290 Um noch einmal auf die »patrilineare Erbfolge« der Namuth- schen Photos von Pollocks Malprozeß zurückzukommen, und auf die Früchte, die diese in völlig veränderter Form in Mathieus Arbeit getragen haben, könnte man die These auf stellen, daß die Photographien, die Mathieu als müden, französischen Aristokraten-Dandy zeigen, die althergebrach ten Konventionen des männlichen Künstlers als Paradigma für das ideologisch zentrierte Subjekt der Moderne destabili sieren, indem sie den stereotypen Macho-Künstler, der »ein Bild malt«, theatralisieren. Zumindest könnte man behaupten, daß Mathieu das patriarchalische Bild vom Mann als Zentrum der Kunst abgeschw/ächt, \wenn auch nicht völlig demontiert hat. Die Entwicklung vom Action painting zur Aktion - via Photographie - wirft ein deutliches Licht auf jenes Darstel lungsmittel und Medium (die Photographie), durch das sich die Hegemonie des stabilen ästhetischen Mediums der Malerei auf das instabile Medium des Körpers verschoben hat. Paradoxerweise war das Vehikel für die Darstellung ver gänglicher Aktionen jedoch gleichzeitig auch der techno logische Reproduktionsapparat, der gemalte Darstellungen figurativer Sujets durch photographische ersetzte, und die Aktion dabei in einer konventionellen Form stabilisierte. Diese Dualität des photographischen Objekts wurde nie näher untersucht, da man eiligst darum bemüht war, die Photogra phie als »das transgressive Medium par exellence« auszu- rufen.1^’' Photographie war jedoch nicht »transgressiv«. Aller dings war sie bestens geeignet, den gegenständlichen und figurativen Inhalt des Darsteilungsmittels Aktion zu transpor tieren, Photos materialisierten (als Bild) die Nähe der Aktion zu ihrem Objekt. Insofern konnte der Körper in Aktion - ver stärkt durch die Fähigkeit der Kamera, den Bruchteil einer Sekunde dieses Moments des In-der-Welt-seins einzufangen - für kurze Zeit die Kontingenz und wechselseitige Abhängigkeit eines menschlichen Subjekts (des Künstlers) von einem anderen, ihm gleichgesetzten menschlichen Subjekt (dem Betrachter) sichtbar machen. Das war es, was Roland Barthes als »punctum« bezeichnet hat - die 157 Nancy Spector, »Pertorming the Body in the 1970s«, in: Rrose is a Rrose is a Rrose: Gender Performance in Photography, S. 159. 158 Roland Barthes, Camera Lucida, New York 1981. Aufgeladenheit eines Photos.'“ Darüber hinaus war Photo graphie billig, verfügbar und manipulierbar. Man konnte aus einer Bilderfolge die »beste« Darstellung auswählen und so auf die Lesart der Aktion Einfluß nehmen. Das Bild konnte beschnitten werden und den Betrachter auf vielerlei Arten täuschen. Einer der berüchtigsten Mythen der Performance-Kunst und der Beweiskraft der Photographie ist die Legende über den Wiener Künstler Rudolf Schwarzkogler, der sich in einer Performance den Penis abgeschnitten und daran gestorben sein soll. Eine Geschichte, die auch heute noch gerne erzählt wird.'“ In die Welt gesetzt wurde das Märchen 1972 von Robert Hughes in der Zeitschrift Time: Schwarzkogler scheint zu dem Schluß gekommen zu sein, daß nicht das Aufträgen von Farbe wirklich zählt, sondern das Entfernen überschüssigen Fleisches. Also machte er sich daran, Zentimeter für Zentimeter seinen Penis zu amputieren, während ein Photograph die Aktion als Kunst- Event festhielt. 1972 wurden die daraus entstandenen Abzüge ehrfürchtig auf diesem biennalen Automobil salon westlicher Kunst, der documenta V in Kassel, ausge stellt. Nachfolgende Akte der Selbstamputation brachten Schwarzkogler schließlich unter die Erde.'“ Die Vermischung von Fiktionalem und Dokumentarischem geistert nicht nur durch Schwarzkoglers Arbeit, sondern begleitet die Performance-Kunst im allgemeinen. So wird der Schwarzkogler-Mythos immer wieder bemüht, wenn es darum geht, Künstler, die den Körper als Material für Kunst verwenden, zu kompromittieren, zu trivialisieren oder einfach nur in Mißkredit zu bringen. Tatsache ist, daß Schwarzkoglers künstlerische Tätigkeit im Kreis der Wiener Aktionisten reifte, zu denen auch Hermann Nitsch, Günter Brus und Otto Mühl zählten, daß er im Oktober 1964 zum ersten Mal aktiv an einem Aktions-Happening teii- nahm und in einigen von Nitschs Aktionen als Modell diente. Nach dieser Phase begann Schwarzkogler, eigene Aktions bilder zu schaffen. Im Sommer und Herbst 1965 inszenierte er fünf einzelne photographische Arbeiten mit dem Titel Aktion 159 Für mehr Informationen über Schwarzkogler siehe meine »Notes on Rudolf Schwarzkogler's Images of Healing«, in: White Walls: 71 Magazine of Writings byArtists, 25, Frühjahr 1990, S. 13-26, nachgedruckt in: Rudoif Schwarzkogier, Vancouver 1993 S 29-39. 160 Robert Hughes, »The Decline and Fall of the Avant Garde«, in: Time, 18. Dezember 1972, S. 111.