229 gen, und die unrühmlichen Hubschrauberflüge vom Dach der amerikanischen Botschaft sich mir für immer ins Gedächtnis gebrannt haben.® Watergate, die Niederlage der Neuen Linken infolge der Ereignisse im Mai 1968 in Europa und die Gewalt der Chinesischen Kulturrevolution zerstörten auch den letzten Funken Vertrauen in die Gutartigkeit von Regierungen und führten zu einer inneren Abwendung von jedweden Bürgerpflichten. Die für die »Sechziger Jahre« charakteristische, außer gewöhnlich starke Wechselwirkung zwischen Aktion und Politik spiegelt sich in der breiten Begriffspalette, derer sich die Künstler bedienten, um ihre Arbeit zu beschreiben: Konkrete Kunst, Happening, Fluxus, Aktion, Direct art, Zeremonie, Demonstration, Kinetisches Theater, Arte povera. Erd- oder Umweltkunst, Prozeßkunst, Interaktive Kunst, Actual art, Aktivität, Guerrillakunst, Guerrillatheater, Guerrilla- kunstaktion, Straßentheater, Live art, Eventkunst, Event struktur, Bewußtmachung, Überlebensforschung und vieles mehr. Schon die linguistische Vielfalt skizziert, wie breit die Schnittstelle zwischen dem sozialen und dem ästhetischen Inhalt von Kunst ist. Diese fruchtbare Etymologie zeigt, wie lebhaft und engagiert die Künstler darum bemüht waren, die ganz realen, bereits bestehenden Schnittpunkte zwischen Ästhetik, Aktivismus und Kultur offenzulegen - Verknüp fungen, die nicht nur dem Beispiel der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung folgten, sondern auch in Zusam menhang mit der internationalen Erfahrung eines durch den Kalten Krieg gespaltenen Planeten und anderen zeittypischen Phänomenen standen: dem aufkommenden Postkolonialis mus, dem Wettkampf im All, den Anfängen einer elektro nischen Revolution im Kommunikationsbereich (insbesondere Fernsehen und Computer), einem neuen globalen Umwelt bewußtsein, dem Aufstieg der Neuen Linken und des Femi nismus als Wegbereiter für andere Interessensgruppen wie Schwule und Lesben und einem Multikulturalismus, der Ende der siebziger Jahre einsetzte. Vielleicht weist die Homogenität des allgegenwärtigen Begriffs Performance-Kunst, der heute eine breite Palette von kulturellen Aktionen gattungsmäßig zusammenfaßt, verwaltet und leitet, und dessen weitverbreitetes Auftauchen das Ende 6 Für eine Diskussion der Geschichtsschreibung nach Jahrzehnten siehe Frederic Jameson, »Periodizing the 60s«, in: The 60s Without Apology, hrsg. von Sohnya Sayres u.a., Minneapolis 1984, S.178-209. der von dieser Ausstellung untersuchten Zeitspanne markiert, auch darauf hin, wie sehr sich Kultur konzeptuell von einem Bewußtsein ihrer eigenen Aktionsbedingungen und Aktions möglichkeiten entfernt hat. Vielleicht hat dieser Homogeni sierungsprozeß - der darin deutlich wird, daß man sich von jeder tatsächlichen Involvierung entfernt und Engagement mit dem Theoretisieren über Veränderung vertauscht - die Aktion der Theorie einverleibt, die ihrerseits möglicherweise von der Aufgabe, die beiden Bereiche in der Praxis in Einklang zu bringen, völlig überfordert ist. II. Kommissuren; Kunstaktionen als Objekte Jackson Pollocks No. 1 (1949) ist ein idealer Ausgangsort. Obwohl No. 1, wie bei Pollock üblich, auf dem Boden ent standen war, hing das Bild für die Kamera von Hans Namuth im Sommer und Herbst 1950 auch als stummer Zeuge in Pollocks Atelier an der Wand. Die Bilder, die Namuth in einer berühmten Reihe von Photosessions herstellte, schlagen die Brücke zwischen Action painting und den ersten Events der Aktionskunst.^ No. 1 gehört zu einer Reihe von Malaktionen, von denen jede als einzigartig betrachtet und dementspre chend betitelt wurde, die jedoch gleichzeitig alle mit- und untereinander verbunden waren: No. 1 (1948), No. 1 (1949), One (1950) und LavenderMist (No. 1) (1950). Die Kontinuitäten in Pollocks Titeln beginnen und enden sozusagen mit einer Kette von Ähnlichkeiten. Somit bedeutet Pollocks Malerei für die Ausstellung von Aktionsobjekten im Museum das, was Lathams Arf and Cutture für einen Text über die ausgestellten Objekte und Aktionen ist, nämlich ein Verbindungsglied in einer Bedeutungskette, die in der Aktion ihren Anfang nimmt und sich in einer kontinuierlichen Reihe von Verknüpfungen und Wechselwirkungen über Objekte und Texte fortsetzt bis hinein in die Institutionen und das Leben von kunstinteres sierten Menschen. Zentrales Thema der Ausstellung ist die Dimensionaiität zwi schen Aktionen und Objekten, und alles, was sie nach sich zieht. Lathams Art and Culture illustriert diese Beziehung mit viel Wissen und Humor und verwickelt uns in den (textueilen wie visuellen) künstlerischen Akt und seine kulturelle Rezeption. Auch Pollock scheint diese Essenz in seinem exzentrischen Numerierungssystem eingefangen zu haben. 7 Siehe das Diagramm von Pollocks Atelier In E.A. Carmean Jr.s Aufsatz »L’art de Pollock en 1950«, in; Hans Namuth, UAtelier de Jackson Pollock. Zu den Arbeiten im Raum zählten neben No. 1 (1949), Autumn Rhythm, an dem Pollock gerade arbeitete. Wo. 32 (1950), One, und in einem angrenzenden Raum Lai/ender Mist (No. 1)(1950).