258 KONVERSATIONSSTÜCK Verbinde irgendeinen Teil deines Körpers und sprich darüber. Wenn die Leute dich nicht danach fragen, lenke ihre Aufmersamkeit darauf und sprich darüber. Wenn die Leute es vergessen, erinnere sie daran und sprich weiter darüber. Rede von nichts anderem. -YokoOno, 1962'" 1970 posierte Valie Export nackt für ein Photo, das sie mit auf den Oberschenkel tätowierten Strapsen zeigt, die den Rand eines imaginären Strumpfs halten. Exports Body Sign Action ist eine Semiotik der Versklavung des Geschlechts, ein kör perlicher Bedeutungsträger »unterdrückter Sexualität..., die einer Klasse zugehört, die konditioniertes Verhalten fordert«; die Aktion sollte sie daran erinnern, das »lebendig zu erhal ten«, was sie als »das Problem der Selbstbestimmung und/oder Fremdbestimmung von Weiblichkeit«™ beschreibt. Das Bild des Tattoos mag zwar betörend sein, noch eindring licher jedoch ist die Nähe zu dem delikaten Dreieck, die das Photo dem Betrachter erlaubt, dem Schambereich Valie Exports. Ihre mit spärlichem Haar bedeckten Schamlippen sind deutlich zu erkennen, neben dem aggressiven Tattoo wir ken sie verletzlich und unschuldig. In einem einzigen Photo ist es gelungen, nahezu das gesamte Spektrum von Schmerz, Vergnügen und multipler Identität der Frau einzufangen: unse ren Sex, unsere Sozialisation und unsere Repräsentation. Weiter oben habe ich dargelegt, daß feministische Stand punkte ihren »wichtigsten Beitrag zur Geschichte der Kunst im Bereich der Aktionskunst« geleistet haben. Aus diesem Grund möchte ich mich hier an zentraler Stelle meines Aufsatzes mit den Kunstaktionen von Frauen gesondert aus einandersetzen, obwohl ich den Tag herbeisehne, an dem ein Sonderteil für ganz gleich welche Gruppe nicht mehr notwendig sein wird. Selbst ein flüchtiger Blick auf Performances von Frauen in den letzten vierzig Jahren zeigt ein kollektives Bild dieser explosi ven, mitten aus der Kultur hervorbrechenden Energie, einer Wut, die in multiplen Formen und häufig auch als Muitiplizität ausgelebt wurde, Adrian Pipers Arbeit ist ein typisches Beispiel: Wie viele feministische Performances stützt sich auch Pipers Werk auf die Lebenserfahrung der Künstlerin und ist als politische Analyse, als Gesellschaftskritik zu verstehen, die in ihrer persönlichen Biographie verankert ist und die den feministischen Slogan der siebziger Jahre »das Private ist das Politische« widerspiegelt. Als afro-amerikanische Frau war Piper sowohl Opfer von Rassismus als auch von Sexismus, und in ihrer Arbeit verweigerte sie diese doppelte Aus löschung ihrer Kultur. Piper wuchs als Tochter hellhäutiger Eltern afrikanischer Herkunft in Harlem auf und besuchfe überwiegend weiße, ökonomisch bessergestellte Schulen. Sie lebte in zwei ver schiedenen Welten. Als Reaktion auf diese Lebensumstände begann Piper 1970 mit ihrer Reihe Catalysis. Aggressiv und konfrontationslustig lief die Künstlerin durch die Straßen von New York. Ihr Ziel war es, möglichst unangenehm aufzufallen, so zum Beispiel, indem sie »einige Kleidungsstücke eine Woche lang in einer übelriechenden Brühe aus Essig, Milch, Lebertran und Eiern einweichte und anschließend in dieser stinkenden Montur U-Bahn fuhr und in einem Buchladen stö berte«.™ Oder sie trat als Mythic Being auf, als »zorniger, zigarrerauchender Dritte-Welt-Mann mit Sonnenbrille und Schnauzbart«. Piper kämpfte mit außergewöhnlich kreativen und konstrukti ven Strategien und Taktiken gegen den Aufruhr ihrer Psyche, weil sie unversehrt, analytisch und produktiv in einer sozialen Situation überleben wollte, in der ihre Identität beharrlich und unaufhörlich angegriffen wurde. Die Künstlerin erklärt heute, daß ihr Interesse an dem performativen Aspekt »der Objekt (sie selbst) - Subjekt (das Publikum) - Dichotomie seit den Gesprächen, die sie Anfang 1972 mit einem Psychiater auf nahm, allmählich verflog«.®“ Der Aufsatz »Two Conceptions of the Seif«, den Piper 1985 verfaßte, läßt vermuten, daß sich die Selbstanalyse der Künstlerin zu einer Analyse der gegensätz lichen philosophischen Positionen zum Thema Wesen und Entwicklung des Ich ausweitete, der Spaltung zwischen »der Kantschen Vorstellung [die Piper teilt], daß das Ich letztlich von >dem angeborenen Bestreben« angetrieben würde, ’all unsere Erfahrungen, einschließlich der Erfahrungen unseres eigenen bewußten Verhaltens, rational erklärbar zu machen«. 77 Yoko Ono, Grapefruit, New York und London 1970, S. 11. Grapefruit wurde ursprünglich 1964 in Tokio in einer limitierten Auflage von 500 Exemplaren veröffentlicht. 78 Vaiie Export, Valie Export, Biennale von Venedig und Galerie in der Staatsoper, Wien 1980, S. 46. 79 Ken Johnson, »Being and Politics««, in: Art in America, 78, 9, September 1990, S. 156-57. 80 Rosemary Mayer, »Performance & Experience««, in: Arts Magazine, 47, 3, Dezember/Januar 1973, S. 35.