ten ihre Gesichter und setzten Objekte ein, um ein unfrei- wiiiiges Publikum aus Fahrgästen der Yamanote Linie zu provozieren. Als Erklärung dafür, warum er einen Zug als Bühne für sein Happening gewählt hatte, sagte Nakanishi: »Ein Zug ist etwas Besonderes. Als ich da rüber nachdachte, wo man in Tokio an Leute heran kommt, fiel mir der Zug als Ort ein, an dem man am häu figsten mit einer Vielzahl von unbekannten Leuten auf engstem Raum zusammenkommt. Solange die Künstler unter dem Namen Hi Red Center auftraten, der den Eindruck vermittelte, daß sie einer Gruppe oder einer Organisation angehörten, hielten sie ihre eigene Identität bewußt geheim.-’s Kein Mitglied der Gruppe war zu dieser Zeit namentlich bekannt. Ein Arti kel aus dem Jahre 1971 über das Hi Red Center in Biju- tsu Techö nannte als Quelle sogar eine zweifelhafte »Enzyklopädie Hi Red Centanica« mit unbekanntem Autor.'*® Das Hi Red Center benutzte auch die Medien, um eine möglichst große Anzahl beliebiger Personen zu erreichen. Seine Beziehung zu den Massenmedien war jedoch komplexer als die der Neo-Dadaism Organizers, die vor allem Kontakt zu den visuellen Medien gepflegt hatten. Die Anonymität wurde streng gewahrt und Hap penings durch Einladungen, »Hi Red Mitteilungen« oder Warnungen auf Flugblättern angekündigt.'**' In den sech ziger Jahren verunsicherten diese Mitteilungen, die von einer zweifelhaften Organisation herausgegeben wur den, sich aber den Anschein gaben, von offizieller Stelle zu kommen, im wahrsten Sinne des Wortes ganz Tokio. Indem sie eine gewisse Autorität simulierten, verwisch ten die Happenings die Grenze zwischen Kunst und Institution. Dies war als scharfe Kritik an der Aktions kunst aus dem Umfeld der »Yomiuri Independant«-Aus- stellung gedacht, die sich als unfähig erwiesen hatte, politische Botschaften wirkungsvoll zum Ausdruck zu bringen. Bei ihrem letzten Happening im Jahr 1964, 44 Natsuyuki Nakanishi: »Sen-en-satsu saiban ni okeru Nakanishi Natsuyuki shogenroku 1« (Protokoll der Zeugenaussage von Natsuyuki Nakanishi beim »Tausend-Yen-Schein-Prozeß»), in: Bijutsu Techö, Oktober 1971, S. 96-97. 45 Akasegawa erinnert sich, daß sowohl die gesellschaftlichen Bedingungen, die zur Gründung einer Vielzahl von Gruppen und Sekten (in Politik und Kunst) geführt hatten, als auch sein eige nes Mißtrauen gegenüber Originalität ihn dazu veranlaßt hatten, das Hi Red Center zu organisieren: interview des Autors mit Genpei Akasegawa, 17. September 1996,Tokio. 46 »Hi Red Center«, in der »Encyciopedia Hi Red Centanica«, in: Bijutsu Techö, Oktober 1971, S. 70-71. Bewegung zur Förderung der Reinigung des Stadtge biets (Seid sauber!), das aus dem sinnentleerten Putzen einiger Straßen des Ginza-Viertels bestand, erschien auf den Flugblättern, die an die Passanten verteilt wurden, der Name einer tatsächlich existierenden öffentlichen Organisation. Dies verlieh dem Happening einen noch zweideutigeren Charakter. Die Idee, eine Institution zu simulieren und so eine Beziehung zwischen Kunst und Gesellschaft zu erzwingen, erinnert an den »gefälschten Tausend-Yen-Schein« Akasegawas, der etwa zur glei chen Zeit entstand. In dieser Hinsicht ähneln die Akti vitäten des Hi Red Center dem »Tausend-Yen-Schein- Prozeß« selbst, in dem Kunst vor Gericht gestellt wurde. Es war unvermeidbar, daß die Aktivitäten des Hi Red Center - von anonymen Künstlern durchgeführte Hap penings - durch die Zeugenaussagen des Verfahrens in den Mittelpunkt des Interesses rückten. Obwohl zwischen der Aktionskunst der Gutai-Gruppe und der der Künstler der »Yomiuri Independant«-Aus- stellungen in Hinblick auf Zeit, Umstände und Absichten deutliche Unterschiede bestehen, gibt es auch einige gemeinsame Aspekte. Der Körper des Künstlers spielt beispielsweise bei beiden Gruppen eine wichtige Rolle. Dies ist nicht weiter verwunderlich, da die Ausdrucks form Aktion auf dem Einsatz des Körpers als Medium beruht. Betrachtet man die Aktivitäten allerdings vor dem Hintergrund der gesamten japanischen Kunstszene der Nachkriegszeit, kommt diesem Thema noch eine andere Bedeutung zu. Der Körper war in der zeitgenös sischen japanischen Kunst schon lange ein zentrales Thema, angefangen mit einem in den frühen fünfziger Jahren entstandenen Bild von On Kawara, das einen blutigen und verstümmelten Körper in einem Badezim mer zeigt. Es folgten Kazuo Shiragas Kampf mit Schlamm und die Bilder des Gutai als Darstellungen einer gewis sen Körperlichkeit. In den sechziger Jahren bedienten 47 Vor der Aufführung des Yamanote Line Event und anderen Hap penings wurde eine Ankündigung mit Datum und Ort versohickt, nicht nur an Kunstkritiker, sondern auch an Personen, die man nach dem Zufaiisprinzip aus dem Teiefonbuch herausgesucht hatte. Dieses Vorgehen erinnert an die Massenmedien, die mit ihren informationen eine beliebige Anzahl beliebiger Leute er reichen.Telefonisches Interview des Autors mit Natsuyuki Naka nishi, 31. Juli 1997. Über die Aktivitäten des Hi Red Center ganz allgemein siehe die folgende Publikation: Genpei Akasegawa, Tokyo mikisa keikaku: Hi Red Center chokutsu kodo no kiroku (Tokio Mixer Pläne: Dokumente der direkten Aktionen des Hi Red Center), Tokio 1984.