Filmkontextes eine Beziehung mit diesem besonderen erotischen Symbol einzugehen.'“ Im selben Jahr gründeten Peter Christopherson, Cosey Fanni Tutti und Genesis P-Orridge in London COUM Transmissions. Am 16. Oktober 1976 wurde im London Institute of Con temporary Arts »Prostitution« eröffnet, eine Ausstellung, die durch Coseys Arbeit in der Sexindustrie und ihr Auftreten in Pornoheften, deren Herausgeberin sie gleichzeitig war, in spiriert wurde. 1976 hatte sie bereits zwei Jahre lang als »Glamour/Porno-ModeH für etwa vierzig Pornomagazine gearbeitet, eine bewußte performative Strategie, die ihr das Bildmaterial für COUMs »sexhibition« lieferte. Cosey interes sierte sich vor allem für die Unterschiede, die die britische Gesetzgebung bei der Einstufung von Prostitution als »Straftat« machte, und stellte heraus, daß »es an sich keine Straftat ist, in der Öffentlichkeit Männer anzusprechen oder an Straßenecken herumzustehen, es sei denn, man ist eine weibliche Prostituierte«; der »Street Offences Act«, ein Gesetz aus dem Jahr 1959, sei in erster Linie gegen weib liche Prostituierte gerichtet.'“^ Cosey verstand ihre Arbeit in Pornoheften und -filmen als Infiltration des Massen bewußtseins durch seine eigenen Strukturen, als nüchterne Analyse der Kommerzialisierung und Vermarktung von Sex: Meine Projekte werden in unveränderter Form und sehr nüchtern präsentiert, wie auch jedes andere COUM- Projekt. Der einzige Unterschied ist, daß meine Projekte das emotionale Ritual des Miteinanderschlafens mitein- beziehen. Wenn ich eine Aktion mache, muß ich fühlen, daß ich die Aktion bin und niemand anderer, keine Ein flüsse von außen, nur das reine Ich. Hier >coumen< die Filme und Photos ins Spiel. Ich öffne mich vollständig, mir selbst und durch meine Aktion auch anderen Leuten...Hier wirst du COUM nur so sehen, wie du uns sehen willst. Die Welt diktiert, was sie für Realität hält, und löscht dabei die Realität aus, und wir, COUM, hören auf zu existieren.'“ Wie vorauszusehen war, machten die Medien und die Öffentlichkeit einen großen Wirbel um »Prostitution«. »Wenn das Kunst sein soll - was kommt dann als nächstes«, kreischte das Londoner Blatt Evening News am Montag, den 25. Oktober 1976. Wie es so ihre Art ist, entwarfen die Medien nur ein oberflächliches Bild der Rolle von Kunst und Künstlern und ließen die Problematik beiseite, die 107 Cosey Fanni Tutti, »Prostitution: Sex magazine action perfor- manoe«, in: Curious, 46, Exhibit No. 36,1976. in dem Aufsatz erklärt sie detailliert die Bedeutung von »Straftat« im rechtlichen Sinn von Verhaftung. COUM in bezug auf Prostitution, Sexindustrie, Pornofilm geschäft oder den Themenkomplex Sexarbeit und Kultur ganz allgemein aufgeworfen hatte. Vor dieser Ausstellung hatte die Gruppe bereits Aktionen auf der Straße, in Galerien und auf Festivals veranstaltet, häufig jedoch in einem Kontext außerhalb der damals für die Aufführung von Performance-Kunst üblichen »alternativen Räume«. Cosey Fanni Tuttis Künstlername ist ein Wortspiel mit dem Titel von Mozarts berühmter Opera buffa Cosi Fan Tutte (1790), in der im Neapel des 18. Jahrhunderts zwei junge Offiziere, Ferrando und Guglielmo, gegenüber ihrem Freund Don Alfonso mit der Treue ihrer beiden Verlobten, Dorabella und Fiordiligi, prahlen. Don Alfonso wettet mit ihnen, daß sich die beiden Schwestern bei der erstbesten Gelegenheit einem anderen an den Hals werfen würden, und die drei Männer schmieden einen Plan, um die Frauen auf die Probe zu stel len. Die Offiziere verkleiden sich als Albaner und umwerben jeweils die Braut des anderen. Zunächst bleiben die beiden Schwestern standhaft, dann aber erliegen sie dem exotischen Charme der Männer und willigen in eine Heirat ein. Auf der Scheinhochzeit erfahren die Frauen die Wahrheit und schämen sich für ihren Wankelmut. Aber natürlich gibt es ein Happy End: Ferrando und Guglielmo vergeben den Schwestern, Don Alfonso gewinnt seine Wette und sinniert: »Cosi fan tutte« (Alle Weiber sind gleich). Zweifaches Maß und zweifache Moral: Ist es da ein Wunder, daß Frauen eine multiple Identität entwickeln? Ein Jahr vor der Gründung von COUM, am 27. Juni 1968, führte Carolee Schneemann die Performance »Naked Action Lecture« im London Institute of Contemporary Arts auf. Diese unzweideutige und eindeutig feministische Aktion, im Zuge derer die Künstlerin sich an und auszog, warf Fragen auf wie: Kann eine Kunsthistorikerin eine nackte Frau sein? Hat eine Frau intellektuelle Autorität? Kann sie eine öffentliche Autorität haben, während sie nackt dasteht und spricht? War der Inhalt des Vortrags weniger wertvoll, weil sie nackt war? Welche unterschiedlichen Ebenen von Unbehagen, Vergnü gen, Neugier, erotischer Faszination, Akzeptanz oder Ab lehnung wurden im Publikum angesprochen?'® Schneemann hatte in den fünfziger Jahren Simone de Beauvoirs Le deuxieme sexe gelesen und bereits damals 108 Erklärung im I.C.A. Bulletin, Oktober/Dezember 1976. 109 Sämtliche Zitate aus Naked Action Lecture sind nachzulesen in: Carolee Schneemann (wie Anm. 25), S. 180-81.