311 des Koffers jedoch nie zu Gesicht, denn Kantor warf ihn ins Meer, bevor irgend jemand ihn öffnen konnte.'®' Die Galeria Foksal spielte eine entscheidende Rolle in der Geschichte der Happenings und Aktionen in Polen; sie stellte nicht nur Kantors Werk aus, sondern auch das von Zbigniew Gostomski, Zygmunt Krauze, Maria Stangret (die Kantors Frau wurde), Edward Krasinski, Jerzy Beres und vielen anderen. In Prophezeiung I (1968) legte Beres seine Ansichten über den Schöpfungsakt und dessen Vorraussetzungen dar: «Unab hängigkeit - Arbeit - Aktion - Entdeckung«. Bei dieser Aktion trat Beres nackt auf und schnitzte (mit Axt und Säge) eine Skulptur aus einem Baumstamm, den er in die Galerie ge bracht hatte. Am Ende der Performance fesselte sich der Künstler an die Skulptur, um untrennbar mit seinem Werk ver bunden zu sein. Bereits in den fünfziger Jahren hatte Beres organische Materialien in seiner Arbeit verwendet; ab den frühen sechziger Jahren machte er Holzskulpturen, die er in Urbanen Umgebungen aufsteltte. Bei seinen ersten Aktionen (in den späten Sechzigern) stellte er häufig den Dialog mit dem Zuschauer her. In den siebziger Jahren wurden seine Aktionen dann mystischer und ritueller und bedienten sich oftmals ver schiedener Anspielungen auf Transsubstantiationen, Altäre und Transfigurationen - so verwandelte er zum Beispiel die Funktion der Ware Brot in eine ästhetische, indem er Brot scheiben mit Farbe bestrich (Der Wunderbare Altai). 1981 schob der Künstler einen schweren Holzkarren über den Marktplatz von Krakau und entfachte fünf Freudenfeuer, die für Hoffnung, Freiheit, Würde, Liebe und Wahrheit standen. Diese Aktion verdeutlicht die zentrale Rolle, die die Katholische Kirche für die verschiedenen Widerstandsformen in Polen ge spielt hat (wie auch in Rumänien und den übrigen ehemaligen Ostblockstaaten). So auch die Ansprache von Papst Johannes Paul II (der frühere polnische Kardinal Stefan Wyszynski), der am 16. Oktober 1978 im Krakauer Dom gemahnte: »Die Zukunft Polens hängt davon ab, wieviele Menschen reif genug sind, um nonkonformistisch zu handeln.«"® Die außergewöhnliche Intelligenz, Schönheit, Komplexität, der Elan und die Tragik, die in der Aktionskunst Osteuropas zum Ausdruck kommen, ist und bleibt ein ergiebiges Thema für die Forschung. Die Tatsache, daß selbst jetzt, wo die Künstler angeblich ungehindert an der Welt auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs teilhaben können, ihre Arbeit kaum allge meine Anerkennung findet, belastet viele von ihnen emotional so sehr, daß es ihnen schwerfällt, weiterzumachen. Darüber hinaus wird die Situation durch ein noch ironischeres Paradox verschärft; wenn es vor 1989 schwierig war, im eigenen Land zu arbeiten, so ist es seit 1989 zunehmend schwierig, außer halb des eigenen Landes zu arbeiten, da das Interesse an Kunst aus Osteuropa im großen und ganzen marginal und kurzlebig ist. Vor dem Hintergrund dieser Realität ist es viel leicht weise, sich die Warnung noch einmal zu Herzen zu nehmen, die Rasheed Araeen 1978 aussprach: Der Verwendung des Begriffs international...impliziert nicht die Teilnahme aller Völker oder die gegenseitige Befruch- 191 Siehe Tadeusz Kantor im Skript zu Panoramic Sea Happening, 192 Tina Rosenberg (wie Anm. 189), S. 160. 1967, in: Documentation, September 1971, Planobogen der Galeria Foksal.