von welchen in
Sarajevo noch das von Ghazi Husrefbeg erbaute in seiner ursprünglichen Form besteht.
In zwei symmetrische Theile mit getrennten Zugängen für Männer und für Frauen
gegliedert, enthält es in jeder Abtheilung einen Eintrittsraum mit Brunnen, Kafana,
Ruhebetten, An- und Auskleidecabinen, an welchen sich ein weiterer, bereits erwärmter
Theil mit Ruhebetten, ferner vier Baderäume mit stets zunehmender Temperatur und ein
rituelles Bad für die sephardischen Juden (Spaniolen) anschließen. Alle Räume sind mit
Kuppeln oder Tonnen eingewölbt und mit Steinplatten gepflastert, unter welchen sich die
Heizcanäle, die aus Tuffstein schliefbar erbaut sind, befinden. Über der Heizstelle ist in
feuerfestes Material ein Kupferkessel mit stetem Wasserlanf eingemauert, von welchem die
Warmwasserleitungen in die Baderäume abzweigen, die nebst den Kaltwasserleitungen
über Steinmuscheln enden. Die Dampferzeugung geschieht durch Wasseraufguß ans den
heißen Boden. Niedrige selbstschließende Thüren, Steinpodeste für die Badenden, Kuppel -
oberlichten in den Scheiteln und kleine Glaskugeln zur Beleuchtung in den Kuppeln
vervollständigen diese Badeanlagen, deren Rauchgase nach Passirnng der Heizcanäle durch
zahlreiche Kamine in den Umfassungsmauern abströmen.
Bemerkenswerth sind ferner jene Gebäude, welche den Handelsbedürfnissen dienten:
Karawanserais, Bazars rc. Zu den ausgedehntesten Bauanlagen Sarajevos gehört
der von Ghazi Husrefbeg für Mustabdzije (Kaufleute für Kotzen, Teppiche, Wvllwaren)
errichtete Taslihan mit dem anschließenden Bezistan (Bez Leinwand). Elfteres Gebäude,
einst aus vier Flügeln, die sich um einen nahezu quadratischen Hof gruppirten, bestehend,
liegt theils seit der Zerstörung Sarajevos durch Prinz Engen (23. und 24.October1697),
theils seit dem großen
Brande im Jahre 1879
in Trümmern. Der an -
schließende Bezistan, zu
welchem vier spitzbogige
Portale führen, ist vor -
wiegend aus Tuffstein
erbaut und an den drei
Gassenseiten mit Kuppeln
und Bleiplatten gedeckt.
Auch jetzt noch ist das hier
sich abwickelnde echt orien -
talische Leben höchst an -
ziehend. Der vom Groß -
vezier Rustem Pascha
Opukovie, einem Bos -
nier, erbaute Brussa-
Bezistan mit sechs gro -
ßen Kuppelräumen dient
jetzt militärischen Zwecken.
Die übrigen Ge -
bäude, welche in Sarajevo
dein öffentlichen Verkehre
dienten, sind, wie der
weitläufige einstöckige
Kolobarahan mit vier
Flügeln im Quadrate und
vorgclegtcn Kaufläden, in
einfachster Art aus Bruch -
stein- und Lehmmauern,
dann Riegel- und Holz -
wänden, letztere theilweise
über massiven Holzfäulen
mit Unterzügen erbaut und stellen eigentlich größere orientalische Hotels mit Stallungen
für Pferde und kleinen Fremdenzimmern im Anschlüsse an feuersichere Magazine
vor. Mehrere derartige Hans sind, da sie den geänderten Verkehrsverhältnissen und
Kursumli-Medresse (Schule) in Sarajevo, mit einem Detail aus dem Hose.
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dem Gebote der Reinlichkeit nicht mehr entsprachen, demolirt und durch Neubauten
ersetzt worden.
Derartige große Hans bestanden selbstverständlich auch außerhalb Sarajevos,
insbesonders an den wichtigen Landronten nach Constantinopel, da sich der ganze Berkehr
zu Lande nur mittelst Tragthiere abwickelte, weßhalb für Unterkunft in den Zwischen -
stationen vorgesehen werden mußte.
Während sich in diesen Gebäuden der Großhandel abwickelte, fand der Kleinhandel
in den Kaufläden, den Ducans, statt, welche sich in der Regel in einem besonders hiefür
ausgebildeten Stadtviertel, der Carsija, und äußerst selten im Anschlüsse an Wohn -
häuser befinden. Häufig erfolgt, wie in der Carsija von Sarajevo, eine Trennung von
einzelnen Gewerben. Die Ducans bilden Streifen vor den hohen Hintergebäuden und
sind hölzerne, niedrige, gegen die Gasse ganz offene, jedoch durch zweiflügelige, um
Horizontalachsen drehbare und mit starkem Diagonalriegel verschließbare Buden. Die
geringe Hohe dieser, mit Kuppeln oder mit flachen, weitvorspringenden Hohlziegcl-
dächern überdeckten Räume resultirt aus dem Umstande, daß dem hölzernen Hinter -
gebäude, welches häufig auch das feuersichere Magazin im unmittelbaren Anschluß an
den Ducan aufnimmt, das Tageslicht gewahrt bleiben muß; die Verkaufsbuden haben
zuweilen noch eine untere Etage, in welcher bloß gebückt oder sitzend manipulirt werden
kann. Sehr häufig wird dann in diesen Ducans der Verkanfsartikel auch erzeugt,
wodurch sich das Interesse an den Carsijas erhöht. Hier gibt es endlich Stiftungsbrunncn
(Sebils), Rasierstuben, Auskochereien für Arme (Jmarets) und zahlreiche Kaffeeschänken.
Unter den Städten sind einige wie Sarajevo, Mostar, Travnik, Pvcitelj als
spccifisch mohammedanische Schöpfungen anznsehen. Sie entstanden aus den Ansiedlungen,
die sich um neue, mit Wachthürmen, Thoren und Bastionen bewehrte Castelle ausgebildct
haben. Diese Neuanlngcn zeigen ausgesprochen orientalischen Charakter, und besonders
Pocitelj, am linken Narentaufer terrassenförmig aufgebant, erinnert mit seiner thurm -
bewehrten Ringmauer, seiner massiven Moschee und den flachen Steinplattendächcrn an
südspanische und syrische Städte.
Von den sonstigen Bauten der türkischen Periode müssen ihres monumentalen
Charakters wegen vor allem die Brücken erwähnt werden. Der Stolz der Bosnier ist die
170 Meter lange, beiderseits gegen die Mitte ansteigende Visegrad er-Brücke, welche mit
elf Spitzbögen von 13 7 Meter bis 18'6 Meter Lichtweite die Drina übersetzt. Dieses
imposante Bauwerk aus rein gearbeiteten Quadern mit hoher Steinbrüstnng und
6'3 Bieter breiter Fahrbahn verdankt seine Entstehung im Jahre 1571 (979 nach
dem Hidzret) laut des in der Mitte der einen Brüstung befindlichen Jnschriftssteines
dem aus Bosnien stammenden Großvezier Mehmedpascha Sokolovic. Es ist
Die Sinan Tekija (mohammedanijches Kloster) in Sarajevo.
eine technische Leistung ersten Ranges, die dem sprunghaften Anschwellen der Drina
bisher siegreich widerstanden hat. Selbst die gewaltige Überschwemmung Visegrads am
10. November 1896, wobei die Brücke vollkommen überflnthet war, hat nur die Brüstungen
abgetragen, ohne größeren Schaden anzurichten.
Fast noch berühmter ist die sogenannte Römerbrücke in Mostar, welche in
einem einzigen kühnen Halbkreisbvgen von 27 3 Meter Lichtweite die Narenta überspannt.
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Das alte türkische Bad in Sarajevo.
Der Scheitel dieser Brücke, welche wegen der steilen und sammt den Brüstungen nicht
mehr als 455 Meter breiten Fahrbahn derzeit nur mehr dem Personenverkehre dient,
befindet sich 195 Meter über dem Narenta-Mittelwasser. Nach einem Berichte des
türkischen Geographen Hadzi Ch alfa ist die Brücke i.J.974 nach dem Hidzret(1566)unter
Snlejman II. an Stelle einer älteren hölzernen Brücke erbaut. Wahrscheinlich stammen
die Brückenwiderlager aus römischer Zeit, obgleich keinerlei römische Inschrift vorhanden
ist. Die türkische Aufschrift des Schlußsteines lautet «üuärsl üsEri« (Bogen der
göttlichen Macht). Die Ausführung dürften dalmatinische (Ragusaner) und vielleicht auch
italienische Baumeister besorgt haben. Nach Hadzi Chalfa soll der berühmte türkische
Architekt Sinan die Ausführung einer Bogenbrücke an dieser Stelle für unmöglich erklärt
haben; trotzdem wurde dieselbe angeblich von einem ortsansässigen Tischler (Dundzer,
einheimischer, alle Baugewerbe betreibender Meister) hergcstellt.
Besser erhalten als die Mvstarer und die Visegrader Brücke ist die 1682 (1093 nach
dem Hidzret) aus Quadern erbaute Narentabrücke in Konjica, welche in sechs Bögen von
6'8 bis 13-5 Meter Weite den Fluß überspannt, und deren Erbauung dem Vezier
Ahmed Sokolovic zugeschrieben wird; sie ähnelt im Gesammteindrncke jener in Visegrad,
während die Kozija euprija (Ziegenbrücke) über die Miljacka östlich von Sarajevo der
Mvstarer Brücke nachgeahmt scheint. Nur sind die Brustmauern der Ziegenbrücke zur
Vergrößerung des Dnrchflußprofiles noch von zwei kreisrunden Öffnungen durchbrochen.
Diese Construction wiederholt sich bei anderen Steinbrücken Sarajevos.
Außer diesen Bauwerken bezeugen noch viele andere, theils erhaltene, theils zerstörte,
den hohen Werth, welchen die Türken ans Brückenbauten legten.
Äußeres der katholischen Kathedrale in Sarajevo.
Gegen die bedeutenden Leistungen der Türken auf diesem Gebiete treten jene des
Wasser- und Straßenbaues sehr zurück. Zwar war die Zahl der Wasserleitungen
eine sehr große, so daß säst jede in der Nähe einer Ortschaft gelegene Ouelle gefaßt und zu
Moscheen oder Bädern geleitet wurde: da jedoch für Leitungszwecke nur Thon- und
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Holzrohre verwendet und die zumeist aus Stiftungsmitteln (Vakufs) erbauten Wasser -
leitungen schlecht erhalten wurden, befanden sich dieselben nach der Occupation in einem
elenden Zustande. Eine Eigenthümlichkeit dieser Leitungen war die Einschaltung von
Terezias. Es waren dies prismatische, oft als Brunnen ausgebildete Quaderbanten, welche
nebst einem kleinen Reservoir ein verticales Zuleitungs- und ein ebensolches Ableitungsrohr
erhielten; der Zweck derselben war offenbar ein doppelter. Einerseits sollte der Druck auf
die jeweilige Höhe der Terezia herabgemindert werden, was im Hinblicke auf das minder-
werthige Leitungsmateriale nothwendig war, anderseits bot sich so die Möglichkeit,
größere Undichtigkeiten der Leitungen leicht aufzufinden, da oberhalb jenes Rohres,
wo das Wasser nicht mehr bis in das Reservoir der Terezia stieg, der Fehler liegen
mußte. Die zu den Wasserleitungen gehörigen Auslaufbrunnen wurden mit Vorliebe als
Quaderbauten mit einfachen Profilirungen und Jnschrifttafeln ausgeführt.
In noch schlechterem Zustande als die Wasserwerke wurden nach der Occupation alle
Commnnicationen vorgefunden. Auf diesem Gebiete, wo lediglich durch das Zusammenwirken
aller interessirten Factoren ein günstiges Resultat zu erzielen war, konnte weder ein einzelner
Wohlthäter, noch eine fromme Stiftung Ersprießliches leisten. Die Regierung war jedoch
fast machtlos, jeder größere Grundbesitzer maßte sich Herrscherrechte an, Aufstand folgte
auf Aufstand, und so war an ein derartiges Zusammenwirken nicht zu denken. Infolge dessen
war der Zustand aller Commnnicationen ein trauriger: die Eisenbahn Banjaluka-
Doberlin nicht betriebsfähig, ihre Hochbauten verfallen, die ehemaligen Pflasterstraßen
(Kalderma —schöner Weg) fast unpassirbar, kleinere Brücken zerstört oder in einem höchst
gebrechlichen Zustande, ganze Strecken versumpft, da Abzugsgräben mangelten rc. Von
den wichtigeren Commnnicationen war, im modernen Sinne gesprochen, eigentlich keine
fahrbar, doch wurde die Route Mostar-Sarajevo-Bosnisch- Brod thatsächlich
befahren, und die türkische Regierung war seit dem Jahre 1863 bestrebt, die schwierige
Strecke Mostar-Konjica gründlich nmzubauen. Trotz reichlich aufgewendeter Geldmittel und
Arbeitskräfte konnte sie aber diese Aufgabe nicht bewältigen. Im Jahre 1878 waren
bloß Bruchstücke der Straße und von den drei eisernen aus England bezogenen Narenta-
brücken (Netzwerk) nur eine unterhalb Jablamca fertiggestellt, die zweite in Jablanica
selbst in den beiden Widerlagern und jene in Mostar in einem einzigen Mittelpfeiler
ausgeführt. Welches Chaos bei diesem Baue geherrscht hat, ist aus dem Umstande zu
ermessen, daß die Eisenconstructionen, deren Kleinmaterial den Zigeunerschmieden nach
und nach zur billigen Beute wurde, vollständig durcheinander und an den verschiedensten
Punkten zerstreut lagen. Entwürfe und Constructionsplüne scheinen nur in sehr bescheidenen:
Umfange angefertigt worden zu sein. Eine von einem gewissen Nuri Abdulah in
Blei verfaßte, aus Situation und Längenschnitt bestehende Skizze einer Holzbrücke auf
-- - x«
4^tt
Das mohammedanische Casino in Sarajevo.
für die türkische Regierung besondere Wichtigkeit als Militärtransportwcg. An hundert
Ochsen und ebensoviele Menschen wurden für je eine größere Kanone reqnirirt. Die
Straße war zwar breit, jedoch im Niveau stellenweise höchst ungünstig angelegt, nur
mit Grundban ans großen Felsstücken mit gefährlichen Zwischenräumen versehen, und Mar -
der Verbrauch an Menschen und Thiermaterial, um Frachten auf dieser Straße vorwärts
zu bringen, ein so großer, daß ein guterTheil der Regnirirten die Heimat nicht wiedersah.
Die Periode der österreichisch-ungarischen Verwaltung. — Die Cultnr
des Westens, welche nach dem Einmärsche der österreichisch-ungarischen Truppen im
neun Steinpfeilern, für die Straße nach Ragusa bestimmt, ist der einzige aus
türkischer Zeit stammende Entwurf, in dessen Besitz ich bis nun gelangen konnte.
Selbstverständlich war das Fahren ans derartigen Communicationen mit großen
Schwierigkeiten verbunden, die man nur beurtheilen kann, wenn man eine türkische
Fahrstraße im Urzustände gesehen hat. Eine solche führt vom Hafen Neun: an Hutovo
vorüber zun: Anschlüsse an die Straße Metkovie-Mostar. Da sic die einzige von der
Adria ausgehende Slraße ist, welche ganz auf hercegovinischem Gebiete lag, hatte sie
430
Jahre 1878 ihren Einzug hielt, durchdrang trotz aller Hindernisse nach und nach alle
Zweige des geistigen Lebens und zeitigte schon nach dem Ablauf von zwei Decennien
Früchte, welchen seitens maßgebender westländischer Beurtheiler aller Nationen hohe Aner -
kennung gezollt wird. Wohl mußte vorerst manches morsch gewordene Object entfernt
werden, um den dringend nothwendigen Neuschaffungen Platz zu machen. Dadurch wurde
naturgemäß das bis dahin einheitlich orientalische Bild empfindlich gestört. Das kolossale
Bednrfuiß an Amtsgebüuden aller Art für die sich stetig entwickelnde Verwaltung, an
Das Vereinshaus in Sarajevo.
Schulgebäuden für die Jugend aller Religionsbekenntnisse, an Gotteshäusern für die
christliche Bevölkerung, an Wohngebäuden und Humanitätsanstalten für die eingewanderte
Bevölkerung, konnte vielfach nur durch Aufführung reiner Nutzbauten, welche mit der
Kunst nichts gemein haben, befriedigt werden. So trat an Stelle jener schönen orienta -
lischen Städtebilder, die den Landschaftsmaler entzückten, ein Gemisch von Neuem und
Altem. Dieses äußerte sich in angefangenen Regülirungen, im Contraste von hohen Mieth-
kasernen mit baufälligen niedrigen Wohnhäusern, in die Aussicht beengenden Feuergiebeln,
neuen Dachungen rc. und wird sich störend fühlbar machen, so lange nicht an Stelle dieser
Bewegung eine Art Gleichgewichtszustand getreten ist und das Neue vom Alten sich
gesondert oder mit letzterem organisch verbunden haben wird. Schon die letzten zehn Jahre
431
haben infolge eines planmäßigen, zielbewußten Vorgehens entschieden Besserung gebracht.
Neben der Nützlichkeit und Zweckmäßigkeit ist auch der künstlerischen Gestaltung Spielraum
gewährt worden, wobei nahezu alle Stilgattungen Berücksichtigung gefunden haben.
Der mittelalterliche Stil ist am würdigsten durch die katholische Kathedral- und
Pfarrkirche in Sarajevo vertreten. Für 1200 Gläubige berechnet, daher in bescheidenen
Dimensionen gehalten, kann diese durchwegs aus echtem Materiale (Eckarmirungen,
Die Scheriat-Richterschule in Sarajevo.
Gewände, Strebepfeiler und Bögen aus gelblichem Sandsteine, Sockel aus weißem Kalk -
steine, übriges Außenmauerwerk schichtenförmiger Bruchstein von röthlicher Farbe) erbaute,
frühgothische Kirche wegen der mit künstlerischem Verständnisse gewählten Verhältnisse als
der schönste Neubau Sarajevos bezeichnet werden- Die Stirnfront mit ihren beiden
quadratischen, durch Strebepfeiler armirten, mit steilen Pyramidendächern bekrönten
Thürmen, zwischen welchen der Giebel des Mittelschiffes constructiv zur Geltung kommt,
während die beiden niedrigen Seitenschiffe durch die Thürme gedeckt werden, ist von
wohlthuender Wirkung, welche noch durch das einfache, jedoch schön gegliederte Portal und
432
das Rosettenfenster wesentlich gehoben wird. Ist es bei der Giebelfront die gut abgewogene
Massenwirkung, die zur Betrachtung anregt, so ist es bei der Seiten- und Absidenansicht
die harmonische Bewegung, welche der Einbau von Sacristeien mit Oratorien, die steilen
Dächer, das Sanctusthürmchen, die hohen, durch Glasmalerei gezierten Fenster des
Absidenpolygones rc. Hervorbringen, die diese Kirche größer und mächtiger erscheinen
-lassen, als siethatsächlich ist. Dem äußeren Gesammteindruck entspricht die Jnnenwirkung;
das durch je drei geschliffene Kalksteinpfeiler von 80 Centimeter Durchmesser in vier
Felder getheilte und durch gekuppelte Seitenschifffenster erhellte, mit Kreuzgewölben
abgeschlossene Mittelschiff hat eine gute, durch vortheilhafte Polhchromirung verstärkte
Höhenwirkung und bietet gegen das Presbyterium und die Apsis mit freistehendem,
zierlichem Marmoraltar eine ausgezeichnete Perspective.
Die beiden Fresken im Presbyterium — die Bergpredigt und die Gesetzgebung an
Moses darstellend — nach Cartons des Historienmalers M. Seitz durch Alberto de
Rohden ausgeführt, die Fresken: Auferstehung Christi und Krönung Mariens von letzterem
Künstler und die acht Tempera-Medaillons in der Mittelschiffoberwand sind recht gute
Repräsentanten figuraler Malerei, während die Herz Jesu-Statue über dem Hauptportale
von I. Hausmann, die Altarstatueu, die Brustbildermedaillons der Kanzel von Franz
Erler und Dragan Morak die Plastik würdig vertreten. Der Entwurf des Bauwerkes
rührt vom Civilarchitekten I. v. Vancas her, welchem auch die Leitung des Baues
anvertraut war. Ferner gelangte der mittelalterliche Stil beim neuen Franciscaner-
kloster in Sarajevo (Regierung, Architekt C. Panek), bei der erzbischöflichen Residenz
(v. Vancas), der Mädchenschule der Töchter der göttlichen Liebe (v. Vancas) zur
Anwendung, und auch diese Gebäude gereichen trotz ihrer großen Einfachheit der Stadt
zur Zierde.
Im Renaissancestile wurde eine größere Anzahl hervorragender Objecte erbaut.
Zwei Regierungsgebäude in Sarajevo sind in Frührenaissance, eines nach Entwürfen des
Civilarchitekten I. v. Vancas, eines, sowie auch das in gleichein Stile gehaltene Obergericht
in Sarajevo nach Entwürfen der Regierung (Architekt Panek), das Obergymnasium und
die Knabenvolksschule in Sarajevo in Renaissance mit griechischen Motiven (Regierung,
Architekt C. Pank), die Landesbank (Parik), das Vereiush aus (Regierung, Architekt
Parik), das erzbischöfliche Centralpriesterseminar in Sarajevo in italienischer Renaissance
(v. Vancas) ausgeführt. Die deutsche Renaissance ist unter anderem durch das erzbischöfliche
Waisenhaus in Rohbau (v. Vancas), der Barockstil durch eine Reihe größerer Wohn -
gebäude in Sarajevo vertreten.
Eine besondere Aufmerksamkeit wendet die Regierung der Erhaltung und Wieder -
belebung des arabischen Stiles zu. In demselben wurden namentlich dieScheriat-Richterschnle
433
und das Rathhaus in Sarajevo ausgeführt. Die aus einem Wohn- und einem
Schultracte mit eingebauter kleiner Moschee bestehende Scheriat-Richterschule (Hoch -
schule mit Seminar für das mohammedanische Familienrecht) mnß theils wegen der
guten Verhältnisse, theils wegen der organischen Entwicklung des Areadenhofes und der
Anordnung eines kräftig wirkenden, von einer mächtigen Freitreppe zugänglichen Nischen-
thores zu den schönsten Neubauten Sarajevos gezählt werden (Negierung, Architekt Parik).
Das Rathhaus in Sarajevo hat dreieckigen, durch Eckthürme und Mittelrisalite ent -
sprechend gegliederten Grundriß; das am weitesten vorspringende Risalit der Hauptfa^ade
Das neue Rathhaus in Sarajevo.
zeigt nebst effectvoller Flächenwirkung eine Auflösung in eine fünfachsige Loggia
im Anschlüsse an den großen, durch zwei Stockwerke reichenden Festsaal; ein reiches
Vestibüle mit vorgelegter Freitreppe vermittelt den Zugang zum sechseckigen mit Glas -
kuppel gedeckten Arcadenhof, welcher sich organisch aus der dreieckigen Grundrißform
entwickelt, und von welchem eine Marmortreppe zu den theilweise mit reicher Gallerte aus -
gestatteten Festsälen führt. Für die Details dieses Prachtbaues haben gründliche Studien
des seither verstorbenen Regierungsarchitekten Alexander Wittek, besonders an der
Sultan Hasan-Moschee in Cairo und au der aus dem XV. Jahrhunderte stammenden
Grabmvschee des Sultan Kait-Bai nächst Cairo, die Basis gebildet. Die Medressen in
Bosnien und Hercegovina.
434
Travnik, Tuzla und Bihac, das Hotel Narenta in Mostar (Regierungsbauten) zeigen
gleichfalls die Verwendbarkeit des orientalischen Stiles für moderne Bedürfnisse. Derselbe
ist durch die Civilarchitekten I. v. Vancas und Niemeczek auch bei vielen Wohngebäuden
zur Anwendung gebracht worden.
Die zahlreichen, dem allgemeinen Wohle gewidmeten Neuanlagen sind vorwiegend
im ländlichen Stile, z. B.: die Prachtbauten im reichsten Villenstile des Bades Jlidze,
die im gleichen Stile ansgeführte landwirthschaftliche Station Bntmir bei Jlidze,
das zumeist im einfachen Pavillonstile gehaltene, mit den modernsten Hilfsmitteln
eingerichtete Landesspital für rund 300 Betten in Sarajevo und die ähnlich ausgestattete
Centralstrafanstalt für 600 Sträflinge in Zenica, bei welcher das irische System —
Zellenhaft im ersten Stadium, gemeinsame Haft im zweiten Stadium, Unterbringung
in der außerhalb der Ringmauer gelegenen Zwischenanstalt im dritten Stadium
und bedingte Freilassung im vierten Stadium der Strafzeit — zur Anwendung
gelangte. Übrigens wird in neuerer Zeit überhaupt bei allen aus Landesmitteln oder
öffentlichen Fonds, als Pensionsfonds, Bakus- und Gemeindegeldern herzustellenden Bauten
(Amtsgebäude aller Art, Gemeinde- und Bezirksspitäler, Armenhäuser, Hotels, Markt -
hallen, Schulen und Pfarrhäuser, Kasernen, Zuchtanstalten und Wohngebäude) auf eine
bessere architektonische Ausstattung gesehen. Großen Einfluß übt in dieser Hinsicht die vor -
züglich organisirte, unter der zielbewussten Leitung des Sectionschefs Edmund Stix
stehende Banabtheilung der Landesregierung mit ihren Architekten, von welchen sich um
das bisher Geleistete außer den bereits Genannten noch C. M. Jvekovic (jetzt in Zara),
August Butscha (jetzt in Brünn) und Franz Blazek große Verdienste erworben haben.
Daß dieser vorteilhafte Einfluß nicht gleich anfangs und besonders bei der Ausführung
der zahlreich entstandenen christlichen Gotteshäuser und Klöster zur Anwendung gelangte,
lag in den bereits geschilderten Verhältnissen. Bei Herstellung der meisten Gebäude dieser
Art — selbstverständlich gibt es, wie in dem restaurirten Franciscanerkloster Gucja gora
bei Travnik, jenem in Mostar rc., in den Kirchen in Trebinje, Bihac rc. zahlreiche Aus -
nahmen — war der Hauptzweck: Schaffung nutzbarer Räume bei beschränkten Geld -
mitteln. Da jedoch diese Cultusbauten vielfach nur Provisorien sind oder wegen der
rapid steigenden Bedürfnisse räumlich nicht mehr genügen, kann mit Zuversicht erwartet
werden, daß nach glücklich überwundener Sturm- und Drangperiode die weiteren
baulichen Schöpfungen dieser Richtung auch den Forderungen der Schönheit gebührend
Rechnung tragen werden. Auch die neu entstandenen mohammedanischen Gotteshäuser
lehnen sich thunlichst an die guten alten Muster an.
Über die modernen Straßen- und Eisenbahnlinien Bosniens und der Hercegovina
möge man den Schluß der geographischen Übersicht vergleichen.
*
28*
Volkswirtschaftliches Leben.
^andwirthschaft und Viehzucht.
Vicht leicht hat ein Land eine die Entwicklung der Landwirth-
schaft und aller darauf beruhenden Erwerbszweige derart hemmende
Vergangenheit durchgemacht, wie Bosnien und die Hercegovina. Die
Besitzergreifung allen Landes durch die osmanischen Eroberer brachte den
Eingeborenen, der in Folge von Unwissenheit oder Anhänglichkeit an die
heimatliche Erde nicht auswandern oder den Glauben seiner Väter nicht
verleugnen wollte, in die drückendste Lage.
Ein weiteres bis in die jüngste Vergangenheit reichendes Hemmnis; der wirthschaft-
lichen Productionsentwicklung war die Absperrung dieser Gebiete von anderen Cultur-
staaten. Im Osten und Süden durch Länder begrenzt, welche in gleichem Maße cultur-
bedürftig sind, konnten sie von dieser Seite weder Anregung noch Unterstützung erhalten; im
Westen waren sie durch den unwirthlichen und nur an wenigen Stellen passirbaren Wall
der Dinarischen Alpen abgeschlossen und hier wie im Norden noch durch eine streng geübte
Grenzsperre von der Culturwelt abgeschnitten. So befand sich die Landwirthschaft in
Bosnien und der Hercegovina zur Zeit der Übernahme der Verwaltung durch Österreich-
Ungarn so ziemlich auf derselben Entwicklungsstufe, wie zur Zeit der bosnischen Könige.
436
Der Pflug in seiner primitivsten Form, ähnlich wie er zur Römerzeit verwendet
wurde, furchte noch vor kaum zwei Jahrzehnten die meisten Äcker, und auch heute noch
findet man ihn nur wenig verändert in jenen Theilen des Landes, wohin die Cultur der
neuen Ära noch nicht zu dringen vermochte.
Aus dem großen Viehreichthnm konnte nur ein sehr beschränkter Nutzen gezogen
werden, da die Grenze gegen die Monarchie wegen der fast ununterbrochen herrschenden Vieh -
seuchen für die Viehansfnhr gesperrt war und ein Export dorthin nicht stattfinden konnte. Die
Prodncenten waren daher derHanptsache nach anf den Absatz im Jnnern des Landes beschränkt.
Da das Ackerland blos ein Fünftel der Gesammtarea des Landes einnimmt, während
Weide und Wald drei und ein halbes Fünftel bedecken, beruht die Bodennutzung haupt -
sächlich auf der Viehwirtschaft und besteht in manchen Gegenden des Landes zum aller -
größten Theile nur in dieser. Aber auch in Gegenden, welche eine bedeutende Ausdehnung
des Feldbaues gestatten würden, nimmt in Folge der angeborenen Bequemlichkeit des
Volkes die Viehzucht unverhältnißmäßig viel Raum ein.
Die Weidenutzung der Flächen ist mit wenig Mühe verbunden, und in früheren
Zeiten hatte der Besitz lebenden Viehes noch den Vortheil, daß dieses bei einer eventuellen
Flucht sich selbst weiter beförderte, demnach ohne Schwierigkeiten in den Zufluchtsort
mitgeführt werden konnte. Auch hatte der Kmet von seinen Viehstücken an den Grundherrn
keine Giebigkeit zu entrichten, was nicht wenig dazu beitrug, daß die Viehzucht auch in jenen
Gegenden, wo sie zufolge der Bodenverhältnisse nicht dominiren sollte, an erster Stelle
belassen wurde. Die Thierhaltung ist daher ihrer Ausdehnung nach der vornehmste
Productionszweig des ganzen Gebietes, konnte jedoch demLande nicht jene Einnahmen bieten,
welche bei halbwegs entsprechender Zucht und angemessener Pflege des Viehstandes, sowie
bei Einrichtung eines geregelten veterinär-polizeilichen Dienstes hätten erzielt werden können.
Wenn wir die Hauptmängel, welche den einzelnen landwirthschaftlichen Betriebs -
zweigen anhaften, näher betrachten und mit dem Feldbau beginnen, so muß vor Allem
gesagt werden, daß der Bauer in den seltensten Fällen wußte, was sein Boden hervorzu -
bringen vermag. Auf die Gestaltung der Ernte, welche als nur von der unabwendbaren
Fügung Gottes abhängig angesehen wurde, muthete er sich nicht den geringsten Einfluß
zu und hatte auch keine Vorstellung, daß er seinen Ernteertrag durch entsprechende
Bearbeitung und Behandlung des Bodens wesentlich heben könne.
Die Ackerung, welche der Landmann seinem Felde gab, ehe er ihm das Saatgut
anvertraute, genügte in der Regel nur, um den Samen so weit mit Erde zu bedecken, daß
er den Blicken der zahllosen Krähen- und Taubenschaaren entzogen war.
Das Saatgut der ärmeren Bauern war meist lange vor dem Herannahen der
Saatzeit aufgezehrt, und der Ersatz mußte unter den drückendsten Bedingungen vom
4:;?
Kornwucherer entlehnt werden. Er war selten von entsprechender Beschaffenheit und wurde
meist noch in Folge schlecht angebrachter Sparsamkeit in zu geringer Menge ausgesäet.
An ein Reinhalten der Felder durch Befreiung derselben von Unkraut, Steinen
und Wurzelstöcken dachte nur der Bauer der karstigen Gebiete, weil die ihm zu Gebote
stehenden Ackerflächen so klein sind, daß er die Säuberung ohne allzu große Mühe
bestreiten konnte, und eine Schmälerung der Productionsfläche für ihn sehr empfindlich ist.
Es weiß auch nur der Bauer der felsigen Gebiete den Werth des bestellbaren Bodens
WKWW
Feldarbeit mit dem bosnischen Pflug.
einigermaßen zu schätzen. Die größere oder geringere Verunkrautung des Ackers wurde
stets irgend einem anderen Grunde zugeschrieben, als der Unreinheit des Saatgutes und
der ungenügenden Bearbeitung des Bodens.
Die Erntearbeit selbst, der Schnitt, wird allgemein mit der Sichel bewirkt.
Bei dem Mangel der Scheuern ist der Bauer gezwungen, sein geschnittenes Getreide
im Freien eingeschobert bis zum Drusche aufzubewahren; in der Errichtung solcher Getreide -
schober sind die Landbewohner mancher Gegenden außerordentlich geschickt. Die Entkörnung
geschieht beinahe durchwegs mit Pferden, welche das um einen eingerammten Pfahl kreis -
förmig ausgebreitete Getreide austreten. Die Reinigung der ausgetretenen Körner erfolgt
zum größten Theile auch gegenwärtig noch durch das Winden mit der Wurfschaufel.
438
Von Hackfrüchten war nur die Cultur des Maises im ganzen Lande verbreitet,
doch ließ auch diese viel zu wünschen übrig, da man sich stellenweise mit einmaligem
Behacken begnügte, wobei gleichzeitig auch das Behäufeln vorgenommen wurde.
Bei der Mahd der Wiesen findet sich die üble Gewohnheit, mit dem Hiebe bis zur
vollständigen Überreife zu warten, wodurch nicht nur die oft gut erreichbare ein- oder
zweimalige Reproduktion des Graswuchses unmöglich gemacht, sondern auch das
gewonnene Heil in seiner Qualität entwerthet wird.
In dem Wirthschaftsbetriebe des Bauern ist kein System wahrzunehmen. Er
benützt sein Land durch eineReihe von Jahren zur Production eines und desselben Gewächses
und läßt es, sobald ihm das Ernteergebniß nicht mehr lohnend scheint, brach liegen, um
ein Stück Wald niederzubrennen und als Acker zu verwenden, oder von schon devastirtem
Wald ein Stück Weideland zum Anbaue heranzuziehen. Diesem Mißbrauche ist es zuzu -
schreiben, daß man in manchen Gegenden im nächsten Umkreise der Bauernsitze nur
verunkrautete Brachen antraf, welche eine spärliche Weide lieferten und die Äcker in größerer
Entfernung vom Sitze der Familie zerstreut waren. In Gegenden, die zum größten oder
doch größeren Theile aus culturfähigem Boden bestehen, ließ sich diese Unwirthschaft durch
lange Zeit fortführen, weil genug Land vorhanden war, um so lange neue Felder zu
occupiren, bis man annehmen konnte, daß die verlassenen wieder etwas gekräftigt seien.
Ebenso unrationell wird bei der Ausnützung der Weiden verfahren. Dem Vieh wird
sofort beim Austrieb die ganze verfügbare Fläche überlassen, welche infolge dessen auch
viel früher erschöpft ist, als wenn man strichweise geweidet und den schon beweideten
Partien Ruhe und Zeit zur Reproduktion gelassen hätte. Theils aus Unverstand, theils
aus Faulheit wird das Vieh im Frühlinge zu lange auf der Wiesenweide belassen und
nach dem meist einzigen ersten Hiebe sofort wieder aufgetrieben. Die einzige Richtschnur
für die Führung der bäuerlichen Wirtschaft war die augenblickliche und möglichst mühe -
lose Bedürfnißbefriedigung.
Die direkten Produkte der landwirthschaftlichen Bodennutzung stehen hinsichtlich
ihrer Qualität denen der vorgeschrittensten Culturländer nicht wesentlich nach. Alle
Feldfrüchte sind gut und theilweise sogar vorzüglich. Die wichtigsten und verbreitetsten
sind Mais, Weizen, Gerste, Hafer, Roggen, Hirse, Halbfrucht (Winterweizen und Winter -
roggen gemengt), Spelz, Krupnik (Gemenge von Sommerspelz und Sommerweizen,
manchmal auch Gerste und Hafer) und Hülsenfrüchte (unter welchen die Bohne obenansteht),
ferner Tabak und seit neuerer Zeit die Kartoffel, Zuckerrübe, Raps und Klee.
Die Körnerfrüchte werden in verschiedenen Varietäten cultivirt. Besonders zahlreich
sind die Weizenvarietäten, sowohl die des Winter-, als auch die des Sommerweizens.
An Gerste kommt meist zwei- und vierzeilige vor, weniger sechszeilige; es wird sowohl
439
Sommer-, als auch Wintergerste gesäet. Die Gewichte Per Hektoliter, wie sie durch zahlreiche
präcise Wägungen ermittelt wurden, sind sehr befriedigend. Die Getreideproducte gebirgiger
Lagen weisen in der Regel höhere Durchschnittsgewichte als die der Thalböden auf.
Die Hauptfrncht, der Mais, welcher überall, wo das Klima seinen Anforderungen
nur halbwegs genügt, die erste Stelle einnimmt und stellenweise noch in einer Höhe bis
zu 800 Meter gedeiht, wird meist in grobkörnigen Sorten gebaut.
In den rauheren Hochlagen, besonders der karstigen Theile des Landes herrschen
Hafer, Gerste, Spelz und Krupnik vor. Der Roggen ist im allgemeinen weniger verbreitet,
als die angeführten Getreidearten und wird in manchen Gegenden, obwohl alle Bedingungen
Altbosnischer Erntewagen.
zu seinem Gedeihen vorhanden sind, in nicht recht erklärlicher Weise vernachlässigt. Es scheint,
daß das aus seinem Mehle hergestellte Gebäck dem Geschmacke der Bevölkerung nicht zusagt.
Der Tabakbau hatte, obwohl die klimatischen und Bodenverhältnisse speciell in der
Hercegovina der Gewinnung eines qualitativ sehr hoch stehenden Produktes günstig sind,
nur untergeordnete Bedeutung. Das Product war mit Ausnahme der in Trebinje gebauten
Tabake, die sich guten Rufes erfreuten, minderwerthig und die Production, welche nur
circa 10.000 Metercentner jährlich betrug, nicht hinreichend, den inländischen Bedarf zu
decken, so daß große Mengen Tabak, namentlich Pnrsitschan und Jenidge, von auswärts
bezogen werden muhten.
Ebenso mangelhaft wie der Feldbau wird die Viehzucht betrieben. Möglichst frühe
Heranziehung jedes Thieres zur Nutzleistung ist für den Bauer eine Regel, von welcher er
440
nur selten abgeht. Die Zahl der auf einer Bauernwirthschaft gehaltenen Thiere ist meist
nach dem Höchstmaße der Ernährungsfähigkeit bestimmt, so daß in der Regel den ganzen
Winter hindurch nur die kärglichste Ernährung der Thiere stattfindet. Mit Beginn des
Frühjahres wird das gesammte Vieh ohne Unterschied des Alters und Geschlechtes auf
die Weide getrieben. Von einer Leitung der Paarung ist nicht die Rede, so daß noch nicht
entwickelte Vater- und Mutterthiere oft in einem widersinnig frühen Alter zur Fortpflanzung
gelangen und durch Zeugung einer schwachen Nachkommenschaft zur Verschlechterung des
Allgemeinwerth es der Race beitragen. Ferner wird auf den Mehrbedarf an Nahrung bei
den Mutterthieren während der Trächtigkeitsdauer keine Rücksicht genommen, so daß die
letzte Zeit der Trächtigkeit oft mit der Periode der größten Futternoth zusammmenfällt.
In vielen Gegenden besteht unter den Bauern das Bestreben, sich gegenseitig nicht
durch den bestgehaltenen und schönsten, sondern durch den zahlreichsten Viehstand zu
überbieten, und so wird der Viehstapel mancher Bauernwirthschaft, um einen Dorf -
genossen zu überflügeln, derart erhöht, daß dessen Überwinterung auch bei kärglicher
Ernährung nicht mehr recht möglich und das Verkommen der Thiere, namentlich des
jungen Nachwuchses, unausbleiblich ist. Durch die dauernde Einwirkung dieser Factoren ist
die Qualität derart gesunken, daß das Vorkommen tadelloser, zuchltauglicher Individuen zu
den Seltenheiten gehört.
Die in Bosnien und der Hercegovina vorkommenden Pferdeschläge zeichnen sich
durch eine außerordentliche Ausdauer, Härte und Widerstandsfähigkeit aus. Namentlich der
in den gebirgigen Theilen des Landes von einzelnen Grundherren gezogene Reitschlag wird
sehr geschützt. Zur Zeit der ottomanischen Verwaltung wurden durch türkische Offieiere und
höhere Beamte Araberhengste als Reitpferde in das Land gebracht, welche später von den
Begs und Agas angekauft und als Vaterpferde verwendet wurden. Auf diese Weise bildete
sich der gegenwärtige, zweifellos aus der Kreuzung orientalischer Hengste und einheimischer
Stuten hervorgegangene Pferdeschlag aus, dessen charakteristische Merkmale ein kleiner
trockener Kopf mit großen lebhaften Augen, kräftiger Rücken, kurze stämmige Gliedmaßen
und breite Brust bei einer Höhe von 145 bis 148 Centimeter sind. Allerdings war dieser
Schlag schon früher im Lande nur wenig verbreitet und fand sich zur Zeit der Occupation
nur ganz spärlich vor, weil durch die vorausgegangenen vielen Aufstände und Kämpfe
gerade das beste Pferdematerial aufgebraucht worden war.
Die Pferde der Posavina, welche die Beimengung slavonischen Blutes deutlich
erkennen lassen, sind Wohl größer und erreichen eine Höhe bis zu 154 Centimeter,
besitzen jedoch, obwohl vorzüglich für den Zug geeignet, nicht jene Härte und Ausdauer
wie die Pferde aus den Gebirgsgegenden. Der verbreitetste Pferdeschlag ist das Tragthier,
welches früher bei dem ausgesprochenen Gebirgscharakter des Landes und bei dem
441
gänzlichen Mangel fahrbarer Straßen allgemein unentbehrlich war. Der als Tragthier
verwendete Pferdeschlag ist klein und zeigt wenig Adel, besitzt aber einen ausnehmend
kräftigen Knochenbau und eine bis an die äußerste Grenze gehende Genügsamkeit, sowie
eine erstaunliche Kraft im Tragen von Lasten. In einigen an das Mostarsko Blato angren -
zenden Gemeinden finden sich zwerghaft kleine Pferde, in einer Durchschnittshöhe von
120 bis 125 Centimeter, die ein gefälliges Äußeres haben und als Ponnies sehr gesucht sind.
In einigen Gegenden des Karstgebietes wird auch die Maulthierzucht betrieben, jedoch
waren die Producte derselben nur sehr geringwerthig, da als Vaterthiere degenerirte und
herabgekommene Esel verwendet wurden.
Die Rinder des Occupationsgebietes gehören verschiedenen Schlägen an, welche
einen sehr ungleichen wirthschaftlichen Werth besitzen. Über den Nordosten des Landes, die
Posavina, ist ein Rinderschlag verbreitet, der in seinem Äußern, wie in seinen sonstigen Eigen -
schaften die Merkmale naher Verwandtschaft mit der ungarisch-podolischen Steppenrace zeigt.
Dieser Schlag istin Hinsicht aufKörpergröße und Gewicht der ansehnlichstem: Lande und erweist
sich auch in seinen Nutzungseigenschaften der vorerwähnten ungarischen Steppenrace ähnlich.
Als zweiter einheimischer Viehschlag ist der in der Krajina, dem nordwestlichen
Theile Bosniens, vorkommende zu erwähnen. Derselbe zeigt in seinem Knochenbau eine
ziemliche Harmonie der Formen, steht an Körpergröße den: Posavina-Vieh nach, rangirt
jedoch unmittelbar hinter demselben und zeichnet sich im allgemeinen durch eine gedrungene
massige Figur aus. Anschließend an die den Norden des Occupationsgebietes einnehmende
Verbreitungszone dieser beiden Schläge beginnt in: Süden das Gebiet der eigentlichen
bosnischen Rinderrace.
Dieses Hornvieh ist kleiner als die Rinder der Posavina und Krajina und steht den -
selben auch im Körpergewichte nach. Die Färbung ist theils röthlichbraun bis gelblich,
theils grau bis lichtgrau, die Behaarung grob und lang. Die häufig durch tiefe Hunger -
rinnen entstellten, auf- und vorwärts gekrümmten Hörner sind dünn und fein und meist
gegen die Enden zu von dunkler Färbung mit in der Regel weißen Spitzen. Der Kopf ist
stark keilförmig. Die Extremitäten sind durchwegs von hervorragend günstigem Ban, so
daß diese Thiere die unwegsamsten Stellen passiren und das steinigste und zerklüftetste
Weideterrain begehen können, ohne Schaden zu nehmen.
Der Nutzwerth der bosnischen Rinderrace kann mit Rücksicht darauf, daß sie zu -
meist unter ungünstigen Verhältnissen lebt und darauf angewiesen ist, sich die kärgliche
Nahrung unter großen Schwierigkeiten selbst zu verschaffen, als sehr befriedigend bezeichnet
werden. Die Qualität ihrer Milch ist durchwegs vorzüglich, das Fleisch, wenn es von
gut genährten Thieren herrührt, sehr wohlschmeckend. Die Zugleistungen sind in Anbetracht
des kleinen Körperbaues sehr gute.
442
Das Schafvieh Bosniens und der Hercegovina bildet den Hauptbestandteil des
Viehreichthums dieser Länder. Im ganzen Gebiete findet sich kein Bezirk, der nicht eine
ansehnliche Schafzucht, teilweise neben dem Hornvieh, zum großen Theile aber als Haupt -
zweig der Thierzucht aufzuweisen hätte.
Die Schafe Bosniens und der Hercegovina stammen von dem über den größten
Theil Asiens und einen Theil Europas verbreiteten Zackelschaf. Der durchschnittliche
Milchertrag läßt sich auf 20—25 Liter jährlich schätzen. Der Fettgehalt der Milch ist ein
besonders hoher und erreicht oft 9—10 Procent. Das Vließ besteht aus gröberen, oft
bis 30 Centimeter langen Grannenhaaren und aus feineren eigentlichen Wollhaaren. Die
vorherrschend gelblichweiß gefärbte Wolle ist infolge der fast gänzlichen Schutzlosigkeit
gegen die Witterungsunbilden eine mehr trockene, fettschweißarme. Infolge der großen
Länge und Festigkeit eignet sich diese Wolle ganz besonders zur Erzeugung der durch ihre
Widerstandsfähigkeit wohlbekannten einheimischen Wollgewebe. Sie wird als Material
zur Anfertigung gröberer Artikel auch auswärts gesucht und geschätzt. Die im Schweiße
geschorene Wolle wird in schütter geflochtene, circa 1 20 Meter hohe und 0 70—0 80 Meter
im Durchmesser haltende runde Körbe, die im fließenden Wasser stehen, gelegt und durch
Treten mit den Füßen gereinigt. Einer der Hauptwäscheorte ist Livno, wo jedes Jahr
zur Zeit der Schur große Massen aus verschiedenen Gegenden gebrachter Wolle auf diese
Weise gereinigt werden.
Die Ziegenzucht ist, obwohl die Regierung sie wegen ihrer Schädlichkeit für die
Forstwirthschaft möglichst einzuschränken sucht, namentlich in der Hercegovina und den
südlicheren Theilen Bosniens sehr verbreitet. Die außerordentlich geringen Ansprüche,
welche die Ziege an Pflege und Nahrung stellt, haben es bewirkt, daß die Ziege auch in
jenen Gegenden des Landes in größerer Zahl vorkommt, wo die Verhältnisse noch die
Schafhaltung in vollem Maße gestatten würden. Die in einigen Bezirken Südbvsniens
verbreitete hornlose Ziege soll nach Angabe der Einwohner ägyptischen Ursprunges sein.
Das durch die regelmäßige Schur der Ziegen gewonnene Haar wird im Lande
selbst zu den verschiedensten Artikeln, als: Pferdedecken, Futter- und Fruchtsäcken, Seilen,
Halftern re. verarbeitet und verbraucht. Das Fleisch der Ziege, besonders der jungen, wird
in großen Mengen im Lande consumirt und ist wegen seiner Billigkeit ein beachtenswerther
Bestandtheil der Volksnahrung.
Infolge der zahlreich vorhandenen ausgedehnten Hochweiden hat sich ein sehr
ausgebreiteter Alpenbetrieb herausgebildet. In manchen Gegenden warten die Alpen -
hirten mit dem Auftrieb nicht, bis die Gebirge schneefrei sind, sondern beginnen mit dem
Schwinden der Schneedecke im Thale zu weiden und folgen mit ihren Herden bei
fortschreitender Schneeschmelze der immer höher hinansteigenden Schneegrenze, um ihr im
flächen auf der Alpe im
Sommer gewonnene Heu, das nur schwer zu Thale zu bringen ist, wird knapp an einer
Sennhütte (i^oiidu) eingeschobert und von diesen Vorräthen die in nothdürftig hergestellten
Stallungen untergebrachten Herden, welche in denselben oft mehrere Tage lang eingeschneit
sind, genährt.
Im Sennereibetriebe kommt nur die Schaf- und Ziegenmilch in Betracht, aus welcher
der sogenannte VlasiL-Käfe erzeugt wird, der bei der einheimischen Bevölkerung sehr beliebt
ist und einen bedeutenden Handelsartikel bildet. Die Hauptproductionsstätte für diesen
theils aus reiner Schafmilch, theils ans Mischmilch von Schafen und Ziegen mit Labzusatz
hergestellten Käse ist die nördlich von Travnik gelegene Vlasic-Planina, welche einen
Flächeninhalt von über 20.000 Hektar besitzt. Das jährliche Productionsquantum auf der
Vlasit-Planina wird auf circa 1500 Metercentner Käse geschätzt. Der frische Vlasic-Käse
ist weich, gelblich-weiß und von angenehmem, mildem Geschmack. Im weiteren Reifungs-
proceß erhält er einen sehr scharfen Beigeschmack, der ihn als Exportware unmöglich macht.
Die Schweinezucht ist wegen des Abscheues der Mohammedaner vor diesem Thier
nur in Gegenden mit christlicher oder gemischter Bevölkerung von Bedeutung. Die größte
Zahl von Borstenvieh wurde von jeher und wird auch heute noch in der Posavina, Krajina
und den angrenzenden Bezirken gefunden.
444
In den dichter bewaldeten Theilen des Landes bietet die reichliche Waldmast Gelegen -
heit, die Schweinehaltung mit wenig Mühe ertragreich zu machen. In diesen Gegenden
werden die Schweine in großen Mengen gezüchtet, und von dort hat sich in den letzten
Jahren der Schweineexport in die Monarchie zu einer hohen Bedeutung entwickelt.
Die Wartung, Fütterung und Pflege, welche die einheimische Bevölkerung den
Schweinen angedeihen läßt, ist sehr unzulänglich und beschränkt sich auf das Treiben derselben
auf die Weide und zur Tränke. Eine Futterzubuße wird zu Hause nur in selteneren Fällen und
in der Regel nur Muttersäuen während der Saugzeit der Ferkel gereicht. Während des
Winters werden die Schweine meist mit den Wurzeln der in großen Mengen vorkommenden
Farnkräuter gefüttert. Zu diesem Zwecke wird durch die Hirten das Erdreich mit Krampen
möglichst tief anfgerissen und ans diese Weise den Schweinen, welche in dem aufgelockerten
Boden leichter wühlen können, das Aufsuchen der Wurzeln ermöglicht.
Die Geflügelzucht steht noch auf einer sehr geringen Stufe der Entwicklung. Die
wegen ihrer größeren Fruchtbarkeit auch diesen Nutzungszweig mehr begünstigenden
Gebiete der Posavina und der Krajina weisen den größten Reichthum an Federvieh auf.
An manchen Orten werden Hühner angetroffen, die sowohl im Baue, als auch in
der Befiederung einige Ähnlichkeit mit den Malayen besitzen. Auch Bantams kommen vor,
und ist anzunehmen, daß die diese Formen veranlassenden Thiere einst von wohlhabenden
Mohammedanern als Ziergeflügel aus dem Oriente eingeführt wurden. Die mohamme -
danische Bevölkerung legt einen besonderen Werth auf gute Kräher, welche oft mit 1—2
Dukaten gezahlt werden.
Die Bienenzucht ist ziemlich verbreitet, doch wird dieselbe ebenfalls in sehr primi -
tiver Weise betrieben. Der bosnische Honig ist vorzüglich und erfreut sich auch über die
Grenzen des Landes hinaus guten Rufes. Die bei der Landbevölkerung vorhandenen
Bienenwohnungen bestehen theils aus ausgehöhlten Holzklötzen, zumeist aber aus ein -
fachen, mit Lehm verkleideten Strohstülpern. Für den Mobilbau eingerichtete Stöcke, sowie
Honigschleudern waren vor der Occupation nicht bekannt. Behufs Gewinnung des Honigs
wird, wie dies übrigens auch noch in zahlreichen anderen Ländern geschieht, das ganze
Bienenvolk getödtet. An manchen Orten besteht die Gepflogenheit, den Honig durch
Stampfen in einer den Hanfsamenstampfen Kroatiens und Slavoniens ähnlichen Vor -
richtung vom Wachs zu trennen. Letzteres bildet einen bedeutenden Artikel für den inneren
Handel, weil die Bekenner des orientalisch-orthodoxen Glaubens in ihren Gotteshäusern
nur Wachskerzen und diese in großer Zahl und oft in riesigen Dimensionen verwenden.
Im ersten Lustrum der Occupationsdauer konnte seitens der Regierung eine directe
Förderung der Landwirthschaft nur in geringerem Grade erfolgen, da diese Zeit mehr
der Organisation der Verwaltung, der Herstellung und Festigung der Ruhe und Ordnung,
44b
der Anlegung von Communicationen, der Durchführung der Catastralvermessung re. rc.
gewidmet war. Erst in den Jahren 1882 und 1883 begannen größere, den Ackerbau
und die Viehzucht fördernde Actionen der Regierung.
Im Auftrag des gemeinsamen Finanz-Ministeriums wurden beide Länder behufs
eingehenden Studiums aller ans Ackerbau und Viehzucht, Obst und Weinbau bezüglichen
Verhältnisse von hervorragenden Fachautoritäten aus der Monarchie bereist und zur
Beseitigung der bestehenden Mängel ein Arbeitsprogramm im großen Stile entworfen.
Die Aufmerksamkeit der Landesverwaltung war in erster Linie der Einführung besserer
Ackergeräthe zugewendet. Zu diesem Zwecke wurden auf Kosten des Landesärars
Ackergeräthe bewährter Systeme angeschafft und in die Bezirke zur Vornahme von Probe -
ackerungen, zu welchen die einheimischen Landwirthe gruppenweise beigezogen wurden,
vertheilt. Durch die hiebei erzielten Resultate, sowie durch fortwährende Einflußnahme
und Belehrung seitens der Behörden, ist es mit der Zeit gelungen, das Interesse für
moderne Ackergeräthe bei den einheimischen Landwirthen zu wecken und dieselben zur
Anschaffung dieser Geräthe, deren Ankauf auch durch Creditirung des Kaufpreises seitens der
Landesverwaltung erleichtert wird, zu veranlassen.
Behufs Regenerirung der einheimischen Gerste, welche für Branzwecke nicht gut
geeignet war, wurde, nachdem sich ein leichter und lohnender Absatz für Braugerste ergeben
hatte, durch die Regierung Saatgut vorzüglicher Qualität aus Österreich-Ungarn bezogen
und an die Landwirthe gegen Rückstellung des erhaltenen Quantums nach der nächsten
Ernte für Anbauzwccke vertheilt.
In den Bezirken der Hercegovina, welche die Cultur des Maises nicht mehr zulassen,
wurde als Ersatz für denselben die Kartoffel, die vor der Occupation nur im nördlichen
Bosnien in geringem Umfange gebaut wurde, eingeführt. Der Anbau derselben hat so
große Fortschritte gemacht, daß sich die Production von 137.907 im Jahre 1882 auf
653.809 Metercentner in, Jahre 1898 steigerte, demnach um 474 Procent zugenommen hat.
Der Tabakbau in der Hercegovina hat unter der energischen und zielbewußten
Förderung seitens der Regierung schon seit Jahren einen derartigen Aufschwung
genommen, daß er zu einer Quelle des Wohlstandes für zahlreiche Familien geworden ist.
Gleich nach der Einführung des Tabakmonopols im Jahre 1880 war die Landes -
verwaltung mit allen Mitteln bestrebt, dem Regietabakbau in den Bezirken Mostar,
Ljubuski, Stolac, Ljubinje und Trebinje die möglichste Ausdehnung zu geben. Sie
ertheilte Mehranbau- und Qualitäts-Prämien. Ganz besonders aber haben zu jenem
Aufschwünge die landesärarischen Tabakmusterwirthschaften beigetragen, welche in
Mostar, Ljubuski, Trebinje und Stolac in der Hercegovina und in Orasje und Potocani
in Bosnien errichtet wurden und nicht nur als praktische Schulen für den rationellen
446
Tabakbau dienen, sondern alljährlich auch Millionen von Setzlingen vorzüglichster Sorten
an die Pflanzer unentgeltlich vertheilen.
Welche Steigerung die Production des Tabaks erfahren hat, geht daraus hervor,
daß 1880 in der Hercegovina nur 8774 Metercentner Tabak um den Betrag von
635.516 Gulden, in Bosnien nur 1762 Metercentner um den Betrag von 70.563 Gulden
eingelöst wurden, während im Jahre 1898 in der Hercegovina bereits 26.987 Meter -
centner um den Betrag von 1,368.644 Gulden und in Bosnien 6387 Metercentner um
den Betrag von 196.568 Gulden zur Einlösung gelangten.
Seit dem Bestände der Regie sind bis inclusive 1898 in der Hercegovina
389.437 Metercentner und in Bosnien 91.634 Metercentner Tabak abgeliefert und
hiefür in der Hercegovina 18,433.333 Gulden, in Bosnien 2,828.817 Gulden, daher
zusammen 21,262.150 Gulden bezahlt worden. Zahlreiche Gemeinden der Bezirke Mvstar,
Trebinje und Ljubuski Produciren Tabake, welche den besten macedvnischen Marken weder
an Zartheit der Structur des Blattes, noch an Feinheit des Aromas nachstehen.
Die ottomanische Regierung übte ans die Tabakfabrikation keinen Einfluß aus;
dieselbe konnte von Jedermann betrieben werden. Zur Zeit der Occupativn befanden sich
in Bosnien und der Hercegovina 68 Fabrikanten, welche mit primitiven Handschneide-
maschincn (Huvuns) im Ganzen vier Rauchtabaksorten erzeugten.
Nach Einführung des Tabakmonopols wurde im Herbst des Jahres 1880 von der
Landesverwaltung die Tabakfabrikation in Angriff genommen und in Sarajevo mit drei,
in Mostar mit zwei Hainburger Schneidmaschinen begonnen. Um dem steigenden Bedarf
zu entsprechen, mußten diese Anlagen in rascher Aufeinanderfolge vergrößert werden, und
schon 1882 ist der Dampfbetrieb installirt worden. Da diese zwei Fabriken ungeachtet der
fortwährenden Ausdehnung in baulicher und technischer Beziehung sich noch immer als
unzulänglich erwiesen, wurde im Jahre 1888 eine dritte Tabakfabrik in Banjaluka und
im Jahre 1893 eine vierte in Travnik errichtet. Gegenwärtig functioniren bei den vier
Fabriken fünf liegende Bajonnet-Dampfmaschinen mit 76 Pferdekräften, und im Jahre
1898 wurden 19.635 Metercentner Tabak gegen 2605 Metercentner im Jahre 1881
verarbeitet. Die Cigarettenfabrikation, womit 1882 mit einem Erzeugungsquantum von
505.000 Stück begonnen wurde, stieg im Jahre 1898 ans 38,612.000 Stück.
Die zunehmenden Fortschritte in der Bodenbearbeitung gestatteten der Landes -
verwaltung, allmählich auch die Einführung solcher Cultnrpflanzen zu versuchen, welche
bis dahin im Lande gänzlich unbekannt waren. So wurden 1888 und 1889 in den
Bezirken Dolnja Tuzla und Gracanica Anbauversuche mit Zuckerrüben in kleinerem
Maßstabe gemacht. Die Resultate dieser Versuche waren sowohl quantitativ als qualitativ
derart befriedigend, daß eine größere Anzahl von bäuerlichen Landwirthen sich zum
447
Rübenbau veranlasst fand. Schon im Jahre 1891 ergab eine Gesanuntanbaufläche
von circa 170 Hektar einen Ernteertrag von 22.400 Metercentner Rübe, welche auf
einer vom Landesärar in Usora bei Doboj errichteten Darre verarbeitet wurde.
Behufs Unterstützung der bäuerlichen Bevölkerung beim Zuckerrübenbau wurden den
Pflanzern nicht nur der erforderliche Samen sowie geeignete Acker- und Culturgeräthe
beigestellt, sondern auch im Rübenbau kundige, in der Monarchie acquirirte Vorarbeiter
zugewiesen.
fläche von über 2000 Hektar und einen Ertrag von circa 350.000 Metercentner Rübe. Die
Rübendarre in Usora wurde von der inzwischen gegründeten Actiengesellschaft für Ver -
arbeitung und Verwerthung landwirthschaftlicher Producte in Bosnien und der Hercegovina
angekauft und dort eine Zuckerfabrik errichtet.
Die Ertrüge, welche der Rübenbau den Pflänzern abwirft, werden von keiner
Fruchtgattuug erreicht, und so macht der Wohlstand der Bevölkerung in jenen Gegenden,
wo die Zuckerrübencultur betrieben wird, merkliche Fortschritte. Auch die Viehhaltung
hebt sich in diesen Gegenden zusehends, da die Pflänzer nicht nur die Rübenköpfe und
Blätter, sondern auch die bei der Zuckerfabrikation abfallenden Rübenschnitte, welche von
der Zuckerfabrik unentgeltlich abgegeben werden, an ihr Vieh verfüttern und von der
Weidewirthschaft zur Stallfütterung überzugehen beginnen.
448
Das Verdienst der Einführung des Kleebaues gebührt in erster Linie den aus
Österreich-Ungarn und Deutschland eingewanderten Colonisten, welche diese früher in
Bosnien und der Hercegovina ganz unbekannte Futterpflanze aus ihrer Heimat mitgebracht
und durch Verkauf von Samen auch unter der einheimischen Bevölkerung verbreitet haben.
Nach Errichtung der landesärarischen landwirthschaftlichen Stationen wurden von
denselben größere Flächen der Kleesamengewinnung gewidmet und der dort erzeugte
Samen wird in bester Dualität an die Bevölkerung gegen ermäßigte Preise hinausgegeben.
Am verbreitetsten ist der Rothklee, während Luzerne nur in geringerem Maße gebaut wird.
Ebenso wie dem Landbaue wurde seitens der Landesverwnltung auch der Viehzucht
unablässig Obsorge gewidmet. Nach der Einführung eines geregelten thierärztlichen
Dienstes konnte die Regierung ihre Bestrebungen auf die Eröffnung der Grenze für den
Viehexport in die Monarchie richten, und es gelang auch endlich, dieses langersehnte Ziel
successive fast ganz zu erreichen. Durch die Viehausfuhr in die Monarchie wurde der Werth
des ganzen Viehstandes in einer früher nicht geahnten Weise erhöht, so daß der Bauer den
großen Werth seines Viehstandes allmählich erkannte und demselben eine bessere Ernährung
und Pflege zu widmen begann. Hicmit war auch der Zeitpunkt gegeben, durch den
Import hvchwerthigen Zuchtmateriales zur Verbesserung des degenerirten Viehstandes
zu schreiten.
Zur Hebung der Pferdezucht wurde das Beschälwesen ähnlich wie in Österreich-
Ungarn eiugeführt. Seine Majestät der Kaiser überließ für diesen Zweck schenkungsweise
aus dem Hofgestüte in Lipizza die Hengste Koheylan-Adjouz und Massaud, beide vom
edelsten Blute Arabiens, ferner Massaud-Sohn, Pluto Canissa und Pluto Biouda. Mit
diesen fünf Vaterthieren wurden im Jahre 1884 drei Beschälstationen in der Hercegovina
errichtet. Hierauf folgte die Errichtung von Beschälftationen in Bosnien, der Ankauf von
vierzehn jungen Hengsten aus dein königlich-ungarischen Arabergestüte Babolna und von
zwei Hengsten aus Privatgestüten in Ungarn, welche im März 1885 in fünfzehn Stationen
in Deckthätigkeit gesetzt wurden. Im Jahre 1885 wurde der Bau des Staatshengstendepots
in Sarajevo und der Filiale in Mostar durchgeführt.
Zur Verbesserung der Maulthierzucht in jenen Theilen des Karstgebietes, wo
die rationelle Aufzucht des Pferdes unmöglich ist, wurden in Cypern 5 Eselhengste
angekauft und in der Hercegovina zum Deckgeschäfte verwendet. Durch allmählige Ankäufe
erhöhte sich der Stand der Pferdehengste bis Ende 1898 auf 102 Stück, wovon 20 Stück
aus Syrien und Arabien importirt wurden, während der Rest aus Babolna stammt. Der
Stand der chprischen Eselhengste beträgt 20 Stück. Zur Aneiferung der Züchter finden
alljährlich Pferdeprämiirungen statt, bei welchen über 1000 Ducaten in Prämien von
2 bis 10 Ducaten aus Landesmitteln vertheilt werden.
450
Die Pferderennen, welche in Bosnien und der Hercegovina eine althergebrachte
Einrichtung sind und zur Feier freudiger Ereignisse überhaupt, namentlich aber bei Hoch -
zeiten von den wohlhabenderen Begs und Agas veranstaltet wurden, sind bis in die
neueste Zeit in gerader Linie, zumeist auf harter Straße, ohne Sattel geritten worden. Die
Landesverwaltnng, die in der Vorliebe des Volkes für die Rennen ein weiteres Mittel
zur Hebung der Pferdezucht erkannte, war bestrebt, dieselben ans ein höheres Niveau zu
bringen, und so finden bereits seit dem Jahre 1893 auf der allen modernen Anforderungen
entsprechenden, mit Bewässerungsanlagen versehenen Rennbahn in Jlidze, neben den inter -
nationalen, vom österreichischen und ungarischen Jockey-Club veranstalteten Rennen, auch
reich dotirte Rennen für Pferde bosnisch-hercegovinischer Provenienz statt, bei welchen die
Zuchtrennen für Nachkömmlinge nach landesürarischen Hengsten besonders favorisirt werden.
Überdies werden noch in vier Orten des Occupationsgebietes für Pferde inländischer
Abstammung kleinere Rennen abgehalten, welche ebenfalls mit Preisen aus Landesmitteln
dotirt sind. In jüngster Zeit wurde von der Regierung auch ein, theils aus Babolnaer, theils
ans importirten Originalaraberstuten bestehendes Gestüt in Gorazda errichtet. Derzeit sind
im Gestüt 3 hochedle Originalaraberhengste als Pepiniers und 22 Mutterstutcn vorhanden.
Zur Verbesserung der Rindviehzucht wurden seitens der Regierung für jedes
Gebiet solche fremdracige Zuchtthiere ausgewählt, welche dem Viehschlage, auf den sie
einwirken sollten, möglichst nahe standen. Nach diesem Grundsätze wurde das Land in
Zuchtgebiete eingetheilt, in welchen die Pinzgau-Möllthaler, die Wippthaler und die
ungarische Steppenrace strenge gesondert zur Verwendung gelangen. Die ungarische
Steppenrace ist für den nordöstlichen, zwischen Bosna und Drina gelegenen, in: Norden
durch die Save, im Süden durch die Majevica-Planina begrenzten Theil des Landes,
welcher den Charakter der Tiefebene trägt, bestimmt. Das Zuchtgebiet der Möllthaler Race
umfaßt alle übrigen Theile Bosniens, während für die Hercegovina ausschließlich Rinder
der Wippthaler Race verwendet werden.
Bis Ende 1898 gelangten für Zwecke der Landeszucht 1338 Stiere zur Verwendung,
wovon 149 Stück ans die ungarische Steppen-, 881 Stück auf die Pinzgau-Möllthaler- und
308 Stück auf die Wippthaler Race entfallen. Um einen Nachwuchs an reinracigen Zucht -
rindern im Lande selbst zu sichern, werden seitens der Landesverwaltung auch Zuchtkühe
der oberwähnten drei Racen in der Monarchie angekauft und an bessere Züchter gegen
Rückzahlung des Kaufpreises iu mehrjährigen Raten abgegeben. Bisher wurden auf diese
Weise 760 Kühe importirt und an die Züchter übergeben. In allen Bezirken, wo landes -
ärarische Zuchtstiere aufgestellt sind, werden alljährlich im Herbste Rinderprämiirungen
abgehalten, bei welchen 200 Ducaten in Gold und 2800 Kronen in Preisen von 5 Kronen
bis 3 Ducaten zur Vertheilnng gelangen.
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Zur Verbesserung der Schafzucht wurde behufs Kreuzung mit dem einheimischen
Materiale das vom Gutsbesitzer Baron Romaszkan in Horodenka (Galizien) aus dem
moldauischen Zackelschaf und dem Hamshiredown gezüchtete, sogenannte „Horodenkaschaf"
eingeführt. Diese Race besitzt bei einem sehr ansehnlichen Körpergewicht eine gute Woll-
und Milchergiebigkeit und hat sich Hierlands dank ihrer vorzüglichen Eigenschaften und
der in der Stammheimath angezüchteten großen Härte, sowohl in der Rein- als auch in
der Kreuzungszucht sehr gut bewährt. Außer dieser Race wurden vor mehreren Jahren
auch bucharische Fettschwanzschafe aus Rußland importirt und deren Acclimatisation
versucht. Das bucharische Fettschwanzschaf, welches das unter den Namen „Persianer"
oder „Astrachan" bekannte, kostbare Pelzwerk liefert, hat sich mit staunenswerther Leichtig -
keit acclimatisirt und war auch die Qualität der von den Nachzuchts- und Krenzungsthieren
gewonnenen Lammfelle eine so hochwerthige, daß die Landesregierung sich entschloß, zur
Vergrößerung ihrer Stammheerde noch 65 Stück Originalthiere direct aus Karakul bei
Buchara zu beziehen. Der Stand der Horodenka- und Bucharaschafzuchten der landes -
ärarischen landwirthschaftlichen Stationen in Livno und Gacko ist gegenwärtig schon ein
solcher, daß von demselben im Jahre 1898 bereits 660 Kreuzungsböcke beider Racen für
Znchtzwecke an die Bevölkerung abgegeben werden konnten.
Bei der Ziegenzucht, welche ungeachtet ihrer in forstlicher Beziehung großen
Nachtheile in manchen Gegenden des Karstes von solcher Wichtigkeit ist, daß deren
gänzliche Auflassung sich als undurchführbar erweist, wird getrachtet, durch eine ent -
sprechende Wertherhöhung der einzelnen Stücke eine Reducirung des Umfanges der Ziegen -
haltung, ohne Minderung der Erträge, zu ermöglichen. Um die angestrebte Wertherhöhung
zu erreichen, wurde die Verbesserung der Qualität des Haares ins Auge gefasst. Ein in
dieser Richtung unternommener Versuch mit dem Importe von Angoraziegen aus Kara-
hissar des Vilajets Angora in Kleinasien ans die landwirthschaftliche Station in Livno
hat bisher vielversprechende Resultate ergeben.
Zur Verbesserung der einheimischen Schweineschläge werden auf den landwirth -
schaftlichen Stationen in Modric, Livno und Gacko Berkshireschweine in größerem
Maßstabe gezüchtet und im Alter von acht bis zehn Monaten an die einheimischen
Züchter hinausgegeben. Die Kreuzungsproducte nach Berkshireebern zeichnen sich durch
Schnellwüchsigkeit, große Fruchtbarkeit, leicht zu erreichenden Fettansatz und Härte aus
und sind infolge dessen bei den einheimischen Züchtern sehr beliebt.
Die 1891 zur Förderung der Geflügelzucht gegründete Geflügelzuchtanstalt in
Prijedor befaßt sich vornehmlich mit der Zucht von weißen Langshan-, gesperberten Ply-
mouth-Rock-, Brahma- und Minorka-Hühnern, ferner amerikanischen Bronce- und weißen
australischen Puten, sowie Peking- und Rouen-Enten und Emdener Gänsen. Außer der
29*
452
Beistellung von Racegeflügel und Bruteiern für Zuchtzwecke der Bevölkerung hat die
Anstalt auch die Aufgabe, die Züchter der Umgebung in der Geflügelmast und Herrichtung
von Schlachtgeflügel aller Art, sowie im Sortiren, Conserviren und Verpacken der Eier
für den Export zu unterweisen und den Verkauf von Producten der Geflügelzucht nach
auswärts zu vermitteln. Zu diesem Zwecke werden von der Anstaltsleitung praktische Curse
in den obenerwähnten Verrichtungen abgehalten, welchen eine entsprechende Anzahl von
einheimischen Producenten oder deren Angehörigen beigezogen wird. Die wirthschaftlichen
Erfolge dieser Maßnahme äußern sich darin, daß der Export von Geflügelzuchtproducten
sich sehr bedeutend gehoben hat und auch namhafte Quantitäten Consumeier nach England
ausgeführt werden.
In Bosnien und der Hercegovina gibt es nur Bauernwirthschaften, da der gesammte
Grundbesitz der Begs und Agas in Kmetenansäßigkeiten getheilt ist und von den Kmeten
im Pachtverhältnisse bearbeitet wird. Die Großgrundbesitzer verfügen in der Regel über
keine größeren Complexe, welche sie in eigener Regie bewirthschaften, und so erhält der
ganze landwirthschaftliche Betrieb sein Gepräge durch die Wirthschaft des Kmeten und Frei -
bauern. Unter diesen Verhältnissen war die Landesverwaltung genöthigt, ihre Thätigkeit
von vornherein auf die Hebung des Betriebes der Bauernwirthschaften einzurichten. Die
bäuerliche Bevölkerung ist aber, abgesehen von den geringen, ihr für Wirthschafts-
verbesserungen zur Verfügung stehenden Mitteln, gegen alle Neuerungen sehr mißtrauisch
und nicht auf dem Wege theoretischer Belehrung, sondern nur durch praktische Erfolge zum
Aufgeben althergebrachter Vorurtheile zu bestimmen. Bei diesen Verhältnissen mußte
den für Lehrzwecke seitens der Landesverwaltung errichteten landwirthschaftlichen
Stationen eine eigenartige Organisation gegeben werden. Die landwirthschaftlichen
Stationen sind in erster Linie Lehranstalten, welche die Söhne einheimischer Bauern
auf praktischem Wege in alle Zweige des Landwirthschaftsbetriebes einführen und mit allen
Kenntnissen, welche zur rationellen Bewirthschaftnng eines Bauerngutes erforderlich sind,
ausstatten sollen. Zu diesem Zwecke wird jährlich auf jeder dieser Stationen eine den
Verhältnissen derselben angemessene Anzahl von Bauernsöhnen aller Konfessionen aus -
genommen, welche bei allen landwirthschaftlichen Verrichtungen selbst Hand anlegen müssen
und nach einer dreijährigen Ausbildung ans ihre Wirtschaften zurückkehren, um auf
denselben die erworbenen Kenntnisse zu verwerthen.
Die Lehrlinge erhalten auf der Station freie Unterkunft und Verpflegung und eine
ihren Leistungen angemessene Entlohnung. Die theoretische Unterweisung derselben in den
verschiedenen Betriebszweigen beschränkt sich auf das zum Verständniß der Praktischen
Demonstrationen nothwendige Maß. Überdies erhalten die Lehrlinge durch den Lehrer
der allgemeinen Elementarschule des Stationsortes auch Unterricht im Lesen, Schreiben
und Rechnen. Ferner haben
die landwirtschaftlichen
Stationen die Aufgabe, ans
den aufdenselbenbefindlichen
Lmidwirchschaftliche Station in Butmir bei Jlidze. Pepinieren die zur HebllNg
der Viehzucht erforderlichen
Zuchtthiere, sofern dieselben nicht von auswärts importirt werden, beizustellen und ver -
schiedenes Saatgut zur Abgabe an die einheimischen Landwirthe zu produciren, sowie auf
deu Landwirthschaftsbetrieb des Umgebungsgebietes anregend und belehrend zu wirken.
Zu diesem Zwecke werden entsprechend ausgewählte Bauernwirthschaften unter die
Anleitung und Aussicht der Station gestellt und auf denselben, mit den Mitteln der
Wirthschaftsbesitzer, welchen jedoch von der Station auch materielle Unterstützung
zugewendet wird, eine thunlichst rationelle Bewirthschaftung eingeführt. Jeder der
Stationen sind drei derartige Bauernwirthschaften zugewiesen. Diese Institution hat sich
ganz besonders bewährt, da die bäuerliche Bevölkerung für die auf diesen Wirtschaften
eingeführten Neuerungen, durch die Erfolge der Musterbauern angeeifert, sehr zugänglich
ist. Die erste landwirthschaftliche Station wurde im Jahre 1886 in Modric, im Bezirke
Gradacac, die zweite im Jahre 1886/87 in Gacko, die dritte im Jahre 1888 in Livno,
die vierte im Jahre 1893 in Jlidze errichtet. Die drei letztgenannten bestehen aus je einer
Thalwirthschaft und einer Alpenwirthschaft. Die Station Jlidze hat neben den allen
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landwirthschaftlichen Stationen obliegenden Aufgaben auch noch den Zweck, die Landes -
hauptstadt Sarajevo täglich mit frischer, allen hygienischen Anforderungen entsprechender
Milch, sowie mit Gemüse zu versehen und auch an den Badeort Jlidze das erforderliche
Milch- und Gemüsequantum zu liefern.
In neuerer Zeit wurde ein systematischer, landwirthschaftlicher Unterricht an einigen
Elementar-Dorfschulen eingeführt und besteht die Absicht, denselben successive auf alle
Elementar-Dorfschulen auszudehnen. Bei der Ertheilung des landwirthschaftlichen Unter -
richtes an den Elementar-Dorfschulen, zu welchen nur die Kinder der 3. und 4. Classe
beigezogen werden, wird auf den praktischen Unterricht das Hauptgewicht gelegt und der
theoretische Unterricht nur so weit betrieben, als dies zum Verständnis; der praktischen
Unterweisungen erforderlich ist. Als Demonstrationsobject ist in der Nähe einer jeden
Schule, wo der landwirtschaftliche Unterricht bereits ertheilt wird, eine Bauernwirthschaft,
welche durch den betreffenden Lehrer geleitet wird, in ähnlicher Weise organisirt, wie die
Musterbanernwirthschaften der landwirthschaftlichen Stationen. An Sonntagen werden
an diesen Schulen auch landwirthschaftliche Curse für die bäuerliche Bevölkerung der
Umgebung abgehalten. Zur Ausbildung von qualificirten Lehrern für die Ertheilung des
landwirthschaftlichen Unterrichtes an den Elementar-Dorfschulen ist an der Lehrerbildungs -
anstalt in Sarajevo ein eigener Fachlehrer angestellt und für den praktischen Unterricht
in der Nähe der Anstalt eine Bauernwirthschaft als Schulbauernwirthschaft eigens instrnirt.
In der Erkenntniß, daß Colonisten aus wirthschaftlich vorgeschrittenen Ländern
ein nachahmenswerthes Vorbild in der Bodenbearbeitung und Thiernutzung für die
Eingeborenen abgeben und so für die Entwicklung der Landescultnr von größter
Bedeutung werden könnten, hat die Regierung die Heranziehung von auswärtigen
Ansiedlern durch Überlassung von Staatsgründen, durch Bewilligung des unentgeltlichen
Bezuges von Bauholz aus den landesärarischen Forsten, durch Gewährung unver -
zinslicher Darlehen und von Geldaushilfen, durch unentgeltliche Vertheilung von Saat -
getreide, sowie durch Gewährung einer mehrjährigen Steuerfreiheit zu fördern gesucht.
Allein die verwickelten Besitzverhältnisse des Landes setzten einer umfassenderen Coloni-
sation auf landesärarischen Grundstücken vor der Durchführung der Waldbesitz-
regnlirung und Grnndbuchsanlegung ernstliche Schwierigkeiten entgegen, weshalb man
sich vorerst darauf beschränkte, die Ansiedlung von Colonisten auf Privatgründen,
welche von den Ansiedlern angekauft werden mußten, zu unterstützen. Die auf Privat -
gründen entstandenen Colonien, Rudolfsthal im Bezirke Banjalnka, Windthorst im Bezirke
Gradiska und Franz-Josefsfeld im Bezirke Bjelina, haben sich dank dem Fleiße der
Colonisten und der denselben seitens der Landesverwaltung zugewendeten Fürsorge in
verhältnißmüßig kurzer Zeit zu ansehnlicher Wohlhabenheit emporgearbeitet und üben ans
455
dm landwirthschaftlichen Betrieb der Umgebung den wohlthätigsten Einfluß aus. Die in
Rudolfsthal und Windthorst befindlichen Ansiedler sind aus Preußen, Westphalen, Sachsen
und Holland, die in Franz-Josefsfeld ansässigen Colonisten aus dem Banat und
dem Comitate Bacs-Bodrog eingewandert. Diese Colonien zählen 487 Familien mit
2621 Seelen und besitzen eine Area von 3777 Hektar, wovon 633 Hektar landesürarische
Grundstücke sind, welche den Colonisten in Franz-Josefsfeld zugewiesen wurden. Sämmtliche
Ansiedler sind deutscher Nationalität, und es entfallen 1460 Seelen auf das römisch-
katholische, 1161 Seelen aus das evangelische Religionsbekenntnis^.
Zur systematischen Besiedlung land es ärarisch er Grundstücke wurde erst in neuerer
Zeit geschritten, wobei die Colonisten je nach dem Ausmaße der verfügbaren Grundstücke
theils in größere Ortschaften, theils in Häusergruppen vereinigt wurden. Die den
Colonisten zugewiesenen land es ärarischen Grundstücke sind durchwegs dem Waldboden
entnommen, welcher mit werthlosem Gestrüpp bewachsen war, jedoch zur Umwandlung in
Ackerland durch Roden sich vorzüglich eignet. Als Minimum wurden zwölf Hektar für je
eine Familie anfgetheilt. Die Ansiedler erhalten das zum Aufbau der Wohn- und
Wirthschaftsgebäude erforderliche Bauholz unentgeltlich ans den ärarischen Forsten, ferner
nach Maßgabe des Bedarfes unverzinsliche, in Jahresraten rückzahlbare Darlehen, und in
berücksichtigungswürdigen Füllen wird denselben auch die Steuerfreiheit zugestanden.
In den ersten drei Jahren wird von den Colonisten für die ihnen übergebenen
Grundstücke vom Landesärar kein Pachtzins eingehoben; erst vom vierten Jahre der Pacht -
dauer an haben dieselben einen Pachtzins von fünfzig Kreuzer pro Hektar jährlich
zn entrichten. Nach Ablauf von zehn Jahren werden den Ansiedlern, wenn sie die über -
nommenen Grundstücke urbar gemacht haben und ordnungsmäßig bewirthschaften, sowie in
politischer und moralischer Beziehung sich correct verhalten, die bis dahin verpachteten
Grundstücke vom Landesürar unentgeltlich ins Eigenthum überlassen. Infolge dieser für die
Colonisten sehr günstigen Bedingungen ist die Nachfrage nach landesärarischen Grundstücken
eine sehr lebhafte geworden. Es wurden unter diesen Modalitäten in den letzten Jahren
in den Bezirken Bosnisch-Gradiska, Dnbica, Prnjavor, Dervent, Tesanj, Zeniea, Zepce,
Banjaluka, Novi und Zvornik 1054 externe Familien mit 5712 Seelen auf 13.093 Hektar
angesiedelt.
Bei der Errichtung von Kirchen, Schulen und Pfarrhäusern werden die Colonisten
von der Regierung thunlichst unterstützt, und wird dafür gesorgt, daß in dieser Hinsicht
den vorhandenen Bedürfnissen vollkommen Rechnung getragen werde. Die von der
Landesverwaltung begonnene Besiedlung der verfügbaren landesärarischen Grund -
stücke wird planmäßig fortgesetzt, und sind auch gegenwärtig mehrere Colonien im
Entstehen begriffen.
456
Unter den gleichen Modalitäten wurden auch verarmte einheimische Familien mit
land es ärarischen Grundstücken betheilt und im Bezirke Prnjavor vier Colonien mit
238 Familien und 1053 Seelen, welchen eine Fläche von 1375 Hektar landesärarischer
Grundstücke zur Verfügung gestellt worden ist, gegründet. Außerdem wurden in den
Bezirken Prijedor, Dervent und Bjelina an circa 420 einheimische Familien zur Ver -
besserung der wirthschaftlichen Lage derselben landesärarische Grundstücke in einem
Flächenausmaße von über 1300 Hektar vertheilt.
Zu den von der Regierung zur Hebung der Landescultur getroffenen Maßnahmen
gehören schließlich auch die im großen Stile angelegten landwirthschaftlichen Meliorirungs-
arbeiten im Livanjsko- und Gacko-Polje und die Regulirung des Mladegebietes im Bezirke
Ljubuski. Die Melioration des Livanjsko-Polje wurde durch thunlichste Freilegung der
Ponore (Karstschlünde) inaugurirt, wodurch die Überschwemmung in einzelnen Partien
des Polje ganz entfiel, in anderen von sechs auf zwei Monate sich verkürzte; Canäle
zur Trockenlegung der versumpften Gebiete und zur Sammlung und raschen Abfuhr
des Wassers zu den Ponoren dienen der weiteren Verfolgung des angestrebten Zieles.
Die bisher ausgeführten Meliorationsarbeiten hatten eine Steigerung des Brutto -
erträgnisses im ganzen Polje von 345.000 auf 524.000 Gulden zur Folge und lassen nach
Einführung der Sommerbewüsserung noch wesentlich günstigere Resultate erwarten. Die
im Gacko-Polje angelegte Thalsperre bei Kline besteht ans in Bruchstein cyklopenartig
ausgeführtem Mauerwerk, dessen Mörtel mit Puzzolanerde aus Neapel hergestellt
wurde. Die Mauer ist auf Felsen fundirt, hat eine Fundamentsbreite von 16 7 Meter,
eine Kronenbreite von 4 6 Meter und eine Höhe von 22 Meter, während die Länge der
Mauerkrone 104'5 Meter und der cnbische Inhalt 9504 Cubikmeter beträgt. Das durch
diese Thalsperre geschaffene Reservoir faßt eine Wassermenge von 1,730.000 Cubikmeter,
welche hinreichend ist, eine Fläche von 1000 Hektar der Sommerbewässerung zu
unterziehen. Die Regulirung des Mladegebietes verfolgt den Zweck, die oft erst
spät abfließenden Frühjahrshochwässer des Mlade- und Jmotski-Polje derart recht -
zeitig abzuführen, daß eine regelmäßige Bestellung dieser äußerst fruchtbaren Thäler
gesichert werde.
Als Maßstab zur Beurtheilung der Erfolge der von der Regierung zur Hebung der
Landescultur getroffenen Maßnahmen und der außerordentlichen Entwicklung, welche die
landwirthschaftliche Production in Bosnien und derHercegovina seit der verhältniß-
mäßig kurzen Zeit der Verwaltung dieser Länder durch Österreich-Ungarn erfahren hat,
mögen schließlich die nachstehenden Tabellen, in welchen der Stand der Boden-
Production in den Quinquennien 1882—1886 und 1892—1896, sowie in den Jahren
1897 und 1898 und der Viehzucht in den Jahren 1879 und 1895 verglichen wird, dienen.
457
Die durchschnittliche Bodenproduction
betrug im Quinqucnnium
1897
1898
1882 bis
1886
1892 bis
1896
Die Ernte des Jahres
Die Zunahme der
Production des
letzten gegen das h^trug gegen den Durchschnitt des
erste Qninquenninm ^en Quinquenniums
beträgt
M e t er c e n tn er
P r o c e n t e
Getreide . . .
Hülsenfrüchten .
Kartoffeln, . .
Handelspflanzen
Futterpflanzen .
Obst
Trauben . . ,
Gartenpflanzen und
Gemüse. . .
Gesammte Boden
Production .
2,853.599
62.899
179.136
37.967
3,224.968
816.659
37.225
5,095.500
142.669
519.667
69.385
6,641.495
1,525.690
64.549
2,241.901
79.770
340.531
31.418
3,416.527
709.031
27.324
7856
12682
19010
82 75
10594
8682
7340
637
15 75
598.741 1,616.686 1,017.945 170 01
7,811.194 15,675.641 7,864.447 10068
2104
2002
11 58
3050
65 76
29 77
649
9 66
867
25'87
7907
2-79
9-60
14-98
5-25
4009
1879
1895
Zuwachs
in Procenten
Viehstand.
Einhufer Rinder Schafe Ziegen Schweine Zusammen.
161.168 762.077 839.988 522.123 430.354 2,715.710
239.626 1,417.341 3,230.720 1,447.049 662.242 6,996.978
78.458 655.264 2,390.732 924.926 231.888 4,281.268
48-68 85-98 28462 177'15 53-88 157 65
Wie aus den vorstehenden Ziffern hervorgeht, belief sich die Gesammtbodenprodnction
im Quinquennium 1882 bis 1886 im Durchschnitte auf 7,811.194 Metercentner, im
Qninquennium 1892 bis 1896 auf 15,675.641 Metercentner, was einer Zunahme von
7,864.447 Metercentner oder 10068 Procent entspricht. Die den Anfang eines neuen
Quinquenniums bildenden Jahre 1897 und 1898 zeigen, obwohl das erstere ein Mißjahr
war, in ihrem Durchschnittsergebnisse gegen das letzte Qninquennium noch immer eine
weitere Steigerung der Zunahme um 3'11 Procent.
Die Gesammtzunahme des Viehstandes im Jahre 1895 gegenüber dem Jahre 1879
beträgt 4,281.268 Stück oder 157'65 Procent, ein Resultat, welches wohl kaum ein
anderes Land des Kontinents aufznweisen hat.
Obst- und weinbail.
Während in Bosnien der Obstbau vorwiegt und speciell die Kultur der Pflaume
dvminirt, wird in den niedriger gelegenen Regionen der Hercegovina vorherrschend Wein -
bau betrieben. Neben dem letzteren cultivirt man den Pfirsich, die Aprikose, die Quitte, die
458
Mandel, die edle Kastanie, den Granatbaum, die Feige und stellenweise selbst den Olbanin,
endlich in der am südlichsten Ende des Gebietes gelegenen, an die Bucht von Cattaro sich
anschließenden Sntorina den Orangen- und den Brodbaum. Im Occupationsgebiete
sind somit die Repräsentanten aller vier Obstregionen von der des Ölbanmes bis zu der
des Kernobstes vertreten.
Die größte Bedeutung für Bosnien und die Hercegovina haben der Pflaumenbaum
und me Weinrebe. Die Massenprodnctionsgebiete der Pflaumencultur liegen in der
Posavina. Der Kreis Dolnja Tuzla liefert zwei Drittel der gesammten im Occupations -
gebiete producirten Pflaumenernte. Das sechzehnjährige Mittel der jährlichen Pflaumen-
production Bosniens beläuft sich (vom Jahre 1883 bis 1898) auf 102'84 Millionen
Kilogramm. Die höchste Ziffer erlangte die Production im Jahre 1898 mit
220,284.800 Kilogramm, welche sich auf die einzelnen Kreise, wie folgt vertheilen:
Dolnja Tuzla 151,780.900 Kilogramm, Banjalnka 50,883.500 Kilogramm, Travnik
8,838.500 Kilogramm, Sarajevo 6,091.800 Kilogramm, Bihac 1,991.800 Kilogramm,
Mostar 718.300 Kilogramm. Obwohl totale Mißernten bei der bosnischen Zwetschke nur
selten Vorkommen, so ist doch die Tragfähigkeit keine gleichmäßige und im Allgemeinen
wechseln zwetschkenreiche Jahre mit solchen geringerer Ernteergiebigkeit ab, woran vorzugs -
weise die primitive Baumpflege Schuld trägt. Die bosnische Zwetschke, deren gedörrte
Früchte weit über die Grenzen des Landes hinaus bekannt und gesucht sind, ist eine durch
eine stete Auswahl von Setzlingen der besttragenden Bäume von der gewöhnlichen
Hauszwctschke (Ururum ckomesticu 1,.) unter dem Einflüsse der ihr besonders zusagenden
klimatischen und Bodenverhältnisse ausgebildete Zwetschkenvarietät. Die Frucht derselben
ist groß bis sehr groß, von außerordentlich edler Form, mit einer tiefblauen, stark bedufteten
Haut und festem, gelbem, zuckerreichem und sehr angenehm gewürztem Fruchtfleische.
Die in Bosnien producirten Zwetschken gelangen nur zum geringeren Theile, theils
im Lande selbst, theils auf auswärtigen Obstmärkten im rohen Zustande zum Consum,
während der weitaus größte Theil der jährlich geernteten Früchte zum Dörren, die
geringere Waare aber zur Mus- oder zur Rakijabereitung (Slivovitz) verwendet wird. Das
Dörrgeschäft wird zumeist von den Producenten selbst besorgt, die ihre Waare sodann auf
den inländischen Marktplätzen an Händler absetzen, welche die Weiterbeförderung des
Productes besorgen. Das Dörren selbst wird grvßtentheils noch auf den primitiven
bosnischen Zwetschkendörröfen (Urmnieus) vorgenommen, von welchen die sehr conservative
Bevölkerung, trotz der mehrfachen Mängel, die diesen Dörröfen anhaften, nur schwer
abzubringen ist. Um die bosnischen Dörröfen zu verbessern, ließ die Landesverwaltung
Reconstructionsversuche an denselben ausführen, die ein sehr günstiges Resultat ergeben
haben. Auch wurden von der Landesverwaltung französische Dörrapparate „System
459
Cazenille" eingeführt und an die Prvdueenten gegen Abzahlung des Kaufpreises in
Jahresraten, abgegeben. In Brcka und 14 weiteren Handelsplätzen Bosniens, wo sich
der größte Theil des Pflaumenhandels concentrirt, wurden von der Regierung specielle
Marktstatuten eingeführt, die darauf abzielen, daß nur gut gedörrte Waare zum Verkaufe
gelangt.
Die von den Producenten auf den Markt gebrachte Dörrwaare wird in den
Magazinen der Großhändler mit Hilfe eigens construirter Trieurs nach der Anzahl von
Fruchtstücken, die auf ein halbes Kilogramm gehen, in mehrere Qualitäten sortirt. Die
Beim Rakija-lSlivovitz-)Brcnnc».
werthvollsten Qualitäten, wie die 60/65 und 70/75 stückige Waare, gelangen vorzugsweise
in Kisten, die übrigen, welche die Hauptmasse bilden, in Säcken zum Export. Wie das
Dörrgeschüft liegt auch die Musbereitung und das Brennen von Rakija (Slivovitz)
in den Händen der Producenten, die diese Erzeugnisse, soweit sie nicht im Lande consumirt
werden, dem Exporthandel zuführen.
Die Firma Weiß in München hat im Jahre 1888 in Brcka eine Conservenfabrik
errichtet, in welcher die gedörrten und svrtirten Früchte, um deren Haltbarkeit zu erhöhe»
und denselben eine gleichmäßig tiefdunkle Farbe zu verleihen, einem in Frankreich
erfundenen Verfahren, „Etuvage" genannt, unterzogen werden. Die Fabrik verarbeitet
jährlich circa 10.000 Metercentner gedörrter Zwetschken.
Wie die Zwetschkencultur in Bosnien, spielt der Weinbau in der Hercegoviua eine
sehr bedeutende Rolle. Von der gesammten, dem Weinbau zugewendeten Flüche von
460
6168-68 Hektar entfallen 5900'92 Hektar auf die Hercegovina und nur 267'75 Hektar
auf Bosnien. Die in der Hercegovina dem Weinbau gewidmeten Flächen hatten vor der
Übernahme der Verwaltung durch Österreich-Ungarn ein Ausmaß von 4403-14 Hektar,
im Jahre 1898 bereits ein solches von 5900'92 Hektar, was einer Zunahme von
40 Procent entspricht. Der Weinbau in Bosnien nahm vor der Occupation eine Area
von 121-36 Hektar ein, während im Jahre 1898 bereits 267-75 Hektar mit Wein
bepflanzt waren, woraus eine Flächenzunahme von 120 Procent resultirt.
In der Hercegovina wird der Weinbau in den Bezirken Mostar (3029'42 Hektar),
Ljubuski (1017-44 Hektar), Konjica (656'47 Hektar), Stolac (842-25 Hektar), Trebinje
(267-85 Hektar) und Ljubinje (87-49 Hektar) betrieben, während die übrigen drei
Bezirke, Gacko, Bilek und Nevesinje, weil zu hoch gelegen, die Rebencultur nicht mehr
Anlassen. Die Cultur selbst fleht noch zum großen Theile auf einer niedrigen Stufe. Die
Reben, im Bockschnitte mit kurzem Tragholz gehalten, werden in der Hercegovina
meist ohne Pfähle gezogen. Einzelne Producenten beginnen jedoch, dem Beispiele der
landesärarischen Obst- und Weinbaustationen in Mostar und Lastva folgend, bereits
Rebpfähle einzuführen; die pfahllose Cultur wird mit der Zeit vollständig weichen müssen,
da bei derselben keine sichere Bekämpfung der Peronospora möglich ist. Von der
Phylloxera ist das Occupationsgebiet bisher ganz verschont geblieben.
Unter den Weißweinsorten der Hercegovina steht die Zilavka obenan. Zu den
besseren weißen Keltersorten werden noch die Krkosija, Rezakija, Beim, Jasocka und
der weiße Posib gerechnet. Der Mirisavac hat ausgesprochenen Muskatellergeschmack.
Von den rothen Keltertrauben sind die Skadarka und die Blatina die werthvollsten. Eine
zwar kleinbeerige, aber sehr reichtragende Rothweinsorte ist die Orucevka.
Die in der Hercegovina gezogenen besseren Tafeltraubensorten zeichnen sich durch
einen hohen Zuckergehalt und feinen Geschmack aus. Sie dürften berufen sein, schon in
der nächsten Zeit auf den Märkten der nördlichen europäischen Städte als Frühtrauben
eine bedeutende Rolle zu spielen. Schon das von Goethe übersetzte Gedicht „Des Prinzen
Mujo Krankheit" rühmt die Vorzüglichkeit der Mostarer Trauben.
Die hercegovinischen Weine, welche allgemein als „Mostarer" bezeichnet werden,
haben den Charakter der südlichen Weine, sind alkoholreich und säurearm, mit hohem
Extractgehalt und, bei entsprechender Kellerpflege, auch mit angenehmer Blume. Die mittlere
Weinproductionsmenge beläuft sich auf circa 30.000 Hektoliter, wobei aber zu bemerken
ist, daß ein sehr großer Theil der Trauben im frischen Zustande zum Consum gelangt.
Durch das Vorbild der landesärarischen Obst- und Weinbaustationen angeeifert,
haben in neuerer Zeit intelligentere einheimische Weinproducenten in großem Stile
musterhaft angelegte Kellereien errichtet, in welchen nicht nur die eigene Lese, sondern auch
462
große Quantitäten bei kleineren Weinbauern vom Stocke ab angetanster Trauben
vermaischt und eingekellert werden. Die auf diese Weise hergestellten Weine haben auch
außerhalb des Landes Eingang gefunden und erfreuen sich einer sehr lebhaften Nachfrage.
Es unterliegt daher keinem Zweifeh daß die Rebe in der Hercegovina ein hoch -
wertiges Product zu liefern vermag. Durch längeres Hängenlassen der Trauben am
Stocke wurden an der Obst- und Weinbaustation in Mostar auch von einheimischen Reb -
sorten Produkte erzielt, die dem Tokayer oder den südsranzösischen schweren Weißweinen
nicht im geringsten nachstehen. Die edelsten Weine, welche in der Hercegovina Vorkommen,
werden von den einheimischen Rothweinsorten Skadarka und Blatina und von der
Weißweinsorte Zilavka und der importirten Sorte Muscat-Lunel gewonnen. Das
Product der Skadarkatraube gibt bei sorgfältiger Kelterung und Kellerpflege einen
äußerst harmonischen, milden, tanninreichen, vollfürbigen Wein mit einer an die schweren
Bordeauxweine erinnernden edlen Blume. Der Blatinawein, welcher im Allgemeinen ein
gleich werthvolles Product wie der Skadarkawein darstellt, zeichnet sich ebenfalls durch
einen hohen Farbstoff- und Tanningehalt aus und besitzt einen mehr an die Burgunder -
weine erinnernden Charakter. Die Zilavkaweine sind ausnehmend mild, dabei sehr stark
— es kommen bei normaler Lese und vollständig vergohrenen Weinen Alkoholgehalte
von zwölf und mehr Procent vor — und weisen eine sehr feine, schwach an die
Muskatellerweine erinnernde Blume auf. Das edelste und hochwertigste Product, welches
in der Hercegovina gewonnen wird, liefert die Muscat-Lunel-Traube. Diese Rebsorte ist
außer auf den landesärarischen Obst- und Weinbaustationen noch wenig verbreitet,
erweist sich aber zur Gewinnung schwerer bouquetreicher Dessertweine von unschätzbarem
Werthe. Die am Stocke bis zur Rosinenbildung hängen bleibenden Trauben dieser Sorte
liefern einen äußerst milden, alkoholreichen, tiefgelben Wein mit einem dieser Sorte
speciell eigenen Muskatellergeschmacke, welcher deutlich, ohne aber störend zu wirken, von
der Süße des Weines absticht.
Neben dem Pflaumen- und Weinbau hat noch die Äpfel-, Birn-, Wallnuß-,
Kastanien- und Feigencultur größere Ausdehnung aufzuweisen.
Die erstangeführten zwei Kernobstsorten werden sowohl in Bosnien, als auch in der
Hercegovina gezogen, aber zum größten Theile noch in weniger edlen Localsorten.
Während das Sommerobst an Äpfeln und Birnen vorzugsweise aus der Hercegovina
herrührt, liefert Bosnien vorwiegend die spätreifenden Früchte. Das erzeugte Kernobst
wird im Lande selbst consumirt und zwar zum überwiegenden Theile in rohem Zustande;
die Birnen werden ganz oder in Hälften gedörrt. Außerdem wird aus den Äpfeln und
Birnen stellenweise auch eine Art Mus bereitet, das aber blos für den eigenen Bedarf
dient und im Handel nur selten vorkommt.
468
Die Feigencultur wird blos in den Weinbangebieten der Hercegovina betrieben,
wo die Feigenbäume in den Weingärten und an den Feldrändern, ferner auch in Hausgärten
in großer Zahl vertreten sind. Die Feigen gelangen zum weitaus größeren Theile in
frischem Zustande zum Consum. Das Dörren derselben wird nur im kleineren Maß -
stabe betrieben. Der Wallnußbaum findet sich im ganzen Occupationsgebiete zerstreut vor.
Seine Früchte sind von mittlerer Größe und werden nicht nur im Lande abgesetzt, sondern
auch in nicht unbedeutenden Quantitäten exportirt. Ähnliches gilt von der edlen Kastanie,
welche in größerer Ausdehnung selbst waldbildend, namentlich in den Bezirken Cazin,
Srebrenica, Bosnisch-Gradiska, Krupa und Konjica vorkommt. Die Pfirsich- und
Aprikosencultur ist gering, doch beginnt die Bevölkerung der weinbautreibenden
Gebiete der Cultur dieser beiden edlen Obstarten mehr Aufmerksamkeit zuzuwenden. Das
Gleiche gilt von dem Mandelbaum, welcher nur für die Hercegovina in Betracht
kommt, und bei dessen Ausbreitung namentlich aus die weichschaligen Sorten Gewicht
gelegt wird. In geschützter Lage, namentlich in den Bezirken Mostar, Stolac und Trebinje
gedeiht der Ölbaum, doch ist die Cultur desselben noch wenig verbreitet. Schließlich
ist noch der Granatbanm zu erwähnen, welcher mit Ausnahme der höher gelegenen
Gebiete in der ganzen Hercegovina im halbwilden Zustande anzutreffen ist.
Die Gemüsecultur stand vor der Occupation auf einer sehr niedrigen Stufe, jetzt
wird sie jedoch in ziemlich ausgedehntem Maße betrieben und auch feinere Sorten gebaut.
Eine Reihe von Gemüsearten und Varietäten wurde von Soldaten, Kolonisten und Beamten -
familien eingeführt. Die Spargel- und Erdbeerzucht hat durch die landesärarischen
Stationen Eingang gefunden. Auch die Bulgaren, welche als geschickte Gemüsezüchter
bekannt sind und in der Nähe größerer Städte nicht unbedeutende Flächen mit Gemüse
bebauen, haben nicht wenig zur Hebung dieser Cultur beigetragen.
Von der Landesverwaltnng wurden in Dervent, Mostar und Lastva Obst- und
Weinbaustationen errichtet, welche für diese Culturzweige dieselbe Aufgabe zu erfüllen
haben, wie die landwirthschaftlichen Stationen für Ackerbau und Viehzucht. Neben den
Obst- und Weinbaustationen bestehen noch in Travnik, Brezovopolje, Dragaljevac,
Banjaluka, Fojnica, Konjica und Trebinje landesärarische Obstbaumschulen, welche die
Aufgabe haben, für die betreffenden Gebiete sowohl veredelte Obstbüume als auch Wildlinge
und Edelreiser zu produciren und in gleicher Weise wie die Obst- und Weinbaustationen an
die Bevölkerung abzugeben. Überdies befinden sich im Occupationsgebiete 16 Gemeinde- und
Vereinsbaumschulen. DieVermehrung und Vertheilung derObstbaumsetzlinge findet nach den
Bestimmungen des vonderLandesregierung festgesetztenLandes-Obstproductionsplanesstatt.
In einer Reihe von Bezirken, welche sich für die Seidenraupenzucht eignen,
wurden behufs Heranzucht von Manlbeersetzlingen auch Maulbeerbaumschulen errichtet.
464
Auch die Obst- und Wcinbauftation in Dervent, sowie die landesürarischen Obstbaum-
schnlen in Dragaljevac und Trebinje befassen sich mit der Aufzucht von Maulbeerbäumchen.
Von den Obst- und Weinbaustationen und den Obstbaumschulen wurden bisher an
die Bevölkerung theils unentgeltlich, theils zu sehr müßigen Preisen 228.000 Stück
veredelte Obstbüume, 453.000 Stück Maulbeerbaumsetzlinge, 337.000 Stück Obstwildlinge,
165.000 Stück Edelreiser und 1,455.000 Stück Reben abgegeben. Die Production an
Pflanzmateriale wird, sobald sämmtliche Anlagen den vollen Betrieb erreicht haben
werden, auf 200.000 Stück Obstbanmveredlungen und 2,000.000 Schnittreben pro Jahr
gesteigert werden können.
Auf die Hebung des Obst- und Weinbaues wird seitens der Landesverwaltung auch
noch durch die alljährliche Veranstaltung fachlicher Curse und durch die Prämiirung der
bestangelegten und -gepflegten Weingärten, sowie reingekelterter und bestgeschulter Weine
hingewirkt.
Die Einführung einer rationelleren Weinbereitung wird auch dadurch zu fördern
getrachtet, daß die Anschaffung sowohl von Weinfässern, wie auch von niodernen Keller-
geräthen, wie Weinpressen und Traubenmühlen rc. in analoger Weise wie dies bei Acker-
geräthen der Fall ist, seitens der Regierung durch Bewilligung der Rückzahlung des
Kaufpreises in Jahresraten ermöglicht wird.
Eine besondere Sorgfalt wird seitens der Landesverwaltung auch der Bekämpfung
von Obst- und Rebschüdlingen zugewendet, indem die Bevölkerung zum rechtzeitigen
Ablesen von Jnsecteneiern und Raupennestern w. verhalten wird. In den Weingebieten
werden behufs erfolgreicher Bekämpfung der ksronospora vitieola, welche namentlich in
der Hercegovina in den letzten Jahren aufgetreten ist, von der Landesverwaltung sowohl
das Kupfervitriol, als auch die Zerstäubungsapparate für ärmere Weinproducenten unent -
geltlich, für wohlhabendere gegen Ersatz des Selbstkostenpreises, zur Verfügung gestellt.
Forstwirthschast.
4. er eingeborne Bauer Bosniens und der Hercegovina war bis vor kurzer Zeit in
erster Linie Hirt und ein möglichst großer Viehstand der Inbegriff der Wohlhabenheit.
Die großen Heerden aber brauchten Weide; immer neue Waldstrecken wurden zu diesem
Zwecke gelichtet oder niedergebrannt, die Hochwaldgrenze unaufhaltsam weiter von den
menschlichen Ansiedelungen zurückgedrängt. Niemand erhob sich, um dieser Verwüstung
Einhalt zu gebieten. Grundherrliche Rechte auf den Wald gab es, wenigstens zur Zeit der
vttomanischen Verwaltung, nicht, und wenn auch hie und da der Versuch gemacht wurde,
solche Rechte sich anzumaßen, konnten sie auf die Dauer doch nicht behauptet werden.
Denn nach landläufiger Auffassung, die auch die theoretische des Scher'i-Rechtes für sich
465
hatte, stand die Waldnutzung jedermann, nämlich einem jeden aus einer bestimmten
Gemeinde oder Gegend, in unumschränkten Maße frei, insolange nur der communistische
Charakter der Nutzung unangetastet blieb. Auch in das spätere türkische Forstgesetz ging
das Waldnutzungsrecht der Landheimischen, zumal das Weiderecht, nur als eine unbe -
stimmte Gestattung über. Zwar verbot das Gesetz die Waldbrandlegung und belegte den
Forstfrevel mit sehr hohen Strafen und Schadenersatz-Verpflichtungen; aber das Gesetz,
das der Sultan im fernen Stambul schuf, kam der bäuerlichen Bevölkerung nicht einmal
zur Kenntnis, und so führte der Viehzüchter, welcher nur den Stück bestand seiner Heerden
zu vergrößern trachtete, gegen den heimischen Wald einen Vernichtungskrieg, wie er
rücksichtsloser gegen wilde Thiere nicht geführt werden kann.
Dieses unverständige Verhalten mußte in der Hercegovina bei der eigenen
Beschaffenheit der in diesem Lande überwiegend verbreiteten Kalkböden, die nur unter dem
Schutze einer ständigen Pflanzendecke ihre seichte Krume zu bewahren vermögen und durch
den Einfluß größerer Trockenheit und der Bora sehr zu leiden haben, zur Verkarstung
führen. In Bosnien dagegen erhielt sich Dank dem glücklichen Umstande, daß hier der
Untergrund größeren Theils die Erhaltung eines fruchtbaren Obergrundes begünstigt, der
mißhandelte Wald wenigstens als Buschwald. Selbst iu den bosnischen Kalkgebirgen,
insbesondere in jenen, die sich nördlich der Linie der größten Erhebungen ausbreiten, treten
in Folge günstigerer jahreszeitlicher Vertheilung der Niederschläge die Karsterscheinungen
milder auf.
Die mit Wald bestandene Fläche nimmt in Bosnien 2,233.210Hektar,demnach rund
53 Procent der Gesammtfläche dieses Landes ein. Bosnien ist daher an Waldboden reicher
als irgend ein Land der österreichisch-ungarischen Monarchie, reicher als irgend ein Land
Europas. Selbst den Reisenden, die Bosnien nur von den fahrbaren Communicationen aus
überblicken, fällt das überreiche Vorhandensein von Waldboden auf. Da aber von diesen
Communicationen ans meist nur die früher erwähnten Buschwaldnngen sichtbar sind,
erwacht der Zweifel, ob Bosnien Wohl auch reich an Hochwald sei. Allerdings ist die
Verbreitung der Buschwälder sehr groß, indem diese Wälder (einschließlich der in Über -
führung in den Niederwald-Betrieb begriffenen und der in Verhegung befindlichen Busch -
wälder) 732.237 Hektar oder rund 17^ Procent der Oberfläche Bosniens einnehmen.
Die Ausbreitung der für die klimatische, hydrologische, hygienische und forstwirthschaftliche
Bedeutung eines Landes so wichtigen Kategorie der geschlossenen Hochwälder ist aber
noch größer. Der räumliche Antheil dieser Wälder betrügt in Bosnien 1,500.973 Hektar
oder rund 36 Procent seiner Gesammtfläche; Bosnien würde daher schon im Besitze dieser
Wälder allein zu den bestbewaldeten Ländern der österreichisch-ungarischen Monarchie
und auch Europas zählen. Dagegen hat das südliche Schwesterland Bosniens, die
Bosnien und Hercegovina.
30
466
Hercegovina, heute, abgesehen von 261.577 Hektar Buschwälder (in welcher Fläche
auch die in Überführung in Niederwald begriffenen und die in Verhegung befindlichen
Buschwälder inbegriffen sind) nur mehr 86.798 Hektar geschlossene Hochwälder.
In Bosnien und der Hercegovina zusammen nehmen die Hochwälder
1,587.771 Hektar oder rund 31 Procent und die Buschwaldungen (einschließlich der
in Überführung in den Niederwald-Betrieb begriffenen und der in Verhegung befindlichen
Buschwälder) 993.814 Hektar oder rund 23Vs Procent der ganzen Area beider Länder
ein. Der ganze Waldstand Bosniens und der Hercegovina beträgt 2,581.585
Hektar oder rund 50 Procent der Gesammtoberfläche dieser Länder.
Nach Besitzkategorien vertheilt sich der ganze Waldstand Bosniens und der
Hercegovina auf 2,029.815 Hektar Staats- und 551.770 Hektar Privat- und
Vakufbesitz. Diese Scheidung des Waldbesitzes nach Staatsbesitz einerseits, Privat- und
Vakufbesitz andererseits ist nicht etwa, wie noch heute vielfach irrthümlich verbreitet ist, eine
willkürliche, vage, sondern eine bereits im ganzen Ländergebiete nach Recht, Gesetz und
Billigkeit vollzogene. In der zuletzt erwähnten Hinsicht wurde in den überwiegenden
Fällen, wo das Recht der Anspruchwerber auf das Waldland zweifelhaft war, von dem
Grundsätze ausgegangen, Waldland, das sich zur Arrondirung des von ihm vielfach
durchsetzten Privatbesitzes eignet, abzutreten. Dadurch erhielt die Waldbesitz-Regulirung
ein über das forstliche Interesse hinausgehendes, wirtschaftliches und selbst politisches
Interesse, und unverkennbar ist es diesem umsichtigen Vorgänge zuzuschreiben, daß die bei
der Besitzergreifung Bosniens und der Hercegovina durch Österreich-Ungarn Vorgefundenen
verworrenen Waldbesitz-Verhältnisse in kaum drei Pentaden zur vollen Befriedigung der
Bevölkerung geordnet wurden.
Zur Fixirung der durch die Waldbesitz-Regulirung geschaffenen Ordnung werden
die Grenzen der Staatswaldungen in einfacher, jedoch vollkommen genügender Weise
vermarkt. Gegenwärtig befinden sich in Bosnien 1,363.120 Hektar, in der Hercegovina
83.246 Hektar, daher in beiden Ländern zusammen 1,446.366 Hektar geschlossene
Hochwälder in der Hand des Staates, eine Thatsache, die für den Dienst, welchen
bekanntermaßen vor allem der hochstämmige Wald der Wohnlichkeit und der Culturfähigkeit
eines Landes leistet, von höchster Bedeutung ist.
Die Hochwälder sind heute fast ausnahmslos auf die Erhebungen des Bodens
zurückgedrängt. Sie sind daher, entsprechend dem Gebirgsbaue in Bosnien und der
Hercegovina, der aus einer Reihe paralleler, von Nordwest nach Südost streichender Ketten
besteht, nach dieser Streichrichtung in langgezogenen Flächen über das Land verbreitet.
Diese Flächen schwellen, wo sich der Gebirgsbau plateauartig gestaltet, wie dies
namentlich im südöstlichen Kalkgebirge der Fall ist, auch zu beträchtlicher Breite an.
467
Ausgedehnte Hvchwaldungen besitzen in Bosnien namentlich: die Gebirgsketten zwischen
dem Una- und Sanaflusse, die zum Plivaflusse und zum linken Ufer des Vrbasflusses
zwischen Jajce und Gornji Bakus gravitirenden Gebirgshänge, die unter dem Sammel -
namen „bosnisches Erzgebirge" bekannten Gebirge um Fojnica, die durch die Höhenpunkte
Jgman, Bjelasnica und Treskavica charakterisirten Gebirgsstöcke, die ostwärts Sarajevos
sich erhebende Jahorina- und Romanja Planina mit dem Crni Vrh, die Gebirge und
Hochebenen zwischen dem Zepabache, dem Jadar-, Drinjaca-, Krivaja- und Gostoviefluß-
gebiete, die zu den Gewässern Ugar, Vrbanja und Usora gravitirenden Gebirge, die Berg -
landschaften im Quellengebiete der Ukrina einerseits, des Josavka- und des Turjanicabaches
andererseits und schließlich die Gebirgsinseln im Norden des Landes: Kozara-, Prozara-,
Gumjera-, Motajica-, Vuciak-, Ozren- und Majevica-Planina. In der Hercegovina
sind die Hochwälder hauptsächlich auf den östlichen Theil dieses Landes beschränkt.
Acht Baumarten sind es, die in den Hochwäldern Bosniens und der
Hercegovina die Herrschaft führen. Die Stileiche im Niederungslande, wo sie ihr
Optimalgebiet hat, und auf den wärmeren Lehnen des Hügel- und Berglandes; die
Traubeneiche hauptsächlich auf den zahlreichen und mächtigen Serpentin- und Gabbro-
zügen Bosniens, auf den theils diesen Zügen angelagerten, theils im Inneren Bosniens
und der Hercegovina vorkommenden Flysch- und jungtertiären Gebirgsbildungen,
schließlich auf allen paläozoischen Erhebungen dieser Länder; die Buche in erster Linie
auf allen Kalkgebirgen, übrigens auf allen anderen Erhebungen mittlerer Höhe und von
diesen auch auf die schattseitigen Lehnen des Berg- und Hügellandes hinabsteigend; die
Tanne längs der Zone der höchsten Erhebungen (oder der Wasserscheide zwischen Pontus
und Adria) und auf allen sonstigen höheren Bergen, insbesondere den Kalk-Hochplateaux;
die Fichte auf den frischeren Böden der Tannenregion, aber auch in tieferen Lagen in
compacter Vereinigung und zwar auf den durch reichlichere Wasserführung ausgezeichneten
Werfenerschiefern; die Schwarz- und Weißkiefer mit Vorliebe auf den Kuppen,
Rücken und Sonnseiten der Serpentin- und Gabbrozüge Bosniens, weiters auf allen
Kalkgesteinen Südost-Bosniens und der Hercegovina, insbesondere auf allen dürftigen
Standorten; die Panzerkiefer sowohl in den rauhen und felsigen Hochregionen, als
auch in deu tieferen und geschützteren Lagen im Norden und Nordosten der Hercegovina und
auf der Bjelasnica bei Opancac in Bosnien. Alle diese Baumarten sind in den urwaldartigen
Hochwäldern von ganz ungewöhnlicher, völlig gigantischer Stärke und Höhe.
Sie bilden theils reine, theils gemischte Bestände.
An der Bildung der Busch Wälder nehmen meist sehr viele Holzarten in überaus
mannigfacher Mischung theil. In diesen Wäldern ist, und zwar in Bosnien der gemeine
Haselstrauch und in der Hercegovina die Duinohainbuche fast überall zu finden.
30*
468
Der bedeutende Waldstand in Bosnien und der Hercegovina drängte naturgemäß
dahm, alsbald durch Schaffung einer Forstverwaltung für seine Erhaltung,
rationelle Bewirthschaftung und Nutzbarmachung Sorge zu tragen. Zur Heranbildung
eines den besonderen Verhältnissen Bosniens und der Hercegovina und den Bedürfnissen
des dortigen Staatsforstdienstes entsprechenden Forstschutz- und technischen
Hilsspersonales wurde der technischen Mittelschule in Sarajevo eine forstliche
Abtheilung angeschlossen.
Die dringendste Aufgabe der Forstverwaltung war es, mit Rücksicht auf alle
concreten Verhältnisse wirtschaftlicher und Politischer Natur Mittel und Wege zu suchen, um
der bei der Besitzergreifung Bosniens und der Hercegovina Vorgefundenen sinnlosen
Holzverschwendung und barbarischen Zerstörung der Waldungen zu Gunsten
vorübergehenden Fruchtbaues und maßloser Weidewirthschaft Schranken zu setzen. Es
wäre zu weitläufig, hier alle die mannigfachen Maßnahmen anznführen, die zum Zwecke
des Waldschutzes ergriffen wurden. Sie alle zielen darauf hin. das waldculturfeindliche
Beholzungs- und Weiderecht der bäuerlichen Bevölkerung, dem eine Grenze zu ziehen das
türkische Forstgesetz unterlassen hatte, nach Thnnlichkeit einzuschränken. In diesem Sinne
wird auch nach Maßgabe der Umgestaltung der bäuerlichen Wirtschaft fortwährend
weiter gearbeitet, um an Stelle ungezügelter Ausbeutung einmal ein fixes Jahres- oder
Periodcnqnantnm treten lassen zu können, das dann aber auch nur einem bestimmten
Walde anfgelastet werden soll.
Die infolge des intensiveren Waldschutzes zunehmenden Forstfrevel-Bestrafungen
inachten auch eine Reform der betreffenden Bestimmungen des von der österreichisch-
ungarischen Verwaltung übernommenen türkischen Forstgesetzes nothwendig. Denn dieses
Gesetz bestimmte selbst für geringe Vergehen so drakonische Strafen und Ersätze, daß durch
ihre Anwendung die wirthschaftliche Existenz der Frevler gefährdet worden wäre. Die
neue Norm spricht für die verschiedenen Arten der Vergehen einen größten und einen
kleinsten Strafsatz aus und setzt dadurch die Behörde in die Lage, das Strafmaß den
speciellen Umstünden des Falles und der Persönlichkeit des Frevlers anzupassen. Der
Ersatz des durch den Frevel verübten Schadens wird aus Grund gewisser Tarife
berechnet und besonders ausgesprochen. Im Falle der Zahlungsunfähigkeit des Frevlers
müssen die einzubringenden Waldschaden-Ersätze durch Arbeitsverrichtungen bei den
Waldmeliorationen abgeleistet werden, und gerade diese Waldschaden-Ersatzart trägt nicht
wenig zur Verminderung der Forstfrevel bei. Originell, und den besonderen Verhältnissen
Bosniens und der Hercegovina entsprechend, ist auch die Bestimmung, daß für den Fall
als der Urheber eines Waldbrandes nicht ermittelt werden kann, diejenige Gemeinde, in
deren Markung der Brand ausgebrochen ist, den hierdurch verursachten Schaden zu
460
ersetzen, die Waldbrand-Fläche mit einer Umzäunung zu versehen und diese so lange zu
erhalte» hat, als die betreffende Fläche aus Rücksichten für die Waldverjüngnng in
Schonung bleibt. Seit der Anwendung dieser Bestimmung haben die Waldbrandlegnngen
zum Zwecke der Gewinnung von Weideland fast ganz anfgehört.
Bei dem Umstande, daß auf den durch die Waldbesitzregulirung neugeschaffenen
Privatwaldungen die bestehenden Kmeten- und Waldbenützungsrechte haften blieben
und ohne tief gehende Storung der ganzen Wirthschafts- und Rechtsordnung haften
bleiben mußten, machte sich alsbald das Bedürfniß fühlbar, Bestimmungen für die
nachhaltige Bewirthschaftnng dieser Waldungen zu erlassen. Den Waldeigenthümern ist
die Verpflichtung auferlegt alles zu unterlassen, wodurch den Mitberechtigten (dem
Knieten und den Eingeforsteten) der Genuss der ihnen zustehenden Rechte gefährdet
werden könnte. Anderseits ist den Berechtigten untersagt, durch übermäßige Nutzung oder
frevelhafte Handlungsweise den Waldzustand nachtheilig zu verändern. Der Aufforstung
dieser Waldungen wird besondere Aufmerksamkeit zugewendet und diese, wenn nothwendig,
auch imperativ durchgeführt.
Bei der Bewirthschastung der Staatswalduugen mussten zwei Thatsachen ins
Auge gefasst werden: das ausgedehnte Vorhandensein der Mischwälder und der große
Reichthum au überalten Hochwäldern init ihrem großen, todten Holzcapitale.
Die Busch wüld er werden, so lange die bäuerliche Landwirthschaft in Bosnien und
der Hercegovina so unentwickelt wie jetzt dasteht, dieser stets mit Futterlaub und Laubheil
aushelfen müssen; sie werden dem Lande, dessen Grasproduction in Folge ungünstigerer
jahreszeitlicher Vertheitung der Niederschläge und höherer sommerlicher Wärme immer eine
beeinträchtigte oder doch gefährdete bleiben wird, ihre Hilfe überhaupt niemals ganz versagen
dürfen. Infolgedessen richtet sich das Streben der Forstverwaltung darauf, die Mischwälder
so zu gestalten, daß sie ein möglichst großes Quantum au Futterlaub und Laubheu liefern
können, also Niederwälder, oder niederwaldartige Mittelwülder zu erziehen. Insbesondere
in den Karstgegendeu wird die Erziehung solcher Waldformen aus den vorhandenen
Laubwaldresten durch Resurrectionshiebe angestrebt, weil sich hier die ganze Existenz der
bäuerlichen Bevölkerung auf die Viehhaltung gründet. Allerdings braucht der Karstbaucr
auch Holz, aber er ist nie durch lange und dicke Bäume verwöhnt worden; er weiß sich
selbst für seine Bau- und Werkholzbedürfnisse mit geringeren Dimensionen zu behelfen, und
Reiser sind ihm ein ganz wertholles Brennmaterial. Futterlaub und Laubheu aber sind
die Existenzbedingungen seines Viehstandes und damit auch die seines ganzen Hausstandes.
Die Sanirung des Karstübels könnte daher, auch abgesehen von den unerschwinglichen
Kosten, nie nach dem idealen Programme ausgedehnter Beforstung mit Hochwald
vorgenommen werden. Die Absicht muß vielmehr darauf gerichtet sein, in kürzester Zeit
470
(und auf die billigste Weise) vor allem das dringende Bedürfnis der Karstbevölkerung an
Futterstoffen für ihre Heerden zu befriedigen. Wo, wie in Nordbosnien, auf mineralisch
kräftigem Boden, in compacterer Vereinigung Buschwaldungen mit reiner oder vorzugs -
weiser Eichenbestockung Vorkommen, wird, soweit es die Verhältnisse zulassen, ihre
Umwandlung in Eichenloh-Waldungen, also ebenfalls in Waldungen mit niedrigem
Umtriebe, vorgenommen, deren Zweck aber nicht die Production von Laub und Holz,
sondern die Gewinnung einer vorzüglichen Eichenrinde ist. Diesem Zwecke wurden bereits
viele tausende Hektar ehemaliger Eichenbuschwaldungen zugeführt und werden nach
Thunlichkeit auch noch weitere zugeführt werden, nicht so sehr wegen der Rente für die
Forstsinanzen, als wegen des bedeutenden Arbeitsverdienstes, den die Gewinnung und
der Transport der Rinde, die Verwendung des Schälholzes, sowie die Bestandespflege
der betreffenden Waldungen der Bevölkerung bieten.
Hinsichtlich der Hochwaldnngen handelte es sich vor allem darum, die in mehr-
hundertjährigen Banmriesen aufgestapelten Holzschätze zur Nutzung und Verwerthung zu
bringen. Die Forstverwaltung konnte an eine einträgliche Nutzbarmachung der Urwald-
vorräthe aber erst dann denken, als sich das Eisenbahn-Netz im Lande entwickelte. Wohl
ist nun durch die Endstationen dieses Netzes im Norden und Süden (Bosnisch-Brod und
Metkovich), Bosnien und die Hercegovina mit dem Weltmärkte in Verbindung gebracht,
und auch ein neuer günstiger Weg (über Ragusa) wird alsbald zu diesem führen. Dennoch
erfordert die Erschließung dieser Waldungen im großen Stile wegen ihrer meist großen
Entfernung von dem Bahnnetze bedeutende Capitalien. Daher wurde der Forstverwaltung
die vortheilhafte Verwerthung der Überalthölzer nicht leicht. Die Großindustriellen
beobachteten anfangs eine verschiedenen Motiven entspringende Zurückhaltung. Endlich
kam es zu einer Action beim Eichenholze in den den allgemeinen Kommuni -
kationen am nächsten liegenden Waldtheilen. Nach und nach wurden aber auch immer
weiter entfernte Waldungen einbezogen. Heute sehen wir die Zeit nicht mehr ferne, wo in
allen Eichenwaldungen des Landes der jährliche Holzzuwachs die Kernfäule übersteigen
wird. Am schwierigsten gestaltete sich die Verwerthung der weit abseits in den höheren
Gebirgslagen aufgestapelten Nadelholzschätze. Dort, wo sich diese Schätze auf Kalk-
gebirgshöhen befinden, und dies sind die überwiegenden Fälle, gestaltet sich bei der eigen-
thümlichen Oberflächengestaltung der Kalkgebirge in diesen Ländern die Holzbringung zu
einer wahren Kunst. Und dennoch hat auch schon die Nutzung des todten Nadelholzcapitales,
dank dem Umstande, daß die Forstverwaltung theilweise die Fällung und den Transport
des Holzes selbst in die Hand nahm, theilweise Waldbahnen schuf, ganz bemerkenswerthe
Fortschritte zu verzeichnen. Auch das Aschenbrödel unter den Holzarten, die Buche, findet
eine von Jahr zu Jahr steigende mercantile Verwerthung. Bedeutende Quantitäten
471
Buchenholz, in Form von Kohle, verbraucht die moderne Montanindustrie des Landes.
Die bosnisch-hercegovinischen Staatsbahnen verwenden fast ausschließlich (imprägnirte)
Buchenholzschwellen.
Mit dieser Entwicklung des Forstnutzungsbetriebes ging die Schaffung moderner
Holzindustrieanlagen Hand in Hand.
Die Ausnutzung der Waldungen ist überall sowohl nach der Menge, als auch
nach der Art ihrer Ausführung eine conservative. Für jene Waldungen, deren
Nutzbarmachung im Großen erfolgen soll, werden vorher forstliche Wirthschasts-
pläne aufgestellt.
Die Verjüngung der Eichenwalduugen erfolgt fast ausschließlich, die der
Buchenwaldungen durchgehends auf natürlichem Wege. Die Neubegründung der Nadel -
holzwaldungen wird durch Naturbesamung und durch künstliche Aufforstung bewerkstelligt.
Die Aufforstung alter Blößen, herabgekommener Weiden und öder Flächen ist schon
seit längerer Zeit im Zuge, desgleichen die bereits angeführte planmäßige Resurrection
und Verhegung von Buschwäldern und bebuschten Karstflüchen zum Zwecke ihrer
Umwandlung in gutwüchsige Nieder- oder niederwaldartige Mittelwaldungen; die
vorhandenen Lücken werden mit Schwarzföhren ausgepflanzt.
Aus dem bis nun Gesagten geht hervor, daß auch in Bosnien und der Hercegovina
das Dornröschen Forstwirthschaft aus dem Schlafe geweckt wurde. Mit Herzhaftigkeit und
Energie wurde es vor allem den Ranken chaotischer Waldbesitzverhältnisse und wilder
Waldvernichtung entrissen, und mit Klugheit und Beharrlichkeit wird daran gearbeitet, es
auch von dem Drucke der Waldbenutzungsrechte zu befreien. Reassumiren mir weiter:
Die Vermarkung, die Aufnahme und die Kartirung der Grenzen der Staatswaldungen ist
schon sehr weit vorgeschritten, die Waldbestandsverhältnisse dieser Waldungen find im
allgemeinen ermittelt, die Resurrection herabgekommener Waldungen in nicht unbeträcht -
lichem Maße in Angriff genommen, die systematische Ausschließung der hochalterigen
Holzschätze ist unter sorgfältiger Nutzbarmachung der Fortschritte der Technik im Gange,
die Begründung neuer Waldungen erfolgt nach bestimmten Zielen, das Forstwarengewerbe
ist in hoffnungsvollem Aufschwünge begriffen, der Forstverwaltungs- und Forstschutzdienst
sind organisirt, die Heranbildung eines entsprechenden Forstschutz- und technischen Hilfs -
personales ist gesichert, die Bestrafung der Forstdelicte und die Bemessung der betreffenden
Waldschadenersätze ist in einer alle Verhältnisse berücksichtigenden Weise statuirt, schließlich die
Bewirthschaftung und die forstpolizeiliche Überwachung der Privarwaldungen geregelt. So
kann wohl mit Fug und Recht behauptet werden: In Bosnien und der Hercegovina
befindet sich die Forstwirthschaft bereits auf allen ihren Gebieten auf den
Bahnen gedeihlicher Entwicklung.
Jagd und Ascherei.
Jagd. — Bildliche Darstellungen auf vielen Bogumilensteinen geben Zeugnis
davon, daß die Jagd in Bosnien und der Hercegovina während des Mittelalters eine
Blütezeit hatte, in welcher die Wälder den edlen Hirsch beherbergten. Noch jetzt werden im
ganzen Lande „capitale" Hirschstangen und Reste solcher gefunden. Ob die Jagd einst
waidinännisch ausgeübt wurde, darüber fehlt jede Kunde. Bekannt ist nur, daß zur Zeit
der Besitzergreifung dieser Länder durch Österreich-Ungarn jedermann nützliches Wild
erlegen durfte, keine Schonzeit eingehalten und das Raubzeug mit wenig Nachdruck verfolgt
wurde. Kein Wunder, daß unter solchen Verhältnissen der nützliche Wildstand stark gefährdet
war. Infolgedessen ergriff die Landesverwaltung schon im Jahre 1880 und dann im
Jahre 1893 Maßnahmen um die im allgemein-wirthschaftlichen Interesse begründete
Erhaltung des nützlichen Wildes sicher zu stellen. Im Jahre 1893 folgte ein förmliches
Jagdgesetz, worin der Charakter der Jagdgerechtigkeit, entsprechend den bestehenden Rechts -
verhältnissen betreff des Grundes und Bodens in Bosnien und der Hercegovina, als Regal
präcisirt und die Ausübung der Jagd an die Erwerbung einer Licenz gebunden wurde. Zu
den wichtigsten Bestimmungen des Jagdgesetzes gehört jene, wonach die Landesverwaltung
im Interesse der Hebung der Nutzwildbahn ermächtigt ist, reservirte Jagdgebiete zu
schaffen. Auf Grund dieser Bestimmung hat die Landesverwaltung bisher in verschiedenen
Theilen des Landes zum Zwecke der Hebung des Gems-, Reh-, Auer- und Birkwild-
Standes sechs Gebirgscomplexe, wovon sich zwei in der Hercegovina und vier in Bosnien
befinden, im Gesammtflächenmaße von 250.000 Hektar in Hege gelegt und betreibt
darin die Standesregelung vorläufig in eigener Regie. In diesen Schoncomplexen
wird, selbstverständlich nur in bescheidenem Maße, auch der Bär und das Wild -
schwein geduldet.
Über das Vorkommender Wildarten in diesen Ländern ist Folgendes zu berichten:
Die Gemse, welche eine ihrer Schwester in den Karpathen ähnliche Behaarung hat, findet
sich außerhalb der staatlichen Wildbanngebiete in ansehnlicheren Beständen auch noch im
Gebiete der Treskavica-, Visocica-, Velez-, Crvanj-, Kamesnica- und Todor Planina,
außerdem im Ugar- und Drinathale. Das vom Jäger gerne gesehene Schwarzwild
kommt im Lande noch in vollständig ursprünglicher Wildheit vor; besonders zahlreich
„steckt" es in den Waldungen längs der serbischen Grenze, dann in jenen der Bezirke Zepce
und Zenica. Das Reh ist meist „brav" im „Wildpret" und durch „capitale" Gehörne
ausgezeichnet. Der Hase kommt zwar im ganzen Lande, doch überall nur mäßig zum
Abschüsse; in der Hercegovina sind die Hasen auffallend kleiner als in Bosnien, was
offenbar in der Armut der „Äsung" in jenem Lande begründet ist.
473
Der „Balzgesang" des Auerhahns ertönt überall in den höheren Gebirgslagen
Mittel- und Südbosniens. Das Birkwild hat seinen sehr guten Stand in dem Gebiete
zwischen der Malovan- und Cardak planina ostwärts von Glamoc. In diesem Gebiete
Falkenjagd: das Werfen des Sperbers auf Wachteln.
wurde auch schon wiederholt Rackelwild erbeutet. Das Haselhuhn kommt in säst allen
nicht zu tief liegenden Waldungen Bosniens zahlreich vor. Das Rebhuhn ist zwar
im ganzen Lande, jedoch nur in einzelnen Ketten verbreitet und bevorzugt die Gestrüpp -
wälder in der Nähe von Culturgründen. Der hercegovinische Karst beherbergt in vielen
Gegenden das Steinhuhn noch in so bedeutender Menge, daß es dort im Herbste
474
und Winter geradezu ein Volks-Nahrungsmittel und Exportartikel bildet. Die Wachtel,
die hierzulande während des Frühjahres gesetzlich geschonte Waldschnepfe, ferner die
gemeine Bekassine sind sowohl Durchzugs- als auch Brutvögel, und die Jagd auf sie
bietet ein ungemein befriedigendes Ergebnis. Saatgänse sind in bescheidenen, Wild -
enten dagegen, namentlich in den „Blatos" der Hercegovina in großer Menge vorhanden.
Außer den mitteleuropäischen Wildtauben-Arten kommt auch noch die Felsentaube
vor, welche mit der ganz gleich gefärbten halbwilden „Moscheetaube" der Städte, auch
den Winter im Lande zubringt.
Die behördlichen Prämienausweise über vertilgtes Raubwild verzeichnen für den
Zeitraum von 1880 bis einschließlich 1897, gleich 18 Jahren, 1603 Bären und 12.544
Wölfe. Es gibt aber, namentlich in dem waldreichen Bosnien, noch immer ziemlich viele
dieser Raubthiere. Von sonstigem schädlichen Wilde sind noch häufig: der Fuchs, der
Edel- und der Steinmarder, der Iltis, das Wiesel und der Dachs. Ebenso ist der
Otter im ganzen Lande verbreitet.
An Raubvögeln ist das Land noch überreich. Mit Ausnahme der nordischen großen
Edelfalken und der nordischen Eulen, dann zweier südlichen Adlerarten, finden sich
sämmtliche europäischen Tag- und Nacht-Raubvögel vor. Besondere Anführung verdient
der starke und kühne Steinadler, die Geißel des Weideviehes; der schöne und gewaltige
Bartgeier ist schon sehr selten geworden.
Die Jagd in Bosnien und der Hercegovina bietet also ziemlich reiche Abwechslung,
erfordert aber in Folge des meist schwierigen Terrains eine nicht gewöhnliche Ansdauer
und Genügsamkeit. Um den herkömmlichen Jagdnnfng im Interesse der nützlichen Wildbahn
einznschränken, gestattet das Jagdgesetz vom Jahre 1893 die Jagd nur mit der Feuerwaffe
und mit Ausschluß hochlänfiger Brackier- (Wildboden-) Hunde. Ferner läßt es nur folgende
Jagdarten zu: den Ansitz, die Pürsche, die Suche vor dem Hunde, das Erlegen des Aner-
und Birkwildes zur Balzzeit und gelegentlich der Waldjagden im Herbste, schließlich das
Anreizen des Haselhuhnes. Die Abhaltung von Treib- und Kreisjagden bedarf in jedem
einzelnen Falle der behördlichen Bewilligung. Auch ist das Fangen des nützlichen Wildes,
das Jagen durch das „Ausgehen im tiefen Schnee", das Treiben gegen die mit Schlingen
verstellten Zwangwechsel und in unzugängliche Örtlichkeiten, das Schießen mit dem
„Schirm" oder der „Blende" (Jgram) auf Steinhühner, das Vernichten und Sammeln
der Eier, schließlich das Ausnehmen der Jungen aus den Setz- und Brutstätten ausdrücklich
verboten. Die Falkenjagd ist ein interessantes Überbleibsel aus ferner Vergangenheit
und wird nur mehr ganz vereinzelt betrieben.
Da ferner durch die staatlichen Jagdreservate im Lande Centren mit besonderer
Wildpflege geschaffen wurden und solche, wenn erforderlich, auf Grund des Jagdgesetzes
noch weiterhin geschaffen werden können, da ferner auch für das außerhalb der staatlichen
Jagdreservate vorkommende Wild längere Schonzeiten festgesetzt sind und die Landes -
verwaltung die Ausrottung des Raubwildes systematisch betreiben und überdies durch
Ertheilung von Prämien dazu aneifern läßt, so ist die Hebung des nützlichen Wildstandes,
wenn auch erst nach einiger Zeit, aber doch ganz sicher zu erwarten.
Fischerei. — Die dem Jagdbetriebe so nahe stehende Fischerei wird von einem
großen Theile der Bevölkerung Bosniens und der Hercegovina ausgeübt. Da es im
ganzen Lande keine Teiche gibt, kann man die in Betracht kommenden Fische in drei
Harpunenfischerei auf dem Pliva-See.
Gruppen theilen: in jene der Gerinne zum schwarzen Meere, dann jener zum adriatischen
Meere, und in die der wenigen Seen und Blato's (Sumpfseen). Sämmtliche Zuflüsse
zur Save sowie auch diese selbst können als recht fischreich bezeichnet werden. Die
Bewohner dieser Gerinne sind nahezu dieselben, wie sie im Mittelläufe der Donau
gefunden werden.
In erster Linie sind unter der gewöhnlichen Ausbeute: Welse, Karpfen, Hechte,
Sterlete, Dick und Huchen zu nennen. Aber auch eine Menge minderwerthiger Fische wie
Schleien, Weißfische, Barben werden hier gefangen. Wels und Huchen nehmen oft geradezu
staunenswerthe Dimensionen an. Berühmt in dieser Hinsicht sind die riesigen Huchen der
Drina und jene ungeheuren Welse, welche beim Zurücktreten der Überschwemmungsgewässer
476
der Save innerhalb des Labyrinthes der landesüblichen Zäune auf den Wiesen und
Feldern von den stunden- und tagelang auf einem primitiven Dreifußsitze ausharrenden
Fischern mit dem Daubel gefangen werden.
Je weiter man gegen das Centrum und den Süden von Bosnien vordringt, indem
man dem Laufe der Flüsse gegen das Quellgebiet folgt, desto vorherrschender wird das
Auftreten des charakteristischesten Fisches des ganzen Landes: der Bachforelle. Ihr gesellt
sich in den meisten Gerinnen ein anderer Edelfisch, die Äsche, bei. Im Gebiete der Narenta
vergrößert sich die Zahl der Salmoniden durch zwei endemische Arten mit köstlichem,
röthlichgelbem Fleische und hervorragendem Wohlgeschmack. Hier kommt dann noch der
Aal hinzu, dessen häufigstes Auftreten in den Blato's bei Metkovic zu verzeichnen ist.
Ebenso wie die Fische des Vrbas und der Pliva sich in dem Jezero von Jajce
gewissermaßen concentriren, ist auch der See von Borke gefüllt mit den prächtigen
Salmoniden der Narenta.
Endlich sind auch noch jene Fischchen erwähuenswerth, welche in großen Massen die
Höhlen und unterirdischen Flußläufe des Karstes bewohnen und namentlich im Spät -
herbste, wenn die betreffenden Ebenen von diesen Wässern überschwemmt werden, den
dortigen Bewohnern eine ebenso nahrhafte als delicate Speise liefern. Zum Fange der -
selben werden äußerst engmaschige, aber umso längere Seidennetze verwendet.
Im Übrigen bedient man sich sonst allgemein der Wurfnetze, bei deren Handhabung
von den Steilufern der Ströme aus die Bewohner große Geschicklichkeit bekunden. Jedoch
werden mit denselben zumeist bloß miuderwerthige Fischarten erbeutet.
Eine außerordentliche Übung und Fertigkeit beanspruchen die sehr beliebten und
mit großem Erfolg in Anwendung stehenden Harpunen, mittelst welcher, namentlich zur
Nachtzeit, die größeren Salmoniden und auch andere Fischarten gestochen werden.
Schließlich sind Reusen von verschiedenartigster Form und Größe, welche an gewissen
von den Fischern vorzüglich benützten Stellen der Flüße und Bäche versenkt werden,
allgemein in Anwendung, so insbesonders beim Aalfang im Utovo blato. Ein in aller -
jüngster Zeit ausgearbeitetes Fischereigesetz schreibt auf Grund der bisher gewonnenen
Erfahrungen beruhende Schonzeiten für jede einzelne Fischart des Landes vor, wodurch der
Devastation der hiesigen Fischgewüsser vorgebeugt wird.
Zur Vermehrung der edelsten einheimischen und zur Einbürgerung besonders
empfehlenswerther fremder Fischarten dient die seit 1894 bestehende ürarische Fischzucht-
austalt in Vrelo Bosne bei Bad Jlidze. Hier werden alljährlich ganz bedeutende
Mengen von Bach- und Narenta-Forellen ausgebrütet, großgezogen und in die geeigneten
Gewässer des Landes, namentlich dort, wo ein Rückgang des Fischreichthumes sich bemerkbar
macht, vertheilt.
477
Seit dem Jahre 1894 wurde ungefähr eine Million Fische ausgesetzt. In letzterer
Zeit wurde die Anstalt wesentlich vergrößert, so daß das gegenwärtige Brnthaus zur
Aufnahme von zwei Millionen Fischeiern ausreicht. Das zur Speisung desselben erforder -
liche Wasser liefern die Quellen der Bosna unmittelbar nach ihrem Zntagetreten. Die
Äsche befindet sich nicht in Zucht und wird nur für den Verkauf gehalten. Von neu ein -
geführten Edelfischen wird der See-Saibling in größerem Style vermehrt, während die
amerikanische Regenbogen-Forelle, die überhaupt nur zur Vermehrung für Gewässer mit
höherer Temperatur bestimmt ist, in beschränkterem Maßstabe und hauptsächlich wegen
ihrer Beliebtheit als Sportfisch gezogen wird. Versuchsweise werden alljährlich einige
Tausend Rheinlachse in der Anstalt ausgebrütet und in die Narenta eingesetzt. Zur
Unterbringung des gesammten Fischmateriales wurden bisher ein Mutterfischteich, ein
Speisefischteich, ein großer und ein kleiner Streckfischteich angelegt, und außerdem verfügt
die Anstalt über die erforderliche Anzahl von Aufzuchtsbehältern.
Bergbau und Hüttenwesen.
Mit der Invasion der Türken erlitt die Montan-Jndustrie in Bosnien und der
Hercegovina einen schweren Schlag. Der Edelmetall-Bergbau scheint in dieser Epoche
gänzlich zum Erliegen gekommen zu sein, während die Gewinnung des Salzes und des
Eisens eine gänzliche Unterbrechung nicht erfahren haben dürfte. In Dolnja Tuzla
wurden zur Zeit der Besetzung des Landes durch die österreichisch-ungarischen Truppen
stäche Pfannen von etwa 2 Meter Durchmesser mit der aus dem Salzbrunnen gewonnenen
Salzsoole unter Beigabe von etwas Eiweiß behufs deren Klärung gefüllt und durch ein
unter der Pfanne angebrachtes Holzseuer versotten. Das gewonnene Kochsalz war ziemlich
unrein, bildete aber doch einen wichtigen Handelsartikel.
Die Stücköfen für die bei Bares, Fojnica und Start Majdan üblich gewesene
Erzeugung des Eisens bestanden aus einem Gerippe von Flechtwerk mit einer Ausfütterung
von Lehm. Die Windzufuhr erfolgte an der unteren Seite vermittelst eines aus zwei
einfach wirkenden Blasbälgen bestehenden Gebläses, dessen Betrieb ein Wasserrad
besorgte. Der Betrieb des Ofens war kein continuirlicher, wie dies in den modernen
Hochöfen der Fall ist, sondern es wurde aus die Gewinnung eines Klumpens stark
verunreinigten Eisens hingearbeitet, welcher nach Beendigung des wenige Tage in
Anspruch nehmenden Verfahrens aus dem Ofen herausgebrochen und in kleinere
Stücke zerlegt wurde. Diese wurden sodann in einem Frischfeuer unter einem rasch
arbeitenden Hammer zu langgestreckten gekerbten Stangen ausgeschmiedet, welche noch
in der Mitte dieses Jahrhunderts einen gesuchten Handelsartikel in den Balkan-
lündern bildeten.
478
Nach der Oecupaticm des Landes durch die österreichisch-ungarische Monarchie wurde
alsbald auch der Wiederbelebung der Montan-Jndustrie entsprechende Sorgfalt
zugewendet. Im Jahre 1879 fanden die ersten geologischen Aufnahmen statt, an welche
sich im Jahre 1880 die nähere Untersuchung des Salzdistrictes von Dvlnja Tuzla und
des Erzdistrictes von Fojnica-Kresevo, sowie die Entdeckung der Chromerzlagerstätten
anschlossen. Im Jahre 1881 erfolgte die Erlassung eines eigenen Berggesetzes für Bosnien
und die Hercegovina und die Errichtung einer Berghauptmannschaft in Sarajevo, ferner
unter Mitwirkung der Landesregierung die Gründung der Gewerkschaft „Bosnia", welche
sich die Aufgabe stellte, den Erzbergbau zu entwickeln, während die Ausbeutung der
Kohlenlager von Zenica dem Wiener Kohlenindustrie-Vereine überlassen wurde.
Da jedoch der Erfolg dieser Unternehmungen anfänglich kein befriedigender war,
sah sich die Regierung, welche mittlerweile umfassende Bohrungen auf Salz bei Gornja
und Dolnja Tuzla eingeleitet hatte, veranlaßt, auch auf anderen Gebieten der Montan-
Jndustrie die Initiative zu ergreifen. Demzufolge wurde die Gewerkschaft „Bosnia" mit
1. Januar 1886 in ärarische Verwaltung übernommen, und es wurden verschiedene neue
Unternehmungen geschaffen, so daß sich die Montan-Jndustrie seither in einer Periode
continuirlichen Aufschwunges befindet und zu einem wichtigen Factor in der Volkswirth-
schaft des Landes geworden ist, wie dies die nachstehende Tabelle über die Montan-
production und deren Geldwerth im Jahre 1897 aufweist:
u) Bergwerksproducte.
Fahlerz 400
Kupfererz . . . 34.870 „
Eisenerz . . . 370.948 „
Chromerz .... 3.964 „
Manganerz . . 53.436 „
Schwefelkies . . 36.702 „
Braunkohle . 2,296.431 „
Salzsoole . . 1,138.420 w
Werth der Bergwerksproduction
b) Hüttenprobnicte.
. 800 fl.
24.060 „
79.086 „
13.870 „
84.429 „
18.351 „
489.369 „
45.536 „
Kupfer . .
Roheisen .
Gußwaren
Walzeisen.
Sudsalz .
. 1.351 q
156.060 „
. 8.819 „
78448 „
139.189 „
755.501 fl.
Ab der Werth der verhütteten Rohstoffe:
Werth der Hüttenproduktion
424.528 fl.
72.602 fl.
519.800 „
97.000 „
729.557 „
974.323 „
2,393.282 fl.
Rest
Hiezu der Werth der Bergwerksproduction ....
Werth der Montanproduction
1,968.754 fl.
755.501 „
. . . .2,724.255 fl.
In Bosnien und der Hercegovina bildeten Gold, Silber, Blei, Salz und Eisen von
altersher den Gegenstand bergmännischer Gewinnung. Außer diesen Stoffen ist noch das
Auftreten von Quecksilber, Kupfer-, Zink-, Mangan- und Chromerzen, sowie von Arsen-
Antimonerzen und goldführenden Schwefelkiesen bekannt geworden. Von nicht metallischen
Stoffen sind vorhanden: Kohle, Erdöl, Erdfarben, Gyps, Asbest, Magnesit, feuerfester
479
Thon rc. Im Nachstehenden wollen wir diese Mineralvorkvimnnisse ihrer Art und
Verbreitung nach kurz beleuchten: Gold kommt hauptsächlich im Gebiete der Flüsse
Vrbas, Lasva, Fojnica und Rama vor. Auf primärer Lagerstätte wurde es in den
Fahlerzen von Kresevo, Fojnica und Maskara am Vrbas, welche bis 100 Gramm pro Tonne
Erz von 1000 Kilogramm enthalten, ferner in den goldhältigen Schwefelkiesen von Bakovici
bei Fojnica, deren Goldgehalt bis 20 Gramm Pro Tonne steigt und in den Quarzgängen
der Vilenica bei Travnik, welche 6 bis 60 Gramm pro Tonne Erz gezeigt haben, nachgewiesen.
Große Mengen von Gold sind in den Schottermassen der obgenannten Fluß -
gebiete abgelagert. Nach den im Jahre 1893 an der Lasva unterhalb Travnik
vorgenommenen Waschversuchen beträgt der Goldgehalt der aluvialen und diluvialen
Geschiebe zumeist 0 1 bis 0 3 Gramm, manchenorts bis 1'5 Gramm Pro Tonne.
Die vorhandene Goldmenge wird auf circa 8000 Kilogramm berechnet. Gleich -
wohl ist eine rentable Gewinnung des Goldes aus diesen Schuttmassen bei den
gegenwärtigen Preisen des Grundes und der Arbeitslöhne nicht leicht möglich. Etwas
günstiger liegen die Verhältnisse bei den ausgedehnten Geschieben (Seifen) am Vrbasflusse
bei Gornjivakuf, woselbst die in den Jahren 1890 bis 1891 durchgeführten Untersuchungen
einen Goldgehalt von meist Gramm per Tonne Material gezeigt haben. Die Frage
der Abbauwürdigkeit dieser Seifen harrt noch ihrer Entscheidung.
Silber kommt in Bosnien vornehmlich in Srebrenica an Bleiglanz gebunden vor,
ferner in den Fahlerzen von Fojnica, Kresevo, Maskara, im Bleiglanz von Borovica bei
Bares und in jenem von Ljubia bei Prijedor. Der Silbergehalt des Bleiglanzes von
Srebrenica beträgt im Mittel 160 Gramm Pro 100 Kilogramm Erz von 61 75 Procent
Bleigehalt. Die Erze treten in echten Gängen ans, welche das Trachytmassiv von Srebrenica
und die angrenzenden alten Schiefer durchsetzen. Die streichende Ausdehnung dieser Gänge
ist bis auf 8 Kilometer Länge constatirt, weshalb anzunehmen ist, daß sich dieselben auch
auf eine sehr große Tiefe fortsetzen werden. Sie beherbergen jedenfalls noch große Mengen
von Blei und Silber, da der Abbau zur Römerzeit und im Mittelalter nicht tief unter
die Thalsohlen vorgedrungen sein kann. Die reine Erzmächtigkeit der Gänge konnte an
mehreren Stellen mit 0'5 Meter und darüber constatirt werden. Diese Verhältnisse, sowie
das Auftreten von Zinkerzen machen wahrscheinlich, daß der Bergbau von Srebrenica
nochmals ausgenommen und neuerlich zur Blüte gelangen wird.
Blei tritt als silberfreier Bleiglanz auch zu Olovo bei Kladanj auf. Den ehemaligen
Bestand der dortigen Gruben, welche noch im XV. Jahrhunderte im großen Maßstabe
betrieben worden sein sollen, bezeugen gegenwärtig nur mehr Pingenzüge und Halden;
Anhaltspunkte über die Beschaffenheit der Lagerstätte, die Tiefe der alten Gruben u. s. w.
sind nicht vorhanden.
480
Salz konnte bisher in Bosnien mir in der Umgebung von Dolnja Tuzla in
ausgedehntem Maße nachgewicsen werden. Es treten zwar in der Nähe von Konjica
schwache Soolquellen zu Tage, und auch an anderen Stellen des Landes, wie am Jvan-
passe, sind Anzeichen einer Salzführung vorhanden, doch haben die hierauf gerichteten
Erhebungen bisher zu keinem günstigen Resultate geführt. In den jungtertiären Gebirgs-
schichten bei Dolnja Tuzla ist ein sehr bedeutendes Steinsalzlager vorhanden, dessen
Mächtigkeit noch gar nicht völlig constatirt ist, jedoch über 100 Meter betragen dürfte.
Rücksichtlich der horizontalen Ausdehnung der Lagerstätte werden die in Ausführung
begriffenen Bohrungen die nöthigen Aufschlüsse liefern.
Eisen kommt in Bosnien in außerordentlicher Menge vor. Die wichtigsten Lager -
stätten sind bei Bares, dann bei Ljubia und Stari-Majdan, Novi, Kresevo, Fojnica und
Dusina vorhanden. Bei Bares bilden die Eisenerzlagerstätten einen mehr als 10 Kilometer
langen Zug, in welchem die Mächtigkeit der Erze bis auf 80 Meter steigt. Ihrer
Beschaffenheit nach sind die Erze Braun- und Spatheisensteine; der Eisengehalt beträgt
35 bis 65 Procent. Die Erzlagerstätten von Ljubia und Stari-Majdan besitzen ebenfalls
eine bedeutende Mächtigkeit; die Erze sind Brauneisensteine mit circa 50 Procent Eisen.
Quecksilber kommt in Bosnien in Fahlerzen und als natürlicher Zinnober vor.
Die Fahlerze treten bei Kresevo und Fojnica in paläozoischen Kalken auf, bilden darin
jedoch nur wenig mächtige und absätzige Lagerstätten, wogegen zu Maskara nächst
Gornji-Vakuf ein Fahlerz führender Gang von ansehnlicher Mächtigkeit in Abbau steht.
Cinnabarit wurde längere Zeit in Cemernica und auf der Zec planina bei Fojnica
gewonnen und auf Quecksilber verhüttet. Kupfer ist in den bereits erwähnten Fahlerzen
enthalten. Zu Majdan und Sinjako bei Varcar-Vakuf treten jedoch mit Spatheisenstein
abwechselnd Kupferkiese im paläozoischen Schiefer auf. Zinkerz, und zwar als Zinkblende,
kommt in den Gängen von Srebrenica, ferner in den Gängen von Zahor und Cemernica
bei Fojnica vor, bildet jedoch gegenwärtig keinen Gegenstand bergmännischer Gewinnung.
Manganerze sind bei Cevljanovic, dann bei Konjica und Jvanjska bei Prjedor im
reichen Maße vorhanden und werden in der erstgenannten Localität gewonnen. Das
Vorkommen der Chromerze ist an die das ganze Land von Südost nach Nordwest
durchziehenden Serpentinzüge gebunden; doch treten diese Erze, soweit bisher bekannt, nur
an wenigen Stellen, wie bei DuboZtica und auf der Borja planina in solcher Mächtigkeit
und Reinheit auf, daß sie mit Vortheil gewonnen werden können. Arsenerze (Realgar-
Auripigment) kommen bei Fojnica und Kresevo vor, Antimonerze (Grauspießglanz) in
den Cemernicaer Gängen bei Fojnica. Letztere Lagerstätten wurden einige Jahre lang
durch die Gewerkschaft „Bosnia" bebaut; doch erwies sich der Gang in den höheren
Horizonten als von den Alten bereits abgebaut, weshalb der Betrieb vorläufig aufgelassen
481
wurde. Schwefelkies, und zwar goldführender, tritt in mächtigen Gängen zu Bakovici
bei Fojnica auf. Die daselbst von der Oberungarischen Berg- und Hüttengesellschaft erbaute
Aufbereitung zur Gewinnung von Freigold aus diesen Kiesen steht gegenwärtig außer
Betrieb. Weitere Schwefelkieslagerstätten gibt es in anderen Theilen, z. B. bei Borovica.
Bosnien besitzt leider keine echten Steinkohlen, dafür aber einen außergewöhnlichen
Reichthum an verschiedenen Braunkohlen. Am ausgedehntesten ist das Kohlenbecken von
Zenica—Sarajevo, welches bei einer Längenausdehnung von 80 Kilometern eine Breite
von 15 bis 20 Kilometern aufweist und mehrere Flötze, deren Mächtigkeit bis zu 10 Meter
Altbosnisches Eisenwerk in Bares.
steigt, einschließt. Nicht minder bedeutend ist das Kohlenbecken von Dolnja-Tuzla, dessen
Längenerstreckung etwa 40 Kilometer beträgt, und dessen Hauptstoß eine Mächtigkeit bis
zu 20 Meter besitzt. Auch die Kohlenbecken von Priboj und Ugljevik, woselbst die größte
Flötzmächtigkeit mit 24 Meter constatirt wurde, dann jene von Banjaluka, Prijedor und
Sanskimost, sind von großer Ausdehnung. Außerdem kommt Kohle in mehr oder weniger
großen Ablagerungen vor bei Kotorsko, Teslic, Maglaj und Zepce, Jajce, Bngojno,
Livno, Zupanjac, Konjica, Mostar, Nevesinje und Gacko, im Majevica Gebirge rc.
Schließlich seien noch erwähnt das Vorkommen von Erdöl bei Rozanj nächst
Gornja-Tuzla, von Ocker bei Srebrenica, von Magnesit bei Novi-Seher, von Gyps im
Jvantnnnel, von Meerschaum bei Prnjavor, sowie das Auftreten der feuerfesten Thone
von Busovaca und Kiseljak, welche für metallurgische Zwecke, ferner der Quarzite von
Bosnien und Hercegovina. 31
Busovaca und der Quarzsande im Liegenden des Kvhlenflötzes von Dolnja-Tuzla, welche
für die Glasfabrication geeignet sind.
Zur Zeit stehen an Montanwerken im Betriebe: die Salinen des Staates zu
Dolnja-Tuzla und Siminhan; das Eisenwerk Vares der Vareser Eisenindustrie-Actien-
gesellschaft, ebenfalls im Staatsbetriebe; das Eisenraffinirwerk der Eisen- und Stahl -
gewerkschaft in Zenica; die staatlichen Kohlenwerke von Zenica, Kreka bei Dolnja-Tuzla,
Banjaluka und Ugljevik; das Kupferwerk Sinjako bei Varcar-Vakuf der unter ärarischer
Verwaltung stehenden Gewerkschaft „Bosnia"; der Fahlerzbergban dieser Gewerkschaft zu
Maskara beiGornji-Vakuf; der Manganerzbergbau zu Cevljanovic-Vogoseabei Sarajevo,
und der Chromerzbergbau der genannten Gewerkschaft zu Dubostica bei Vares. Nebstdeni
sind derzeit in Bosnien noch einige kleinere Unternehmungen Privater im Gange. — Im
Jahre 1883 wurde das erste Bohrloch in Gornja-Tuzla in der Nahe eines daselbst
befindlichen Salzbrunnens abgestoßen und bald darauf die Kaiser Franz Joseph-Saline in
Siminhan zwischen Gornja- und Dolnja-Tuzla erbaut, deren Betrieb im März 1885 feierlich
eröffnet wurde. Gleichzeitig begann man mit Bohrungen in Dolnja-Tuzla, welche bald voll-
grädige Soole lieferten und in der Tiefe von etwa 200 Meter ein wahrscheinlich mehr als
100 Meter mächtiges Steinsalzlager constatirten. Im Jahre 1890 erbaute die Regierung
in Dolnja-Tuzla, in unmittelbarer Nähe des Kohlenwerkes Kreka, eine neue Saline.
In Siminhan wird vorwiegend Grobsalz, in Dolnja-Tuzla nur Feinsalz erzeugt;
die maximale Leistungsfähigkeit beider Salinen beträgt 180.000 Metercentner. Im
Jahre 1897 wurden 139.189 Metercentner Grob-, Feinsalz und Salzbriketts erzeugt.
Da der Landesbedarf an Sudsalz sich auf circa 150.000 Metercentner beläuft, so ist
ersichtlich, dass der weitaus größte Theil dieses Bedarfes durch die Salinen von Tuzla
gedeckt wird. — Noch im vorigen Decennium standen in Vares sogenannte Stücköfen im
Betriebe, welche jedoch infolge des Umschwunges der wirthschaftlichen Verhältnisse ihre
ökonomische Existenzberechtigung allmälig verloren. Da nunmehr in der.alten Eisenstadt
Vares großer Nothstand eintrat, sah sich die Landesverwaltung veranlaßt, die Wieder -
belebung der Industrie durch Errichtung eines modernen Eisenwerkes in Erwägung zu
ziehen. Nach sorgfältiger Prüfung und Erschließung der Erzlagerstätten wurde im
Jahre 1891 ein Hochofen und eine Gießerei erbaut, welche mit den Gruben durch eine
4 Kilometer lange Schleppbahn und mehrere Bremsberge verbunden sind. Die Erz -
gewinnung erfolgt in 4 Gruben: Przici, Brezik, Droskovac und Smreka, vorläufig aus -
schließlich mittelst Tagbau. Die reichsten Erze mit 60 bis 66 Procent Eisen enthält die
Grube Przici. Mit der Station Podlugovi der bosnisch-hercegovinischeu Staatsbahn ist das
Werk durch eine im engen Stavnjathal hergestellte Schleppkahn verbunden. Die Jahres-
productivn betrug 1897 370.948 Metercentner Erz, 156.060 Metercentner Roheisen
ausschließlich Holzkohle in Verwendung, welche noch auf lange Zeit hinaus in aus -
reichendem Maße billig aus den ausgedehnten Buchenbeständen der Staatsforste geliefert
. werden kann. Ein Theil der erzeugten Eisenerze, namentlich hochhaltige Erze der Grube
Przici werden aus dem Lande ausgeführt, die erzeugte Gußwaare aber durchwegs im Lande
t abgesetzt. Das erzeugte Roheisen wurde ebenfalls zum Theile ausgeführt, der größere
Theil aber in dem Raffinirwerke der Eisen- und Stahlgewerkschaft in Zenica
31*
484
verarbeitet. Dieses Werk ist für eine Jahresproduktion von 150.000 Metercentner Walz-
producten, wie Stabeisen, Fa^oneisen und Eisenbahnschienen kleineren Kalibers eingerichtet.
Zur Zeit der türkischen Herrschaft gab es in Bosnien und der Hercegovina eine
nennenswcrthe Gewinnung von Mineralkohle nicht. Mit dem Einzuge der österreichisch -
ungarischen Truppen und der Erbauung einer Eisenbahn im Bosnathal stand man daher
vor der Nothwendigkeit, ein Kohlenwerk zu eröffnen, wofür in der Nähe der Stadt
Zenica die Verhältnisse am günstigsten lagen. Im Jahre 1880 wurde vom Wiener
Kohlenindustrie-Vereine der „Kaiser Franz Joseph"-Stollen nächst der Stadt Zenica
eröffnet und mit Aufbereitungs- und Verlade-Vorrichtungen ausgestattet, welche Anlage
im Jahre 1884 in ärarischen Besitz überging und sich seither, namentlich in letzterer Zeit,
ziemlich rasch entwickelt. Im Abbau steht derzeit das 10 Meter mächtige Hauptflötz und
ein 4 Meter mächtiges Hangendflötz, welche beide eine Glanzkohle von circa 4600 Calorien
Brennwerth enthalten und mit circa 20 Grad bergseitig einfallen. Nachdem das stollen -
mäßig aufgeschlossene Kohlenvermögen abgebaut war, schritt man an die Tiefenerschließung
der Flötze, zu welchem Behufs ein geräumiges Fördergesenke dem Verflächen des Flötzes
nach niedergetrieben wurde. Aus diesem circa 200 Meter langen Schleppschachte wird
die Kohle mittelst einer Fördermaschine direct bis zu Tage in die daselbst neuerbaute und
mit den Maschinen zur Reinigung der Kohle, sowie mit automatischer Verladung
versehene Aufbereitung (Kohlenwäsche) gefördert.
Das Kohlenwerk Kreka wurde im Jahre 1885 in der Nähe der Stadt Dolnja-Tuzla
eröffnet, zunächst, um für die gleichzeitig errichtete Saline den Brennstoff zu schaffen. Das
Kohlenflötz besitzt eine reine Kohlenmächtigkeit von 16 Meter und fällt mit 15 bis 20 Grad
thalseitig ein. Die Kohle ist ein besserer Lignit von circa 4200 Calorien Brennwerth mit
sehr geringem Gehalt an Asche und Schwefel; sie ist daher für industrielle Zwecke und
Hausbrand vorzüglich geeignet. Die Gewinnung erfolgt theils stollen-, theils schachtmäßig.
Die Production betrug im Jahre 1897 1,430.505 Metercentner.
Da der Verbrauch an Mineralkohle einen Gradmesser für die wirthschaftliche
Entwicklung eines Landes bildet, geben wir einen Überblick der Kohlenproduction und des
Werthes derselben seit der Occupation von fünf zu fünf Jahren.
Pro
Zenica
Im Jahre 1880 4.996
„ „ 1885 129.523
„ „ 1890 68.850
„ „ 1895 623.300
„ „ 1897 837.873
uction in Metercentner
Kreka Sonstige Zusammen
4.996
90.742 9.826 230.091
522.181 2.390 593.421
1,320.047 36.800 1,980.147
1,430.505 28.053 2,296.431
Werth der Production
- . Arbeiter-
Jn Summe per 1 Me- zahl
tercentner
2.631 52 iß
77.045 33 143
122.738 21 215
390.401 20 753
489.369 21 807
Das Kupferwerk Sinjako liegt unweit des reizenden Pliva-Sees an der von Jajce
nach Varcar-Vakuf führenden Straße. Der in circa 1100 Meter Seehöhe liegende Kupfer -
bergbau wurde im Jahre 1891 eröffnet und ist mit dem Hüttenwerke durch eine vier
Kilometer lange Rollbahn, deren eingeschaltete Bremsberge eine Niveaudifferenz von circa
650 Meter überwinden, verbunden. Die Erze von durchschnittlich 4*/s Proceut Kupfer -
gehalt werden auf der Grube in Haufen geröstet und sodann in der Hütte mittelst Holz -
kohle in Schachtöfen auf einen sogenannten Kupferstein (Lech) von 20 Procent Kupfer -
gehalt verschmolzen. Dieser Kupferstein wird ebenfalls geröstet und unter Zuschlag von
etwas Quarz zur Verschlackung des Eisens auf ein Rohkupfer von circa 95 Procent
Gehalt verschmolzen, welches zum Theile verkauft, zum Theile in einem Flammofen auf
sehr reines Raffinatkupfer verarbeitet wird. Aus letzterem werden in einem Hammer -
werke die von den einheimischen Kupferschmieden begehrten Hammerwaaren erzeugt.
Im Jahre 1897 wurden erzeugt: 1351 Metercentner Kupfer und 417 Metercentner
Hammerwaare.
Die Beschürfung der Manganerz-Lagerstätten bei Cevljanovic begann im
Jahre 1881; 1884 erfolgte die Verbindung des Werles mit der Station Vogosca der
bosnisch-hercegovinifchen Staatsbahn durch eine jetzt 22 Kilometer lauge, das schöne
Ljubinathal durchziehende Schleppbahn, von deren Endpunkte eine circa 3 Kilometer
lange Rollbahn und ein großer Bremsberg zum Bergbaue führen. Im Jahre 1885 wurde
bei der Station Vogosca eine moderne Aufbereitung zur Concentration der Erze errichtet.
Die letzteren sind ihrer Natur nach vorwiegend Hartmangan (Psylomelan) und kommen
theils in Lagern, theils in Butzen in einem Schichtencomplexe vor. der aus Schiefern und
Sandsteinen besteht. Der Gehalt der concentrirten Erze beträgt circa 48 Procent Mangan-
metall bei sehr mäßigem Kieselsäure-, Schwefel- und Phosphorgehalt, weshalb diese Erze
zur Erzeugung von Ferromangan gut geeignet sind. Sie finden außer für diesen Zweck
auch in der Glasindustrie zur Braunfärbung des Glases guten Absatz. Im Jahre 1897
wurden 51.253 Metercentner Reinerz erzeugt.
Der Chromerzbergbau Dubostica ist auf einer 20 Kilometer langen Straße von
Bares aus zu erreichen. Die in einem Jahresquantum von beiläufig 5000 Metercentner
erzeugten Erze besitzen einen Gehalt von 45 bis 50 Procent Chromoxyd und werden
zum Theil an chemische Fabriken zur Erzeugung der lichtbeständigen Chromfarben, zum
Theile an Eisenwerke, welche sich mit der Erzeugung von Chromstahl befassen, abgesetzt.
Der erwähnte Fahlerzbergbau zu Maskara bei Gornji-Vakuf ist noch in der ersten
Entwickelung begriffen, liefert jedoch bereits nennenswerthe Mengen Quecksilber, welches
nach der oberungarischen Methode der Stadelröstung aus den Fahlerzen gewonnen wird.
Die Erbauung eines Hüttenwerkes zur weiteren Verarbeitung der Röstrückstände ist im Zuge.
486
Zur Handhabung des im Jahre 1881 für Bosnien und die Hercegovina erlassenen
Berggesetzes besteht in Sarajevo als ein Zweig der Landesregierung und Bergbehörde
erster Instanz eine Berghauptmannschaft, während als Behörde zweiter und oberster
Instanz das k. und k. gemeinsame Ministerium in Wien fungirt. Als Berggericht für Bos -
nien und die Hercegovina entscheidet das Kreisgericht in Sarajevo. Außer der Handhabung
des Berggesetzes obliegt der Berghauptmannschaft die Besorgung der Agenden der Landes -
bruderlade, und in jüngster Zeit wurde dieser Behörde auch die weitere geologische Durch -
forschung des Landes übertragen. Die Landesbruderlade hat die Aufgabe, den Arbeitern
und Aufsehern der Berg- und Hüttenwerke bei Erkrankungen und Unfällen angemessene
Unterstützungen, sowie freie ärztliche Behandlung, ferner im Falle ihrer Arbeitsunfähigkeit
angemessene Versorgungsgenüsse (Provisionen) zu gewähren. Auf diese Unterstützungen
haben auch Witwen und Waisen nach Bruderlademitgliedern Anspruch. Wird ein
Arbeiter infolge einer Verunglückung im Dienste arbeitsunfähig, so werden ihm zu
seiner factischen Dienstzeit 10 Jahre zugezählt und die Provision nach dieser erhöhten
Dienstzeit bemessen.
Für die Administration der staatlichen Montan-Unternehmungen bestehen bei den
einzelnen Werken eigene Verwaltungen, welche den Landesbehörden unterstellt sind, jedoch
in technisch-ökonomischer Richtung die erforderlichen Directiven unmittelbar vom k. und k.
gemeinsamen Ministerium erhalten. Die Beamten und Aufseher der Werke sind sämmtlich,
die Arbeiter theilweise in Werks-Wohnhäusern untergebracht. Das normale Arbeiterhaus
ist ein Zweifamilienhaus, worin jeder Familie ein Zimmer, eine Küche und eine Kammer
zur Verfügung steht, und wozu ein Nebengebäude mit Stallungen, ein kleiner Ziergarten
vor und ein Gemüsegarten hinter dem Hause gehört. Beim Kohlenwerke Kreka sind
60 solche Häuser in mehreren Straßenzügen zu einer Colonie vereinigt. Neu eintretende
verheiratete Arbeiter zahlen für eine Wohnung der bezeichnten Art, deren Herstellungskosten
circa 1000 fl. betragen, 2 fl. 50 kr. pro Monat, während jenen Arbeitern, welche bereits
längere Zeit im Werksdienste stehen, dieser Zins zum Theil oder gänzlich erlassen wird.
Als Äquivalent dieser Begünstigung erhalten die älteren Arbeiter, welche nicht beim Werke
bequartiert sind, kleine Alterszulagen.
Um die Werksangehörigen mit den nothwendigen Lebensmitteln zu versehen, bestehen
bei den staatlichen Montanwerken, sowie auch bei jenen der Gewerkschaft „Bosnia"
sogenannte Fassungsmagazine oder Provisorate. Dieselben liefern den Bediensteten die
nöthigsten Lebensmittel, wie Mehl, Hülsenfrüchte, Zucker, Kaffee rc., welche von den
Verwaltungen im Großen billig eingekaust und zum Selbstkostenpreise an die Arbeiter
abgegeben werden. Diese Institution hat sich vollständig bewährt und schützt die Arbeiter
vor Ausbeutung durch wucherische Kaufleute.
487
Gewerbe, Handel und Verkehr.
Gewerbe. — Den Ausgangspunkt zur Erfassung eines Bildes der gewerblichen
Thätigkeit eines Landes muß die Feststellung der ökonomischen und socialen Thatsachen
bilden, welche dem organischen Aufbau der gewerblichen Arbeit zu Grunde liegen. Ein
viele Epochen umfassender Werdegang hat die Thätigkeit der Menschen immer intensiver
und specialisirter gestaltet. Hand in Hand damit ging ein Wachsthum der Bedürfnisse
und eine Vervollkommnung der geistigen und körperlichen Ausbildung, eine gesteigerte
Intensität der Cultur in immer höheren Daseinsformen.
In Bosnien und der Hercegovina können wir die ganze Reihe von im Laufe der
Zeiten entstandenen Entwickelungsformen der menschlichen Wirtschaft, nur durch örtliche
Entfernung getrennt, heute noch nebeneinander beobachten. Diese Länder sind Gebiete,
auf welchen sich die ältesten gewerblichen Productionsformen infolge Jahrhunderte langer
Abgeschlossenheit von den culturellen und wirtschaftlichen Bestrebungen des Westens bis
auf den heutigen Tag in vielen Theilen des Landes unverändert erhalten haben. Sie
bilden den Hintergrund, von welchem sich die modernen gewerblichen Betriebsarten, die
erst mit der Occupation des Landes hier Eingang gefunden haben, in scharfen Umrissen
abheben. In vielen Theilen der Hercegovina ist die isolirte Hauswirthschaft, in welcher für
Befriedigung nahezu aller Bedürfnisse nicht nur durch landwirthschastliche, sondern aneb
durch gewerbliche Thätigkeit gesorgt wird, die herrschende Wirtschaftsform. Aber auch
dort, wo die Wirthschaft der zerstreut liegenden Gehöfte und Häuserschaften sich für
Ackerbau und Viehzucht schon specialisirt hat, wo die Familiengemeinschaften zusammen -
geschrumpft sind oder sich gespaltet haben, wird noch eine große Menge gewerblicher
Prodncte im Hanse für den eigenen Bedarf erzeugt.
Verschiedenartige Übergangsformen leiten zu einer erst in den Städten aus -
gebildeten gewerblichen Bernfsclasse hinüber, welche vielfach in der Betriebsform des
Lohn- und des Handwerks ihre Thätigkeit entfaltet. Neben den Handwerk, welches sich
gegenwärtig auch auf das Land auszudehnen im Begriffe steht, ist seit der Occupation
noch der Fabriksbetrieb getreten.
Die Grundlage der geschlossenen Hauswirthschaft bildet die Familien -
genossenschaft. Innerhalb dieser Großfamilien — ,^äru»a- oder genannt -
welche ihre innere Organisation nicht nach Gesetz oder Vertrag, sondern bloß nach
Herkommen und Gewohnheit gestaltet haben, vollzieht sich Production und Consnm
selbständig, unabhängig von außen. Die eigenen Schafe werden von den Familien -
mitgliedern geschoren, die so gewonnene Wolle gesponnen, verwoben, gefärbt und daraus
Leibgürtel, Strümpfe, Handschuhe, Jacken, Hosen, Umhängsäcke, Satteltaschen, Schnüre
488
verfertigt. Die Häute der geschlachteten Thiere werden zu Leder verarbeitet, der Tragsattel
(sumur) für die Pferde und Maulthiere aus zugerichteten Holzspreitzen hergestellt; der
Pflug wurde bis vor kurzem noch aus einem starken Baumstamm, der Wagen (urulm) ohne
irgend welche Verwendung eiserner Bestandtheile (auch nur eines eisernen Nagels) ganz
aus Holz gebaut, -welches der benachbarte Wald lieferte. Auch die meisten Werkzeuge
und Hausgeräthe wurden von ihnen erzeugt; so die Handspindel (vrstano), die Web-
stnhle (stnn), die Weberblättchen (bräo), hölzernes Geschirr, Matten aus Schilf oder
Stroh, Teppiche aus Ziegen- oder Schafwolle, Tschibuks u. s. w. Auf selbstverfertigten
Handmühlen wurde der Tagesbedarf an Mehl gemahlen. Ja, sogar die Mühlsteine
brachen sich die Familienmitglieder selbst. Das Brod wurde im eigenen Backofen
gebacken. Viehställe, Scheunen und Wohnhaus primitiver Art erbauten sich auch die
Familienmitglieder selbst: im waldreichen Bosnien aus Flechtwerk mit Lehm (Zapsr)
oder Luftziegel (öerpie), in der Hercegovina aus Stein. Die Fensteröffnungen wurden
früher, da Glas nur in den Städten bekannt war, mit Holzgittern, Papier oder Leder
verschlossen, das Dach mit Maisblättern oder Stroh gedeckt.
Die Arbeit wird vom Familienältesten (ZtnrsaZinn) nach Geschlecht, Alter und
Fähigkeit den Einzelnen zugetheilt. Da die Hausgenossen nur für den Gebrauch in der
Familie arbeiten, sucht jeder von ihnen nicht nur sein Bestes zu leisten, sondern auch seinen
individuellen Kunstsinn an den Gegenständen, die seine Hand fertigt, zu entfalten. Die
Spinnrocken (proslies) mit breitem, geschweiftem Blatt, die geschnitzten Truhen (sunckuie),
die Behälter für Wetzsteine (voäiri), die gestickten Handtücher (ruatiruius) — sie und
hundert andere primitive Erzeugnisse des Hauses bringen die technische Vielseitigkeit,
sowie den künstlerischen Sinn des in der Hausgenossenschaft herangebildeten bosnischen
Bauers zum Ausdruck.
Des Tauschverkehrs bedarf die geschlossene Hauswirthschaft nur wenig. Eiserne
Werkzeuge, Salz, Tabak, Gewürze werden gegen Überschüsse der Wirthschaft, die in
Bodenfrüchten, Vieh oder gewerblichen Erzeugnissen bestehen, eingehandelt. Heute freilich
werden immer mehr und mehr Bedürfnisse durch Kauf gedeckt und die selbstständige
gewerbliche Production auf einen enger werdenden Kreis von Gegenständen eingeschränkt.
Übergangsformenzu einer gewerblichen Berufsthätigkeit finden sich in den
mannigfaltigsten Arten. Hier einige Beispiele. Im Bihacer Kreis, in welchem infolge der
dort unter den Mohammedanern herrschenden Vielweiberei die Familien rasch anwachsen,
beschäftigen sich die weiblichen Familienmitglieder mit Teppich-Weben (insbesondere von
langen Laufteppichen, poifiuvs), Stickereien auf Bez, Stricken von Wollstrümpfen u. s. w.
Alle diese Gegenstände des häuslichen Gewerbefleißes werden auf den Märkten verkauft
oder an Unterhändler abgegeben. Eine andere Gattung Gewerbetreibender sind die auf
490
„Stör" ziehenden Kupferschmiede aus dem bergigen Bugojno. Sie laden ihr Werkzeug
auf ein Pferd und wandern so monatelang im Lande herum, um sich dort einige Tage
aufzuhalten, wo sie eben Beschäftigung finden. Sie nehmen Reparaturen am Kupfer -
geschirr vor, verzinnen es neu und erhalten dafür bald Kost oder Nachtlager, bald Wolle,
Kleidungsstücke oder auch Geld. In ähnlicher Weise ziehen mohammedanische Zigeuner
als Wanderschmiede herum, welche Pferde beschlagen, Hufnägel (üliueo) und Hufeisen
(uulbunlch, die sie selbst gefertigt haben, verkaufen und auch mit Pferdehandel sich beschäf -
tigen. Auch die ȊuuckLari/ die Maurer und Zimmerleute zugleich sind, ziehen als Bauleiter
von Ort zu Ort. Sie sind zumeist Orthodoxe oder Katholiken aus Travnik und Skoplje.
Eine andere Form des Lohnwerks finden wir beim Müllerei- und Bäckerei-Betrieb,
wie er im Lande üblich ist. In allen Theilen des Landes zerstreut gibt es eine große
Anzahl von Wassermühlen (Turbinenmühlen), auf welchen das Getreide oder die Mais -
frucht gegen einen Müllerlohn, der in der Regel iir natura (bei 10 Oka 10 Procent, bei
100 Oka 5 Procent) entrichtet wird. Der Kunde pflegt selbst die Frucht zu bringen und
einzuschütten und dann wieder auf seinem Tragthier das Mehl heim zu befördern.
Obwohl man in den größeren Städten die Bäckerei jetzt zum großen Theil schon
handwerksmäßig betreibt, wird von den Einheimischen doch, selbst in Sarajevo, dieBrod-
bereitung zu Hause vorgenommen. Die Laibe werden nur zum Bäcker gebracht, um
dort gebacken zu werden. Dafür wird er in der Regel mit einem fixen Betrag pro Monat
entlohnt. Auch die Schneiderei wird häufig als Lohnwerk (Heimwerk) betrieben. Der
Künde stellt Stoff und Zugehör (Börtel, Aastau) und oft kunstvoll gearbeitete Knöpfe
(ckuAiua) bei, der Schneider verrichtet bloß die Arbeit des Vernähens. Derselbe Vorgang
findet bei der Verfertigung von weiblichen Kleidungsstücken für Mohammedanerinnen
statt. Nur bringt der Gatte oder der Bruder den Stoff, und der Schneider arbeitet ohne
Maß nach beiläufiger Angabe die kostbarsten Gewänder, die freilich — es handelt sich
ja um die ortsüblichen Trachten, die immer denselben Schnitt haben — nicht die gleichen
Anforderungen an Kunstfertigkeit des Zuschneiders stellen, wie unsere modegerechten
Damencostüme. Aber mehr und mehr wird es jetzt üblich, daß auch das Rohmaterial von
den Schneidern selbst besorgt wird, daß sie, wie viele andere ehemalige Lohnwerker zum
handwerksmäßigen Betrieb übergehen.
In der Zeit vor der Occupation war der handwerksmäßige Betrieb nicht sehr
verbreitet. Es gab einerseits Lohnarbeiter, wie wir oben gesehen haben, anderseits
Verlagsmeister (Au^äa), welche die Producte der Lohnarbeiter auf die größeren Märkte
brachten und nach dem Ausland verfrachteten. Erstere waren in ihrem Arbeitsgebiet
außerordentlich spccialisirt; so gab es unter den Gold- und Silberschmieden (üusuuäm)
solche, die nur reines Silber verarbeiteten (s^riuali), andere die nur aus legirtem Silber
491
oder Messing Gegenstände erzeugten (pirinöli), ferner die nur mohammedanischen Toula-
Silber-Arbeiter (survuäLi), die Goldschmiede (altuinM oder Katari), die Uhrmacher
(3atmei) u. s. w. Sie arbeiteten theils zu Hause, theils hatten sie Läden im Geschäfts -
viertel, der oaiÄM. Diese kleinen Meister betrieben ihr Gewerbe oft gleichzeitig in der
Form des Handwerks, indem sie das Rohmaterial selbst beistellten. Jedoch waren sie
regelmäßig von den Verlagsmeistern abhängig, die ihnen sowohl das Rohmaterial zu
Mühlen am Plivaflusse.
liefern pflegten, als auch für den Vertrieb ihrer Erzeugnisse Sorge trugen. Während den
Kleinmeistern der Verkauf ihrer Maaren an Zwischenhändler verboten war und sie nur
direct an die Konsumenten liefern durften, war umgekehrt der direete Absatz an die
Consumenten den Verlagsmeistern nicht gestattet. Letztere waren die Unternehmer,
welche die Märkte des Landes besuchten und mit den Händlern in der Provinz
Geschäftsverbindungen unterhielten. Einen Theil des Jahres verbrachten sie zur
Bereisung der Märkte des Landes. Daheim aber beschäftigten sie außer ihren
Söhnen Gesellen und Lehrlinge.
492
Diese Theilung der gewerblichen Thätigkeit nach der technisch-productiven
(Kleinmeister) und der coimnerciell-vermittelnden (Verlagsmeister) Seite wurde durch
Organisationen sanctionirt, welche die ganze städtische, sowie einen Theil der die
Städte umgebenden ländlichen Bevölkerung umfaßten. Diese Organisationen waren die
Zünfte (esuäk'chi). Es würde den gegebenen Rahmen weit überschreiten, wollte ich mich
hier in Einzelheiten über diese überaus interessanten Gewerbsgenossenschaften ergehen.
Nur so viel sei erwähnt, daß diese Institution von den Türken in das eroberte Bosnien
gebracht wurde. Die Türken hatten die Znnftverfassung mit vielem Anderen ans dem
Chalifenreich der Araber ererbt. Berufsverbände waren aber schon im alten Perserreich,
hauptsächlich jedoch in Ägypten die Grundlage der Wirtschaftsordnung.
Die Zünfte (esuLks) sind in der Form wenigstens, in welcher wir sie bei dem
mohammedanischen Theil der Bevölkerung antreffen, eine importirte Einrichtung. Sie sind
die Hüterinnen über die Ehrsamkeit (das „iiullul--Arb eiten) des Handwerks, über die
Ordnung (sol) in Production und Handel.
Die Zunftregeln wurden zumeist mündlich von Geschlecht zu Geschlecht überliefert.
Sie sind die Wiege eines ganz eigenartigen Volksrechts in Handel und Verkehr geworden.
Hie und da schlossen sich die Zünfte sogar zu Productivgenossenschaften zusammen, wie die
Fleischer, Gerber, Opankenmacher und Riemer. Sowohl Mohammedaner wie Christen
wurden, bald gemeinsam, bald getrennt, durch das Band der Zunft umschlossen. Die Christen
hatten besonders durch die Zunft die Steuer aufzubringen. Die Zunft sorgte für Alters- und
Krankenunterstützung, für Witwen und Waisen, selbst für die Speisung der Gefangenen.
An der Spitze der Zunft steht der „eabuja^). Er ist der „Zunftmeister" der
deutschen Zünfte. Nächst ihm ist der iculku-buZi oder jijit-buZi, der Gesellenaufseher, der,
welcher insbesondere die Lohnsätze feststellen und alle Angelegenheiten mit den Verlags -
arbeitern, Gesellen und Lehrlingen zu controliren hatte. Mehr ein Titel als ein Amt war
die Würde des ustu kuZich oder nach der Zunft genannt, icujuuäm-basi^), term-bam"),
eurei-duZ?) rc. Heute würde man sie „Hoflieferanten" nennen. Es wurden diejenigen so
genannt, welche für hohe Beamte oder Militärs oder gar für den Stambuler Hof Maaren
zu liefern hatten. Jede Zunft besaß ihr Banner (bujruü, kaieiu) und es war eine oft
mit schwerem Gelde erkaufte Ehre, das Banner bei festlicher Gelegenheit tragen zu dürfen
(busrubtur ulöiu-äur).^) Eine sehr wichtige Person war der Laus, der Zunftfeldwebel.
Er war das Executivorgan des eslrasu, seine rechte Hand, er übte die Gewerbe- und
Handelspolizei aus.
') „LgnLk" ist der Plural des arabischen Worteswelches ebenfalls „Zunft" bedeutet. ?) Türkisch
Das Wort ist, wie viele andere im Sprachschatz der „63nllk'8« vorkommende Bezeichnungen, persischen Ursprungs:
bezeichnet das Familienhaupt. „baZi" bedeutet Haupt, Chef, „U3ta" Meister. *) Chef der Goldschmiede. 5) Chef der Schneider.
") Chef der Kürschner. ?) Znnftbannerträger.
493
Die Versammlung aller Zunftmeister hieß loirgja. In dieser fanden die Wahlen oder
Ernennungen neuer Functionäre statt, und da wurde über den Stand der Zunftcasse
(ösualslri mal oder Lsnatslri 8anäuk) Bericht erstattet. Die Zunft war eine politische
Körperschaft und ersetzte zum großen Theil im türkischen Reiche die Gemeinde. Die
Aufnahme in die Zunft fand formell durch die Eintragung in das Zunftregister
(esirälslci clskksr) statt, gleichviel ob der aufzunehmende Lehrling oder Geselle war;
dadurch erst wurde er Mitglied des Zunftverbandes, nur als solches konnte er zur
Meisterschaft gelangen. Die Freisprechung des Lehrlings (ä68tui-, k68lir) war ein mit
religiösen Feierlichkeiten verbundener Act, ebenso die Aufnahme in die Meisterschaft, die
„lcu8aiiiE«, die Umgürtung'). Jede Zunft besitzt einen Schutzheiligen, »pir^h
sowohl die christlichen, wie die moslemischen o8nak'8.
Nach der Zugehörigkeit zur selben Zunft waren auch die einzelnen Gewerbs-
zweige in der oaiÄja,-) dem Geschäftsviertel, vertheilt. Dort sitzen die Gewerbetreibenden
in ihren hölzernen Buden aus ausgebreiteten Teppichen. Der Laden des Kleinmeisters
unterscheidet sich äußerlich kaum von dem des Verlagsmeisters. Größere Reinlichkeit und
reicherer, mannigfaltigerer Vorrath machen ihn bei genauerem Hinsehen erkenntlich. Aber
rückwärts schließt sich ihm in der Regel noch eine große »magara" (Magazin) an, in
welchem er nicht selten einen bedeutenden Waarenvorrath aufgespeichert hält. Die Läden
pflegen nach Sonnenaufgang geöffnet, vor Sonnenuntergang geschlossen zu werden. Im
Geschäftsviertel sind keine Wohnungen. Jeder wohnt in seiner Vorstadt ,malmla«, wo
wieder keine »earmja« ist. Wir begegnen hier dem englisch-amerikanischen Princip der
Trennung des Geschäftsmittelpunktes von den Wohnplätzen.
Fragen wir nun: und wie ist es heute? Bestehen heute noch 68rmk's und earmsa?
Die alten Zünfte haben sich im Wesentlichen dort erhalten, wo die alte Betriebsweise
beibehalten werden konnte. Da bestehen sie als Vereinigungen der einheimischen Gewerbe -
treibenden neben dem freien Gewerbebetrieb, freilich nicht mehr als Staaten im Staate
wie einst, sondern angegliedert an den modernen, staatlichen Verwaltungsorganismus.
Ebenso finden sich allenthalben die öai'8isa'8 vor, wie ehedem. Aber abseits von diesen
entwickeln sich die modernen Geschaftsviertel in den Städten, in welchen die modernen
Handwerker und die Händler mit den Erzeugnissen unserer Großindustrie eingezogen sind.
Moderne Handwerker kamen erst mit der Occupation nach Bosnien. Vorher gab
es sogar in Sarajevo nicht einmal Tischler (in westeuropäischem Sinne), keine ordentlichen
Schlosser, keine Anstreicher, Tapezierer, keine Maurer, welche anderes, als die primitiven
>) Diese religiösen Ceremonien scheinen uralten Ursprungs zu sein. Ich erinnere an die Umgürtungsceremonie
bei den mannbar gewordenen Persern und Indern. -) Persisches Wort, bedeutet den Alten, Vorfahren. ') Wort persischen
Ursprungs — Viereck.
494
türkischen Hütten aufbauen konnten. Auf einer wie niedrigen Stufe manche Gewerbe
standen, mag z. B. daraus entnommen werden, daß Bretter vor der Occupation nicht mit
Sägen geschnitten, sondern mit Beilen zurecht gehauen wurden; der Hobel war unbekannt.
Der Einfluß der Handwerker, welche die Regierung aus der Monarchie in das
Land rief, hat sich in nahezu allen Gewerben in eclatanter Weise fühlbar gemacht und reich -
lich zur technischen Vervollkommnung der älteren Betriebe, namentlich zur Heranbildung
der jungen, heimischen Generation beigetragen, so daß wir heute von einem kräftig sich
entwickelnden Handwerkerstand in Bosnien sprechen können. In der Stadt, vollends aber auf
dem Lande hat das Handwerk in Bosnien ein Gebiet fruchtbarer und rentabler Wirksamkeit
vor sich. Für die Hebung der gewerblichen Thätigkeit ist aber auch die Gründung von
zahlreichen Handelsschulen (Sarajevo, Mostar, Trebinje, Travnik, Livno, Bihak, Brcka,
Bjelina, Dolnja-Tuzla), für welche alljährlich viele Stipendien vergeben werden, sowie von
zwei Handwerkerschulen (Sarajevo, Mostar) von Bedeutung. Ihr Einfluß wird erst dann,
wenn die heute dort studirende junge Generation herangewachsen sein wird, voll zu
ermessen sein. Was die Handwerkerschulen betrifft, so liegt der socialeWerth dieser Anstalten
vor allem in dem Umstand, daß hier alle Schüler Stipendien genießen, daß also einzig
und allein die Befähigung derselben für Aufnahme und Fortsetzung des Studiums maß -
gebend erscheint. Der Zudrang zu ihnen ist ein außerordentlicher; im Studienjahr
1895/96 wurde die Handwerkerschule in Sarajevo von 92 Schülern besucht. Allmälig ist
auch in Bosnien eine Großindustrie entstanden, die zunächst an den Mineralreichthum,
den Holzüberfluß und den Landwirtschaftsbetrieb in den occupirten Ländern
anknüpfte. Die Montanindustrie hat schon an anderer Stelle Würdigung gefunden.
Für die industrielle Verwerthung der Holzbestände des Landes sind eine Reihe
von Sägewerken, theils mit Wasser-, theils mit Dampfkraftbetrieben thätig. Von großer
Bedeutung ist die Faßdaubenfabrication in Usora bei Doboj (Morpurgo und
Parente), welche in den Bezirken Tesauj,Katorvaros und Prnjavor circa 2000 einheimische
Arbeiter beschäftigt. In Dervent wieder exportirt eine Stockfabrik eine Viertelmillion
Stöcke jährlich. Die Holzimprägnirungsanstalt in Busovaca liefert imprägnirte
Schwellen für die bosnisch-hercegovinischen Staatsbahnen. Eine der ältesten industriellen
Anlagen des Landes ist die „Papier- und Holzstoff-Fabrik" in Zenica (seit 1889 in
Betrieb). Das Etablissement gliedert sich in die Holzschleiferei und die Papierfabrik. Die
Producte der Papierfabrik werden zumeist von der Landesverwaltung und der Tabakregie
verbraucht, der Rest gelangt zur Ausfuhr nach Indien.
Eine Reihe hervorragender Fabriken hat sich im Laufe der Occupationsjahre in
Bosnien zur Verwerthung landwirthschaftlicher Producte etablirt. Die älteste Fabrik
Bosniens und zugleich der bedeutendste Betrieb auf diesem Gebiete ist die (1886 gegründete)
Spiritusfabrik und Raffinerie in Dolnja-Tuzla (A. Grauaug), mit welcher auch eine
Dampfmühle, eine Rollgerste- und Reisschäl- und eine Trockenschlempefabrik verbunden ist.
Es verdient Erwähnung, daß die Trockenschlempe-Anlage die erste innerhalb des
Faßdaubenerzeugung in Bosnien.
österreichisch-ungarischen Zollgebietes war. Das Etablissement verarbeitet jährlich sechs
Millionen Kilo Getreide bosnischer Provenienz. Die Getreideschlempe wird nach Deutschland,
die Mühlenproducte zumeist über Triest und Fiume in das Ausland exportirt.
Zum Vermahlen des bosnischen Getreides sind an Stelle der alten primitiven
Wassermühlen eine Reihe von Dampfmühlen getreten, namentlich in den fruchtbaren
496
Getreidcbancentren am rechten Saveufer, in welchen Cvlvnisten aus der Mvnarchie
angesiedelt wurden, insbesondere im Banjalnkaer Kreis und um Bjelina. Das Mehl aus
diesen Mühlen wird fast ausschließlich in den Städten Bosniens selbst consumirt. Die
Verwerthung anderer Products des Landbaues in Bosnien, namentlich der Pflaume und der
Zuckerrübe, ist bereits früher geschildert. Doch soll hier noch die Sarajevoer Actien-
branerei Erwähnung finden, ein modernes concurrenzfähiges Unternehmen, welches an
die Stelle dreier kleiner, alter Brauereien getreten ist. Eine Malzfabrik ist mit dieser
Brauereiunternehmung verbunden, welche zumeist bosnische Gerste verwendet. Sarajevoer
Bier wird außer in den occupirten Ländern auch in Dalmatien getrunken. Auf bosnischem
Boden befindet sich auch eine Mineralöl- und Chemikalien-Fabrik in Bosnisch-Brod,
welche galizisches Petroleum raffinirt, um dasselbe nach den Balkanländern abzusetzen.
Eine große Unternehmung, welche die Wasserkräfte des Landes zu verwerthen sich
anschickt, ist die „bosnische Electricitütsgesellschaft" in Jajce. Zum Schluß dürfen auch
einige kleinere Betriebe nicht vergessen werden. So insbesondere die Gajtanfabriken
I. Besarovic und R. BesaroE und Salom in Kovacic und Kosevo bei Sarajevo. Diese
beiden Fabriken, welche die im Orient üblichen Woll- und Seidenbörtel (6njknn) erzeugen,
werden durch Wasserkraft betrieben. Zum.Färben und Drehen der Seidenbörtel werden
arnautische (albanesische) Arbeitskräfte verwendet. Die Rindenschälfabrik in Prijedor, eine
Liqueur-, eine Seifen- und Kerzenfabrik, mehrere Sodawasserfabriken, Wirkereien, Ringöfen,
eine Tischlerwaarenfabrik sind Etablissements von minderer Bedeutung. Wenn wir die
Reihe der Unternehmungen überblicken, welche im Laufe der letzten zwei Jahrzehnte in
Bosnien entstanden, und wenn wir uns gleichzeitig der Produetionsweise erinnern, welche
vorher geherrscht hatte, so werden wir uns des ungeheueren Unterschiedes zwischen der alten
und der neuen Zeit, die über Bosnien seit der Occnpation hereingebrochen ist, bewußt. Die
reichen Erzlager, die großen Wasserkräfte des Landes, der Aufschwung, welchen Land-
wirthschaft und Viehzucht nimmt, das wachsende Verständniß der Einheimischen für die
Entwickelung intensiver Betriebsarten, die wachsenden Bedürfnisse der Bevölkerung
stellen eine fortgesetzte Aufwärtsbewegung der wirthschaftlichen Entfaltung in Aussicht.
Handel. — Seit den Tagen der römischen Herrschaft, da aus dem Land der Daker
eine Straße über Sarajevo zum Meere nach der Narentamündung ging, hat der gold -
führende Strom des Handels seinen Weg nicht mehr über die bosnischen Gebirge genommen.
Abseits vom culturbringenden Verkehr blieb es liegen, von blutigen inneren Kämpfen
durchwühlt. So war es möglich, daß sich die primitiven Wirthschaftsformen, die wir
eingangs kennen gelernt haben, erhielten. Die isolirte Hauswirthschast bedurfte des
Tausches fast gar nicht oder nur im geringen Maße. Geld war selten und theuer. Es
diente mehr als Mittel, die Tauschgüter gegen einander abzuschätzen, denn als thatsächliches
497
Zahlungsmittel. Es war üblich, Gebrauchsgut gegen Gebrauchsgut zu tauschen („trampiti"),
höchstens die Differenzen wurden in Münzen faetisch geleistet. Hauptsächlich fand der
Güteraustausch auf den Märkten, die theils Wochen-, theils Jahrmärkte waren, statt.
Dahin wurden die Überschüsse der Naturprodukte und der gewerblichen Thätigkeit gebracht.
Dahin kamen die Landbewohner und die städtischen Händler (Verlagsmeister). Letztere
setzten hier nicht nur die Produkte der Stadt ab, sondern auch Gegenstände, die sie auf den
großen Kaufmannsmessen, wie sie namentlich in Rumelien (Seres, Usuudzevo u. a.) statt -
fanden, eingehandelt hatten. Darunter waren theils echt orientalische Producte, wie Seiden -
stoffe, Mnsselintücher, Schmuckkästchen ans Sandelholz, chinesische Porzellanschalen, theils
Erzeugnisse der europäischen Massenindustrie: Glasperlen, Kattune, billige Galanterie -
waren, imitirte Goldgespinste u. dgl., die nicht selten ihren Weg über Constantinvpel
genommen hatten und gleicherweise als Stambuler Ware (,8tamku1slLn roba«) galten.
Bei alledem war der Import nach Bosnien natürlich außerordentlich geringfügig.
Ein Consularbericht aus dem Jahre 1865 veranschlagt den Werth der Gesammteinfnhr
nach Bosnien und der Hercegovina auf 38 Millionen Groschen — 3,800.000 Gulden.
An der Ausfuhr, welche nach derselben Quelle auf 40 Millionen Groschen oder 4 Millio -
nen Gulden geschützt wird, waren vor allem alle Gattungen Felle (Steinmarder, Edel -
marder, Fischotter, Wolf, Dachse, Iltis, Büren, Gemsen, Hasen, Lamm, Schaf, Zicklein),
Häute und Lederwaaren, Kupfergeschirr und Eisenwaaren, besonders Waffen, betheiligt.
Die Angliederung Bosniens und der Hercegovina an die Monarchie hat vielleicht
auf keinem Gebiete eine so rasche und weitgehende Verschiebung, eine so bedeutungsvolle
Umgestaltung der alten Zustände bewirkt, als auf dem des Handels. Während der Handel
früher nach Süden und Süd-Osten gravitirte, hat sich heute sein Schwergewicht nach
Norden und Nordwesten verschoben. Der Antheil der Monarchie am Gesammtverkehr
Bosniens und der Hercegovina beträgt heute 97 7 Procent. Eisenbahnen und Landstraßen
haben dem Handelsverkehr neue, früher ganz unzugängliche Landestheile erschlossen und
lassen letztere theilnehmen an den Errungenschaften des europäischen Westens.
Außer der elementaren Voraussetzung für die Entwickelung des Handels, welche in
der Schaffung von Verkehrsadern besteht, haben noch andere Momente zusammengewirkt,
um den Handelsverkehr in den Jahren der Occnpation auf mehr als das Sechsfache des
Werthes gegen früher zu heben. Zn diesen Momenten gehört vor allem die Hebung der
Landwirthschaft und Viehzucht, der Übergang zu intensiverer Betriebsweise ans allen
wirthschaftlichen Thätigkeitszweigen, die Errichtung von fabriksmäßigen Anlagen, welche
die Möglichkeit bieten, die heimischen Producte zu verwerthen, endlich die Zusammen -
fassung und Ausgestaltung localer Industrien sowohl in technischer wie in commereieller
Beziehung.
Bosnien und Hercegovina. gz
498
Der Werth des Gesammtverkehres Bosniens und der Hercegvoina ist heute mit
47,436.000 fl. zn bemessen. Davon ist der Verkehr mit der Monarchie auf den Eisen -
bahnen mit 37,872.000 fl., auf den Landstraßen (zumeist Grenzverkehr) mit 3,600.000 fl.,
der Save-Schiffahrt mit 750.000 fl., mit dem Ausland auf 5,214.000 fl. jährlich zu
veranschlagen.
Die wichtigste Rolle unter den Verkehrsmitteln, welche der Handel benützt, spielen
naturgemäß die bosnisch-hercegovinischen Staatsbahnen. Bei diesen nimmt der
Inland-Verkehr den Hauptplatz ein (60 Procent), denn sie vermitteln die Zufuhr heimischer
Kohle an die Fabriken des Landes, von Bausteinen, Werkholz und Ziegel in die Städte,
in welchen überall eine lebhafte Bauthütigkeit sich entfaltet, endlich von Lebensmitteln für
den Consum der Hauptstadt. Am Export participiren Pflaumen mit 10.151 Tonnen,
Eichen und Faßdauben mit 48.500 Tonnen, ferner Zucker, Tabak, Bier, Soda (Lukavacer
Fabrik), Eisen und Eisenwaaren (Vares und Zenica), endlich Bau-, Werk- und Nutzholz mit
den höchsten Ziffern. Beim Import kommen Mehl und Mehlproducte, Thonwaaren (für
Bauzwecke), Traversen, Eisen- und Stahlwaaren, Wein und Bier zumeist in Betracht.
Die Militärbahn Banjaluka-Doberlin ist relativ am meisten an der Ausfuhr
betheiligt (mit 66 Procent). Vor allem sind cs die agrieolen Erzeugnisse (Hafer, Gerste)
aus den Colonien unweit Banjalnka, welche hier den Ausschlag geben.
Die Station Brcka, der auf bosnischem Boden liegende Endpunkt eines Flügels
des ungarischen Eisenbahnnetzes, ist von hervorragender Wichtigkeit, weil sie das Thor
zum fruchtbaren Becken der Posavina mit seinem Getreidebau, seiner Pflaumenproduction
und seinem Viehreichthum erschließt. Im Jahre 1895 wurden von dieser Station allein
85.067 Tonnen Pflaumen, 1896 sogar 142.819 Tonnen Pflaumen exportirt. Auch der
Export an Borstenvieh ist bedeutend. Er betrug im Jahre 1896 525 5 Tonnen.
Der Straßen- und Schiffsverkehr besteht hauptsächlich in Getreide, Hülsen-
früchten, Hafer, Gerste, Mais, Gemüse und Obst (Pflaumen). Der Viehexport bedient sich
zumeist der Landstraße und ist am stärksten nach Croatien, Slavonien (Rindvieh, Schafe,
Schweine) und Dalmatien (Ziegen).
Der auswärtige Handel Bosniens ist sehr gering. Darunter nimmt der Import
von Petroleum für die Minerialölraffinerie in Brod einen großen Theil in Anspruch.
Die Grenzländer Serbien und die Türkei nehmen am auswärtigen Verkehre Bosniens den
stärksten Antheil. Theilweise sind hier noch die alten Handelsbeziehungen aus der Zeit
vor der Occupation und die primitiven alten Handelssitten lebendig.
Das lange vernachlässigte Bosnien, das in blutigen Zwisten seine Kraft jahr -
hundertelang vergeudet hatte, wird bald an der Spitze der Länder des Balkans stehen,
dank den Bvrtheilen, welche die Verbindung des Landes mit der österreichisch-ungarischen
499
Monarchie ihm brachte. Das Reich aber mag stolz sein auf sein Wirken in diesem Lande,
wo es seine Fähigkeit im Osten civilisatorisch zu wirken, in glänzender Weise bethätigt hat.
Verkehr. — Gut erhaltene Straßen nach modernen Begriffen gab es unter
türkischer Herrschaft im Lande überhaupt nicht. Einige zeitweise fahrbare Communi-
cationcn hatten keinerlei Grundbau, und fast überall fehlten die Brücken, so daß, wenn die
Flüsse nicht durchfurchet werden konnten, diese Communicationen absolut nnfahrbar
waren. Bei Gebirgsübergängcn hatten dieselben Steigungen bis zu 25 Proccnt und
folgten jeder Terrainfalte ohne Bedacht auf ein rationelles Trace.
Beim Straßenbau war nach türkischem Gesetze die gesammte männliche Beoölkerung
nebst allen ihren Zug- und Tragthieren zur unentgeltlichen Arbeitsleistung (Robot)
verpflichtet, und zwar konnte jeder Mann vom 16. bis zum 60. Jahre in einem Turnus
von je 5 Jahren 20-30 Tage zur Robotleistung herangezogen werden. Befreit hievon
waren nur die Geistlichkeit aller Confessionen, die Lehrer, die körperlich Gebrechlichen,
die Beamten, die im stehenden Heere dienenden Personen und die Zaptics (Gendarmen).
Die Reichen zahlten Stellvertreter. Da aber bei den Straßenbauten zumeist jede Leitung
durch technisch gebildete Personen fehlte, so wurden trotz dieser großen, zur Verfügung
stehenden Arbeitskräfte nur die kläglichsten Resultate erzielt. Unter diesen Verhältnissen
gehörte es zu den Seltenheiten, daß ein Wagen bis nach Sarajevo gelangte. Der landes -
übliche Wagen diente ausschließlich für den Transport auf ganz kurzen Strecken, hatte
hölzerne Achsen, schwere, aus einem Baumstamme geschnittene, oft ziemlich unrunde
Scheiben als Räder und war derart massiv gebaut, daß stets zwei Paar Ochsen noth-
wendig waren, um den leeren Wagen von der Stelle zu bringen.
Solcherart blieb die Bevölkerung bei ihren von altersher gewohnten Verkehrs -
mitteln, den Reitwegen und den Tragthieren. Die Reitwege, deren es eine große Zahl
gibt, verbinden keineswegs nur die nächstgelegenen Ortschaften miteinander, sondern
übersetzen die steilsten Gebirgsrücken, ziehen durch die wildesten Thäler und waren
bis zur Occupation die fast einzigen Handelswege Bosniens und der Hereegovina.
Viele Reitwege waren gepflastert, und zwar mit ziemlich unregelmäßigen Würfel -
oder Kngelsteinen, und wurden fast nie ausgebessert, so daß die Pferde meist zwischen die
Steine treten mußten. Solche gepflasterte Reitwege führen den Namen Kaldrma. Diese
Verkehrsweise wurde durch die besonderen Eigenschaften des bosnischen Pferdes begünstigt.
Die Bosnier und Hereegovcen lieben die Pferde, und selbst der kleinste Bauer hält
sich deren mehrere, die sowohl als Reitpferde, wie auch als Tragthiere verwendet werde».
Das Tragthier erhält einen hölzernen Bocksattel, welcher oft tagelang nicht abgenommen
wird, und auf diesen Sattel wird mit großem Geschicke nicht nur die Fechsung, welche auf
den Markt gebracht wird, sondern auch alles an Hausrath, was von dort heimgeholt wird,
32'
500
geladen. In langen Reihen ziehen so die Karawanen über die Saumwege oft viele
Tagreisen weit, um ihre Maaren dem erwünschten Markte zuzubringen.
Möglichst der Luftlinie folgend übersetzen diese Reitwege fast ohne jede Entwicklung
die steilsten Bergrücken und nur ein so gutes und ausdauerndes Pferd, wie das bosnische,
ist im Stande, mit einer schweren Last auf dem Rücken diese Lehnen zu erklimmen. Sorglos
kann sich der Reiter dem Pferde anvertrauen, denn vorsichtig tritt dasselbe in die Fußstapfen
seines Vorgängers, ohne jemals zu straucheln.
Gasthöfe, auch nur für die denkbar bescheidensten Ansprüche, gab es im ganzen
Lande nicht; den Bedürfnissen der Einheimischen genügten die an allen wichtigeren Communi-
cationen in genügender Anzahl gelegenen bosnischen Hans (Herbergen). In diesen
mußten auch die wenigen Fremden nächtigen, welche das Land bereisten, wenn sie es nicht
vorzogen, in einem Kloster oder bei einem Kaufmanne Gastfreundschaft zu suchen.
In Bosnien und der Hercegovina bestand vor der Occupation eine reitende Post,
welche von der ottomanischen Regierung streckenweise in Pacht gegeben war. Mit derselben
konnten Passagiere, welche ebenfalls reiten mußten, sowie Briefe und kleine Pakete, welche
in Felleisen ans dem Rücken der Pferde untergebracht wurden, befördert werden.
Das österreichische Consulat in Sarajevo bediente sich nicht dieser Post, sondern zog
es vor, seine eigenen Kavassen wöchentlich einmal mit den Briefen bis an die Grenze bei
Brod zu senden, wo auch die für das Consulat bestimmten Correspondenzen in Empfang
genommen wurden. Diese österreichische Consulatspost wurde auch oft von anderen
Konsulaten und von größeren Kaufleuten benützt. Bis zum Jahre 1863 bestanden nur
zwei Telegraphenlinien, nämlich von Constantinopel über Novibazar nach Sarajevo und
von dort über Mostar nach Metkovic.
Vom Jahre 1872 bis 1875 stand die Eisenbahnstrecke Banjaluka—Doberlin im
Betriebe; dieselbe wurde aber wegen der schlechten Einnahmen aufgelassen und dem
Verfalle preisgegeben, so daß zur Zeit der Occupation überhaupt in Bosnien und der
Hercegovina keine Eisenbahn existirte.
Mit dem Einmärsche der k. und k. Truppen vollzog sich naturgemäß eine vollkommene
Umgestaltung aller bis dahin bestandenen Verkehrsverhältnisse. Die militärischen Maß -
nahmen erheischten die sofortige Inangriffnahme des Baues der wichtigsten Nachschub -
linien für die Truppen, und es wurden daher theils durch Unternehmer, theils durch das
Militär selbst die bereits bestehenden schlechten Fahrwege verbreitert, mit Grundbau und
den erforderlichen Brücken versehen. Auf diese Art waren in verhältnißmäßig kurzer Zeit
die strategisch wichtigen Knotenpunkte durch gute Fahrstraßen untereinander und mit der
Monarchie verbunden, wenngleich diese Straßen noch nicht nach jenen strengen Normen gebaut
waren, welche später hiefür seitens der bos.-herceg. Landesverwaltung aufgestellt wurden.
502
Es sei nur summarisch angeführt, daß in den Jahren 1878 bis 1879 eirea 1000 Kilo -
meter Straßen durch die Heeresverwaltung, und zwar zumeist durch die technischen Lruppen,
theils reconstruirt, theils neu gebaut wurden. Im Jahre 1880 übernahm die Civil-
verwaltung sowohl den Neubau, als auch die Erhaltung der Straßen, und es wurde
überhaupt an die Organisation des Bauwesens in Bosnien und der Hercegovina geschritten.
Das früher erwähnte ottomanische Gesetz über die Robotleistnng der Bevölkerung
bei Straßenbauten wurde republieirt und die Bevölkerung verhalten, ihrer Robotpflicht
thatsächlich nachzukommen. Auf diese Weise war es möglich, ohne allzugroße Kosten sowohl
die bereits bestehenden Straßen in gutem Zustande zu erhalten, als auch neue in größerem
Umfange zu bauen. Die Straßen wurden in Hauptstraßen mit 5 Meter Breite und
5 Procent Maximalsteigung und in Bezirksstraßen mit 4 Meter Breite und
8 Procent Maximalsteigung eingetheilt; außer diesen gibt es aber noch eine große
Anzahl erhaltener Reit- und Fahrwege. Im Jahre 1895 kamen bereits 2100 Kilometer
Hauptstraßen, 1800 Kilometer Bezirksstraßen, 2400 Kilometer Reit- und Fahrwege
in normale Erhaltung, und heute durchzieht ein reiches Netz prächtiger Straßen das
ganze Land.
Da aber die Bevölkerung die Robotpflicht, besonders die Thierrobot, als drückende
Last empfand und die bereits geschaffenen Verkehrsverhültnisse eine so forcirte Thätigkcit
nicht mehr nothwendig erscheinen ließen, sah sich die Landesverwaltung im Jahre 1892
bestimmt, die Thierrobot gänzlich aufznheben und die Reluitivn der persönlichen
Robotpflicht gegen Erlag eines Betrages von 1 fl. 50 kr. per Kopf und Jahr zu gestatten,
eine Verfügung, welche im ganzen Lande mit Freude ausgenommen wurde und von welcher
in steigendem Umfange Gebrauch gemacht wird.
Wenden wir uns nun dem Gebiete des Eisenbahnwesens zu, so stehen wir einer
Leistung gegenüber, welche jedes patriotisch fühlende Herz mit Freude erfüllen muß.
Gleich nach dem Einmarsch der k. und k. Truppen wurde zum Zwecke der Herstellung
einer geeigneten Nachschublinie mit dem Ban einer Rollbahn von Brod in der
Richtung gegen Zenica begonnen. Dieser Bahn wurde mit Rücksicht auf ihren
provisorischen Charakter, sowie im Interesse einer leichteren technischen Ausführung nicht
die normale Spurweite gegeben, und man verfiel auf die Spur von 76 Centimeter, weil
dem bauführenden Unternehmer eben eine Partie Rollwagen mit dieser Spur billig und
schnell zur Verfügung stand. Diese Spur von 76 Centimeter wurde in der Folge für
alle bosnisch-hercegovinischen Bahnen, mit Ausnahme der theilwcise aus türkischer Zeit
stammenden Eisenbahn Banjalnka-Doberlin, mit ausgezeichnetem Erfolge beibehalten, ja, es
war überhaupt nur infolge der Anwendung des Schmalspursystemes und mit Hilfe der
vielfachen technischen und ökonomischen Vorthcile, welche dieses System bietet, möglich, in
Von der Zahnradbahn über den Jvansattel: j
Lulasschlucht, unterhalb ein Detail des
combinirten Gestänges. j
Bosnien und der Hercegovina in kaum
10 Jahren nahe an 700 Kilometer Eisenbahnen
in zumeist schwierigemGebirgsterrain zu bauen.
Hand in Hand mit den steigenden
Anforderungen an die Bahnen gingen die Verbessc-
> rungen sämmtlicher Einrichtungen derselben. In dieser
^' Hinsicht waren zwei Momente von ausschlaggebender
Bedeutung: Die Anwendung des combinirten Adhäsions -
und Zahnradsystcmes (System R. Abt) zur Übersetzung der
Gebirgssättel und die Ausgestaltung der Fahrbetriebsmittel
zu einer kaum erhofften Vollkommenheit, indem gegenwärtig auf den Schmalspurbahnen
für den Personenverkehr niit allein Comfort ausgestattete Schlafwagen und für den
Frachtenverkehr lo tonnige Lastwagen in Verwendung stehen. Nach Fertigstellung der
Eisenbahn Brod—Zenica wurde an die Fortsetzung dieser Bahn bis Sarajevo geschritten
und gleichzeitig ununterbrochen an der Verbesserung der erstgebauten Strecke gearbeitet.
Am 5. October 1882 wurde die Bahnstrecke Zenica—Sarajevo dem öffentlichen
Verkehre übergeben, und damit war die Hauptstadt Bosniens durch einen Schienenstrang
504
mit der Monarchie verbunden. Die nächste Sorge der Verwaltung mußte nun darauf
gerichtet sein, eine Eisenbahnverbindung nach Mostar und dem Meere, respective dem
Narentahafen in Metkovic herzustellen. Diese Eisenbahn bedingte aber die Übersetzung
eines mächtigen Gebirgsrückens, des Ivan-Sattels (967 Meter über dem Meeresspiegel),
und hier wurde — da die natürliche Entwicklung der Bahn zur Paßhöhe infolge der
eigenthümlichen Gebirgsformation ausgeschlossen war — zur Anwendung des combinirten
Adhäsions- und Zahnrad-Systemes geschritten. Wenngleich verschiedene Zahnradsysteme
schon vielfach für Touristenbahnen in den Alpen angewendet waren, so bestand dennoch in
Österreich-Ungarn bis dahin im Zuge einer Eisenbahn keine Zahnradstrecke, welche einen
Massentransport zu bewältigen bestimmt gewesen wäre. Es ist ein Verdienst der bosnisch-
hereegovinischen Verwaltung, in dieser Hinsicht mit gutem Beispiele vorangegangcn zu sein.
Am 1. August 1891 wurde die Schlußstrecke, Konjica—Sarajevo, der Bahnlinie
Sarajevo—Metkovic, welche den Ivan-Sattel mit einer Maximalsteigung von 60 Promille
übersetzt, dem Verkehre übergeben und damit eine Bosnien und die Hercegovina von
Norden gegen Süden, von der Save bis znm Meere durchziehende Schienenverbindung
vollendet. In die gleiche Zeitperiode fällt auch der Bau der Flügelbahn von Doboj nach
Dolnja-Tuzla—Siminhan, sowie die vollständige Reconstruction und Inbetriebsetzung der
normalspurigen Eisenbahn Banjaluka—Doberlin. Außer diesen dem öffentlichen Verkehre
dienenden Bahnlinien wurde eine Anzahl Montan- und Industrie-Bahnen den localen
Bedürfnissen entsprechend ausgeführt. In den letzten Jahren nahm die bosnisch-herce-
govinische Verwaltung neuerlich eine Hauptliuie des künftigen Eisenbahnnetzes in Angriff,
indem an den Bau einer Schienenverbindung von der Station Lasva der Linie
Sarajevo—Brod in der Richtung gegen Spalato geschritten wurde. Die Theilstrecke
Lasva—Bugojno mit dem Flügel nach Jajce ist bereits dem Verkehr übergeben. Die in
nächster Aussicht stehende Fortführung dieser Strecke bis zur Landesgrenze und die daran
anschließende, in Dalmatien zum Ban gelangende Bahn von der Landesgrenze bis Spalato
werden sodann Bosnien mit einem großen Seehafen verbinden und einen heute wohl
kaum geahnten wirthschaftlichen Aufschwung des Landes zur Folge haben.
Sämmtlichc bosnisch-hercegovinischen Schmalspurbahnen sind Eigenthum des Landes
und werden von der Regierung selbst verwaltet. Die normalspurige Eisenbahn Banjaluka—
Doberlin steht vorerst noch unter der Administration der Heeresverwaltung, dürfte jedoch
in einigen Jahren ebenfalls in die directe Verwaltung des Landes übergehen. Die
2'/» Kilometer lange Fortsetzung der ungarischen Localbahn Vinkovce—Brcka, von der
Station Gnnja über die Save nach Brcka, ist Eigenthum der Localbahn-Gesellschaft
und wird von den ungarischen Staatsbahnen betrieben. Auf den bosnisch-hercegovinischen
Bahnen wurden im Jahre 1894 950.000 Civilreisende und 690.000 Tonnen Frachtgüter
506
befördert. Mit dem Anschlüsse der bosnisch-hercegovinischen Bahnen an den Narentahafen
in Metkovic gewann auch die Seeschiffahrt ans der Adria einen maßgebenden Einfluß ans
die Entwicklung des Verkehrswesen in Bosnien und der Hercegovina, und es bestehen
nunmehr regelmäßige Dampferverbindungen sowohl mit Triest und Fiume, als auch mit
Gravosa (Ragusa). Leider hat Bosnien keine schiffbaren Flüsse, welche in das Innere des
Landes reichen; die Binnenschiffahrt ist daher auf die Save und die Trina beschrankt,
welche letztere, Dank den unermüdlichen Arbeiten zurVerbessernng derFahrrinue, bereits von
der Mündung bei Raca bis Zvornik von seichtgehenden Dampfern befahren werden kann.
Post und Telegraph unterstehen der Militärverwaltung, welche eine Militär-
Post- und Telegraphen-Direction in Sarajevo aufgestellt hat. Diese unterhält mit allen
nur irgendwie bedeutenderen Orten einen vollkommen geregelten Post- und Telegraphen -
dienst nach den in der Monarchie hiefür bestehenden Grundsätzen, und mit vollem Rechte
kann behauptet werden, daß Bosnien und die Hercegovina in dieser Hinsicht den modernen
Culturstaaten nicht mehr nachstehen.
Da ein lebhafter Touristenverkehr ein wesentliches Moment für die Erziehung
der Bevölkerung bildet und derselben neue Erwerbsquellen aufschließt, da ferner Bosnien
und die Hercegovina mit ihren Naturschönheiten und den dort noch bestehenden orientalischen
Sitten und Gebräuchen ein specielles Interesse bieten, ist die Landesverwaltnng seit
Jahren bestrebt, den internationalen Fremdenverkehr auch nach Bosnien zu ziehen.
Dazu mußte in erster Linie das Hotelwesen auf eine den berechtigten Anforderungen
entsprechende Stufe gebracht werden. Mit der fortschreitenden Entwicklung des Handels -
verkehres waren zwar in allen größeren Orten bescheidene Gasthöfe entstanden, die
gewöhnlich von Eingewanderten aus der Monarchie betrieben werden; diese entsprachen
jedoch zumeist nicht den gesteigerten Bedürfnissen eines internationalen Touristenpublicums.
Die Landesverwaltung sah sich daher veranlaßt, an einigen wichtigeren Punkten ent -
sprechend große Hotels selbst zu erbauen, einzurichten und unter strenger Aufsicht an
geeignete Bewerber in Pacht zu geben. So entstanden die Hotels in Mostar, Jlidze, Jajce,
Jablanica, Doboj u. s. w. Dieses System hat sich ausgezeichnet bewährt. Die ins Land
kommenden Touristen sind überrascht von der vorzüglichen Unterkunft in den ürarischen
Hotels; die Reiselust wurde wesentlich gehoben, und alljährlich besucht jetzt eine große
Anzahl von Vereinen, Gesellschaftsreisenden und einzelnen Touristen aus allen europäischen
Ländern Bosnien und die Hercegovina. Dieser größere Fremdcnzug blieb auch nicht ohne
günstige Wirkung auf die an frequenteren Orten im Privatbesitze stehenden Gasthöfe. Diese
erhoben sich nothgedrnngen ebenfalls auf ein höheres Niveau. Eine weitere Unterstützung
des Fremdenverkehres bilden die von der Landesverwaltung hergestellten Diligence-
Verbindungen auf landschaftlich schönen Routen im Anschlüsse an die Eisenbahnen. So
507
verkehrt eine Diligence von Banjaluka auf der prachtvollen Vrbasthal-Straße nach Jajce;
eine solche von Bugojno über den Makljen nach Jablanica u. s. w. Endlich sei noch erwähnt,
daß alljährlich im Bade Jlidze nächst Sarajevo internationale Rennen abgehalten werden,
wodurch ebenfalls der Fremdenverkehr gefördert wird.
Kupferschmied in Mostar.
Ldaus- und Runstgewerbe.
Das Haus- und Kunstgewerbe in seiner gegenwärtigen Gestaltung ist das Ergebnis;
eines kaum anderthalb Jahrzehnte umfaßcnden Regenerirnngsprocesses. Schon mehrere
Deeennien vor der Occupation befand sich das Haus- und Kunstgewerbe in; Stadium des
vollkommenen Verfalles, und als nach erfolgter Pacificirung auch nicht bewaffnete Reisende
das Land besuchten und in den Earsija's nach bosnischen specialitäten fahndeten, waren
nur wenige Objecte zu finden, aus welchen geschlossen werden konnte, das; in Bosnien
508
Hausindustrie und Kunstgewerbe ehemals eine hohe Stufe der Vollendung behauptet
hatten. Livnoer Cigarrenspitze und schöne, alte oder neuere, ziemlich werthlose Jaglnks
(gestickte Tücher) waren fast die einzigen Souvenirs, welche man aus dem „wilden Lande"
heimbringen konnte. Nur Leute, denen die Kulturgeschichte Bosniens und der Hercegovina
geläufiger war, wußten, daß man dort nach verborgenen Schätzen suchen müsse, und sie
fanden Erzeugnisse, welche zwar auf den ersten Blick orientalischen Charakter erkennen
ließen, aber in gewisser Hinsicht ein specifisches, von den Produkten der übrigen orienta -
lischen Länder abweichendes Gepräge an sich trugen.
Die Entwicklungsgeschichte des bosnischen Haus- und Kunstgewerbes ist uns heute
noch ziemlich unbekannt. Wir wissen nur, daß Reiche und Mächtige des Landes ehemals
einen großen Werth darauf legten, die schönsten Arbeiten der einheimischen Meister ihr
Eigen zu nennen, daß sich Künstlerinnen des Schutzes der vornehmen Damen erfreuten, und
dass auf jedwede Art die Schaffenskraft der einen sowie der anderen gefördert wurde.
Die aus jener Zeit stammenden Objecte sind künstlerisch vollendet; solange Ruhe und
Wohlstand im Lande herrschten, blühten auch die verschiedenen Kunsttechniken. Aber mit dem
Eintritt der langwierigen Unruhen und der daraus entstandenen ungünstigen materiellen
Lage der Bevölkerung nahm die Zahl der Träger der verschiedenen Kunstindustriezweige
nach und nach ab, und zuletzt wurden nur Primitive Gebrauchsartikel geschaffen, bei denen
sich noch die Spuren einer schönen Ornamentik, alter guter Formbildung mit schlechtem
Materiale oder plumpen Zuthatcn in seltsamer Vereinigung zusammen finden.
Bosnien und die Hercegovina sind schon zur Zeit des byzantinischen Reiches in das
Gebiet der orientalischen Kunst einbezogen worden; doch hat sich infolge des regen
Handelsverkehres mit Ragusa und Venedig auch der italienische Einfluß geltend gemacht.
Auf diese Art bildete sich auf dem Gebiete des Kunstgewerbes und der Hausindustrie ein
selbständiger Charakterzug, welcher als bosnisch-orientalisch bezeichnet werden kann.
Nach der Übernahme der Verwaltung Bosniens und der Hercegovina durch die
österreichisch-ungarische Monarchie traten andere Verhältnisse ein. Die Einbeziehung
dieser Länder in das gemeinsame Zollgebiet der Monarchie brachte vor allem einen regen
Handelsverkehr zwischen Bosnien und den Nachbarländern zu Stande. So erfreulich
nun dieser Verkehr vom volkswirtschaftlichen Standpunkte auch war, so brachte er doch
für die bisherigen Kunsttechniken die Gefahr mit sich, daß durch die leichte Zubringung
billiger Verbrauchsartikel das einheimische Kunstgewerbe immer mehr verdrängt und
schließlich vernichtet werden könnte, — eine Erscheinung, die sich in allen orientalischen
Ländern, welche in unmittelbare Berührung mit den Erzeugnissen der europäischen
Industrie gerathen sind, gezeigt hat. Es war daher sowohl vom künstlerischen Gesichtspunkte
aus, als auch im materiellen Interesse des Landes selbst geboten, die alten einheimischen
Kunsthandwerke zu erhalten und auf die Regenerirung derselben
hinzuarbeiten. Es muß als ein unschätzbares Verdienst des
Reichsfinanzministcrs Benjamin von Kallay bezeichnet werden,
daß er gleich nach der Übernahme der obersten Leitung
Bosniens und der Hercegovina auch diesem wirthschaftlichen
Zweige seine besondere Aufmerksamkeit zuwendete. In der Erkenntniß, daß bei constantem
und planmäßigem Vorgehen auf diesem Felde in kurzer Zeit Ersprießliches geleistet
werden könne, daß aber für eine solche Thätigkeit bei einer privaten Unternehmung
weder auf Hingebung noch auf genügendes Verständniß zu rechnen sei, hat es Seine
Excellenz für nothwendig erachtet, die Angelegenheit von Staatswegen in die Hand
zu nehmen.
Bei der nun von der Landesverwaltung zur Hebung und Erhaltung der einheimi -
schen Kunsttechniken unternommenen Action wurden zwei Momente in's Auge gefaßt. Einer -
seits sollten die schönsten überlieferten Formen der alten bosnisch-orientalischen Kunst -
technik in ihrer früheren Reinheit wieder zum Leben erweckt werden; anderseits mußte
man bestrebt sein, die Arbeiten ans eine größere Anzahl dem europäischen Kulturleben mehr
zusagender Gegenstände zu übertragen, um eine Verwerthung der Erzeugnisse zu sichern.
Um dieses Ziel zu erreichen, galt es vor Allem die im Lande noch lebenden
wirklichen Meister ausfindig zu machen. Zu diesem Zwecke bereisten in: Aufträge der
Regierung zunächst Otto von Szentgyörgyi und später der bekannte Director der Kunst -
gewerbeschule des österreichischen Museums in Wien Hofrath Joseph N. v. Storck das Land.
512
Sic nahmen die spärlich vorhandenen Arbeiten einzelner Meister in Augenschein, veranlaßt»:
die Ausführung verschiedener Objecte durch ehemalige einheimische Kunsthandwerker, welche
ihren Beruf infolge mißlicher, materieller Verhältnisse anfgegeben hatten, und sammelten auf
diese Art das Material, welches zur Inangriffnahme der weiteren Action erforderlich war.
Es kann nicht unerwähnt gelassen werden, daß gerade die Forschungen des bedauerlicherweise
durch Geisteskrankheit frühzeitig seinem Berufe entzogenen Szentgyörgyi, welcher mit
unsäglicher Mühe und nie erlahmendem Eifer in Gerümpel und alten Vorrathskammern
die anziehendsten Formen und die charakteristischesten Ornamente der alten Technik zu
finden wußte, auf diesem Gebiete bahnbrechend waren. Die gegenständlichen Studien
erstreckten sich auf folgende Industriezweige: 1. Jncrnstation. 2. Tauschirarbeiten.
Z. Treiben und Graviren. 4. Teppichweberei. 5. Stickerei.
Die Technik der Jncrnstation, der Einlegearbeit auf Holz, welche sich namentlich
durch die große Feinheit der Ausführung und den außerordentlichen Neichthum an originellen
Ornamenten auszeichnete, wies zu der Zeit noch eine ziemliche Anzahl von kundigen
Vertretern in: Lande auf. Hiebei wurden drei verschiedene Nuancirnngen vorgefunden, an
die sich auch wieder die einzelnen Meister constant zu halten pflegten: Arbeiten von außer -
ordentlich feiner und zarter Ornamentik, dann solche mit starken Linien und einfachem
Ornament und endlich Arbeiten, welche diese beiden Genres zu vereinigen trachteten.
Nach den Städten, in welchen die Hauptvertreter der einzelnen Gattungen lebten, wurden
sie zur Unterscheidung Sarajevoer, Focaer und Livnoer Arbeiten genannt.
Nicht so günstig stand es mit dem Tauschiren, der Einlegearbeit auf Stahl. Die
Tauschirtechnik hat sich in Bosnien speciell bei der Decorirung von Waffen zu künstlerischer
Vollkommenheit entwickelt, ist aber nach und nach in Verfall gerathen. Nur ein einziger
wirklicher Künstler im Tauschiren, Namens Mustafa Letic, wurde in Foca vorgefunden.
Der hochbetagte Meister hatte die Ausübung seines Kunsthandwerkes bereits aufgegeben
und befaßte sich mit der Bearbeitung seiner kleinen Wirthschaft. Als man mit der
Aufforderung an ihn herantrat, den winzigen Hammer und den silbernen Draht wieder in
die Hand zu nehmen, meinte er, die Zeiten seiner Kunst seien schon vorbei. Vieler Mühe
und verhältnismäßig ansehnlicher Geldopfer hat es bedurft, um Letic dazu zu bewegen,
nur zwei Schülern Unterricht im Tauschiren zu ertheilen. Kaum ein Jahr hatte der
merkwürdige Greis sein Amt ausgeübt, als ihn der Tod seiner Thätigkeit entriß;
dennoch ist durch ihn die Tauschirkunst Bosnien erhalten geblieben.
Treib- und Gravirarbeiten waren seit langem in Bosnien heimisch. Da diese
Techniken zum großen Theile auf Gegenstände des täglichen Gebrauches angewendet wurden,
so fand man stets auch zahlreiche Vertreter dieses Industriezweiges im Lande. Der Verfall
derselben lieferte aber auch den deutlichsten Beweis für die eingetretene Verarmung der
513
Bevölkerung und für das damit zusammenhängende Verschwinden des Kunstsinnes.
Wiewohl es unzählige Familien gegeben hat, in denen dieses Gewerbe vererbt wurde, so
fand sich doch beim Beginn der Regenerirung dieser Technik kein einziger Meister, welcher
wirklich Vollkommenes und den ehemaligen Arbeiten Gleichwerthiges hätte schaffen können.
Die Teppichweberei als Gegenstand des Hausfleißes stand ehemals in Bosnien
auf bedeutender Höhe. Der Teppich bildet bekanntlich das Haupteinrichtungsstück der
orientalischen Wohnung; auch in Bosnien ward daher die größte Sorgfalt auf die
Kunstgewerbliches Atelier der Negierung in Sarajevo.
Erzeugung dieses wichtigen Artikels verwendet. Der allgemeine wirthschaftliche Verfall
hatte aber auch diesen Industriezweig nicht unberührt gelassen, und seit dem Beginn der
zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts waren gute Arbeiten eine Seltenheit. Das billigste
Wollmaterial wurde verarbeitet, und Anilinfarben verdrängten die alten guten Farbstoffe.
Mit Stickereiarbeiten beschäftigte sich die ganze Frauenwelt Bosniens, sowohl
der Harem des Reichen, als auch die Frauen der ärmlichen Bauernhütte. Doch auch diese
Arbeiten, welche in der Blütezeit eine solche Vollkommenheit aufwiesen, daß sie mit den
europäischen Stickereien jede Concurrenz aufnehmen konnten, waren in der Zeit des
Verfalles heruntergekommen. Desgleichen hatte auch die Erzeugung feiner Bezsorten
(bosnische Leinwand) beinahe gänzlich aufgehört.
Bosnien und Hercegovina.
514
Die Regenerirung der erstgenannten kunstgewerblichen Gruppen wurde seitens der
Landesverwaltung in der Weise vorgenommen, daß anfangs die tüchtigsten Arbeiter als
Lehrer in den subventionirten Ateliers angestellt und ihnen einzelne Jünglinge als Schüler
zugewiesen wurden. Die gedachten Ateliers wurden mit den entsprechenden Werkzeugen
ausgestattet, und den Meistern wurde auch das zu verarbeitende Material zur Verfügung
gestellt. Die in den Ateliers ausgeführten Arbeiten, welche vom Ärar angekauft wurden,
verwendete man zur Sondirung der Marktverhältuisse, wozu die in der Monarchie und dem
Auslande veranstalteten Ausstellungen die beste Gelegenheit boten. In kurzer Aufeinander -
folge wurden die Erzeugnisse des bosnisch-hercegovinischen Haus- und Kunstgewerbes in
Budapest, Agram und Temesvar, in Triest und Wien, in Karlsruhe, Paris und Brüssel
ausgestellt. Die erste Betheiligung im größeren Stile war die an der land- und forstwirth-
schaftlichen Ausstellung in Wien im Jahre 1890. Um eine sichere Basis für die weitere
Hebung der einheimischen Kunsttechniken zu gewinnen, wurde den bei der gedachten Aus -
stellung in Verwendung gestandenen Regierungsorganen zur Pflicht gemacht, alle irgend -
wie bemerkenswerthen Äußerungen der Ausstellungsbesucher zu notiren und diesbezüglich
eompetenten Ortes Meldung zu erstatten. Nach Schluß der Ausstellung legte der
Verfasser dieser Zeilen einen Generalbericht vor, in welchem er, nachdem die ausgestellten
Objecte den ungetheilten Beifall der sachverständigen Kreise gefunden, sich des lebhaftesten
Interesses von Seite des Publicums erfreut hatten, und die Kauflust von Tag zu Tag
eine größere geworden war, beantragte, daß der eingeleiteten Action ein größerer Umfang
verliehen werde. Dies führte zur Gründung eines Central-Regierungsateliers für
Inkrustation, Tauschten und metallurgische Arbeiten (Treibe-, Gravir-, Montirungs- und
Vergolderarbeiten) in Sarajevo. Das Centralatelier, welches die Form einer kunst -
gewerblichen Schule nebst Internat hat, ist folgendermaßen organisirt. An der Spitze
steht ein Director, welchem die artistische, sowie die administrative Leitung der Anstalt
anvertraut ist. Jeder Gruppe steht ein Meister als Lehrer vor, welchem Gehilfen und
Zöglinge unterstellt sind. Die Arbeitsdauer im Atelier ist eine zehnstündige, und ebenso
werden für den Unterricht täglich zehn Stunden verwendet, wovon acht auf den praktischen
und zwei auf den theoretischen Unterricht entfallen. Der theoretische Unterricht umfaßt Lesen,
Schreiben, Rechnen, Religion und Zeichnen, auf welch letzteres das Hauptgewicht gelegt
wird. In das Internat werden nur arme Zöglinge ausgenommen. Die Mittagskost
erhalten sowohl Meister als auch Gesellen und Zöglinge unentgeltlich in der Anstalt. Nach
vierjähriger Lehrzeit werden die Zöglinge einer theoretisch-praktischen Prüfung unterzogen
und wenn sie die letztere bestehen, zu Gesellen befördert. Jenen Gesellen, welche die
Anstalt verlassen, um sich selbständig zu etabliren, wird von dem Ärar das ganze
erforderliche Werkzeug gescheukweise überlassen. Die Entlohnung des Personales erfolgt
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monatlich, und zwar erhalten Meister 45 bis 65 Gulden, Gesellen 15 bis 30 Gulden, und
auch an Zöglinge werden Unterstützungen im Betrage von 3 bis 12 Gulden monatlich
verabfolgt. Außerdem erhalten die Meister eine vierprocentige Tantieme von dem effectiven
Werthe der vom Atelier gelieferten Arbeiten. In der kunstgewerblichen Anstalt in Sarajevo
sind derzeit thätig: 1. Atelier für Holzincrustation: 1 Meister, 6 Gesellen, 6 Zöglinge.
2. Atelier für Stahl- und Bronce-Tauschirung: 1 Meister, 4 Gesellen, 9 Zöglinge.
3. Graviratelier: 1 Meister, 3 Gesellen, 7 Zöglinge. 4. Kupfertreibatelier: 1 Meister,
2 Gesellen, 7 Zöglinge und 5. Monteuratelier: 1 Meister, 4 Gesellen, 4 Zöglinge.
Aus einem Teppichwebe-Atelier in Sarajevo.
Durch die Gründung des Centralateliers in Sarajevo hat die Thätigkeit der von
der Regierung subventionirten Jncrustationsateliers des Risto Sundurika in Foca und
des Anto Manne in Livno nicht aufgehört, sie arbeiten vielmehr auch derzeit für Rechnung
der Regierung, das letzgenannte auch in eigener Regie für den Handel.
Wie bei den obigen kunstgewerblichen Zweigen wurde auch die Action zur Hebung
der Teppichweberei inscenirt. Doch musste bei diesem Industriezweige wegen der Con-
eurrenz des europäischen Marktes mit weitgehendster Vorsicht vorgegangen werden. Infolge -
dessen wurde auch hier nicht die Action auf das ganze Land ausgedehnt, sondern vor
Allem nur ein Regierungsatelier in Sarajevo gegründet, welches einerseits die Aufgabe
hatte, durch Zurückgreifen auf die alten guten Muster, durch eine sorgsame Auswahl des
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besten einheimischen Wvllmateriales und guter Farbstoffe tadellose Produete herzustellen,
sowie unter Benützung von fremdländischem feinem Materiale durch die hervorragende
Kunstfertigkeit der einheimischen Weberinnen auch den westeuropäischen Anforderungen
entsprechende Erzeugnisse ans den Markt zu bringen, anderseits aber Absatzgebiete außer -
halb des Laudes zu erobern. Der Werth der bosnischen Teppiche liegt hauptsächlich in deren
orientalischem Charakter. Um diesen in Bosnien ziemlich verblaßten Charakter mit Sicherheit
und Raschheit aufzufrischen, erschien es am zweckmäßigsten, auf die eigentliche Heimstätte
dieser Kunst, den Orient selbst und insbesondere Persien zurückzugreifen. Demzufolge
wurde für die Teppichindustrie ein persischer Maler engagirt, der nicht nur die alten
Muster in ihrer elastischen Reinheit herzustellen, sondern auch neue, echt orientalische
Vorlagen zu entwerfen hat. Vor mehr als vier Jahren hat man in dem Regierungsatelier
auch das Knüpfen von Teppichen eingesührt und hiebei hervorragende Erfolge erzielt. In
jüngster Zeit werden auch Gobelins gewebt. Für die Hebung der Bezfabrication und der
Stickerei wird auch in der Weise Sorge getragen, daß die von der Landesverwaltung
errichtete Factorei den einzelnen Arbeiterinnen Webstühle zur Verfügung stellt und ihnen
außerdem das Material vorschußweise ausfolgt.
Der Stand der mit der Teppich- und Bezweberei und mit dem Sticken beschäftigten
Arbeiterinnen stellt sich derzeit folgendermaßen zusammen: 1. Teppichweberei und Knüpferei:
u) im Atelier in Sarajevo 112 Arbeiterinnen auf 48 Webstühlen, 2 Abrichterinnen,
7 Spulerinnen, b) außerhalb des Ateliers in Sarajevo 10 Arbeiterinnen auf 5 Webstühlen,
e» in Kresevo 78 Arbeiterinnen auf 39 Webstühlen, sohin zusammen 209 Arbeiterinnen
ans 92 Webstühlen. 2. Bezweberei und Stickerei: u) im Atelier in Sarajevo arbeiten
32 Stickerinnen, 5 Weberinnen, b) außerhalb des Ateliers in Sarajevo 56 Stickerinnen,
30 Weberinnen, c) in Travnik 24 Stickerinnen, 16 Weberinnen, sohin zusammen
112 Stickerinnen, und 51 Weberinnen. Auch im Jahre 1898 wurden die Errungenschaften
auf dem Gebiete des bosnisch-hercegovinischen Haus- und Knnstgewerbes in der
Jnbiläums-Ausstellung zur Schau gebracht.
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