183 Otto Mühl, Ohne Titel, 1963, Sammlung Friedrichshof, Zurndorf Günter Brus, Ohne Titel, 1964, Archiv Sohm, Staatsgalerie, Stuttgart Verstümmelungsaktionen von Brus wieder aus der Abstrak tion auftaucht, die synästhetischen Analysen Nitschs, Schwarzkoglers und Mühls wie auch die agitativen Experi mente Wieners, die konzeptuellen Ansätze Weibels und Exports oder die partizipatorischen Paßstücke, »Möbel« und diakritischen Zitatinstallationen von Franz West. Die unmittel bare Basis für diese Entwicklung wurde in den fünfziger Jahren in jenen post-dadaistischen Gesten gelegt, für die Rainers Publikumsbeschimpfungen, die surrealen, roman tischen Aktivitäten H. C. Artmanns oder die beiden »Literari schen Kabaretts« der Wiener Gruppe exemplarisch stehen. 1962 arbeitete Nitsch an einer umfangreichen Serie von groß formatigen Aktionsmalereien, bei denen die Farbe entweder durch Ausdrücken eines Schwammes vom oberen Bildrand nach unten Rinnspuren über die weiße Grundierung legt oder in explosiver Geste aus Kübeln auf die am Boden liegenden Juteflächen geschüttet wird. Der in den Aktionsmalereien fühl- und sichtbar werdende Dualismus von Kontemplation und Ekstase bestimmt auch das Konzept des performativen Gesamtwerks Nitschs, des Orgien-Mysterien-Theaters. Aus frühen literarischen Konzepten und insbesondere aus der sich ab 1960 entwickelnden Aktionsmalerei entstand bis heute stufenweise das Gesamtkonzept einer sich über sechs Tage ausdehnenden Aktionscollage. Ende 1962 tat Nitsch in seiner ersten performativen Arbeit den Schritt von der Aktionsmale rei zur Aktion, indem er sich, mit einem weißen Hemd bekleidet, an ein Kreuz binden und von Otto Mühl mit Blut beschütten ließ. Diese dramatisch erlebte Geste der synäs thetischen Vereinigung von Maler und Kunstwerk mit einem von der Lesbarkeit her umfassenden Symbolgehalt steht am Beginn des Wiener Aktionismus und entspricht von den Grundstrukturen her auch den etwas später einsetzenden Aktionskonzepten von Otto Mühl und Günter Brus. Auch in Mühls Versumpfung einer Venus (1963) und Brus’ Ana (1964) wird die Distanz zwischen dem Bild und seinem Autor in einer dramatischen Geste aufgehoben. An die Stelle des Bildes tritt die psychodramatisch strukturierte Aktion mit ihrer collagear tigen Verwendung realer und mit Bedeutung aufgeladener Materialien und Gegenstände.