20 so sind sie doch weit entfernt von Kaprows Behauptung, sie wären aufgrund ihrer Größe «Environments geworden«.“' Kaprows eigenes Werk erreichte diesen Status 1958; das von Poiiock erlangte ihn nie, doch zeigt dieses Beispiel die Ten denz von Künstlern, ihre eigenen Ziele auf Pollocks umfas sende Vision zu projizieren. Wiederum in einer Vorwegnahme seiner eigenen Happenings konstatierte Kaprow in seiner Aus einandersetzung mit Pollock: »Was wir dann haben, ist eine Art Kunst, die dazu neigt, ihre Grenzen zu überschreiten; die dazu tendiert, unsere Welt mit sich zu füllen; eine Kunst, die in ihrer Bedeutung, ihrer äußeren Erscheinung, ihren Impul sen ziemlich scharf mit einer Maleneitradition zu brechen scheint, die mindestens bis zu den Griechen zurückreicht. Pollocks annähernde Zerstörung dieser Tradition könnte sehr gut eine Rückkehr an jenen Punkt bedeuten, an dem die Kunst aktiver an Ritual, Magie und Leben beteiligt war, als wir es in unserer jüngeren Vergangenheit erlebt haben.«® Schließlich schreibt Kaprow in einer überraschenden These Pollock die Verantwortung für das Ende der Malerei zu: »Die andere (Alter native) ist, das Herstellen von Bildern ganz aufzugeben; damit meine ich das einzelne flache Rechteck oder Oval, das wir kennen.«® Diese prophetische Deklaration war eine treffendere Lesart von Pollocks Erbe als die gemeinhin akzeptiertete Alternative der späten fünfziger Jahren - die Farbfeldmalerei. Obwohl Pollock Kaprows Einschätzung wahrscheinlich von sich gewiesen hätte, sollte sich die abschließende Spekulation dieses legendären Artikels als visionär herausstellen. Kaprow schrieb: Pollock, so wie ich ihn sehe, ließ uns an einem Punkt zurück, wo wir uns mit dem Raum und den Gegenständen unse res Alltagslebens beschäftigen mußten, und sogar durch sie verwirrt sein mußten; mit unseren Körpern, Kleidern, Räumen, oder nötigenfalls mit der Größe der Forty- Second Street. Da wir mit der Anregung unserer Sinne durch Farbe nicht zufrieden sind, werden wir das spezifische Material von Sicht, Klang, Bewegungen, Menschen, Ge rüchen, Berührungen verwenden. Objekte aller Art sind Materialien der neuen Kunst: Farbe, Stühle, Nahrungsmittel, elektrischesund Neon-Licht, Rauch, Wasser, alte Socken, ein Hund, Filme, tausend andere Dinge, die die heutige 4 Allan Kaprow, »The Legacy of Jackson Pollock«, in: Art News, 57, 6, Oktober 1958, S.56. 5 Ibid. 6 Ibid. 7 Ibid., S. 57. Künstlergeneration entdecken wird. Diese kühnen Er finder werden uns nicht nur die Welt, die immer um uns herum existierte, die wir aber übersehen haben, zeigen, als wäre es das erste Mal, sondern sie werden uns auch bis dahin vollkommen unerhörte Happenings und Events offenbaren, die sie in Mülleimern, Polizeiakten und Hotel foyers gefunden, in Schaufenstern und auf der Straße ge sehen, und in Träumen und furchtbaren Unfällen gespürt haben.«' In dieser Passage werden Happenings und Events zum ersten Mal als das Erbe von Pollocks Pionierleistungen defi niert. Über zwei Jahrzehnte später, im Jahr 1979, fast dreißig Jahre nach der Veröffentlichung der ersten Photographien, die Namuth von Pollock gemacht hatte, thematisierte die Kunst historikerin und Kritikerin Barbara Rose die Bedeutung der Dokumente von Pollocks Malprozeß. Sie würdigte die mythenbildende Wirkung, die von Namuths Photographien auf Kritiker und Künstler gleichermaßen ausgegangen war, und erinnerte sich daran, daß »Namuths Photographien von Pollock bei der Arbeit stärkere Verbreitung fanden, als Art News im Mai jenes Jahres (1951) eine Serie von Schwarzweiß aufnahmen publizierte, die Robert Goodnoughs »Pollock Paints a Picture« illustrierten. Am 14. Juni 1951 zeigte das Museum of Modern Art den Farbfilm über Pollock beim Malen. Seit diesem Moment hefteten sich die Bilder von Pollock in Aktion seinem Werk als zusätzliche Bedeutungen an, und zwar in einem solchen Maße, daß sie die Wahrnehmung seiner Bilder zu prägen begannen.«* Zu Kaprows Artikel bemerkt Rose, daß das, »was Kaprow sah ... und ich fürchte, daß er es in Namuths Photographien und nicht in Pollocks bewußt kontrollierten Gemälden sah, die befreiende Möglichkeit eines ungehemmten Ausagierens war - Katharsis durch Kunst«.® Sie fährt mit der Feststellung fort, daß »Namuths Photos und sein Film über Pollock ein weitaus größeres Publikum beeinflußten als die Gemälde« (das glei che gilt für viele andere Künstler in dieser Ausstellung, deren Werk durch die photographische Dokumentation jenes Pro zesses vermittelt wurde, in dem es entstand).'“ Rose schließt mit der Feststellung: »Zudem enthielten die Photographien des 8 Barbara Rose, »Hans Namuth’s Photographies and the Jackson Pollock Myth: Part One: Media Impact and the Failure of Criticism«, in: Arts Magazine, 53, 7, März 1979, S. 112. 9 Ibid., S.114. 10 Ibid., S. 115.