159 Hubert Klocker GESTUS UND OBJEKT Befreiung als Aktion: Eine europäische Komponente performativer Kunst Das performative Kunstwerk, gleichgültig ob es Happening, Performance-Kunst, Body art oder Aktion genannt wird, ist ein ephemeres und partizipatorisches Ereignis. Als solches ist es in erster Linie direkt erlebbar und verliert daher nach der Rea lisierung seine unmittelbare Gegenwärtigkeit. In der Folge kann es in Form repräsentativer Objekte oder medial vermit telt und vergegenwärtigt werden. Der dabei stattfindende transformatorische Prozeß bedeutet jedoch nicht grundsätz lich eine Tendenz zur Preisgabe des Kunstobjekts, sondern weist in die Richtung eines neuen, expansiven und freien Werk- und Kunstbegriffes. Denn im performativen Kunstwerk erreicht letztlich der Akt des Denkens selbst Plastizität, er wird zum Gestus, der als Werk für sich selbst stehen, aber genauso auch wieder auf eine Neubewertung des Kunstobjekts zurückverweisen kann und damit den künstlerischen Spra chen neue Kontextmöglichkeiten und Sinnvarianten er schließt, Geschichte, auch die Geschichte der Kunst, konfrontiert uns mit dem Problem des Erkennens vergangener Realitäten und der Auseinandersetzung mit deren individueller und kollekti ver Erinnerung, Das Nachdenken über Vergangenheit und ihre Vergegenwärtigung ist nicht statisch, sondern ein ständig fließendes Verknüpfen von Informationen, ein unaufhörlicher Vorgang. Die für diesen Vorgang notwendigen Bedingungen sind auch durch die subjektiven Interessen des Moments und deren Projektion in die Zukunft im Sinne von Erwartungs haltungen und Visionen bestimmt. Erkenntnis von vergange ner Realität bildet sich aus einer Summe von Informationen als Ergebnis eines entweder direkten oder überkommenen Kommunikationsflusses. Die Garanten und Überbringer die ses Informationsaustausches nehmen vielfache Formen an und wurden im Zeitalter der Aufklärung und Moderne als Informationsmaschinen in ihrer Intensität und Produktivität potenziert. Solche Informationsmaschinen, in Form von klein sten bis gewaltigsten Bedeutungszusammenballungen, gehören in ihrer Eigenschaft als profanisierte Kulträume zu den Kernpunkten der modernen Gesellschaften. Sie bilden ein Spektrum, welches von Totalität bis zu kollektiver Teil nahme reicht, und geben je nachdem Gelegenheit zu Beeinflussung und extremer Didaktik. Sie bieten aber auch die Möglichkeit zu freier Selbstfindung und Selbstbespiegelung. Ihre entwickeltsten Formen sind die Bibliothek, das Archiv und das Museum. Ebenfalls in diese Kategorie gehören die neuen Medien, deren Datenflüsse letztlich radikal beschleunigte und fragmentarisierte Komponenten solcher Institutionen sind. Die Vermittlungsmaschinen und Kulträume sind Zeichen äußerer Macht der sie schaffenden und betreibenden Gesell schaften, sie stehen auch den anderen Apparaten dieser Gesellschaften zur Verfügung und sind in ihren komplexen Organisationsformen selbst Symbole im ZeitfluB. Es muß aber darauf hingewiesen sein, daß ihre Bedeutung letztlich in der Summe des von ihnen zu Vermittelnden liegt. Eine der komplexesten Informationseinheiten ist das Kunst werk. Es ist sozusagen Träger der individuellsten, aber möglichenweise auch kollektivsten Metasprache, denn es ver wendet nicht nur die überkommene gesprochene oder geschriebene Sprache, sondern erfindet durch seine eigene Form neue Informationssysteme in einer individuellen, aber dennoch kollektiv erlernbaren und verständlichen Zusam menballung von Bedeutung. Das ästhetisierte Objekt wird damit sozusagen zum Testfall der gesellschaftlichen Kommu nikationsbereitschaft. Der Künstler als Erzeuger dieses Objekts ist der Agitator, der das Kollektiv mit seiner ver schlüsselten Botschaft herausfordert und es zu ununter brochener Kommunikation zwingt. Daraus folgt Bewegung und Erkennen. Das Kollektiv wie der Einzelne sind aufgerufen, diesen Kommunikationsfluß auf allen Ebenen zu garantieren. Das ästhetische Objekt besitzt also in erster Linie eine ener getische, man könnte auch sagen, sinnstiftende oder metaphysische Eigenschaft, die sich letztlich aus einem Kom munikationsprozeß speist. Sie kann am Quantum der agita- tiven Fähigkeiten, mit denen das Objekt ausgestattet ist, gemessen werden. Nun ist aber gut funktionierende Agitation abhängig von einem Wechselverhältnis aus Kommuni kationsoffenheit und gleichzeitiger Verhüllung. Die individuelle Metapher als zentraler Bestandteil dieser Verhüllungsstrate gie der Kunst funktioniert wie eine Energiequelle. Das Ausmaß ihrer Komplexität steht in einer Wechselwirkung mit der Gül tigkeitsdauer des ästhetischen Objektes. Im Idealfall würde diese energetische Quelle niemals verlöschen, und das Agi tationspotential des Objekts wäre daher endlos gegeben. Das Verlangen nach dem Besitz solcher Objekte, das Sam meln und Ausbeuten ihrer sinnstiftenden Eigenschaften, steht im Zentrum der Konzeption der Informationsmaschinen und legitimiert ihre Existenz. Die idealistische Konzeption des Sammelns kann jedoch vom modernen, aus seinem Selbst verständnis heraus zu autonomem Schaffen neigenden Künstler nicht bedenkenlos hingenommen wenden. Denn ist er in diesem Punkt Kollaborateur, wäre die Kunst kollektiv funktionalisiert und würde ihre erreichte Autonomie verlieren. Der Kommunikationsfluß würde einfrieren und damit seiner agitativen Fähigkeiten als dem eigentlichen Kern seines Wesens beraubt. Deshalb befindet sich der Künstler der Moderne und ihrer Avantgarden stets in einem kritischen