101 als Lebensformen denn als Performance zu sehen sind. Seine frühen Werke waren nicht auf Publikumsbeteiiigung ange legt, sondern bestanden darin, daß er sich beispielsweise als Frau verkleidete und zwei Jahre lang das Milieu von Transve stiten und Transsexuellen frequentierte oder sich ein Jahr lang als geistig Behinderter ausgab und den Kontakt zu Menschen mit extremen körperlichen Mißbildungen suchte, um sein eige nes Aussehen an das ihre anzugleichen. Obwohl Ulay seine Aktionen durchaus dokumentierte, bestand ein entscheiden der Aspekt seiner Aktivitäten für ihn darin, diese Dokumenta tionen nicht auszustellen, im Unterschied zu den meisten Künstlern, die ihre Aktionen auf Photographien festhielten, stellte Ulay die kommerzielle Natur wie auch die Wahrhaftig keit dieser Aktivitäten massiv in Frage.®’ Gemeinsam schufen Abramovic und Ulay eine Serie von Arbei ten, die sich in einer Weise mit Geschlecht, Sexualität und Ver trauen auseinandersetzten, wie es für einen einzelnen Künst ler unmöglich gewesen wäre. Ihre erste Performance Re/af/on in Space (1976), die für die Biennale in Venedig entstand, bein haltete eine einfache Situation mitzunehmendem Risiko: »Zwei Körper gehen wiederholt aneinander vorbei und berühren sich. Sie werden schneller und prallen schließlich zusammen. Zeit 58 Minuten.« In Imponderabilia (1977) sah sich das Publikum zu einer direk ten und intimen sowohl körperlichen als auch psycho logischen Konfrontation mit den Künstlern gezwungen. »Wir stehen uns nackt im Haupteingang des Museums gegenüber. Die Museumsbesucher müssen sich seitwärts zwischen uns hindurchzwängen. Jede Person muß sich entscheiden, wen von uns sie dabei anschaut. Zeit 90 Minuten.« Im gleichen Jahr benutzten sie einen ausrangierten Cifroen-Polizeibus, den sie seit ihrer ersten Begegnung gemeinsam bewohnten und in dem sie bis Ende der siebziger Jahre leben würden, als Ausdruck ihrer »Beziehung in Bewegung«. Die Spur, die sie bei Relation in Movement mit ihrem Bus auf dem Platz vor dem Musee d Art Moderne de la Ville de Paris hinterließen, existierte nicht nur 81 Ibid. im Gedächtnis der Zuschauer, sondern auch auf dem Platz selbst. Ulay verkündete: »Ich fahre mit dem Wagen für unbe stimmte Zeit im Kreis herum«, und Abramovic: »Ich sitze und bewege mich für unbestimmte Zeit im Kreis und rufe die Anzahl der Runden mit dem Megaphon aus«. Sie hielten dies 16 Stun den lang durch, bis der Bus begann, Öl zu verlieren, und auf dem gepflasterten Platz eine sichtbare Ölspur zurückließ. Die ringförmige Spur, die ihr Auto hinterließ - als deren Vorläufer nicht nur der Autoabdruck von Rauschenbetg-Cage, sondern auch auch die Spuren von Kanayamas ferngesteuerten Miniaturautos gelten können-, wurde für Abramovic und Ulay zum öffentlichen Symbol ihrer Beziehung, die der Gegenstand ihrer Kunst war. In Rest Energy (1980) demonstrierten sie schließlich vor aller Welt das Vertrauen, das sie einander entgegenbrachten: Abramovid hielt einen Bogen, und Ulay spannte die Sehne und richtete einen Pfeil auf ihr Herz. Im Unterschied zu Bürden, der mit Mitte zwanzig bereits inter national bekannt war, blieb Paul McCarthys Wirkungskreis als Performance-Künstler dreißig Jahre lang auf eine treue, aber relativ kleine Anhängerschaft in Los Angeles beschränkt, bevor seine komplexen kinetischen Erzähl-Tableaux schließlich ein größeres Publikum anzogen. Während seines Studiums an der Universität von Utah inszenierte McCarthy 1969 mehrere er schreckend gefährliche Performances, in denen er sich der Schwerkraff als tafsächliches und mefaphorisches Aus drucksmittel bediente. In Too Steep, Too Fast-1969 in Marin County uraufgeführt - warf er sich selbst, in Mountain Bow ling - im gleichen Jahr in Salt Lake City uraufgeführt - einen Bowlingbail einen steilen Abhang hinunter. Es entstanden geschoßartige Fallkurven, die augenscheinlich die Tradition, eine Linie »aufzuführen«, fortsetzten, vergleichbar mit Paiks Zen forHead als Hommage an La Monte Youngs Linienkom position und in Anlehnung an Manzoni, Rauschenbetg-Cage und Byars. Wie der Kritiker Ralph Rugoff beschrieb, »robbte (McCarthy) in Face Painting - Floor, White Line (1972) über den Boden seines Ateliers, schob mit dem Kopf und Rumpf