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wurde sein Mentor, wurde von seinem Schützling jedoch auch
kritisiert. »Privat« war er »ein phantastischer, lebensfroher
Mensch«, erinnerte sich Lebel, »aber sobald er sich in einer
Gruppensituation befand, wurde er eine Art Mussolini.« Zehn
Jahre später, 1959, »verbannte« Breton Lebel wegen
»Disziplinlosigkeit, permanenter Revolte und direkter Aktion«
aus dem Surrealismus. Lebel fühlte sich »befreit«, hielt aber
weiterhin engen Kontakt zu Breton.
Es überrascht nicht, daß Breton die dreiste Sexualität in
Lebels Happenings mißbilligte. Sexualität durchzieht Lebels
Kunst als synthetisches Prinzip, und zwar nicht die sublimierte
Sexualität Bretons, sondern die entsublimierte Erotik, die man
mit Bataille, Wilhelm Reich und Herbert Marcuse in
Verbindung bringt. Das Imaginäre gründete für Lebel in einer
Neudefinition des Erotischen und seiner Beziehung zur
Willensfreiheit, einer Vorbedingung für die Freiheit des
Menschen. Vor diesem Hintergrund muß daran erinnert wer
den, daß Lebel ein Dichter-Maler ist. Die unbekümmerte
»sexuelle Revolution« der sechziger Jahre, wie sie sich in
Lebels Happenings verkörpert, wurde im Milieu der Beat-
Poeten der Fünfziger vorbereitet; sie ist stark beeinflußt von
Henry Miller, dem Surrealismus, Jazz, zügellosem Verhalten,
ekstatischer, mystischer, romantischer oder bewußtseins
verändernder Befreiung durch Drogen und Alkohol, von Erotik
Lynda Benglis, Reklame in: Artforum, November 1974
Barbara T. Smith, Feed me
(Füttere mich), 1973. Sammlung der Künstlerin