237 Charlotte Moorman, Cello Bombs (Cello Bomben), 1965/1990. Sammlung Hoffmann III. Von der Aktion zur Performance Bislang habe ich mich mehr auf den Begriff »Aktion« anstelle des allgemeineren Begriffs »Performance« konzentriert, um den Unterschied zwischen Aktionen und Objekten deutlich zu machen und den Prozeß bei der Entstehung dessen, was landläufig als Performance-Kunst bezeichnet wird, hervor zuheben. Darüber hinaus verweist der Begriff »Aktion« mit Nachdruck auf den politischen Bezug, der im Begriff Aktivismus steckt, der für den Einsatz des Körpers als Medium von so zentraler Bedeutung war und ist. Im Begriff Aktion spiegelte sich eine Strategie entschlossener künstleri scher Intervention im öffentlichen Leben. Man sah in der Kunstaktion ein Allheilmittel gegen den Ästhetizismus, der Kunst von einem integralen Bestandteil kultureller Be deutungsproduktion in eine leere Kategorie der »Kunst um der Kunst willen« verwandelte, eine Verschiebung der sozialen Rolle von Kunst, die die Kunst ihrer kulturellen Wirkungs kraft beraubte, und zwar zugunsten ihrer oberflächlichen Erscheinung, die als Emblem von Status und Geschmack hochgeschätzt wurde. Dieser starke Wandel der Medien und Mittel der Kunst ereig nete sich in einer völlig veränderten Welt, in einer Zeit, als man sich des ganzen Schreckens des Holocaust bewußt wurde und das Atomzeitalter anbrach. Vor dem Hintergrund dieser nie dagewesenen Bedingungen schien der Einsatz des Körpers in Aktionen nicht nur notwendig, sondern dringlich. 1955, zehn Jahre nach dem Bombenabwurf über Hiroshima, benutzte Kazuo Shiraga seinen Körper in Challenging Mud. Im selben Jahr durchbrach Saburö Murakami mit Gewalt eine Reihe großer Papierleinwände, indem er mit seinem ganzen Körper gegen das Material anrannte. Murakamis Aktion wurde »mit einer solchen Geschwindigkeit, fast in einem ein zigen Augenblick, ausgeführt, daß es dem Kameramann nicht gelang, den Moment einzufangen«, und, was noch wichtiger war, der Künstler sich durch die Erfahrung wie »ein neuer Mensch« fühlte.'® Dieser besondere Typ neuer Mensch, der Murakami geworden war, stand sicher unter dem Einfluß dessen, was der japanische Dichter Hara Tamiki in »Das ist ein menschliches Wesen'« (1950) beschreibt, ein Gedicht, das Kursivschrift verwendet, um verschiedene Lesarten des 19 JirS Yoshihara, »On the First «Gutaiten« (the First Exhibition of ■Gutai« Art Group)«, in: Gutai, 4, 1959, S. 2. 20 Zitiert in: John Whittier Treat, Writing Ground Zero: Japanese Literature and the Atomic Bomb, Chicago 1995, S. 168. Textes zu erzeugen: »Das ist ein menschliches Wesen / Bitte beachten Sie, welche Veränderungen die Atombombe erzeugt hat. / Dieser Körper ist grotesk aufgequollen, / Männliche und weibliche Eigenschaften sind ununterscheid bar. / Oh, dieses schwarze, verbrannte, zerschlagene und / eiternde Gesicht, zwischen dessen geschwollenen Lippen eine Stimme hervordringt / >Hilfmir<, / In schwachen, leisen Worten. / Das ist ein menschliches Wesen. / Das Gesicht eines menschlichen Wesens.«* 1952 gründeten Murakami und Shiraga Zero-kai (Gruppe Null), bevor sie sich zwei Jahre später der Gutai-Gruppe unter der Leitung von Jirö Yoshihara anschiossen. Yoshihara war Vertreter der Ashiya City Art Association und lebte selbst in Ashiya (in der Nähe von Osaka), einer Stadt, in der der Krieg »die Hälfte aller Einwohner...verletzt und 40% ihrer Häuser zerstört hat«.®' Zu dieser Zeit »machte« Yoshiharas Werk »eine Phase des Übergangs von einem düsteren, gegenständlichen Stil... zur linearen Form des abstrakten Expressionismus durch«.®® Und es war Yoshihara, der im ersten Gutai-Manifest proklamierte: Die Kunst des Gutai verändert das Material nicht, sie haucht ihm Leben ein. Die Kunst des Gutai verfälscht das Material nicht, in ihr stehen der menschliche Geist und das Material einander gegenüber und reichen sich die Hand. Das Material ordnet sich dem Geist nicht unter. Niemals henscht der Geist über das Material... Alle Mög lichkeiten des Materials auszuschöpfen, bedeutet, den Geist auszuschöpfen, und den Geist zu erheben, heißt auch, die Materie auf die Höhe des Geistes zu führen.®® Wie die Gutai-Gruppe und ihre Arbeiten muß meiner Ansicht nach auch das Gewicht, das Yoshihara auf das Verhältnis zwi schen konkreter Materialität und Geist legt, zumindestens teilweise im Hinblick darauf betrachtet werden, was es bedeu tete, ein Überlebender im Post-Hiroshima/Nagasaki-Japan zu sein. Yoshiharas wollte »das Leben der Materie am Leben lassen«, um den den »Geist am Leben«« zu erhalten. In diesem Kontext ist es durchaus denkbar, daß die Erfahrungen, die Yves Klein 1952 in Japan machte, bei sei nem Übergang vom Malen konkreter, ungegenständlicher monochromer Bilder zum Einsatz des menschlichen Körpers 21 Atsuo Yamamoto, »Gutai 1954-1972, lntroduction<s in: Gutai UI.IIL, Ashiya 1994, o.S. 22 Ibid. 23 Jirö Yoshihara, »Gutai Manifeste«, in: Geijutsu Shincho, 7, 12, Dezember 1956.