249 Giuseppe Pinot Gallizio, Industrielle Malerei, 1958 Galleria Martano, Turin der in den jeweiligen Diskursen auftauchen.^' Was natürlich nicht heißen soll, daß Kunst die einzige Tradition ist, die einen solchen Gedanken hervorbringen kann, aber sie ist der öffent lichste und sichtbarste Ausdruck eines Korpus von Ideen, die sich in Körperaktionen manifestieren. Ein Beispiel aus der jüngsten Kunstgeschichte kann diesen Punkt vielleicht illustrieren. Der Kunsthistoriker David Sum mers stellt an den Anfang seiner Arbeit über die westliche Darstellungstradition von Plato bis heute eine Definition der repraesentatio als »eine Konstruktion rund um das Verb .sein«< und er bringt repraesentatio mit «praesens“ in Verbindung, »...einer Partizipialform von praeesse, vor-sein' (im räumli chen wie im übertragenen Sinn)«.'^^ Am Ende seiner Argu mentation schlägt Summers eine »Verschiebung des Schwer punkts« in der Kunstgeschichte und Interpretation vor, weg von der Darstellung und ihren Tropen wie »»Realismus« und »Weltanschauung« und »Ideologie«, hin zu Konstruktionen gewöhnlicher menschlicher Körperlichkeit und privater, sozia ler und politischer Räume, unserer eigenen wie auch der der anderen««.“ Trotz dieses Vorschlags diskutiert weder Sum mers noch irgendein anderer der einundzwanzig eminenten Gelehrten, die Critical Terms forArt History zusammengetra gen haben - ansonsten ein in jeder Hinsicht herausragendes Buch - das Phänomen Performance oder erwähnt irgendei nen Künstler oder eine Künstlerin, der oder die mit dem Körper als ästhetischem Medium arbeitet, mit Ausnahme von Yvonne Rainer, die als »»feministische Regisseurin««^'' ausge wiesen wird. Dieser Ausschluß hat zur Folge, daß der Beitrag, den die Künstler selbst zur zeitgenössischen Kunst und zur kritischen Theorie leisten, indem sie den radikalen Übergang von konventionellen künstlerischen zu personifizierten Darstellungen inszenieren, nicht gebührend gewürdigt wird. 52 David Summers, »»Representation««, in: Critical Terms for Art History, hrsg. von Robert S. Nelson und Richard Shiff, Chicago - London 1996, S. 6. Eine solche Lücke ist umso ärgerlicher, als der Band einen ganzen Abschnitt über »»soziale Beziehungen« enthält, von dem man zumindest eine Erörterung der Künstleraktionen erwartet hätte. Insbesondere in den Kapiteln über »Ritual«« und »Gender«« fehlen seltsamerweise sowohl feministische Performances als auch feministische Diskurse, deren wich tigster Beitrag zur Geschichte der Kunst doch nachweislich im Bereich der Aktionskunst liegt, ein Gebiet, auf dem Frauen seit den Sechzigern nicht nur einige der stärksten und wir kungsvollsten Werke geschaffen haben, sondern von dem mit Recht behauptet werden kann, daß es - nach 1970 - vorwiegend von Frauen definiert wurde. Diese Beispiele lassen erkennen, wie stark die Diskurse über Aktionskunst zwar in der Kunstgeschichte verankert sind, wie sehr die eigentliche Praxis vom Kanon aber häufig ignoriert wird. Eine 1994 von den Herausgebern der Zeitschrift October 53 ibid., S. 16. 54 Margaret Olin, »»Gaze«, in: Critical Terms forArt History, S. 216. Giuseppe Pinot Gallizio, Versteigerung von Teilen der Industriellen Malerei, April 1959, Galerie Van de Loo, München