289 Georges Mathieu, öffentliche Malaktion, 1957 Schweiß gebadet war. Es dauerte nicht lange, bis die Japaner, die sonst Fremden gegegenüber sehr höflich sind, vor Lachen brüllten und nach jedem Pinselstrich vor Begeisterung johlten. »Das ist der neue Ford!«, krähte einer. »It's not a whodunit, but a hedunit«, rief ein anderer in ausgezeichnetem Slang, Mathieu war so in seine Arbeit versunken, daß er nichts und niemanden hörte. Er schlug mit einem in gelbe Farbe getauchten Flandtuch auf die Leinwand ein, knetete blütenweiße Pigmente zu Schneebällen und warf sie mit Wucht auf die tropfende Ölfarbe, klatschte mit rapier schnellen Hieben noch mehr Farbe auf die Leinwand, hob eine Ladung Farbtuben auf und hüpfte das Schlachtfeld entlang. Auf dem Höhepunkt seiner Rage feuerte er im Stakkato eines Maschinengewehrs Tuben über die Schulter, bis er endlich langsamer wurde, und die letzten zwanzig Minuten darauf verwendete, nur noch hier und da einen Hauch Farbe hinzuzufügen. Gesamtdauer: 110 Minuten. Titel: The Battle of Hakata (A.D. 1281 - als die Japaner Kublai Khan untenA/arfen).’®^ Mathieus Rezeption in Europa war sehr gemischt. Von Yves Klein wurde er als Mentor und gleichgesinnter Monarchist anerkannt. Das Photo von Kleins berüchtigtem Leap into the Void (1969), das angeblich einen einzigen, spontanen und gefährlichen Sprung in die Leere dokumentierte, zeigt in Wahrheit, wieviel Klein hinsichtlich der Aufführung seiner Kunst für photographische Zwecke Mathieu verdankt. Aber auch konzeptuell und intellektuell tritt Klein in die Fußstapfen seines Mentors. In Kleins Interesse für Risiko, Spontaneität, Geschwindigkeit und Improvisation, das er in seinen lebenden Pinseln und anderen Arbeiten umgesetzt hat, klingt Mathieus Denkweise nach. Mathieu fand übrigens auch Anerkennung bei den Wiener Aktionisten, die seine Wiener Performance vom 2. April 1959 im Theater am Fleischmarkt als bedeuten den Schritt auf ihrem Weg zur Aktion bezeichneten.’® Was sind die Gründe dafür, daß Mathieus Beitrag zur Kunstgeschichte (und insbesondere zur Geschichte der Performance) seinerzeit nicht anerkannt wurde? Warum hat man seine theoretischen Texte allesamt vergessen? Meiner Einschätzung nach verweist die negative, kritische Rezeption von Mathieus Arbeit in den USA auf das traditionelle Mißtrauen gegenüber öffentlicher Zurschaustellung insbe sondere photographischer Art in populären Magazinen wie Time. In dem puritanischen Klima der Vereinigten Staaten machte es die Dinge nicht besser, daß Mathieu reich, exzen trisch und adelig war und dies auch zur Schau stellte. In Europa lehnten einige Künstler im Umfeld der politischen Linken Mathieu wegen seines Monarchismus ab. Das ist wenig einleuchtend, denn Yves Kleins Monarchismus beein trächtigte ja die Rezeption seiner Arbeit seitens der Avant garde auch nicht. Wie dem auch sei, all diese Animositäten waren raffiniert getarnt, man tat Mathieus Arbeit als ober flächlich, zu wenig ernsthaft, dekorativ, und schlicht und ergreifend als schlecht ab - subjektive ästhetische Urteile, die sich objektiv gaben. Mathieu war völlig niedergeschmettert und tief verletzt von der nahezu allgemeinen negativen Rezeption seiner Arbeit und Person in den USA. Immerhin war er einer der ersten europäi schen Künstler gewesen, der in zahlreichen Aussagen, Ausstellungen und Aufsätzen für die Malerei des amerikani schen Abstrakten Expressionismus eingetreten war. Mathieu hat sich stets als lyrischen, abstrakten Vertreter des Action painting verstanden. Noch 1994 bestritt er, daß seine Arbeit irgend etwas mit Performance zu tun habe.''*^ Er selbst bezeichnet seine öffentlichen Aktionen als Bemühungen, »die Öffentlichkeit an der Entstehung [eines Gemäldes] teilhaben zu lassen«, während das Ziel von Happenings »in der Vernichtung sämtlicher Spuren eines künstlerischen Ereignisses zu liegen scheint«, dennoch würde der Zusammenhang ungeachtet der Tatsache hergestellt, daß er »in fast allen Ländern der Welt vor der Öffentlichkeit« gemalt hatte.'®^ Ganz gewiß ist Mathieu nicht »einer der Pioniere des Happenings-'^*: wenn überhaupt, ist er ein Vorläufer der Aktionskunst. 152 Time, September 1957. Das Werk wurde angeblich für »3.000.000 Yen bzw. damals 8.333 Dollar« verkauft. 153 Siehe Robert Fleck, Avantgarde in Wien: Die Geschichte der Galerie Nächst St. Stephan 1954-1982, Kunst und Kunstbetrieb in Österreich, Band I: Die Chronik, Wien 1982, S. 186-96. 154 Mathieu im Gespräch mit der Autorin, Paris, Oktober 1994. 155 Unveröffentlichter Brief von Georges Mathieu an Jean de Loisy vom 27. Januar 1994, anläßlich seiner Einladung zur Teilnahme an »Hors Limites«, einer Ausstellung über die Geschichte der Performance-Kunst im Centre Georges Pompidou, 1994. 156 Siehe Wollens Erklärung in einem unveröffentlichten Brief von Judith Hanson (Projektleiterin von Anthony McCall Associates) an Mathieu, 14. Oktober 1994.