146 Akira Kanayama, Bio logischer Ballon, 1958 kürzlich bei Bataille beschrieben haben.^o Auch die Be ziehung zur Arte Povera, die sich später in Italien ent wickelt hat, ist eine Untersuchung wert.^i Die Künstler wählten nicht nur konventionelle Materialien wie Farbe oder Bronze, um ihre Aktionen durchzuführen und deren Spuren zu bewahren, sondern auch aus drucksstarke und schwer zu handhabende Stoffe wie Lehm oder Holzklötze, Gips und Metall. Als Orte für ihre Aktionen bevorzugten die Künstler große Räume (Büh nen oder im Freien) oder riesige Bilder, die als Feld bezeichnet werden können. Die Aktionen führten nicht selten zu Verletzungen: Nach der Aufführung von Zer reißen von Papier litt Murakami unter einer Gehirner schütterung, und Shiragas Körper war nach seinem Kampf mit dem Lehm mit blauen Flecken und Kratzern übersät. Shiraga war es, der die Bedeutung dieser Aktionen schriftlich zum Ausdruck brachte. Etliche seiner Beiträge in der Zeitschrift Gute! waren als Ergänzung zur im Gutai Art Manifesto festgehaltenen Theorie des Materials gedacht. So schrieb er z. B.: »Alle meine Gedanken ziel ten darauf ab, Kunst, die ein Ausdruck des menschli chen Geistes ist, auf Körperlichkeit zu reduzieren«22. Diese Körperlichkeit nannte er »wesenhaft«: »Das Wesenhafte, das ich meine, ist nicht fragil wie dasjenige, das wir bisher mit »Eigenschaft« bezeichnet haben und das zu keiner Weiterentwicklung fähig ist, sondern es ist die Vereinigung von Geist und Körper, die sich erst durch das Leben vollzieht und auf den Körper, mit dem wir geboren wurden, gegründet ist.«23 Shiraga fährt fort, daß er zur Schaffung seines Werks aus rotbemalten, mit einer Axt bearbeiteten Holzklötzen (auf der Open-Air-Ausstel- lung) durch den Gedanken inspiriert wurde, daß es ihn vielleicht weiterbrächte, wenn er sich körperlich so ver ausgabte, daß ihm schwindelte.^'t Die Reduzierung von Ausdruck auf Körper und Material war ein Konzept, das den radikalen Künstlern und Kriti kern dieser Zeit bis zu einem gewissen Grad gemeinsam war. So schrieb Yoshihara in seinem Manifest, daß seiner Einschätzung nach sowohl Pollocks als auch Georges Mathieus Bilder einen Kampf mit dem Material ausfochten. Eine Erklärung von Jean Dubuf- fet, die noch vor den Aktivitäten der Gutai-Gruppe entstand, ähnelt dem Gutai Art Manifesto-, »Kunst wird durch das Material und das Werkzeug hervorge bracht. Sie muß die Spuren des Werkzeugs und den Kampf mit dem Material hinter sich lassen. Der Mensch muß sprechen. Doch auch das Werkzeug sollte spre chen, und ebenso das Material.«^^ Und schließlich schrieb Asger Jorn - eine der zentralen Persönlichkeiten der COBRA-Gruppe und Vertreter einer einzigartigen expressionistischen Bewegung in Skandinavien -, als wollte er Shiraga antworten: »Man kann sich nicht rein psychisch ausdrücken. Ausdruck ist ein körperlicher Akt, der dem Gedanken materielle Form verleiht. Psychi scher Automatismus ist daher eng mit körperlichem Automatismus verknüpft.«^^ Jorns Worte deuten an, daß die Aktionen der Gutai- Gruppe im Kontinuum der Geschichte als eine radikale Form von Automatismus gesehen werden können. Die Gutai-Künstler waren sich dessen durchaus bewußt. In seinem Manifest beschäftigt sich Yoshihara auch mit Shiragas und Shimamotos Action painting: »Als das Wesenhafte des Individuums sich im Schmelztiegel des Automatismus mit den gewählten Materialien vereinigte, waren wir von der Gestalt des uns noch unbekannten Raums, den nie jemand zuvor erblickt oder erfahren hatte, überwältigt.« Das ist die Revolution des Raums der bildenden Kunst, den die Innovation des Automatis mus hervorgebracht hat, wobei Shiragas Auffassung vom »Wesenhaften« des Individuums als Prämisse dient. Auch die Surrealisten, die sich für die assoziative Qua lität von Bildern interessierten, die sich Abzug- oder Frottagetechniken verdankten, vertraten den Automatis mus in der Kunst. Max Ernst schrieb über die Wirkung der Frottage auf seine Psyche: 20 Für weitere Einzelheiten über das wachsende Interesse an Batailles Ideen und ihrer Bedeutung für die Kunst siehe den fol genden Ausstellungskatalog, der auch Shiragas Werke enthält: Yves-Alain Bois und Rosalind Krauss, L’informe: mode d'emploi, Paris, 1996. 21 Barbara Bertozzi. »On the Origin of the New Avant-Gardes: The Japanese Association of Artists Gutai«, in: Gutai Japanese Avant-Garde 1954-1965, Darmstadt 1991. 22 Kazuo Shiraga. »Shishitsu ni tsuite« (Über das »Wesenhafte«), in: Gutai, 5,1. Oktober 1956, o. S. 23 Ibid. 24 Transkription meines Interviews mit Kazuo Shiraga (wie Anm. 6), S. 380. 25 Jean Dubuffet, Prospectus aux Amateurs de Tout Genre, Paris 1946, S.56. 26 Asger Jorn, »Discours aux Pingouins«, COBRA 1, 1949, S. 8.