206 Helio Oiticica, Einweihung von Parangole, Museu de Arte Moderne, Rio de Janeiro, 1965 Lygia Clark, Das ich und das Du: Kleidung-Körper-Kleidung, 1967 14 Lygia Clark, zitiert in: Guy Brett, »Lygia Clark: The Borderline be- 15 Ricardo Basbaum, »Clark and Oiticica«, in: tween Life and Art«, in: Third Text (London), 1, Herbst 1987, Blast 4: Bioinformatica (New York), 1994. S. 87. selbst entlarvt hatte, verkündete Clark deren Tod und fuhr fort, diese Poetik mit dem Körper als Motor in uns selbst wieder zuentdecken. Das Außenobjekt wurde zum Mittel einer radikalen Verinnerlichung. Von Skulpturen an metallenen Drehangeln über Möbiusbänder aus Gummi, sensorische Helme, Kleidungsstücke, die das Innere des Menschen nach außen kehren, damit es, oft gemeinsam mit anderen Personen, in ein metaphorisches Spiel eingebunden werden kann, gelangte sie zu kollektiven Erfahrungen, die schwer zu benennen sind. Baba Antropofägica (1973) ist keine Performance, weil es keinen Zuschauer gibt. »Wir sind bei dem angelangt, was ich den kollektiven Körper nenne«, schrieb die Künstlerin, »beim Austausch intimer Psychologie zwischen Menschen. Dieser Austausch ist keine angenehme Sache... und das Wort Kommunikation ist zu schwach, um auszudrücken, was in der Gruppe geschieht.«” Mitte der siebziger Jahre besaß Clark ein ganzes Repertoire dessen, was sie jetzt Relational Objects nennt. Sie wurde der art überzeugt von den Wechselbeziehungen zwischen dem »Physischen« und dem »Metaphorischen« in der gelebten Erfahrung eines Menschen, daß sie eine »Sprache des Körpers« entwickelt zu haben glaubte. Die Relational Objects ermöglichten eine Interaktion mit jenen Erfahrungen, die in den Erinnerungen des Körpers auf einer nonverbalen oder präverbalen Ebene eingeschlossen waren. Die therapeuti schen Möglichkeiten dieses Prozesses interessierten Clark zunehmend, und von 1976 bis etwa 1982 behandelte sie in ihrem Atelier in Rio viele Menschen mit psychischen Problemen - von tiefen psychotischen Krisen bis zu kleinen Neurosen -, obwohl sie keine regulären psychiatrischen Qualifikationen besaß. Clark legte detaillierte Notizen über jede Erfahrung an und kam bei den am schwersten gestörten Patienten zu den besten Ergebnissen. Clarks Werk hat weitreichende und bis heute nicht umfassend gewürdigte Implikationen. Sie betrat ein Gebiet zwischen Kunst und Medizin, so daß ihre Entdeckungen eigentlich nicht nur für einen Bereich relevant sind. Nur wenn beide Bereiche sich verändern und viel stärker miteinander kommunizieren, kann ihr Werk seine Langzeitwirkungen ausüben. Im Kontext der »Live-Kunst« der Sechziger und Siebziger implizieren ihre Neuerungen eine Transformation der Beziehung zwischen Künstler und Zuschauer. Um mit Ricardo Basbaums Worten zu sprechen, heißt es nicht länger: »ICH der Künstler, DU der Zuschauer«, sondern »DUwirstICHwerden«.’® Oiticica begann mit einer extrem ausgeprägten Sensibilität für jene Freiheit, die die Innovationen der früheren moder nen Kunst versprachen. Ein Tagebucheintrag, den er mit