297 Hannah Wilke, S.O.S. Starification Object Series, An Adult Game of Mastication (S.O.S. Starerzeugungs-Objekt-Serie, Ein Kauspiel für Erwachsene), Box, 1974. Leihgabe des Estate of Hannah Wilke and Ronald Feldman Fine Arts, New York 1962 begann ich ein Loft-Environment aus großen Paneelen zu konstruieren, die mit rhythmisch verteilten Farbakzenten, Spiegel- und Glasfragmenten, Licht elementen, rotierenden Regenschirmen und motorbetrie benen Teilen verbunden waren. Ich arbeitete mit meinem ganzen Körper - die Größe der Platten stand für meine eigene Körpergröße. Dann beschloß ich, daß sich mein Körper als integriertes Element mit der Arbeit verbinden sollte - eine weitere Dimension der Konstruktion...(meine Hervorhebung).'™ Schneemann wollte ihren Körper »einer Reihe physischer Transformationen« unterziehen, und zwar in ihren »Kon struktionen und ihrem Wand-Environment«, um ihn dadurch in ein »visuelles Gebäude« umzuwandeln und »die Bildwerte von Fleisch als Material« zu erforschen.”'' Aus dieser Umgebung entstand letztendlich Eye Body, eine Werkfolge aus mehreren Konstruktionen: Four Für Cutting Boards (1962), Ice Box (1962), Window to Brakhage (1962), Für Wheel (1962) und Gift Science (1963). Als Malerin ging es Schneemann, wenn sie ihren Körper in ihrer Arbeit plazierte, um die Bildwerte von Fleisch als Material; sie begriff ihren Körper als etwas, das »erotisch, sexuell, begehrt, begehrend, aber auch geweiht bleibt«, und sah sich selbst als eine »Erweiterung« ihrer »Malerei- Konstruktionen und mich selbst - die Künstlerin... als ursprüngliche, archaische Kraft, die imstande ist, die Energien zu bündeln, welche mein kreativer weiblicher Wille als visuelle Information entdeckt hat«. Schneemanns Sprache wurzelt seit jeher in den visuellen Problemen - »Bildwerten« - der Malerei und dem skulpturalen ■»rhythmischen Verbundensein« ihres Körpers mit ihren Assemblage-Konstruktionen. Die Quelle für Schneemanns Arbeit ist - damals wie heute - die Malerei. Sie selbst hat sich stets als Malerin bezeichnet, und sich theoretisch stets an den in Stücke gebrochenen visuel len Feldern von Cezanne orientiert, in dessen Werk sie den Niedergang der Perspektive in der Malerei sah. Cezannes Werke bewirkten darüberhinaus jenen radikalen Wandel in der visuellen Beziehung zur Bildfläche, der unter anderem auch mit sich brachte, daß der Körper des Künstlers oder der Künstlerin in die Arbeit integriert werden kann. Eye Body (Ende 1963) und Meat Joy (1964) sind den Assemblagen, Environments und Happenings aus den frühen Sechzigern zuzurechnen, und nicht der feministischen Performance der zweiten Hälfte der siebziger Jahre (als Schneemann Interior Scroll aufführte), genauso wenig aber den Neunzigern, als »bad girls« wie Annie Sprinkle oder Karen Finley auftauchten, deren Arbeit sogar auf Interpretationen von Schneemanns Performance basierte. Wenn man sie in diesen Zusammenhang stellt, sollte man meinen, Schnee manns bahnbrechende Arbeit wäre gebührend gefeiert worden, Galeristen hätten sie (wie Wilke und Orlan), unter stützt, oder ihr wäre, wie so vielen Künstlerinnen heutzutage, irgendeine finanzielle oder persönliche Anerkennung zuteil geworden. Das war jedoch nicht der Fall. Schneemann erhält noch Immer sehr wenig institutioneile Unterstützung in der Kunstwelt, obwohl sie drei Jahrzehnte lang Vorbild für die Arbeit zahlreicher Männer und Frauen war. Und was noch wichtiger ist: In ihrem Werk ging es nie darum, dem Körper Gewalt anzutun, sondern um - wie sie es selbst formuliert - »erotische, sexuelle, begehrte, begehrende« Körper, um Fleisch als »Freude« - allesamt Eigenschaften, die in Eye Body brillant zum Ausdruck kommen, wenn ihr Körper die Bild-Oberfläche diagonal schneidet, sich - metaphorisch gesprochen - aus dem Raum der Malerei in den Lebens- Raum streckt, in dem sie ihre Aktionen durchführte. Schneemann schuf Akte primärer Beobachtung. Sie rekon struierte die Art und Weise, wie wir die Welt sehen und interpretieren. Beobachtung, die Interpretation rekonstruiert, ist radikal und ursprünglich. Und eben diese Radikalität ihrer Vision, ihre Ursprünglichkeit sind es wert, verteidigt zu wer den. Denn Schneemanns Kunst ist voll von der Freude weiblicher Körper, die sich in sich selbst und für sich selbst feiern. 170 Carolee Schneemann (wie Anm. 25), S. 52. 171 Ibid.