241 Die Sprache setzte die »ästhetische Distanz«, die die tradi tionelle Kunstkonvention im Betrachter/Objekt-Zweiklang ver langt, wirkungsvoll fort. Aber in Zusammenhang mit der Aktion funktionierte die Sprache als Kommissur, die Acconci zur Interaktion mit dem Besucher und umgekehrt verpflich tete. Aggressiv und gewalttätig verwandelte Sprache eine entsensualisierte Leere in eine sexuelle Bedrohung, auf die die Besucher aktiv reagieren und an der sie teilhaben mußten, und sei es nur, indem sie sich die Finger in die Ohren stopften und die Galerie verließen. Der sprachliche Angriff in Acconcis Arbeit bot genau das Schauspiel, das sein verborgener Körper nicht aufführen wollte. In den achtziger und neunziger Jahren war die sprachge- stützte Performance in den Vereinigten Staaten und in Europa vorherrschend. Solche Aufführungen paßten besser zu den konnotativen und denotativen Bedeutungen von Theatralik, die in dem Begriff »performance art« mitschwingen. Darüber hinaus scheint eine solche Verschiebung nicht nur vernünftig, sondern angesichts der allgemeinen Ermüdung, die Ende der siebziger Jahre überall auf der Welt spürbar wurde, auch unbedingt notwendig gewesen zu sein. Schließlich sind die drei Jahrzehnte, die die Ausstellung umfaßt, von außer gewöhnlichen Polen psychologisch anspruchsvoller Erfah rung geprägt. Die Verwüstung nach dem Zweiten Weltkrieg wurde von dem bemerkenswerten Wirtschaftsaufschwung in Japan und Deutschland und der Produktion eines verschwen derischen Güterüberschusses abgelöst, und zwar sowohl in Form von konsumierbaren Waren als auch in Gestalt einer überwältigenden Entwicklung moderner Technologien. Das alles steigerte die Existenzangst nur noch, die die bisher nie dagewesene Bedrohung durch eine nukleare Vernichtung im Kalten Krieg immer mehr vertiefte und weiter verbreitete - eine Situation, die der britische Flappening-Künstler Jeff Nuttall 1968 als »Bomb Culture« bezeichnete; so lauteten jedenfalls Titel und Thema seines außergewöhnlichen Buchs, das die Geschichte der »Ban-the-Bomb«-Bewegung in England Ende der fünfziger Jahre nachzeichnet, ein Streifzug quer durch die internationale subkulturelle Revolution in Kunst, Dichtung und Musik des Underground, der London als Sammelbecken diente.^® Gleichzeitig setzten soziale Bewegungen von der Bürger rechtsbewegung bis zum Feminismus neue Maßstäbe für Identitätspolitik, Multikulturalismus und Postkolonialismus, die sich in den siebziger Jahren voll entfalteten und von sich 29 Jeff Nuttall, Bomb Culture, New York 1968. behaupten konnten, einen historischen Paradigmenwechsel sowie den Anbruch der »Postmoderne« ausgelöst zu haben. Doch der Vietnamkrieg versetzte dieser turbulenten Zeit den Todesstoß. Dieser verabscheuungswürdige, unmoralische und blutige Kampf, der weltweit vor dem Fernseher verfolgt werden konnte, endete mit einem Pyrrhussieg für eine winzige kommunistische Nation, die zunächst über die Franzosen, dann über die Chinesen und die Sowjets gesiegt hatte, und schließlich gegen die USA gewann und sich mit Demütigung und Desillusionierung an dieser vermeintlichen Supermacht und selbsternannten Anführerin der Weltdemokratie rächte. Als die siebziger Jahre zu Ende gingen, war dies nicht nur das Ende eines Jahrzehnts, sondern der unrühmliche Abschluß einer traumatischen Ära von Kampf und Verfall. Der immate rielle innere Schmerz dieser Zeit fand seine perfekte und selbstzerstörerische Verkörperung in dem materiellen, sicht baren Zeichen der Sicherheitsnadel, die sich junge Punks durch die Flaut stachen. Das symmetrische Gegengewicht zu diesem Bild der Entmutigung und Entfremdung bildete eine internationale Discoszene, die selbst eine Form der Aktion war, ein Ausdruck der weit verbreiteten Abwendung von umfassenderen Überlebensfragen, welche paradoxerweise und unvermeidbar durch die Verweigerung hindurch in den Diskurs schlüpften, wie der Song der Bee Gees »Staying Alive« zeigte. Wobei es keinen kläglicheren und tragischeren Akt des »Am- Leben-Bleibens« gibt als den Versuch, sein Leben (als eros) gegen die akute Erfahrung der eigenen verzweifelten Erstarrung bis zum Tode (thanatos) zu behaupten. Das ist das pathetische Bild, das die brutale Erniedrigung durch John Duncans Abscheu in Blind Date (1980) wachruft. Im Mai kaufte Duncan in Tijuana einen Frauenleichnam für sexuelle Zwecke und zeichnete seinen Geschlechtsakt mit der Leiche auf. Nach dieser Erfahrung »unbeschreiblicher Selbst verachtung« kehrte er zurück und unterzog sich einer Vasek tomie, um, wie er später schreibt, »sicherzugehen, daß der letzte zeugungsfähige Samen, den ich besaß, in einem Kadaver endete«.^“ Die Photos, die Duncan von der Operation machen ließ, nehmen Orlans ebenso selbstzerstörerische/ selbsterneuernde Schönheitschirurgie in den neunziger Jahren vorweg, Duncan mußte sechs Wochen auf die Vasektomie warten - die damals in Kalifornien vorgeschrie bene Wartezeit; nach dem Eingriff setzte er dann eine Vorführung von Blind Date vor einem Publikum an, dem er 30 Louis MacAdams, »Sex with the Dead«, in: Wet, 30, März-April 1981, S. 60.