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SKULPTUREN DER FRÜH- UND HOCHGOTIK
bearbeitet von Richard Ernst
Von den früh- und hochgotischen Bildwerken des Domes bilden
die Baldachinstatuen des Frauenchores mit der Anna Selbdritt
die älteste Gruppe. Die Anna Selbdritt stand in einem der Balda
chine des Südturmes. Ihr älterer kubischer Aufbau unterscheidet
sic sinnfällig von dem hochgotischen Statuenwerk des Turmes,
an den sie aus älterem Baubestand versetzt worden ist.
Die Dienstboten-Madonna, ein Hauptwerk der österreichischen Pla
stik des Mittelalters, repräsentiert den hohen klassischen Stil um
1320, wie die Madonna von Klosterneuburg, deren kunstgeschicht
liche Vorstufen die Frühwerke aus der Wiener Dombauhütte
bilden (Anna Selbdritt, Mutter Mariä, Thronende Madonna).
Dem vierten bis fünften Jahrzehnt gehören sechs Apostelstatuou
des Südchores an, in dem von Frankreich und an der Kathedral-
plastik West- und Süddeutschlands entwickelten Stil des zweiten
Jahrhundertviertels; die edelste und bedeutendste Gestaltung dieser
Richtung unter den Bildwerken der Wiener Bauhütte ist der
Salvator von der Eingangshalle des Südturmes. Zu den Monu
menten aus dem zweiten Viertel des 14. Jahrhunderts gehören
drei Baldachinstatuen der Eligiuskapelle: S. Afra, S. Ludmilla
und die Statue ohne Attribut (vermutlich S. Barbara). Die soge
nannte Hausmutter-Madonna der Eligiuskapelle, ein Schnitzwerk
aus der Zeit um 1330, gehört nicht zum ursprünglichen Werk
bestand des Domes; sie ist erst 1784 aus dem säkularisierten
Himmelpfortkloster übertragen worden. Zum alten Bestand der
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