253 Carolee Schneemann, in ihrem Atelier, New York 1963 Am 1. November 1961, dem 7. Jahrestag des Algerienkriegs, verließ Lebel Frankreich und reiste in die USA. Dort wirkte er bei Oldenburgs »Ray Gun Theater« mit, las im Living Theater aus seinen Dichtungen (organisiert von Carolee Schnee mann), stellte in der Hall of Issues eine riesige, mit Kollagen aus Zeitungsausschnitten, die Darstellungen von Männern und jungen Mädchen zeigten, beklebte bombenförmige Metallkonstruktion aus, die er als »phallisches Symbol von heute« bezeichnete, und diskutierte öffentlich in einer New Yorker Synagoge die algerische Revolution, bevor er wieder nach Frankreich zurückkehrte.“ In Paris löste er einen Skandal aus, als er am 27. November 1962 in der Galerie Raymond Cordier Pour Conjurer l’Esprit de Catastrophe veranstaltete, in dessen Rahmen Tetsumi Kudö die Philosophie der Impotenz aufführte.®^ Das Happe ning wurde 1963 in »anderer, erweiterter und weiter entwickelter« Form in den Filmstudios von Boulogne wieder holt.“ Sexuelle Hemmungslosigkeit zeichnete dieses wie auch alle anderen Happenings von Lebel aus. 1963 verurteil ten die Situationisten Happenings dieser Art wegen ihrer Einbeziehung von »Drogen, Alkohol, Erotik, Poesie, Malerei, Tanz und Jazz« mit der Begründung, sie seien nichts anderes. 66 1969 veröffentlichte Lebel ein ausführliches Interview mit dem Living Theater, die erste europäische Publikation über die revolutionäre Arbeit von Judith Malina und Julien Beck. Siehe Lebels Entretiens avec »Le Living Theatre«, Paris 1969. 67 Auch Jouffrey, Ferro (alias Gudmundur Ferro alias Enzö, Jacques Gabriel, Philippe Hiquily, Robert Malavel, Norman Rubington und Gian-Franco Baruchello nahmen mit Bildern, Skulpturen oder ande ren Beiträgen teil. 68 Miserabel ausgeführte Filmproduktion von Titanus (MGM), herausge bracht unter dem Titel »II Malamondo«. Mitwirkende waren unter anderen Jouffrey, Frangois Dufrene, Lilian Lijn, Ferro und Johanna Lawrenson. 1958 wurden Lawrenson und Lebel ein Paar. Sie lebten bis 1962 zusammen in Paris und New York. Johanna wirkte in zwei von Lebels Happenings mit. Er nannte sie »Schimäre ä la Gustave Moreau«. Die beiden nahmen gemeinsam an Oldenburgs Happening teil und kehrten anschließend nach Paris zurück, wo sie als Model arbeitete. 1974 lernte Johanna Abbie Hoffman kennen, dessen Frau als »gewöhnliche Überraschungsparties oder klassische Orgien«, ein montierter ■>Aufguß« aus »zusammengewürfelten künstlerischen Überresten«.“ Diese Reaktion war typisch für die ablehnende Haltung der Situationisten gegenüber der Konstruktion jeglicher konkurrierender »Situationen«. Lebel lernte den Surrealismus praktisch aus erster Hand, von Andre Breton, der in seiner Jugend eine Schlüsselrolle spielte. Als Sohn von Robert Lebel, dem ersten Biographen von Marcel Duchamp, wuchs Jean-Jacques Lebel in einem Umfeld von Dadaisten und Surrealisten auf.™ Zu den Freunden der Familie gehörten Breton, Man Ray, Duchamp, Benjamin Peret, Meret Oppenheim und Victor Brauner.’"' 1947 schloß sich der damals elfjährige Lebel einer Straßenbande von Autodieben an. Mit zwölf landete er in einer Besserungs anstalt, wo er häufig »verprügelt wurde, ...mitansehen mußte, wie Gleichaltrige sich aus dem Fenster in den Tod stürzten, ...und lernte, was totale Verzweiflung bedeutet«. Unter den wenigen Habseligkeiten des Jungen befand sich Bretons Arcane 17. Lebel schrieb an den Dichter und schilderte ihm seine mißliche Lage. Breton antwortete dem Jungen, er solle nicht verzweifeln. Als es Lebel gelang, aus der Besserungs anstalt zu entkommen, ging er direkt zu Breton. Der Dichter sie später wurde. In seiner Biographie von Hoffman erkiärt Jonah Raskin, daß Lawrenson »in einer hochintellektuelien und poiitisch sehr engagierten Famiiie aufwuchs... Ihr Vater, Jack Lawrenson, war in den 30er und 40er Jahren Kommunist und bedeutender Gewerk schaftsführer, und sie identifizierte sich mit der Arbeiterschaft der Welt. Ihre Mutter, Helen, ...schrieb für Esquire und Vanity Fair.« Siehe Jonah Raskin, For the Hell ofit, S. xxv. 69 »The Avant-Garde of Presence«, in: Internationale Situationlste. 8, Januar 1963, S. 109; nachgedruckt in: Ken Knabb (Hrsg.), Säuationist International Anthology, Berkeley 1981, S. 109. 70 Siehe Robert Lebel, Marcel Duchamp, mit Kapiteln von Marcel Duchamp, Andre Breton & H.P. Roche, übers, von George Heard Hamilton, New York 1959. 71 Lebel äußerte hierzu, daß ihn der »heftige und meiner Ansicht nach absurde Angriff der Situationisten auf Breton und Peret (die Freunde von mir waren) immer auf Distanz bleiben iieß«.