317 Joshua Neustein, The Sound of Pine Cones Opening in the Sun (Der Klang in der Sonne aufplatzender Kiefernzapfen), Tel Aviv, November 1973 beschrieb. Hansen verstand die mannigfaltige Welt der Eigenschaften und Erfahrungen und verbreitete sie in großartiger Aufmachung durch seine phantastischen Objekte und Events. Und er entdeckte das Leben als Kunstwerk wie der. In den letzten zehn Jahren wurde jede Kunstgeschichte, die sich auf Künstlerbiographien stützt, verachtet und als zuwenig »theoretisch« abgetan; parallel dazu wurde jene kunsthistorische Tradition verurteilt, die sich mit Originalität und Aura des Künstlers auseinandersetzt.^® Die eingehende Beschäftigung mit dem Leben eines Künstlers, vor allem wenn er es so lebt wie AI Hansen, wirft jedoch mehr Licht auf die institutioneilen Praktiken, kulturellen Situationen und poli tischen Interaktionen in der Avantgarde als die Verleugnung dieser Biographie. Denn die entscheidenden Fragen, die Hansens Leben/Kunst zum Thema Happening stellte, laute ten: Von w/eviel Leben konnten sie schon handeln? In welchem Maß waren Happenings und Fluxus imstande, sol che Extreme einzubeziehen, wie Hansen sie leben und schaffen konnte? Fuhren auch diese Künstler auf der dritten Schiene? Und wenn nicht, wie schafften sie es, diesen Teil des Lebens aus der Form der Events auszuschließen? Es war genauso schwierig, Hansen zu akzeptieren wie ihn abzulehnen; er schuf Situationen voller Spannungen und Widersprüche, die erfüllt waren von den tatsächlichen dialek tischen Bedingungen, die Situationen im Leben eben nach sich ziehen. Hansens Leben und Lebenswerk seihst bestan den aus einer Ansammlung von simultanen, unwiederhol baren, unberechenbaren und unzusammenhängenden Be gebenheiten und Aktionen, die jeglichen Versuch, Bedeutung zu produzieren, vereitelten, während sie gleichzeitig eine be merkenswerte Kohärenz und Einheit verkörperten. Hansen hatte eine Überzeugung: »Kunst gewinnt immer!«. Er lebte, wie es John Gage gelehrt hatte: ein Leben, in dem Bewußtsein kein statischer Zustand, sondern ein Prozeß ist, in dem Kunst den Zufall, das Unbestimmte, wahllose Aspekte von Natur und Kultur mit einbeziehen muß, in dem Verhaltensprozesse ein Kunstwerk ständig neu formen und in dem »die reale Welt...nicht Objekt sondern Prozeß wird«.^°' Theoretisch gesehen klingt so ein Leben ideal. Die Praxis sah allerdings 200 Zur Kritik der Originalität siehe Rosalind E. Krauss, »The OriginalityoftheAvant-Garde«, in: October, 18, Herbst 1981, nachgedruckt in: R. Krauss, The Originality of the Avant-Garde and Other Modernist Myths, Cambridge 1985. Zur auratischen Wirkung siehe Walter Benjamin, »Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit«, in: lltuminationen, Frankfurt/Main 1977. 201 John Gage und Daniel Charles, For the Birds: John Cage in Conversation with Daniel Charles, Boston und London 1981, S. 80. anders aus, wie schon das Paradoxon, daß Cage selbst Hansen mit distanzierter Vorsicht betrachtete, deutlich macht.2“ Der bekannte Kolumnist Jimmy Bneslin, ein Jugend freund Hansens, erinnert sich in seinem bemerkenswerten Nachruf auf den Künstler, daß Hansen ein Mensch war, »den sie festzuhalten versuchten...wie alle anderen«, der aber nichtsdestotrotz »jeden Tag bemüht war, etwas Strahlendes und Neues in das Leben anderer Menschen zu bringen, in dem verzweifelten Versuch, so zu leben wie alle anderen«'. Und dann »ging er in den Himmel hinaus« wie ein Kosmo naut.^“ Pulverisiertes Licht und das Geräusch von Wasser Indem er natürliche und kulturelle Systeme kontrastierte, schuf Joshua Neustein mehrere Aktions-Installationen, die sich mit Konfliktpunkten zwischen geopolitischen Forma tionen, staatlich geregelter Institutionalisierung von Raum und menschlichen Bedürfnissen beschäftigten. Inspiriert von der Tatsache, daß auf antiken Karten, in biblischen Geschichten und in der israelischen Folklore ein Fluß in der Nähe von Jerusalem erwähnt wird - eine Überlieferung, die israelische und palästinensische Autoren und Maler seit langem beschäf tigt - erfand Neustein im darauffolgenden Jahr einen »Phan tasie-Fluß«, der, wie er es ausdrückte, »sein-sollte-und-nicht- ist«. Jerusalem River Project: Sound of Fiowing River in the Dry Wadi ofAbu Tor (1970) war die Antwort auf das reale und unbewußte Bedürfnis nach »einem nassen Element in der Landschaft von Jerusalem«. Die Aktion begann damit, daß Neustein gemeinsam mit Gerry Marx und Georgette Battle durch Israel reiste, um die Geräusche von all jenen Gewässern aufzunehmen, die aus den natürlichen Quellen des Landes hervorsprudeln. Anschließend suchte Neustein in dem trocke nen, gebirgigen Tal vor den Toren Jerusalems einen Ort, an dem es elektrischen Strom gab, um die aufgenommenen Geräusche abspielen und über das Land hin erschallen las sen zu können. Im Kloster von St. Claire wandte ersieh an die Nonnen und erklärte ihnen, daß er für ein Kunstwerk elektri schen Strom benötige. Die Frauen weigerten sich zunächst, ihr Kloster als Quelle für die Kunst herzugeben, willigten 202 »Cage hatte AI gegenüber immer massive Vorbehalte. Er war zwar empfänglich für seine physische Energie und Rastlosigkeit, doch in jenen Tagen war Schweigen, in dem nichts passierte, Gold«, erklärte Kaprow in einem Gespräch mit der Autorin, 12. November 1996, State College, Pennsylvania. 203 Jimmy Breslin, »The Happening of a Lifetime«, A2.