221 unerreichbar sind, geht man am besten von den Performern aus, deren Werke der »Agonie« entsprangen, die im Wort »Protagonist« enthalten ist. Von Künstlern wie Stuart Brisley, Kerry Trengrove oder Alastair MacLennan, die in ihrem Rin gen mit den finsteren und unterirdischen Aspekten der Gesellschaft Meisterleistungen an Ausdauer und Lebenskraft erbracht haben, bis zu jenen, die eine kühle und elegante, makellose Erscheinung zeigten wie Gilbert & George oder Bruce McLean. Die Wucht von Gilbert & Georges frühen Performances als menschliche Skulpturen kann nur in dem Kontext verstanden werden, in dem sie zuerst auftauchten. Ein typisches Szenario wäre ein Rolling-Stones-Konzert im sommerlichen Hyde Park gegen Ende der Sechziger gewesen, wo die langhaarige, träge, freizügige Menge aufblickt, um ein zugeknöpftes männ liches Paar mit Silber- und goldfarben bemalten Gesichtern zu sehen, das schwungvoll promeniert und Posen einnimmt, die einer Modezeitschrift aus den Dreißigern entstammen könn ten. Ihre roboterartige Choreographie war die Antithese zu allem Hippiehaften. Sie war hypnotisch, lustig und letztlich vielleicht auch erschreckend. Wie ihr Galerieauftritte als Singing Sculpiure (1970), wo sie zu dem alten, aus der Zeit König Edwards stammenden Variete-Song »Underneath the Arches«, der aus einem tragbaren Kassettenrekorder erklang, posierten. Dieser Auftritt appellierte an die anhaltende Faszination für Automaten, Abbilder und Mannequins. Er erschien als Illustration der Freiheit, die die Kunst einem Spiel der Gegensätze gewährt. Wenn ein Stil zu einem Klischee wird, übt sein Gegenteil einen elektrisierenden Effekt aus. Gegen die Suche nach dem Natürlichen, Fließenden, Interak tiven und Pluralistischen wurde das Künstliche, Strenge, Ver altete und Einzelne gesetzt (wenngleich Gilbert & George ein Duo sind). Auch McLeans Nice Style ('>die erste Posierband der Welt«), die auf seine frühen Performances folgte, war hell sichtig in ihrer Verwandlung einer traditionell britischen Obsession mit visuellen und gestischen Klassenmerkmalen in einen allgemeinen Zustand der Täuschung, wobei zahl reiche Anspielungen auf Bürokratie, Akademismus und Konsumgesellschaft eingesetzt wurden. Viele Elemente dieser Beispiele sind bekannt und stellen eine Übertragung des traditionellen Musters des Künstlers als Weltenschöpfer oder Meister in den Bereich der Live-Kunst dar. Diese Muster veränderten sich im Großbritannien der siebziger Jahre jedoch mit dem Aufkommen einer Vielzahl von außergewöhnlichen Künstlerinnen und dem Auftauchen anderer Künstler, die zum Teil aus Ländern der Dritten Welt stammten und deren Darstellung innerhalb der britischen Gesellschaft bislang geleugnet oder stereotypisiert worden war. Eine neue Wahrnehmung der Beziehung zwischen den Träumen des Künstlers und den Anforderungen des Alltags lebens wurde durch die Erfindung einer neuen Art von Protagonisten zum Ausdruck gebracht. Die gesamte Tradition des Künstlers als Meister in Frage zu stellen, bedeutete nicht, daß man sie samt und sonders verabschiedete, sondern daß man versuchte, sie auf ironische Weise neu zu gestalten, sie als als untrennbar von ihrem Gegenteil, einer gewissen Unsicherheit und Ambivalenz, »unserer fruchtbaren Inko härenz« darzustellen, wie Susan Miller es damals bezeichnete. Die neuen Protagonisten erschufen sich selbst im Prozeß der Auflösung der zahlreichen strengen Dichotomien, die das Alte definiert hatten: der Dichtomien zwischen passiver Empfäng lichkeit und aktiver Erforschung, zwischen Macht und Machtlosigkeit, Künstler und Publikum, Mann und Frau, Er wachsenem und Kind, Bühne und Welt. Da gab es z. B. Tina Keanes Dialog mit ihrer Tochter Emily in einer Reihe von Performances, die auf Kinderlieder und -spiele zurückgriffen, Rose Finn-Kelceys Erfindung des »abwesenden« oder »stell vertretenden« Darstellers, das elegante und endlose Ritual des Bekennens in Hannah O’Sheas Litany for Woman Artists (1976) oder das zögerliche und schmerzhafte in Sonia Knox’ Echoes of the North (1979), oder auch die Experimente, die Rasheed Araeen darüber anstellte, wie man als Künstler/ Schwarzer in Großbritannien ein Selbstporträt machen kann, und vieles andere mehr. Das Jahr, das für diese Ausstellung als Schlußpunkt gewählt wurde, 1979, bildete in Großbritannien keine Unterbrechung dieses Prozesses. Tatsächlich war die Performance wahr scheinlich Mitte der achtziger Jahre am lebendigsten, als Künstler der älteren und jüngeren Generation gemeinsam in zahlreichen bemerkenswerten Events auftraten. Nur kurze Andeutungen sollen hier die Mannigfaltigkeit an Figuren ver deutlichen: Bow Gamelans Feuerschlucker (Anne Bean, Paul Burwell und Richard Wilson), die die künstlerischen Visionen vom Themse-Fluß neu orchestrierten. Nick Stewarts Pilger, Nick Paynes prägnanter Dandy, Mona Hatoums mächtige