I Kunst geführt hatten. Und es war weiters die Aufgabe der österreichischen Nachkriegsgeneration, im verstärkten inter- nationaien Austausch ihre eigene Position zu finden und auf die unmitteibaren Verirrungen der nationaisoziaiistischen Phase und der sie vorbereitenden geistig-kulturelien Ten denzen, die weit ins vorige Jahrhundert zurückreichen, eine Antwort zu finden. im Unterschied zur österreichischen Situation, in der die Mit täterschaft des Landes hinter die Opferiegende zurücktrat und bis in die jüngste Vergangenheit verdrängt werden konnte, kam es in Deutschiand zu einem grundsätziich ka- thartisohen Reinigungsprozeß. Durch die Nürnberger Pro zesse und die Neuordnung in den Medien, den Universitäten, dem öffentiichen Leben und auch den kuitureilen Einrichtun gen wurde die Geseiischaft in eine vorwärtsgerichtete Dynamisierung und grundsätzliche Modernisierung geführt. Allerdings konnte man in Deutschland auch auf eine noch unmittelbar vor dem Krieg im Spannungsfeld zwischen Mün chen, dem Rheinland, Dessau und Berlin existierende Tradition der Moderne zurückgreifen, und in den fünfziger Jahren wurden für die zeitgenössische Kunst zukunftswei sende Weichen gestellt. Neugründungen von Sammlungen, Museen und die Einrichtung der »documenta« waren die äußeren Unternehmungen, die die heutige Präsenz der deut schen Kunst vorbereiten halfen. Die Künstler konnten sich auf Leitbilder wie Ernst, Albers, Hartung, Beckmann, Grosz, Arp, Klee und Schwitters beziehen. Vor allem in der Person Wols aber steht dem gestischen Expressionismus der New Yorker Künstler eine Position in der deutschen bzw. europäischen Kunst gegenüber, welche die individuelle und existentielle Katastrophe unmittelbar und distanzlos spiegelt. Seine gestischen Abstraktionen und scharfen realistischen Photographien entstanden zu einer Zeit, in der von Tachismus, Informel und Abstraktem Expres sionismus noch keine Rede war. Mehr als jeder andere erreichte Wols in den ab Mitte der vierziger Jahre gemalten Bildern einen Grad an Auflösung, der vieles vorbereiten konnte und vorweggenommen hat, was sich erst in den fünf ziger und sechziger Jahren entwickeln sollte. Andererseits beschreibt der krasse Realismus seiner Photos eine starke Sehnsucht nach einem konkreten Begreifen von Wirklichkeit. Der Grad an bohrender Konzentration auf die Leinwand, die Intensität, mit der sich bei Wols der Autor in das Bild hinein gräbt, finden ihre Entsprechung in der literarischen und theoretischen Position Antonin Artauds. Es ist für die tragische politische Situation Europas symptomatisch, daß diese bei den Schlüsselpersönlichkeiten der Entwicklung der euro päischen Nachkriegskunst aus Gesellschaften kamen, die im Zentrum jener kriegerischen Auseinandersetzungen standen, die das alte Europa zerstört hatten. Sowohl Wols als auch Artaud haben sich aber außerhalb der gesellschaftlichen Realitäten gestellt und unter schwierigen oder auch tra gischen Umständen gelebt. Gerade in ihrer dadurch be stimmten existentiellen und kulturellen Integrität vermögen sie aber die furchtbaren gesellschaftlichen Zustände im Europa der dreißiger und vierziger Jahre zu verkörpern und in der europäischen modernen Kunst heroische Positionen zu besetzen, deren Bezugspunkte bis heute als paradigmatisch gelten können. Die legendären Positionen Artauds und Wols’ haben, gemeinsam mit den Arbeiten Pollocks und im Gegen satz zu jenen Positionen, die Fried den amerikanischen “Literalisten« zuschreibt, eine Kontinuität der anthropomor- phen Themen in der Kunst möglich, ja geradezu notwen dig erscheinen lassen. Mit dieser aus der unmittelbaren Geschichte begründbaren Ausgangsposition befand sich die europäische Nachkriegskunst insoferne im Gegensatz zum Reflex der amerikanischen Literalisten auf den gestischen Expressionismus, als sie vorerst auf der Thematisierung des Subjektiven in seiner Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit bestand. Artauds umfangreiche theoretisch-poetische Schriften und die relativ geringe Anzahl der Bilder und Photographien von Wols verweisen ähnlich wie die Arbeiten Pollocks auf eine Tendenz zur Transzendenz des Werkbegriffes in Richtung einer stärkeren Präsenz des Subjekts. Text und Bild werden unmittelbar, ja geradezu materiell greifbar und mit der Präsenz der Persönlichkeit aufgeladen. Pollocks Methode der rituali sierten Malerei, in der das Subjekt in einem transzendentalen Gestus direkt in das Bild eintritt, gilt ähnlich, aber mit anderen ästhetischen Lösungen und Konsequenzen, auch für Wols und Artaud. Nicht der Aufbruch, sondern die Implosion des persönlichen Ausgesetztseins drückt sich auf der Bildfläche aus. Beides jedoch ist ein Befreiungsgestus unterschiedlicher Prägung. Artaud formulierte in Das Theater und sein Double: »Wenn es überhaupt etwas Infernalisches, wirklich Verruchtes in dieser Zeit gibt, so ist es das künstlerische Haften an For men, statt zu sein wie Verurteilte, die man verbrennt und die von ihrem Scheiterhaufen herab Zeichen machen.«'" Schon 10 Siehe dazu: Antonin Artaud, »Das Theater und die Kultur«, in: Das Theater und sein Double, München 1996, S. 15. I ! [ s ) I 164 I