71 Ben Vautier, Le magasin de Ben (Bens Laden), 1962. Besitz des Künstlers wesentlich enger mit dem Avantgarde-Komponisten und der neuen Musik im allgemeinen verbunden. Der international aus gerichteten Bewegung, die sich in den frühen sechziger Jah ren zu bilden begann, gehörte eine Vielzahl der verschieden sten Künstler und Komponisten an. Der Begriff selbst wurde 1961 von George Maciunas, dem einflußreichsten Vorreiter der Bewegung, geprägt. Wie Owen F. Smith in seinem 1993 er schienen Essay »Fluxus: A Brief Flistory« schrieb: »Maciunas nutzte die lexikalische Definition des Worts Flux, um Fluxus zu definieren: >Akt des Fließens: ein kontinuierliches Wei terziehen oder Vorüberfließen, im Sinne eines fließenden Stroms; eine fortwährende Veränderung der Dinge.« In Einklang mit dieser Definition als sich unablässig verändernder Prozeß wurden die Gegensätze, die allen Fluxus-Aktivitäten und -Ideo logien eigneten, zum natürlichen Bestandteil seines Impulses.«® George Brecht, einer der wichtigsten Künstler der Fluxus-Bewe gung, besuchte Cages Unterricht in experimenteller Kompo sition an der New School for Social Research. Brecht wurde für seine Events bekannt, für die er Instruktionen wie musi kalische Notationen niederschrieb, die von jedermann aus geführt werden konnten. Einer seiner wohl bekanntesten Events, Three Aqueous Events (1961), ist zugleich einer sei ner poetischsten. Die Notation bestand nur aus einer Tabelle mit den Worten: Eis, Wasser und Dampf. Dennoch hatten die meisten von Brechts Events etwas mit der Manipulation von Objekten zu tun. Die Notation von Ladder, die in einer ver packten Sammlung von Notationen mit dem Titel Wafer Yam (1963) enthalten ist, lautet zum Beispiel: »Male eine einzige gerade Leiter weiß an. Male die untere Sprosse schwarz an. Verteile Spektralfarben auf den Sprossen dazwischen.« Reklamen für speziell bemalte Leitern, die zum Preis von $150 erhältlich waren, erschienen in der dritten Ausgabe des Flu xus-Magazins im März 1964, obgleich nicht bekannt ist, ob sie je als eine von Maciunas’ Fluxus-Editionen hergestellt worden sind.® Brecht stellte ebenfalls Objekte her, die explizit in Zusammenhang mit seinen Events standen: Seine Spiele und Puzzles waren zum Beispiel über Fluxus erhältlich. In vielerlei Hinsicht waren solche Objekte die wohl typischsten Fluxus-Performance-Skulpturen dieser Zeit. Ein anderer Fluxus-Künstler, dessen Arbeiten als Perfor mance-Skulpturen bezeichnet werden können, ist Ben Vau tier. Bereits vor Oldenburgs The Store kreierte Vautier, ein enger Freund von Klein, der überall als Ben bekannt war, Le maga sin (begonnen 1960), das sich unmittelbar aus seiner Tätig keit als Beschaffer von Schallplatten und anderen Gegen ständen der Jugendkultur entwickelte. In einem verzweifelten Versuch, mehr Aufmerksamkeit auf seinen Laden zu ziehen, der, wie er irrigerweise annahm, seine sonstigen künstlerischen Anstrengungen finanzieren könnte, inszenierte Vautier eine Reihe von Events und Happenings, die zumindest seinen geschäftlichen Tätigkeiten mehr Öffentlichkeit eintragen soll ten. Dieses Unterfangen würde in weiterer Folge in seinen künstlerischen Aktivitäten die Grenzen zwischen Kreativität und unternehmerischer Initiative verwischen. Ähnlich wie Klein und Manzoni nutzte er den Vorgang des Signierens, um alltägli che Verrichtungen zu Kunstwerken zu weihen, wie er dies in Tout est Art (1960-61) tat. Diese Vorgangsweise betraf auch das Publikum. In einem faustischen Akt stellte er Urkunden her, mit denen er bestätigte, daß dieser oder jener willige Mit wirkende ihm seine Seele verkauft hatte. In Annonce de mon Enterrement bestätigte urkundlich er seinen eigenen Tod und den Kleins, und 1961 stellte er in Vivon, Frankreich, eine beweg liche Skulptur her, die des Körpers eines willigen Mitwirkenden bedurfte. Ähnlich wie Oldenburg stellte Vautier sich selbst ins Zentrum seines lebenden Bilds und machte seinen Körper zum Vermittler zwischen Environment und Betrachter. Wie Kristine Stiles in ihrem 1993 erschienen Essay »Between Water and Stone: Fluxus Performance: Ä Metaphysics of Acts« anmerkt: 52 Owen F. Smith, »Fluxus; A Brief History«, in: In the Spirit of 53 Vgl. Jon Hendricks, Fluxus Codex, New York 1995, S. 202-203. Fluxus, Ausst.-Kat., Walker Center for the Arts, Minneapolis 1993, S.24.