219 des Körpers herausgefordert wurde. Nelly Richard sprach von der »Unnachgiebigkeit des Militärs, für das der Körper der erste disziplinierende Rahmen der normativen identität ist«“', die durch Training und Folter befestigt wird. In direktem Kontrast dazu stellte Leppe - nicht mit großartigem Pomp, sondern mit Zeichen der Verwundbarkeit und des Kampfes - den Transve- stiten-Körper aus, durch den die strenge Festlegung der Geschlechterrollen parodiert wird. Im Chile dieser Zeit besaß die Zurschaustellung des Körpers eine besondere Intensität, da - wie Nelly Richard feststellte - unter dem allgegenwärtigen System der Zensur, das auf jede sprachliche Äußerung ange wandt wurde, »jeder zusätzliche Diskurs oder unausge sprochene Druck, der die Syntax des Erlaubten unterminierte, nur als Körpergeste zum Vorschein kommen konnte«.““ Das Wechselspiel zwischen der Darstellung seiner selbst als Künstler (Selbst-Porträt) und der Selbstdarsteilung als Durchschnittsmensch, der Anteil an den »sozialen Konflikten (hat), die den Einzelnen der Gesellschaft angleichen«““, ist kein neues Thema in der Kunst. Dennoch verlieh die Performance- Kunst dem Prozeß eine neue Nuance, indem sie die Künstler aus ihrem gewohnten Diskurs (Malerei, Skulptur usw.) in einen neuen übersetzte, in dem sie nackt und ungeformt waren, zur Schau gestellt und in direktem Kontakt mit dem Publikum. Daraus entstanden sofort Spannungen zwischem dem »Man-selbst-Sein« und dem »Eine-Rolle-Spielen«, zwischen materieller Wirklichkeit und Symbol oder Metapher. Rück blickend scheint dieser Wandel zwei große Sehnsüchte widerzuspiegeln: die Sehnsucht des Künstlers, die Lebendig- 37 Nelly Richard, »A Matter of Style«, in: Adam's Apple Chile - Transvestites, Paddington NSW, 1989. keit der Kommunikation vor einem Kunstsystem zu schützen, das sich zunehmend am Warenwert berauscht, und die Sehn sucht des »Durchschnittsmenschen«, sich selbst durch ge lebte Erfahrungen, durch die eigene Geschichte, Identität und Subjektivität kennenzulernen. Es ist, als ob der Künstler diese zweifache Sehnsucht in einer embryonalen und testamenta rischen Form darstellt, indem er dem Publikum gegenübertritt, als wäre es die ganze Welt. Die Konzentration auf die Individualität und Subjektivität des Künstlers legt scheinbar einen unentrinnbaren Alleingang nahe, doch bestand das fruchtbare Paradox eben genau darin, daß der Auftritt des bildenden Künstlers in der Rolle eines »Schauspielers« gleichzeitig eine Dekonstruktion und eine Ausweitung des Begriffs »Protagonist' darstellte. Die Welle der Performance-Kunst, die Großbritannien in den späteren Siebzigern überschwemmte, förderte eine faszi nierende Vielzahl an Protagonisten zutage. Während die Darsteller einerseits »nackt« vor dem Publikum standen, re präsentierten sie in einem anderen Sinne das gesamte komplexe Amalgam, die »Unendlichkeit der Spuren« (Gramsci), aus denen Identität entsteht. Deshalb gab es keine Unterbrechung, sondern eine Kontinuität der Solos, Duos, Ensembles und einer Vielzahl an Repräsentanten, unter ande rem abwesende und Ersatz-Darsteller, Doubles, Alter Egos, Verkleidungen und leblose Objekte, die manchmal lebendiger wirkten als die lebenden Darsteller. In einem sehr impressionistischen Überblick über dieses weite Gebiet, dessen Spuren immer noch verstreut und oft 38 Nelly Richard, »Margins and Institutions«, ibid., S. 72. 39 Fernando Balcells, »Analysis«, ibid.