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Robert Morris, Untitied (Standing Box) (Ohne Titel [Kiste zum Stehen]), 1961. Solomon R,
Guggenheim Museum, New York. Aus den Morris-Archiven
Gustav Metzger, South Bank Demo (South Bank Demonstration), 1961/1988. Sammlung des Künstlers
ger war mit Aktionen bekannt geworden, im Zuge derer er,
bekleidet mit einer Gasmaske, Schutzkleidung und schwer
en Handschuhen, Säure auf Nylonplanen sprühte. Das sich
auflösende Material hinterlie3 abstrakte Muster - ein
symbolischer Protest gegen die Gefahr der Massenver
nichtungswaffen.
Performative Plastik der sechziger Jahre
Ähnlich wie in den fünfziger Jahren die experimentelle Musik
von John Gage die Entwicklung der Kunst beeinflußt hatte,
prägte der moderne Tanz in den sechziger Jahren sowohl das
reduktionistische Vokabular der »performativen« als auch
Aspekte der minimalistischen Plastik-eine Tatsache, die bis
her jedoch wenig Beachtung fand. Robert Morris, ein Maler,
der der dritten Generation Abstrakter Expressionisten der
Bay Area angehörte, und die Tänzerin und Choreographin
Simone Forti nahmen in San Francisco an Tanzworkshops von
Ann Halprin teil und gründeten 1957 schließlich ihre eigene
Tanz- und Theatergruppe. Fortis kreativer Einsatz von Requi
siten und Spielregeln zur Strukturierung von Bewegungs
abläufen spielte bei Morris’ frühen performativen Plastiken, die
ab 1960 nach seiner Ankunft in New York entstanden, eine
wichtige Rolle.“
Zu dieser Zeit setzte sich Morris in der Plastik mit Konzepten
auseinander, die sowohl im Living Theatre, dessen Schwer
punkt auf der Anordnung von Körpern im Raum lag, wie auch
in Fortis Arbeiten mit dem Judson Dance Theater, die den
menschlichen Körper als Maßstab nahmen, erarbeitet wurden.
Betrachtet man die Werke jener Künstler, die in den darauf
folgenden Jahren avantgardistische Tanztheorien direkt in
skulpturale, körperorientierte Performances umsetzten, so kön
nen Morris’ Werke Column, Passageway, und Untitied (Stan
ding Box) (alle 1961) tatsächlich als richtungsweisend gelten.
Column war Morris' erstes skulpturales Objekt und nahm seine
späteren minimalistischen Plastiken in Form und Größe vor
weg; Er stand dreieinhalb Minuten lang regungslos und auf
recht in einer am Maßstab seines Körpers konstruierten
Säule und kippte sich dann mit dieser um.“ Die Bedeutung
dieses Stücks als performative, auf den Körper des Künstlers
zugeschnittene Plastik wird durch die Tatsache, daß er sich
bei den Proben am Kopf verletzte und danach beschloß, die
Säule mit Hilfe von Schnüren anstatt mit seinem Körper zu
kippen, keineswegs geschmälert. Angesichts der Tatsache,
daß es weit einfachere Möglichkeiten gibt, eine Säule zu kip
pen, als eine, bei der man sich selbst gefährdet, ist es durch
aus bemerkenswert, daß Morris sogar bei der Benützung einer
derartig nüchternen, vorgefertigten minimalistischen Plastik das
Bedürfnis verspürte, sich - wenigstens zunächst - mit einer
Art unterdrückter Gestik einzubringen.
In Onos Chamber Street Serles von 1961 schuf Morris ein
performatives, partizipatorisches Environment mit dem Titel
Passageway. Mit der brutalen Direktheit des Choreographen
kreierte er damit nur drei Jahre nach den ersten Happenings
- partizipatorischen Environments, die aus chaotischen
Assemblagen von Fragmenten des täglichen Lebens gebildet
waren - eine reduktionistische Raumgestaltung. Es handelte
sich um einen mit Spanplatten verkleideten, etwa 16 Meter
langen Gang, der sich langsam zu einer Spitze hin verengte.
Die Teilnehmer wurden völlig von diesem dreidimensionalen
plastischen Environment kontrolliert. Der Künstler kehrte so
in einer ironischen Geste den Akt des Ausbruchs und der
Befreiung, der den größten Teil der frühen aktionsorientier
ten Werke geprägt hatte, um, und schuf statt dessen eine
oppressive Umgebung, die den Teilnehmer schließlich völlig
einschloß.
In Untitied (Standing Box) zimmerte Morris einen groben Kie-
fernsarg, der genau auf seine Körpermaße zugeschnitten war.
Wie bei Column »führte« er die Kiste »auf«, indem er sich hin
einstellte, eine klare Vorwegnahme von Bruce Naumans Pla
stik A/eon Templates ofthe LeftHalf ofMy BodyTaken atTen
Inch Intervals. Obwohl Morris’ Kiste als performance-orientiert
und autobiographisch gelten kann, enthielt sie keinen konkreten
Hinweis auf Gestalt oder narrativen Inhalt: Der Körper wurde
durch die Maße der Kiste dargestellt, die Gestalt durch ihre
Abwesenheit impliziert. Morris’ plastisches, vom Tanz inspi
riertes, proto-minimalistisches Objekt war gleichsam der Be
weis für die Doppelfunktion des Künstlers als Erschaffer und
Teilnehmer. Plastik, Installation und Performance (sowie ihre
Dokumentation mittels Photographie, Film und Video) waren
ebenfalls grundlegende Elemente im Werk von Bruce Nauman,
der 1966 sein Kunststudium beendete. Flour Arrangements
(1966) dokumentiert beispielsweise, wie Nauman einen Mo
nat lang ein Staubhäufchen auf dem Boden seines Ateliers
zurechtrückte. Dieses von Man Ray inspirierte gestische
65 Weitere Informationen zu diesem Thema finden sich in; Maurice 66 Robert Morris: The Mind/Body Problem, Ausst.-Kat.. Solomon R.
Berger, Labyrinths: Robert Morris, Minimalism, and the 1960s, Guggenheim Museum, New York 1994, S.90.
New York 1989, Kap.1.
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