203 nehmen. Die alte konzeptuelle Kategorie wird zu einem Sprungbrett für den Start einer neuen und befreiten Perspektive. Den Beweis dafür treten Takis’ Man in Space (I960)' an, oder Kleins Leap in the Void (1960), Manzonis Magic Base and World Pedestal (1961), Medallas/tsfro-aciv- punture Man (1965)’, Paul Neagus Anthropocosmos (1969)'“, Lygia Clarks Relational Objects (1964), Oiticicas Parangole (1965) und viele andere. Häufig war die Art, wie lebende Körper sich aus den Protokollen des Skulpturalen und Theatralischen befreiten, erfüllt von einem sanften Humor. Carlyle Reedy hat z. B. in ihrem Werk aus den siebziger Jahre ein schelmisches Verwechslungsspiel der Genres inszeniert, in dem skulpturale und theatralische Zeitlichkeit aufeinandertrafen. Das zeigte sich in Arbeiten wie Human Visual Sculpture in Contempla- tive Time (1972) am Royal Court Theatre Upstairs, einem der wenigen Londoner Schauplätze, die für Aufführungen ein gerichtet wurden, die - ob aufrührerisch oder meditativ - einige der grundlegenden Lehren des Theaters in Frage stellten. Reedy arbeitete mit den vier Teilnehmern lange Zeit vor der Aufführung. Sie fertigte für sie Körper-Säcke in den »Farben von Krokussen im Frühling« an. Dias, die von den Aufführenden in ihren Säcken von der Empore einer leerstehenden Kirche aus aufgenommen worden waren, wurden dann während der Performance auf ihre Körper projiziert, so daß sie sich im Wechselspiel mit einem Bad aus Farben und Licht bewegten, das ihr eigenes Bild form te. Die Künstlerin begleitete die Übergänge mit Glocken, Rasseln, Gongs und gelegentlichen verbalen Äußerungen. Erwartungen an Drama und Schauspiel wurden zugunsten Carlyle Reedy, Human Visual Sculpture in Contemptative Time (Menschliche visuelle Skulptur in kontemplativer Zeit), 1972 von - wie Reedy es nannte - »visueller skulpturaler Lebens zeit« enttäuscht: eine Art langsames Auftauchen in die Gegenwart/das Dasein, analog zum Wachstum der Pflan zen. Die Aufführenden bewegten sich in ihren Säcken und legten sie nach und nach ab, sie nahmen innerhalb des Theaters Positionen ein, wobei sie einzig von ihrer Intuition geleitet wurden, um ein »authentisches, ohne Kunstgriffe In-der-Aufführung-Sein« zu erreichen.’' Reedy setzte ihre Arbeit zwischen verbaler Sprache (oft verwendete sie meh rere Sprachen), Theater und visueller Kunst mit großer Sub- tilität fort. Obwohl ihre Werke damals nie miteinander verglichen wur den, kann man heute sehen, daß Reedys Stück und die Arbeiten von Bruce McLean den Versuch gemeinsam haben, einen Begriff des Lebendigen vor den stereotypen Er wartungen und sozialen Konventionen etablierter Kunst formen zu retten. Sie gingen mit gegensätzlichen Mitteln vor. Während Reedy ein nacktes, existentielles »Wesen« suchte, nahm McLean in seiner eigenen Person alle Manierismen der zeitgenössischen Kunstwelt auf, um sie lächerlich zu machen. Pose Work for Piinths (1971) gibt die monumentale Rhetorik der Skulptur scherzhaft dem lebenden menschlichen Wesen zurück. Der Künstler, gekleidet in Schlaghosen und Pullover, balanciert heroisch, lässig oder unbeholfen auf drei weißen Sockeln. Dies könnte das Werk eines (sehr jungen) »Sohnes« sein, der die »Väter'« verspottet. Es ist vielleicht charakteri stisch für den britischen Geist, daß er ziemlich schnell von dem Milieu absorbiert wird, das er kritisiert. Doch McLean hatte ein ernsthaftes Anliegen. Seine Herausarbeitung der »Pose« als Schlüsselsymbol der damaligen Zeit wurde in 8 ln der Galerie Iris Giert in Paris ließ Takis einen Mann mit Hilfe von Magneten im Raum schweben; das war ein paar Monate, bevor Yuri Gagarin als erster Mensch der Schwerkraft entkommen sollte. Der Mann in Takis’ Vorführung war der Dichter Sinclair Beiles. Aus dem Raum zitierte er sein Gedicht »Ich bin eine Skulptur«. 9 »Ich träume von dem Tag, an dem ich Skulpturen schaffen werde, die atmen, schwitzen, husten, lachen, gähnen, grinsen, biinzein, keuchen, tanzen, iaufen, krabbein... und sich zwischen den Menschen wie Schatten bewegen...« In David Medalla, Mmmmmmmm... Manifest, 1965, London 1995, S. 61. 10 Dieses Konzept beschreibt eine Serie waben- bzw. zellenförmiger menschlicher Figuren, die entstanden, kurz nachdem der Künstler von Rumänien nach London gezogen war. Eine lebensgroße Skulptur bestand aus Waffeln und wurde 1961 bei einem Partizipationsevent in der Sigi Krauss Galerie in London von den Anwesenden gemeinsam aufgegessen. 11 Carlyle Reedy, »Human Visual Sculpture in Contemplative Time«, unveröffentlichte Notizen, Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Künstlerin.