329 Paul Neagu, Gradually Going Tornado (Nach und nach zum Wirbelsturm werden), Arnolfini Gallery, Bristol, März 1976 XI. Unverfälschte Freude Und was ist mit der unverfälschten Freude? Sie ist mein: rein und unzerstörbar, habe ich sie den Künstlern zu verdanken, die mit Hilfe ihrer Körper das Sehen neu definiert und uns gezeigt haben, wie unentbehrlich Kunst für die qualitative Substanz und die Bedingungen jedes einzelnen Lebens aspektes ist. »I love what l'm...« schrieb Jim Dine in seinem Happening The Smiling Workman (1960), trank die Farbe aus, mit der er gerade geschrieben hatte, und krachte durch das Papier, auf dem die Worte standen. Dines Worte und Handlungen veranschaulichen den Glauben an das Ich als Subjekt - »I love what I am« und zeugen gleichzeitig von einem tiefen Verständnis der Beziehung zwischen der Subjektivität und den Objekten, die das Subjekt ermöglichen und konstituieren. In meinem Aufsatz habe ich in zahlreichen Beispielen beschrieben, wie sich die »Wut« über die Conditio humanae am Körper und seinen Objekten präsentiert und repräsentiert hat. Dieser Zorn ist Bestandteil einer Welt nach dem Holo caust und nach der Atombombe, einer postbiologischen, postmodernen Welt, die nicht nur die alten Bürden von Sexismus und Rassismus, Klassengesellschaft und ethni schen Trennungen mit sich trägt, sondern auch die neuen »post«-humanen Lebensbedingungen. Aktionskunst ist eine ästhetische Arbeitsweise, die vor allem die bedrohlichsten und beglückendsten Bedingungen menschlicher Erfahrung darstellt. Wenn ich Aktionen und Aktionsobjekte als Kommis suren bezeichnet habe, ausführlich über die artefaktische Eigenschaft von Objekten geschrieben und vorgeschlagen habe, Aktion zum Objekt werden zu lassen - so geschah all das in der Absicht, den Leser/die Leserin davon zu überzeu gen, daß der tiefen Poesie und Ausdruckskraft der Aktions kunst die seltsame Frage nach den Beziehungen zwischen Subjekten und Objekten zugrunde liegt, und wichtiger noch, den Beziehungen menschlicher Subjekte untereinander. Aktionskunst ist eine so schwierige Kunst, weil sie diese Intersubjektivität - dieses Hyphen - verkündet, einen Zwischenraum, den diese Künstler identifiziert und ins 214 Mark Boyle, Journey to the Surface of the Earth: Mark Boyie’s Atlas and Manual, Köln - London - Reykjavik 1970, o. S. * Paul Schimmel und Russell Ferguson möchte ich dafür danken, daß sie an meine Arbeit geglaubt haben. Mein Dank gilt auch Diane Aldrich, Kim Cooper und Linda Genereux für ihre unschätzbare Mitarbeit und Mark D. Hasencamp, der mich bei den Recherchen zu dieser Arbeit tatkräftig unterstützt hat. Mein größter Dank jedoch gebührt meinem Mann Edward Allen Shanken, der dieses Zentrum unserer Aufmerksamkeit gerückt haben, indem sie uns in einen Dialog verwickeln, der bedrohen, abstoßen, erschrecken oder verführen kann - auch dann, wenn sie etwas lehren und erklären. In diesem Sinn sind Aktionskünstler, wie es Mark Boyle im August 1967 schrieb, »die Fühler des vielzelligen Organismus namens Menschheit«. Weiter erklärte er, solche Menschen seien »mehr Sensoren als Künstler, mehr Empfänger als Über mittler«. Indem er den Akt des Empfangens betonte - nicht durch den Betrachter, wie üblicherweise angenommen, son dern durch den Künstler -, drückt Boyle eine bedeutende Umkehrung jener Subjekt/Objekt-Beziehung aus, die in der traditionellen Kunst verankert ist. Ich habe die Theorie aufge stellt, daß diese neue Beziehung auf eine Verstärkung der metaphorischen Fähigkeiten herkömmlicher statischer Kunst formen durch die kommunikative Funktion von Metonymie zurückzuführen ist, in der Künstler als »Empfänger« erfahrene Erfahrungswelten visualisieren, indem sie sich mit dem ver bunden zeigen, was die Gesellschaft selbst vermittelt. Solche Künstler »erweitern unsere Fähigkeit«, die Welt auf neue, andere Weise »in uns aufzunehmen«, so Boyle. Und in diesem Prozeß machen sich Künstler, die mit Aktionen arbei ten, zunehmend »überflüssig«. Überflüssig, wie Boyle abschließend erklärt: DANN WENN WIR DAZU IMSTANDE SIND WERDEN WIR NUR NOCH EMPFINDSAME WESEN SEIN VÖLLIG UND IMMER ALLEM GEÖFFNET OHNE DIE FILTER PSYCHOLOGI SCHER SCHOCKBARRIEREN ODER DIE VERDREHUNGEN VON INTELLIGENZ ODER DROGEN DANN WERDEN WIR ENTDECKEN WIEVIEL REALITÄT DIE MENSCHHEIT ERTRÄGT.^'^ Die alte Frage bleibt bestehen: Wieviel Realität können wir ertragen? Wie auch immer die Antwort iauten mag, die Aktionskünstler haben mehr Realität empfangen, vermittelt und dargestellt, als wir vor ihren Aktionen kannten. Sie haben neue Welten geschaffen, neue Kosmologien menschlicher Erfahrung. Manuskript immer wieder gelesen, redigiert und mit mir diskutiert hat und für mich kochte und putzte, kurz, sich während des schier endlosen Reifeprozesses dieser Arbeit um mich und den Haushalt kümmerte. Seine treue Unterstützung kann ich ihm nur mit meiner Liebe danken. Dieser Aufsatz ist einem weit umfangreicheren Manuskript entnommen, das als Buch bei University of California Press erscheinen wird.