Genpei Akasegawa, Tausend-Yen-Schein-ProzeB, 1966 “Yomiuri Independant«-Ausstellungen: Als konfrontativ kann sowohl Yoshimura gelten, der ein mit Schwefel säure bedecktes Blech zertrümmerte, wie auch Shira- gas Aktion mit der Axt oder Shimamotos automatisti- sche Aktion für die Bühnenausstellung. Während die Gutai-Künstler jedoch die ästhetische Dimension der durch die Aktion geschaffenen Objekte zu erweitern suchten, warfen jüngere Künstler in Tokio das, was sie geschaffen hatten, nach Beendigung der Aktion beden kenlos weg. Der hohe Berg aus Abfall, der sich zu jener Zeit vor Shinoharas Atelier auftürmte, macht dies nur allzu deutlich. Mit Ausnahme einiger Werke von Shusaku Arakawa sind keine Werke der Neo-Dadaism Organizers erhalten.^s Es gab einige Installationen, die in der Ausstellung selbst gezeigt werden sollten, aber bei den verwendeten Mate rialien - Glasscherben, Scheuerbürsten, Sand, Schwe felsäure, mit Urin beschmutztes Bettzeug - handelte es sich um Abfall, der sich einer adäquaten Beschreibung entzog. Den Künstlern lag offenbar nichts am Erhalt ihrer Werke. Glücklicherweise existieren von einigen Arbeiten Photographien, dennoch gibt es zahlreiche Werke, deren Existenz nur durch Ausstellungskritiken oder Tage bücher zu belegen ist: Das Objekt wurde nicht als Mani festation einer ästhetischen Sensibilität verstanden, son dern als Zeugnis einer Aktion. Tapies Vorschlag, Shino- hara solle seine »Aktionsplastik« - die nur aus Müll bestand - aus Bronze erzeugen, zeigt den Abgrund an, der sich zwischen Kritikern und Künstlern zu dieser Zeit auftat.36 Tetsumi Kudö erklärte: »Das Wichtigste ist für mich nicht, daß ich meine Werke schaffe, sondern wie ich lebe. Meine Werke sind einfach da, während ich aufs Klo gehe, esse oder rede wie jetzt eben.«37 (Diese Worte erinnern an de Kooning, der Leben und Werk ebenfalls auf die gleiche Stufe stellte.^s) Die Objekte, die auf den 35 Bisher hat es keinerlei Retrospektiven zu den Neo-Dadaism Organizers oder den »Yomiuri Independant«-Aussteilungen gegeben, mit Ausnahme einer Ausstellung im Fukuoka Art Museum aus dem Jahr 1993, die das Werk der Neo-Dadaism Organizers in Form von Photographien vorstellte. Die Haupt ursache für diesen Mangel an Ausstellungen ist, daß die meisten Werke heute nicht mehr existieren. Auch die kyushu-ha legte wenig Wert auf den Erhalt ihrer Werke. Siehe Kuroda, »Isetsu: Bijutsu undou to shiteno Kyushu-ha« (wie Anm. 17). 36 Shinohara, »Zenei no michi 3«, in: Bijutsu Techö, April 1966, S.119. 37 Tetsumi Kudo, »Zadankai: wakai bokenha wa kataru«, (Diskussion junger Abenteurer), in: Bijutsu Techö, August 1961. frühen Open-Air-Ausstellungen der Gutai-Gruppe ge zeigt wurden, existieren zum Großteil heute nicht mehr, da die Orte, an denen sie präsentiert wurden, sich ihrer Erhaltung entgegenstellten. Obwohl die jungen Künstler ihr Werk zum Schluß oft zer störten, waren ihre Aktionen und Objekte keineswegs beliebig. Vielmehr setzten sie ihre Werke wirkungsvoll und mit klaren Strategien in Szene. Dies zeigt beispiels weise die erste Ausstellung der Neo-Dadaism Organi zers, die wegen ihrer ausgefallenen Aktionen frühzeitig abgebrochen wurde. Da es schwierig war, Ausstellungs orte zu finden, verließ sich die Gruppe mehr und mehr auf die »Yomiuri Independant«-Ausstellungen, die Aus drucksfreiheit und ein breites Publikum garantierten. Dort Anerkennung zu finden wurde bald zur Raison d’etre für alle Künstler, und Jahr für Jahr wurden Werke gezeigt, auf die sie ihre ganze Energie konzentriert hatten. Der Ort war erfüllt von einem überwältigenden Gefühl der Begeisterung, das Shuzo Takiguchi zu der Bezeich nung »freies Spektakel« veranlaßte. Ohne die »Yomiuri Independant«-Aussteilungen hätte sich die japanische Kunst der sechziger Jahre kaum in dieser Intensität ent wickeln können. Die sorgfältige Wahl der Präsentationsorte zeigt, daß die Aktionskünstler durchaus wußten, wie wichtig es war, gesehen und photographiert zu werden. Wie Raiji Kuro da betont, war dies die Zeit, in der Fernsehen und Wochenzeitschriften - die visuellen Medien - sich rapide ausbreiteten, und die Neo-Dadaism Organizers waren sich dieses Einflusses wohl bewußt.'to Die Medien waren von den unerhörten Aktionen der Künstler fasziniert, die Künstler wiederum führten ihre Werke regelmäßig an Stränden und in Ateliers auf und stimmten ihre Aktionen sorgfältig auf die Redaktionstermine der Zeitschriften und Fernsehprogramme ab. 38 Willem de Kooning, »What Abstract Means to Me«, in: Bulletin of the Museum of Modern Art, 18, 1951, Nachdruck in: David und Cecile Shapiro (Hrsg.), Abstract Expresslonlsm: A Critical Record, Cambridge 1990, S. 219-224. 39 Das Ashiya City Museum of Art and History wiederholte die Open-Air-Aussteilung der Gutai-Gruppe im Juli 1992 am Ufer des Ashiya mit dreiundzwanzig neuerlich geschaffenen Werken. Dies wurde 1993 auf der Biennale in Venedig nochmals ver sucht. Seither sind viele Objekte der Aktionskunst und aus den Bühnenausstellungen neuerlich geschaffen und von Museen erworben worden. 40 Raiji Kuroda, »Akarui satsurikusha sono shunkan gei no jutsu« (Fröhliche Attentäter: Ihre Augenblickskunst), in: Neo-Dada Witnessed: Photo Documents, Fukuoka 1993.