I
I
278
Yoko Ono, Cut Piece
(Schneide-Performance),
Carnegie Recital Hall,
New York 1965
nierte, ein beklemmendes Happening, dessen mit Stachel
draht umwickelte Fernseher auf den Vietnamkrieg verwiesen.
Joseph Beuys wird häufig als der Künstler gerühmt, der in
Deutschland die Diskussion über den Zweiten Weltkrieg er
möglicht hat. Dabei kann Vostell mit seinen Happenings und
Installationen der späten fünfziger und frühen sechziger Jahre
durchaus als Wegbereiter der Diskussion und kulturellen
Konfrontation mit der Nazi-Ära gelten. Seine Arbeiten sind
unbestreitbar Symbole des Kriegs, sie üben Kritik an der
Konsumgesellschaft und rufen die Zerstörungsprozesse des
Lebens visuell in Erinnerung.
Yoko Onos Anwesenheit bei DIAS war für Metzger nicht nur
deshalb von zentraler Bedeutung, weil sie eine Frau war (er
versuchte so viele Frauen wie möglich zur Teilnahme zu bewe
gen; auch Schneemann sollte kommen, mußte aber absagen,
weil ihr die finanziellen Mittel fehlten), sondern auch, weil sie in
ihrer Arbeit Zerstörung mit zwischenmenschlichen, oft intimen
Beziehungen auf besondere Weise in Verbindung brachte.
Dieses Element kam insbesondere in Cut Piece, einer der zahl
reichen Aktionen, die sie während DIAS aufführte, zum Tragen.
Ono hatte die Performance zum ersten Mal 1964 in Japan und
ein weiteres Mal 1965 in der New Yorker Carnegie Hall aufge
führt. Nachdem sie das Publikum aufgefordert hatte,
heraufzukommen und ihr die Kleider vom Leib zu schneiden,
saß sie während der Performance bewegungslos auf der
Bühne; wenn Ihre Brüste entblößt wurden, bedeckte sie sie mit
den Händen. Cut Piece enthüllt die Wechselbeziehung zwi
schen Exhibitionismus und Schaulust, zwischen Opfer und
Täter, zwischen Sadist und Masochist; als heterosexuelle Frau
legt Ono das geschlechterspezifische Verhältnis männlicher
und weiblicher Subjekte als Objekte füreinander offen.’^^ Cut
Piece stellt auch das psychische Erlebnis dar, ein Objekt für
andere zu sein, was Ono 1971 in einem »Statement- so aus-
drückte: »Die Leute schnitten immer weiter Teile ab die sie an
mir nicht mochten bis schließlich nur noch der Kern von mir
übrig war der in mir war aber sie gaben sich immer noch nicht
zufrieden und wollten wissen wie es in dem Kern aussieht.«'^®
Über soziale und politische Themen und die Geschlechter-
Problematik hinaus befaßte sich Cut Piece auch mit
ästhetischen Gesichtspunkten. Cut Piece dekonstruierte das
Subjekt/Objekt-Verhältnis, das den Hintergrund für das
Gebäude der Kunst bildet - die häufig vorausgesetzte un
durchdringliche Neutralität des allgegenwärtigen Kunst
objekts und des distanzierten, entfernten Kunstbetrachters.
Ono demonstrierte in Cut Piece die Verantwortlichkeit des
Betrachters für die Bedingung, die Rezeption und Erhaltung
von Kunstobjekten, indem sie zeigte, daß eine verantwor
tungslose Betrachtung in das Objekt der Wahrnehmung
schneidet und es zerstört.
Solche Arbeiten sind vermutlich Ausdruck der von ihr emp
fundenen Marginalisierung in der New Yorker Kunstwelt der
sechziger Jahre. »(Ich wurde) nicht akzeptiert, selbst in der
Avantgarde nicht«', erklärte sie, »weil in der New Yorker Avant
garde coole Kunst angesagt war, keine heiße, [und] was ich
mache zu emotional war; in gewisser Weise fanden sie es zu
animalisch.«^24 |p, {Jq,- post-abstrakt-expressionistischen
Schule der Beatnik-Coolness, die in New York zum Minimalis
mus erstarrte und in der Beschränkung des Fluxus verhärtete,
empfand man Onos Werk - wie das vieler Künstler, die im
Zusammenhang mit Happenings und DIAS tätig waren - als
übertrieben. In der Tat fühlten sich Ono, Schneemann und
Shigeko Kubota - allesamt Frauen, die sich in ihrer Arbeit mit
dem instinktiven Ausdruck von Sexualität und Emotion
beschäftigten - von ihrem eigenen Umfeld ignoriert.
122 Für eine umfassendere Untersuchung des Problems der
Relationalität in ihrem Werk wie auch in ihrer Verbindung mit
Lennon, siehe mein »Unbosoming Lennon: The Politics of Yoko
Ono's Experience», in: Art Criticism, 7, 2, Frühjahr 1993, S.
21-54, neu aufgelegt in Havana 1994.
123 Siehe Ono's »Statement« in: VUiage Voice, 7. Oktober 1971,
S. 20.
124 Yoko Ono in: Melody Sumner, Kathleen Burch und Michael
Sumner (Hrsg.), The guests go in to supper: John Cage, Robert
Ashley, Yoko Ono, Laune Anderson, Charles Amirkhanian,
Michael Peppe, K. Archley, Oakland — San Francisco 1986, S.
174.